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Sechstes Kapitel.

Mit eisenköpf'gen Narren gebt zu thun mir
Und tollgesinnten Buben; laßt mir fern
Die, welche mich mit ruh'gem Aug' durchschau'n; –
Aus Ehrgeiz wird bedächtig Buckingham.

Richard III.

Nachdem sich Beide getrennt hatten, stellte der Kaiser und der Philosoph jeder seine ängstliche Betrachtung über die gehabte Unterredung an, Betrachtungen, die sich in hingeworfenen Sätzen und Wörtern äußerten, und die etwa folgenden Inhalt hatten.

»So hat es denn,« murmelte Alexius so leise, daß es die Diener der Garderobe, die zugegen waren, nicht verstehen konnten, »so hat es also dieser Bücherwurm, dies Ueberbleibsel von einem alten heidnischen Philosophen, der, Gott steh' mir bei, schwerlich den christlichen Glauben kennt, so gut zu machen gewußt, daß er seinen Kaiser zur Verstellung zwingt. Als Hofnarr begann er, sich in alle Geheimnisse einzuschleichen, dann machte er sich zum Lenker aller Ränke, verschwor sich mit meinem eigenen Schwiegersohn gegen mich, verführte meine Leibwache – und wirklich ist sein Truggewebe so gut gewoben, daß ich meines Lebens nur so lange sicher bin, als er mich für den kaiserlichen Schöps hält, den ich ihm vorspiele, um ihn zu täuschen; ein Glück, daß ich durch das Mittel, durch welches ich seinem Argwohn entgehe, auch dem Ausbruch seiner Gewaltthätigkeit begegnen kann. Doch wäre der Sturm dieses Kreuzzugs glücklich vorbei, der undankbare Cäsar, der feige Prahler Achilles Tatius und diese Busenschlange da sollten sehen, ob sie den Alexius Comnenus am Narrenseil führen dürften.« Dies sagend, überließ er sich den Dienern seiner Garderobe, die ihn für die Feierlichkeit passend ausschmückten.

»Ich traue ihm nicht,« sagte Agelastes, dessen Geberden und Ausrufungen wir ebenfalls erklären und vervollständigen wollen. »Ich kann und will ihm nicht trauen – er übertreibt etwas seine Rolle. Er hat bei anderen Anlässen den feinen Verstand der Comnenen gezeigt; und nun glaubt er, daß seine nachgeahmten Löwen auf so ein verschmitztes Volk wie Franken und Normannen wirken sollen, und scheint, den Charakter von Männern durch mich kennen lernen zu wollen, mit denen er lange in Krieg und Frieden in Beziehung stand. Dies kann er nur thun, um mein Vertrauen zu gewinnen; auch schienen mir seine halben Blicke und abgebrochenen Sätze zu sagen: Agelastes, der Kaiser kennt dich, und trauet dir nicht. Doch die Verschwörung geht unentdeckt vorwärts, so weit sich's urtheilen läßt; und wollte ich mich jetzt zurückziehen, so wäre ich für immer verloren. Noch ein wenig Zeit brauche ich, diesen Franken in den Plan zu ziehen; durch den Beistand dieses Tapferen werden wir den Alexius zwingen, die Krone mit dem Kloster oder einer noch engeren Zufluchtsstätte zu vertauschen; und dann, Agelastes, würdest du verdienen, aus der Liste der Philosophen gestrichen zu werden, wenn du nicht diesen tückischen sinnlichen Cäsar ausstechen, als ein zweiter Marcus Antoninus den Thron besteigen, und durch eine weise Regierung der Welt, die so lange von Tyrannen und Wollüstlingen unterdrückt war, den Ursprung deiner Macht vergessen machen könntest. Also an's Werk – handle und wache. Die Zeit will es so, und der Ruhm verdient es.«

Während ihm diese Gedanken durch den Kopf fuhren, legte er mit Hülfe des Diogenes einen reinen Anzug von der gewöhnlichen einfachen Art an, worin er am Hofe zu erscheinen pflegte, einen Anzug, der so wenig für einen Thronbewerber paßte, als er mit den prachtvollen Kleidern, die Alexius gerade anlegte, den strengsten Gegensatz bildete.

