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3

Es war ein Glück, daß der Motz in jener Nacht noch einen Leckerbissen im Pfarrhaus zu essen bekam, – sonst hätte Flattich nie erfahren, was für Früchte sein Tun und Predigen in Asperg gezeitigt hatte!

Wir müssen nachholen, daß der Prediger seit Monden einen frommen Krieg gegen die Bettler und Faulenzer führte, die auf dem mageren Boden der Markung zahlreicher saßen als an anderen Orten, wo der Letten nicht so schwer und der Geist nicht so tatenlos war!

Der Motz hatte ihn wissen lassen, daß sich die Bettelsackträger seit der Zeit, da ihnen Flattich ins Gewissen gesprochen hatte, zwar schämten im eigenen Dorf Kundschaft zu halten und mit Vergeltsgott zu zahlen, daß sie dafür aber in die anstoßenden Dörfer zogen, um ihr Futter von fremden Krippen zu raufen, und so ihren Hirten auf schmähliche Weise hinters Licht führten! Nicht genug, daß sie es selber taten, sie richteten auch ihre Kinder zum Bettel ab, schickten sie über Feld und verderbten die junge Menschennatur aufs gottsträflichste.

Einem jungen Prediger tut es gut, wenn er zuerst sein Asperg findet, sonst wird er Gottes Faultier und glaubt am Ende, er müsse nur das Wort säen und die Heiligen Gottes wüchsen daraus hervor wie die Kürbisse!

Welch ein Segen für unseren Prediger, daß er zeitig sein Asperg fand!

 

Die Unterredung, die Flattich am andern Morgen mit seiner Frau über die Bettelei führte, war kurz und bündig und zeigte den tätigen Mann schon im neuen Sattel.

»Was werde ich tun,« fragte er seine liebe Margarete, »um einer so tiefen Verderbnis entgegen zu wirken?!«

Sie antwortete: »Du wirst predigen, Flattich, und ihnen sagen: ›Ihr müßt arbeiten und im Schweiße eures Angesichtes euer Brot essen‹!« –

»Ich werde es nicht tun!« sagte Flattich, während er keuchend seine langen Stiefel anzog, »und weißt du auch warum, Margarete?«

»Weil du ein besseres Textwort nimmst!«

»Es gibt kaum ein besseres!«

»Dann nimmst du ein geringeres!«

»Nein!« entschied Flattich, »ich nehme überhaupt keines, weil Gottes Wort keine Donnerbüchs ist! Darauf bin ich heute nacht gekommen! Adjes, meine Liebe!« – und hinaus war er!

Sein Weg führte ihn an kleinen Gärten entlang, durch Winkel und Höfe, und am Ende mitten durch eine offene Scheuer, die jedermann als Passage benutzte, hinaus aufs freie Feld, wo ihm der Wind schon oktoberlich rauh um die Ohren wehte. Es war kalt geworden über Nacht.

Einer Vogelscheuche gleich stand er unbeweglich lange Zeit in einem Rübenacker und beobachtete, wer in das Dorf hinein- und wer herausging. Als ihm der Wind zu sehr mitspielte, suchte er Unterstand in einer weiter draußen liegenden Feldscheuer und lugte allemal durch die Lattenritzen, wenn jemand auf dem Feldweg gegangen kam. Beim Elfeläuten sah er einige Kinder von Markgröningen her über Feld kommen, jedes mit einem Hamstersäckchen. Es waren ihrer gleich vier. Der Oktober pfiff so kalt, daß die frierenden Kinder bisweilen hinter Bäumen im Feld Zuflucht suchten und in die kalten Fäustlein hauchten. Als sie die Feldscheuer sahen, beschlossen sie, dort Unterstand zu suchen, fingen plötzlich an zu laufen, jubelten und schrieen, als wäre die Schule aus. Lachend und lärmend stürmten sie durch das offene Tor und wunderten sich nicht wenig, an diesem Ort ihren Pfarrer zu treffen. Flattich saß auf einer Schütte Heu und hieß die Knaben lärmen und sich Bewegung machen, denn ihre Bäckchen waren schon blau vor Kälte.

