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Viertes Kapitel.

Sie trafen sich. Der Grieche glatt, verschmitzt,
Erwägend jedes Wort und jede Sylbe,
Sophistisch, unbestimmt, voll Doppelsinn,
Und dann der grimme Frank' mit langem Schwert,
Den Blick geheftet auf der Wage Schalen,
Bereit das Schwert zu werfen in die eine.

Palästina.

Auf ein von Agelastes gegebenes Zeichen ward die Thür dieses romantischen Ruhesitzes geöffnet von Diogenes, dem Negersklaven, den unsere Leser bereits kennen. Dem listigen Alten entging es nicht, daß die Erscheinung des Schwarzen den Grafen und die Gräfin in Erstaunen setzte, da derselbe vermutlich der erste Afrikaner war, den sie so in der Nähe sahen. Der Philosoph ließ die Gelegenheit nicht verloren gehen, durch Entfaltung überlegener Kenntniß einen Eindruck auf ihre Gemüther zu machen. »Dies arme Geschöpf,« bemerkte er, »ist von dem Geschlechte Hams, des ungerathenen Sohnes von Noah, der zur Strafe für sein Vergehen gegen seinen Vater in die Sandwüsten Afrika's verbannt, und verurtheilt wurde, Stammvater eines Geschlechts zu werden, das verdammt ist, Sclaven der Nachkömmlinge seiner pflichtgetreuen Brüder zu sein.«

Der Ritter und die Dame starrten den Neger an, und bezweifelten nicht die empfangene Belehrung, welche so ganz zu ihren Vorurtheilen paßte, und ihre hohe Meinung von dem Wissen ihres Wirthes noch steigerte.

»Einem menschenfreundlichen Mann,« fuhr Agelastes fort, »macht es Freude, in seinen alten Tagen oder in Krankheit, wenn er der Dienste Anderer bedarf (denn außerdem ist es kaum erlaubt, sie in Anspruch zu nehmen), seine Stützen aus einem Geschlecht von Holzhauern und Wasserträgern zu wählen, die lange vor ihrer Geburt schon zur Sclaverei bestimmt, kein Unrecht erleiden, wenn wir sie so verwenden, da wir vielmehr damit dem Willen des Schöpfers nachkommen.«

»Ist dies Geschlecht von so unglücklicher Bestimmung zahlreich?« fragte die Gräfin. »Ich habe bisher die Erzählungen von schwarzen Menschen für Fabeln gehalten, wie die der Sänger von Feen und Geistern.«

»Glaubt das nicht,« antwortete der Philosoph, »das Geschlecht ist zahlreich wie der Sand am Meer. Aber es ist nicht durchgängig unglücklich in Erfüllung dessen, was das Schicksal ihm aufgelegt hat. Die Bösartigen unter ihnen erleiden hienieden schon ihre Strafe, indem sie Sclaven grausamer Herren werden, die sie schlagen, verstümmeln und halb verhungern lassen. Die Besseren erhalten bessere Herren, welche mit ihnen, wie mit ihren Kindern, Nahrung und Kleidung und andere gute Dinge theilen. Einigen beschert der Himmel die Gunst von Königen und Eroberern, und den wenigen Auserwählten hat er einen Platz in den Wohnsitzen der Philosophie angewiesen, wo sie das Licht, welches ihre Herren ihnen geben können, benutzend, einen Einblick in die Welt wahrer Glückseligkeit gewinnen.«

»Mich dünkt, ich verstehe Euch,« sagte die Gräfin. »Demnach sollte ich unsern schwarzen Freund hier eher beneiden als bedauern, daß er in den Besitz seines jetzigen Herrn übergegangen ist, von welchem er ohne Zweifel jene wünschenswerthe Kenntniß erlangt hat.«

»Wenigstens,« erwiderte Agelastes bescheiden, »lernt er, was ich lehren kann, vornehmlich mit seiner Lage zufrieden sein. – Diogenes, mein liebes Kind, du siehst, ich habe Gesellschaft. Was vermag des armen Einsiedlers Speisekammer zur Bewirthung seiner geehrten Gäste?«

Bis jetzt war die Gesellschaft nicht weiter gekommen, als in ein Vorzimmer, welches so ausgestattet war, daß man sah, dem Besitzer kam es nicht auf einige Kosten, aber sehr auf Geschmack an, um das alte Bauwerk zu einem Ruhesitz zu gestalten. Stühle und Lagerstätten waren mit ganz einfachen morgenländischen Matten belegt. Als aber Agelastes auf eine Feder drückte, that sich ein inneres Gemach auf, welches für prachtvoll gelten konnte. Die Bekleidung der Wände und die Vorhänge in demselben waren von strohfarbiger Seide, in Persien gewoben und mit einer Stickerei verziert, die einfach und doch reich war. Die Decke prangte mit ausgeschnitzten Arabesken. In den vier Ecken des Gemachs befanden sich Nischen mit Bildsäulen aus einem besseren Zeitalter der Kunst. In die eine schien ein Schäfer sich zurückzuziehen, als schäme er sich, seine kaum verhüllte Gestalt zu zeigen, jedoch bereit, die Gesellschaft mit den Tönen seiner Rohrflöte zu erfreuen. Drei Mädchen, im schönen Ebenmaaß ihrer Glieder und in ihren leichten Gewändern den Grazien vergleichbar, schienen jede in einer eignen Stellung und in einer besondern Nische nur den ersten Ton der Musik zu erwarten, um hervorzuspringen und den fröhlichen Reigen zu beginnen. Der Gedanke war herrlich, paßte jedoch nicht in das Gemach eines weisen Forschers, für den Agelastes gelten wollte.

