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7

Beim ersten Hahnenschrei verließ Flattich das Dorf. Er schritt in seiner gewöhnlichen Tracht, einem älteren schwarzen Rock und langen Stiefeln, das Haupt mit einem wachstuchenen Überzug bedeckt, den man bei Regenwetter über den Dreispitzer stülpte, einer sparsamen, aber zureichenden Kopfbedeckung, die Straße nach Bietigheim hinab. Es ist wahr, daß Flattich auf seine äußere Erscheinung nicht übermäßigen Wert legte. Diejenigen, die seine Gewohnheit in solchen Dingen auf einen verkümmerten Sinn für Pflege und Schönheit, gar auf den weltfeindlichen Pietismus zurückführten, ließ er gerne bei diesem Glauben; bei guter Gelegenheit hatte er einmal einem Freunde den Grund seines Verhaltens entdeckt.

»Ein Hut«, hatte er gesagt, »ist doch ein unnützes Möbel in unseren Zeiten, wo jeder Schelm eine dicke Perücke darunter trägt, daß er aussieht wie ein Ratsherr!

Warum denn immerzu einen Eierkorb auf dem Kopf einhertragen? Läßt man ihn einmal in der Vergeßlichkeit irgendwo liegen, so belehrt uns gleich die nächstbeste Katze, zu was das Möbel tauglich ist, und jungt darin. Nun aber kommt das Lustigste! Hat man einen Hut, so muß immerfort mit ihm gedeckelt werden! Ja, es kommt mir manchmal vor, als hätten es die Hüte in sich, daß sie bei jedem zweiten Schritt in die Höhe hüpfen, durch die Luft schnörkeln, grüßen und gegrüßt sein wollen!

Und ehrlich gesprochen: Sind es nicht bloß zumeist die Hüte allein, die sich grüßen? Die Herzen gehen aneinander vorbei und wünschen sich was ganz anderes, als was der Hut sagt. Die falsche Mode des Grüßens bringt eine falsche Höflichkeit und die franzmännische Verlogenheit in die Welt, die uns gar nicht ansteht. Da bin ich schon für ein ehrlich ›Grüß Gott‹ ohne Hutschwenken und Kratzfuß! Der schönste Gruß aber ist jener, den die Alten gesagt haben: ›Gelobt sei Jesus Christus‹! Dabei denkt keiner ans Hutschwenken und ob der andere ein Präsident oder Gerichtsnotar ist. – Apropos, das Perückenpudern gefällt mir gar nicht. Das Mehl ist zu was Besserem da!«

Mit solchen Gesinnungen, ob wir sie nun gutheißen oder nicht, ging unser Prediger nach Stuttgart, um sich dort vor den schönsten und allerbesten Perücken zu verantworten, und wir dürfen ihm wünschen, daß es gut für ihn abgeht. Vorläufig aber war es noch eine gute Strecke bis dorthin. Der Morgen war frisch, es ging sich leicht, und nachdem der frühe Wanderer den Bietigheimer Torwart herausgeläutet, das obere Tor durchschritten und das untere wieder verlassen hatte, führte ihn die Straße geradewegs durch sein geliebtes Asperg, das er nun heimlich und von niemanden erwartet nach Monden wiedersehen sollte. Vor seinem einstigen Hause blieb er eine Weile stehen, horchte, ob sich schon etwas hinter den verschlossenen Läden rührte, als es aber still blieb, schlich er leise wie ein Dieb über den Hof und schaute beim dämmrigen Lichte in seinen geliebten Hennendarmgarten.

Aber welche Enttäuschung!

Alles was er mit Mühe und Liebe angelegt hatte, war zerstört oder verändert. Ein störriger dichter Graswuchs verbreitete sich über die kleinen Beete, aus denen er Rettiche, Gurken und Kohlrübchen gezogen hatte; sein langer Philosophenweg war zugeworfen, die Bohnenlaube abgetragen, – und ihre Pfähle, die zu einem Bündel zusammengeschnürt waren, lehnten am Zaun gegen den nachbarlichen Dunghaufen.

