Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Seltsamer Aff' des Menschen! Spott und Ekel;
Für uns ein Schimpf halb, halb ein Spaß.
Wie kann es uns zu Muth sein, bis wir gerne
Das Spiegelbild von unser'm Sein und Wollen
In einer Spuckgestalt wie deine seh'n?

Anonymus.

Nachdem Graf Robert von Paris sich hinter den Trümmern des Bettes so versteckt hatte, daß er nicht bemerkt werden konnte, wofern nicht plötzlich ein helles Licht in seinen Schlupfwinkel fiel, sah er mit Spannung dem Erscheinen des Gefangenwärters entgegen. Es dauerte nicht lange, so hörte und sah er Zeichen seiner Annäherung. Ein Lichtschimmer drang wie aus einer Fallthür in der Decke, und eine Stimme ließ sich in angelsächsischer Sprache vernehmen: »Heda! flink! Nicht gezögert! Komme! Flink, guter Sylvaa! Zeige deine Rührigkeit.«

Eine heisere, kichernde Stimme antwortete in einer dem Grafen völlig unverständlichen Sprache und schien gegen den erlassenen Befehl Fürspruch zu thun. Darauf erwiderte die erste Stimme: »Du widersprichst? Nein, wenn du so träg bist, muß ich deiner Herrlichkeit eine Leiter geben und vielleicht einen Fußtritt zur Beschleunigung deiner Reise.«

Plötzlich sprang ein großes Ding wie eine Menschengestalt aus der Fallthür herab, obwohl die Höhe der Kerkerwände über vierzehn Fuß betragen mochte. Diese Gestalt war riesig: sie maß über sieben Schuh. In der linken Hand hielt sie eine Fackel, in der rechten eine Strähne feiner Seide, welche bei dem Sprung sich abgewickelt hatte und nicht gerissen war, natürlich aber nicht dazu hatte dienen können, ein solches Geschöpf beim Herabschweben zu halten. Der Riese fuhr mit solcher Federkraft auf den Boden des Kerkers, daß er fast bis an die Decke wieder emporschnellte. Bei diesem Luftsprung verlosch seine Fackel, er aber schwang sie um den Kopf, und sie flammte wieder auf. Er betrachtete die Flamme, ob sie wohl auch fortbrennen werde, und hielt seine linke Hand hinter dieselbe, wie hinter ein Licht, welches man vor Zug bewahren will. Er kam aber der Flamme so nahe, daß er sich die Finger verbrannte und, dieselben schüttelnd, laut zu heulen anfing.

»Gib Acht, Sylvanus!« rief die Stimme auf Angelsächsisch im Tone des Vorwurfs. »Thue, was deines Amts ist und bringe dem Blinden zu essen. Tanze nicht da unten herum, sonst erhältst du nicht mehr von mir diesen Auftrag.«

Das Geschöpf (Mensch wäre zu viel gesagt) blickte aufwärts dahin, woher die Stimme kam, und antwortete mit einem schrecklichen Grinsen und mit Emporstrecken seiner geballten Faust. Dann knüpfte es ein Bündelchen auf, suchte in den Taschen seiner Jacke und seiner Hosen, und zog ein Schlüsselbund hervor und ein Brod. Mit der Flamme seiner Fackel erwärmte er einen vorspringenden Stein, ließ etwas Wachs darauf laufen und befestigte die Fackel auf dem Vorsprung. Nachdem er vorsichtig nach dem Eingang zu dem Kerker des Greisen gesehen, suchte er einen Schlüssel aus dem Bund und öffnete damit die Thüre. In dem Gang ergriff er den Schwengel einer Pumpe, füllte einen Eimer, trug ihn in Ursel's Zelle, und kam bald wieder daraus zurück mit dem Rest des alten Wassers und des alten Brodes. In's Letztere biß er mit einer greulichen Fratze und warf es dann weg. Mittlerweile beobachtete der Graf von Paris mit gespannter Aufmerksamkeit das Thun dieses Wesens, welches er anfangs in Betracht seiner Größe, seiner Sprünge und seiner Fratzen für den Teufel in eigener Person oder für einen seiner Sprößlinge hielt. Indeß die Stimme, welche er gehört hatte, war weniger die eines Zauberers, der einen bösen Geist beschwört, als die eines Thierbändigers. »Pfui!« dachte er, »ein Hans Aff' (denn dafür halt' ich ihn, obwohl er zwei Mal so groß ist als irgend Einer, den ich je gesehen) sollte mir auf meinem Weg zum Tageslicht und zur Freiheit hinderlich sein? Sind wir nur aufmerksam, so muß der pelzige Gesell unser Führer in die Oberwelt sein.«