Der Graf von Paris und seine Dame legten ihre besten Anzüge an, die sie auf der Reise für solche Gelegenheiten bestimmt hatten. Selbst in Frankreich ward Graf Robert selten in der friedlichen Federmütze und dem langen faltigen Mantel gesehen, den die Ritter in Friedenszeiten trugen. Er hatte nun eine glänzende Rüstung angelegt, und nur der Kopf war unbedeckt geblieben, ausgenommen von den eigenen Locken. Der ganze übrige Körper stak in einem Panzer von Kettenwerk, auf welchem das reichlich eingelegte Silber mit dem blau angelaufenen Stahle abstach. Er trug seine Sporen an den Füßen, sein Schwert an der Seite, und an seinem Nacken hing sein dreieckiger, mit vielen Lilien bemalter Schild, die in späteren Zeiten auf drei herabgesetzt wurden, und der Schrecken Europa's waren, bis sie in unseren Tagen so manchen Sturm zu erleiden hatten.

Die außerordentliche Körpergröße des Grafen Robert paßte zu einem Anzug, der weniger große Personen zwerghaft und dick erscheinen ließ, wenn sie von Kopf bis zu den Füßen gerüstet waren. Das Gesicht, in dem sich Zuversicht und Gleichmuth ausdrückten, war mit der wohlgebildeten und kräftigen Gestalt in vollkommner Uebereinstimmung. Der Anzug der Gräfin war weniger kriegerisch; doch waren ihre Röcke kurz und aufgeschürzt wie bei Personen, die sich schnell bewegen wollen. Der obere Theil der Kleidung bestand aus mehr als einer Tunica, die eng auf dem Leibe saßen, während eine reiche und geschmackvolle Stickerei, die von dem Gürtel bis zu den Waden herablief, einen Anzug vollendete, den noch in weit späteren Zeiten eine Dame hätte tragen mögen. Eine leichte Stahlhaube bedeckte ihre Locken, von denen einige frei ihr Gesicht umspielten und ihre schönen Züge milder erscheinen ließen, als es der Fall gewesen sein möchte, wenn sie von dem bloßen Stahl eingefaßt worden wären. Ueber diesen Anzug war ein dunkelgrüner Sammetmantel geworfen, der, mit breiten Tressen besetzt und mit einer Schleppe versehen, von dem Kopf herablief, wo eine Art von Capuze leicht den Helm bedeckte. Ein reich verzierter Dolch schmückte einen kostbaren goldnen Gürtel, und war die einzige Angriffswaffe, welche die Heldin bei dieser Gelegenheit trug.

Die Toilette der Gräfin, wie man heute sagen würde, war nicht ganz so schnell beendigt wie die des Grafen Robert, der sich, wie Ehrenmänner aller Zeiten zu thun pflegen, die Zeit damit vertrieb, in sauersüße Klagen über die Zeitverschwendung, die sich die Frauen beim Aus- und Anziehen zu Schulden kommen lassen, auszubrechen. Aber als die Gräfin Brenhilda aus ihrem Ankleidezimmer mit jedem Reiz der Lieblichkeit heraustrat, drückte sie ihr Gemahl, der immer noch ihr Liebhaber war, an seine Brust, und machte sein Vorrecht durch einen Kuß geltend, den er als von Rechtswegen von dem schönen Geschöpfe nahm. Seine Thorheit scheltend, doch den Kuß zurückgebend, begann Brenhilda besorgt zu werden, wie sie ihren Weg zu dem Kaiser finden sollten.

Das Räthsel war bald gelöst; ein leises Klopfen an der Thüre kündete Agelastes an, welchem der Kaiser wegen seiner Bekanntschaft mit den fränkischen Sitten den Auftrag gegeben hatte, die edlen Fremdlinge einzuführen. Ein entfernter Ton, der wie Löwengebrüll lautete, bezeichnete den Anfang der Ceremonie. Die schwarzen Sclaven der Wache, die, wie bemerkt worden ist, in geringer Anzahl zugegen waren, standen in ihren weißen und goldenen Staatskleidern da, in einer Hand den bloßen Säbel, in der anderen eine Wachskerze haltend, um den Grafen und die Gräfin nach dem Innern des Pallastes und dem ehrwürdigen Audienzsaale zu geleiten.

