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Zwölftes Kapitel.

Sie kommt! sie kommt in allem Reiz der Jugend,
Voll warmer Lieb' und unbefleckter Tugend!

Hereward hatte noch nicht lange dem Geschrei auf den waldigen Pfaden nachgespürt, als sich ihm ein Weib in die Arme stürzte, das von Sylvan erschreckt worden zu sein schien, der es verfolgte. Der Anblick Herewards, der mit geschwungener Axt dastand, hemmte augenblicklich den Lauf des Thieres, und es sprang mit einem Schrei des Schreckens in das nahe Dickicht.

Der Gegenwart des Thieres enthoben, hatte Hereward Zeit, das Weib zu betrachten, dem er zu Hülfe geeilt war: ihre Kleidung hatte verschiedene Farben, doch herrschte ein blasses Gelb vor; ihre Tunika war von dieser Farbe, und saß wie ein modernes Kleid eng an dem schlanken, wohlgebauten Leib. Der Mantel oder das Oberkleid, der die ganze Gestalt umwallte, war von feinem Tuch, und die daran befindliche Capuze, die während des schnellen Laufs zurückgefallen war, ließ einen Theil des schönen, einfach geflochtenen Haares sehen. Das Gesicht war in Folge der gefürchteten Gefahr von einer Leichenblässe bedeckt, verrieth aber trotzdem einen hohen Grad von Schönheit.

Hereward war bei dieser Gelegenheit starr. Der Anzug war weder griechisch noch italienisch und fränkisch; er war sächsisch, und rief in Hereward tausend zarte Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend zurück. Das war eine außerordentliche Erscheinung. Es gab in der That zu Constantinopel sächsische Frauen, die den Warägern gefolgt waren, und diese trugen in der Stadt oft mit Fleiß ihre Volkstracht, weil ihnen der Stand und das Betragen ihrer Ehemänner eine Achtung verschaffte, die andere Frauen ihres Standes, einheimische oder fremde, nicht genossen. Die Mehrzahl dieser Frauen war jedoch Hereward bekannt. Indeß es war keine Zeit zu träumen; er selbst schwebte in Gefahr; die Lage des jungen Weibes war vielleicht nicht besser als die seinige. Jedenfalls war es klug, den besuchteren Theil des Gartens zu verlassen; er verlor also keinen Augenblick, die ohnmächtige Sächsin nach einem heimlichen Platz zu bringen, den er kannte. Ein von Laubwerk bedeckter Pfad führte durch ein Labyrinth zu einer künstlichen Höhle, auf deren mit Moos, Muscheln und Marienglas gepflasterten Boden die riesige Statue eines Flußgottes lag, dessen Stirn, wie gewöhnlich, von Wasserlilien und Schilfgras bekränzt war, und dessen mächtige Hand halb auf einer leeren Urne lag. Die Haltung der ganzen Figur stimmte mit der Inschrift überein: »Ich schlafe – wecke mich nicht.«

»Verfluchte Heidenreliquie,« sagte Hereward, der ein eifriger Christ war, »dummer Block, der du bist! ich will dich schon wecken.« So sprechend, schlug er das Haupt der schlafenden Gottheit mit seiner Streitaxt, und störte das Spiel der Quelle insofern, daß das Wasser in das Becken zu fließen begann.

»Du bist doch ein guter Block,« sagte der Waräger, »da du meiner Landsmännin so passend zu Hülfe kommst. Wenn du es erlaubst, so soll sie auch dein Lager mit dir theilen.« Indem er dies sprach, legte er seine schöne Bürde auf das Postament des Flußgottes nieder. Als er damit beschäftigt war, und das Gesicht des Mädchens von Neuem betrachtete, fühlte er sich wiederum von einer Hoffnung bewegt, die jedoch so nahe an Furcht gränzte, daß man sie nur einer flackernden Kerze vergleichen konnte, die bald hell aufzuflammen, bald zu verlöschen scheint. Fast unwillkührlich bemühte er sich, das schöne Geschöpf vor ihm zum Bewußtsein zurückzurufen. Seine Empfindungen waren die eines sternkundigen Weisen, dem der Aufgang des Mondes nach und nach den Anblick des Himmels gestattet, wodurch ihm als Christen die Hoffnung der Seligkeit und als Weisen die Quelle der Erkenntniß geöffnet wird. Das Blut kehrte auf die Wangen der Schönen zurück, und sie gelangte früher zu Leben und Bewußtsein als der erstaunte Waräger.

»Heilige Jungfrau!« sagte sie, »habe ich den bitteren Kelch bereits geleert, und ist hier das Jenseits, wo du deine Verehrer versammelst! – Sprich, Hereward, ob du nur ein Gebild der Einbildung bist! – sprich, und sage mir, ob ich von dem garstigen Ungeheuer nur geträumt habe!«

»Besinne dich, liebe Bertha,« sagte der Angelsachse, den die Stimme wieder zu sich gebracht hatte, »du lebst, um das zu erfahren, was du zu wissen begehrst, und auch dein Hereward lebt, es dir zu sagen. Ja, das garstige Geschöpf war da – doch erschrick nicht, und suche nach keinem Versteck – eine Reitgerte in deiner zarten Hand genügt, es zu zähmen. Und bin ich nicht hier, Bertha? Wünschest du dir einen anderen Beschützer?«

»Nein, nein,« rief sie aus, den Arm ihres wiedergefundenen Liebhabers erfassend. »Kenne ich dich denn jetzt nicht?«

»Und kennst du mich erst jetzt, Bertha?« sagte Hereward.

