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Siebentes Kapitel.

Der Graf von Paris und seine Dame erhielten ein Nachtquartier in dem kaiserlichen Blachernä-Pallaste. Ihre Zimmer stießen zusammen, die Verbindung wurde aber durch das Verschließen und Verriegeln der gemeinschaftlichen Thüre für diese Nacht aufgehoben. Sie verwunderten sich etwas über diese Anstalt. Die Einhaltung des kirchlichen Festes jedoch wurde als eine zulässige Entschuldigung dieser seltsamen Maßregel angenommen. Weder der Graf noch seine Gemahlin hegten die geringste Furcht, ob ihnen etwas Böses begegnen könne. Nachdem Marcian und Agatha ihrer Herrschaft die gewöhnlichen Dienste geleistet hatten, gingen sie weg, um ihre Ruheplätze zu suchen, die ihnen unter Personen ihres Standes angewiesen worden waren.

Am vergangenen Tage hatte es an Unruhe, Bewegung und Aufregung nicht gefehlt; vielleicht war auch der für die kaiserlichen Lippen auserwählte Wein, von dem Graf Robert zwar nur ein Mal, aber einen guten Zug getrunken hatte, stärker als der lieblich duftende Saft der gascogner Reben, an den er gewöhnt war; genug, es kam ihm vor, daß, die Zeit, die er durchschlafen habe, gerechnet, das Tageslicht bereits in seinem Zimmer hätte sein müssen, als er erwachte, und doch war es noch stockfinster. Etwas betroffen blickte er um sich her, konnte aber nichts sehen als zwei feuerrothe Kugeln, die im Dunkeln leuchteten und den Augen eines wilden Thieres glichen, das seine Beute anstarrt. Der Graf sprang vom Bette, sich zu waffnen, eine sehr nothwendige Maßregel, wenn das, was er sah, wirklich ein wildes Thier in Freiheit war; kaum aber hatte er sich geregt, als sich ein dumpfes Knurren vernehmen ließ, wie es der Graf noch nie gehört hatte, und als Begleitung dazu, das Klirren eiserner Ketten und die Tritte eines Ungeheuers, das nach dem Bette zu sprang, aber wahrscheinlich durch Bande gehindert wurde, das Ziel seines Sprunges zu erreichen. Das Gebrüll wiederholte sich immer rascher. Es war äußerst stark, und mußte im ganzen Pallaste gehört werden. Das Ungeheuer war bereits dem Bette um einige Schritte näher gekommen, was sich vermittelst der feurigen Augen erkennen ließ; aber um wie viel näher es dem Grafen noch kommen müsse, um ihn erreichen zu können, ließ sich nicht ermessen. Graf Robert hörte es athmen, und glaubte die Hitze seines Hauches zu fühlen, während er sich wehrlos vielleicht nicht einmal zwei Schritte weit von dem Rachen befand, dessen Zähne sich an einander wetzten, und von den Krallen, die Splitter aus dem Fußboden von Eichenholz rissen. Der Graf von Paris war einer der tapfersten Männer zu einer Zeit, wo Tapferkeit die Tugend Aller war, die auf einen Tropfen edlen Blutes Anspruch machten, und der Ritter war ein Abkömmling Karls des Großen. Er war indessen ein Mensch, und darum kann nicht gesagt werden, daß er bei dieser unerwarteten und außerordentlichen Gefahr ohne Furcht geblieben sei. Dies war jedoch weder Angst noch Schrecken, sondern das ruhige Bewußtsein einer großen Gefahr, von dem Entschluß begleitet, Alles aufzubieten, um wo möglich sein Leben zu retten. Er hielt sich in dem Bette, das keine Ruhestätte mehr war, in dem er so ein paar Schritte weiter von den feurigen Augen entfernt war, die immer auf ihn gerichtet blieben. Trotz seines Muthes quälte ihn die Vorstellung, daß seine Glieder von den Zähnen irgend eines ungeheuren Raubthieres zerrissen werden würden. Eine einzige Vorstellung war weniger fürchterlich: nämlich das Alles möchte eine Probe des Philosophen Agelastes oder seines Herrn, des Kaisers, sein, um den Muth, dessen sich die Franken rühmten, näher kennen zu lernen, oder um den Grafen für die Beleidigung zu strafen, die er dem Kaiser am vergangenen Tage zugefügt hatte.