Die Thüre dieses sanctum sanctorum war niedriger als gewöhnlich; es war dies der Kunstgriff eines fanatischen Hofbedienten, der den hochgestalteten Franken zwingen wollte, sich bei seinem Erscheinen vor dem Kaiser zu bücken. Als die Thüre aufflog, und Robert im Hintergrunde den Kaiser auf dem Throne sitzen sah, von einem Lichtmeer umgeben, das sich in den Edelsteinen, die den kaiserlichen Ornat bedeckten, tausendfach brach und wiederstrahlte, blieb er plötzlich stehen und fragte, warum man ihn durch eine so niedrige Thüre führe. Agelastes deutete auf den Kaiser, um sich einer Frage zu überheben, die er nicht hätte beantworten können. Der Stumme, um sich für sein Schweigen zu entschuldigen, öffnete den Mund, und zeigte den Verlust seiner Zunge.

»Heilige Jungfrau!« sagte die Gräfin, »was mochte dieser arme Afrikaner gethan haben, um eine so fürchterliche Strafe zu verdienen?«

»Die Stunde der Vergeltung ist vielleicht gekommen,« sagte der Graf unwillig, während Agelastes mit aller Eile, die Zeit und Ort erlaubte, hineintrat, seine Niederwerfungen und Kniebeugungen verrichtete, wenig daran zweifelnd, daß der Franke ihm folgen und, um es thun zu können, seine Gestalt beugen müsse vor dem Kaiser. Aber der Graf, unwillig über den ihm gespielten Streich, drehte sich um, und trat mit dem Rücken zuerst in das Audienzzimmer; auch zeigte er dem Kaiser nicht eher das Gesicht, als bis er die Mitte des Gemachs erreicht hatte, und die Gräfin zu ihm getreten war, die sich auf eine anständigere Weise genähert hatte. Der Kaiser, welcher die erwartete Huldigung des Grafen allergnädigst entgegenzunehmen gesonnen war, befand sich jetzt in einer noch unangenehmeren Lage als am Morgen, wo dieser hartnäckige Franke den kaiserlichen Thron usurpirt hatte.

Die umstehenden Hofleute waren, obgleich ausgewählt, zahlreicher als gewöhnlich, da man nicht zu Rath sondern zum Staat versammelt war. Diese nahmen einen Ausdruck von Unwillen und Verlegenheit an, wie es am besten zur Bestürzung des Kaisers passen mochte, während das pfiffige Gesicht des normannischen Italiäners, Bohemunds von Antiochien, der ebenfalls zugegen war, eine seltsame Mischung von Freude und Hohn ausdrückte. Bei solchen Gelegenheiten ist es das böse Schicksal des Schwächeren oder Furchtsameren, daß er gezwungen wird, das Auge zuzudrücken, gleichsam als wenn er das nicht sehen könne, was er nicht zu rächen vermag.

Alexius gab das Zeichen, daß die Ceremonie des großen Empfangs alsbald beginnen sollte. Sogleich erhoben die salomonischen Löwen, die erst neulich gereinigt worden waren, die Köpfe, schüttelten die Mähnen, wedelten mit dem Schweif, bis sie die Einbildung des Grafen Robert, die durch den Empfang schon in Feuer gesetzt war, dergestalt erhitzten, daß er das Brüllen der Automaten für ein gewisses Zeichen zum Angriff nahm. Ob die Löwen, deren Gestalt er sah, leibhaftige Könige der Wälder, oder ob sie verzauberte Menschen oder die Werke eines Künstlers wären, darnach fragte der Graf gar nichts. Er fand die Gefahr seines Muthes würdig; und sein Herz war keinen Augenblick unentschieden. Er ging auf den nächsten Löwen zu, der eben aufspringen zu wollen schien, und schrie ihm laut entgegen: »Wie sieht's denn jetzt aus, Hund!« Zu gleicher Zeit versetzte er der Figur mit geballter Faust und seinem Stahlhandschuh einen so kräftigen Schlag, daß ihr Kopf zersprang, und daß die Stufen und der Teppich des Throns mit Walzen, Federn und anderem Maschinenwerk bedeckt wurden.