»Zuerst zweifelte ich,« sagte sie, die Augen niederschlagend; »aber diese Narbe von dem Zahn des Ebers gibt mir Gewißheit.«

Hereward wollte, daß sich ihr Gemüth erst völlig beruhigen möchte, ehe er von der Gegenwart sprach, die für Beide so zweifelhaft und drohend war. Er ließ sie darum alle Umstände jener Eberjagd wiederholen, welcher die Sippschaften ihrer beiderseitigen Väter beigewohnt hatten. Sie erzählte in abgebrochenen Worten von dem Pfeilregen, womit Alt und Jung, Mann und Weib den Eber überschüttete, und wie ihr eigenes wohlgelenkte aber schwache Geschoß das Thier scharf verwundete; sie vergaß nicht, wie der Eber, vor Schmerz wüthend, auf sie lossprang, ihren Zelter todt zu Boden streckte, und sie selbst getödtet haben würde, wenn nicht Hereward, dessen Pferd sich dem Ungeheuer durchaus nicht hatte nähern wollen, herbeigesprungen wäre, und sich zwischen den Eber und Bertha geworfen hätte. Der Kampf wurde nicht ohne verzweifelte Anstrengung entschieden; der Eber ward getödtet, aber Hereward erhielt die tiefe Wunde an der Stirn, die ihm nun die Gerettete in's Gedächtniß zurückrief. »Ach!« sagte sie, »was sind wir uns einander seit jenem Augenblick gewesen! und was sind wir uns nun in diesem fremden Land!«

»Antworte für dich, meine Bertha, wenn du kannst,« sagte der Waräger; »und wenn du mit Wahrheit sagen kannst, daß du die nämliche Bertha bist, die Hereward Treue gelobte, dann glaube mir, es wäre Sünde, anzunehmen, daß uns die Heiligen hier zusammengebracht hätten, um uns später von Neuem zu trennen.«

»Hereward,« sagte Bertha, »du hast den Vogel in deinem Busen gewiß nicht besser bewahrt als ich; in der Heimath und in der Fremde, in Sclaverei und Freiheit, unter Schmerz und Freude, bei Ueberfluß und Mangel gedachte ich des Gelübdes, das ich Hereward am Steine Odin's gethan habe.«

»Sei still davon,« sagte Hereward; »das war eine gottlose Handlung, aus welcher nichts Gutes kommen konnte.«

»War sie wirklich so gottlos?« sagte sie, indem ihr eine Thräne in das große blaue Auge trat. – »Ach! ich war so glücklich, wenn ich daran dachte, daß mir Hereward durch jenes feierliche Gelübde verbunden wäre!«

»Höre mich, Bertha,« sagte Hereward, ihre Hand fassend; »wir waren damals fast noch Kinder, und wiewohl unser Gelübde an sich unschuldig war, so war es insofern sündlich, als wir es vor einem todten Bilde thaten, das einen ehemaligen blutigen und grausamen Zauberer vorstellte. Doch in dem ersten Augenblick, wo sich uns die Gelegenheit darbietet, unser Gelübde vor einem wahrhaft heiligen Altar zu erneuern, wollen wir für unsere unwissentliche Anerkennung Odin's Buße geloben, um uns den wahren Gott geneigt zu machen, der uns den Schicksalsstürmen, die sich wahrscheinlich gegen uns erheben werden, entreißen kann.«

Indem wir das Paar seinem reinen, einfachen und erfreulichen Liebesgespräch überlassen, wollen wir dem Leser in der Kürze alles Wissenswerthe aus der Geschichte Beider von der Eberjagd an bis zu der Zusammenkunft in dem Garten des Agelastes erzählen.

Während des ungewissen Zustandes, wo Waltheoff, der Vater Herewards, und Engelred, der Vater Bertha's, als Geächtete lebten, pflegten sie bisweilen ihre nichtunterworfene Sippschaft in den fruchtbaren Gefilden von Devonshire oder in den waldigen Einöden von Hampshire zu versammeln, doch so, daß man immer nahe genug war, das Jägerhorn des berühmten Ederichs, des Försters, zu hören, der so lange die sächsischen Rebellen anführte. Die erwähnten Häuptlinge gehörten zu den letzten kühnen Männern, welche die Unabhängigkeit des sächsischen Stamms in England vertheidigten, und gleich ihrem Anführer Ederich wurden sie gemeinhin Fürsten genannt, weil sie, wenn ihre Streifzüge gehemmt oder zurückgeschlagen worden waren, von der Jagd zu leben pflegten. Sie machten so in der Bildung einen Rückschritt, und wurden ihren entfernteren germanischen Altvordern ähnlicher als ihren näheren Vorfahren in England, die vor der Schlacht bei Hastings große Fortschritte in der Bildung gemacht hatten.

Alter Aberglaube hatte sich wieder eingeschlichen; daher kam die Sitte, daß sich Jünglinge und Mädchen bei den Steinkreisen verlobten, die, wie man annahm, dem Odin geheiligt waren, obschon man längst aufgehört hatte, der heidnischen Religion der Vorfahren zu folgen.

Noch in einer anderen Rücksicht waren diese Geächteten den alten Germanen fast ganz ähnlich geworden. Die Umstände brachten natürlich die Jugend beider Geschlechter viel zusammen, und durch frühe Heirath oder weniger dauernde Verbindungen würde sich die Bevölkerung weit über die Gränzen hinaus, worin sich die Geächteten halten und schützen konnten, vermehrt haben. Die Gesetze der Fürsten bestanden darum streng darauf, daß Jünglinge unter einundzwanzig Jahren nicht heirathen sollten. Verlobungen aber gab es dennoch unter den jüngeren Leuten, auch hatten die Aeltern nichts dagegen, wenn die Liebenden nur warten wollten, bis der Bräutigam das zur Heirath erforderliche Alter erreicht haben würde. Diejenigen Jünglinge, welche dies Gebot brachen, wurden Taugenichtse genannt, was ein so großer Schimpf war, daß mehrere sich lieber tödteten, als daß sie ihn hätten ertragen wollen. Doch gab es nur wenige Uebertreter dieses Gesetzes unter Leuten, die in Mäßigkeit und Enthaltsamkeit auferzogen waren; und so kam es, daß das Weib, welches so manches Jahr wie ein heiliger Gegenstand verehrt worden war, wenn es endlich als Familienmutter in ein näheres Verhältniß zu dem Mann trat, besser behandelt wurde als das bloße Idol des Augenblicks, und, indem es diese Achtung nach Werth schätzte, durch seine Handlungsweise sich dieselbe zu erhalten strebte.