Sein Lieblingsstück, das Rosenrondell, war glücklicherweise verschont geblieben. Wenn auch unbeschnitten und voll wilder Triebe stand das Bäumchen inmitten der Graswildnis, und ein einziges rotes Röschen glänzte silbertauig unter den wirren Blättern hervor. Da – ein schwaches Wehen der Morgenluft! und seine Silberperlen mit einem Ruck abstreifend wippte es plötzlich in die Höhe, als hätte es seinen einstigen Pfleger erkannt und versuchte, das Köpfchen reckend, anmutig zu grüßen.

Er hätte das Röschen gerne als Andenken mitgenommen, aber es wäre ja Diebstahl gewesen. Darum zog er sich leise zurück, nickte ihm noch einmal freundlich zu – und ein solcher Gruß, mag er nun verstanden werden oder nicht, ist gewiß einer, der von Herzen kommt!

Er war noch keine Stunde über Asperg hinausgegangen, hatte Ludwigsburg passiert, wo eben die geputzten Herrschaftsmägde mit den Milchbauern auf der Straße schwatzten, feilschten und schäkerten, als ihn auf der Staatsstraße nach Stuttgart ein Gefährt überholte, in dem ein geistlicher Herr im feingebürsteten Rock saß, der den ruhig dahinschreitenden Wandersmann freundlich begrüßte.

Flattich dankte auf seine Art, indem er den Hutschoner vom Kopfe nahm, ihn in der Hand verkrümmelte und schnell in die hintere Tasche schob. Der Herr hatte die linkische Gebärde nicht übersehen, lächelte, und da er den Wanderer für einen ehrlichen und bescheidenen Handwerksmann hielt, ließ er die Kutsche anhalten und lud Flattich ein, neben ihm Platz zu nehmen.

Der Kutscher, der sich noch den Schlaf aus den Augen rieb, sah kaum hinter sich, und als ihm der Herr wieder Fahrtbefehl gab, rollte das Gefährt in seinem munteren Trab gleichmäßig weiter wie zuvor.

Der geistliche Herr hatte ein empfindsames, längliches Gesicht, war offenbar von Hause aus wohlhabend, wiewohl kaum höher im Rang als Flattich selbst, ein Dorfpfarrer, aber einer von der neumodischen Klasse, die vom Konsistorium bevorzugt wurde, also weltmännisch, repräsentabel, durch Abkunft und Vermögen in die Lage versetzt, vom gemeinen Volk Abstand zu halten, wie es sich für die mitregierende Beamtenschaft jetzt ziemte. Sie waren noch keine hundert Radlängen gefahren, als der Herr einen kleinen Schwatz in Gang zu bringen versuchte, indem er die guten neuen Straßen lobte, die der Herzog jetzt bauen ließ, langsam aufs Wetter überging, und zuletzt unseren Flattich in herablassender, aber nicht unhöflicher Weise fragte: Ob er wohl Geschäfte in Stuttgart habe oder ob er vergnügenshalber reise!

Flattich antwortete, sein Inkognito säuberlich wahrend: »Unsereins reist selten Vergnügens halber, werter Herr! Schöne Geschäfte sind es nun aber auch nicht gerade, die ich in der Residenz betreiben soll!«

»Also werdet Ihr wohl aus Ämtern und dergleichen zu tun haben!« meinte der Geistliche, und da Flattich nicht widersprechen wollte, war er mit der selbstgegebenen Antwort schon zufrieden. »Mir«, sagte er und machte eine hinreichend säuerliche Miene, »steht ein sehr unerfreulicher Handel bevor in der Stadt!«

»Und was ist's für einer? Will aber nicht neugierig sein!« fragte Flattich.

Der Geistliche räusperte sich heftig, zog ein reines weißes Tüchlein hervor und hustete ein paarmal gegen die kalte Morgenluft, dann sah er den vermeintlichen Handwerksmann prüfend von der Seite an und sagte: »Gesteht! Ihr seid doch ein Mann aus der hiesigen Gegend?«

»Schon ziemlich lange!« antwortet Flattich.

