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Zwölftes Kapitel.

Ich traf sie ziehend durch Marcello's Hain,
Und hört' so feierliche Melodie,
Bei Klageliedern, Thränen, Elegien –
Womit Großmütter, bei den Todten wachend,
Die lange Nacht sich zu vertreiben pflegen.

Altes Schauspiel.

Der Eingang dieses großen Thurmes zu Schloß Coningsburgh ist ganz sonderbar, und erinnert an die rohe Einfachheit der frühern Zeiten, in denen er erbaut ward. Eine Reihe von Stufen, so eng und schmal, daß es gefährlich ist, sie zu beschreiten, führt aufwärts zu einem niedern Portale auf der Südseite des Thurmes, wodurch der Alterthumsforscher, wenigstens noch vor wenigen Jahren, den Zugang gewinnen konnte zu einer kleinen Treppe innerhalb der Stärke der Hauptmauer des Thurmes, welche zu dem dritten Stockwerke des Gebäudes führt; denn die beiden untern sind Gefängnisse oder Gewölbe, wohin weder Luft noch Licht dringt, außer durch eine viereckige Oeffnung in dem dritten Stocke, mit dem sie durch eine Leiter in Verbindung gewesen zu sein scheinen. Der Zugang zu den obern Gemächern des Thurmes, der in allen aus vier Gestocken besteht, wird durch Treppen bewirkt, welche durch die äußern Mauerbogen aufwärts geführt sind.

Durch diesen schwierigen und verwickelten Eingang gelangte der gute König Richard, in Begleitung seines treuen Ivanhoe, in das runde Gemach, welches den ganzen dritten Stock von dem Grunde einnimmt. Der letztere hatte indessen Zeit sein Gesicht in den Mantel zu hüllen, damit er nicht eher von seinem Vater erkannt werden möchte, als bis der König das Zeichen dazu gegeben haben würde.

In diesem Gemache saßen um einen großen eichenen Tisch ungefähr ein Dutzend der ausgezeichnetsten Repräsentanten der sächsischen Familien aus der Nachbarschaft. Sie waren alle alt oder dem Alter nahe; denn das jüngere Geschlecht hatte, wie Ivanhoe, zum großen Mißvergnügen des ältern, manche von den Schranken niedergerissen, wodurch seit einem halben Jahrhunderte die normännischen Sieger von den besiegten Sachsen geschieden gewesen waren. Die niedergeschlagenen und kummervollen Blicke dieser ehrwürdigen Männer, ihr Schweigen und ihre trauernde Stellung bildeten einen starken Gegensatz zu dem Leichtsinne der Schmausenden in den äußern Theilen des Schlosses. Ihre grauen Haare und langen, starken Bärte nebst ihren alterthümlichen Tuniken und weiten, schwarzen Mänteln stimmten gut zu dem sonderbaren, kunstlosen Gemache, wo sie saßen, und gaben ihnen das Ansehen einer Gesellschaft alter Verehrer des Wodan, in's Leben gerufen, um über den Verfall des Ruhms ihrer Nation zu trauern.

Cedric, obgleich im gleichen Range unter seinen Landsleuten sitzend, schien doch jetzt, durch gemeinsames Einverständniß, als Haupt der Versammlung zu handeln. Bei Richard's Eintritte, den er blos als den tapfern Ritter vom Fesselschlosse kannte, stand er würdevoll auf und bewillkommnete ihn mit dem gewöhnlichen Gruße: » Waes heal,« indem er zugleich einen Becher bis zu seinem Haupte erhob. Der König, nicht unbekannt mit den Sitten seiner englischen Unterthanen, erwiederte den Gruß mit den passenden Worten: » Drinc hael,« und nahm den Becher, welcher ihm von dem Ceremonienmeister überreicht wurde. Dieselbe Höflichkeit wurde auch Ivanhoe bewiesen, der sie nur schweigend seinem Vater zurückgab, damit er nicht durch die Stimme zu früh verrathen werde.

Als diese einleitende Ceremonie vorüber war, stand Cedric auf und führte Richard in eine kleine ganz kunstlose Kapelle, welche in einem der äußern Mauerbogen oder Rondel angebracht war. Da sich in derselben keine andere Oeffnung als ein kleines Luftloch befand, so würde der Ort ohne zwei Fackeln sehr dunkel gewesen sein. Sie beleuchteten mit ihrem düstern, röthlichen Lichte das gewölbte Dach, die leeren Wände, einen rohen Altar von Stein und ein Crucifix von demselben Materiale.