Nach dem Abenteuer auf der Eberjagd wurde die Verbindung Herewards und Bertha's von den Aeltern und dem ganzen Stamm derselben als von dem Himmel verfügt betrachtet, und die Liebenden wurden aufgemuntert, sich so viel als möglich einander zu nähern. Die Jünglinge vermieden es, Bertha zum Tanz aufzufordern, und die Mädchen gaben sich keine Mühe, Hereward an ihrer Seite zu behalten, wenn Bertha beim Feste zugegen war. Sie gaben sich die Hand durch den durchbohrten Stein, den man den Altar Odins nannte, obwohl ihn spätere Zeiten den Druiden zuschrieben, und sie wünschten sich einander, daß, wenn sie die Treue brächen, ihr Verbrechen gerächt werden möchte durch die zwölf Schwerter, welche eben so viele herumstehende Jünglinge gezogen hatten, und daß ihr Unglück so vielfältig sein möchte, daß zwölf Mädchen, die mit aufgelöstem Haar um sie herstanden, es weder in Prosa noch in Versen zu erzählen vermöchten.

Einige Jahre hindurch leuchtete ihnen die Fackel des sächsischen Cupido immer in demselben Glanz. Endlich kam die Zeit, wo sie durch Unglück geprüft werden sollten, wiewohl sie es nicht durch Treulosigkeit verschuldet hatten. Jahre waren verflossen, und Hereward zählte nur noch, wie viel Monate und Wochen ihn von seiner Braut trennten, die bereits vor seinen Liebkosungen nicht mehr scheu zurückfuhr, da sie ihn ja bald ihr Alles nennen durfte. Indeß hatte Wilhelm der Rothe den Plan gemacht, die Fürsten, deren unversöhnlicher Haß und unruhige Freiheitsliebe die Ruhe des Königreichs so oft gestört, und die Forstgesetze verachtet hatten, gänzlich auszurotten. Er versammelte die Streitkräfte seiner Normannen, und vereinigte sie mit einer Schaar von Sachsen, die sich seiner Herrschaft unterworfen hatten. So brachte er eine Uebermacht gegen die Banden von Waltheoff und Engelred zusammen, die keine andere Auskunft fanden, als die Weiber und Waffenunfähigen ihres Stammes in einem Kloster des Hl. Augustins, dessen Prior ihr Verwandter Kenelm war, unterzubringen, und dann in der Schlacht ihre alte Tapferkeit bis auf den letzten Mann zu behaupten. Die beiden unglücklichen Häuptlinge fielen, und Hereward und sein Bruder hätten beinahe ihr Loos getheilt; aber einige Sachsen aus der Umgegend, die sich auf das Schlachtfeld begaben, wo die Sieger nichts als nur Beute für Raben und Geier zurückgelassen hatten, fanden noch Leben in den Leibern der Jünglinge. Da Hereward und sein Bruder bei diesem Volke bekannt und beliebt waren, so wurden sie von ihm verpflegt, bis ihre Wunden geheilt, und ihre Kräfte zurückgekehrt waren. Da erfuhr Hereward den traurigen Tod seines Vaters und Engelreds. Er erkundigte sich zunächst nach dem Schicksal seiner Braut und ihrer Mutter. Die armen Leute konnten ihm wenig Auskunft geben. Einige von den Weibern, die in dem Kloster Zuflucht gesucht hatten, waren von den normannischen Rittern und Edlen zu Gefangenen gemacht worden, und die Uebrigen hatten sich mit den Mönchen, die sie beherbergt hatten, zerstreut; das Kloster aber war rein ausgeplündert und niedergebrannt worden.

Ueber die Nachrichten auf's Höchste beunruhigt, machte sich Hereward auf, und begann unter Lebensgefahr (denn die sächsischen Förster wurden als Geächtete behandelt) seine Nachforschungen. Er erkundigte sich nach dem Schicksal Bertha's und ihrer Mutter bei den elenden Geschöpfen, die noch, gleich halbversengten Bienen um ihren verbrannten Korb, in der Nähe des Klosters herumstreiften. Aber beim Uebermaaß des Unglücks hatte Niemand Augen für Andere behalten, und Alles, was sie sagen konnten, war, daß das Weib und die Tochter Engelreds gewiß verloren seien, und ihre Einbildungskraft wußte dies mit so herzzerreißenden Einzelheiten auszumalen, daß es Hereward sein ließ, solche nutzlose und traurige Nachsuchungen ferner anzustellen.

Der junge Sachse war all' sein Leben in einem patriotischen Haß gegen die Normannen erzogen worden, und dieser Haß war durch die letzten Ereignisse gewiß nur bei ihm vermehrt worden. Er wollte zuerst, um die verhaßten Feinde in ihrem eigenen Lande zu bekriegen, über den Kanal setzen; aber ein so überspannter Gedanke konnte nicht lange bei ihm haften. Sein Schicksal wurde durch das Zusammentreffen mit einem alten Pilger entschieden, der Herewards Vater gekannt zu haben, und in England geboren worden zu sein vorgab. Dieser Mann war ein verkleideter Waräger, der zu diesem Zweck abgeschickt war, Kunst und Gewandtheit besaß, und mit Geld wohl versehen war. Es ward ihm nicht schwer, Hereward in seiner hülflosen Lage zu überreden, sich der Leibwache der Waräger beizugesellen, die gegenwärtig gegen die Normannen (d. h. gegen Robert Guiscard, seinen Sohn Bohemund und andere Ankömmlinge in Italien, Griechenland und Sicilien, die der griechische Kaiser bekriegte) zu Felde lag. Eine Reise nach dem Osten konnte überdies zu einer Pilgerfahrt werden, und schenkte dem unglücklichen Hereward die Hoffnung, durch Besuch des h. Landes Vergebung für seine Sünden zu erlangen. Mit Hereward gewann der Werber auch dessen älteren Bruder, der gelobt hatte, sich nicht von ihm zu trennen.