Der seltsame Gefangenwärter stöberte in dem Raum herum und gewahrte endlich den erschlagenen Tiger. Er betastete ihn mit wunderlichen Geberden, und schien über seinen Tod bestürzt und betrübt zu sein. Auf einmal schien ihm der Gedanke zu kommen, daß ihn Jemand umgebracht haben müßte. Er suchte abermals den vorhin gebrauchten Schlüssel heraus, und sprang so rasch nach Ursel's Gefängnißthor, daß Robert mit seiner Hülfe zu spät gekommen wäre, hätte das räthselhafte Wesen nicht plötzlich auf sein vermuthliches Vorhaben, den Greis zu erwürgen, verzichtet, und sich brummend und schnatternd umgewandt, um mit der Fackel in der Hand jeden Winkel in dem äußeren Raum zu durchspähen.

Der Leser, welcher sich erinnert, daß Alexius's Sammlung wilder Thiere sich in der Nähe befand, wird bereits vermuthet haben, daß das für den Grafen von Paris räthselhafte Geschöpf zu der riesigen Gattung von Affen gehörte, welche die Naturkundigen Orang-Utang nennen. Diese Gattung ist gelehriger und zu nützlichen Diensten brauchbarer als die übrigen. Es wendet seine Nachahmungsgabe weniger zu Possen an, als um Dinge zu lernen, welche den anderen Gattungen des Geschlechts fremd bleiben. Wahrscheinlich würde der Orang-Utang sich zu vielen Dingen abrichten lassen; aber die Gelegenheit zu Versuchen mit ihm ist selten. Der Letzte, von dem wir gehört haben, ist auf Sumatra gesehen worden. Er war über sieben Fuß hoch und kam um in Vertheidigung seines Lebens gegen einen Trupp Europäer. Diese selten gesehene Thiergattung ist es vermuthlich gewesen, welche den Glauben der Alten an den Gott Pan mit seinen Sylvanen und Satyren veranlaßt hat. Desgleichen möchten wir glauben, daß der vom heiligen Antonius in der Wüste gesehene Satyr ein solcher Affe gewesen, wenn nicht die Unwahrscheinlichkeit entgegenstände, daß je ein solches Thier sprechen lernen könnte. Glaubhaft aber ist, was die Annalisten sagen, daß sich in Alexius Comnenus's Thiersammlung ein bewunderungswürdig gezähmtes, menschenähnliches Geschöpf befand, welches fast den Verstand eines Menschen zu haben schien.

Das Thier schlich mit langen, geräuschlosen Schritten längs den Wänden hin, auf welchen sein Schatten, wie ein zweites gespenstisches Wesen sich fortbewegte. Robert blieb in seinem Versteck, keineswegs ungeduldig einen Kampf zu beginnen, dessen Ende sich nicht voraussagen ließ. Der Waldmensch kam näher. Bei jedem Schritt desselben klopfte das Herz des Grafen fast hörbar, da ihn eine Gefahr so neuer Art zu bedrohen schien. Als der Affe in die Nähe des Bettes kam, hefteten sich seine häßlichen Augen auf die des Grafen. Der Anblick Roberts überraschte ihn noch mehr, als seine Erscheinung diesen in Erstaunen gesetzt hatte. Mit einem Schrei des Entsetzens prallte er in einem Sprung fünfzehn Schritte weit zurück. Dann schlich er auf den Zehen wieder heran, die Fackel weit vorstreckend, um den Gegenstand seiner Furcht in sicherer Entfernung zu beleuchten.