Als Graf Robert so die wahre Ursache seines Zornes erkannte, fühlte er sich etwas beschämt, daß er sich bei einer solchen Veranlassung vom Zorn hatte hinreißen lassen. Noch verlegener wurde er, als ihm Bohemund, der von seinem Platz neben dem Kaiser herabstieg, in fränkischer Sprache sagte: »Ihr habt eine Heldenthat vollbracht, wahrhaftig, Graf Robert, indem Ihr den Hof von Byzanz von einem Dinge befreit habt, mit dem man lange alberne Kinder und unlenksame Barbaren zu schrecken pflegte!«

Des Eifers größter Feind ist der Spott. »Warum,« sagte Graf Robert, indem er zugleich tief erröthete, »wollten sie ihre Schreckbilder bei mir anwenden? Ich bin weder ein Kind noch ein Barbar.«

»Darum zeigt Euch dem Kaiser als einen verständigen Mann,« antwortete Bohemund. »Sagt etwas zur Entschuldigung Eures Betragens, und zeigt ihm, daß unsere Tapferkeit nicht unseren Menschenverstand über den Haufen rennt. Und noch eins merkt Euch, weil ich doch gerade mit Euch rede – folgt ja meinem Beispiele beim Abendessen – Ihr und Euer Weib!« Diese Worte wurden mit vielem Nachdruck im Ton und in Geberden gesprochen.

Bohemund hatte vermöge der langen Beziehung, worin er in Kriegs- und Friedenszeiten zu dem griechischen Kaiser gestanden war, großen Einfluß auf die anderen Kreuzfahrer, und Graf Robert folgte seinem Rath. Er wandte sich gegen den Kaiser, indem er sich tiefer verbeugte, als er bisher gethan hatte. »Verzeiht mir,« sagte er, »daß ich dieß vergoldete Prachtstück zerbrochen habe; aber fürwahr die Zauberwerke und die Wunderwerke großer und geschickter Künstler sind so zahlreich hier zu Lande, daß man das Wahre von dem Falschen, das Wirkliche von dem Nachgemachten nicht deutlich zu unterscheiden vermag.«

Ungeachtet seiner anerkannten Geistesgegenwart und seines nicht zweideutigen Muthes empfing der Kaiser diese Entschuldigung mit einiger Verlegenheit. Vielleicht könnte man die klägliche Freundlichkeit, mit welcher er des Grafen Entschuldigung anhörte, mit dem Gesichte einer heutigen Dame vergleichen, welcher ein ungeschickter Gast ein kostbares Stück Porzellan zerbricht. Er murmelte etwas von Maschinen, die in der kaiserlichen Familie lange Zeit aufbewahrt worden wären, da sie nach dem Muster derer gemacht worden seien, die den Thron des weisen Königs der Juden bewacht hätten; wogegen der offenherzige Graf frei den Zweifel äußerte, ob der weiseste Fürst der Welt sich je dazu hätte verstehen können, seine Unterthanen und Gäste durch das nachgemachte Brüllen hölzerner Löwen zu schrecken. »Wenn ich,« sagte er, »zu voreilig gewesen bin, so habe ich auch den größten Schaden davon, da ich meinen kostbaren Handschuh an dem Holzkopf zerschlagen habe.«

Nachdem noch Einiges über diesen Gegenstand geredet worden war, that der Kaiser den Vorschlag, nach dem Speisesaal zu ziehen. Von dem kaiserlichen Truchseß geführt, und von allen Anwesenden, den Kaiser und die Glieder der kaiserlichen Familie ausgenommen, begleitet, gingen die fränkischen Gäste durch ein Labyrinth von Gemächern, die mit natürlichen und künstlichen Wunderwerken angefüllt waren, um ihnen einen Begriff von dem Reichthum und der Größe dessen einzuflößen, der so viele Kostbarkeiten zusammengebracht hatte. Da sich der Zug nur langsam und unter Pausen fortbewegte, so hatte der Kaiser Zeit, seine Kleider zu wechseln, da er nach der Hofregel nicht zweimal in dem nämlichen Anzug vor denselben Zuschauern erscheinen konnte. Er ließ den Agelastes in seine Nähe fordern, und damit ihre Unterredung geheim bliebe, bediente er sich beim Anziehen der Hülfe jener Stummen, die im Innern des Pallastes dienten.