Er schien zu fühlen, daß seine Gäste dies bemerkten, und sagte deshalb: »Diese Figuren, zu der Zeit der höchsten Blüthe griechischer Kunst gearbeitet, wurden einst als die Nymphen betrachtet, welche zusammenkamen, um zur Ehre der Gottheit des Tempels zu tanzen. Der Weiseste mag es der Mühe werth finden zu betrachten, wie nahe dem Leben der Geist jener bewunderungswürdigen Menschen den unbeugsamen Marmor zu bringen vermochte. Sieht man davon ab, daß der göttliche Lebenshauch fehlt, so konnte ein blinder Heide wohl denken, daß das Wunder von Prometheus im Begriff stehe, verwirklicht zu werden. Aber wir,« fügte er mit einem Blick gen Himmel hinzu, »wissen jetzt besser zu unterscheiden zwischen dem, was Gott und was der Mensch schaffen kann.«

An den Wänden waren Gegenstände aus der Natur abgemalt, der Philosoph richtete die Aufmerksamkeit seiner Gäste auf den halb vernünftigen Elephanten und erzählte ihnen Geschichtchen von ihm, welchen sie mit großer Aufmerksamkeit zuhörten. Da ließen sich plötzlich Klänge aus der Ferne, wie Musik im Walde hören. Sie drangen zuweilen durch das Rauschen des Wasserfalls, welcher, unmittelbar unter den Fenstern hinabstürzend, das Gemach mit seinem Getöse erfüllte.

»Es scheint,« sagte Agelastes, »die Gäste, welche ich erwarte, kommen und bringen die Mittel zur Ergötzung eines anderen Sinnes mit. Sie haben recht. Die Weisheit sagt: wir ehren die Gottheit am besten durch den Genuß der Gaben, die sie uns verleiht.«

Diese Worte lenkten die Aufmerksamkeit der fränkischen Gäste des Philosophen auf die in diesem geschmackvollen Zimmer gemachten Vorbereitungen zu einem Gastmahl in der Weise der alten Römer. Neben der gedeckten Tafel standen Ruhebetten für die männlichen Gäste, welche liegend das Mahl verzehren sollten, während zwischen den Ruhebetten Stühle andeuteten, daß weibliche Gäste erwartet wurden, welche sitzend aßen. Die Speisen waren nicht gerade in großer Menge, aber von solcher Beschaffenheit, daß sie nicht leicht denen bei weiland Trimalchios Gastmahl, oder den leichteren Leckereien griechischer Kochkunst, oder den saftigen, stark gewürzten Gerichten der Morgenländer etwas herausgaben. Mit einiger Selbstgefälligkeit konnte darum Agelastes seine Gäste bitten, am Mahl eines armen Pilgers Theil zu nehmen.

»Wir machen uns wenig aus Leckereien,« sagte der Graf. »Auch erlaubt uns unser jetziges Pilgerleben keine große Wähligkeit in solchen Dingen. Was einem Kriegsmann als Speise recht sein muß, genügt auch der Gräfin und mir. Denn wir möchten gern jeden Augenblick kampfbereit sein, und je weniger Zeit wir brauchen, um uns zum Kampf zu stärken, desto besser ist's. Sitze also nieder, Brenhilda, da der gute Mann es so haben will, und laß uns keine Zeit mit Stärkung des Leibes verlieren, welche wir besser sonst anwenden könnten.«

»Erlaubt mir nur einen Augenblick,« bat Agelastes, »bis meine andern Freunde kommen, deren Musik Ihr ganz in der Nähe hört und welche Euch nicht lange auf Eure Mahlzeit warten lassen werden.«

»Nein,« sagte der Graf, »wir haben keine Eile, und da Ihr dies für ein Stück guter Lebensart haltet, so können Brenhilda und ich recht gut mit unserer Mahlzeit warten. Noch lieber wäre uns, wenn Ihr erlaubtet, daß wir jetzt gleich einen Bissen Brod und einen Trunk Wasser zu uns nähmen und so erfrischt den Raum für Eure vertrauteren Freunde frei ließen.«

»Mögen die Heiligen im Himmel das verhüten,« rief Agelastes. »Nie haben ehrenwerthere Gäste auf diesen Kissen geruht, und ehrenwerthere könnten nicht darauf ruhen, auch wenn die geheiligte Familie des Kaisers Alexius selber jetzt vor der Thür stände.«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so drang der volle Klang einer Trompete, zehnfach lauter als die bisher gehörte Musik, durch das Rauschen des Wasserfalls, wie die Klinge von Damask durch den Harnisch.

»Vater, Ihr scheint überrascht und beunruhigt zu sein,« sagte Graf Robert. »Ist eine Gefahr in der Nähe oder zweifelt Ihr an unserem Schutz?«

»Nein,« antwortete Agelastes; »dieser würde mir Zuversicht einflößen, selbst in der größten Noth. Diese Klänge erwecken Ehrfurcht, nicht Angst. Sie verkünden mir, daß Mitglieder der kaiserlichen Familie meine Gäste sein wollen. Fürchtet nichts, edle Freunde. Die, deren Blick Leben ist, sind bereit, ihre Gunst reichlich auf ehrenwerthe Freunde strömen zu lassen, wie sie hier finden werden. Jetzt aber muß meine Stirn meine Schwelle berühren zu ihrer gebührenden Bewillkommnung.« Mit diesen Worten eilte er nach der Hausthür.

Der Graf mit seiner Gemahlin am Arm folgte ihm und sagte: »Jedes Land hat seine Gewohnheiten, und was in dem einen als anständig gilt, scheint dem Bewohner eines andern unziemlich. Hier jedoch will ich meinem Wirth zu Gefallen mein Haupt beugen in der Weise, wie sie es zu verlangen scheinen.« Und er trat in das Vorgemach, wo ein neuer Auftritt ihrer harrte.



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