Vor diesem Altare stand eine Bahre, und auf jeder Seite derselben knieten drei Priester, welche ihre Rosenkränze drehten und ihre Gebete hersagten, und zwar mit allen äußern Zeichen der tiefsten Frömmigkeit. Für diesen Dienst hatte die Mutter des Verstorbenen dem Kloster des heiligen Edmund ein ansehnliches Vermächtniß ausgesetzt; und damit jener Dienst treu verrichtet würde, hatten sich die sämmtlichen Klosterbrüder, den lahmen Sakristan ausgenommen, nach Coningsburgh begeben, wo denn, indeß sechs davon immerwährend den geistlichen Dienst an Athelstane's Bahre versahen, die andern ihren Theil an den Erfrischungen und Unterhaltungen, die sie im Kloster darboten, zu nehmen nicht unterließen.

Bei ihrer frommen Weihe war die Sorgfalt der guten Mönche besonders darauf gerichtet, ihre feierlichen Gesänge ja nicht einen Augenblick zu unterbrechen, damit nicht Zernebock, der alte Sachsengott, seine Klauen an den entseelten Athelstane legen möchte. Nicht mindere Sorgfalt bewiesen sie darin, daß sie jeden Laien abhielten, das Grabtuch zu berühren, welches, weil es beim Begräbnisse des heiligen Edmund gebraucht worden war, durch die Berührung profaner Hände entweiht worden sein würde. Wenn diese Aufmerksamkeiten dem Entseelten wirklich von einem Nutzen sein können, so hatte er allerdings einiges Recht, sie von den Mönchen des heiligen Edmund zu erwarten, indem außer ein hundert Goldstücken, die als Seelenlösegeld bezahlt worden, Athelstane's Mutter auch noch die Absicht kund gegeben hatte, der Stiftung mit dem besten Theile der Ländereien des Verstorbenen zu Hülfe zu kommen, um für ihre Seele, so wie für die ihres verstorbenen Gemahls, immerwährende Gebete zu erhalten.

Richard und Wilfred folgten Cedric dem Sachsen in das Todtengemach, und als ihr Führer mit feierlicher Bewegung auf die frühe Bahre Athelstane's hindeutete, folgten sie seinem Beispiele, sich fromm bekreuzend und ein kurzes Gebet verrichtend für die Seele des Verstorbenen.

Nachdem diese Handlungen frommer Liebe vorüber waren, ermahnte sie Cedric abermals, ihm zu folgen, indem er mit unhörbarem Schritte über die steinerne Flur vor ihnen hinschritt. Sie stiegen einige Stufen aufwärts, dann öffnete er ihnen mit großer Vorsicht die Thür zu einem kleinen Oratorium, welches an die Kapelle anstieß. Es war ungefähr acht Fuß im Viereck, und wie jene in die Dicke der Mauer eingearbeitet. Da das Luftloch, wodurch es beleuchtet wurde, nach Westen zu ging und nach Außen sich erweiterte, so fanden die Sonnenstrahlen durch dasselbe den Weg in die innere Finsterniß und enthüllten hier eine weibliche Gestalt, von würdigem Ansehen, in deren ganzem Wesen noch Spuren einer wahrhaft majestätischen Schönheit sichtbar waren. Ihr langes Trauergewand erhob die Weiße ihrer Haut, so wie die Schönheit ihres lichten, lang herabfließenden Haares, welches durch die Zeit weder dünn, noch mit Silber untermischt worden war. Ihr ganzes Aeußere drückte den mit Ergebung nur vereinbaren tiefsten Kummer aus. Auf dem steinernen Tische vor ihr stand ein elfenbeinernes Crucifix, daneben lag ein Meßbuch, auf seinen Blättern reich bemalt und am Einbande mit goldenen Spangen und Beschlägen geziert.