»Das Sprüchwort hat recht,« dachte er in seiner Todesangst, »reize den Löwen in seiner Höhle nicht! Vielleicht bedenkt sich in diesem Augenblicke ein schlechter Sclave, ob ich nun Todesangst genug ausgestanden habe, und ob er dem wilden Thiere die Ketten schießen lassen soll, damit es sein Werk vollende. Komme der Tod, wann er will, man soll nie sagen, daß Graf Robert mit Angst und Wehklagen ihn empfangen habe.« Er kehrte sein Gesicht der Wand zu, und erwartete mit großer Fassung den Tod, der ihm nahe sein mußte, wie er muthmaßte.

Seine ersten Empfindungen waren natürlich selbstsüchtiger Art. Die Gefahr war zu dringend und zu schrecklich, um andere Empfindungen aufkommen zu lassen. Als aber seine Vorstellungen klarer wurden, ward er um die Sicherheit seiner Gemahlin besorgt. Was mochte sie jetzt leiden? und während man ihn dieser Probe unterwarf, zu was hatte man ihren zarteren Leib und weiblicheren Muth ausersehen? War sie immer noch in seiner Nähe wie beim Schlafengehen gestern Abend? oder hatten die Barbaren, die mit ihm ein so grausames Spiel trieben, sein und seines Weibes Zutrauen benutzt, um ihr einen ähnlichen Streich zu spielen oder noch einen schlimmeren? Sollte sie schlafen oder wachen, oder konnte sie schlafen bei dem furchtbaren Brüllen, das Alles beben machte? Er entschloß sich, ihren Namen zu rufen, um sie wo möglich zu mahnen, auf ihrer Hut zu sein und zu antworten, ohne jedoch in das Gemach einzudringen, das einen so gefährlichen Gast einschloß.

Er rief also den Namen seines Weibes, aber seine Stimme zitterte, als wenn er gefürchtet hätte, das wilde Thier könne ihn hören.

»Brenhilda! Brenhilda! – wir sind in Gefahr – erwache, und sprich zu mir, aber stehe nicht auf.« Es erfolgte keine Antwort. – »Was ist aus mir geworden,« sagte er zu sich selbst, »daß ich Brenhilda von Aspramonte rufe, wie ein Kind seine schlafende Wärterin, und Alles darum, weil eine wilde Katze bei mir im Zimmer ist? Schäme dich, Graf von Paris! Man soll dir dein Wappen zerreißen und die Sporen von den Füßen hauen! – Heda!« rief er laut, doch immer noch mit zitternder Stimme: »Brenhilda, wir sind verrathen, Feinde über uns! – Antworte mir, doch rühre dich nicht vom Platz.«

Ein dumpfes Knurren des Ungeheuers, das sein Zimmer besetzt hielt, war die einzige Antwort. Der Ton schien zu sagen: »Du hast keine Hoffnung mehr!« und er durchdrang des Ritters Herz wie die wahre Stimme der Verzweiflung.

»Vielleicht bin ich nicht laut genug, um meine Noth zu verkünden. Heda! liebes Weib! Brenhilda!«

Eine hohle und traurige Stimme, gleich der eines Begrabenen, antwortete wie aus der Ferne: »Was für ein verzweifelter Thor bist du, daß du eine lebendige Antwort von der Behausung des Todes begehrst?«

»Ich bin ein Christ, ein freier Edelmann aus dem Königreich Frankreich,« antwortete der Graf. »Gestern stand ich an der Spitze von fünfhundert Mann der Tapfersten von Frankreich, d. h. der Tapfersten aller Lebendigen, und nun bin ich hier ohne einen Lichtschimmer, bei dem ich den Winkel vermeiden könnte, worin der wilde Tiger liegt, der mich zu zerreißen droht.«

»Du bist ein Beispiel des Glückwechsels,« versetzte die Stimme, »und du wirst noch lange nicht das letzte sein. Ich, der ich schon das dritte Jahr hier leide, war jener mächtige Ursel, der sich mit Alexius Comnenus um die Krone Griechenlands bewarb; von meinen Verbündeten verrathen und des Augenlichtes, dieses höchsten Guts der Menschheit, beraubt, bewohne ich diese Gewölbe, der Nachbar der wilden Thiere, deren Aufenthalt sie bisweilen sind, und deren Freudengebrülle ich höre, wenn unglückliche Opfer, gleich mir, ihrer Wuth preisgegeben werden.«

