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Elftes Kapitel.

Heil allen Herren jung und alt,
Die auch nicht glücklicher leben als wir!
Und gefällt ihnen unser Zeitvertreib hier,
So sind sie willkommen im grünen Wald.

Macdonald.

Die Neuankommenden waren Wilfred von Ivanhoe, auf des Abts von Botolph Klepper, und Gurth, der ihm auf dem Schlachtrosse des Ritters selbst folgte. Ivanhoe's Erstaunen läßt sich nicht beschreiben, als er seinen Herrn mit Blut besprengt sah, und sechs bis sieben Leichname um ihn herliegend auf dem Platze, wo das Gefecht stattgefunden hatte. Nicht weniger wunderte er sich, Richard von den Geächteten umgeben zu sehen, welche für einen Fürsten eine gefährliche Gesellschaft zu sein schienen. Er wußte nicht, ob er den König als den schwarzen irrenden Ritter begrüßen, oder wie er sich sonst gegen ihn benehmen sollte. Richard bemerkte seine Verlegenheit.

»Fürchte nicht, Wilfred,« sagte er zu ihm, »Richard Plantagenet als den, der er ist, anzureden, weil Du ihn in Gesellschaft treuer englischer Herzen findest, ob sie sich gleich vielleicht durch ihr warmes englisches Blut einige Schritte vom rechten Wege haben wegführen lassen.«

»Sir Wilfred von Ivanhoe,« sagte der tapfere Geächtete, indem er vortrat, »meine Versicherungen vermögen die unseres Monarchen nicht zu vermehren. Doch laßt mich stolz hinzufügen, er hat keine treueren Unterthanen, als die, welche jetzt um ihn stehen.«

»Ich kann nicht daran zweifeln, tapferer Mann,« sagte Wilfred, »da Du darunter bist. Aber was bedeuten denn diese Zeichen von Tod und Gefahr? Diese Erschlagenen? Das Blut auf der Rüstung meines Fürsten?«

»Verrath hat uns bedroht, Ivanhoe,« versetzte der König, »doch Dank diesen braven Männern, der Verrath hat seinen Lohn gefunden. Allein wie mir scheint, bist Du ein Verräther,« sagte Richard lächelnd, »ein sehr ungehorsamer Verräther; denn es war ja unser ausdrücklicher Befehl, daß Du in St. Botolph's Abtei ruhig verweilen solltest, bis Deine Wunde ganz geheilt wäre.«

»Sie ist geheilt,« sagte Ivanhoe – »aber warum, edler Fürst, setzt Ihr die Herzen Eurer treuen Diener so in Angst und Sorge und bringt durch beschwerliche Reisen und kühne Abenteuer Euer Leben so in Gefahr, als ob es nicht mehr werth wäre, als das jedes andern irrenden Ritters, der keinen andern Anspruch an die Erde hat, als den er sich durch sein Schwert und seine Lanze erringt?«

»Richard Plantagenet,« sagte der König, »begehrt nicht mehr Ruhm und Ehre, als seine gute Lanze und sein Schwert ihm erwerben mag, Richard Plantagenet ist stolzer auf das Bestehen eines Abenteuers bloß durch sein gutes Schwert und seinen Arm, als wenn er ein Heer von Hunderttausenden zur Schlacht führen könnte.«

»Aber Euer Reich, gnädigster Herr,« sagte Ivanhoe, »ist mit Auflösung und Bürgerkrieg bedroht, Euren Unterthanen stehen Schrecken aller Art bevor, wenn sie ihres Beherrschers in einer jener Gefahren beraubt werden sollten, denen Ihr Euch so gern aussetzet, und aus denen Ihr so eben mit Mühe entkommen seid.«

