Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

Noch einmal in die Bresche, theuren Freunde,
Sonst mit englischen Todten schließt die Mauer.
Und Ihr, mein guter Landmann, der in England
Geboren ward, zeigt, daß Ihr würdig seid
Des Vaterlands, das Euch erzogen hat.

Heinrich der Fünfte.

Wenn gleich Cedric kein großes Vertrauen in Ulrica's Worte setzte, so unterließ er doch nicht, den schwarzen Ritter und Locksley mit ihrem Versprechen bekannt zu machen. Es war ihnen lieb, Jemand im Schlosse sich geneigt zu wissen, der im Nothfall im Stande sei, ihnen das Eindringen zu erleichtern, und bald kamen sie mit dem Sachsen dahin überein, daß man auf jeden Fall einen Sturm versuchen müsse, als das einzige Mittel, die Gefangenen zu befreien, die der grausame Front-de-Boeuf in seiner Gewalt hatte.

Jeder führte seine Gründe dafür an, und der schwarze Ritter that endlich den Vorschlag, die Anführung dabei dem edlen Cedric zu übertragen.

»Nein,« versetzte dieser, »ich bin nicht zum Anführer geboren und erzogen; aber fechten will ich unter den Ersten. Alle meine Nachbaren wissen, daß ich nicht im Kriegsdienst oder im Angriff von festen Burgen geübt bin.«

»Da es denn so mit dem edlen Cedric steht,« sagte Locksley, »so bin ich bereit, die Anführung der Bogenschützen zu übernehmen, und man soll mich an meinem eigenen Gerichtsbaum aufknüpfen, wenn ich es dulde, daß sich die Vertheidiger auf den Mauern zeigen, ohne daß sie von unsern Pfeilen gespickt werden, wie die Braten um Weihnachten.«

»Wohl gesprochen, braver Landmann,« sagte der schwarze Ritter, »und ich, wenn ich bei dieser Gelegenheit eine Rolle übernehmen soll, so bin ich bereit, wenn ich unter diesen tapfern Männer einige finde, welche freiwillig einem treuen Ritter – denn so wage ich mich selbst zu nennen – folgen wollen, sie mit so viel Geschicklichkeit, als ich durch Uebung erworben habe, zum Angriff auf diese Mauern zu führen.«

Nachdem so die Rollen unter den Anführern vertheilt worden waren, begann der erste Sturm, wovon die Leser bereits den Ausgang vernommen haben.

Als der Wachtthurm genommen war, schickte der schwarze Ritter Locksley die Nachricht zu, und bat ihn zugleich, er möge nun das Schloß so genau beobachten, daß die Belagerten nicht im Stande sein möchten, ihre Streitkräfte zu einem plötzlichen Ausfalle zu vereinigen, und das Außenwerk wieder zu nehmen. Dies wollte der Ritter besonders deßhalb vermeiden, weil er wußte, daß die Mannschaft, die er führte, nicht gehörig bewaffnet und disciplinirt war, und daher bei einem plötzlichen Angriffe von geübten Soldaten sehr im Nachtheil sein mußte.

Der Ritter benutzte die Zwischenzeit dazu, daß er eine schwimmende Brücke oder lange Fähre bauen ließ, wodurch er des Widerstandes von dem Feinde ungeachtet über den Graben setzen konnte. Dies währte freilich einige Zeit, indeß bedauerten die Anführer dies um so weniger, da Ulrica dadurch Zeit gewann, ihren Plan, welcher er auch sein mochte, zu ihrem Vortheil in Ausführung zu bringen.

Als aber die Brücke fertig war, sagte der schwarze Ritter: »Nun nicht länger gewartet! Schon neigt sich die Sonne dem Untergange zu, und ich finde es durchaus nicht rathsam, noch einen andern Tag abzuwarten. Außerdem wäre es ein Wunder, wenn die Reiter von York nicht über uns herfallen, wenn wir unser Vorhaben nicht schleunig ausführen.«