Robert nahm von den Trümmern des Bettes ein Stück, welches die Stelle eines Knüttels vertreten konnte, und drohte damit dem Waldmenschen. Dieser war vermuthlich mit dem Knüttel als mit einem bei ihm fleißig angewandten Bildungsmittel bekannt. Der Graf bemerkte plötzlich an ihm eine unerwartete Schüchternheit, richtete sich empor und ging, sein Stück Holz wie den furchtbaren Tranchefer schwingend, festen Schrittes auf seinen Gegner zu. Der Waldmensch wich vorsichtig zurück, jedoch nicht ohne grimmig zu schnattern und seine Fackel als Waffe vorzustrecken. Der Graf wollte den Augenblick der Ueberraschung und Furcht nicht unbenutzt verstreichen lassen. Er zog seinen Knüttel an, wie zu einem Hieb auf die rechte Seite von des Affen Kopf, und schlug ihm auf die linke Schläfe mit solchem Nachdruck, daß der Getroffene niederstürzte. Robert kniete sich auf ihn und zog seinen Dolch, um ihm den Rest zu geben. Der Orang-Utang, welcher keineswegs die Besinnung verloren hatte, raffte sich schnell wieder auf, so daß er auf die Kniee kam, und würde vermuthlich seinerseits den Ritter niedergeworfen haben, wenn er nicht zugleich versucht hätte, ihm den Dolch zu entreißen. Robert zog ihm die scharfe Klinge durch die Hand und zuckte sie von Neuem, um ihm den Hals zu durchbohren. Von Schmerz und Angst gelähmt sank der Waldmann kläglich, fast wie ein Mensch, winselnd zurück und bedeckte seine Augen mit der unverletzten Hand.

Graf Robert, ein grimmiger Kriegsmann, war außer dem Kampf sanft und von mildem Sinn, besonders gegen niedere Geschöpfe. Es kam ihm plötzlich der Gedanke: »Warum sollt' ich diesem armen Ungethüm ein Leben nehmen, nach welchem kein zweites folgt? – Könnte es nicht ein Fürst oder Ritter sein, der in diese abenteuerliche Gestalt verwandelt und verurtheilt ist, diese Gewölbe und ihre Wunder bewachen zu helfen? Es wäre schmählich ihn zu tödten, nachdem er sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Ist es ein bloßes Thier, so mangelt ihm vielleicht nicht das Gefühl der Dankbarkeit. Ich habe von Sängern das Lied von Androclus und dem Löwen gehört.« Er stand auf und ließ den Waldmenschen gleichfalls aufstehen. Dieser schien die erwiesene Gnade anzuerkennen, indem er leise im Tone des Dankes und der Bitte murmelte. Der Graf befestigte die Fackel, welche dem Affen entfallen und zum Glück nicht ausgegangen war, wieder auf dem Vorsprung der Wand, zog aus seiner Tasche Wundbalsam, gezupfte Leinwand und eine lange, schmale Binde, bestrich und verband die Wunden des geduldigen Affen, und sagte ihm dabei in strengem Ton, er thue vielleicht Unrecht, bei ihm einen Balsam anzuwenden, der für die edelsten Ritter bereitet sei, und beim geringsten Zeichen von Undank würde er ihm den bereits gefühlten Dolch bis an's Heft in den Leib stoßen.

Der Sylvan sah den Grafen starr an, und als ob er dessen Worte verstände, beugte er sich zur Erde, küßte seine Füße und umfaßte seine Kniee, als ob er ihm ewige Treue und Dankbarkeit geloben wollte. Der Graf setzte sich wieder hinter das Bett, um das Wiederaufgehen der Fallthür zu erwarten. Der Affe setzte sich neben ihn und richtete, wie er, seine Augen nach der Fallthür.

Nach einer Stunde des Wartens ließ sich ein Geräusch aus dem oberen Gemach vernehmen. Der Waldmensch zupfte den Franken am Mantel. Nach zweimaligem Pfeifen rief die Stimme des Unsichtbaren: »Sylvan! Sylvan! Wo steckst du? herbei! oder bei dem heiligen Kreuz, du sollst für deine Faulheit büßen!«

Das arme Ungethüm, wie Trinculo es genannt haben würde, schien diese Drohung zu verstehen. Er drückte sich an den Grafen und winselte, wie um dessen Schutz anzuflehen. Vergessend, daß das Geschöpf ihn schwerlich verstehen konnte, sagte Robert: »Ei Freund, du kennst ja schon das hauptsächlichste Hofgebet hier zu Land: Darf ich sprechen und leben? Fürchte nichts; ich bin dein Beschützer.«

