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Eßlingen

Wer alle Reize und Denkwürdigkeiten dieser lieblichsten Gegend und Stadt in Schwaben, von welcher unser Blatt die schönste Merkwürdigkeit mitteilt, bildlich darstellen wollte, müßte sich mit seinen Ansichten in ganzen Heften verbreiten können, und ebenso müßte die Beschreibung Bögen, statt Blätter, füllen. Der Verfasser dieses Textes hat vor Jahren einem Freunde, der sich in diesem Segenstale häuslich niederließ und den jetzt eine blühende Familie als glücklichen Hausvater umringt, die Lieblichkeit des Neckartals im Liede als in einem Spiegel vorzuhalten versucht. Da sich in dem Bilde nichts geändert hat und er noch heute keine bessere und empfundenere Schilderung dieser Gegend aus eigener Feder mitzuteilen imstande wäre, so soll ein Teil davon die Stelle prosaischer Ausmalung hier vertreten:

Wer in das schöne Neckartal
      Am frühen Morgen blickt,
Wenn ihren ersten Sonnenstrahl
      Die goldne Sonne schickt,
Dem regt im Herzen und im Sinn
      Sich mannichfache Lust,
Und werdend gehen her und hin
      Gedanken in der Brust.

Sie fliegen zum Gebirg hinan,
      Das thront im Hintergrund,
Da sieht auf dunkelblauem Plan
      Das Auge sich gesund.
Ei! denkt die Seele, solch ein Tal
      Ist Mannes würd'ger Sitz;
Bald glühn die Berg' im Sonnenstrahl,
      Bald im Gewitterblitz!

Dann senkt das Auge tiefer sich
      Nach grünem Wiesenplan,
Dort wandelt frisch und morgendlich
      Der helle Fluß die Bahn.
Zur Seite durch die       Wälder rauscht
Die linde Frühlingsluft,
      Und auf dem andern Hügel lauscht

Der Bäume Blüt' im Duft.
      O welch ein Tal – spricht da das Herz –
Für jungfräuliche Glut!
      Für Jünglings ersten Liebesschmerz,
Für stillen Hoffnungsmut!
      Wie lieblich wär's, im Morgenlicht
Zu steigen in den Kahn;
      Wie der Geliebten Angesicht
Schaut die Natur dich an!

Das Auge folgt des Flusses Lauf;
      Und reicher wird das Gau.
Da steigen Rebenhügel auf,
      Mit üpp'gem Grün ins Blau.
Und Berge stehen angefüllt
      Mit einem Blütenhain,
Und in die junge Fülle hüllt
      Die graue Stadt sich ein.

Von Lindengängen schmuck belaubt,
      Verschmäht sie andern Putz;
Ein schlankes Münster hebt sein Haupt,
      Verspricht des Himmels Schutz.
Da regt sich Lust nach Weib und Haus
      In solchem Segenstal,
Da geht der Mann aufs Freien aus
      Im Morgensonnenstrahl.

Die alte Stadt Eßlingen ruht aus und verjüngt sich im Schoße der reichsten Natur; sie selbst ist in ihrem Innern reich an historischen Erinnerungen.

Ursprünglich stand, an der Stelle kaum gelichteter Wälder, hier nur eine einsame Zelle, in welcher die Gebeine des Märtyrers Vitalis ruhten, zu der die zerstreuten neubekehrten Einwohner der Umgegend zu wallfahrten pflegten. Aber eben dieser Sammlungsplatz der Gläubigen gab dem Orte in ziemlich früher Zeit eine politische Wichtigkeit, und schon im Jahre 1077 hält Kaiser Heinrich IV. zu Eßlingen wider seinen Gegenkönig, den Herzog Rudolf von Schwaben. Das Stadtrecht erhält es indessen erst unter dem Kaiser Friedrich II., und damit beginnt Eßlingens Flor.

Erst eilt des Neckars leise Welle
Vorbei an einer kleinen Zelle,
      Drin ruht ein Heiligengebein;
Doch schon ist es ein Platz der Ehren,
Und mit des Reiches Glanze kehren
      Schon deutsche Könige dort ein.

Und bald, wie Staufens großen Söhnen
Verliehen wird, ihr Haupt zu krönen,
      Und nun die Schwaben Meister sind,
Da dehnet sich die enge Klause,
Da wurdest du im Königshause,
      O Stadt, ein sorgenfreies Kind!

Der Rotbart baut an deinem Turme,
Der Philipp nimmt in Kampf und Sturme
      Doch deiner jungen Mauern wahr.
Des größten Friedrichs Adler schmücket
Dein graues Tor, und unverrücket
      Bewacht es noch sein Löwenpaar. Diese und die verwandten Verse aus Schwabs »Ged.«, I, S. 152 ff.