Bald waren die Kleinen, von denen der älteste dreizehn und der jüngste acht Jahre alt sein mochte, in eine harmlose Keilerei verstrickt, und da eine solche nie ohne ein begleitendes Wortgefecht abgeht, wußte Flattich sehr schnell, welche Art von Menschengewächs er vor sich hatte.

»Jaköble,« wandte er sich unvermittelt an den ältesten von den Buben, »wie oft schickt dich denn dein Herr Vater mit dem Bettelsack über Feld?«

»All ander Tag!« antwortete der Jaköble freimütig.

»Bringst du denn auch immer was her?« fragte er weiter.

Noch ehe der Knabe antworten konnte, drängten sich die andern alle um den Heuhaufen, auf dem Flattich saß, und antworteten an seiner Statt: »Ja, der Jaköble schnurrt am besten von uns!« – »Er hat uns eingelernt!« –

»Wenn er einmal nichts heimbringt, gibt ihm sein Vater was hinten drauf!« –

»Und ihr andern,« fragte Flattich, »kriegt ihr auch Schläge daheim, wenn ihr nicht genug zubringt?«

Da nickten sie alle so gleichmütig, als verstünde sich die Strafe von selbst. Das traf ihn ins Herz.

Er stand auf, ging mit den Kindern auf und ab, nahm sie einzeln in die Arme und wärmte sie.

Dann fragte er sie wieder durch Jaköble, den ältesten:

»Glaubt ihr, daß es etwas Schöneres gibt als Betteln?«

»Ja!« antwortete der Jaköble hurtig, – »reich sein!«

»Das Reichsein ist in deinen Augen gewiß sehr schön, Jaköble,« gab ihm Flattich zu, »gibt es aber nicht noch was Schöneres?«

Die Kinder wußten nicht, was noch schöner sein sollte als reich sein, und schauten ihren Pfarrer verwundert an.

»Ist fleißig sein nicht schöner als reich und – faul sein?!« wandte sich Flattich wieder an den Knaben.

Der Jaköble nickte, dann fuhr es ihm plötzlich heraus: »Herr Pfarrer, ist das Betteln eine schlimme Sünd?«

»Es ist eine Sünd!« erwiderte Flattich und schaute ihn lange an.

»Dann mag ich meinen Vater und meine Mutter nicht mehr leiden!« schrie der Knabe mit einemmal und war sehr aufgeregt; aber Flattich legte ihm die Hand aufs Haupt und sänftigte ihn:

»Du mußt sie noch viel mehr lieben als bisher, Jaköble, sie sind ja so arm, deine Eltern! Weil sie nicht wissen, daß das Betteln eine Sünd ist, schicken sie dich aus! Dir aber tut es nichts, denn dich reut die Sünd, – und überdies mußt du deinen Eltern als ihr Kind ja gehorchen!«

Während er so mit dem Knaben sprach, ihn an sich zog und auf seinen Knieen sitzen ließ, drängten sich die anderen Bürschlein um ihn herum, und in ihren Augen war deutlich zu lesen, daß sie gerne etwas Besseres tun möchten als den Bettelsack schleppen, weshalb ihnen der Pfarrer versprach, daß es mit dem heutigen Tag aus sein müsse mit dem Landfahren, er wolle sich mit ihren Eltern besprechen.

Zugleich lud er die Kinder ein, zur Mittagspeisung in sein Haus zu kommen, was ihnen sehr gefiel, schon der Abwechslung halber, denn auch Kinder haben einen guten Gaumen und bedanken sich, wenn sie alle Tage Kohl bekommen sollen und Schimpf und Schläge obendrein.

