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Im Pfarrhaus zu Asperg war großes Treiben und Lärmen.

Vier Jungfrauen und drei verheiratete Nachbarinnen walteten und schalteten, putzten und schafften, backten und brätelten, obwohl der ledige Prediger streng verboten hatte, daß man eine unnütze Schwelgerei veranstalte! Ja, er hatte sogar das Geld dazu verweigert. Aber was hatte er jetzt noch viel zu sagen? Morgen herrschte eine Frau in seinem Haus, dann war er auf den Männerteil gesetzt! Das hatte er ja selber gewollt, – und die Frauen haben eine feine Witterung dafür, ob anderes Wetter aufzieht! Das ist nun so im Kleinen wie im Großen!

Flattich hatte sich bisher um die Frauen nicht viel gekümmert. Man darf wiederum nicht sagen, es sei ihm kein Sinn für Frauenschönheit und Liebreiz angeboren worden. O nein! Er weiß noch gut, wie ihm das Herz vor Freude tobte, als ihm die jüngste Tochter seines Ephorus in Maulbronn einen wachsgelben großen Apfel schenkte samt einem Blick so voll scheuen und unschuldig frommen Wohlwollens, daß der Knabe in der innigsten Verzauberung stehenblieb und auf seinen Apfel blickend meinte, es sei aus dem Hesperidengarten einer!

Ein Hesperidengärtchen war es ja beinahe, wo er damals gestanden hatte im alten Kloster, wenn auch ein schwäbisches: ein Klostergärtchen mit fruchttragenden Obstbäumen, die jede Woche einmal mit Seilen umwunden wurden, wenn die Ephora ihre Wäsche aufhängte. Der kleine Friedrich wußte aus seinem Homeros, daß auch Königstöchter sich nicht scheuten, mit der Wochenwäsche auszufahren, – warum sollte es seiner Nausikaa erspart bleiben, daß sie den Wäschekorb trug! Wobei er ihr half. Und dafür bekam er ja seinen Apfel!

Das Ende ihrer Freundschaft war nicht zufälliger und nicht schmerzlicher als jenes, das dem göttlichen Dulder und der Königstochter beschieden war –: eine letzte Begegnung auf der Schwelle zur Wohnung des Ephorus, ein scheuer Händedruck und das Wörtlein: Man wolle sich nie vergessen! –

 

Die Braut, die er nun vor dem Dorfe draußen auf der Straße, die hinüberführte in die Lieblingsstadt des Schwabenherzogs, in sein Schnakenversailles, erwartete, sie war ganz nach seinem Herzen:

Eine Pfarrerstochter! Das verstand sich von selbst. Und eine Waise. Das hatte ihn gerührt!

Überdies war sie ganz arm. Darum liebte er sie!

Im Vorzimmer zur Wohnung seines geliebten Lehrers Bengel, des Prälaten in Stuttgart, hatte er sie zum erstenmal gesehen. Sie war gekommen, um als Bittstellerin für ihre Mutter und ihre Geschwister etwas Gutes zu erwirken, da ihr Vater, ein Pfarrer im Welzheimer Wald, gestorben und die Familie in Not geraten war. Ihr bescheidenes und zugleich mutiges Wesen hatte ihm so sehr gefallen, daß er sich für sie beim Prälaten einsetzte, was dem guten Vater so sehr gefiel, daß er eine heitere Anspielung nicht unterdrücken konnte und meinte, wenn ihm so sehr daran gelegen wäre, daß die Witwe und ihre Kinder in eine erträglichere Lage kämen, könne er ihr ja eine von ihren hübschen und wohlerzogenen Töchtern abnehmen und gleich christlich ernstmachen.

Flattich mißtraute dem Gefühl seiner Sympathie für das Mädchen nicht, und der mitleidige Fürsprecher empfing auf diese Weise des Himmels Lohn für seine gute Tat so rasch wie kein anderer – und freute sich doppelt, weil ihm der gute Vater Bengel in frommer Ahnung sein Glück angezeigt hatte, gleich darauf sogar den Brautwerber machte und ihm nach gutem Erfolg seinen väterlichen Segen auf den Weg geben konnte!

