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12

Wer Gutes tun will, muß ein Heimlichtuer werden.

Seht unseren lieben Pfarrer, wie er am Tage nach dem Besuch des Herzogs zur Mittagsstunde in seine Scheune schleicht, eine Leiter anlegt und auf den Boden klettert, der schon seit vielen Jahren leer ist; denn die einträglichen Pfarräcker sind verpachtet.

Was will er dort verstecken? Was sucht er? Ihr werdet's nicht erraten! Als er wieder heruntersteigt, ist sein Rock voll Spinneweben und sein Perückenzopf sträubt sich in die Höhe wie ein Katzenschweif. Am anderen Tage schleicht er zur selben Stunde in den Keller, wo die großen verpichten Fässer liegen, grünschimmlig um den Hahn und am ganzen Leibe schwarz vor Verdruß, weil sich schon lange Zeit kein Pfarrherr mehr um sie gekümmert hat. Ehmals in den Tagen des Überflusses haben sie gedröhnt, gejauchzt und gebraust, und oft hat ein jäher Spundenschuß die Hausbewohner zur Nacht aus dem Schlafe geweckt, wenn sich der junge Wein in ihren Bäuchen gestreckt und im Übermut das Gehäuse verlassen hat.

Am dritten Tag kriecht der Heimlichtuer auf den Dachböden des Hauses umher, rückt Truhen und Kästen, flickt Löcher im Schieferdach, pfuscht Maurern und Dachdeckern ins Handwerk – und noch kein Ende! Mit eigener Hand räumt er Kammern und Kästen, krustet und werkelt, poltert und pocht.

Als er damit fertig ist, schleppt er Säcke und Krätzen herbei und bringt sie dorthin, wo er zuvor Platz geschaffen hat. Dann fängt das Rumoren im Keller an! Der Küfer, den er gedungen hat, schlüpft in die Fässer und bürstet den uralten Schorf von der Wandung, bis das Holz wieder rot hervorscheint wie junges Fleisch. Das alles tut er und sagt kein Sterbenswörtlein dazu, bis eines Tages die Münchinger erfahren, daß das Land im Krieg mit dem König von Preußen liegt und der Herzog mit seinen Regimentern nach Sachsen gezogen ist. Wie Heuschreckenschwärme kommen die Händler ins Dorf, um alles einzukaufen, was an Waren vorhanden ist. Kein Hof ist, keine Hütte, in der sie nicht vorsprachen.

Wohl liegt, wenn sie gehen, ein runder Haufen Geld auf dem Tisch, aber in die Fruchtkammern hat es Löcher gerissen, die nicht mit Geld zu flicken sind.

Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo Flattich eingreift. Er geht von Hof zu Hof, von Hütte zu Hütte und bettelt seinen Anteil für die Armen. Wenn die Leute Geld haben, sind sie den Armen günstig. »Jeder soll leben!« sagen sie – und »Der Acker bringt wieder Frucht!«

Flattich sammelt. In der Pfarrscheuer füllen sich die Säcke und Krätzen mit Hirse, Gries und Welschkorn.

Auf dem Boden wächst ein braunes Meer von Weizen, Gerste und Dinkel heran. In den Dachkammern des Hauses reihen sich in vielfach gewundenen Schnüren die Äpfel und Birnen, und die Hutzeln trocknen in den Hürden.

Der Wein hüpft mit einem Freudensprung in die Fässer – und einen Freudensprung tut Flattichs Herz.

Sein Plan ist gelungen.

Als der Winter kommt, vergräbt er sich wie ein Hamster in seinen Bau. Ein edler Hamster, der für die Armen sammelt!

Da kommen Gerüchte von weither und sagen, daß der Herzog in zwei Schlachten geschlagen worden ist, und nach den Gerüchten kommen die unholden Reiter, die dem Krieg zur Seite gehen: Hunger und Teuerung.

In Münchingen ist es zuerst ein altes Weiblein, das im Pfarrhaus um einen Scheffel Mehl bittet. Statt einen gibt ihr Flattich zwei. Die Bittsteller werden mehr, und viele, die zuvor gespendet haben, sind unter ihnen. Nun rächt es sich, daß sie ihre Vorräte zur Unzeit verkauft haben. Die Bissen werden von Woche zu Woche schmäler.