»Ach, ihr kleinen Kreuzträger,« seufzte Flattich, als er sich wieder erhob und ihnen die Hand auflegte, »vielleicht bekommt ihr heute noch einmal recht tüchtig Schläge, weil ihr mir die Wahrheit gesagt habt! Aber leidet's gern, morgen gibt's zuckerige Küchle im Pfarrhaus, und fortan wird euch der Herr Heiland, der die Kinder liebt, die hungrigen Mäuler stopfen! Wie steht's? Werdet ihr kommen?«

Da schrieen sie alle »Ja«, hüpften vor Freude an ihm empor, jubelten und riefen: »Wir gehen zum Herren Heiland!«, küßten ihn und machten ihm sehr zu schaffen.

Flattich war sehr entzückt über so viele Zuneigung und gutem Willen, mußte aber doch den argen Verdacht hegen, daß ihn die Kleinen in ihrem kindlichen Unverstand mit seinem himmlischen Herrn und Meister ein wenig verwechselt hatten, seufzte und lächelte.

Ach, es schadet nicht, wenn Kinder über ihre Welt hinaus in den Dingen irren und das Nahe mit dem Fernen, das Irdische mit dem Himmlischen verwechseln, irgendwo hängt es doch miteinander zusammen – und im Sichtbaren fangen wir alle an, das Göttliche zu begreifen, ob wir nun klein sind oder groß!

Flattich ging mit den Kindern zurück ins Dorf, kaufte sich beim Bäcker einen Wecken, den er an Stelle eines Mittagsmahles verzehrte; dann machte er den Eltern der Kleinen seinen Besuch.

Beim Kirchweihgeiger Groll, der Jaköbles Vater war, setzte es ein langes weinerliches Konzert, eine klägliche Kammermusik über das Elend, in der das Eheweib die Vokalpartie übernahm und eine Weheklage heruntersang, in der viel Lamentables mit unziemlichem Hochmut vorgetragen war.

Der Gesang hätte sich bis ans Ende der Zeiten fortwälzen können, wenn Flattich nicht bescheidentlich abgeklopft hätte, und handelte insbesondere von den enttäuschten Hoffnungen der Madame selber, die sich als gewesene Hofmusikusgattin eines Tages in die Lage versetzt sah, ihrem Geiger in das trostlose Asperg folgen zu müssen, nachdem ihn der Fürst wegen seines liederlichen Lebenswandels und seiner Schuldenmacherei aus dem Orchester geworfen, – worüber die Madame aus ihrem siebenten Himmel fiel, in dem sie bisher mit ihren Domestiken und ihrer Equipage, einer eingebildeten oder wirklichen, die große Dame gespielt hatte!

Welch ein Jammer! Nun war ihr Mann zum Kirchweihgeiger condamniert, wie sie sagte, und die Kreuzerlein flossen spärlich. Vom Schnurrantentum, zu dem sie ihren unmündigen Sohn selbst verdammten, schwieg die Madame begreiflicherweise, und Flattich bezeigte vorerst keine Lust, das leidige Thema zu berühren.

Als der Geiger nun aber selber anfing, von seiner großen Kunst auf dem Violincell zu reden, und bedauerte, daß er sein Instrument zur Straßendirne und Kuppelsängerin auf den Kirchweihen erniedrigen müsse, nur um ein paar lumpige Pfennige zu verdienen, erlaubte sich Flattich zu fragen, ob das Instrument dabei einen Schaden erlitten habe! Der Geiger sah unseren Prediger verwundert an und gab hochmütig lachend zur Antwort, dem Instrument könne das Spiel bestimmt nicht schaden! »Weiß Er das so genau?« fragte ihn Flattich ernst.

»Nun wohl, ich muß es Ihm glauben! Er versteht was von Seiner Kunst! Jetzt aber etwas anderes: Ist Ihm Sein Sohn so lieb wie Seine Geige?«

Der Musiker erwiderte aufs höchste verblüfft, sein leibeigener Sohn sei ihm natürlicherweise um vieles lieber als die Geige!