Die ausgezeichnete Tapferkeit der beiden Brüder veranlaßte den listigen Werber, viel Rühmens von ihnen zu machen, und aus seinen Angaben über die Geschichte und den Charakter der Neuangeworbenen, die vorzüglich auf den Angaben des älteren Bruders beruhten, hatte Agelastes die einzelnen Umstände aufgeschnappt, die er bei der ersten geheimen Zusammenkunft mit Hereward dazu anwandte, diesem Waräger einen Begriff von seiner übernatürlichen Wissenschaft zu geben. Mehrere Waräger wurden so gewonnen: denn man kann sich leicht denken, daß sich diese Angaben in den Händen des Achilles Tatius befanden, und von diesem dem Agelastes mitgetheilt wurden, der sich also bei diesen unwissenden Leuten in das Ansehen eines Mannes setzte, der Alles weiß. Doch Herewards gerader und rechtlicher Sinn entging der gelegten Falle.

Das waren die Schicksale Herewards; die seiner Braut bildeten den Gegenstand eines Gesprächs zwischen beiden Liebenden, das unstät war wie ein Apriltag, und von Liebkosungen unterbrochen wurde, wie Sittsamkeit sie Liebenden erlaubt, die sich nach einer langen Trennung gegen alles Hoffen wiederfinden. Doch wir können die Geschichte in wenige Worte fassen. Bei der allgemeinen Plünderung des Klosters hatte sich ein alter, normannischer Ritter Bertha zur Beute ausersehen. Von ihrer Schönheit angesprochen, bestimmte er sie zur Dienerin seiner Tochter, die gerade jetzt in's jungfräuliche Alter trat, und als das einzige und spätgeborne Kind seiner geliebten Gemahlin des Vaters Augapfel war. Es war dem Lauf der Dinge gemäß, daß die Gräfin von Aspramonte, die viel jünger als der Ritter war, ihren Gemahl, und daß Brenhilda, ihre Tochter, beide Aeltern beherrschte.

Es muß jedoch bemerkt werden, daß der Ritter von Aspramonte den Wunsch hegte, seine Tochter zu weiblicheren Ergötzlichkeiten zu gewinnen, als die waren, welche bereits schon jetzt ihr Leben oft in Gefahr setzten. Abmahnungen fruchteten nichts, wie der gute, alte Ritter aus Erfahrung wußte. Das Beispiel einer etwas älteren Gespielin mochte vielleicht mehr wirken, und es war in dieser Absicht, daß Aspramonte in der Verwirrung bei der Plünderung die jugendliche Bertha gefangen nahm. Auf's Höchste geängstigt, schlang sie sich an ihre Mutter, und der Ritter von Aspramonte, dem ein fühlendes Herz unter dem Harnisch schlug, wurde von der Betrübniß der Mutter und Tochter gerührt; er bedachte, daß jene eine nützliche Dienerin für seine Gemahlin werden könne, nahm also Beide unter seinen Schutz, und brachte sie aus dem Getümmel, indem er die Soldaten, welche ihm die Beute streitig machen wollten, theils mit kleinen Geldmünzen, theils mit derben Stößen seiner umgekehrten Lanze abspeiste.

Der gutherzige Ritter kehrte bald darauf heim, und die reizende, sächsische Jungfrau und ihre schon etwas verblühte Mutter erreichten unter dem Schutze des ehrbaren und tugendhaften Mannes in Ehren und Sicherheit das Stammschloß Aspramonte. Hier wurden der jungen Bertha alle möglichen Lehrer gehalten, um sie in allen weiblichen Künsten zu unterrichten: denn der Ritter hoffte, daß Brenhilda Lust bekommen würde, an dem Unterricht Theil zu nehmen; doch wiewohl die sächsische Gefangene in der Musik, Stickerei und anderen weiblichen Künsten, die damals bekannt waren, sehr geschickt wurde, so behielt doch ihre junge Herrin, Brenhilda, ihren Geschmack an den kriegerischen Uebungen, die ihren Vater so oft schwer betrübten, aber von der Mutter, die in ihrer Jugend den nämlichen Hang gehabt hatte, gerne gesehen wurden.

Die Gefangenen wurden indessen gut behandelt. Brenhilda wurde der jungen Angelsächsin sehr gewogen – nicht wegen ihrer Geschicklichkeit in den Künsten, als vielmehr wegen ihrer Gewandtheit in Kampfspielen, die sie in ihrem früheren Leben erworben hatte.

Auch die Gräfin von Aspramonte war gütig gegen beide Gefangenen; nur in einer Hinsicht machte sie sich einer Härte gegen dieselben schuldig. Sie stand in dem Wahn, und wurde darin von einem alten, schwachen Beichtvater bestärkt, die Sachsen wären noch Heiden oder wenigstens Ketzer, und sie bestand bei ihrem Gemahl darauf, daß die beiden Frauenspersonen, die ihr und ihrer Tochter dienten, durch die Taufe in die christliche Kirche aufgenommen werden sollten.

Dieses unbegründeten Vorwurfs ungeachtet fügte sich die Mutter Berthas der Nothwendigkeit, und erhielt an dem Taufstein den Namen Martha, den sie auch ihr übriges Leben hindurch führte.