Alexius Comnenus war in seinem Inneren bedeutend aufgeregt, obgleich es seine Lage heischte, alle Gemüthsbewegungen zu verbergen, und in Gegenwart seiner Unterthanen eine Leidenschaftslosigkeit zu zeigen, die ihm sehr fremd war. Im Tone des ernsten Vorwurfs that er darum die Fragen: »Durch wessen Schuld geschah es, daß dieser verschmitzte Halbitaliäner und Halbasiate Bohemund bei der Audienz zugegen war? Gewiß, wenn Einer im Kreuzheer fähig war, diesen tollen Jungen und sein Weib hinter den Vorhang der Feierlichkeit, durch welche wir auf Beide wirken wollten, sehen zu lassen, so war es dieser Fürst von Antiochien, wie er sich nennt.«

»Wenn ich antworten darf und leben,« sagte Agelastes, »der alte Michael Cantacuzene war schuld, welcher glaubte, daß die Gegenwart Bohemunds sehr gewünscht werde; aber er kehrt noch diesen Abend in's Lager zurück.«

»Gewiß,« sagte Alexius, »um Gottfried und die anderen Kreuzfahrer zu benachrichtigen, daß einer ihrer Vornehmsten und Tapfersten mit seinem Weibe in unserer Hauptstadt als Geisel zurückgeblieben ist, und um uns vielleicht alsbald eine Kriegserklärung zurückzubringen, wenn wir dieselben nicht freilassen!«

»Wenn Ew. kaiserliche Hoheit dies glaubt,« sagte Agelastes, »so könnt Ihr den Grafen Robert und sein Weib mit diesem normannischen Italiäner in's Lager zurückkehren lassen!«

»Was?« antwortete der Kaiser, »sollen wir so alle Früchte eines Unternehmens verlieren, das uns schon so viel Geld gekostet hat, und das, wenn unser Herz aus gemeinem Stoffe wäre, uns so viel Angst und Verdruß gekostet haben würde? Nein, nein; benachrichtige die Kreuzfahrer, die noch diesseits stehen, daß wir ihnen die weitere Huldigung erlassen, und daß sie morgen bei Tagesanbruch an den Hafendämmen des Bosporus zu erscheinen haben. Laß unseren Admiral bei seinem Kopf vor Mittag einen jeglichen nach der anderen Seite übersetzen. Bewirthet sie, bereitet ein fürstliches Mahl auf dem anderen Ufer – thut Alles, damit sie ihren Uebergang beschleunigen. Ist dies vollbracht, Agelastes, so wollen wir der übrigen Gefahr begegnen, indem wir diesen Bohemund bestechen, oder den Kreuzfahrern Trotz bieten. Ihre Kräfte sind getheilt, und ihr Oberanführer mit den anderen Führern oder wenigstens der Mehrzahl derselben befindet sich am östlichen Ufer des Bosporus – Und nun zur Tafel! unser Anzug ist hinreichend gewechselt, um den Statuten des Hofs zu genügen, da es unseren Vorfahren gefallen hat, Vorschriften darüber zu machen, wie wir uns unseren Unterthanen zeigen sollen, gleichwie Priester ihre Bilder an den Altären vorzeigen.«

»Gewährt mir das Leben,« sagte Agelastes, »das ist nicht ohne weise Absicht geschehen, sondern damit der Kaiser, vom Vater zum Sohn immer von den nämlichen Gesetzen beherrscht, immer als über die gewöhnlichen Gesetze der Menschen erhaben betrachtet werden möchte – mehr als das himmlische Bild eines heiligen denn als ein sterbliches Wesen.«

»Wir wissen es, guter Agelastes,« antwortete der Kaiser mit einem Lächeln, »und es ist uns ebenfalls nicht unbekannt, daß uns manche unserer Unterthanen, die den Verehrern des Bal in der heil. Schrift gleichen, insofern als ein Bild behandeln, als sie uns die Einkünfte unserer Provinzen, die in unserem Namen und zu unserem Nutzen gesammelt werden, verzehren helfen. Doch diese Dinge berühren wir jetzt nur nebenbei, sie sind jetzt nicht an der Zeit.«

Nachdem Alexius den Befehl zur Ueberschaffung der Kreuzfahrer in der gehörigen Form und mit der geheiligten kaiserlichen Canzleidinte geschrieben und unterzeichnet hatte, hob er die geheime Conferenz auf.