Wirklich hat Friedrich II. Eßlingen mit dem Stadtrecht Mauern und Tore gegeben. Noch steht von ihm das »Wolfstor«, über dessen Bogen ein Adler eingehauen ist, und zu beiden Seiten zwei hoch in Stein erhabene Löwen, das Wappensymbol der Herzoge von Schwaben ausprägend. Die Hauptkirche der Stadt, zu St. Dionys, wurde – wie dies der unterste Teil des Schiffes und der offenbar vorgotische Einbau desselben beweist – noch früher begonnen, übrigens nach chronikalischen Nachrichten erst zu Ende des 13ten Jahrhunderts vollendet. Dieses Jahrhundert war die Zeit des schwäbischen Gesanges; auch Eßlingen hatte seinen »Schule-Meister« oder Meistersänger – ein Name, der lange fälschlich dem Zeitalter des Minnesanges abgesprochen worden ist –, einen Dichter, der »den lichten Maienschein« dieser Frühlingsgegend pries. Das Glück der Hohenstaufen ging jetzt zu Ende. Heinrich VII. hatte im J. 1233 das Predigerkloster und die dazu gehörige Kirche zu Eßlingen gebaut. Als er zwei Jahre später, wegen Empörung gegen seinen Vater abgesetzt, in einem Gefängnisse den Tod fand, trat seine Gemahlin Margarita vor den Prior des Klosters und übergab ihm die goldene Krone mit der Weisung, den Erlös unter den Armen auszuteilen.

»Ihr Mönche, gebt dies Gold den Armen,
Ihr Mönche, flehet um Erbarmen,
      Fleht für die Seele meines Herrn!«
Wert ist dies Weib, daß man sein denket,
Das auch der Krone Gold verschenket,
      Als unterging der Ehre Stern.

»Sieh zu deinem Reiche, Gott! Sonst erschleicht er dir noch deinen Himmel ohne Wehr!« So sang der »Schulmeister von Eßlingen« unter vielen andern Scheltworten (Maness. II 93–95) feindselig dem Habsburger Rudolf entgegen, als er sich auf den römischen Kaiserthron setzte. Aber bürgerliche Wohltaten besiegten den Widerwillen der Eßlinger, und zuletzt nannten sie Rudolf nur »ihren lieben Kaiser«.

Die Stadt wurde immer blühender, und selbst stürmische Zeiten rüttelten vergebens an ihrem Wohlstande. Sie sah dem Kampfe der Gegenkönige Ludwig von Bayern und Friedrich von Österreich, der den Neckar blutrot färbte, ungefährdet zu. Hundertunddreißig Jahre später ward die Frauenkirche mit ihrem herrlichen Turme gebaut, den uns das gegenwärtige Blatt vor Augen hält.

In Frieden baust du kühn aus Quadern
Die Kirche, die den Ast von Adern,
      Den schlanken Turm, zur Höhe treibt;
Es stehn die hellen Fensterbogen
Mit lichten Bildern überzogen,
      In deren Glas die Sonne bleibt.

Nun waren deine Tempel fertig
Und ihres Gottes neu gewärtig;
      Da zückt herein der Morgenstrahl:
Erneut, gereinigt ist der Glaube,
Es reifet deine dunkle Traube
      Jetzt für den Kelch im Abendmahl.

.

Eßlingen

Im Jahre 1531 hielt der nach Eßlingen berufene Reformator Ambrosius Blarer die erste evangelische Predigt in der Dionysiuskirche am Tage nach Sankt Dionys. Von Jahrzehend zu Jahrzehend wuchs jetzt Eßlingens Blüte; die Handwerker gediehen, Weinbau und Weinhandel machten die Stadt lebendig und wohlhabend, während doch alle Üppigkeit aus dem häuslichen Leben der Eßlinger verbannt blieb. Diesen Flor unterbrach einigemal die Pest und gegen das Ende des 17ten Jahrhunderts der Einfall Mélacs im Franzosenkriege. Noch trägt ein kleines Häuschen in der nur wenige Mauer- und Turmruinen zeigenden, verödeten Eßlinger Burg seinen Namen, und von Geschlecht zu Geschlecht pflanzt sich die Sage fort, daß ihm sogar eine schöne Jungfrau Eßlingens geopfert werden mußte, um ihn von der gänzlichen Zerstörung der Stadt abzuhalten. Siehe die Romanze »Das Eßlinger Mädchen« in G. Schwabs »Gedichten«, I, S. 260 ff., wo freilich der Sage ein beruhigender Schluß gegeben ist.