Aber Bertha zeigte bei dieser Gelegenheit einen Charakter, der von ihrer gewöhnlichen Fügsamkeit ganz verschieden war. Sie verweigerte es standhaft, sich noch einmal in den Schooß der Kirche, von der sie sich ein Glied glaubte, aufnehmen zu lassen, oder ihren ursprünglichen Taufnamen gegen einen anderen zu verwechseln. Der Befehl des alten Ritters, die Drohungen der Dame, Rath und Zureden der Mutter, kurz Alles war vergebens. Als ihre Mutter näher in sie drang, gab sie ihren Beweggrund an, an den man zuvor nicht gedacht hatte. »Ich weiß,« sagte sie mit einem Strom von Thränen, »daß mein Vater lieber gestorben wäre, als daß man mich so hätte beschimpfen dürfen; und dann – wer steht mir dafür, daß ein der sächsischen Bertha abgelegtes Versprechen der fränkischen Agatha gehalten werden muß? Sie können mich fortjagen,« sagte sie, »oder tödten, wenn sie wollen, aber wenn der Sohn Waltheoffs je wieder mit der Tochter Engelreds zusammentrifft, so soll er in ihr die Bertha finden, die er in den Wäldern von Hampshire gekannt hat.«

Alle Vorstellungen waren vergeblich; die junge Sächsin blieb standhaft, und die Gräfin von Aspramonte drohte endlich mit Fortjagen aus dem Dienst ihrer jungen Herrin und mit Verbannung aus dem Schlosse. Auch hierauf war Bertha gefaßt, und sie antwortete fest, wiewohl mit Ehrfurcht, daß es ihr Leid thun werde, von ihrer jungen Herrin zu scheiden, doch aber wolle sie lieber unter ihrem eigenen Namen betteln, als den Glauben ihrer Väter für Ketzerei erklären, und unter einem fränkischen Namen auf dem Schlosse bleiben. Brenhilda trat indessen in das Zimmer, gerade als ihre Mutter das Verbannungsurtheil aussprach. »Laßt Euch durch mein Kommen nicht stören, Mutter,« sagte die unerschrockene Jungfrau; »das Urtheil, das Ihr aussprecht, gilt mir so gut als Bertha; wenn sie über die Zugbrücke von Aspramonte als Verbannte geht, so will ich's auch, sobald sie ihre Thränen getrocknet haben wird, deren ich ihr nie eine durch meinen Muthwillen zu erpressen vermochte. Sie soll mein Leibknappe sein, und Lanzelot, der Barde, soll mir mit Speer und Schild folgen.«

»Und Ihr werdet von diesem närrischen Zuge vor Sonnenuntergang zurückkehren, Fräulein?« sagte die Gräfin.

»So der Himmel meinen Vorsatz begünstigt, Herrin,« versetzte die junge Erbin, »so soll weder die aufgehende noch untergehende Sonne meine Zurückkunft sehen, ehe der Name Bertha's und ihrer Herrin, Brenhildas, so weit gedrungen ist, als die Trompete des Ruhms ihn tragen kann. – Sei fröhlich, liebe Bertha!« sagte sie, die Hand ihrer Dienerin erfassend, »wenn dir der Himmel dein Land und deinen Verlobten genommen hat, so hat er dir eine Schwester und einen Freund gegeben, mit deren Ruhm dein Name immer verbunden bleiben soll.«

Die Dame von Aspramonte war verlegen: sie wußte, daß ihre Tochter im Stande war, den angekündigten Vorsatz auszuführen, und sie erkannte ihre und ihres Gemahls Unfähigkeit, sie davon zurückzuhalten. Sie begnügte sich also damit, zuzuhören, als Bertha's Mutter ihre Tochter folgendermaßen anredete: – »Mein Kind,« sagte sie, »wenn du Ehre, Tugend, Sicherheit und Dankbarkeit achtest, so demüthige dein Herz gegen deine Herrschaft, und folge dem Rath einer Mutter, die älter und erfahrener ist als du. Und Ihr, theuerstes Fräulein, laßt Eure Frau Mutter nicht glauben, daß Euer Hang zu den Uebungen, worin Ihr Euch so auszeichnet, die kindliche Liebe und das weibliche Zartgefühl in Eurer Brust zerstört habe! – Da sie Beide halsstarrig scheinen, Frau Gräfin,« fuhr das Weib fort, nachdem es zuvor den Eindruck beobachtet hatte, den die Rede auf das Fräulein machte, »so erlaubt Ihr mir vielleicht, einen Ausweg anzugeben, der vorläufig den Wünschen Ew. Herrlichkeit, der Willfährigkeit meiner eigensinnigen Tochter und einem freundlichen Vorsatz ihrer edlen Herrin genügen kann.« Die Gräfin von Aspromonte winkte der sächsischen Matrone fortzufahren. Sie sagte also: »Die heutigen Sachsen, theuerste Herrin, sind weder Heiden noch Ketzer; sie gehorchen in Hinsicht der Feier des Osterfestes und in allen anderen streitigen Lehren unbedingt dem römischen Papst, und das weiß unser guter Bischof wohl, weil er einige Hausbediente tadelte, die mich eine alte Heidin nannten. Aber unsere Namen klingen seltsam im Ohr der Franken, und haben vielleicht einen heidnischen Klang. Wenn man davon abstehen will, meine Tochter einer neuen Taufe zu unterwerfen, so wird sie ihren sächsischen Namen Bertha, so lange sie Eure Dienerin bleiben wird, beiseitsetzen. Dadurch wird ein Zwist beseitigt, der gewiß nicht wichtig genug ist, daß er den Frieden des Schlosses stören sollte. Ich verspreche, daß meine Tochter zum Dank für die Nachsicht, die man mit ihrem kindischen Bedenken hatte, wo möglich einen doppelten Eifer im Dienst gegen ihre junge Herrin zeigen wird.«

Die Gräfin von Aspramonte ergriff dies Auskunftsmittel mit Freuden, um sich, ohne ihrer Würde viel zu vergeben, aus der Verlegenheit zu ziehen. »Wenn der gute Herr Bischof diesen Ausweg billige,« sagte sie, »so würde sie nichts dagegen haben.« Wirklich gab der Prälat seine Billigung, um so leichter, als er gehört hatte, daß die junge Erbin diesen Vergleich begierig wünsche. Der Friede des Schlosses ward wieder hergestellt, und Bertha erkannte den Namen Agatha als Dienstnamen, aber nicht als Taufnamen an.