»Edle Editha,« sagte Cedric, nachdem er einen Augenblick schweigend gestanden hatte, gleich als wollte er Richard und Wilfred Zeit lassen, die Frau des Hauses genau zu betrachten, »diese würdigen Fremdlinge kommen, um an Deinem Kummer Theil zu nehmen. Dieses besonders ist der tapfere Ritter, der so muthig für die Befreiung dessen focht, um den wir heute trauern.«

»Seine Tapferkeit verdient meinen Dank,« versetzte die Dame, »obgleich der Himmel wollte, daß sie sich vergebens äußerte. Ich danke ihm und seinem treuen Gefährten überdies für die Artigkeit, daß sie gekommen sind, die Wittwe Atheling's und die Mutter Athelstane's in der Stunde ihres tiefen Schmerzes und Jammers zu besuchen. Ich vertraue sie Eurer Sorge, theurer Verwandter, laßt es ihnen an nichts fehlen, was die Gastfreundschaft in diesen düstern Mauern ihnen gewähren mag.«

Die Gäste verbeugten sich tief gegen die Trauernde, und entfernten sich mit ihrem gastfreundlichen Führer, der sie in verschiedene Gemächer geleitete, wo Athelstane's Leichenfeier unter mancherlei Formen veranstaltet wurde. Er sicherte ihnen jede mögliche Bequemlichkeit zu, und wollte sich eben entfernen, als der schwarze Ritter seine Hand ergriff und zu ihm sagte:

»Edler Than, ich bitte Euch zu erinnern, daß, als wir uns zuletzt trennten, Ihr mir verspracht, für den Dienst, den ich so glücklich war, Euch zu leisten, eine Gefälligkeit zu erweisen.« –

»Sie ist Euch bewilligt, edler Ritter, ehe Ihr sie ausgesprochen,« versetzte Cedric, »doch in diesem traurigen Zeitpunkte« –

»Ich habe dies erwogen,« sagte der König, »doch meine Zeit ist kurz, auch scheint es mir nicht unpassend, daß wir, wenn das Grab des edlen Athelstane geschlossen wird, gewisse Vorurtheile und vorgefaßte Meinungen mit in dasselbe versenken.«

»Herr Ritter vom Fesselschloß,« sagte Cedric, indem er den König unterbrach, »ich dachte, die Gefälligkeit, die Ihr wünscht, beträfe Euch selbst und Niemand anders, denn in das, was die Ehre meines Hauses betrifft, sollte sich doch, denke ich, kein Fremder mischen.«

»Auch will ich das nicht,« sagte der König sanft, »außer in so fern, als Ihr mir es erlauben wollt. Doch da Ihr mich bisher nur als den schwarzen Ritter vom Fesselschloß kennt, so wißt, ich bin Richard Plantagenet.«

»Richard von Anjou!« rief Cedric, voll Erstaunen einen Schritt zurücktretend.

»Nein, edler Cedric – Richard von England! dessen höchstes Interesse, dessen heißester Wunsch es ist, Englands Söhne alle unter sich vereinigt zu sehen. Wie, würdiger Than, willst Du nicht Dein Knie vor Deinem Fürsten beugen?«

»Vor normannischem Blute hat es sich nie gebeugt,« sagte Cedric.

»Nun, so spare Deine Huldigung,« erwiederte der Monarch, »bis ich mein Recht darauf durch Beschützung der Normänner und Engländer bewiesen habe.«

»Prinz,« versetzte Cedric, »ich habe Deiner Tapferkeit und Deinem Werthe stets Gerechtigkeit widerfahren lassen. Auch sind mir Deine Ansprüche auf die Krone durch Deine Abkunft von Mathilden, der Nichte Edgar Atheling's und der Tochter Malcolm's von Schottland, nicht unbekannt. Allein Mathilde, obgleich aus sächsischem Blute, war doch nicht Erbin der Monarchie.«

»Ich will um mein Recht darauf nicht mit Dir streiten, edler Than, sondern Dich blos bitten, um Dich zu schauen, und zu forschen, wo Du einen andern finden magst, um das seinige in die Wage zu legen.«

»Und bist Du blos hierher gekommen, Prinz, mir das zu sagen?« fuhr Cedric fort, »mir den Verfall meines Geschlechts vorzurücken, ehe das Grab sich noch geschlossen hat über den letzten Sprößling des sächsischen Königstammes?« – Seine Mienen verdüsterten sich bei diesen Worten. – »Es war kühn! es war unbedacht!«

»Nein,« versetzte der König, »beim heiligen Kreuze, nein! mich trieb das offene Vertrauen, das ein braver Mann leicht zu dem andern faßt, ohne einen Schatten von Gefahr.«

»Wohl gesprochen, Herr König, denn König bist Du, das gestehe ich, und wirst es sein, trotz meines schwachen Widerstandes. Ich wage es nicht, das einzige Mittel, es zu verhindern, zu ergreifen, ob Du gleich die Versuchung dazu mir nahe gelegt hast.«