Der Prediger wollte von einer förmlichen Hochzeit, wo die Verwandten und Freunde eingeladen werden mußten, absehen und hatte die Braut gebeten, allein und ohne Anhang zu kommen. Und sie hatte es ihm zugesagt, weil sie verstand, daß es nicht gern gesehen war, wenn eine arme Braut sich vierspännig abholen ließ.

In einem kleinen Bauernchaislein sollte sie kommen, seine Braut, und hier vor dem Dorf wollte er sich zu ihr in den Wagen setzen, seinen Kopf an ihre Brust legen und allen, die es hören wollten, sagen: »In dieser Kammer hab ich meine Wohnstatt und meine Bettstatt, darinnen stelle ich auf meinen Hausrat und bleibe wohnen, solange die Uhr schlägt in ihrem Herzen!«

Man hätte ihm gern eine reiche Braut gegönnt, auch manche gutbestrumpfte Landestochter wurde in Vorschlag gebracht, aber er hatte erwidert: »So ich mich mit einer Wassersuppe begnügen will, wen gehet es etwas an?!«

Glückseliger Mann, der sich mit nichts beladen hat!

Was kann dir noch zustoßen als der Neid, daß du so frei bist?

Und auch diesen wirst du stillen aus deiner Fülle! Nun aber wach auf, Träumer! Die Braut kommt!

*

Der Prediger hatte gerade noch Zeit, einen Strauß von roten Ackerschnallen zu pflücken, die ein mageres Gerstenfeld neben der Straße zierten, als der Botenfahrer die Chaise vor ihm zu stehen brachte. Im Hintergrunde des Wagens inmitten einiger zierlicher Körbe saß Margarete, die Armut, hatte feuchte Augen und war sehr verlegen; im übrigen ein schlankes, schöngegliedertes Frauenzimmerchen, wenn man gütigerweise von den Schultern absehen wollte, die rührend schmal waren und fast noch kindlich anmuteten. »Halt vor Etters!« rief der kleine Prediger, und er tat sich was zugute auf den altväterlichen Ausdruck, der die Dorfgrenze bezeichnete, nahm seinen Ackerschnallenstrauß und stieg auf das Trittbrett des Wägelchens.

Die Braut hatte die größte Mühe, sich von den Körben und Körbchen freizumachen, mit denen sie sich beladen und umgeben hatte, nestelte hier und rückte dort, und ehe es noch zu einem Kusse kam, den ihr der Bräutigam über das Korbgebirge hinweg reichen wollte, sank er, der sich mühsam in der Schwebe gehalten hatte, wieder zurück auf seinen vormaligen Stand, und die losen Ackerschnallen, die seiner Hand entfallen waren, wirbelten in der Luft. »Es ist halt ein Kreuz,« jammerte er tiefbekümmert, »wenn man so viel Sach' in die Ehe mitbringt!«

Die arme Margarete wußte nun gar nicht, wie er das meinte, wurde noch viel verlegener, – und erst als der Bräutigam anfing, die Körbchen einzeln herauszunehmen und auf die Straße zu stellen, um sie hernach wieder in besserer Ordnung in der Chaise aufzuschichten, begriff sie, daß er nicht anders redete, als wie er dachte, rechnete es ihm hoch an und begann ihn heftiger zu lieben.

Das durfte er alsbald verspüren.

Er hatte ihr einmal erzählt, daß er Zibeben über alles gern esse. Sie hatte sich das gemerkt und zum Einstand gleich einen ziemlichen Sack der guten getrockneten Weinbeeren mitgebracht, den sie jetzt öffnete, um ihn damit aus der Hand zu füttern. Die Zibeben freuten ihn mehr, als wenn sie ihm ein Himmelbett gebracht hätte; denn mit einem Himmelbett kann eine bei einem große Ehre einlegen, mit Zibeben aber nicht.

Zibeben schenkt man aus Liebe ...

Also Zibeben essend und sich küssend fuhren sie in den Pfarrhof ein. Alle die Nachbarinnen und die Mädchen, die das Fest vorbereitet, das Haus geputzt, den Kuchen und das Kaffeebrot gebacken hatten, sie standen da und reckten sich die Hälse aus nach seiner Braut.