»Heda! Sylvan!« rief es wieder herunter, »was hast du für einen Gesellen da bei dir? Einen Teufel? oder einen der Geister der Ermordeten, die da unten hausen sollen? Oder plauderst du mit dem alten, blinden, griechischen Rebellen? Oder ist es wahr, was sie dir nachsagen, daß du verständlich sprechen kannst, wenn du willst, und bloß dann schnatterst, wenn man dir etwas zu thun geben will? Komm, du fauler Schlingel! Du sollst eine Leiter zum Heraufsteigen haben, obwohl du sie so wenig brauchst, wie eine Dohle, um auf den Thurm der Sophienkirche zu steigen.« Eine Leiter wurde aus der Fallthür heruntergeschoben, und die Stimme ließ sich weiter vernehmen: »Komm und mache mir nicht die Mühe, dich zu holen, sonst soll dir's, bei Sanct Swithin, übel bekommen. Herbei also, gutwillig, und ich will diesmal die Peitsche sparen.«

Das Thier ward augenscheinlich durch diese Rede bewegt. Mit schmerzvollem Blick schien es dem Grafen Lebewohl zu sagen, und schlich der Leiter zu mit derselben Gutwilligkeit, wie ein armer Sünder, der gehenkt werden soll. So wie es aber bemerkte, daß der Graf ihm zornig nachblickte und den furchtbaren Dolch schwang, ballte es die Fäuste, wie ein Mensch, der einen festen Entschluß gefaßt hat, kehrte zurück und versteckte sich hinter dem Ritter, jedoch mit der Miene eines Ueberläufers, der sich nicht recht daheim fühlt, wenn er zum ersten Mal gegen seinen ehemaligen Befehlshaber aufgeboten wird.

Dem Hüter ging die Geduld aus. Mit einem Schlüsselbund in der einen Hand, mit der andern sich am Leiterbaum haltend, und eine Art Blendlaterne mit helmförmigem Boden auf dem Kopf, stieg er die Leiter herab. Kaum hatte er den Boden erreicht, so fühlte er sich von kräftigen Armen umschlungen. Anfangs dachte er, es sei der störrige Sylvan, der ihn umfaßt hätte, und rief: »Schuft! laß mich los, oder du bist des Todes!«

» Du bist des Todes,« erwiderte der Graf, welcher den Vortheil der Ueberraschung und der Geschicklichkeit im Ringen voraus hatte.

»Verrath! Verrath!« rief der Hüter, als er die fremde Stimme hörte. »Hülfe! Ho! Hereward! – Waräger – Angelsachse – oder welchen verfluchten Namen du sonst führst!«

Während dieser Ausrufe packte Robert ihn an der Kehle, so daß er am Ende nicht weiter rufen konnte. Beide fielen schwer zu Boden, der Kerkermeister untenhin. Dem Gebot der Selbsterhaltung folgend, stieß ihm Robert den Dolch in den Hals. In demselben Augenblick ließ sich das Rasseln eines Harnisches hören, welches die Leiter herab immer näher kam. Unser Bekannter, Hereward, erschien in dem Kerker. Das Licht, welches nach dem Erlöschen der Fackel Sylvans von dem Kopf des Hüters strahlte, zeigte diesen bluttriefend unter den Händen eines Unbekannten. Unverzüglich eilte Hereward ihm zu Hülfe, packte den Grafen mit demselben Vortheil, wie dieser einen Augenblick vorher den Erstochenen gefaßt hatte, und drückte ihm den Kopf auf den Boden. Graf Robert war einer der stärksten Männer jener kriegerischen Zeit; aber der Waräger war nicht minder stark und hatte noch den Vortheil des Angriffs auf einen Knieenden voraus.

»Ergib dich auf Gnade oder Ungnade, oder du stirbst von meinem Dolch!« rief der Waräger.

»Ein französischer Graf ergibt sich nie, am wenigsten einem verlaufenen Knecht, wie du,« erwiderte Robert, der errieth, welchen Gegner er über sich hatte. Mit einer plötzlichen gewaltigen Anstrengung befreite er sich halb aus der Hand des Warägers. Aber Hereward, seine große Kraft zusammennehmend, behauptete seinen Vortheil und zückte den Dolch zur Beendigung des Kampfes. Da ließ sich ein Höllengelächter vernehmen. Des Warägers erhobener Arm ward kräftig gefaßt, und ein haariger Arm umschlang seinen Hals und warf ihn auf den Rücken, so daß der französische Graf aufspringen konnte.