»Jetzt zu der Gefälligkeit,« sagte der König, »um die ich Dich mit nicht minderm Vertrauen bitte, ob Du gleich meine rechtmäßige Oberherrschaft anzuerkenen Dich geweigert hast. Ich verlange von Dir, auf Dein Manneswort, und bei Strafe für Niedering (ehrlos, infam) gehalten zu werden, dem guten Ritter Wilfred von Ivanhoe zu verzeihen und ihn in Deine Vaterliebe wieder einzusetzen. An dieser Aussöhnung, wirst Du gestehen, muß mir viel gelegen sein, denn sie gründet die Glückseligkeit meines Freundes, und erstickt die Spaltung unter meinem treuen Volke.«

»Und dies ist Wilfred?« sagte Cedric auf seinen Sohn deutend.

»Mein Vater!« rief Ivanhoe, indem er sich ihm zu Füßen warf, »Eure Vergebung! Eure Vergebung!«

»Gewährt!« sagte Cedric, und hob ihn auf, »Hereward's Sohn weiß sein Wort zu halten, auch wenn er es einem Normann gegeben hat. Aber laß mich Dich nun auch in der Tracht und Kleidung Deiner englischen Vorfahren sehen – keine kurzen Mäntel, keine luftigen Mützen, keinen phantastischen Federputz in meinem einfachen Hause. Der Sohn Cedric's muß sich als einen alten Engländer zeigen. Du willst reden,« setzte er ernst hinzu, »und ich errathe auch was. Lady Rowena muß zwei Trauerjahre halten um den ihr verlobten Gemahl. Alle unsere sächsischen Vorfahren würden uns verkennen, wenn wir auf eine neue Verbindung für sie denken wollten, ehe noch das Grab dessen, dem sie sich vermählen sollte, und der ihrer Hand durch Geburt und Rang so würdig war, geschlossen ist. Athelstane's Geist selbst würde seine blutigen Bande sprengen und vor uns treten, um solche Entweihung seines Andenkens zu verhindern.«

Es schien, als habe Cedric's Wort wirklich einen abgeschiedenen Geist hervorgerufen, denn kaum hatte er es ausgesprochen, als sich die Thüren öffneten, und Athelstane im Todtenkleide vor ihnen stand, bleich, abgefallen und ganz einem aus dem Grabe Erstandenen gleich.

Die Wirkung dieser Erscheinung auf alle Anwesende war außerordentlich. Cedric bebte zurück, so weit es nur die Wand des Zimmers erlaubte, dann lehnte er sich an dieselbe an, wie Jemand, der sich nicht aufrecht halten kann, und starrte die Gestalt seines Freundes an mit Blicken, welche gefesselt zu sein schienen, und einem Munde, den er nicht wieder zu schließen vermochte. Ivanhoe bekreuzte sich, und sprach bald sächsisch, bald lateinisch, bald normännisch französisch allerlei Gebete, wie sie ihm eben in's Gedächtniß kamen, Richard aber ließ bald ein » Benedicite« hören, bald fluchte er: » mort de ma vie!«

Unterdessen hörte man unten an der Treppe ein fürchterliches Getöse. Mehrere Stimmen riefen: »Die verrätherischen Mönche! Fort mit ihnen in's Gefängniß!« Andere riefen: »Stürzt sie von dem obersten Walle herab!«

»Im Namen Gottes!« sagte Cedric, indem er sich an die Erscheinung wandte, die er für den abgeschiedenen Geist seines Freundes hielt, »bist Du sterblich, so sprich! Bist Du ein abgeschiedener Geist, so sage, weshalb kehrst Du zu uns zurück? Oder kann ich etwas thun, um Dich zur Ruhe zu bringen? Lebend oder todt, edler Athelstane, rede, sprich zu Cedric!«

»Das will ich,« versetzte das Gespenst sehr gefaßt, »wenn ich Athem geschöpft habe, und wenn Ihr mir Zeit lasset. Lebend, sagst Du? Ja, ich lebe, so wie Einer leben kann, der sich drei Tage lang von nichts als Wasser und Brod genährt hat – Ja, von Wasser und Brod, Vater Cedric, beim Himmel und allen Heiligen! bessere Nahrung ist mir in drei Tagen nicht über die Lippen gekommen, und nur durch Gottes besondere Fügung bin ich hier, das zu erzählen.«