Er ließ nun Locksley ersuchen, auf der entgegengesetzten Seite mit den Bogenschützen einen Angriff zu machen, indeß er mit den Seinigen über das Floß auf den Haupteingang losstürmen wollte. Diejenigen, welche sich nicht hier mit ihm zu kämpfen getrauten, sollten in dem Außenwerke bleiben, und jeden, der sich auf den Mauern zur Vertheidigung zeigen würde, niederschießen. Cedric fragte er, ob er nicht die Anführung von dieser Mannschaft wenigstens übernehmen wolle; doch Jener lehnte auch dieses ab, schwur aber dem schwarzen Ritter, ihm überall hin muthig zu folgen. »Dein Kampf ist der meine,« sagte er, »und es geziemt mir wohl, stets im Vordertreffen zu stehen.«

»Aber, edler Sachse,« entgegnete der Ritter, »bedenke, Du hast weder Panzer noch Kopfstück, nur einen leichten Helm, Schild und Schwert.«

»Desto besser,« erwiederte Cedric, »um so leichter klimme ich die Mauern hinan. Ihr sollt heute sehen – verzeiht mir die Prahlerei – wie die nackte Brust eines Sachsen ebenso kühn den Gefahren der Schlacht Trotz bietet, als der Stahlpanzer eines Normanns!«

»In Gottes Namen denn,« sagte der Ritter, »öffnet das Thor und laßt die schwimmende Brücke hinunter!«

Sogleich wurde die Pforte geöffnet, die von dem Außenwerke zum Graben führte, und dem Ausfallsthore in der Hauptmauer des Schlosses gegenüber stand, und in demselben Augenblick auch das Floß in den Graben gelassen, worauf dann sogleich der schwarze Ritter und Cedric sich warfen und glücklich die andere Seite erreichten. Der Erstere fing nun sogleich an mit der Streitaxt auf das Thor loszuschlagen. Er und Cedric fanden einigen Schutz an den Ueberresten der ersten Zugbrücke, welche die Belagerten beim Rückzuge aus dem Außenwerke zerstört hatten; doch die, welche ihnen folgten, standen unbeschützt, und so wurden zwei davon sogleich mit Bolzen erschossen, und zwei Andere stürzten in den Graben, die Uebrigen zogen sich in den Thurm des Außenwerks zurück.

Indeß war die Stellung des Ritters und Cedric's doch sehr gefährlich, und würde es noch mehr gewesen sein, wenn nicht die Schützen in dem Außenwerke immerfort auf die Vertheidiger der Schloßmauern geschossen, und so ihre Aufmerksamkeit von den beiden Stürmenden abgezogen hätten.

»Schämt Euch!« rief de Bracy endlich den Soldaten um ihn her zu, »wollt Ihr Bogenschützen sein, und laßt doch die beiden Hunde ihre Stellung unter den Mauern des Schlosses behaupten? Brecht Steine aus der Mauer! Hier, hier!« – auf einen Vorsprung deutend – »laßt uns den losbrechen und auf die Unbesonnenen herabstürzen!«

In diesem Augenblick aber erblickten die Belagerer die rothe Fahne auf der Ecke des Thurmes, die Ulrica dem Cedric angedeutet hatte. Locksley war der Erste, der sie bemerkte, indem er zu dem Außenwerk eilte, um den Fortgang des Sturmes zu beobachten.

Sogleich rief er den andern Yeomen zu, auf das Schloß loszustürzen, und den schwarzen Ritter und Cedric nicht in der Gefahr allein zu lassen. Dabei spannte er seinen gewaltigen Bogen und bohrte einem der Bewaffneten, welche unter de Bracy's Anleitung ein Stück von der Mauer losbrechen wollten, einen Pfeil durch die Brust. Ein anderer Soldat, der dem Gefallenen das Brecheisen aus der Hand nehmen wollte, womit das Mauerwerk abgebrochen werden sollte, erhielt einen Pfeil durch die Sturmhaube und stürzte todt in den Schloßgraben. Die andern Soldaten staunten und stutzten, denn keine Rüstung schien diesem furchtbaren Schützen widerstehen zu können.

»Mir das Eisen, ihr feigen Buben!« rief de Bracy. Und nun versuchte er den schon wankenden Block hinabzustürzen. Wäre es ihm gelungen, so würde er sowohl den Ueberrest der Zugbrücke, als auch das Floß zerstört haben. Alle bemerkten die Gefahr, und selbst der herzhafte Eremit wollte den Fuß nicht auf dasselbe setzen. Drei Pfeile schoß Locksley auf de Bracy ab, und alle drei prallten unwirksam von seiner Rüstung ab.