Unterdessen war die übrige Gesellschaft in einer Halle angekommen, die gleich den anderen Gemächern des Pallastes sehr geschmackvoll und prächtig eingerichtet war, ausgenommen daß eine Tafel, die ein fürstliches Mahl enthielt, insofern für geschmacklos hätte gelten können, als die Schüsseln, die an sich sehr kostbar waren und die kostbarsten Gerichte enthielten, auf Füßen standen, um sowohl den beim Mahle sitzenden Frauen als den liegenden Männern in gleichem Maaße zur Hand zu sein.

Ringsumher standen eine Anzahl schwarzer Sclaven in reicher Kleidung, während der Truchseß Michael Cantacuzene die Gäste mit seinem goldenen Stab ordnete, und ihnen durch Zeichen andeutete, um die Tafel herum bis auf ein weiteres Zeichen stehen zu bleiben.

Das obere Ende der also bedeckten und umstellten Tafel war von einem Vorhang von Muslin und Silber bedeckt, der von dem Gewölbe herabhing, unter dem das obere Ende zu stehen schien. Der Truchseß sah aufmerksam nach diesem Vorhang, und als er ihn leicht bewegt sah, schwang er seinen Amtsstab, und Jedermann erwartete den Erfolg.

Der geheimnißvolle Vorhang erhob sich wie von selbst, und enthüllte einen prachtvoll ausgeschmückten Thron, der um acht Stufen höher war als die Tafel. Vor dem Throne stand ein mit Silber ausgelegter elfenbeinerner kleiner Tisch, hinter welchem Alexius Comnenus in einem Anzuge saß, der ganz von seinem früheren verschieden und so ausgezeichnet prächtig war, daß es gar nicht unnatürlich schien, wenn sich seine Unterthanen vor ihm niederwarfen. Sein Weib, seine Tochter und sein Schwiegersohn standen hinter ihm gesenkten Blickes, und es war mit aller Demuth, daß sie auf das Geheiß des Kaisers die Stufen hinabstiegen, sich unter die Gäste der niedrigen Tafel mischten, und trotz ihres Ranges erst auf das Zeichen des Truchseß ihre Plätze einnahmen. Demnach theilten sie weder das Mahl des Kaisers, noch saßen sie an der kaiserlichen Tafel, wiewohl sie in der Nähe desselben speiseten, und wiederholt von ihm aufgefordert wurden, sich's gut schmecken zu lassen. Keine Schüssel von der niedrigen Tafel wurde an der höheren dargeboten; aber Weine und seltnere Speisen, die vor dem Kaiser wie durch Zauberei erschienen, und zu seinem Gebrauch bestimmt zu sein schienen, wurden auf sein Geheiß diesen oder jenen Gästen zugesandt, die Alexius ehren wollte – und das waren vorzüglich die Franken.

Das Betragen Bohemunds war bei dieser Gelegenheit vorzüglich beachtenswerth.

Graf Robert, der wegen seiner jüngsten Rede und eines wiederholt gegebenen bedeutenden Winks kein Auge von ihm verlor, bemerkte, daß dieser verschlagene Fürst weder Speise noch Trank genoß, selbst wenn sie ihm von des Kaisers eigenem Tische zugeschickt worden waren. Ein Stück Brod, auf Gerathewohl aus dem Korbe genommen, und ein Glas Wasser war Alles, was er sich gönnte. Seine Entschuldigung war das heil. Adventsfest, das diese Nacht zufällig eintrat, und das Griechen und Lateiner auf gleiche Art heilig hielten.

»Ich hätte es nicht von Euch erwartet, Herr Bohemund,« sagte der Kaiser, »daß Ihr meine Gastlichkeit gerade an dem Tage ausschlagen würdet, wo Ihr mich beehrt habt, für das Fürstenthum Antiochien mein Vasall zu werden.«

»Antiochien ist nicht erobert,« sagte Bohemund; »und das Gewissen, verehrtester Herrscher, macht bei allen unseren weltlichen Verträgen seinen Vorbehalt.«

»Wohlan, edler Graf,« sagte der Kaiser, der in der Enthaltsamkeit Bohemunds mehr Argwohn als Frömmigkeit erblickte, »wir laden, obwohl dies nicht Sitte bei uns ist, unsere Kinder, unsere edlen Gäste und unsere anwesenden Kronbeamten zu einem allgemeinen Trunke ein. Füllet die Becher, welche die neun Musen heißen! füllet sie bis zum Rande mit dem Wein, der für die kaiserlichen Lippen bestimmt ist!«

Auf den Befehl des Kaisers wurden die Becher gefüllt; sie waren von lauterem Golde, und auf einem jeden war das Bild einer Muse künstlich eingegraben.