»Du bist des Todes, Elender!« rief Hereward, ohne zu wissen, wen er bedrohte. Der Waldmensch in scheuer Erinnerung der Uebermacht menschlicher Wesen, floh die Leiter hinauf und überließ es den beiden Gegnern, ihren Streit auszufechten. Die Umstände ließen einen verzweifelten Kampf erwarten. Beide waren groß, stark, muthig, durch Harnische geschützt und hatten als einzige Trutzwaffe den Dolch. Einen Augenblick betrachteten sie sich einander und prüften ihre Vertheidigungsmittel, bevor sie einen Stoß wagten, dem, wenn er nicht traf, ein tödtlicher Gegenstoß folgen mußte. Während dieser Pause fiel von der Fallthür ein Schimmer herab. Der Waldmensch leuchtete mit einer neuen Fackel in den Kerker und sah angstvoll auf die beiden Gegner.

»Ficht herzhaft, Gesell!« sagte Robert von Paris, »denn wir kämpfen nicht mehr im Geheimen. Dieser ehrliche Kumpan hat sich zum Kampfrichter aufgeworfen.«

Der Waräger sah hinauf. Der Kampf zwischen Neugier und Schrecken auf dem Gesicht des Affen war so grotesk, daß Hereward unwillkürlich ein Gelächter aufschlug. »Sylvan,« sagte er, »gehört zu Denen, welche lieber das Licht zu einem solchen Tanze halten, als ihn mitmachen.«

»Was nöthigt uns denn eigentlich, diesen Tanz aufzuführen?« fragte Graf Robert.

»Nichts als unsere Lust dazu,« erwiderte Hereward, »denn ich sehe keinen Grund, der uns bestimmte, einen solchen Streit an einem solchen Ort vor einem solchen Zuschauer auszufechten. Du bist, wenn ich nicht irre, der kühne Franke, welcher vorige Nacht hier bei dem angeketteten Tiger eingesperrt wurde.«

»Der bin ich,« erwiderte der Graf.

»Und wo ist das Thier?«

»Dort liegt's, fortan nicht furchtbarer mehr, als das Reh, welches er seiner Zeit gefressen haben mag.«

Der Graf deutete auf den Tiger. Hereward betrachtete ihn und fragte verwundert: »Und das ist dein Werk?«

»Allerdings,« antwortete Robert gleichgültig.

»Und du hast auch meinen Gesellen auf dieser Wacht erschlagen?«

»Wenigstens tödtlich verwundet.«

»Wenn Ihr erlaubt, so würde ich Euch für einen Augenblick Waffenstillstand dankbar sein, während dessen ich seine Wunde untersuchen könnte.«

»Es ist dir zugesichert. Verdorren soll die Hand, die einen falschen Streich führt wider einen offenen Gegner!«

Der Waräger gab seine vorsichtige, vertheidigende Stellung auf und untersuchte beim Schein der Laterne die Wunde des ersten Hüters, welcher nach seiner römischen Kriegskleidung zu der sogenannten Schaar der Unsterblichen zu gehören schien. Er fand ihn im Todeskampf, aber noch fähig zu sprechen.

»Bist du endlich gekommen, Waräger?« sagte der Sterbende. »Deiner Faulheit und Verrätherei also habe ich meinen Tod zuzuschreiben? – Antworte mir nicht! – Der Fremdling hat mich über das Schlüsselbein gestochen. Hätten wir länger zusammengelebt, so würd' ich dasselbe dir gethan haben, um die Erinnerung gewisser Verhandlungen am goldnen Thor zu verlöschen. Ich kenne den Gebrauch des Messers zu gut, um ungewiß zu sein über die Wirkung eines Stichs über dem Schlüsselbein von so starker Hand. Ich fühl', es kommt. Der sogenannte Unsterbliche wird nun, wenn die Priester nicht lügen, ein wirklicher Unsterblicher. Der Bogen des Sebastes von Mitylene ist zerbrochen, bevor sein Köcher halb geleert ist.«