»Mein Reich und meine Unterthanen?« versetzte Richard hitzig, »ich sage Dir, Wilfred, die besten von ihnen sind bereit, meine Thorheiten durch ähnliche zu versöhnen. So z. B. mein getreuer Diener, Wilfred von Ivanhoe, gehorcht meinen ausdrücklichen Befehlen nicht, und hält doch seinem Könige eine ordentliche Predigt, weil er nicht genau nach seiner Meinung handelt. Wer von uns beiden hat denn am meisten Ursache, den Andern zu schelten? Doch vergebt mir, treuer Wilfred; die Zeit, die ich im Verborgenen zugebracht habe und noch zubringen werde, ist, wie ich schon zu St. Botolph Dir erklärt habe, nothwendig, um meinen Freunden und treuen Edlen Zeit zu lassen, ihre Kräfte zu sammeln, damit, wenn nun Richard's Rückkehr angekündigt wird, er sich an der Spitze einer solchen Macht erblickte, der die Feinde nicht zu begegnen wagen, und so der beabsichtigte Verrath vereitelt werde, ohne daß man ein Schwert zu ziehen braucht. Estoteville und Bohun werden nicht stark genug sein, um binnen vierundzwanzig Stunden nach York vorzurücken. Auch muß ich Nachrichten aus dem Süden von Salisbury, von Beauchamp in Warwickshire und von Multon und Percy im Norden haben. Der Kanzler muß sich London's versichern. Ein zu schnelles Hervortreten würde mich Gefahren aussetzen, woraus mich meine Lanze und mein Schwert, wenn auch von des kühnen Robin Bogen, oder dem Kampfstock des Bruder Tuck, oder dem Horne des klugen Wamba unterstützt, schwerlich würde zu retten vermögen.«

Wilfred verbeugte sich unterwürfig, wohl wissend, wie vergeblich es sei, den wilden, ritterlichen Geist zu bekämpfen, der seinen Herrn so oft in Gefahren trieb, die er leicht hätte vermeiden können, oder deren Aufsuchung vielmehr bei ihm unverzeihlich war.

Wilfred seufzte und schwieg, indeß Richard sich freute, daß er den Rathgeber zum Schweigen gebracht habe, ob er gleich im Herzen die Wahrheit seiner Beschuldigungen eingestehen mußte. Zu Robin Hood sich wendend, sagte er darauf: »König der Geächteten, habt Ihr denn Eurem Bruder König keine Erfrischung anzubieten? Denn die todten Kerle da haben mir Appetit gemacht.«

»Ich wage es nicht,« versetzte der Geächtete, »Eurer Majestät von dem Vorrathe, der sich noch bei uns befindet« – Hier stockte er verlegen.

»Wildpret, denk ich doch?« sagte Richard heiter, »bessere Kost kann der Hunger nicht wünschen, und wenn ein König nicht zu Hause bleiben und sein Wild selbst schießen will, so darf er auch nicht zu laut darüber werden, wenn er es von Andern erlegt findet.«

»Wenn denn also Eure Majestät,« sagte Robin, »abermals einen von Robin Hood's Sammelplätzen mit Eurer Gegenwart beehren will, so soll's an Wildpret nicht fehlen, auch ein Trunk Bier, oder ein Becher erträglichen Weins soll zu Befehl sein.«

Der Geächtete zeigte sogleich den Weg; ihm folgte der lustige Monarch, glücklicher wahrscheinlich bei diesem zufälligen Zusammentreffen mit Robin Hood und seinen Waldgesellen, als wenn er sich im königlichen Staate, als der Erste im Kreise seiner Pairs und Edlen, befunden hätte. Neuheit der Gesellschaft und Abenteuerlichkeit waren die Würze des Lebens für den löwenherzigen Richard, und zwar um so mehr, je mehr dabei Gefahren zu bestehen und zu überwinden waren. Der glänzende, aber nutzlose Charakter eines romantischen Ritters war in Richard ganz verwirklicht, und seiner aufgeregten Einbildungskraft galt der persönliche Ruhm, den er sich durch eigene Waffenthaten erworben hatte, weit mehr als der, den eine stete Klugheit und Weisheit um seine Regierung auch dem Laufe eines schnellen und glänzenden Meteors, welches am Himmel hinzieht, und nachdem es ein unnöthiges und furchtbares Licht um sich gestrahlt hat, von der allgemeinen Dunkelheit verschlungen wird. Seine ritterlichen Thaten gaben zwar den Barden und Minstrels hinreichenden Stoff, allein sie gewährten keinen jener bleibenden Vortheile für sein Land, bei denen die Geschichte gern verweilt und die sie der Nachwelt zum Muster aufstellt. In seiner gegenwärtigen Gesellschaft aber erschien Richard zu seinem höchsten Vortheile. Er war heiter, lustig, und liebte die Männlichkeit in jedem Verhältnisse des Lebens.