Flattich hätte ihnen das Vergnügen des Gaffens gerne gegönnt, da ihn aber dünkte, daß sich vielleicht ihr Maulwerk an seiner Braut schadlos halten könnte für alle die Mühe, die sie sich aufgeladen hatten, um ihr das Nest zu machen, hob er sie schnell aus dem Wagen und trug sie auf dem geradesten Weg in das Haus. Die Weiberunart des Schwätzens, der er auf so barsche Weise entgegnen wollte, schürte er dadurch erst recht. Die Beleidigten entschädigten sich durch Kraft und Eifer für das, was ihnen an Zeit verlorengegangen war. Der armen Braut entging kein Wörtchen davon, und als er sie drinnen in seiner Studierstube niedersetzte, schaute sie tränenüberströmt.

»Mein gutes Kind, warum weinst du denn?« fragte er sie.

»Du weißt es, Friedrich!« erwiderte sie, »hast es ja selber gehört!«

Da kam sie aber schlecht an. Er wollte nur Gutes gehört haben, wie zum Exempel: »Ein braves, nettes Weib!« –

»Hinauf und hinunter eine tüchtige Schafferin!« –

»Paßt in den Pfarrhof wie ein goldener Becher auf einen silbernen Teller!«

Er redete sich ordentlich warm zu ihrem Lob und wurde ein wenig rot dabei, denn er hatte schon lange nicht mehr gelogen. Sie glaubte zu fühlen, daß er sie schonen wollte, verzieh ihm die fromme Lügnerei und ließ wieder die Sonne scheinen durchs Regenwetter. –

Inzwischen klopften der Schultheiß und der Schreiber an die Tür, um wegen der Eheformalitäten vorstellig zu werden, wurden eingelassen und kamen gerade recht zur Traufe. Es ist nun einmal so bei Ehegesponsen und denen, die es werden wollen, daß sie sich ihrer Dinge, die sie miteinander verzwirgelt haben, vor anderen schämen; darum war es der Margarete arg, mit roten Augen dazustehen, und sie nahm sogleich ihr Tüchlein, hustete und geckste hinein, und der Prediger sprang ihr dabei zu Hilfe und sagte, es müsse wohl von der verrauchten Studierstube herkommen, daß sie sich so übel befinde; was der Schultheiß höflicherweise auch zu entdecken meinte. Nachdem er sich bei Margarete erkundigt hatte, wie ihr die weite Reise bekommen sei, nahm der Schreiber die Feder in Anschlag, und Flattich gab dem Schultheißen seine Urkunden zur Hand.

Unter den Schnörkeleien, die ein stattliches Bündel ausmachten, fand sich ein Blatt, das den Schultheißen, nachdem er es gelesen und wieder gelesen, plötzlich bewog, sich ehrerbietig zu erheben und den Dreispitzer vom Kopfe zu nehmen.

Ahnungslos folgte der Schreiber seinem Herrn und holte zu einer tiefen Verbeugung aus.

»Ihr seid«, erstarb der Schultheiß zu sagen, »ein Herr von – Adel, Johann Friedrich von Flattach!«

Der Prediger wurde über und über rot, doch nicht über die Entdeckung seines Adels, sondern über die peinliche Devotion des Schultheißen. Den wahrhaft edlen Naturen ist es gegeben, sich über die Erniedrigung der gemeinen zu schämen, die sich eines äußeren Zeichens wegen vor ihnen demütigen, wo jene doch nur eines inneren Wertes wegen gewürdigt zu werden hoffen!

»Schwer kann ich mir's verzeihen,« entgegnete Flattich in größter Zerknirschung, »daß ich Euch das Papier nicht entzogen habe! Da es aber ohne mein Wissen beim andern liegengeblieben, mag mir Verzeihung geschehen! Bedeckt Euch, mein Herr! Ihr lasset mich meine Leichtfertigkeit grausam büßen! Ich bin ohnehin des Prädikates verlustig – nun erst recht!«

»Was redet Ihr?« sagte der Schultheiß und blieb weiterhin unbedeckt, desgleichen der Schreiber.