»Aber edler Athelstane,« sagte der schwarze Ritter, »ich sah es ja selbst, wie Euch der stolze Templer gegen Ende des Sturms auf Torquilstone niederstreckte, und wie ich dachte und Wamba erzählte, war ja Euer Hirnschädel bis auf die Zähne gespalten.«

»Ihr denkt falsch, Herr Ritter,« sagte Athelstane, »und Wamba log. Meine Zähne sind in gutem Stande, und das soll mein Abendessen sogleich empfinden. Keinen Dank deshalb dem Templer, dessen Schwert sich in der Hand drehte, so daß der Streich nur flach fiel; hätte ich mein stählernes Kopfzeug aufgehabt, ich hätte mir nicht das Geringste daraus gemacht, und ihm einen Gegenstreich versetzen wollen, der ihm den Rückzug hätte ersparen sollen. Da mir jenes aber fehlte, stürzte ich freilich zu Boden, jedoch unverwundet. Auf beiden Seiten wurden Andere niedergehauen, und diese stürzten auf mich, so daß ich meine Besinnung nicht eher wieder bekam, als bis ich mich in einem Sarge sah – einem offenen zum Glück – der vor dem Altare in der Kirche des heiligen Edmund stand. Ich nieste, stöhnte, lärmte und würde vielleicht selbst aufgestanden sein, wenn nicht der Sakristan und Abt, voller Schrecken über den Lärm, selbst herbeigekommen wären, keinesweges erfreut, wie es schien, einen Mann noch am Leben zu finden, zu dessen Erben sie sich wahrscheinlich gern selbst machen wollten. Ich bat um Wein; sie gaben mir etwas, allein er mußte ziemlich versetzt sein, denn ich schlief darauf nur noch tiefer als zuvor, und erwachte erst nach einigen Stunden abermals. Jetzt fand ich meine Arme eingewindelt, meine Füße zusammengebunden, und zwar so fest, daß mich die Gelenke bei der bloßen Erinnerung daran noch schmerzen, – der Ort war sehr dunkel, und aus der dumpfen Luft darin schloß ich, daß es das Begräbniß sei. Ich hegte seltsame Gedanken über das, was sich mit mir zugetragen, als die Thüre meines Gefängnisses aufging und zwei schändliche Mönche hereintraten. Sie wollten mich überreden, ich befände mich im Fegefeuer, allein ich kannte die kurzathmige, keuchende Stimme des Vater Abts nur zu gut. Heiliger Jeremias, wie verschieden war jetzt sein Ton von dem, womit er mich sonst um noch ein Stück Braten zu bitten pflegte! Der Hund! er hat oft mit mir von Weihnacht bis zum heiligen Dreikönigstage geschwelgt.«

»Nehmt Euch nur Zeit, edler Athelstane,« sagte der König, »schöpft erst Athem, erzählt Eure Geschichte mit Muße; man hört ihr wahrlich mit eben so viel Lust zu, als einem Romane.«

»Ei, beim Kreuze von Bromeholm, es war nichts Romantisches dabei! Ein Gerstenbrod und ein Krug Wasser – das gaben mir die knickrigen Buben, die mein Vater und ich selbst bereichert hatten, als ihre besten Einkünfte die Speckseiten und Schinken waren, die sie armen Dienstleuten und Leibeigenen abnahmen für ihre Gebete – das Schlangennest, Gerstenbrod und Wasser einem Herrn, wie ich gewesen bin! Ich will sie schon aus ihrem Neste herausbrennen, wenn ich auch excommunicirt werde!«

»Aber im Namen unserer lieben Frau, edler Athelstane,« sagte Cedric, die Hand seines Freundes ergreifend, »wie entkamst Du denn dieser drohenden Gefahr? erweichten sich ihre Herzen?«