»Verfluchter spanischer Panzer!« rief Locksley, »hätte ihn ein englischer Waffenschmied gemacht, diese Pfeile müßten ihn durchbohrt haben, als wäre er von Seide oder Leinwand gewesen.«

Dann rief er Cedric zu, er möge zurückgehen, um der fallenden Masse auszuweichen. Doch Cedric konnte die Warnungsstimme vor dem furchtbaren Getöse nicht vernehmen, welches der schwarze Ritter durch seine Schläge an die Thür verursachte. Der treue Gurth sprang indeß vorwärts, um Cedric entweder zu retten, oder sein Schicksal zu theilen. Allein seine Rettung würde doch zu spät gekommen sein, denn schon wankte das furchtbare Mauerstück auf seinem Grunde, wenn nicht des Templers Stimme plötzlich de Bracy ins Ohr getönt hätte.

»Alles ist verloren!« rief dieser, »das Schloß brennt!«

»Bist Du toll?« versetzte der Ritter.

»Alles steht in Flammen auf der westlichen Seite, umsonst habe ich jedes Mittel zum Löschen versucht.«

Mit düsterer Kälte, welche den Grundzug seines Charakters ausmachte, theilte Brian de Bois-Guilbert diese schreckliche Nachricht mit, die von seinem erstaunten Gefährten nicht so ruhig angehört wurde.

»Heilige des Paradieses,« rief de Bracy, »was ist zu thun? Ich weihe dem heiligen Nicolas von Limoges einen Leuchter vom reinsten Golde.« –

»Spare Deine Gelübde und höre mich an,« sprach der Templer. »Führe Deine Leute herab, als wolltest Du einen Ausfall machen. Oeffne die geheime Pforte; es stehen nur zwei Mann auf dem Floß, wirf diese in den Graben und dringe dann nach dem Außenwerk vor. Ich will durch das Hauptthor hervorbrechen und das Werk von der Außenseite angreifen! Wenn wir diesen Posten wieder erobern können, so sei versichert, wir halten uns dort, bis wir Hülfe bekommen, oder wir erhalten von ihnen gute Bedingungen.«

»Gut!« sagte de Bracy, »ich spiele meine Rolle, aber Du mußt mich nicht verlassen, Templer!«

»Hand und Handschuh! ich werde es nicht,« versetzte de Bois-Guilbert, aber eile, eile um des Himmels Willen!«

De Bracy zog schnell seine Leute zusammen, und stürzte herab nach dem Pförtchen, das er sogleich öffnen ließ. Allein kaum war dies geschehen, so bahnte sich auch die ungeheure Stärke des Ritters einen Weg in das Innere, trotz allem Widerstande von Seiten de Bracy's und seiner Begleiter.

Letzterer stellte sich, da den Andern der Muth entsank, selbst dem schwarzen Ritter entgegen, und die gewölbte Halle, worin sie nun Mann gegen Mann fochten, ertönte von den gewichtigen Streichen des Schwertes, welches de Bracy, und der Streitaxt, welche der schwarze führte. Endlich empfing der Normann einen Hieb, den er zwar zum Theil mit dem Schilde auffing, der aber doch noch mit solcher Kraft den Helm traf, daß er der Länge nach zu Boden stürzte.

»Ergib Dich, de Bracy!« rief der schwarze Ritter, indem er sich über ihn beugte, und ihm den Dolch vor das Visir hielt, (womit die Ritter ihre Feinde vollends zu tödten pflegten, und den man daher den Gnadendolch nannte) »ergib Dich, Moritz de Bracy, auf Gnade oder Ungnade, oder Du bist ein Mann des Todes.«

»Ich ergebe mich keinem unbekannten Sieger,« sagte de Bracy mit matter Stimme, »nenne mir Deinen Namen, oder tödte mich! Man soll nicht sagen, daß sich de Bracy einem namenlosen Wichte ergab.«

Der schwarze Ritter flüsterte dem Besiegten etwas in's Ohr.

»Ich bin Dein Gefangener auf Gnade oder Ungnade,« sagte der Normann, indem er den Ton entschlossener Hartnäckigkeit in den der tiefsten Unterwürfigkeit verwandelte.