Unter einem alten großen Eichbaume wurde das ländliche Mahl eiligst für den König von England zubereitet, der sich hier von Menschen umgeben sah, welche, noch vor Kurzem von seiner Regierung geächtet, jetzt seinen Hof und seine Wache bildeten. Als die Flasche umherging, verloren die rauhen Waldbewohner allmählig die Scheu vor seiner majestätischen Gegenwart. Man sang und scherzte, frühere Thaten wurden umständlich erzählt, und indeß man so sich der glücklichen Uebertretung der Gesetze rühmte, dachte man nicht daran, daß es in Gegenwart des rechtmäßigen Beschützers derselben geschehe. Der lustige König, seiner Würde gänzlich vergessend, lachte und scherzte mit der fröhlichen Gesellschaft aus Herzensgrunde. Robin Hood's natürlicher, wenn auch ungebildeter Verstand ließ ihn wünschen, daß sich diese Scene endigen möchte, ehe irgend etwas die Fröhlichkeit und Harmonie trübte, zumal da er bemerkte, daß Ivanhoe's Stirn ängstliche Falten zeigte. »Wir fühlen uns zwar,« sagte er zu diesem abseits, »durch unseres Monarchen Gegenwart außerordentlich geehrt, indessen wünschte ich doch, daß er die Zeit, welche ihm die Verhältnisse seines Reiches so kostbar machen, nicht hier so unnütz verschwendete.«

»Weise und wohl gesprochen, tapferer Robin Hood,« sagte der Ritter, »übrigens weißt Du, daß die, welche mit der Majestät spielen, auch wenn diese in der heitersten Stimmung ist, doch nur mit der Mähne des Löwen scherzen, der bei der leisesten Anreizung leicht die Klauen zeigt.«

»Das ist eben die Ursache meiner Furcht,« sagte der Geächtete, »meine Leute sind roh, von Natur und durch ihr Gewerbe, der König ist eben so jähzornig, als gutmüthig; wer weiß, wie bald sich eine Veranlassung zu Beleidigungen zeigen kann, und wie dann diese aufgenommen werden mag – es scheint mir Zeit, dies Gelag zu unterbrechen.«

»Leitet Ihr es ein, tapferer Yeoman,« sagte Ivanhoe, »denn jeder Wink, den ich gegeben habe, scheint blos die Verlängerung desselben zu bewirken.«

»Da muß ich schon die Gunst und Gnade meines Herrn auf's Spiel setzen,« entgegnete Robin, indem er sich einen Augenblick besann, »aber beim heiligen Christoph, es muß geschehen. Ich verdiente wahrlich seine Gnade nicht, wenn ich sie nicht zu seinem Besten wagen wollte. – Höre, Scathlock, geh hinter das Dickicht und blase auf Deinem Horn eine normännische Weise, aber sogleich, bei Gefahr Deines Lebens.«

Scathlock gehorchte seinem Hauptmann auf der Stelle, und in weniger als fünf Minuten waren die Schmausenden durch den Ton des Hornes auf die Beine gebracht.

»Das ist Malvoisin's Horn,« sagte der Müller, indem er aufsprang und seinen Bogen ergriff. Der Mönch ließ die Flasche fallen, und griff nach seinem Kampfstocke. Wamba blieb ein Spaß im Munde stecken, und er faßte schnell sein Schwert und seinen Schild. Alle Andern griffen gleichfalls zu ihren Waffen.