Den halben Tag steht Flattich in seiner Arche, wiegt, mißt wie ein Krämer mit der Handwaage und spendet als Zugabe das Brot, das ewig sättigt: das tröstliche Wort. –

So kommt der Sommer heran und reif zum Schnitt steht die neue Ernte aus den Feldern. Da will es der teuflische Unhold, daß die letzte Hoffnung zerstört werde. Die eisigen Körner des Hagels zerschlagen einen großen Teil der Saaten.

Nur einer segnet, wo die andern hadern oder dem Jammer erliegen. Flattich geht zu denen, die nicht getroffen sind, und bittet sie, sich mit den Unglücklichen in den Rest der Ernte zu teilen. Er weiß, daß er mit seinem Verlangen die Menschen in die größte Gefahr bringt: Keiner kreuzigt sein Ich, ehe der natürliche Mensch in ihm zerbrochen ist!

Brand, Hungersnot, Krieg und Unfälle, sie sind die Probezeichen des Himmels, daß der Mensch beweise, ob er noch dienenden Geist hat. Die Menschenliebe wächst nur aus den Feuerschuhen der eigenen Not!

Zuerst sind es wenige, die ihm gehorchen, dann werden es viele; bis die hartherzigsten zuletzt beschämt folgen. Der Geist der Ersten Freundschaft steht wieder auf. Einer sagt zu seinem Nachbar: »Wo fehlt's, Bruder?« Und der Nachbar gesteht seine Not.

»Nimm, Freund!« sagt der Gute, »wir wollen beide leben!« Und er teilt sich mit seinem Freunde. Das Wunder von der Speisung der Fünftausend, wie einfach und natürlich wiederholt es sich. Sie essen mit anderem Geiste, sie beten mit neuem Geiste, und jeder hat Fleisch, Brot und Wein ... Aber die natürlichen Wunder sind Stückwerk, Kunstgriffe des Menschen, und ändern die göttliche Ordnung nicht.

Die Vorratskammern füllen sich nicht wieder.

Eines Morgens nimmt Flattich den Stab in die Hand und wandert nach Asperg, um für seine Müttchinger einen Bittgang zu tun. Die Saat der Liebe, die er dort vor Jahren gepflanzt hat, sie ist nicht vom Hagel zerschlagen – und dem Vielgeliebten öffnen sich alle Türen und Herzen.

Mit Tränen des Mitleides hören sie seine Klage und denken dankbar der Zeit, wo er sie einst aus ihrer Not gerissen hat. Seine Heimkehr gleicht einem Triumphzug. Zehn schwerbeladene Wagen, von Pferden und Ochsen gezogen, fahren von Asperg nach Münchingen und bringen die Opfergabe der freundlichen Nachbarn. Auf dem vordersten sitzt Flattich, neben seinem alten Freunde Motz, und wird bei seinem Einzug wie ein König empfangen.

Nachdem die Wagen abgeladen und die Vorräte in die Scheunen untergebracht sind, läßt der Pfarrer die Glocken läuten. Da ist keiner, der nicht in stiller Dankbarkeit die Hände faltet. –

Sollen die Unholde des Krieges vor den Mächten der Liebe nicht weichen? Eines Tages kehrt der Herzog heim in sein Land, ruhmlos, still und bescheiden. Den Lorbeer des Sieges darf er sich nicht um die Stirne flechten.

*

In den Tagen des Herbstes wandert Flattich auf der Ditzinger Straße hinüber ins Tal der Glems, um seinen Freund, den Beutenmüller zu besuchen, der ihn gerufen hat, um den letzten Trost von ihm zu empfangen. Er geht inmitten der Straße, die rechts und links von fruchttragenden Apfelbäumen gesäumt ist, und erklimmt langsam die Höhe des Strohberges, der wie ein großer Brotlaib auf dem erdbraunen Teller des Landes ruht und mit seinem grauen Gras, das dem Moose gleicht, den Schafen zur Weide dient.

