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9

Seit der Zeit, da sich die Metterzimmerner Gottesfreunde mit den Aspergern am Schmätzlesbrunnen getroffen hatten, waren viele Monate vergangen. Die kleine Laubkanzel stand verdorrt mit ihren längst schwarz gewordenen Blättern im vergilbten Gras und der Bissinger Wald leuchtete in den Feuerfarben des Herbstes.

Ein Sonntagmorgen von milder Klarheit hatte sich auf Hügel und Täler niedergelassen und predigte die Vergänglichkeit des Schönen in so schöner Sprache, daß auch das begehrlichste Herz die Wonne des Sterbens mitempfinden mußte.

Als wären sie im süßesten Schauder davon erzittert, fingen die Glocken von Metterzimmern mit einem Male zu summen und zu singen an, und der Schall bewegte sich hinüber ans andere Ufer der Enz, wo ein greller Schuß die wohllauttragende Luft zerriß und alsbald ein angeschossener Rebhahn am Rande des Waldes in einen abgejäteten Acker fiel. Der Jäger, der ihn getroffen hatte, trat ruhig und heiter aus dem Wald, ließ die Beute von seinem Hund apportieren und nahm die Glückwünschungen seines Jagdknechtes, der mit den beiden Pferden nachgefolgt war, mit leutseliger Gnädigkeit entgegen, lächelte, und da er eben in guter Laune den schönen Tag genoß, dem die Glocken von Metterzimmern das feierliche Lob- und Danklied sangen, kehrte eine überraschende Weichheit in seinem Gemüte ein.

»Was sind's für Glocken, Nothwang,« sprach der Herr seinen Knecht an, »die da zur Kirche läuten?«

Der Jagdknecht horchte gespannt in die Luft und sagte nach einiger Zeit mit bewegter Stimme: »So läutet nur Metterzimmern! Wissen Durchlaucht, daß ich dort zu Hause bin?«

»Werd' Er nur nicht sentimental, Nothwang!« erwiderte ihm sein Gebieter in wohlwollendem Ton, »wir wollen natürlich dem Nest einen Besuch machen, und Er soll Seinen Eltern geschwind einen guten Tag sagen!«

»In der Geschwindigkeit«, sagte der Reitknecht betrübt, »geht es wohl nicht, denn meine Eltern sind jetzt in der Kirche!«

»Wie heißt der Pfarrer?«

»Flattich!« antwortete der Diener.

»Ein guter Prediger?«

»Und was für einer!« rief der Metterzimmerner begeistert, »auf seinesgleichen gehn zehn andere! Das dürft Ihr mir glauben! Der Pfarrer Flattich predigt wie ein Held. Schade, daß er als Lutheraner nicht Serenissimi Hofprediger sein kann!«

»Man macht mich neugierig,« sagte der Herzog darauf (denn ein anderer hätte wohl keinen Hofprediger gehabt) – »wollen wir die Predigt hören, Nothwang? Darnach mag Er auf einen Sprung zu seinen Eltern gehn!«

»Mir eine große Freud', Durchlaucht!« jubelte der Reitknecht, nahm dem Hund, der unterdessen die Beute gebracht hatte, das tote Federvieh aus den Zähnen und wartete auf weiteren Befehl.

»Ein guter Schuß!« sagte der Herzog, der wohlgefällig seine Beute betrachtete, – »genau unter die linke Schwinge. Ein guter Schuß; – wenn nun noch eine gute Predigt dazu kommt, ist der Tag vollkommen. Aufsitzen! Nach Metterzimmern!«

Flattich stand auf der Kanzel und war schon im besten Rednerfeuer, als der Herzog in grüner Jägertracht die Kirche betrat und bei den letzten Bänken, hinter einer Säule versteckt, seinen Standort nahm. Der Fürst war, was sein Äußeres betrifft, zu jener Zeit auf dem Übergange vom Jüngling zum Mann, hatte vom Jüngling die kühne, fast kecke Haltung des Leibes und vom Manne mindestens in den Gesichtszügen eine Spur von Besonnenheit. Der Ausdruck seines Gesichtes war voll Widerspruch und spiegelte wie ein bewegtes Wasser die inneren Launen so verzerrt, daß eine Miene, die man günstig zu deuten versucht war, auch das Gegenteil davon zum Grund haben konnte. Jedenfalls hatte sich jene Physiognomie schon herausgebildet, die am besten mit der gutmütig-mürrischen, unberechenbaren und im Grund verträumten eines lauernden Widders in Verbindung gebracht werden kann, wobei die nach unten gerundete Form der Nase, der Mund und die schrägfeste Linie der Stirn die besten Anhaltspunkte bot.

