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Lassen wir unseren Flattich getrost überwintern in seinem Asperg! Der Schnee fällt langsam in großen Flocken. Der Hennendarmgarten sieht aus wie ein langes Lailach, das die Pfarrerin zum Bleichen gelegt hat.

Aber der Schnee bleibt nicht lange liegen im Schwabenland!

So milde der Winter dort ist, so grausam ist manchmal der Frühling. Die zarten Spitzen der jungen Gräser zittern vor seinem Wehen, und während die Luft noch beißt, daß die rauchenden Bäche schluchzen unterm bröckelnden Eis, tänzelt schon auf den Straßen der Märzenstaub. Mit dem neuen Jahr ist ein starker Geist eingezogen bei den Aspergern, und wir täuschen uns nicht, wenn wir vermuten, daß es Flattichs Geist ist, der in sie gefahren ist.

Der Pfarrer hat zu seinen bisherigen Ämtern ein neues hinzugenommen. Er sagt es mit Stolz, daß er Haus-, Hof- und Schatzmeister bei seinen Bauern geworden ist! Sie kommen zu ihm, wenn sie Saatgut bestellen wollen, und er weiß, wo es gut und wohlfeil zu bekommen ist. Er ist nicht müßig gewesen im Winter und hat nach aller Herren Länder Briefe geschrieben, Saatproben bestellt, und für die Zweifler, die nicht glauben ehe sie sehen, hat er auf eigene Rechnung Ware gekauft, die in großen Säcken in der Pfarrscheuer liegt und den ungläubigen Thomasen gegen geringes Geld zur Verfügung steht.

Dann hat er Pläne aufgestellt zur Bestellung der Felder.

Dem kleinen Gütler, der wenig Land besitzt, rät er Flachs zu bauen, denn der Herzog will keinen mehr einführen von draußen.

Pfuscharbeit nennt Flattich den Ackerbau, der nicht auch Futterbau ist! Darum dringt er darauf, daß Klee angebaut wird.

Als seine Mittel nicht mehr hinreichen, die Sorten und Samen zu bestellen, borgt er Geld von seinen Amtsbrüdern und von benachbarten Gutsherren; kurzum, er ist ein Tausendsassa geworden aus lauter Menschenliebe, und wenn er bisweilen auch schlechte Erfahrungen macht mit einem, der ihn um sein Geld prellt, er nimmt es nicht krumm und hofft, daß der Sünder reuig wird und ihm das geborgte Geld wieder gibt, wenn ihn die Ernte reich gemacht hat.

Ökonomie, Saatplan, Futterbau und dergleichen Worte sind seine werktägliche Predigt, und am Sonntag fleht er mit seinen braven Leuten zu Gott um den himmlischen Segen, der immer noch wichtiger ist als alles Tun und Sorgen.

 

Leuchtend wie ein rotblühender Kastanienbaum steht der Sommer im Pfarrhof. Die Felder draußen vor dem Dorf prangen in allen Farben, grün der Roggen, gelb der Raps, blau der Flachs und rot der ölbringende Magsamen.

Beim Heuen stellt sich der Pfarrer in den Dienst seiner Bauern, schindet sich Schwielen an die Hände, und zehnmal fährt er am Tag auf dem schwankenden Graswagen ins Dorf. Der Klee ist gut gediehen. Die Gütler tun sich Ziegen in den Stall, und die kleinen Bauern ziehen gerne das Kalb auf, das sie sonst dem Metzger gegeben hätten. Das sind gute Anfänge! Aber wartet nur erst ab, was die Ernte bringen wird!

Unterdessen hat Flattich Besuch bekommen.

Der Mann, den ihm der Kirchenkastenverwalter von Stuttgart ins Haus gelegt hat, ist ein seltsamer Gast und – kein guter, denn bald merkt es das ganze Dorf, was der Herr Kriegsrat Gegel in Asperg zu suchen hat. Steuern!!