Der Streit hatte gewiß eine Folge gehabt: er verstärkte die Liebe Bertha's zu ihrer jungen Herrin. Sie bestrebte sich, ihr in Allem zu dienen, wie sie es haben wollte, und schmeichelte ihr darum auch in ihrem Hang zum Ritterthume, der sie in den damaligen Zeiten seltsam erscheinen ließ, und ihr in den unsrigen den Namen Donna Quixote zugezogen haben würde. Bertha freilich ward nie von der Thorheit ihrer Herrin angesteckt; indeß da sie stark, dienstwillig und kräftig gestaltet war, so ließ sie es sich gefallen, der irrenden Ritterin zuweilen als Stallmeisterin zu dienen; und da sie von Kindheit auf an Waffengeklirr, Blutvergießen und Bilder des Todes gewöhnt war, so betrachtete sie kaltblütig die Gefahren, welchen ihre Herrin begegnete, und schritt nur dann warnend ein, wenn ihr diese Gefahren ungewöhnlich groß vorkamen. Diese Nachgiebigkeit bei den meisten Gelegenheiten gab Bertha das Recht, zu warnen bei anderen; ihr Rath, der immer aus der besten Absicht und zur schicklichsten Zeit gegeben ward, vermehrte ihren Einfluß auf ihre Herrin, den ein entgegengesetztes Benehmen bald zerstört haben würde.

Wir überspringen in unserer Erzählung den Tod des Ritters von Aspramonte, die romantische Heirath des Fräuleins mit dem Grafen von Paris, das Kreuzzugsgelübde dieses Paares und andere Dinge, die dem Leser bereits bekannt sind.

Hereward überhörte Manches von den späteren Umständen dieser Erzählung; daran war ein kleiner Zwist schuld, der während des Erzählens zwischen ihm und Bertha ausgebrochen war. Als sie nämlich mit mädchenhafter Einfalt beschrieb, wie eigensinnig sie sich geweigert habe, ihren Namen zu wechseln, da sie geglaubt habe, daß der Vertrag zwischen ihr und ihrem Liebhaber dadurch gefährdet werden könne, konnte Hereward dem Drange nicht widerstehen, sie an sein Herz zu drücken, und sie dankbarlichst auf den Mund zu küssen. Sie wand sich jedoch gleich aus seinen Armen, indem ihre Wangen mehr vor Scham als vor Zorn glühten, und redete ihren Liebhaber mit Ernst also an: »Genug, genug, Hereward! dies mag durch unser so unerwartetes Zusammentreffen entschuldigt sein; aber in Zukunft wollen wir bedenken, daß wir wahrscheinlich die letzten unseres Stammes sind, und daß es nie heißen soll, Hereward und Bertha hätten die Sitten ihrer Vorfahren vergessen; bedenke, daß, ob wir gleich allein sind, die Schatten unserer Väter uns umschweben, um zu sehen, wie wir eine Zusammenkunft benutzen, die vielleicht ihre Veranstaltung war.«

»Du thust mir Unrecht, Bertha,« sagte Hereward, »wenn du glaubst, daß ich deine und meine Pflichten in einem Augenblick vergessen könnte, wo wir dem Himmel auf ganz andere Weise unseren Dank zu zeigen haben, als durch eine Uebertretung seiner Gebote und derer unserer Aeltern. Es fragt sich nun, wie sollen wir uns wieder finden, wenn wir uns trennen? denn trennen, fürcht' ich, müssen wir uns.«

»O, sprich nicht so!« rief die unglückliche Bertha aus.

»Es muß sein,« sagte Hereward, »für einige Zeit; aber ich schwöre dir bei dem Heft meines Schwerts und dem Stiel meiner Streitaxt, daß das Eisen dem Schaft nicht so treu ist, als ich es dir sein will!«

»Aber warum mich alsdann verlassen, Hereward?« sagte das Mädchen; »und, ach! warum mir nicht helfen, meine Herrin zu befreien?«

»Deine Herrin!« sagte Hereward. »Pfui! kannst du einem sterblichen Weib diesen Namen geben!«

»Aber sie ist meine Herrin,« antwortete Bertha, »sie ist's durch tausend süße Bande, die nicht getrennt werden können, so lange Dankbarkeit der Lohn der Güte ist.«

»In welcher Gefahr ist sie denn?« sagte Hereward; »was bedarf diese vortreffliche Dame, die du Herrin nennst?«

»Ihre Ehre, ihr Leben sind zugleich bedroht,« sagte Bertha. »Sie will sich dem Cäsar im Kampfe stellen, und er, als ein niederträchtiger Schuft, wird nicht anstehen, alle Mittel aufzubieten, die, ich sag' es mit Schrecken, meiner Herrin verderblich werden müssen.«

»Wie magst du das glauben?« antwortete Hereward. »Diese Dame hat manchen Zweikampf gewonnen, wenn man nicht von ihr lügt, und zwar gegen furchtbarere Gegner als dieser Cäsar.«

»Wahr,« sagte die junge Sächsin; »aber das war in einem Land, wo Treue und Ehre keine leeren Worte sind, wie es leider nur zu gewiß hier der Fall zu sein scheint. Glaube mir, es ist keine mädchenhafte Angst, die mich in diesem vaterländischen Anzug, der, wie man sagt, in Constantinopel Achtung genießt, aus dem Hause treibt: ich gehe, den Anführern des Kreuzzugs die Gefahr zu melden, worin die edle Dame schwebt, und von ihrer Menschlichkeit, Religion, Ehrliebe und Furcht vor Schande hoffe ich Hülfe in der Noth; und nun, da ich das Glück gehabt habe, dich zu treffen, wird Alles, ja Alles gut gehen – und ich will zurück zu meiner Herrin und ihr sagen, wen ich gesehen habe.«