So beschaffen und mit dem bewegten Ausdruck des Gesichtes folgte er der Predigt Flattichs, die ihn vom ersten Augenblick des Zuhörens an lebhaft beschäftigte, denn das Thema war gerade jenes, das Flattich schon bei der Taufvisite der Pfarrherren angeschnitten hatte, das Wort vom fröhlichen Herzen.

Welch verwandt-anklingende Saiten berührte der Prediger in der Seele seines Fürsten! Dieser hatte das Glück eines fröhlichen Herzens von Jugend auf gesucht und leider nur dort gefunden, wo es verweslich ist, im Rausch der großen Feste und im Sinnentaumel der Vergnügungen, – ungebrochen aber zuckte es in ihm fort und gebot ihm wie das pochende Gewissen selbst, sich zu läutern, um endlich die Freude dort zu suchen, wo sie ein geborener Fürst und Wohltäter der Menschen finden muß, in der tätigen Liebe und der väterlichen Sorge für seine Anbefohlenen. Bei den herzhaften und munteren Auslassungen über das Regen und Treiben eines in Gott fröhlichen Herzens, deren Wirkungen schon die Pfarrherren bei der Taufvisite gespürt hatten, entkam dem Mund des Fürsten einige Male ein so herzlicher Ausdruck unverfälschter Jungenfreude, daß die Gemeinde und zuletzt der Prediger auf ihn aufmerksam wurden, woraus sich das Unvermeidliche entwickelte, daß er als der Fürst erkannt und von Flattich in der Fürbitte am Schluß der Predigt seinen betonten Platz angewiesen bekam. –

Glücklicher als die Metterzimmern konnte an diesem Sonntag niemand sein! Nicht wenig stolz waren sie gleichermaßen auf ihren Pfarrer, der den Fürsten mit seiner Predigt so von Herzen erquickt hatte, daß er gleich vor der Kirchentür einige Gnaden erteilte, um die er gebeten wurde.

 

Darnach eilte er in das Pfarrhaus und traf den Pfarrer noch in seiner Studierstube, damit beschäftigt, den Talar abzulegen. »Habt Dank, lieber Flattich,« sprudelte er hervor, »für Eure herzerfrischende Fröhlichkeitspredigt!«, umarmte ihn in seiner jungenhaften Freude so stürmisch, daß Flattich, seinem Talar halb entstiegen, mehr erschreckt als gerührt war und eine sehr wenig vorteilhafte Haltung dabei annahm und sich der Umarmungen geradezu erwehren mußte.

»Ich habe«, fuhr der Fürst eifrig fort, »durch Euer Wort den abgerissenen Faden meiner reinen Jugend wiedergefunden und knüpfe ihn nun dort wieder an, wo Ihr gesagt habt!«

Flattich zog als Erwiderung der freundlichen Worte sein Käppchen vom Kopfe und wußte nichts anderes zu sagen als jenes Verlegenheitswort »Do han i jetzund –« kam um keinen Preis weiter und bot dem Herzog endlich einen Platz in seinem großen Lederstuhl an, den der Fürst aber heftig verschmähte, indem er behauptete, sein Herz sei von der Predigt eher gestärkt als geschwächt!

Und plötzlich, als wäre es ihm zu Bewußtsein gekommen, daß er doch der Fürst und Herr – und kein reuiger Hund sei, änderte er Tonart und Miene und fügte seinen Worten hinzu: »Er kann predigen, Flattich! Ich muß es Ihm lassen! Er ist kein Sauertopf wie die Pietisten, die ich nun einmal hasse wie den Tod, weil sie die wahren Welt- und Lebensfeinde sind – und auch meine geheimen Widersacher! Oder« – er unterbrach sich, als er Flattichs umwölkte Stirn bemerkte – »denkt Er anders darüber?!«

Eine bange Pause trat ein, während welcher Flattich seinen Mut in beide Hände nahm und offen bekannte:

»Durchlaucht, auch ich bin Pietist.«

»Schäm' Er sich, Flattich!« fertigte ihn der Fürst verdrießlich ab, – »warum will Er Pietist sein?«