»Kennt Ihr«, fragte der Geistliche und fiel plötzlich in den vertraulichsten Flüsterton, »den ehemaligen Pfarrer von Hohenasperg? Ihr habt so ein ehrliches Gesicht, daß ich Euch wohl vertraue!«

»Den Gefragten«, antwortete Flattich mit einigem Zögern, »kenne ich so gut, ich will sagen, wie mich selber.«

»Um so besser!« fiel ihm der Geistliche aufgeregt ins Wort, »Ihr habt so ein ehrliches Gesicht und seid ein Mann aus dem Volke. Sagt mir offen, was hieltet Ihr von ihm?«

»Ich hielte von ihm,« antwortete Flattich ohne zu zögern, »daß er, mit Respekt zu sagen, kein geringer Kauz gewesen ist!«

»Sehet! Da trefft Ihr gerade den Nagel auf den Kopf!« rief der Geistliche sehr lebhaft – »Euresgleichen hat eben immer das Herz auf dem rechten Fleck! Ich will Euch aber verraten, daß er überdies ein recht böser Kauz gewesen ist, wie ich genau weiß, denn er ist mein Vorgänger im dortigen Amt!«

Über Flattichs Gesicht ging ein heiterer Zug, aber keinen Augenblick lang ließ er sich seine Bestürzung anmerken, nachdem ihm der Nachbar sein Hauswappen enthüllt hatte.

Ja, ruhiger und besonnener als zuvor blickte er vor sich nieder und sagte zu dem Herrn:

»Man tut den armen Waldkäuzen leicht unrecht, wenn man sie wegen ihres sonderbaren Wesens für böse hält. Der Schuhu ist, wie wir einfachen Leute wissen, ein ganz friedlicher Vogel – und der ›Flattich‹, der ein Verwandter des Schuhu ist, soll nicht eben besser oder schlechter als ein gewöhnlicher Schuhu sein!«

»Ich glaube,« rief der Herr auf einmal lachend aus, »Ihr seid selber so ein drolliger Schuhu, lieber Mann!« und schlug ihm sanft auf die Schulter.

»Ihr ratet nicht viel daneben!« antwortete Flattich.

»Doch Ihr erlaubt,« unterbrach ihn der Geistliche, »ich wollte im Ernste reden und habe auch allen Grund dazu! Der sonderbare Schuhu, Euer Flattich, hat mir schon manche schlaflose Nacht bereitet! Ich tue mir mit den Aspergern ordentlich schwer.«

»Sie sind eine besondere Rass'«, sagte Flattich.

»Ganz recht!« fuhr der Geistliche fort, »störrig, unfreundlich, bockig und zuweilen liederlich!«

»Dann aber«, unterbrach ihn Flattich, »auch wieder treu, anhänglich und dankbar!«

»Ei, das habe ich noch nicht gespürt!« sagte das Herrchen spitzig, »da müßt Ihr sie anderswie kennengelernt haben! Um aber auf den Flattich zu kommen, bin ich der Meinung, daß er sie recht verzogen hat, und bin dem Manne ordentlich gram. Nicht nur, daß er all ihr Vertrauen an sich gerissen und mir einen leeren Sack hinterlassen hat; der Falsche geht sogar so weit, daß er heimlicherweise gegen mich intrigiert, geheime Zusammenkünfte mit ihnen pflegt und mir mit seinem Pietismo ein Kuckucksei in die Gemeinde gelegt hat!«

Der Geistliche hatte sich während seiner Anklage sehr ereifert, zog wieder sein Tüchlein hervor und hustete heftig hinein.

Flattich sah ihn mitleidig von der Seite an und war nahe daran, sein Inkognito zu lüften, denn die Szene griff ihn selber an.