»Bringt Er's zum Exempel fertig,« fuhr Flattich fort, »Seine Geige, die ihm viel weniger am Herzen liegt als Sein Sohn, dafür zu strafen, daß sie Ihm nicht so viele Kreuzerlein einbringt, als Er haben muß?!«

Der Kunstgeiger lachte hellauf über die Frage und antwortete: »Ich werde doch meiner Geige nicht den Bauch eintreten oder den Hals brechen, wenn ich schlechte Geschäfte mit ihr mache! Ich bin doch kein Narr!«

»Jawohl,« antwortete Flattich, »Er ist ein Narr! Ich will es Ihm beweisen. Seinen Sohn züchtigt Er aufs gottsträflichste, wenn er nicht genug Bettelware nach Hause bringt, Seine Geige aber, die Er viel weniger liebt als Seinen Sohn, hütet Er wie seinen Augapfel, obwohl sie Ihn gar nicht genügend ernährt! Ich will Ihm was sagen: Sein Sohn hat das Recht, nicht unbilliger behandelt zu werden als Seine Geige! Versteht Er mich?«

Da wurde der leichtsinnige Musikus wütend und schrie:

»Was sprecht Ihr da! Habt Ihr Euch hinter mein Kind gesteckt und es ausgefragt? Ich will dem Bengel dafür ein Solo auf seinen Hintern streichen, daß er sein Lebtag nicht mehr aus der Schule psalmodiert!«

»Das«, fiel ihm Flattich ins Wort, »wäre das letzte Mal, daß Er Sein verratnes Handwerk am Hintern Seines Sohnes ausübt, das schwöre ich Ihm, sonst kommt Er dorthin, wo Er selber gestrichen wird, und zwar mit einem unzarten Fiedelbogen!«

Sagt es und blitzte ihn so kräftig an, daß der Geiger und mit ihm seine feine Madame allen Mut verloren, mit dem Pfarrer auf Scherzfuß zu reden!

In dem Konzert, das sie miteinander aufgeführt hatten, trat nun geraume Pause ein, während derselben sich der Musikus überlegte, ob er nicht in anderer Tonart mit dem Pfarrer reden müßte, wo ihn dieser doch auf seinen schlimmsten Fehlern ertappt hatte.

Unterdessen war der Jaköble selber ins Zimmer getreten, blieb aber scheu bei der Türe stehen, weil er merkte, was für Wetter seinetwegen aufgezogen war, und wurde endlich von Flattich aufs liebevollste herbeigerufen.

Flattich segnete den Knaben, küßte ihn auf die unschuldige Stirn, nahm ihn an den Händen und führte ihn seinem Vater zu.

»Das ist Seine Geige, Musikus Groll!« sagte er zu ihm, »behandle Er sie mit aller Schonung und Liebe und lasse Er das Kind nicht entgelten, daß Ihn der Herrgott ins Unglück gestoßen hat!

Er mag in manchem selbst schuldig sein an Seinem Schicksal, in anderem wieder nicht. Ich will nicht richten! Verderb Er mir aber diese kleine Gottesgeige nicht, die Ihm der Herrgott geliehen hat, sie tönet schöner als Geigen und – Saitenspiel!

Wenn Euch etwas mangelt, schickt den Sohn zu mir oder kommt selbst mit Eurem Anliegen! Es werden auch wieder bessere Tage für Euch kommen!

Aber in schlimmen wie in guten Tagen ist ein unverderbter Sohn Eure beste Stütze, Madame! Erniedrigt das Kind nicht! Eine Menschenseele ist tausendmal zarter als eine Geige, und wenn sie einmal gesprungen ist, kann sie kein Geigenmacher mehr flicken!

Hier habt Ihr etwas für die schlimmste Not!

Und Gott befohlen alle miteinander!«

Der Musikus hatte sich bei Flattichs gütigen Worten erhoben, nahm seinen Buben an die Hand, und die beiden geleiteten den Pfarrer, der sich zum Gehen anschickte, vor die Tür.

Auf der Schwelle verneigte sich der Musikant plötzlich vor Flattich, küßte ihm schnell die Hand und mit tränenüberströmtem Gesicht stammelte er seinen ehrlichen Dank.