»Ich will Euch den Fall ein andermal explizieren,« lenkte Flattich ab, »für heute muß ich genügen: Das Evangelium ist meinen in Christo verstorbenen Ahnen eine Herzenssache gewesen, und da sie's einmal hätten verlieren sollen, weil ihr Fürst über Nacht den römischen Glauben angenommen, haben sie den Edelmann dahinten gelassen, wiewohl sich das Anrecht nicht verloren hat. Es soll aber nichts daraus werden, es sei denn, daß einer von den unsrigen ein Judas werden möchte an seinem Glauben, was Gott verhüte! Amen.

Also schreibet: Johann Friedrich Flattich, der Person nach bekannt –«

Da nun ein so geläufiger und guter Anfang gegeben war, geriet der Schreiber in Eifer, und der Schultheiß kam, ohne zu wissen wie es ging, ins Diktat.

Als die Urkunde geschrieben und von den Brautleuten unterzeichnet war, stellte sich's heraus, daß die beiden Zeugen, die ihre Unterschrift geben sollten, noch nicht gekommen waren.

Den neugebackenen Ehemann focht es wenig an.

Er hatte für die Zeugenschaft zwei seiner Amtsbrüder aus den Nachbardörfern herbeigebeten. Es hatte aber gute Weile mit ihnen. Der eine von den beiden war blind und mußte sich führen lassen, der andere war taub und sollte dem Blinden das Geleit geben.

Der Schultheiß erlaubte sich die Frage, ob sich keine anderen Zeugen hätten finden lassen, wo doch die Zeugenschaft gerade einen ganzen, gesunden Menschen verlange.

Der Prediger belehrte ihn aber eines anderen und sagte: »Ihr seid, mit Verlaub, zu wenig bewandert in geistlichen Dingen, um zu wissen, wie gut beschaffen die beiden für ihre Aufgabe sind! Merkt wohl, der Taube sieht mich, sieht, was an mir des Leibes ist, dies aber sieht er vollkommen, der Blinde vernimmt, was an mir des Geistes ist; – weil nun Geist und Leib in mir wollen Hochzeit halten, weiß ich mir keine besseren Zeugen. Jeder von ihnen stützet mich aus Vollkommenheit einer Gabe, auf daß eine höhere Geistleiblichkeit in mir werde. Bei Margareten ist es nicht anders.«

»Dacht mir nur,« erwiderte darauf der Schultheiß, »Ihr wolltet Hochzeit mit einem Weibe halten, und nicht mit dem Geist! Ihr wißt es aber besser!«

»Ihr sagt Plausibles,« entgegnete darauf der Prediger lächelnd, »doch eben wie Ihr es versteht! In den meisten Fällen werden sich eben halt die Leiber vermählen, die Geister sind zumeist abwesend! Wenn es aber richtig zugeht, werden sich Geist und Leib vermählen. Zum Exempel: Ist der Ehemann des Geistes und das Weib des Leibes, so werden sie nicht ruhen, als bis sie eine Geistleiblichkeit sind, und zwar ein jedes für sich und beide eine zusammen. So werdet Ihr mich auch leichter verstehen, wenn ich sage, ich will Hochzeit halten in mir selbst! Das gemeine Unglück entstehet aber meist, wenn zween Leiber allein die Hochzeit miteinander halten, oder zween Geister, was eine große Gespensterei ist, denn keines findet am andern, was ihm fehlet; sie suchen es ewig und finden's nicht zu ihrer Qual, was schon manche Ehe zu einem Hexentanz gemacht hat, daß sie endet mit Gezänk und Holzscheitschmeißen!«

Der Schultheiß fühlte sich recht erquickt von der Belehrung, und gar der Schreiber nickte zu jedem der Worte des Predigers.