Der Nachbar fuhr fort: »Ihr sagtet doch, daß Ihr den Flattich kennt! Ist er nun ein solches Scheusal, wie ich sagte, oder nicht? Ein grober Flegel muß er überdies sein. Wurde mir doch gesagt, daß er sein armes Weib fast täglich prügelt! Schon vor der Hochzeit soll er ihr eine Ohrfeige gegeben haben. Ist das noch ein Diener Gottes und ein Vorbild für die Gemeinde?«

»Vom Hörensagen«, antwortete Flattich, »kommt leicht das Lügen auf! Das mit der Ohrfeige vor der Hochzeit soll seine Wahrheit haben, aber man erzählt sich auch, wie sie zustande gekommen ist.«

»Da bin ich begierig!« rief der Pfarrer.

»Der junge Ehemann«, erklärte ihm Flattich in aller Ruhe, »hat seiner Frau eine Geduldsprobe gestellt.«

»Mit einer Ohrfeige? Recht wenig edel!«

»Jawohl!« bestätigte der Erzähler – »ob es nun wiederum so unedel war wie anderes weiß ich nicht! Jedenfalls war es ungeschickt! Aber wer ist in seinem Leben nicht einmal ungeschickt? Er hat eben nicht daran gedacht, daß es sein Weib ist, das neben ihm sitzen wird im Hausregiment. Aber wer weiß immer so genau, wer gerade neben ihm sitzt? Man sollte ihm die Geschichte nicht nachtragen!«

Der Geistliche war ein wenig nachdenklich geworden, vielleicht erinnerte er sich, daß er auch schon Ohrfeigen am falschen Ort ausgeteilt hatte. Nach einer Weile fing er in gemäßigter Tonart wieder an: »Ihr scheint mir ein ehrlicher Mensch! Sagt mir eines: Kann man mit dem Pfarrer Flattich ein vernünftiges Wort reden, oder besser, kann man mit ihm auf einer Bank sitzen?«

»Das hat schon mancher getan!« antwortete der Gefragte, »und hat sich nicht übel neben ihm gefühlt!«

»Ihr zum Exempel, der Ihr nur ein einfacher Mann seid,« sagte der Pfarrer, »flößet einem durch Euer ruhiges Wesen und vernünftiges Reden ein rechtes Zutrauen ein. Ob das der Flattich auch kann?«

»Nicht minder,« antwortete der Schelm in Flattich, »oder genauer gesprochen, ganz ebenso!«

»Noch eins, guter Mann!« sagte der Geistliche, »der Flattich schnupft! Ist das nicht ein übler Beigeschmack für einen geistlichen Mann?«

»Es hat jeder so sein Geschmäcklein an sich, Ihr das Eure wie ich das meine. Wer den Flattich schätzt, den geniert es wenig!«

»Ihr habt recht!« gab ihm der Pfarrer zu. »Nun, ich werde wohl heute in Stuttgart den Herrn vor dem Konsistorium zu Gesicht bekommen und bin mächtig gespannt, ihn zu sehen. Vielleicht gefällt er mir ganz gut und wir werden am Ende noch Freunde!«

»Es hat die besten Vorzeichen«, sagte Flattich, und da sie eben in Feuerbach einfuhren, wo er einen Besuch zu machen hatte, erhob er sich, bedankte sich für die Wagenfahrt bei dem Asperger Pfarrer, der sogleich anhalten ließ, und bot ihm, wie es unter Landsleuten Sitte ist, zum Abschied eine Prise an. Der Asperger zögerte einen Augenblick, dann griff er mit spitzen Fingern in die Dose, lächelte und sagte: »Einem so braven Manne wie Euch will ich eine Prise nicht abschlagen. Ihr habt christlich und menschlich gesprochen.«

»Grüßet«, erwiderte der huldvoll Angesprochene daraus, »den Pfarrer Flattich von mir, wenn Ihr ihn im Consistorio treffet!« – und schon war er abgestiegen und eilig hinter den Wagen getreten.

»Aber wer seid Ihr denn?« rief der Geistliche in seiner Chaise. Flattich gab keine Antwort mehr und winkte dem Fuhrmann, schleunigst weiterzufahren, was der Asperger Schelm auch tat, der das ganze Gespräch mitangehört, seinen ehemaligen Pfarrer dabei erkannt und vollends bei der Prise ein Gelächter kaum hatte unterdrücken können.