 

Der Tag eines fleißigen Predigers ist nicht nach Stunden bemessen, und die Ruhe, die er bisweilen nötig hat, findet er leichter in Gott als in der Zeit. Mögen wir die gute Pfarrerin immerhin bedauern, daß sie manchmal umsonst auf ihren Gatten wartet! Hat Gott Erntetag, dann dürfen seine Schnitter nicht säumen!

Als Flattich den Musikus verlassen hatte, machte er seinen Besuch im Hause des armen Gütlers Schopf.

Dieser Schopf war ein eigenwilliger Mann, der sich in seiner freien Zeit mit Uhrenbasteln beschäftigte, das Basteln aber nur als Liebhaberei betrieb und manchen guten Groschen darauf verwendete. Die Frau empfing ihn mit einer saueren Miene, sie ahnte gleich, was der Besuch zu bedeuten hatte, und eilte dem Pfarrer voraus in die Stube, um ihrem Mann anzuzeigen, was die Uhr geschlagen habe!

Der Uhrenbastler räumte so schnell er konnte seinen Rädchenkram vom Tisch und machte dem Pfarrer, als er eintrat, ein Gesicht, auf dem der Zeiger so unverhohlen auf schlechtes Gewissen deutete, daß Flattich, ohne zu wollen, lächeln mußte.

»Warum heißt Sie denn Ihren Mann seine Arbeit verstecken?« fragte Flattich die Frau, die sich schon wieder in ihre Küche zurückziehen wollte, »er muß sich seines Fleißes doch nicht schämen!«

»Ach,« erwiderte ihm darauf die Schopfin, »Arbeit ist ja recht und gut, aber sie sollte halt mehr eintragen!«

Unterdessen hatte der Schopf seinen Kram vollends in die Tischlade gestrichen und tat so scheu und verlegen, als hätte ihn der Pfarrer beim Kartenlegen erwischt.

»Zeigt mir doch Euer Werk, Schopf!« ermunterte Flattich den Heimlichtuer, als die Frau hinausgegangen war, »vielleicht läßt es sich gebrauchen!«

Aber der Schopf war schwer zu bewegen, die Tischlade wieder zu öffnen, und erst als Flattich durchblicken ließ, daß er sich selber schon einmal mit Uhrenbasteln abgegeben, seit ihm Magister Hahn in Kornwestheim den Sinn für dergleichen Feinwerk erschlossen hätte, nahm der Schopf seinen Zeitweisel, an dem er gebosselt hatte, aus dem Versteck, hängte ihn an die Wand und brachte den langen Perpendikel in Schwung. Die Uhr hielt ihren Takt gut und, obwohl kein Meisterwerk, war sie mit den bescheidenen Mitteln, die dem Schopf zur Verfügung gestanden hatten, ein brauchbares Ding geworden.

»Habt Ihr nie daran gedacht, lieber Schopf,« fragte Flattich den Uhrenbastler, »so ein Feinwerk zu verkaufen?«

Der Schopf, der sich auf einmal mit Achtung behandelt sah, verdrehte seinen eigensinnigen Kopf auf recht eckige Weise, und wenn er bisher mit viel Kleinmut zurückgehalten hatte, so antwortete er nun mit ebensoviel Stolz:

»Ich bin mir zu gut zum Hausieren!«

»Da sitzt der Butzen!« sagte Flattich ernst, »wenn Er sich leider Gottes zu gut dazu ist, Seine Arbeit an den Mann zu bringen, dann hat Er doch einen flinken und gescheiten Buben, den Er mit Seinen Uhren in die Stadt schicken könnte?!«

»Meinen Buben richte ich für was Besseres ab!« erwiderte der Schopf und guckte spekulierend aus seinen grauen Äuglein.

»Beispielsweise – zum Bettel!« sagte Flattich spitz.