Im Silberfluß des Lichtes ertrinkt das Land mit Tälern, Hügeln, Schloß und fernem Wald, daß nur eine gleißende Lichtspur im Auge verbliebe, wenn die Dinge auf einmal hinzuschmelzen begönnen oder sich dem Lichthimmel vermählten, der seine wachsende Wolkenstadt näher und näher ums Herz der Sonne baut und der irdischen Feste mit göttlichem Triumph über den Häuptern glänzt.

Eine große Schafherde wandert auf der sanften Welle des Berges empor, unzählige kleine Wölkchen von Wolle streben dem weich geebneten Gipfel zu und die schneeweißen Fließe der Lämmer gehen zuletzt über in die Schäfchenwolken des Himmels, daß kein Unterschied mehr ist zwischen Oben und Unten, Himmel und Erde.

Auf staubiger Straße wandert Flattich und spürt den Frieden des Herzens, der den Himmel gebiert auf Erden und die Erde mitreißen will in den Himmel der Seligkeit mit all ihren Schlangen und Lämmern, Kindern und Narren, Lümmeln und Sündern.

Während er noch in seiner seltsamen Himmelfahrt schwelgt, trifft Hufschlag an sein Ohr, und er gewahrt einen jugendlichen Reiter, der eben sein Pferd zügelt und es vor ihm zum Stehen bringt.

»Flattich!« sagt der Reiter und schaut ihm klug forschend ins Gesicht.

»Gnädiger Herr!« antwortet Flattich, als ob nichts wäre, und nimmt das Pferd am Zügel. Da stehen sie, der Herzog und sein geistlicher Freund, im Staub der Straße, schauen sich unverwandt in die Augen, und jeder sieht in der Miene des andern die stille Erfahrung, die der harte Griffel in die untrügliche Tafel gezeichnet hat, – und sie scheinen sich mit Schweigen mehr sagen zu können als mit Worten; mit Worten, die um so schamloser werden, je höflicher sie gesetzt sind.

Endlich sagt der Herzog: »Er hat mich beschämt!« Flattich schweigt. Dann dankt er seinem Herrn für die Gnade – eines Opfers, das ihn zum glücklichsten der Menschen gemacht hat.

»Was Ihm auch geschickt ist,« sagt der Fürst nachdenklich, »Gutes oder Schlimmes, Er besteht! Ich will von Ihm lernen, Flattich! Habt Dank! Grüßt Eure Frau von mir!«

Ehe Flattich ein Wort erwidern kann, ist der Fürst wieder auf dem Sattel und – fortgeritten. Der Zurückbleibende tritt auf die Seite und wendet sein Gesicht vom Staub. Dann nimmt er seinen Stock und fängt wieder zu gehen an. Er hat es schwerer als wir alle, denkt er bei sich, die Macht ist von dieser Welt. Ganz von dieser Welt.

Aber die Liebe ist – von droben.

Auf einmal gelüstet es ihn, sich umzudrehen und dem Reiter nachzuschauen. Da sieht er ihn auf einem fernen Acker wie eine schnelle Wolke dahinfliegen, sieht das Hütchen wippen – Roß und Mann in einem flatternden Geistermantel von Staub.

Mittlerweile hat er den Strohberg erstiegen und geht mit den friedlichen Lämmern dem reinen Himmel entgegen, der mit seiner glänzenden Stadt näher und näher kommt, und er meint nur noch die Hand recken zu müssen, um an die alabasternen Mauern zu rühren.

Er schwebt und tanzt hinan. Ist es noch die Erde, die ihn trägt, sind's schon die wolkigen Gründe?

Da wallen die Tore auseinander, leis rauschend auf Angeln der Lust, und ein Strahl der innigsten Liebe des göttlichen Vaterherzens geht ihm rosig scheinend übers Gesicht, daß er sich verschämt über die Augen fährt.

Zwei Genien stehn auf den Toren und heben langsam ihre Lichtposaunen über den Scheitel der Stadt, und ihre Jubeltöne, die sich droben im Äther freien, huldigen ohne Ende dem Gott der Liebe, der die Welt erlöst.


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