»Schmelzen Felsen etwa an der Sonne?« erwiederte Athelstane; »ich würde wohl noch dort sein, wäre nicht im Kloster ein Aufbruch entstanden; das war aber die Wanderung hieher zu meinem Leichenmahle, da sie recht gut wußten, wie und wo ich lebendig begraben sei. Aber das trieb eben den Schwarm aus dem Stocke. Ich hörte sie ihre Todtenlieder brummen, und machte mir wenig daraus, daß sie aus Achtung gegen meine Seele von denen gesungen wurden, welche meinen Leib so aushungerten. Ich wartete lange auf Speise; kein Wunder, da der gierige Sakristan eben mit Versorgung seiner eigenen Person zu beschäftigt war, um an mich zu denken. Endlich erschien er mit wankendem Tritte, einen starken Weingeruch um sich verbreitend. Das gute Mahl hatte sein Herz der Milde geöffnet, denn er brachte mir ein Stück Pastete und eine Flasche Weins. Ich aß, trank, und fühlte mich gestärkt; zu meinem guten Glücke war der gute Sakristan zu benebelt, um sein Amt als Thürschließer gehörig versehen zu können; er schloß daher so zu, daß die Thüre halb offen blieb. Das Licht, die Nahrung, der Wein machten mir Muth. Der Ring, an dem meine Ketten befestigt waren, war verrosteter, als ich und der Abt vermuthet hatten. Das Eisen sogar konnte den verzehrenden Dünsten in diesem höllischen Loche nicht widerstehen!«

»Schöpfe nur Athem, edler Athelstane,« sagte Richard, »und nimm einige Erfrischungen zu Dir, ehe Du weiter gehst in der schauerlichen Geschichte.«

»Recht gern,« versetzte Athelstane, »ein Stück von diesem wohlschmeckenden Schinken verträgt sich recht wohl mit dem Texte – auch ein Becher Wein, edler Herr, kann nicht schaden. Ihr thut mir doch Bescheid?«

Die Gäste, obgleich vor Erstaunen fast außer sich, thaten doch ihrem wiedererstandenen Wirthe gern Bescheid, und dieser fuhr sodann in seiner Erzählung fort. Er hatte freilich jetzt bei weitem mehr Zuhörer als Anfangs, denn Editha, welche einige nothwendige Befehle im Schlosse ertheilt hatte, war dem Erstandenen nach dem Fremdenzimmer gefolgt, begleitet von so viel weiblichen und männlichen Gästen, als sich in dem kleinen Gemache zusammendrängen konnten, indeß andere, auf der Treppe stehend, eine irrige Ausgabe der Erzählung auffassend, diese noch mehr entstellt denen unten mittheilten, welche sie nun wieder den außenbefindlichen auf eine Art überlieferten, die gar keine Aehnlichkeit mehr mit der Wahrheit hatte. Athelstane aber begann mit der Fortsetzung seiner Erzählung folgendermaßen:

»Da ich mich nun von dem Ringe frei sah, schleppte ich mich die Treppe hinauf, so gut es ein mit Fesseln belasteter und vom Fasten ausgemergelter Mensch vermag; und nachdem ich lange um mich herumgefühlt hatte, wurde ich endlich durch den Ton eines lustigen Rundgesanges zu dem Gemache geleitet, wo der würdige Sakristan eine Teufelsmesse hielt, mit einem großen, breitschultrigen Mönche in grauer Kutte, der eher einem Räuber als einem Geistlichen glich. Ich stürzte zu ihnen hinein; und meine Grabeskleidung, so wie der Klang meiner Ketten mochte mich einem Bewohner der andern Welt ähnlicher machen, als dieser. Beide standen da, wie entseelt. Allein als ich den Sakristan mit meiner Faust zu Boden schlug, so versetzte mir sein Trinkgefährte einen Schlag mit einem großen Kampfstocke.«

»Das muß der Bruder Tuck gewesen sein,« sagte Richard, indem er Ivanhoe ansah.

»Mag's der Teufel gewesen sein,« sagte Athelstane, »glücklicherweise verfehlte er sein Ziel, und als ich mich anschickte, handgemein mit ihm zu werden, machte er sich auf die Socken und entfloh. Ich machte mich gleichfalls auf die meinigen, und setzte mich ganz in Freiheit vermittelst des Fesselschlüssels, der unter andern an des Sakristans Gürtel hing; und schon wollte ich dem Schurken mit dem Schlüsselbunde das Gehirn einschlagen, als mir die Pastete und der Wein einfiel, den mir der Kerl in meiner Gefangenschaft hatte zukommen lassen; so ließ ich ihn, mit einem tüchtigen Puffe, auf dem Boden liegen, steckte etwas von dem Gebackenen und eine Flasche Wein, womit sich die beiden ehrwürdigen Brüder eben geletzt hatten, zu mir, ging in den Stall, und fand da meinen eigenen besten Zelter, der, für den Gebrauch des heiligen Vater Abts vermuthlich, allein gebunden stand. Auf ihm eilte ich denn hierher, so schnell das Thier laufen konnte; alle Menschenkinder flohen vor mir, denn sie hielten mich gewiß für ein Gespenst, zumal da ich, um nicht erkannt zu werden, die Leichenkappe mir über's Gesicht gezogen hatte. Ich würde vermuthlich in meinem eigenen Schlosse nicht zugelassen worden sein, hätte man mich nicht als einen Menschen angesehen, der zu dem Gaukler gehöre, welcher im Schloßhofe eben das Volk belustigte, das sich zur Leichenfeier seines Herrn versammelt hatte. Ich entdeckte mich bloß meiner Mutter, und nahm schnell etwas zu mir, ehe ich Euch, mein edler Freund, aufsuchen konnte.«