 

Nachdem unser Freund bei seinem Feuerbacher Amtsbruder einen kurzen Besuch gemacht hatte, stieg er mächtig bergan, um die Höhe zu gewinnen, von der man die herrliche Schwabenstadt mit einem Blick übersehen kann. Er stieg im Zickzackweg durch die kleinen steilen Weingärten, wo ein brauchbarer Wein wächst, blieb manchmal aufatmend stehen und hörte während solch einer Pause, als er auf halber Höhe des Berges angekommen war, plötzlich in der Nähe eine weibliche Stimme herzerweichend klagen weinen, und seufzen.

Er rief laut, wer da sei; da verstummte die Seufzerin.

Nach einer Weile drang es ihm wieder ans Ohr, gedämpft und zurückhaltend, da schlich er die verborgen Wehklagende listig an und fand sie in einem kleinen halb ausgehauenen Wingert auf einem Stein sitzen und stoßartig in ihre Schürze weinen.

»Was fehlt Ihr denn?« fragte Flattich.

Das Weib sah den ärmlich gekleideten Mann, der vor ihr stand, flüchtig an und antwortete: »Ach, Er kann mir doch nicht helfen!«

»Weiß Sie das so bestimmt?« entgegnete ihr Flattich in sanftem Ton und bat sie, ihm wenigstens zu sagen, was ihr so viel Kummer mache. Das Weib gewann Zutrauen und war endlich froh, ihr Herz bei jemanden erleichtern zu können.

Und was stellte sich heraus? Sie litt an demselben Kummer wie einst die Motzin in Asperg, nur mit dem Unterschied, daß ihr Mann, der Trunkenbold, schon die Hälfte seines Besitzes vergeudet hatte und auch den Rest, seinen kleinen Weinberg, verlieren sollte, wenn es nicht gelang, in letzter Stunde dreißig Gulden zu beschaffen, mit denen er sich von einem Gläubiger loskaufen konnte.

Flattich visitierte seinen Beutel und reichte der Frau ohne etwas zu sagen die dreißig Gulden.

Sie sah ihn mit großen Augen an, nahm das Geld in die Hand, weinte aber noch heftiger als zuvor.

»Was hat Sie nun wieder?« fragte Flattich verwundert, »braucht Sie vielleicht doch mehr als dreißig Gulden?«

»Nein! Nein!« jammerte die Frau laut, »das Gericht glaubt mir's ja nicht, daß ich das Geld so gekriegt habe, und wird sagen, ich hätte es gestohlen!«

»So macht uns die Armut zuletzt kleinmütig«, seufzte Flattich. »Liebes Weib, nehmt das Geld ruhig an, dankt Gott für die erfahrene Hilfe, zahlt Eure Schulden und habt Geduld mit Eurem Mann! Er wird nicht mehr trinken.«

Er sagte das so bestimmt, weil er genau wußte, daß auch der verworfenste Mann sich schämt, wenn seiner Frau von einem anderen Mann geholfen wird!

»Jetzt glaub ich Ihm schon alles!« sagte die Frau, stand auf und küßte ihm die Hand; »und wer seid Ihr denn?« fragte sie.

»Einer, dem man vor Gericht auch seinen ›Wingert‹ nehmen will wie Euch!« antwortete Flattich ernst.

»Ich glaube,« sagte die Frau, »Ihr habt etwas, was Euch das Gericht nicht nehmen kann – und davon habt Ihr mir gegeben. Vergelt's Gott im Himmel! Ich will für Euch beten, daß es gut hinausgeht!«

»An Euer Gebet glaub ich gern, armes Weib«, antwortete Flattich, segnete sie und dachte auf seinem Weiterweg darüber nach, wer in diesem Falle eigentlich der Beschenkte gewesen sei!