»Geh' in das Außenwerk,« sagte der Sieger in gebieterischem Tone, »und erwarte dort meine Befehle.«

»Aber erst laß mich Dir sagen, was Dir wichtig ist zu wissen,« sagte de Bracy. »Wilfred von Ivanhoe liegt verwundet und gefangen im Schlosse, und muß ohne schleunige Hülfe in den Flammen umkommen.«

»Wilfred von Ivanhoe!« rief der schwarze Ritter, »jedes Mannes Leben im Schlosse soll mir für das seinige haften, wenn ihm ein Haar versengt wird! Zeige mir sein Gemach!«

»Steigt jene Wendeltreppe hinauf, sie führt zu dem Zimmer! Willst Du mich nicht zum Führer nehmen?«

»Nein, in's Außenwerk, und erwarte dort meine Befehle. Ich traue Dir nicht, de Bracy.«

Während des Kampfes und des kurzen Gesprächs, welches darauf folgte, drang Cedric an der Spitze eines Haufens, unter dem sich der Mönch auszeichnete, über die Brücke nach dem geöffneten Pförtchen, und trieb die entmuthigten Begleiter de Bracy's zurück, von denen manche um Gnade baten, manche einen vergeblichen Widerstand versuchten, und der größte Theil nach dem Schloßhofe floh. De Bracy erhob sich vom Boden, und indem er einen schmerzlichen Blick auf den Sieger richtete, sagte er: »Er traut mir nicht! Habe ich denn aber auch etwas Besseres verdient?« Dann nahm er sein Schwert von der Erde und den Helm ab, zum Zeichen der Unterwerfung, und begab sich in das Außenwerk, wo er das Schwert dem Locksley übergab, dem er zufällig begegnete.

Als das Feuer um sich griff, wurden die Spuren desselben auch bald in dem Gemach sichtbar, wo Ivanhoe von der Jüdin bewacht und gepflegt wurde. Er war durch den Lärm der Schlacht aus seinem kurzen Schlummer erweckt worden, und seine Wärterin, die sich auf sein dringendes Begehren wieder an das Fenster gestellt hatte, um ihm von dem Gange des Angriffs Nachricht zu geben, wurde dadurch auf einige Zeit gehindert, die sich immer vermehrenden und erstickenden Dünste wahrzunehmen. Endlich machte sie die große Masse des eindringenden Dampfes und das Geschrei nach Wasser, welches das Getöse durchdrang, auf die wachsende Gefahr aufmerksam.

»Das Schloß brennt!« rief Rebecca. »Was können wir thun, uns zu retten?«

»Fliehe, Rebecca, und rette Dein eigenes Leben,« sagte Ivanhoe, »denn menschliche Hülfe kann mich nicht retten.«

»Ich fliehe nicht,« versetzte Rebecca, »wir retten uns, oder gehen zusammen zu Grunde. Aber, Gott im Himmel, mein Vater! mein Vater! Was wird dessen Schicksal sein?«

In diesem Augenblick wurde die Thür des Gemaches geöffnet und der Templer trat herein – ein furchtbarer Anblick, denn seine vergoldete Rüstung war zerbrochen und blutig, und der Federbusch auf seinem Helm theils zerhauen, theils verbrannt. »Ich habe Dich!« sagte er zu Rebecca, »Du sollst nun sehen, daß ich mein Wort halten werde, Wohl und Wehe mit Dir zu theilen. Es gibt nur noch einen Weg zur Rettung, ich habe ihn mir durch fünfzig Dolche bis zu Dir gebahnt! – Auf, und folge mir augenblicklich!«

»Allein folge ich Dir nicht,« entgegnete Rebecca. »Wenn Du vom Weibe geboren bist, wenn noch ein menschliches Gefühl in Dir lebt, wenn Dein Herz nicht, wie Dein Panzer, von Stahl ist, so rette meinen alten Vater, rette den verwundeten Ritter!«

»Ein Ritter, Rebecca,« entgegnete der Templer, mit seiner gewöhnlichen Kälte, »ein Ritter muß seinem Schicksale zu begegnen wissen, sei es in Gestalt des Schwertes oder der Flamme; und wen kümmert es, wann und wie den Juden das seinige ereilt?«

»Wilder Krieger,« sagte Rebecca, »eher will ich in den Flammen umkommen, als Dir meine Rettung verdanken.«

»Du hast keine Wahl, Rebecca, einmal hast Du mich getäuscht; aber keinem Sterblichen gelingt dergleichen zum zweitenmal.« Mit diesen Worten ergriff er das erschrockene Mädchen, welches die Luft mit ihrem Geschrei erfüllte, und trug sie aus dem Zimmer, ohne auf die Drohungen zu achten, welche Ivanhoe gegen ihn ausstieß.