»Do han i jetzund –« erwiderte Flattich; »ich muß Euch betrüben, so sehr ich Euch mit meiner Predigt zuerst erfreut habe; aber es ist nun einmal so, daß die Pietisten, die Ihr nicht mögt, Euere treuesten und besten Diener sind, denn sie haben neben Euch noch einen Herrn im Himmel, dem sie Gehorsam leisten. Wenn Ihr also einmal vom rechten Wege abkommt, schauen sie Euch betrübt an und beten für Euch, wo die andern schmeicheln und Euch auf dem Weg des Unrechts bestärken! Darum sag ich, die Pietisten sind Euer Durchlaucht beste Freunde, ob Ihr's nun glaubt oder nicht!«

Der Herzog war von Flattichs Antwort innerlich getroffen, überlegte sich den Einwand und fragte unwillig: »Wer zum Beispiel unter den Pietisten ist mein Freund?«

»Man hat mir schon viele genannt,« antwortete Flattich ernst, »es sind darunter einige, die früher in Eurer Nähe waren – sie sind aber nicht mehr dort –; und andere gibt es, die möchten zu Euch kommen, aber Ihr laßt sie nicht vor! Gewiß ist aber, daß eine Frau, die Euch lieb und teuer ist (er meinte seine Freundin, die Fränzel!) und die von den Sündern viel geschmäht wird, zu ihnen gehört. Und wenn Ihr's gerade wissen wollt, auch Euer Reitknecht, der Euch heute in die Kirche geführt hat, ist ein Pietist und der Sohn eines frommen Mannes!«

»Redet nicht mehr weiter, Flattich!« sagte der Herzog, der unterdessen unruhig in der Stube auf und abgegangen war. Plötzlich drehte er ihm den Rücken zu und blickte geradeaus durchs Fenster. Nach einer Weile drehte er sich blitzschnell um, nahm Flattich am Arm und fragte ihn: »Seid Ihr zufrieden hier in Metterzimmern? Ich meine, man müßte Euch eine größere Pfarre geben! Oder wollt Ihr hier verkümmern?«

»Wo man mich hinstellt,« antwortete Flattich, »will ich wirken.«

»Ihr seid aber doch mehr als ein gemeiner Kanzelsoldat,« fuhr der Herzog fort; »wenn Ihr mir versprecht, vom Pietismo zu lassen, dann will ich Euch eine schöne Pfarre besorgen!«

»Das, mein Herr, verspreche ich nicht. Auch sollt Ihr mich nicht in Versuchung führen!«

»Nun, es wird sich zeigen! – Die nächste große Pfarre, die aufgeht, soll Er haben! Will Er?«

»Aber ohne die Bedingung!«

»Ohne die Bedingung,« versicherte ihm der Fürst, »auf die Er zu Seinem eigenen Schaden nicht eingehen will, jedoch mit einer anderen –«

»Ich wollte,« erwiderte ihm Flattich, »man gäbe mir die Pfarre überhaupt nicht.«

»Starrkopf!« beschimpfte ihn der Fürst; »meint Er, ich schmeiße Ihm die Pfarre nach? Hör Er meine Bedingung!«

»Durchlaucht befehlen ...«

»Die Bedingung ist,« sagte der Herzog aufs bestimmteste, »daß Er das Jahr darauf, nachdem Er die Pfarre angetreten hat, auf Schloß Solitude kommt und mich wissen läßt, ob Er dem Pietismo treu geblieben ist!«

»Ich werd' es Euch wissen lassen!« –

»So – und jetzt zeig Er mir Seine Frau und die Kinder!« befahl der Fürst.

 

Margarete, die in der Stube nebenan vor der Wiege saß, war nicht wenig überrascht, daß der Fürst das Töchterchen zu sehen wünschte, hob es aus den Kissen und ließ dem Kind die Sonne weltlicher Herrlichkeit ins Gesicht lächeln, wofür sich das Töchterchen auf die anmutigste Weise dankbar zeigte und der Sonne ihr gnädiges Lächeln freundlich zurückstrahlte. Wie mußte sie sich wundern, daß ein so mächtiger Herr wie der Herzog mit einem Kinde freundlich tun konnte, »Gugusele« sagte und andere Kindereien verübte, ganz wie ein gemeiner Mann und Gevatter, der auf einen Sprung zu Besuch kommt und draußen vor der Tür seinen Wanderstecken abgestellt hat ...

Mitten in der Kinderei brach der Herzog auf einmal ab, bedankte sich bei Flattich für die Predigt, küßte der Frau die Hand und war hinaus, – so schnell wie er gekommen war.


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