»Da Ihr so gut wißt, was zu einer rechten Ehe nötig ist, mein lieber Herr,« fühlte sich der Belehrte bewogen zu sagen, »dann kann es bei Euch ja nicht fehlen!«

»Bisweilen eilt der Geist der Erfahrung voraus,« bemerkte der Prediger verschmitzt lächelnd und warf einen verschämten Blick auf die Braut; »sollte es aber mit meiner Weisheit einmal zu Ende sein, so will ich mir bei Euch als einem erfahrenen Ehmann in Demut Rat holen!«

Das hörte der Schultheiß nicht ungern, und da er den Prediger seit langem lieb gewonnen hatte, versprach er, es nicht an Rat und Tat für ihn fehlen zu lassen. –

Die Nachricht, daß die Braut des Predigers in der Pfarre eingezogen war, hatte sich im Dorf wie ein Feuergeschrei fortgesprochen und ein buntscheckiges Volk von Gratulanten, Hungervögeln und Bettelsackleuten in den Pfarrhof gelockt.

Alle wollten sie die Braut sehen, und wenn es nicht sein konnte, so doch ihren lieben Prediger, was zu einem großen Gedränge vor der Haustüre führte. Als sich Flattich, um den Grund des Lärmens zu erfahren, ans Fenster begab, brachten sie ein Vivat auf ihn aus, das aber so schnarrmäulig und begehrlich klang, daß er sogleich wußte, wie es zu verstehen war.

»Ist doch einmal der himmlische Herr«, sagte er zu seinen Besuchern, die sich mit ihm ans Fenster drängten, »auf eine Hochzeit gegangen nach Kana, zwar nur als ein Gast und hat doch keine Ruhe gehabt und hat müssen Wein schaffen, zwei Ohm und mehr, bloß um die Zungen der Mahlzeiter zu letzen, – warum soll es also mir als dem Hochzeiter erspart bleiben, meine Schnarrmäuler zu atzen, wenn dabei auch der Hochzeitstisch ein wenig von seinem Ansehen verliert?!«

Sprach's und huschte zur Tür hinaus auf seinen kurzen Beinen, der Schultheiß gleich hinter ihm her, um ihn vor allzugroßer Freigebigkeit zu warnen, – aber schon war es zu spät!

Er hatte die Gugelhopfen, deren ihm viel zu viele gebacken worden waren, in der Küche ausgewittert, stülpte je einen davon auf die Faust, drückte einen dritten gegen die Brust und eilte mit seinem Raub die Treppe hinunter, um sein Herz zu erleichtern.

Aber wehe dem Wohltäter, der mit den Gaben zugleich die Liebe seiner Erstgeber weiterschenkt, die sie in die Gabe versteckt haben, und diese eher zurückwünschen als sie in falschen Händen zu wissen!

Die Putzerinnen, die sich an der Tür mit Mühe der zudringlichen Bettelgratulanten erwehrten, sahen mit einemmale ihren verhätschelten Bräutigam glückselig lächelnd wie den Heiligen Christ in der Gabenstunde mit ihren Topfkuchen die Stiege herabschweben, gaben einen schrecklichen Schrei von sich und suchten in ihrer Verwirrung den Geber von den Empfängern auf handgreifliche Weise zu trennen.

Damit richteten sie aber bei ihrem Pfarrer nichts Gutes an; der sonst so Sanftmütige gebot ihnen kurzerhand zu weichen, und da sie seine gehorsamen Leibengel und Fürsorgerinnen sein wollten, blieb ihnen zuletzt nichts anderes übrig, als nachzugeben und mitanzusehen, wie ihre Backofenkunst in die unrechten Hände oder – besser – gleich in die unrechten Mäuler kam!

Ein neues Vivat, noch schnarrmäuliger und begehrlicher als das erste, sagte dem Pfarrer, daß er recht gehandelt hatte, und zugleich streckte sich ihm eine so große Menge magerer Hände und Händchen entgegen, daß er Blasen an die seine hätte bekommen müssen, wenn er sie alle hätte drücken wollen! Ach, er sah es wohl, daß eine Hand, die gratuliert, sich nicht viel anders ausstreckt als eine, die was haben will!

(Dies mag sich jeder merken, dem gratuliert wird!) Armut und Eigennutz wachsen auf dem nämlichen dürren Holz. Flattich wußte es wohl und war gesonnen, seinen Glückwünschern eine ausreichende Wegzehr zu geben!