»Vielleicht hast du also gehört,« erwiderte Graf Robert, »daß man letzte Nacht einen ritterlichen Gast und sein Weib unter Hochzeitsmusik hierherführte? – O, Brenhilda! – Mußtest du so jung – so schön – auf so verrätherische Art dem fürchterlichsten Tode überliefert werden!«

»Glaube nicht,« antwortete Ursel, wie sich die Stimme genannt hatte, »daß die Griechen ihre wilden Thiere mit so köstlicher Speise mästeten. Für ihre Feinde, und als solche betrachten sie nicht nur Die, die es wirklich sind, sondern Alle, die sie fürchten oder hassen, haben sie Kerker, deren Riegel sich nie mehr aufthun, glühende Eisen, die den Augapfel im Kopf versengen, Löwen und Tiger, die den Gefangenen ein schleuniges Ende bereiten – aber das Alles gilt nur den männlichen Gefangenen. Was die Weiber betrifft, wenn sie jung und schön sind, so haben die Fürsten Platz für sie in ihren Betten und Gemächern; auch werden sie nicht wie Agamemnon's Gefangene verwandt, an einer Quelle von Argos Wasser zu schöpfen, sondern sie werden bewundert und angebetet von Denen, welche das Schicksal zu den Herren ihres Looses gemacht hat.«

»Das soll nie Brenhilda's Verhängniß sein!« rief Graf Robert aus; »noch lebt ihr Gemahl, um ihr beizustehen, und sollte er sterben, so wird sie ihm zu folgen wissen, ohne daß das Andenken Beider durch einen Makel geschändet würde.«

Der Gefangene erwiderte nichts, und es folgte ein kurzes Schweigen, das durch Ursel's Stimme unterbrochen wurde. »Fremder,« sagte er, »was ist das für ein Geräusch, das ich höre?«

»Fürwahr, ich höre nichts,« sagte Graf Robert.

»Aber ich,« sagte Ursel. »Mein verlornes Augenlicht hat meine übrigen Sinne schärfer gemacht.«

»Beunruhige dich nicht darüber, Kamerad,« antwortete der Graf, »sondern warte ruhig den Erfolg ab.«

Auf einmal erglänzte in dem Gemach ein dunkelrothes, dampfendes Licht. Dem Ritter war das Feuerzeug eingefallen, das er bei sich zu tragen pflegte, und er hatte mit so wenig Geräusch als möglich die Kerze angezündet, und mit ihr die Mousseline-Vorhänge des Bettes in einem Augenblick in Flammen gesetzt. In demselben Moment sprang der Ritter vom Bett. Der Tiger, denn das war das Thier, sprang, von der Flamme erschreckt, rückwärts, so weit es seine Kette erlaubte, unbekümmert um Alles außer diesem Gegenstand des Schreckens. Graf Robert erfaßte einen schweren, hölzernen Stuhl, die einzige Angriffswaffe, die er fand, und indem er die feurigen Augen, die ihn kurz vorher so erschreckt hatten, zum Ziele wählte, schleuderte er gegen dieselben den schweren Stuhl von Eichenholz mit einer Gewalt, daß er dahinsauste wie ein von einer Wurfmaschine geschleuderter Stein. Er hatte seine Zeit so gut ersehen und sein Ziel so fest im Auge gehabt, daß der Wurf mit ungeheurer Stärke die gewünschte Stelle traf. Der Kopf des Tigerthieres, das vielleicht nicht zu den Größten seiner Gattung gehören mochte, zerschellte auf den Wurf, und der fränkische Graf tödtete das Ungeheuer vollends vermittelst eines Dolches, den man ihm glücklicher Weise gelassen hatte, und hatte die Freude, den Tiger in den letzten Zuckungen und die jüngst noch so fürchterlichen Augen desselben im Tode brechen zu sehen.

Als er sich bei dem Lichte des Feuers, das er angezündet hatte, umsah, erkannte er, daß das Gemach, in welchem er sich befand, verschieden war von dem, in welchem er sich am Abend niedergelegt hatte; ebenso war die Ausstattung beider Gemächer sehr verschieden, wie man an den herumflatternden, halbverbrannten Mousseline-Vorhängen, an den starken, nackten, kerkerartigen Wänden und an dem nützlichen Stuhle sehen konnte, von dem er einen so guten Gebrauch gemacht hatte.