»Warte noch einen Augenblick, mein wiedergefundener Schatz,« sagte Hereward, »und laß mich die Sache reiflich überlegen! Diese fränkische Dame achtet die Sachsen dem Staube gleich, den du von dem Saum ihres Kleides bürstest. Sie behandelt – sie betrachtet die Sachsen wie Heiden und Ketzer. Sie hat es gewagt, dir, einer Freigebornen, Sclavendienste aufzulegen. Ihres Vaters Schwert ist bis an's Heft mit angelsächsischem Blut befleckt, vielleicht klebt das Blut Waltheoffs und Engelreds daran! Sie ist überdies eine anmaßende Närrin, die den Kriegercharakter des männlichen Geschlechtes nachäffen will. Endlich wird es schwer fallen, einen Stellvertreter im Kampfe für sie zu finden, da alle Kreuzfahrer nach Asien übergesetzt worden sind, und dort, wie es heißt, bereits das Schwert gezogen haben, und da es nach den Befehlen des Kaisers Keinem von ihnen gestattet wird, nach dem diesseitigen Ufer zurückzukehren.«

»Ach! ach!« sagte Bertha, »wie ändert sich doch die Welt! Der Sohn Waltheoffs war einst tapfer, hülfreich, kühn und edelmüthig. So stellte ich mir ihn vor während der Trennung. Ich habe ihn wiedergefunden, und er ist bedächtig, kalt und selbstsüchtig!«

»Still, Mädchen,« sagte der Waräger, »und lerne Den, von dem du sprichst, kennen, ehe du ihn beurtheilst. Die Gräfin von Paris ist so, wie ich es gesagt habe, doch laß sie kühn in den Schranken erscheinen, und wenn die Trompete zum Drittenmal tönt, soll eine andere antworten, die die Ankunft ihres Gemahls verkündigt, um an ihrer Stelle zu kämpfen, oder im Fall er nicht erscheinen könnte – will ich ihr ihre Güte gegen dich vergelten und seine Stelle vertreten.«

»Willst du? willst du das gewiß?« sagte das Mädchen; »das gleicht dem Sohne Waltheoffs! Ich will heim, und meine Herrin trösten; wenn Gott je den Ausgang eines Kampfes gelenkt hat, so wird er es hier thun. Doch du ließest mich merken, daß der Graf hier ist – daß er in Freiheit ist – sie wird darüber mehr wissen wollen.«

»Es genüge ihr zu wissen,« versetzte Hereward, »daß sich ihr Gemahl in den Händen eines Freundes befindet, der ihn vor seinen eignen Ausschweifungen und Thorheiten bewahren wird, und der, wenn er auch eigentlich nicht Freund genannt werden kann, jedenfalls wenigstens nicht als Feind gegen ihn gehandelt hat und handeln wird. – Und nun lebe wohl, du lang entbehrte – stets geliebte!« – – Ehe er weiter reden konnte, hatte sich die junge Sächsin nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihm Dank zu sagen, in seine Arme geworfen, und ihm ihrer jüngsten Sprödigkeit ungeachtet ihren Dank auf die Lippen gedrückt.

Sie trennten sich: Bertha kehrte zu ihrer Herrin zurück, die sie unter Angst und Gefahr zurückgelassen hatte, und Hereward verließ den Ort durch das Thor, wo die Negerin stand, die dem schönen Waräger Glück wünschte, und ihm dadurch zu verstehen gab, daß ihr der Auftritt mit der schönen Sächsin nicht entgangen wäre. Ein Goldstück, der Theil eines reichen Geschenkes, reichte hin, ihre Zunge zu fesseln; und der Kriegsmann, der jetzt die Gärten des Philosophen hinter sich hatte, eilte nach seiner Caserne, so sehr er konnte: denn es schien ihm hohe Zeit, den Grafen Robert, der den ganzen Tag ohne Essen geblieben war, mit dem Nothwendigen zu versehen.

Es ist eine allgemeine Bemerkung, daß der Hunger, wenn er nicht von einer heiteren und angenehmen Stimmung begleitet ist, die Gefühle des Zorns und des Unwillens sehr gerne aufregt. Darum kann es nicht befremden, daß Graf Robert, der so lange ohne Nahrung geblieben war, Hereward mit einer Uebellaune empfing, die übertrieben, und für den ehrlichen Waräger, der an diesem Tage mehrmals sein Leben für die Gräfin und den Grafen selbst ausgesetzt hatte, gewiß beleidigend war.

»Sieh' doch!« sagte er zu ihm mit dem kalten, spöttischen Ausdruck, in den ein Vornehmer seinen Unwillen gegen einen Geringeren zu kleiden pflegt – »du bist mir ein gastlicher Wirth! – Zwar ist nichts daran gelegen; aber wahrhaftig, ein Graf des allerchristlichsten Königreichs speist nicht jeden Tag bei einem Miethsoldaten, und dürfte, wenn auch keinen Aufwand, doch eine nothdürftige Bewirthung erwarten.«

»Es scheint, o allerchristlichster Graf,« versetzte der Waräger, »daß Vornehme, wie Ihr, wenn sie freiwillig oder gezwungen bei Leuten meines Standes einkehren, sich begnügen, und statt die Knauserei ihres Wirthes zu tadeln, die Schwierigkeit der Umstände bedenken sollten, wenn es in vierundzwanzig Stunden nur einmal zu essen gibt.« Als er dies gesagt hatte, klatschte er in die Hände, und sein Diener Edrich trat herein. Der Graf stutzte beim Eintritt eines Dritten in seinen Versteck. Hereward beruhigte ihn, und sagte: »Ich bürge für diesen Mann;« dann wandte er sich zu dem Diener mit den Worten: »Edrich, was hast du zu essen für den edlen Grafen?«