Seine Leibengel und Fürsorgerinnen aber waren diesmal schneller und klüger als er, eilten ihm voraus und riegelten ihm vor der Nase die Tür zu seiner Küche ab.

Nun kam es schier zu einem Streit. Er sprach von einem guten Recht und den Christenpflichten, sie wußten aber ebenso gut anzuführen, daß es auch eine Pflicht der Dankbarkeit gebe und eine gute Sitte, die Salbe, mit der uns die Liebe wohltun will, nicht zu verkaufen und zu verschenken, wie der Herr gelehrt und vorgelebt habe!

Weil sie sich ihm gegenüber dennoch nicht gewachsen fühlten, holten sie seine Braut, die Margarete, aus der Stube und verklagten ihn bei ihr wie einen Buben.

Die arme Braut sah ihren Friedrich in einer sonderbaren Lage. Sie mußte sich hüten, in diesem Streite zu entscheiden, überlegte sich nur, was sie am Hochzeitstage den Hausgästen vorsetzen sollte, wenn der Bräutigam am Vortage seine Küche selber aus dem Hause trug, – und seufzte ein wenig.

Dieser Seufzer, leicht wie eine Flaumfeder, wog auf der Gefühlswaage der Jungfrauen schwerer als das Gewicht der ganzen Welt, – und unser Prediger ging dagegen auf der anderen Seite hoch wie ein halbes Lot! Das heißt: er hatte nichts mehr zu sagen!

Zum Glück wurde der unerquickliche Streit unterbrochen durch die Ankunft der sehnlich erwarteten Trauzeugen.

Flattich eilte seinen Amtsbrüdern entgegen und umarmte die beiden mit einer einzigen Umfassung. Dies war ihm nicht zu verübeln, denn die Freunde waren für sein Gefühl etwas Zusammengehöriges. Der Schwierigkeit, den beiden Halbmenschen seine Braut Margarete vorzustellen, begegnete er damit, daß er sich vor ihnen mit ihr laut verküßte, was der Taube zu sehen und der Blinde zu hören imstande war. Dann schritten sie gemeinsam in die große Stube, und die Zeugen gaben ihre Unterschrift. –

Dies alles, um es noch einmal zu wiederholen, das Warten auf die Chaise mit der Braut, die Bescheidenheit Margaretens, die Vorliebe des Bräutigams für die Armut, das Zibebenessen auf der Fahrt ins Dorf, Flattichs Edelmut, Hochherzigkeit und innere Würde in mehreren Auftritten, seine Freigebigkeit, verbunden mit dem Wissen um die Schattenseiten der Menschenseele, das alles zusammen wäre kein schlechter Anfang für eine Ehe gewesen, wenn unseren Sonderling nicht von Beginn unseres Berichtes an ein verzweifelter Gedanke unausgesetzt gequält hätte, dem er endlich Luft machen mußte! Wir deuteten schon einmal an, daß Flattich von Natur hitzigen Blutes, das heißt jähzornig und auffahrend war, und daß er sich eine wahre Herkulesmühe gab, dieses Temperament zu dämpfen und zu unterdrücken. Der Alltag der Ehe aber, so sagte er sich immerwährend, würde diese seine schwache Seite einmal bloßlegen, und vor nichts fürchtete er sich mehr als davor, seiner Braut eine Enttäuschung zu bereiten.

Es war nötig, daß sie seine Schwäche kennenlernte, um ihn zu verstehen, ja um ihn im Kampf gegen die Unart zu unterstützen oder, um sich zu üben, ihn ertragen zu lernen.

Er sann und sann, wie er Margarete prüfen könne, ob sie auch genügend Geduld und Nachsicht für ihn habe, und erfand zuletzt ein Mittel, das in der Geschichte nur ein einziges Mal erprobt wurde und den Experimentator ganz zufriedenstellte, vor dessen Anwendung aber die Folgegeschlechter gewarnt sind!

Gleich wird davon die Rede sein!

Am Abend unseres Tages versammelte sich das Brautpaar mit den zwei Trauzeugen und dem frommen Obersten Rieger, der von der Feste Hohenasperg herabgeeilt war, um seinen Garnisonsprediger zu beglückwünschen, in der großen Stube des Pfarrhauses um einige Becher schwäbischen Weines.