Der Ritter hatte keine Zeit, Betrachtungen hierüber anzustellen. Er löschte geschwind das Feuer, das freilich hier keine Nahrung fand, und untersuchte beim Licht der Kerze das Gemach und den Eingang. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß er keine Verbindung mit Brenhilda's Zimmer fand, und er überzeugte sich, daß man sie letzten Abend unter dem Vorwand religiöser Bedenken nur darum getrennt hatte, um ihnen auf hinterlistige Weise Nachstellungen zu bereiten. Sein eigenes nächtliches Abenteuer haben wir bereits kennen gelernt; und der Erfolg, womit er die große Gefahr bis jetzt bestanden hatte, ließ ihn hoffen, daß sich Brenhilda durch eigene Kraft und Stärke so lange gegen alle Angriffe von List und Gewalt halten würde, bis er ihr zu Hülfe eilen könne. »Ich hätte,« sagte er, »gestern Abend dem Argwohn Bohemund's mehr Vertrauen schenken sollen: denn seine Winke ließen es mich deutlich genug merken, daß etwas Verdächtiges in dem Weinbecher sei. Doch pfui über den habgierigen Hund! wie hätte ich glauben können, daß er an so was dächte, da er nicht frei von der Leber wegsprach, wie ein Mann, und mich aus Kaltherzigkeit und niedriger Selbstsucht Gefahr laufen ließ, von dem hinterlistigen Despoten vergiftet zu werden?«

Hier ließ sich die Stimme von der nämlichen Seite her wieder hören: »Heda! Fremdling? Lebt Ihr, oder seid Ihr gemordet? Was bedeutet dieser erstickende Rauch? Um Gottes Willen, antwortet mir, da mir leider meine Augen, die für immer erloschen sind, keine Auskunft geben!«

»Ich bin in Freiheit,« sagte der Graf, »und das Ungeheuer, das mich verschlingen sollte, hat ausgebrüllt. Ich wollte, Freund Ursel, du hättest diesen Kampf sehen und bezeugen können; und wenn du auch eine Minute später das Gesicht wieder verloren hättest, so wäre es doch der Mühe werth gewesen, und würde Dem vom größten Vortheil gewesen sein, der meine Geschichte schreiben wollte.«

Während er sich so der Eitelkeit überließ, die ihn in hohem Grade beherrschte, suchte er eifrig nach einem Wege, um aus dem Kerker zu entschlüpfen: denn nur auf diese Weise durfte er hoffen, seine Gräfin wiederzufinden. Endlich fand er eine Oeffnung in der Wand, aber sie war stark verschlossen und verriegelt. »Ich habe den Eingang gefunden,« rief er aus; »er ist an der nämlichen Seite, von wo ich deine Stimme höre – aber wie soll ich die Thüre aufmachen?«

»Ich will dich das Geheimniß lehren,« sagte Ursel. »Könnte ich doch so leicht jede Thüre aufthun, die uns von der freien Luft trennt. Hebe die Thüre mit aller Kraft in die Höhe, und die Riegel werden sich aufthun; stoße dann die Thüre vorwärts, und sie wird weichen und sich öffnen. Ich wünsche, daß ich dich wirklich sehen könnte, nicht allein darum, weil der Anblick eines so tapferen Mannes schön sein muß, sondern weil ich daran erkennen wollte, daß ich nicht für immer in Finsterniß begraben wäre.«

Während er so sprach, packte der Graf seine Rüstung zusammen, von der er nichts vermißte als sein Schwert Tranchefer, und versuchte es dann, die Thüre seines Gefängnisses zu öffnen, wie es ihm der Blinde angegeben hatte. Wenn er die Thüre vorwärts stieß, so fand er jede Anstrengung vergeblich; aber als er seine ganze Riesenkraft zusammennahm, und die Thüre aufhob, so weit es ging, hatte er die Freude, zu finden, daß die Riegel nachgaben. In einer ausgehauenen Rinne liefen die Riegel, nachdem sie ihre Haken verlassen hatten, weiter vor; und ohne Schlüssel, bloß auf einen starken Druck vorwärts, that sich eine kleine Oeffnung auf.