Menschen, deren ganzes Leben so vom Zufall abhängig ist, eilen schnell bereit von dem Schmause zur Schlacht, und Richard fand in dieser Veränderung selbst ein Vergnügen. Er ließ sich den Helm reichen und die schwersten Theile der Rüstung, welche er abgelegt hatte, und indeß Gurth beschäftigt war, sie ihm anzulegen, gab er Wilfred die gemessensten Befehle, sich bei Vermeidung seiner höchsten Ungnade nicht in den Kampf zu mischen, den er vorauszusehen meinte. »Du hast hundertmal für mich gefochten, Wilfred, und ich habe zugesehen. Heute sollst Du zusehen, wie Richard für seinen Freund und Lehnsmann fechten wird.«

Unterdessen hatte Robin Hood mehrere seiner Leute in verschiedenen Richtungen ausgesandt, gleichsam, um den Feind zu beobachten; aber als er bemerkte, daß die Gesellschaft wirklich aufgebrochen war, trat er zu Richard, den er vollständig gewappnet fand, beugte das Knie vor ihm, und bat um Verzeihung.

»Wofür denn, guter Yeoman?« versetzte Richard, »haben wir Dir nicht schon vollkommene Verzeihung aller Uebertretungen bewilligt? Denkst Du denn, unser Wort sei eine Feder, welche zwischen uns vor- und rückwärts geweht werden kann? Du kannst ja seitdem gar nicht Zeit gehabt haben, ein neues Unrecht zu begehen.«

»Doch, doch,« versetzte der Yeoman, »wenn es eins ist, meinen Fürsten zu seinem Besten getäuscht zu haben. Das Horn, das Ihr gehört habt, war nicht Malvoisin's, sondern ich selbst ließ es blasen, um den Schmaus zu beendigen, damit dabei nicht Stunden verloren gehen sollten, welche nöthiger verwandt werden können.«

Dann stand er auf, faltete die Arme über die Brust, und erwartete in einer mehr achtungsvollen als unterwürfigen Stellung die Antwort des Königs, wie Jemand, sich der zwar einer Beleidigung, doch auch des löblichen Grundes davon bewußt ist. Ein leichter Ausdruck von Zorn flog über Richard's Gesicht, allein sein Gerechtigkeitsgefühl unterdrückte ihn sogleich.

»Der König von Sherwood,« sagte er, »gönnt sein Wildpret und seine Weinflasche dem Könige von England wohl nicht? Es ist schon recht, guter Robin; aber wenn Du mich einmal in dem lustigen London besuchst, so wirst Du gewiß an mir keinen so knickerigen Wirth finden. Doch – Du hast Recht. Zu Pferde also und fort. Wilfred ist ganz ungeduldig gewesen diese Stunde über. Sage mir, kühner Robin, hast Du keinen Freund in Deinem Trupp, der, nicht zufrieden Dir zu rathen, auch Deine Bewegungen meistern will, und ganz betrübt aussieht, wenn Du Dir herausnimmst, für Dich selbst zu handeln?«

»Ein solcher,« sagte Robin, »ist mein Lieutenant Little John, der sich eben jetzt auf einer Expedition an den Küsten von Schottland befindet. Ich gestehe Eurer Majestät, daß mir die Freiheit seiner Rathschläge bisweilen mißfällt, allein wenn ich bedenke, daß er zu seiner Aengstlichkeit doch keinen andern Grund haben kann, als seines Herrn Dienst, so kann ich nicht lange böse sein.«

»Du hast Recht, guter Yeoman,« entgegnete Richard, »und wenn ich Ivanhoe auf einer Seite stehen habe mit seinem ernsten Rathe, diesen noch mehr empfehlend durch die finster gerunzelte Stirn, und Dich auf der andern, der mich zu meinem Besten, wie er sagt, täuscht, so habe ich meinen freien Willen eben so wenig, als ein andrer christlicher oder heidnischer König. Aber kommt, Ihr Herren, kommt nach Coningsburgh; denken wir nicht mehr an das Andere.«

Robin Hood versicherte, er habe bereits eine Abtheilung seiner Leute in der Richtung des Wegs, den sie nehmen müßten, vorausgesandt, und diese würden sicherlich jeden geheimen Hinterhalt auszuspähen wissen; er glaube, sie würden die Wege sicher finden, wo nicht, so erhielten sie zuversichtlich bei Zeiten Kunde davon, um den Trupp von Bogenschützen an sich ziehen zu können, mit dem er selbst auf demselben Wege folgen wolle.