»Nichts als die kalte Pastete,« versetzte der Diener, »die Ihr beim Frühstück nicht schlecht mitgenommen habt.«

Der Diener brachte nun auf einen Wink eine große Pastete herbei, die jedoch bereits am Morgen einen heftigen Angriff bestanden hatte, so daß der Graf Robert von Paris, der gleich allen normannischen Edlen beim Essen etwas eklig war, im Zweifel stand, ob er dem Hunger nachgeben sollte; da er jedoch die Schüssel genauer betrachtete, und noch ganz unberührte Ecken fand, so fing er an zu essen, und ein zwanzigstündiges Fasten ließ ihm die Pastete vortrefflich schmecken. Nachdem er weidlich in die Pastete eingehauen hatte, machte er eine Pause, und faßte eine Flasche starken, rothen Weins, die einladend neben ihm stand. Ein tüchtiger Zug vermehrte die gute Laune, in die er sich gegen Hereward versetzt fühlte, nachdem der Unwille von ihm gewichen war.

»Nun, beim Himmel!« sagte er, »ich sollte mich schämen, daß ich selbst die Höflichkeit nicht besitze, die ich Andern lehren will! Hier sitze ich, und verschlinge wie ein flämischer Bauer die Speisen meines gastlichen Wirths, ohne ihm nur einen Platz an seinem eigenen Tisch anzubieten!«

»O, ich will keine Umstände machen,« sagte Hereward, und nachdem er mit der Hand die Pastete gefaßt hatte, fiel er mit Hast und Gewandtheit über den Inhalt her. Der Graf verließ den Tisch aus Ekel zum Theil über das rohe Benehmen Herewards, der jedoch, nachdem er seinen Diener Edrich an den Tisch gerufen hatte, zeigte, daß er sich dem Grafen gegenüber noch Zwang angethan hatte: denn mit dem Beistand seines Dieners machte er nun der Pastete völlig den Garaus. Graf Robert wagte es endlich, eine Frage zu thun, die ihm seit Herewards Rückkehr auf den Lippen geschwebt hatte.

»Hast du durch deine Nachforschungen, wackerer Freund, nichts Weiteres von meinem treuen Weibe, der unglücklichen Brenhilda, erfahren?«

»Nachrichten hab' ich,« sagte der Angelsachse; »doch ob sie gut oder böse sind, müßt Ihr selbst entscheiden. Sie hat sich, wie Ihr wißt, verbindlich gemacht, mit dem Cäsar in den Schranken zu kämpfen, jedoch unter Bedingungen, die Euch vielleicht seltsam erscheinen werden; sie hat sich jedoch denselben ohne Bedenken gefügt.«

»Laß mich diese Bedingungen wissen,« sagte der Graf von Paris; »sie werden, glaub' ich, in meinen Augen weniger seltsam sein, als in den deinigen.«

Doch während er dies mit der größten Kälte sagte, verriethen die blitzenden Augen und die feurigen Wangen des Ehemannes seine innere Aufregung. »Die Gräfin und der Cäsar,« sagte Hereward, »wie Ihr selbst gehört habt, werden zusammen kämpfen; wenn die Gräfin siegt, so bleibt sie die Gemahlin des edlen Grafen von Paris; wenn sie verliert, so wird sie die Geliebte des Cäsars Nicephorus Briennius.«

»Das sollen alle Engel und Heiligen verhüten,« sagte Graf Robert; »würden sie dem Verrath einen solchen Triumph gestatten, so müßte man an ihrem Dasein zweifeln!«

»Doch scheint es mir nöthig,« sagte der Angelsachse, »daß wir Beide und andere Freunde, wenn wir solche finden können, am Morgen des Kampfes gewappnet in den Schranken erscheinen. Sieg oder Niederlage hängt vom Schicksal ab; doch was wir zu bezeugen nicht verfehlen können, ist, ob man bei dem Kampfe redlich verfährt oder nicht, da, wie Ihr selbst erfahren habt, Redlichkeit oft schändlich in diesem griechischen Reich verletzt wird.«

»Unter dieser Bedingung,« sagte der Graf, »und mit dem Versprechen, daß mich selbst die äußerste Gefahr meiner Dame nicht veranlassen soll, einen redlichen Kampf zu unterbrechen, will ich in den Schranken erscheinen, wenn du, wackerer Sachse, mir die Möglichkeit verschaffst, es zu thun. – Doch halt,« fuhr er nach einem kurzen Nachsinnen fort, »du sollst sie es nicht wissen lassen, daß ihr Graf auf dem Plan ist, noch weniger sollst du ihr denselben unter der Menge der Krieger bezeichnen. O, du weißt nicht, daß der Anblick der Geliebten uns oft den Muth raubt, wenn wir ihn gerade am meisten brauchen.«

»Wir wollen sehen,« sagte der Waräger, »daß wir das Ding nach deinem Wunsche ordnen, so daß du nichts mehr daran auszusetzen habest; aber, auf mein Wort! eine so verworrene Geschichte sollte nicht durch die ausgespitzten Grillen deiner Ritterlichkeit noch verwirrter gemacht werden. Vieles muß indessen noch diese Nacht geschehen, und während ich deßhalb ausgehe, wird's das Beste für dich sein, hier zu bleiben in einer Verkleidung und bei einer Verköstigung, wie sie Edrich herbeischaffen kann. Fürchte nichts von der Zudringlichkeit deiner Nachbarn. Wir Waräger achten gegenseitig unsere Geheimnisse, von welcher Art dieselben auch sein mögen.«

 

Ende des zweiten Theils.



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