»Ich höre dich,« sagte Ursel, »o Fremdling! du bist in mein Gefängniß gekommen. Ueber drei Jahre bin ich heimlich damit beschäftigt gewesen, die Rinnen, in welchen die eisernen Riegel laufen, auszuhauen. Wohl zwanzig solcher Riegel müssen beseitigt werden, ehe ich freie Luft einathmen kann. Darf ich da hoffen, daß mir Kraft genug bleiben werde, das Werk auszuführen? Doch, glaube mir, edler Fremdling, daß es mich freut, auf diese Art zu deiner Rettung beigetragen zu haben: denn sollte der Himmel unser ferneres Streben nach Freiheit nicht segnen, so können wir uns doch einander trösten, so lange uns die Tyrannei zusammenleben läßt.«

Graf Robert sah sich um, und schauderte darüber, daß ein menschliches Wesen in einer solchen Todtengruft von Trost sprechen könnte. Ursel's Kerker war nicht über zwölf Quadratfuß groß, oben gewölbt, und die Wände waren aus starken, eng an einander liegenden Steinen gebaut. Ein Bett, ein Schemel gleich dem, welchen Robert dem Tiger an den Kopf geworfen hatte, und ein Tisch von gleicher Beschaffenheit machten die ganze Ausstattung aus. Auf einem großen Stein über dem Bette standen die wenigen aber furchtbaren Worte: »Zedekias Ursel, hier eingesperrt an des Märzen Idus a. D. –, starb und wurde an diesem Orte begraben –«. Eine leere Stelle war hier zur Ergänzung des Satzes offen gelassen. Die Gestalt des Gefangenen war bei der Verwilderung seines ganzen Aeußeren nicht zu erkennen. Sein ungestutztes und ungekämmtes Haupthaar fiel als Weichselzopf herab, und vermengte sich mit einem Bart von übertriebener Länge.

»Sieh mich an,« sagte der Gefangene, »und freue dich, daß du den elenden Zustand noch sehen kannst, in welchen hartherzige Tyrannen ihre Mitgeschöpfe versetzen können.«

»Warst du es,« sagte Graf Robert, dessen Blut in den Adern starrte, »der das Herz hatte, diese Steinblöcke zu durchhauen, welche diese Riegel halten?«

»Ach!« sagte Ursel, »was sollte ein Blinder thun? Ich mußte mich beschäftigen, um bei Sinnen zu bleiben. Die Arbeit war groß, mich kostete sie drei Jahre; wundert Euch nicht, daß ich alle meine Zeit darauf verwandt habe, da ich keine andere Mittel hatte, mich zu beschäftigen. Wahrscheinlich ließe sich in meinem Kerker Tag und Nacht nicht unterscheiden; aber eine ferne Kirchenglocke hat mir jede entfliehende Stunde zugezählt, die ich bei dem Werke zubrachte, einen Stein gegen einen andern zu reiben. Als endlich die Thüre wich, fand ich, daß ich mir nur den Weg zu einem noch festeren Kerker gebahnt hatte. Dennoch freut es mich jetzt, daß wir dadurch zusammengeführt worden sind, indem du einen Eingang in meinen Kerker gefunden hast, und ich einen Genossen in meinen Leiden.«

»Denke an bessere Dinge,« sagte Graf Robert, »denke an Freiheit und Rache! Ich kann nicht glauben, daß solch' schändlicher Verrath glücklich enden wird, der Himmel müßte denn weniger gerecht sein, als die Pfaffen sagen. Auf welche Art bringt man dir deine Nahrung in diesen Kerker?«

»Ein Wärter,« sagte Ursel, »der wahrscheinlich das Griechische nicht versteht – denn nie hat er mich angeredet oder mir geantwortet – bringt mir ein Brod und einen Krug Wasser, woran ich zwei Tage lang genug habe. Darum muß ich Euch auch ersuchen, Euch ein wenig in den anderen Kerker zurückzuziehen, so daß es der Wärter nicht merken kann, daß wir mit einander in Verbindung stehen.«

»Ich sehe nicht ein,« sagte Graf Robert, »durch welchen Zugang der Barbar, wenn es einer ist, in meinen Kerker gelangen kann, ohne durch den Eurigen zu gehen; doch was liegt daran, ich will mich in das innere oder äußere Gemach zurückziehen, und der Wärter wird's mit Einem zu thun bekommen, ehe er sein Tagwerk heute vollendet. Unterdessen halte dich für stumm, wie du blind bist, und glaube mir, daß das Geschenk der Freiheit selbst mich nicht bestimmen könnte, die Sache eines Unglücksgefährten zu verlassen.«