»Und Ihr habt mich gefunden,« sagte Cedric, »bereit unsere edlen Pläne für Ehre und Freiheit wieder aufzunehmen. Ich sage Dir, es tagt kein Morgen wieder so günstig, als der nächste für die Befreiung des edlen Stammes der Sachsen!«

»Rede mir nicht von Jemandes Befreiung,« sagte Athelstane; »ich bin eher gesonnen den schändlichen Abt zu züchtigen. Er soll hängen auf der obersten Spitze dieses Schlosses von Coningsburgh in seiner Kutte und Stola; und sind die Treppen zu enge für seinen fetten Leichnam, so lasse ich ihn von außen hinaufziehen.«

»Aber, mein Sohn,« sagte Editha, »bedenke doch sein heiliges Amt.«

»Bedenkt doch mein dreitägiges Fasten,« versetzte Athelstane; »sie sollen mir Alle bluten, Front-de-Boeuf wurde wegen weit weniger lebendig verbrannt, denn er hielt für seine Gefangenen einen guten Tisch, nur zu viel Knoblauch war zuletzt in der Suppe. Aber diese undankbaren, heuchlerischen Schurken, so oft selbst eingeladene Schmeichler an meinem Tische, die mir nicht einmal eine Suppe, wenn auch mit Knoblauch geben wollten. – Nein, diese müssen hängen, bei Hengists Seele!«

»Aber der Papst, mein edler Freund,« sagte Cedric.

»Aber der Teufel, mein edler Freund,« versetzte Athelstane, »sie müssen sterben, und nun nichts mehr von ihnen. Wären sie auch die besten Mönche auf Erden, die Welt würde doch auch ohne sie bestehen.«

»Schämt Euch, edler Athelstane,« sagte Cedric, »vergesset solche Elende bei der ehrenvollen Laufbahn, die sich Euch aufschließt. Sage diesem normännischen Fürsten, Richard von Anjou, daß, so löwenherzig er auch ist, er den Thron Alfreds nicht ohne Widerspruch behaupten wird, so lange noch ein Abkömmling des heiligen Bekenners lebe, der ihn ihm streitig machen könne.«

»Wie?« sagte Athelstane, »ist dies der edle König Richard?«

»Es ist Richard Plantagenet selbst,« erwiederte Cedric. »Doch ich brauche Dich nicht zu erinnern, daß, da er als Gast freiwillig hierher gekommen ist, er weder beleidigt noch als Gefangener behandelt werden darf, Du kennst Deine Pflicht gegen ihn als Deinen Gast.«

»Ja, bei meiner Ehre,« sagte Athelstane, »und meine Pflicht als Unterthan obendrein, denn hier biete ich mit Herz und Hand ihm meine Treue!«

»Mein Sohn!« sagte Editha, »bedenke Deine königlichen Rechte!«

»Bedenkt die Freiheit Englands, ausgearteter Fürst!« sagte Cedric.