Man war in heiterer, doch nicht übermütiger Stimmung, als dem Obersten einfiel, den Prediger zu fragen, von welchen Rücksichten er bei der Wahl seiner Frau ausgegangen sei.

Flattich hatte nichts so wohl erwogen wie dieses und antwortete: »Wer heiraten will, darf vor allen Dingen kein Stiefweib nehmen!« – sagte er wie die selbstverständlichste Sache und nahm einen Schluck.

Der Oberst lachte hellauf, aber der blinde Pfarrkollege erklärte ernsthaft: »Hier liegt ein tiefsinniger Flattichismus vor!«

»Ist das was Ähnliches wie der Katechismus?« fragte der Oberst lachend.

»O nein!« erwiderte der Blinde und netzte die Zunge ein wenig am feuchten Glasrand, »ein Flattichismus ist ein festverschnürter Sack mit fertigen Gedanken! Ich meine immer, ich müßte dahinterkommen und komm doch nicht dahinter! Also, Flattich, was verstehe ich unter einem Stiefweib?«

Flattich war gern bereit seine Sachen zu erklären und fragte aufs neue: Ob man wisse, was Stiefkinder seien? –

Das wisse man schon! sagte der Oberst.

»Also,« fuhr Flattich fort, »wie man das Stiefkinder heißt, wenn man ein Weib, die Kinder hat, heiratet und die Kinder dazunimmt, so – ist das ein Stiefweib, wenn man ein Vermögen heiratet und das Weib um des Vermögens willen dazunimmt! Kurz und gut. Wer nicht ehrlich heiratet, nimmt sich ein Stiefweib!«

»Jetzt verstehen wir!« sagte der Oberst. »Wie gut habt Ihr das ausgedacht! Nun aber weiter! Nach welchen Rücksichten wähltet Ihr noch?«

»Ich habe«, antwortete Flattich bedächtig, »noch eine andere Sache erwogen, als ich heiraten wollte, und die Sache« – er wandte sich plötzlich an seine Braut, sah sie ernst und prüfend an, holte blitzschnell aus und gab ihr eine mäßige Ohrfeige – »dieselbe Sache muß nun noch entschieden werden!«

Der Oberst sprang zornig auf. »Aber Flattich, ist Er verrückt geworden?«

Margarete wußte gar nicht, wie ihr geschehen war. Noch eben hatte er ihr so ernst und redlich ins Gesicht geblickt, dann hatte er ihr einen Backenstreich gegeben. Sie konnte sich nur denken, daß sie ihn mit irgend etwas erzürnt hatte, und dachte sich in ihrer Bescheidenheit: Vielleicht ist mir recht geschehen?! – und bat ihn mit den Augen still um Verzeihung. Da fiel er ihr an die Brust, ja noch mehr, er weinte Tränen der Freude und des überströmenden Glücks und stammelte:

»Liebe Margarete, ich habe es wissen müssen, ob du mich in Geduld erträgst, wenn ich aus der Haut fahre. Die Probe mußte ich haben! Nun weiß ich's, daß ich einen Erdenengel geheiratet habe. Eine, die mir einen Backenstreich verzeiht, wird mir noch mehr verzeihen! Ach, und dies vollbringt ein Mensch! Wie viel tiefer wird Gottes Verzeihung und Gnade für mich sein! Margarete, du hast bestanden!

Ich verspreche dir aber hoch und heilig, und diese da sind Zeugen, daß ich mich hüten werde vor dem ersten bösen Wort, vor dem ersten Streit in unserer Ehe, so wahr ich dein Friedrich bin!«

Der Oberst hatte, während Flattich das Geheimnis des Backenstreiches enthüllte, langsam seine Miene verändert, und nun, als der Prediger sein Versprechen gab, erhob er sich feierlich, gab der Pfarrerin einen keuschen Kuß auf die Wange und sagte zu ihr:

»Sie hat Ihre Feuerprobe bestanden, Margarete! Ein Weib, das solche Geduld hat wie Sie, muß keinen Backenstreich mehr von ihrem Manne befürchten!

Es war – Ihr Ritterschlag!«


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