»Ach,« sagte der Alte, »ich horche auf deine Verheißungen wie auf den Morgenwind, der mir den Aufgang der Sonne verkündigt, obwohl ich wenigstens sie nie mehr sehen werde. Du bist einer der wilden, verwegenen Ritter, die seit vielen Jahren der Westen aussendet, das Unmögliche zu verfolgen, und darum hoffe ich von dir nichts Festeres, als die Seifenblasen des eitlen Knaben sind.«

»Denke besser von uns, Alter,« sagte Graf Robert, indem er sich zurückzog; »wenigstens laß mich sterben mit warmem Herzen, und laß mich hoffen, daß ich einst mit meiner geliebten Brenhilda wieder vereinigt werde.«

Als er dies gesagt hatte, zog er sich in seine eigene Zelle zurück, und stellte die Thüre wieder an ihren Platz, so daß die Arbeiten Ursel's, die nur in einer dreijährigen Einsamkeit hatten vollendet werden können, den Nachsuchungen des Wärters entgehen mußten. »Es ist ein Unglück,« sagte er, als er sich wieder in seinem Kerker befand, den er sogleich an dem gefallenen Tiger erkannte, »es ist ein Unglück, daß ich statt eines jungen, kräftigen Mitgefangenen einen abgelebten und erschöpften Blinden gefunden habe. Doch Gottes Wille geschehe! Ich will den armen Schelm, den ich in einer solchen Lage gefunden habe, nicht verlassen, obwohl er nicht fähig ist, meine Flucht zu befördern, sondern eher sie zu verzögern. Unterdessen will ich, ehe ich die Kerze auslösche, genau nachsehen, ob ich nicht noch eine andere Thüre in der Mauer entdecke, die da sein muß, wenn man mich nicht, wie ich vermuthe, durch die Decke heruntergelassen hat. Dieser Weinbecher – diese Muse, wie sie sagten, schmeckte mehr nach Arzenei, als nach einem fröhlichen Freundestrank.«

Er begann nun die Mauer genau zu untersuchen; dies vollbracht, beschloß er die Fackel auszulöschen, um die Person, die hereintreten würde, unvermuthet und im Finstern zu überfallen. In dieser Absicht schleifte er den Leichnam des Tigers in den dunkelsten Winkel, und deckte ihn mit den Ueberresten der Betttücher zu, indem er schwur, daß er künftig einen halben Tiger als Helmschmuck tragen wolle, wenn er das Glück habe, an dem sein kühnes Herz nicht zweifelte, der gegenwärtigen Gefahr zu entkommen. »Aber,« fügte er hinzu, »wenn mir diese höllischen Zauberer den Teufel auf den Leib hetzen, was soll ich dann machen? Und da dies wahrscheinlich der Fall sein wird, so möchte ich mich fast hüten, die Fackel zu verlöschen. Doch es wäre kindisch von Einem, der in der Capelle U. l. F. von den gebrochenen Lanzen den Ritterschlag empfangen hat, wenn er einen großen Unterschied zwischen einem hellen und einem dunkeln Zimmer machen wollte. Mögen so viele Teufel kommen, als die Zelle fassen kann, es wird sich dann zeigen, ob ich sie nicht wie ein christlicher Ritter empfange; und wahrhaftig, Unsere liebe Frau, der ich immer ein treuer Verehrer war, wird mir das Opfer zu gut halten, das ich ihr dem Advent zu Ehren brachte, indem ich mich meiner Brenhilda enthielt, und so die Veranlassung zu unserer Trennung wurde. Teufel! ich fordere euch im Fleisch und im Geist zum Kampf, und ich spare den Rest dieser Kerze für eine andere Gelegenheit auf.« Als er dies sagte, stieß er die Fackel an der Wand aus, und setzte sich dann ruhig in eine Ecke, die Dinge, die da kommen sollten, erwartend.

In seinem Inneren verjagte ein Gedanke den anderen. Der Glaube, den er in die Treue seines Weibes und in ihre ungewöhnliche Stärke und Gewandtheit setzte, war sein größter Trost; auch konnte ihm die gegenwärtige Gefahr kein Schreckbild vorführen, ohne daß ihn die Betrachtung beruhigt hätte: »Sie ist rein, wie der Thau des Himmels, und der Himmel wird die Seinen nicht verlassen.«



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