Er läßt sich gründlich Zeit für sein Tun. Am Tage geht er hinaus auf die Felder, redet leutselig mit den Bauern, frägt, ob sie mit dem Jahr zufrieden sind, dann besucht er sie in den Häusern und Ställen, und schon hat er einen Kataster für Asperg angelegt, den er eines Tages dem Schultheißen zu lesen gibt.

Der findet den Kataster viel zu hoch für das Dorf, und da in dem Jahr auch Kriegs- und Salzsteuern eingezogen werden sollen, gibt er dem Kriegsrat zu verstehen, daß in Asperg nichts mehr zu holen ist! Der Herr Kriegsrat aber besteht auf seinem Kataster, die Bauern und der Schultheiß bestehen auf ihrer Weigerung.

Als Flattich erfährt, was der Kriegsrat in Asperg für ein Tun hat, stellt er ihn zur Rede. »Ich weiß nun, was Ihr in Asperg zu schaffen habt!« sagt er zu ihm, »Ihr nehmt meinen fleißigen Bienen den Honig weg. Ich trachte ihnen ihre Süßigkeit zu mehren und zu erhalten – und Ihr nehmt sie weg!«

»Wie redet Ihr mit mir?« erwidert der Gast; »ich bin Kriegsrat!«

»Mit Eurer Erlaubnis,« sagt Flattich, »und ich bin Friedensrat!«

»Ihr beklagt Euch mit Unrecht über die Steuern!« nimmt der Kriegsrat wieder das Wort. »Soll ich Euch an den Gulden erinnern, der nach Christi eigenen Worten des Kaisers ist?«

»Des Kaisers ist!« antwortet Flattich mit besonderer Betonung. »Aber von unseren Gulden steckt das erste Drittel Euer Kirchenkastenverwalter ein, das zweite der Minister, und der Rest mag dann an den Herzog fallen!«

»Ich werde noch ein andermal mit Euch reden!« sagt der Kriegsrat, – und noch am gleichen Tag fährt er von Asperg ab.

»Es hat sich ausgegegelt!« jubeln die Bauern.

Nun aber ist es Zeit, in die Ernte zu fahren!

Es ist so viel Korn gewachsen, daß man Fuhrleute, Drescher und Handlanger aus den benachbarten Dörfern kommen lassen muß, um den Segen hereinzubringen. Den ganzen Tag rumpeln die schwerbeladenen Wagen durch das Dorf. Viele fahren einen kleinen Umweg am Pfarrhof vorbei, um ihrem Flattich zu zeigen, was für einen Gewinn sie gemacht haben! Er steht am Fenster und dankt jedesmal dem Herrgott, wenn so ein fetter Wagen vorüberfährt.

Wenn der Acker geerntet ist, kommen die Sperlinge und begnügen sich mit dem, was sie noch an Körnern zwischen den Stoppeln finden. Die Steuerpresser des Herzogs aber sind keine bescheidenen Sperlinge – eines Tages sind sie im Dorf und der Herr Kriegsrat ist mit ihnen. Vorsichtigerweise logiert er diesmal im Wirtshaus. Zu seiner Bewachung hat er zwei Soldaten mitgebracht, die er auch anderswie brauchen will, sobald es nötig werden sollte. Er schickt seine Zettel in die Häuser, auf denen zu lesen ist, was der Bauer zu zahlen hat. Es bleibt ihm nicht mehr viel! Er wird gerupft, er wird gezwackt, und als er abgefedert ist wie eine Weihnachtsgans, heißt ihn der Herr Kriegsrat weiterhin fleißig sein! Da gerät Flattich in Zorn. Er schickt einen Boten an den Bruder des Herzogs in Stuttgart und bittet ihn, den Kriegsrat abzuberufen! Die Antwort, die er am andern Tag erhält, lautet: Die Ruhe wahren. Der Herzog sei bereits in großer Bedrängnis durch die Landstände, die wegen der Steuern mit Rebellion drohten.