Kurz darauf trat der schwarze Ritter in's Gemach und sagte: »Ich hätte Dich nicht gefunden, Wilfred, wenn ich Deine Stimme nicht gehört hätte.«

»Bist Du ein ächter Ritter,« sagte dieser, »so denke nicht an mich, verfolge den Räuber, rette die Lady Rowena, stehe nach dem edlen Cedric!«

»Nach der Reihe,« entgegnete der schwarze Ritter; »Du bist der Erste.«

Hierauf ergriff er Ivanhoe und trug ihn eben so leicht davon als der Templer Rebecca fortgetragen hatte, eilte mit ihm nach der Pforte, und nachdem er seine Bürde hier an zwei Bogenschützen abgegeben hatte, kehrte er in's Schloß zurück, um die übrigen Gefangenen zu befreien.

Ein Thurm brannte schon hell, und die lichten Flammen brachen schon aus den Fenstern und Schußlöchern hervor. Allein an andern Stellen widerstanden die starken Mauern und gewölbten Gemächer dem Fortschritt der Flammen, und hier siegte noch die Wuth der Menschen, als das schrecklichste aller Elemente; denn die Belagerer verfolgten die Vertheidiger von Gemach zu Gemach, und stillten ihren Blutdurst, der sie lange gegen die Söldlinge des tyrannischen Front-de-Boeuf beseelt hatte. Die meisten von der Besatzung widerstanden bis aufs Aeußerste, wenige baten um Gnade, aber keiner wurde begnadigt, die Luft erschallte vom Geheul, vom Gewimmer und dem Klirren der Waffen – die Fußböden waren schlüpfrig vom Blut der verzweifelnden, sterbenden Unglücklichen.

Mitten durch diese Scenen der Verwirrung eilte Cedric Rowena aufzusuchen, begleitet von dem treuen Gurth, der durchaus nicht von ihm ließ, und sein eigenes Leben nicht achtete, um die Streiche, die auf seinen Herrn geführt wurden, abzuwenden. Der edle Sachse war so glücklich das Gemach seiner Mündel zu erreichen, eben als diese schon alle Hoffnung zur Rettung aufgegeben hatte, und das Bild des Erlösers ans Herz gedrückt, jeden Augenblick den Tod erwartete. Er übergab sie Gurth's Obhut und ließ sie in das Außenwerk bringen, wohin der Weg von Feinden frei, und von Flammen noch nicht erreicht war. Hierauf suchte der redliche Cedric seinen Freund Athelstane auf, entschlossen Alles zu wagen, um in ihm den letzten Sprößling des sächsischen Königsstammes zu retten. Allein ehe noch Cedric bis zu der alten Halle gelangte, worin er selbst gefangen gesessen, hatte Wamba's erfinderisches Genie bereits ein Mittel zu seiner und seines Unglücksgefährten Rettung gefunden.

Als das Getöse des Kampfes am stärksten war, fing der Narr aus Leibeskräften an zu schreien: »Heiliger Georg mit dem Drachen! Heiliger Georg für das lustige England! Das Schloß ist genommen!« – Diese Worte verstärkte er dadurch, daß er einige alte Waffenstücke zusammenschlug, welche in der Halle umherlagen.