»Mutter und Freunde,« versetzte Athelstane, »seid ruhig mit Euren Vorwürfen! Brod und Wasser und ein Gefängniß dämpfen die Ehrsucht auf bewundernswürdige Weise; ich komme aus dem Grabe viel klüger, als ich hinabgestiegen bin. Die eine Hälfte dieser elenden Thorheiten wurden mir von dem treulosen Abte Wolfram in's Ohr gesetzt, und Ihr könnt nun urtheilen, was für ein zuverlässiger Rathgeber er ist. Seitdem nun diese Pläne in Bewegung sind, habe ich nichts gehabt, als Unruhe auf Reisen, Unverdaulichkeiten, Schläge und Quetschungen, Gefangenschaft und Hunger, überdies können leicht noch einige tausend ruhiger Menschen dabei umkommen. Ich sage Euch, ich will König sein – aber auf meinen eigenen Gütern, und sonst nirgends; und die erste Ausübung meiner Herrschaft soll sein, daß ich den Abt hängen lasse.«

»Und meine Mündel Rowena?« sagte Cedric, »ich hoffe doch, die werdet Ihr nicht aufgeben wollen?«

»Vater Cedric,« entgegnete Athelstane, »sei vernünftig; Lady Rowena kümmert sich nicht um mich – der kleine Finger an meines Vetters Wilfreds Handschuh ist ihr lieber, als meine ganze Person. Sie mag's selbst sagen, hier steht sie. Nun, brauchst nicht roth zu werden, liebliche Base, es ist nichts Böses, einen feinen Ritter zu lieben und ihn einem rauhen Freisassen vorzuziehen. Lache auch nicht, Rowena, denn Grabeskleider und ein mageres Gesicht sind wahrlich keine Veranlassung zum Lachen – willst Du aber durchaus lachen – so will ich ein besser Spiel dafür ausfindig machen. Gib mir Deine Hand, oder leihe mir sie vielmehr, denn ich bitte nur als Freund darum. Hier, Vetter Wilfred von Ivanhoe, zu Deiner Gunst entsage ich ihr und schwöre sie ab. – Ja, beim heiligen Dunstan, unser Vetter Ivanhoe ist ja verschwunden. Und doch, wenn meine Augen nicht von dem Fasten ganz schwach geworden sind, so habe ich ihn noch eben jetzt hier gesehen.«

Alle sahen sich nach Ivanhoe um, allein er war wirklich verschwunden. Endlich erfuhr man, daß ein Jude nach ihm gefragt habe, und daß er, nach einer kurzen Unterredung mit demselben, Gurth und seine Rüstung verlangt und darauf das Schloß verlassen habe.

»Schöne Base,« sagte Athelstane zu Rowena, »könnte ich glauben, daß dieses plötzliche Verschwinden Ivanhoe's durch andere als die wichtigsten Ursachen veranlaßt worden sei, so dürfte ich wohl mein Wort zurücknehmen.«

Allein er hatte nicht sobald ihre Hand losgelassen, als Rowena, welche sich in großer Verlegenheit befand, die erste Gelegenheit wahrnahm, aus dem Zimmer zu entkommen.

»In der That,« sagte Athelstane, »die Weiber sind doch die unzuverlässigsten unter allen Geschöpfen, Mönche und Aebte ausgenommen. Ich will ein Ungläubiger sein, wenn ich nicht Dank erwartete und vielleicht einen Kuß noch obendrein. Diese verdammten Todtenkleider sind ganz gewiß bezaubert, denn ein Jeder flieht vor mir. Ich wende mich nun an Euch, edler Richard, mit dem Gelübde meiner Treue, die ich als ein Lehnsunterthan« –

König Richard hatte sich unterdessen auch entfernt, und Niemand wußte wohin. Endlich erfuhr man, daß er eiligst nach dem Schloßhofe heruntergegangen sei, den Juden vor sich habe kommen lassen, der mit Ivanhoe gesprochen, und daß er, nach einer kaum augenblicklichen Unterredung mit demselben, heftig sein Roß verlangt und dem Juden befohlen habe, ein anderes zu besteigen, worauf er sich so eiligst fortgemacht, daß man, wie Wamba gesagt, nicht einen Pfennig für des Juden Hals habe geben mögen.

»Nun, so wahr ich lebe,« sagte Athelstane, »Zernebock muß in Person von meinem Schlosse in meiner Abwesenheit Besitz genommen haben. Ich kehre in meinen Todtenkleidern als ein aus dem Grabe Erstandener zurück, und Jeder, mit dem ich spreche, verschwindet, sobald er nur meine Stimme hört. Doch laßt das jetzt, Freunde! Kommt, kommt Alle, die Ihr noch übrig seid, folgt mir zu dem Speisezimmer, damit keiner mehr verschwinde, ich denke, es wird doch erträglich angerichtet sein, wie sich's für einen alt-sächsischen Edelmann geziemt; verweilen wir länger hier, wer weiß, ob nicht der Teufel gar sich mit dem Abendessen davon macht.«



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