»Ihr wenigstens, edler Graf Robert,« sagte der Kaiser, »und Eure reizende Gemahlin werdet kein Bedenken haben, Eurem kaiserlichen Wirthe Bescheid zu thun?«

»Wenn dies Bedenken auf einem Argwohn gegen die Lebensmittel, die hier aufgetragen werden, beruhen sollte, so würde ich es verschmähen,« sagte Graf Robert. »Wenn es Sünde ist, diesen Abend Wein zu trinken, so ist es eine verzeihliche, und wenn ich sie auf mich nehme, so werde ich die Last meiner Vergehungen, die ich zur nächsten Beichte trage, nicht sehr vergrößern.«

»Nun, Fürst Bohemund, wollt Ihr dem Beispiel Eures Freundes nicht folgen?« sagte der Kaiser.

»Mich dünkt,« versetzte der normannische Italiäner, »mein Freund hätte besser gethan, dem meinigen zu folgen; doch wie es ihm gefällt. Der Duft dieses köstlichen Weines ist mir genug.«

So sprechend, leerte er den Becher in ein anderes Gefäß, und schien abwechselnd die schöne Arbeit zu bewundern und den Duft des darin enthalten gewesenen Weines einzuschlürfen.

»Ihr habt Recht, Herr Bohemund,« sagte der Kaiser; »die Arbeit des Bechers ist herrlich, und rührt von einem alten griechischen Künstler her. Der berühmte Becher des Nestor, den uns Homer beschrieben hat, war vielleicht viel größer, aber an Werth und künstlicher Arbeit erreichte er diese Becher nicht. Darum biete ich jedem meiner fremden Gäste den Becher, aus dem sie getrunken oder nicht getrunken haben, als ein Andenken von mir an, und möge ihr Feldzug gegen die Ungläubigen so günstig ausfallen, wie es ihre Zuversicht und ihr Muth verdienen!«

»Wenn ich Euer Geschenk annehme, mächtiger Kaiser,« sagte Bohemund, »so geschieht es bloß, um Euch zu zeigen, daß wir uns nur aus Frömmigkeit weigern, Euch beim Trinken Bescheid zu thun, und daß wir übrigens im besten Vernehmen von einander gehen.«

Dies sagend, verbeugte er sich tief vor dem Kaiser, der ihm mit einem Lächeln antwortete, das nicht frei war von einer bitteren Beimischung.

»Und ich,« sagte der Graf von Paris, »der ich es auf mich genommen habe, auf Euren kaiserlichen Zuspruch zu erwidern, möchte mich entschuldigt haben, wenn ich Eure Tafel dieser kostbaren Trinkgeschirre nicht berauben mag. Wir leeren sie auf Eure Gesundheit, und wir wollen keinen anderen Nutzen von ihnen haben.«

»Aber Fürst Bohemund will es,« sagte der Kaiser; »man bringe sie, durch Euren Gebrauch geheiligt, nach seinem Quartier. Für Euch aber und Eure schöne Gräfin haben Wir noch eine Anzahl, welche die der Grazien, wenn auch nicht mehr die der Jungfrauen des Parnassus erreicht. – Die Abendglocke läutet, und fordert Uns auf, der Ruhe zu gedenken, damit Wir morgen zu Unseren Geschäften bereit seien.«

Die Gesellschaft brach auf. Bohemund verließ den Pallast, ohne die Musen zu vergessen, von denen er sonst kein großer Verehrer war. Was der listige Grieche beabsichtigt hatte, war erreicht: er hatte zwischen Bohemund und dem Grafen, wenn auch keinen Zwist doch eine Art Spannung erregt: Bohemund fühlte, daß der feurige Graf von Paris sein Betragen für gemein und schmutzig halten müsse, während Graf Robert weit weniger als vorher geneigt war, in ihm einen Rathgeber anzuerkennen.



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