Die Grafen von Württemberg lebten in beständigen Fehden mit der Reichsstadt, die endlich infolge der großen Zeitereignisse im J. 1802 unter württembergische Landeshoheit gekommen ist, unter der ihr Wohlstand nur zugenommen hat. Die blühendsten Baumwollen- und Wollenspinnereien, besonders die ihre kunstvollen Erzeugnisse über ganz Deutschland verbreitende Blechwarenfabrik des Herrn Deffner, welche mit den berühmtesten englischen Fabriken wetteifert, die Tuchfabrik der Herren Gebrüder Hartmann und die Weinhandlung der Herren Kessler und Comp., deren moussierende, champagnerähnliche Weine durch ganz Europa versendet werden, gehören nach Gründung und Aufschwung ganz den neuesten Zeiten an. In Beziehung auf die letztere, an deren Spitze der Schwiegersohn eines hohen Beamten und der obengenannte Freund des Verfassers stehen, ist in der unruhigen Zeit von 1831 der nachfolgende Scherz des Verfassers gesungen worden, der hier zum erstenmal seine Stelle im Drucke finden soll:

Schwäbisches Rätsel

Wir haben einen Insurgenten
      Im sonst so frommen Schwabenland,
Er tobet gleich den Elementen
      Im ersten, wilden Schöpfungsstand.

Wißt, seine Zahl ist viele Tausend,
      Er haust im Rems- und Neckartal;
Dort ist er still, doch wird er brausend,
      Wenn man ihn zwingt mit Kerkerqual.

Versüßen will man ihm die Bande,
      Mit Zucker füttert man ihn gut;
Doch eben diese milde Schande
      Erhitzet ihm sein Jugendblut.

Er schäumt vor Zorn, er sprudelt Rache,
      Sein Riegel wird ihm zum Geschoß,
Aus dem verschließenden Gemache
      Bricht er mit einem Schusse los.

Es hat der Freche die Empörung
      Dem wilden Frankreich abgelernt
Und macht bei uns dieselbe Störung,
      Und niemand ist, der ihn entfernt.

Zwar, hüpft er gleich in welschem Tanze,
      Sie sagen ihm zum Schabernack,
Es habe der forcierte Franze
      Doch einen deutschen Beigeschmack.

Inzwischen lassen sie ihn toben,
      Und schimpft man auch, man steht ihm bei;
In manchen Köpfen gibt er Proben,
      Daß er ein Mann vom Berge sei.

Und laßt es nur ins Ohr euch sagen,
      Der Hauptmann der Rebellion
(Ihr werdet ihn nicht drob verklagen!)
      Ist des Ministers Schwiegersohn!

Als besonderer Eigentümlichkeit ist des sogenannten Eßlinger Gebiets zu erwähnen, das aus mehreren kleinen Weilern besteht, welche still und abgeschieden auf der Strecke zwischen dem Roten Berg und Eßlingen, zwischen Wein, Obst und Wald liegen, meist aus zerstreuten, über das ganze Gebirge bis auf die äußersten Höhen verbreiteten Häusern zusammengesetzt sind und sich höchst malerisch und einladend den Blicken darstellen. Sie sind, auch in vielem andern noch altdeutscher Sitte getreu, nach Weidgerechtigkeiten und Hirtenschaften eingeteilt und, obgleich mit eigenen kleinen Kirchen versehen, doch nach Eßlingen eingepfarrt. Stille Frömmigkeit herrscht unter ihnen, und hier und da bewahrt ein solcher »Filialist« geheime Heilmittel der Natur, die er, von den Vorältern ererbt, zum Nutzen und Frommen der Nachbarschaft anwendet. Auch unser Bild zeigt uns einige von diesen glücklichen Pfarrkindern Eßlingens.

Die Stadt war in dem letzten Jahrzehend lange bleibender Sitz der jetzt wandernden Liederfeste für den vierstimmigen Gesang. An einem solchen musikalischen Agon wurde auch vor Tausenden von Zuhörern das Gedicht gesprochen, aus welchem unser Aufsatz die bezeichnendsten Strophen mitteilt.

Wer auf der Brücke von Eßlingen steht und die erlesensten Gaben der Natur mit den seltensten Schätzen des Altertums gepaart überschaut, wird einstimmend mit dem Dichter der umblühten, ehrwürdigen Stadt die Worte zurufen:

Zeig immer stolz dein Prachtgelände,
Die schmucken Werke deiner Hände,
      Dein Tal, vom Segen Gottes voll,
Und deine grauen Altertümer,
Der Burg und der Kapellen Trümmer,
      Die Kindeskind noch schauen soll!


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