Die weisen und aufmerksamen Vorsichtsmaßregeln, welche zu seiner Sicherheit getroffen waren, rührten Richard's Herz, und entfernten vollends jeden leichten Groll, der wegen der Täuschung, die sich der Anführer der Geächteten gegen ihn erlaubt hatte, in ihm noch zurückgeblieben sein konnte. Er reichte Robin Hood mehr als einmal die Hand, versicherte ihn seiner vollen Verzeihung und seiner künftigen Gunst, sowie er die feste Entschließung aussprach, die tyrannische Ausübung der Forstrechte und anderer drückender Gesetze, wodurch so mancher englische Landmann zum Aufstande gebracht wurde, beschränken zu wollen. Allein Richard's gute Absichten gegen den kühnen Geächteten wurden durch des Königs frühzeitigen Tod vereitelt, und der Forstbrief wurde den widerstrebenden Händen des Königs Johann entrissen, als er seinem heldenmüthigen Bruder in der Regierung folgte.

Die Meinung des Geächteten bewährte sich und der König kam, in Begleitung von Ivanhoe, Gurth und Wamba, ohne alle Störung vor dem Schlosse Coningsburgh an, als noch die Sonne am Horizonte stand.

Es gibt wenig schönere und ergreifendere Landschaften in England, als dieses alte sächsische Schloß nebst seiner Umgebung. Der sanfte und anmuthige Fluß Don fließt durch ein Amphitheater, wo sich angebauter Boden mit Waldung vereinigt, und auf einem von dem Flusse aufsteigenden, durch Wälle und Gräben wohlvertheidigten Berge erhebt sich dieses alte Gebäude, das, wie schon der sächsische Name vermuthen läßt, vor den Zeiten der Eroberung ein königliches Residenzschloß der englischen Beherrscher war. Die äußeren Mauern sind wahrscheinlich von den Normännern ausgeführt worden, allein das ganze Innere trägt offenbare Spuren des höchsten Alterthums. Der innere Hof liegt auf einer Höhe, und bildet einen vollkommenen Zirkel von ungefähr fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser. Die Mauer ist von außerordentlicher Dicke, und wird durch sechs ungeheure Strebepfeiler äußerlich unterstützt, welche von dem Zirkel heraustreten und gegen die Seiten des Thurmes aufstreben, gleich als sollten sie ihm größere Festigkeit geben. Diese Strebepfeiler sind nach oben zu ausgehöhlt, und enden sich in einer Art von Thürmchen, die mit dem Innern des Hauptgebäudes selbst in Verbindung stehen. Der Anblick dieses ungeheuren Gebäudes, nebst seinen seltsamen Nebengebäuden, ist für den Liebhaber des Malerischen eben so interessant, als es das Innere des Schlosses für den Alterthumsforscher ist, dessen Phantasie bis zu den Zeiten der Heptarchie zurückgeführt wird. Ein Schuppen in der Nähe des Schlosses wird für das Grab des berühmten Hengist ausgegeben; auch zeigt man auf dem benachbarten Kirchhofe verschiedene Denkmale von hohem Alterthum und großer Seltenheit.

Als Richard Löwenherz und sein Gefolge sich diesem rauhen aber stattlichen Gebäude näherte, war es noch nicht, wie jetzt, mit äußern Festungswerken umgeben. Der sächsische Baumeister hatte seine Kunst darin erschöpft, das Hauptgebäude vertheidigungsfähig zu machen; es gab daher keine weitere Circumvallation, als eine rohe Barriere von Pallisaden.

Eine ungeheure schwarze Fahne, welche von dem Gipfel des Thurmes wehte, kündigte an, daß man eben mit der Feier der Bestattung des letzten Eigenthümers beschäftigt sei; sie trug jedoch kein Zeichen von des Verstorbenen Rang und Herkunft, denn das Wappenwesen war damals unter dem normännischen Adel selbst etwas Neues, und den Sachsen völlig unbekannt. Allein über dem Thore sah man noch eine andere Fahne, mit der rohen Figur eines weißen Pferdes, welches, als das bekannte Symbol von Hengist und seinen Kriegern, die Nation und den Rang des Verstorbenen andeutete.