Der Uhrenmechanikus verlor plötzlich alle Ruhe, wurde blaß und ließ seine Äuglein so schnell im Kreise laufen, daß ihnen kein Sekundenzeiger hätte nachkommen können, dann schnepperte er mit bestürzender Schnelligkeit eine Klagerede herunter, in der viel von seinen steinigen Äckerlein und sauren Wiesen, die ihm die Frau in die Ehe gebracht, von mangelndem Gerät und allerlei sonstigem Mißgeschick die Rede war; dabei seufzte, ächzte und stöhnte er und gebürdete sich gar nicht anders als eine Uhr, der man den Perpendikel abgehangen hat und die nicht eher zur Ruhe kommt, als bis die Feder gänzlich abgeschnurrt ist.

»Lieber Schopf,« sagte Flattich lächelnd, als er endlich zu Wort kommen konnte, »ich verdamme Euch ja nicht, weil ich weiß, daß Ihr eine arme Haut seid?

Aber schaut Ihr Eure Äcker und Wieslein nicht zuviel von der unteren Seite an? Da seht Ihr freilich nichts als Stein und Lehmklöße! Seht doch einmal die obere Seite an!

Der Himmel, der über der Erde liegt, hat so viel Licht und Wärme, Regen und Tau, und das Füllhorn seiner Gnade ergießt sich auf Euren kleinen Acker so gut wie auf das große Land des Herzogs!

Unser Vater sagt nicht, ich will das Viele segnen, das die Großen haben, und mit dem Wenigen, was die Kleinen bauen, lasse ich mich nicht ein!

Wenn Ihr tüchtig arbeitet, wird Euer kleines Land so viel eintragen, als Ihr braucht! Ihr armen Leute haltet's aber mit dem Nimmerspar, der nicht hausen kann! Ist die Ernte herein und das Schweinchen geschlachtet, dann lebt Ihr wie die Vögel im Hanfsamen! Kommt dann der Winter, so schickt Ihr Eure Kinder betteln! Ist's nicht so?!«

Der Schopf konnte nicht widersprechen, wendete aber ein: »Ihr habt in manchem recht, aber alles wißt Ihr nicht!«

»Wenn ich allwissend wäre,« erwiderte Flattich, »dann hätte ich das Recht zu richten! Ich will Euch aber helfen. Wo fehlt's?«

Nach einiger Überlegung antwortete der Uhrenbastler: »Ich bin kein gelernter Bauer! Jetzt wißt Ihr's!«

Flattich seufzte. »Das ist gewiß schlimm! Aber was sagt denn die Uhr dazu?« Er meinte, ob er nicht die Uhrenmacherei betreiben wolle.

Der Schopf hatte die Frage nicht recht verstanden, sah verzweifelt auf sein Kunstwerk an der Wand und antwortete: »›Tick-tack‹ sagt sie. Was soll sie anderes sagen?«

»Könnt es nicht auch ›schnick-schnack‹ heißen?« fragte Flattich lächelnd.

Da der Schopf ein sinniger Mann war, wie alle Uhrenmacher, ging es ihm sehr im Kopf herum, was die Uhr sagte. Er hörte auf einmal selber immer nur ›schnick-schnack – schnick-schnack!‹, bezog das Perpendikelgespötte auf seine Person und wurde ganz verdrießlich.

Flattich befreite ihn wieder aus der Verlegenheit, wies auf die Spötterin an der Wand und sagte: »Da Ihr ein so geschickter Mechanikus seid, will ich Euch einen Auftrag geben, Schopf! Repariert mir die Kirchenuhr! Ihr wißt, daß die Asperger Zeit mit der andern nicht Schritt halten will, da könnt Ihr ein gutes Werk tun und werdet damit am Ende noch ein Kirchendiener! Wollt Ihr?«

Der Schopf glänzte vor Freude und Dankbarkeit und versprach, gleich am andern Tag auf den Glockenstuhl steigen zu wollen, um den Aspergern zu zeigen, daß er mehr könne als über der Tischlade bosseln und seinen Buben auf Bettel schicken!