Ein Wächter im Vorgemache, dessen Furcht schon ziemlich groß war, wurde durch Wamba's Geschrei vollends alles Muthes beraubt; er stürzte fort, um dem Templer zu melden, daß Feinde in die alte Halle gedrungen wären, und ließ die Thür offen. Unterdessen fanden die Gefangenen keine Schwierigkeit zu entkommen und sich in den Schloßhof zu retten, der der Schauplatz des letzten Gefechtes war. Hier befand sich nämlich der Templer zu Pferde, umgeben von Einigen der Besatzung zu Pferde und zu Fuß, die sich dem berühmten Führer angeschlossen hatten, um den letzten Versuch zum Entkommen und zur Rettung zu machen. Auf seinen Befehl war zwar die Zugbrücke niedergelassen worden, allein der Ausgang war besetzt; denn die Bogenschützen, die bisher dem Schlosse auf dieser Seite blos durch ihre Geschosse zugesetzt hatten, sahen nicht so bald die Flammen hervorbrechen, und die Zugbrücke sich senken, als sie auch den Ausgang verstopften, theils um die Garnison nicht entkommen zu lassen, theils um auch Theil an der Beute zu haben, ehe das Schloß gänzlich niederbrennen möchte. Auf der andern Seite drangen die, welche durch die geheime Pforte eingebrochen waren, in den Schloßhof, und griffen mit Wuth den Rest der Vertheidiger an, die sich auf beiden Seiten zugleich angegriffen sahen.

Von Verzweiflung beseelt, und durch das Beispiel ihres unbezwinglichen Führers ermuntert, focht die noch übrige Besatzung des Schlosses mit der größten Tapferkeit, und da sie wohl bewaffnet war, gelang es ihr mehrmal die Stürmenden zurückzutreiben. Rebecca, vor einem der Saracenensclaven aufs Pferd gesetzt, befand sich in der Mitte dieses kleinen Haufens, und Bois-Guilbert war ungeachtet des Getümmels mit aller Aufmerksamkeit für ihre Sicherheit besorgt. Beständig war er ihr zur Seite, und seiner eigenen Vertheidigung nicht achtend, hielt er ihr seinen dreieckigen, stahlbelegten Schild vor; dessenungeachtet ließ er seinen Schlachtruf fortwährend ertönen, und streckte den nächsten Vordringenden zu Boden, indem er zugleich den Zügel des Rosses hielt.

Athelstane, der, wie der Leser weiß, träg, aber nicht feig war, erblickte die weibliche Gestalt, die der Templer so sorgsam beschützte, und zweifelte nicht, daß es Rowena sei, die der Ritter alles Widerstandes ungeachtet fortführen wollte.

»Bei der Seele des heiligen Eduard,« sagte er, »ich will sie aus der Gewalt des stolzen Ritters befreien, und er soll von meiner Hand sterben.«

»Bedenke, was Du thust!« rief ihm Wamba zu, »eine vorschnelle Hand fängt oft einen Frosch statt eines Fisches. Bei meiner Schellenkappe! das ist nicht Lady Rowena – sieh nur ihre langen dunkeln Locken? – Wenn Du nicht schwarz von weiß unterscheiden kannst, magst Du immerhin Anführer sein, ich aber folge Dir nicht – ich lasse mir die Gebeine nicht anders zerschlagen, als wenn ich weiß für Wen. – Und noch dazu ohne Rüstung? – Bedenkt, Euer seidenes Barett hält keine stählerne Klinge aus. – Nun denn, wer gern zu Wasser geht, muß auch das Ertrinken nicht scheuen. – Deus vobiscum! tapferer Athelstane!« – Mit diesen Worten ließ er das Gewand des Sachsen fahren, welches er bis dahin festgehalten hatte.

Einen Streitkolben vom Boden erheben, wo er eben einer sterbenden Hand entfallen war, auf des Templers Haufen losstürzen, rechts und links um sich schlagen, und mit jedem Hiebe einen Krieger zu Boden strecken, war jetzt für Athelstane's durch ungewöhnliche Wuth erhöhte Stärke das Werk eines Augenblicks. Bald war er dem Bois-Guilbert bis auf zwei Schritte nahe, und forderte ihn im lautesten Tone heraus.

»Umgewendet, falscher Templer! Laß sie los, die Du zu berühren nicht würdig bist? Hieher gewendet, Du Glied einer Bande mörderischer und heuchlerischer Räuber!«

»Hund!« sagte der Templer mit den Zähnen knirschend, »ich will Dich lehren, den heiligen Orden des Tempels von Zion schmähen!« Mit diesen Worten hob er sich in den Steigbügeln, wandte sein Roß gegen den Sachsen und führte einen furchtbaren Schlag auf Athelstane's Haupt.