Um vor dem Konsistorium der Kirchenräte in würdiger Kleidung zu erscheinen, hatte Flattich bei seiner Abreise beschlossen, in Stuttgart ein neues Gewand zu kaufen und zu diesem Zwecke dreißig Gulden und einige mehr eingesteckt. Die runden dreißig waren nun schon dahin und retteten ein armes Weib vor dem Elend. Mit den restlichen acht kaufte er sich bei einem Kleinhändler in der Hauptstadt ein neues Gewand; es war nicht vom besten Zeug, aber stand ihm gut. Als es damit einen neuen Scheinmenschen angezogen hatte, wanderte er zur vorgeschriebenen Stunde in das alte weitläufige Haus, das schon viele vor ihm mit klopfendem Herzen betreten hatten. Unserem Flattich war allerdings keine Spur von Erregung anzumerken, und weil er ohne jede Erschrockenheit geradeaus den Weg zum Zimmer des Präsidenten nahm, pochte – und hereingebeten wurde, begann jener, der Zorn hieß und wegen seines heftigen Temperamentes füglich der ›Zorn der Kirche‹ hätte genannt werden können, sogleich die Verhandlung und rief erst im Laufe derselben die übrigen Perücken hinzu.

Der Herr Präsident war unserem kleinen eigenwilligen Landpfarrer wenig gewogen und schmetterte gleich zu Beginn eine schwere Anklage gegen ihn, bezichtigte ihn der Gesetzlosigkeit, einer selbsterfundenen wilden Theologie, der Schwärmerei und des kirchlichen Separatismus.

»Das ist, Euer Hochwohlgeboren, Herr Präsident,« erwiderte Flattich nach einiger Überlegung, »viel mehr, als ich erwartet habe!

Es verlohnt sich, daß ich hergekommen bin! Wenn Ihr mir gestattet, daß ich etwas dazu sage, dann will ich ganz vorne beginnen. Als ich acht Jahre alt gewesen bin, habe ich meiner Mutter aus freiem Willen gelobt, ein Diener Gottes zu werden. Und als ich es dem äußeren Anschein nach endlich geworden war, habe ich meinem Herrgott Tag für Tag aufs neue gelobt, ein richtiger zu werden und nicht einer, der im Theologischen seinen Broterwerb findet.

Wem anderen habe ich nun die Treue geschworen als meinem Herrgott, vor dem ich ein armer Sünder bin, wie ich allezeit weiß!«

Dieser Anfang gefiel dem Herrn Präsidenten sehr wenig und er beliebte Flattich zu unterbrechen und auf die Eidesformel hinzuweisen, die er bei seiner Bestallung vor dem Konsistorium und der lutherischen Kirche abgelegt habe. Flattich gab gern zu, daß er der Kirche seinen Gehorsam versprochen habe, und bat zu erfahren, in welchen Dingen er seinem Versprechen nicht nachgekommen sei.

»Ihr habt Euch«, fuhr der Präsident heftig fort, »in Eurer Gemeinde Metterzimmern dem pietistischen Schwarm angeschlossen und Euch nicht geschämt, als Pfarrer der lutherischen Kirche von diesen Schwarmgeistern Belehrungen anzunehmen! Habt also dem Ansehen des geistlichen Standes einen augenfälligen Schaden zugefügt! Wie verteidigt Ihr Euch?«

»Ich verteidige mich«, antwortete Flattich, »hierin gar nicht, hochwohlgeborene und erleuchte Herren! Denn in diesem Punkte bin ich, offen gestanden, mangelhaft. Mangelhaft einer größeren Liebe zu Gott und eines besseren Gottverstehens, wie ich es bei diesen einfachen Leuten gefunden habe.