Um das Schloß herum war Alles in geschäftiger, lebhafter Bewegung; denn solche Leichenbankette waren ein Zeitpunkt allgemeiner und verschwenderischer Gastfreundschaft, an der nicht nur jeder, der mit dem Verstorbenen, wenn auch in der entferntesten Verbindung gestanden hatte, sondern jeder Fremde überhaupt Antheil nehmen durfte. Der Reichthum und die Bedeutsamkeit des verstorbenen Athelstane machte, daß diese Sitte in der vollesten Ausdehnung Anwendung fand.

Man sah daher sehr zahlreiche Menschenhaufen den Hügel, worauf das Schloß lag, auf- und absteigen, und als der König nebst seinem Gefolge durch das offene und unbewachte Thor der äußern Barriere eintrat, zeigte der Raum innerhalb eine Scene, die sich nicht leicht mit der Veranlassung dieser Versammlung zusammenreimen ließ. Hier waren Köche beschäftigt, ungeheure Ochsen und fette Schöpse zu braten, dort zapfte man große Fässer mit Bier an, um den Durst der Ankommenden zu stillen. Man sah Gruppen aller Art und Gestalt, welche Speisen verschlangen, oder die ihnen preisgegebenen Getränke begierig einsogen. Der halb nackte sächsische Sklav stillte den Drang seines halbjährigen Hungers und Durstes durch die Schwelgerei eines Tages, der feinere Bürgersmann aß sein Stück Fleisch mit mehr Wohlgeschmack oder kritisirte bei dem Trunke den Brauer oder die Güte des Malzes. Einige wenige von dem armen normännischen Adel, die sich durch den geschornen Bart und die kurzen Mäntel auszeichneten, so wie dadurch, daß sie sich stets zusammenhielten und mit großer Verachtung auf die ganze Festlichkeit hinblickten, thaten sich doch gütlich bei der guten Kost, welche ihnen hier so freigebig gespendet wurde.

Auch an Bettlern fehlte es nicht, und an Kriegern, die, wenigstens ihrer eigenen Aussage nach, aus Palästina zurückkehrten. Krämer legten ihre Waaren aus, reisende Mechaniker suchten Arbeit, wandernde Pilger, reisende Priester, sächsische Minstrels und walisische Barden murmelten Gebete, und lockten allerlei Töne aus ihren mannigfachen Instrumenten. An Gauklern und Narren war auch kein Mangel, denn die Veranlassung der Versammlung wurde zu dergleichen Dingen gar nicht unpassend gehalten. Die Begriffe der Sachsen waren bei solchen Gelegenheiten eben so natürlich, als ungebildet. War der Kummer durstig, so trank er, war er hungrig, so aß er, und wurde das Herz von Gram und Schmerz niedergedrückt, so gab es hier Mittel der Erheiterung, oder wenigstens der Zerstreuung. Man machte sich durchaus kein Gewissen daraus, sich der dargebotenen Trostmittel zu bedienen, wenn gleich plötzlich hier und da Jemand, der Ursache des Beisammenseins sich erinnernd, mit Andern in lautes Weinen ausbrach, worein dann die Weiber mit hellen Stimmen einfielen.

Dies war die Scene in dem Schloßhofe zu Coningsburgh, als Richard in Begleitung seiner Gefährten eintrat. Der Seneschall oder Steward, der von den Gruppen der Gäste niedern Ranges, welche immerfort ab- und zuströmten, keine Notiz nahm, außer in sofern es zur Erhaltung der Ordnung nöthig war, wurde doch durch den edlen Anstand Richard's und Ivanhoe's aufmerksam gemacht, zumal da ihm die Züge des Letztern bekannt zu sein schienen. Ueberdies war die Ankunft zweier Ritter – denn für das mußte man sie nach ihrem Anzuge halten – bei einer sächsischen Feierlichkeit etwas Seltenes, und konnte nur als eine dem Verstorbenen und dessen Familie bewiesene Ehre betrachtet werden. In der schwarzen Tracht und mit dem weißen Stabe seines Amtes machte der Steward den Fremden daher sogleich Platz unter dem vermischten Haufen der Gäste und führte sie zu dem Eingange des Thurmes. Gurth und Wamba fanden manche Bekannte auf dem Schloßhofe und drängten sich nicht weiter vor, erwartend, bis man ihre Gegenwart verlangen werde.



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