Richtig war Wamba's Bemerkung gewesen, daß ein seidenes Barett keine stählerne Klinge aushält. Des Templers Schwert war so scharf, daß es den zähen mit Eisen beschlagenen Handgriff des Streitkolbens mitten durchschnitt und noch so heftig den Kopf des Sachsen traf, daß er zu Boden stürzte.

»Ha! Beau-seant!« rief Bois-Guilbert, »so möge es Allen ergehen, welche die Tempelritter schmähen! – Wer sich retten will, folge mir!« rief er dann laut, benutzte den Schrecken, welchen Athelstane's Fall verbreitet hatte, drang über die Zugbrücke vor und zerstreute die Bogenschützen, die ihn aufhalten wollten. Seine Saracenen und fünf bis sechs Bewaffnete, die ihre Pferde bestiegen hatten, folgten ihm. Der Rückzug wurde durch die Menge der auf ihn abgeschossenen Pfeile äußerst gefährlich; doch dies hinderte ihn nicht, rund um das Außenwerk zu reiten, in dessen Besitz er de Bracy glaubte.

»De Bracy! De Bracy!« rief er, »bist Du da?«

»Ich bin hier,« versetzte de Bracy, »aber ich bin gefangen.«

»Kann ich Dich befreien?« rief Bois-Guilbert.«

»Nein,« versetzte de Bracy. »Ich habe mich auf Gnade oder Ungnade ergeben. Ich bleibe meinem Worte treu. Rette Dich – die Falken sind los – mache, daß die See zwischen Dir und England liegt – mehr darf ich nicht sagen.«

»Gut,« antwortete der Templer, »wenn Du hier bleiben willst, so erinnere Dich, daß ich mein Wort und meinen Handschuh ausgelöst habe. Mögen die Falken sein, wo sie wollen, so werden doch die Mauern des Präceptoriums zu Templestowe mir sichern Schutz gewähren, und dorthin will ich eilen.«

Hierauf galoppirte er mit seinen Begleitern davon.

Nach der Entfernung des Templers fochten die noch im Schlosse Zurückgebliebenen mehr, um Pardon zu erhalten, als zu entkommen; dazu war keine Aussicht. Das Feuer verbreitete sich mit großer Schnelligkeit durch alle Theile des Schlosses, da erschien Ulrica, die es zuerst entzündet, auf einem Thurme, ganz in der Gestalt einer Furie, und ließ einen Schlachtgesang ertönen, gleich denen der sächsischen Skalden auf den Gefilden des Todes. Ihr langes, graues Haar floß zerstreut im Winde auf ihrem Nacken, die Freude gesättigter Rache vermischte sich in ihren Augen mit dem Feuer des Wahnsinns, und in der Hand schwang sie den Stab des Rockens, als wäre sie eine der Schicksalsschwestern, die den Lebensfaden spinnen.

Die Flammen schlugen in wilder Lohe zum Himmel empor und erleuchteten weit umher die Gegend. Ein Thurm nach dem andern stürzte zusammen, und die Streitenden wurden endlich von dem Schloßhofe vertrieben. Die Besiegten, von denen indeß wenige das Leben behielten, entkamen und zerstreuten sich in dem nahen Walde. Mit Erstaunen betrachteten die Sieger die schauderhaften Flammen, die ihre eigenen Rüstungen mit dunkelrothem Scheine beleuchteten. Ulrica's schreckliche Gestalt war noch lange auf der höchsten Spitze der Gebäude sichtbar, und sie schien mit wildem Jauchzen der Zerstörung zuzusehen, die sie als Gebieterin beherrschte. Endlich brach auch dieser Thurm mit donnerndem Getöse zusammen, sie selber versank in die Gluth und verschwand. Mit stummem Erstaunen starrte Jeder noch lange nach dem Orte hin, und keine Hand bewegte sich, als um das Zeichen des Kreuzes zu schlagen. Jetzt erhob Locksley seine Stimme: »Frohlockt, meine Leute! – Die Höhle des Tyrannen ist zerstört! Laßt uns die Beute zu dem bestimmten Platze bei dem Gerichtsbaume im Harthill-Walk bringen; denn morgen mit Tagesanbruch soll sie dort unter uns und die Verbündeten unserer Rache vertheilt werden.«



 << zurück weiter >>