Der griechische Räuber sank in Hereward's Arme und beschloß sein Leben mit einem letzten Seufzer. Der Waräger legte die Leiche auf den Boden und sagte: »Das ist eine verwickelte Geschichte. Ich bin gewiß nicht berufen, einen wackeren Mann, obwohl er ein Feind meines Volks ist, zu tödten, weil er einen Schuft erschlagen hat, der insgeheim auf meine Ermordung sann. Hier ist weder der Platz noch das Licht, in welchem es den Kämpen zweier Völker zukommt, ihren Streit auszufechten. Laßt denselben für den Augenblick ruhen. Wie meint Ihr, edler Herr, wenn wir den Streit vertagten bis nach Eurer Befreiung aus dem Blachernä-Pallast, und bis Ihr wieder Eure Freunde und Euer Gefolge um Euch habt? Wenn ein armer Waräger Euch hierzu behülflich sein könnte, würdet Ihr ihm später ehrlichen Kampf versagen mit den Waffen Eures oder seines Volkes?«

»Freund oder Feind – willst du deinen Beistand auch auf mein Weib erstrecken, die gleichfalls in diesem ungastlichen Pallaste eingekerkert ist, so sei versichert, Robert von Paris wird, sei Rang und Stand und Herkunft bei dir, welche sie wollen, dir die Rechte bieten zum Freundschaftsbund oder zum Kampf – zum Kampfe nicht in Haß, sondern zum Zeichen der Ehre und Achtung. Das gelobe ich bei der Seele meines Ahnherrn, Karl's des Großen, und beim Altar meiner Schutzheiligen, U. l. F. zu den gebrochenen Lanzen.«

»Genug,« erwiderte Hereward. »Ich, ein armer Verbannter, bin eben so gut verbunden zum Beistand für Eure Frau, wie wenn ich der Erste in den Reihen der Ritterschaft wäre. Der Sache des ehrenhaften Tapferen sich anzunehmen ist ein Mann um so mehr verbunden, wenn sie zugleich die Sache eines hülflosen Weibes ist.«

»Ich sollte nun schweigen,« sagte der Graf, »und deinem Edelmuth nichts weiter zumuthen. Aber du bist ein Mann, dem zwar das Glück nicht die Gunst erwiesen hat, ihn im Stand der Edlen und Ritter geboren werden zu lassen, dem aber Gott ein Herz verliehen hat, wie es sich im schönsten Kranz der Ritterschaft nicht überall findet. In diesen Kerkern schmachtet (lebt kann ich nicht sagen) seit drei Jahren ein blinder Greis. Seine Speise ist Brod, sein Getränk Wasser. Sprechen kann er mit Niemand als einem mürrischen Hüter. Wenn je der Tod einem Menschen als Befreier nahen kann, so ist es diesem blinden Greis. Was meinst du? Soll der unaussprechlich Unglückliche nicht Nutzen haben von der vielleicht einzig sich ihm darbietenden Gelegenheit zur Befreiung?«

»Bei St. Dunstan,« antwortete der Waräger, »Ihr haltet allzutreu den Eid, den Ihr geschworen habt, Unrecht abzustellen! Eure eigene Sache ist schier verzweifelt, und Ihr wollt sie ganz verzweifelt machen, indem Ihr sie mit der Sache jedes Unglücklichen verknüpft, den das Schicksal Euch in den Weg führt.«

»Je mehr menschliches Elend wir zu erleichtern suchen, desto mehr Segen werden wir haben von unserer heiligen und Unserer lieben Frau zu den gebrochenen Lanzen, welche mit so viel Schmerz auf jede Art menschlicher Leiden herabsieht, ausgenommen die, welche in den Schranken des Kampfes vorkommen. Auf denn, wackrer Sachse, und erfülle meine Bitte, so schnell wie du kannst. In deinem Gesicht liegt Aufrichtigkeit und Verstand. Vertrauensvoll will ich mit dir mich aufmachen, meine geliebte Gräfin zu suchen, welche, einmal befreit, uns mächtig beistehen wird zur Befreiung Anderer.«

»Es sei,« sagte der Waräger. »Wir wollen die Gräfin Brenhilda aufsuchen, und haben wir sie gefunden, und glauben wir uns stark genug, auch den blinden Greis zu befreien, dann soll nicht Feigheit oder Erbarmungslosigkeit von meiner Seite den Versuch hindern.«



 << zurück weiter >>