Nun zeigen sich die Folgen jahrelanger Vergeudung! Als der Kriegsrat in Asperg vernommen hat, daß Flattich die Bauern in ihrem Widerstand bestärkt, verhängt er ihm eigenmächtig Hausarrest und stellt ihm einen Soldaten vor die Tür.

Das hindert Flattich nicht, seinen Gemeindekindern, die sich vor dem Pfarrhaus versammeln, eine Rede zu halten, in der er sie bittet, auszuharren, bis der Fürst seinen Willen geändert hat.

Der Kriegsrat ist aufs neue empört. Er schickt Flattich seine Soldaten ins Haus, läßt die Fenster schließen und die Läden zunageln.

 

Die Glocken läuten den Sonntag ein, einen bitteren Erntesonntag! Flattich legt seinen Talar an und will eben in die Kirche gehn, als sich der Herr Kriegsrat zu Besuch meldet.

»Die Ehre kommt mir zu ungelegener Zeit!« begrüßt der Prediger den Besucher unter der Tür.

»Ihr habt«, antwortet der Kriegsrat dreist, »die Ehre, wann es mir gefällt!«

»Wohlan!« sagt Flattich bestimmt, »nach der Kirche!«

Da zieht der Anmaßende den Degen und hindert Flattich, aus dem Hause zu gehn.

Da sich der Auftritt vor der offenen Haustüre vollzogen hat, spricht sich das Geschehene wie Feueralarm im Dorf herum.

Die braven Asperger greifen zu ihren Sensen und kommen in großen Haufen vor das Pfarrhaus gelaufen. Der Kriegsrat läßt sich dadurch nicht schrecken, und dreister als zuvor tritt er vor den Pfarrer und verbietet ihm, in der Kirche zu predigen, weil er genau zu wissen glaubt, was Flattich predigen wird. Da gibt es neuen Lärm!

»Er ist doch Kriegsrat,« sagen die Asperger, »will er auch Kirchenrat werden?!«

Unterdessen hat der Herr Gegel Hilfe von seinen Soldaten bekommen, die von seiner Bedrängnis gehört haben, und der Streit wird ernsthaft. Da mischt sich der Gefangene selber ein und bittet seine Bauern, heimzukehren und diesmal auf die Predigt zu verzichten.

Der Kriegsrat wittert hinter Flattichs Worten eine List, und weil er gut weiß, daß er den Leuten ihre Kirche nicht vorenthalten kann, sendet er einen Boten ins nachbarliche Dorf, der den Pfarrer bitten soll, an Flattichs Stelle zu predigen.

Flattich ist es zufrieden, aber die Bauern wollen keinen anderen Prediger auf der Kanzel sehen, lassen den Boten laufen, und nachdem sich der Kriegsrat mit den Soldaten in sein Wirtshaus begeben hat, ziehen sie vor das Gotteshaus und nageln mit langen Zimmermannsnägeln die Kirchentür zu.

Noch nie ist unserem Flattich ein Sonntag so langsam verstrichen wie dieser Erntesonntag, auf den er sich ein Jahr lang gefreut hat. Er sitzt in seiner dunklen Stube und wartet auf das Unheil, das nicht ausbleibt, wenn der Herzog von den Geschehnissen erfährt. Es ist gegen vier Uhr nachmittags, als er in seinem Gefängnis vernimmt, wie sich draußen auf der Gasse seine Asperger versammeln. Er liest beim Licht einer Kerze von Petri wunderbarer Befreiung aus dem Kerker, und als er an die Stelle kommt, wo der Engel die Pforten des Gefängnisses sprengt, spürt er Cherubimskraft in sich; – im selben Augenblick hört er von draußen seine Asperger den lutherischen Choral »Ach Gott vom Himmel sieh' darein« anstimmen, – und er steht auf, schlägt mit eherner Faust gegen den genagelten Laden, tut auch so beim zweiten und dritten, daß sie aufspringen und die Luft peitschen wie flügelspreizende Adler, steht am Fenster und singt, noch ehe die draußen mit dem zweiten Vers beginnen, den vierten:

Darum spricht Gott: Ich stehe auf!
Die Armen sind verstöret,
Ihr Seufzen dringt zu mir herauf,
Ich hab' die Klag erhöret!
Mein heilsam Wort soll auf dem Plan
Getrost und frisch sie greifen an
Und sein die Kraft der Armen!