Es ist nun aber natürlich, daß das Kalb bei der Kuh saugt – und nicht umgekehrt! Da ich ein durstiges und hungriges Kälbchen bin, hole ich mir meine Nahrung dort, wo ich sie finde. Weil es erwiesen ist, daß die geistlichen Gaben nicht nach Stand, Bildung und Ansehen von Gott verliehen werden, bin ich nach meinem Glauben einen rechten Weg gegangen und habe dem Pfarrerstand eher genützt als geschadet! Wollten nur die Herren einmal diese meine sonntäglichen Kritiker, denen ich für ihre Belehrungen dankbar bin, reden hören, so wüßten sie wohl, wo es unsereinem gewöhnlich fehlt. Überdies stehe ich mit meinen Gemeindeleuten auf dem brüderlichen Boden der Freundschaft und lasse mir von ihnen so gut was sagen, wie ich mich von Euch hochwohlgebornen Herren auf dem Konsistorium richten lasse!«

Flattichs Antwort gefiel einem Teil der Räte sehr gut und einem anderen, zu dem sich der Präsident hielt, noch viel weniger als die erste. Eine Gleichheit der Meinungen kam darüber nicht zustande, und Flattich erlaubte sich im Anschluß daran zu sagen, er sehe, daß auch bei ihnen keine Stimme vorherrsche und der Standpunkt der brüderlichen Übereinkunft doch zuletzt auch hier begangen werden müsse, wie bei ihm zu Hause in Metterzimmern. Einige von den Räten fanden die Bemerkung vernünftig, und da sie nicht ohne Anmut und Witz vorgebracht war, verbreitete sich von ihrer Seite ein zunehmendes Wohlwollen für Flattich, das mit einigem Respekt und Gefallen an seiner originellen Person verbunden war.

»Euer Verhalten ist keineswegs verzeihlich,« urteilte der strenge Präsident, »verdammenswert jedoch ist, was Ihr außerdem getan habt. Euer Amtsnachfolger in Asperg hat geklagt, daß Ihr Euch mit Leuten seiner Gemeinde außerhalb des Dorfes getroffen habt, ja, daß Ihr ihnen förmliche Andachten unter freiem Himmel gehalten habt, wobei es recht ungeniert zugegangen sein soll!

Ihr seid ein Sabbatschänder, Flattich, und ein geistlicher Wirbelwind, dem wir das Handwerk legen werden!

Habt Ihr darauf etwas zu erwidern? Oder was sagt Ihr, wenn wir Euch wissen lassen, daß einige Burschen, die zu Euren sogenannten Andachten gelaufen sind, auf dem Nachhauseweg mit ihren Mädchen Liederlichkeiten verübt haben?«

Flattich wurde bleich, als er den Vorwurf hörte, faltete die Hände und antwortete: »Ich habe die Stimmen meiner verlassenen Schäflein gehört, die in der Wüste nach Wasser geschrieen haben, – und habe meinem Herzen Gehorsam geleistet. Wenn Frevler zu mir gekommen sind, so haben sie am Sabbat gefrevelt und werden dafür hart büßen müssen. Bringt mir aber zuerst den Beweis, dann will ich beklagen, daß ein gutes Werk eine schlechte Frucht gebracht hat! Sagt mir die Namen!«

Der Präsident zog eine höhnische Falte ins Gesicht, schellte seinem Diener und befahl:

»Der Pfarrer von Asperg!«

Inzwischen, ehe der Gerufene eintrat, stellte sich Flattich an ein offenes Fenster und rang im stillen Gebet um einen guten Ausgang. Unmerklich war die Tür aufgegangen und der Pfarrer von Asperg war eingetreten.

»Seid Ihr der Pfarrer von Asperg?« fragte ihn der Präsident, und als der Neugekommene bejahte, wies er mit dem Finger auf Flattich, der am Fenster stand, und sagte: »Dort steht Euer Widersacher!« In diesem Augenblick drehte sich Flattich um und schaute seinem Ankläger ins Gesicht. Der Asperger erkannte in ihm den Handwerksmann, den er vor wenigen Stunden in seiner Chaise hatte fahren lassen, machte einen Hasensprung auf die Türe zurück und stotterte: »Geht es hier mit rechten Dingen zu, Herr Präsident, oder nicht?« Flattich erwiderte: »Das ist's, was ich mich die ganze Zeit her frage!« ging auf den Mann zu, gab ihm die Hand und bat ihn, seine Anklage gegen den Pfarrer Flattich offen und tapfer auszusprechen.