*

Spät am Abend kehrte Flattich heim und fand seine junge Frau eingeschlafen auf dem Kanapee sitzen.

Behutsam steckte er die Lampe in Brand und wollte eben den brennenden Span, den er in der Küchenherdglut entzunden hatte, ins Ofenloch werfen, als sie erwachte und verdrossen ins Licht starrte.

Er wünschte ihr sorglos einen »Guten Abend« und schickte sich an, ihr einen Kuß zu geben. Sie wich aber vor ihm zurück, schaute ihn an wie einen Fremdling und sagte schläfrig:

»Ist das mein Flattich, der so spät nach Hause kommt? Hast du wieder den Motz in seiner Kneipe besucht und ihm das Trinken verleiden müssen?«

Flattich merkte, daß sie ärgerlich war, wollte ihr aber keinen billigen Trost geben und antwortete:

»Margarete, es werden Tage kommen, wo ich noch länger ausbleiben werde! Was wirst du dann tun, wenn du jetzt schon ärgerlich bist?!«

Sie sagte: »Ich werde den Herd löschen und dir keine Suppe mehr warmhalten!« – und ging in die Küche hinaus, um ihm einen Abendtisch zu richten.

Als sie nach einer Weile wieder hereinkam, schaute sie schon freundlicher, deckte den Tisch und setzte sich neben ihn, in der Meinung, er würde einen großen Hunger zu stillen haben.

Flattich schob den Teller zurück.

»Margarete,« bat er sie freundlich, »iß die Suppe selber! Ich habe keinen Hunger!«

Die Frau erschrak über sein verändertes Wesen, besann sich und mußte finden, daß sie ihn nicht recht behandelt hatte. Statt die Suppe zu essen, stützte sie den Kopf auf den Tisch und weinte leise vor sich hin.

Das konnte er nicht ertragen, strich ihr mit der Hand zart übers Haar und tröstete sie: »Was hat das Kind? Sie ist zu lange allein gewesen. Warum hat Sie aber nicht ein frommes Buch zur Hand genommen und ist guten Gedanken nachgegangen?«

»Ach, meine Gedanken gehn alle im Kreis!« gestand sie verzweifelt.

»Dann sind sie wohl an einen heftigen Wunsch geknüpft, von dem sie nicht loskommen?« fragte er freundlich.

Erschrocken sah sie empor und betrachtete ihn lange Zeit.

Er erwiderte ihren Blick ruhig und erriet halben Wegs, was sie bewegte.

»Ei, wie mächtig muß der Wunsch sein, daß du ihn nicht nennen willst!« sagte er lächelnd. »Ist es aber nicht so, daß die meisten Wünsche sich erst mit der Zeit erfüllen? Die einen brauchen ein Jährchen und die andern noch länger! – Ohne Kinder zu leben ist für manches Weib sehr schwer! Aber wollen wir nicht geduldig sein und warten? Wir werden es ohnehin tun müssen, Margaretlein! – Es ist doch sonderbar zugegangen heute! Auch mir sind mit einemmal die Kinder lieb geworden. Willst du hören?«

Sie nickte eifrig. Er erzählte sein Erlebnis mit den Bettelkindern in der Scheune und alles das, was du mein Leser, schon zu Beginn des Kapitels vernommen hast, und sagte zum Schluß:

»Was verschlägt es uns, wenn wir uns um einige der Kinder annehmen, solange wir noch keine eigenen haben?«

Margaretens Augen leuchteten wie zwei Weihnachtskerzen. »Wann werden sie kommen, Flattich?«

»Morgen zu Mittag werden wir sie bei uns haben! Und was sagst du jetzo?« fragte er.

»Was ich sage?« antwortete die Frau und nahm sein liebes Schelmengesicht in die Hände, küßte es und drückte es – »du sollst jetzo deine Suppe essen, lieber Friedrich!«

»Ich will sie essen!« frohlockte er, und nachdem er seinen Dank gebetet hatte, nahm er den Löffel in die Hand.


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