Gegen solche Gottesworte weiß der Kriegsrat, der das Schauspiel vom Fenster seines Wirtshauses mit verbitterter Miene ansieht, nichts auf den Plan zu stellen und schlägt seinerseits den Laden zu, denn nun muß er fürchten, daß man ihm eine Kirche hält, die ihm in die Ohren gellt wie Donner des Gerichts!

Dann beginnt Flattich zu sprechen. Er tröstet, rät und ermahnt, und sein Reden wird begleitet vom Seufzen, Stöhnen und Weinen der Ausgeplünderten, vom Knirschen des Zornes, der die Männer an der Seele würgt.

Gerechtermaßen vergißt er nicht, seine Zuhörer zu schelten, daß sie eigenmächtig die Kirche verschlossen haben, und schwört ihnen, daß Gott die Pforte selber aufreißen wird, wenn sie die Untat nicht wieder gutmachen.

Während er noch spricht, tröstet und mahnt, kommt einer eilends ins Dorf gelaufen und ruft: »Der Herzog kommt! Wir sind verloren!« Einen Augenblick lang sieht Flattich das Schlimmste über sich hereinbrechen, die Asperger strömen auseinander, greifen nach Steinen auf der Straße, um sich gegen ihre Quäler zur Wehr zu setzen, da reißt sie Flattich mit einem einzigen Wort zurück, mahnt sie zu beten, und schützend hält er seine Hände über sie, während das Getöse des Hufschlags der herzoglichen Reiter näher und näher herandonnert.

Mit einem Male ein Schrei wie Entsetzen und Jubel zugleich! Als hätte der Blitz in die Gasse geschlagen, stieben die Asperger nach zwei Seiten auseinander, räumen die Straße, und mitten hindurch sprengen die herzoglichen Reiter ohne anzuhalten, der Wagen des Herzogs schwankt um die Ecke, und erstaunt sieht der Fürst, der sich zur Staatsberatung auf die Solitude begibt, seine Asperger zur Begrüßung auf der Straße aufgestellt und bedauert nur, daß er keine Zeit mehr findet, den Hymnus anzuhören, den ihm der Schulmeister bei solchen Gelegenheiten durch die Schulkinder singen läßt!

Ehe die braven Leute zur Besinnung kommen, ist der Herzog vorbei, und eine gelbe Wolke Staubes verschlingt ihn und seine Reiter hinter dem Dorf. Flattich läßt die ausgestreckten Hände sinken, die Asperger schauen sich erstaunt in die Gesichter, – und nur der Kriegsrat hinter seinem verschlossenen Laden hat von allem nichts gemerkt und keine Gelegenheit gehabt, vor seinem Herrn zu salutieren.

Nachdem die Furcht von den Gesichtern gewichen ist, kommt ein neues Geschrei in Lauf, aber diesmal kein angstvolles, sondern eines der höchsten Verwunderung, des frommen Schauderns. Flattichs Wort von der verschlossenen Kirche, die Gott selber öffnen wird, hat sich auf seltsame Weise erfüllt. Der Donner der Kavalkade hat den Boden so gerüttelt, daß das Portal der Kirche eingebrochen ist und die vernietete Tür unter Schutt und eingestürzten Trümmern zerschmettert liegt. Gott hat seine Kirche im Zorn wieder aufgerissen!

In der Nacht nach dem Geschehnis hat der Herzog zum ersten Male in seinem Leben den Willen gebeugt vor seinem starken Volke und beschlossen, die unerträglichen Steuern auszuheben.


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