Der Asperger, noch immer bei der Türe verharrend, sagte: »Ich führe gegen diesen Menschen keine Anklage, ob er nun Flattich heißt, Schuhu oder Eulenspiegel!«

»Seid Ihr ganz von Sinnen,« brauste der Präsident auf, »oder wollt Ihr mich zum Narren halten?«

»Mit Verlaub,« antwortete der Pfarrer von Asperg und fand allmählich seine fünf Sinne wieder zusammen, »ich bin heute morgen von diesem Mann auf eine solch edelmütige Weise genarrt worden, daß ich mich zuerst fassen muß! Wenn dieser Mann, den ich in meinen Wagen genommen habe, der Biedermann ist, den ich in ihm kennengelernt habe, dann finde ich keinen Grund, gegen ihn zu eifern, ob er nun der Flattich ist oder ein anderer!«

»Daraus wird der Teufel klug!« schrie der Präsident wütend, riß sich die Perücke vom Kopf und schlug sie mit solcher Kraft auf den Tisch, daß Kläger und Beklagter für Augenblicke in der dicken Wolke des amtlichen Staubes zu ersticken drohten. »Ein widerwärtiges Schelmenstück!« schrie er; »steht Ihr nun zu Eurer Anzeige oder nicht?«

Der Asperger hustete sich zuerst seine Ängstlichkeit weg, dann erklärte er: »Ein guter Geist hat mir die Augen geöffnet über meinen Widersacher, Herr Präsident! Auf voreingenommene Weise habe ich Dinge, die mir über den Pfarrer Flattich zu Ohren gekommen sind, nach außen gekehrt und ihnen die widerwärtigste Seite abgesehen. Ich bekenne, daß ich mich getäuscht habe, bedaure meine Anzeige und beklage nur, daß mir Pfarrer Flattich wider Willen die Seelen meiner Asperger präokkupiert hat, aber darüber weiß ich mich ja mit ihm selbst ins reine zu setzen – und hoffe mit einem solchen Biedermanne auf guten Fuß zu kommen!«

»Ihr hofft nicht umsonst!« versicherte ihm Flattich und reichte ihm die Hand.

Der Präsident hatte den Eindruck gewonnen, daß der Asperger ein kapitaler Schwachkopf sein müsse, sprach es offen aus und erntete dafür den Widerspruch Flattichs, der sich mit seinem Kläger aufs freundschaftlichste verband und den Gegenstand der Verhandlung mit wenigen Worten zunichte machte. Der Präsident, der Flattich seine Autorität zu zeigen gewillt war, gab sich damit nicht zufrieden, nahm den Gegenstand des Streites noch einmal auf und wickelte ihn umständlich ab, wobei der Asperger Stück für Stück seiner Anklage zurücknahm, bis der Perückenrat schließlich die Lust am Prozesse verlor und die Sache mit einem linden Verweis für die beiden zu Ende brachte.

In einer gütlichen Aussprache, zu der man nun beiderseits Lust zeigte, bat Flattich höflich um einen größeren Arbeitsacker, als Metterzimmern einer war, wurde aber mit dem Bescheid abgefertigt:

»Bleib Er in Metterzimmern! Dort paßt Er hin!« Der also Beschiedene machte seinen Kratzfuß und zog mit seinem neuen Freunde Arm in Arm ab.

Wundern wir uns nicht, wenn wir unseren Flattich am Abend des Tages in derselben Chaise, mit der er morgens gefahren kam, auf der Ludwigsburger Straße nach Hause rollen sehen; ihm zur Seite sein neugewonnener Freund, der sich glücklich pries, den Wald- und Feldprediger, den Pietisten, Haustyrannen und Tabakschnupfer kennen und lieben gelernt zu haben.

Als die beiden in Asperg angekommen waren, besorgte der neue Freund einen tüchtigen Versöhnungsimbiß, dann fuhr er seinen Amtsbruder hinüber in sein Metterzimmern, wo Flattich schon sehnlich erwartet wurde.


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