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Das Schwalbennest bei Neckarsteinach

Der geschlängelte Neckarfluß nähert sich mit seinem rechten Ufer dem Odenwald auffallend bei Neckargerach und erhält jetzt auch auf der linken Seite hohe Gebirge zur Begrenzung. Damit fangen die romantischen Partien des herrlichen Tales an, und in diesen gewundenen Bergschluchten, durch welche der Fluß oft einen vom Auge kaum erwarteten Ausgang findet, scheinen sich die zahlreichen Burgtrümmer, die nur bald aus der Tiefe emporlauschen, bald aus der Höhe herabschauen, erst recht zu Hause zu fühlen. Den Reisenden, die auf einem Nachen diese Gegenden gewöhnlich zu Wasser durchschneiden, bietet sich hier ein Wechsel von Ansichten dar, wie sie ihn nur am Rhein wieder finden. Dem freundlichen Neckargerach gegenüber, hinter dem Dorfe Guttenbach, blickt an dem schroffen Hange eines dicht mit Buchenwald überwachsenen Bergesgipfels noch immer das rötliche Gemäuer der Minneburg hervor. Eine Stunde später zeigt sich auf der rechten Seite auf einem mächtig emporragenden Felsen, der den unten stehenden zerstreuten Hütten des armseligen gleichbenamten Dörfchens jeden Augenblick den Untergang zu drohen scheint, die Burg Zwingenberg, ein vollständiges Meriansches Bild eines wohlerhaltenen Edelsitzes aus dem fünfzehnten Jahrhundert, wo über zwei sechzig Fuß hohen, starken Mauern noch fünf wohlgedeckte Türme hervorragen und ein geräumiges Innere von Burgwohnungen einschließen. Hier führte das Geschlecht der Twingenberger im vierzehnten Jahrhundert ein verwegenes Leben. Ihre Feste wurde darum von Kaiser und Reichs wegen gebrochen. Die Burg, 1384 wieder aufgebaut, jetzt ein badisches Jagdschloß, ist in gutem Stande. Von jetzt an nimmt die Neckarfahrt einen düstern Charakter an; mächtig emporsteigende Berge, mit den dichtesten Wäldern bekleidet, engen den Fluß so gewaltig zusammen, daß es kaum möglich erscheint durchzudringen. Auf dem linken Ufer ragen mit ihren roten Mauern die Trümmer der Burg Stolzeneck hervor; nach einer starken Krümmung begrüßt uns das zur Linken gelegene Dörfchen Neckarwimmersbach, endlich erscheint am äußersten Ende eines von Bergen eingefaßten Halbzirkels das Städtchen Ebersbach in schöner baumreicher Gegend, dessen Seitentäler tiefe Blicke in den Odenwald tun lassen und oberhalb dessen dorther der forellenreiche Gamelsbach in den Neckar fällt. Von hier aus dürften die Römer in den Odenwald eingedrungen sein. Bald schließt sich das Tal wieder und nimmt einen schauerlichen Charakter an; die Waldberge, die hier einem Hochgebirge anzugehören scheinen, werden ganz unbewohnt, bis nach einer Fahrt von zwei Stunden die Aussicht wieder freier wird, die Ersheimer Kapelle mit schön behauenem Turm und Begräbnissen der Herren von Hirschhorn und das schöngelegene Städtchen Hirschhorn mit seiner stattlichen Burg zum Vorschein kommt, deren Dynasten schon 1232 erscheinen und im fünfzehnten Jahrhundert erlöschen.

Da, wo jetzt das Gebirge zurückweicht, kommen aus einem Tale des Odenwaldes die Lachs und der fischreiche Finkenbach, die vereinigt sich in den Neckar ausgießen. Die Gegend wird hier flacher und charakterloser, bis man die jetzt allmählig eingehende Feste Dilsberg, bis in die jüngsten Zeiten ein Staatsgefängnis, zur Linken hat, deren Bergkegel nicht allzu steil vom Ufer in die Höhe steigt. Wo das Neckartal nördlich einbiegt und abermals einen offenen Halbkreis bildet, spiegelt sich am äußersten Ende das Städtchen Neckarsteinach am Fuße mächtiger grauer Felsen im Strome, und auf bedeutenden Höhen liegen vier mächtige Schwesterburgen, die Sitze der Landschaden von Steinach, in nicht großer Entfernung voneinander. Wir haben die äußerste und älteste, im Munde des Volkes das Schwalbennest, mit ihrem Taufnamen Schadeck genannt, für unsere Bilderreigen ausgewählt.

Von unten auf war das alte Raubnest unzugänglich, denn es liegt am höchsten von allen vieren über dem schwindelnd steilen Abstürze eines Steinbruches, wie verwachsen mit seinen Sandsteinen. Wer von ihren Zinnen herabschaut, fürchtet senkrecht in den Fluß zu stürzen, wer zu ihnen emporblickt, glaubt die ganze Steinmasse auf sich herabstürzen zu sehen. Das Ganze scheint fast mehr gewachsen als gebaut zu sein, auch, der Lage und dem unbedeutenden Raume nach zu urteilen, eher nur zur Warte gedient zu haben. Um auf der schroffen Abdachung des Berges nur Raum zu gewinnen, mußte in den Felsen eingehauen werden; so in schief winklichtem Parallelogramm an die Ritzen des Berges geschmiegt, kehrt die Burg dessen stumpfe Winkel gegen den Neckar hinaus und zeigt hier doppelte Mauern; von Süden und Norden hat sie zwei Eingänge, deren erster das Haupttor bildet. Auf den beiden hinteren, dickeren Mauern ragen zwei runde Türme, Mastkörben gleich, in die Luft; der innere Hofraum ist kaum dreißig Fuß tief; von Burgverlies, Brunnen, Kapellen, Jahreszahlen keine Spur. Nur Salamander, Ottern, Raubvögel und ein seltsamer Alter, der den Weg nach Weinsberg noch nicht gefunden hat, hausen in der engen Öde, hinter welcher der Berg sogleich wieder in steiler Felsenwand emporsteigt.

Der alte Kauz, der hier Geister sieht, ist in der Christnacht geboren und rühmt sich der Abstammung aus einer alten sächsischen Königsfamilie. Ihm ist eines Abends in der Burg die junge Pfalzgräfin, die der alte Landschaden vor fünfhundert Jahren vom Schlosse zu Heidelberg geraubt hat und weswegen seine Burg gebrochen worden ist, mit ihren zwei Schwestern, alle drei mit Atlaskleidern prächtig angetan, erschienen. Er zeigt bei Beschreibung derselben eine köstliche Phantasie und viel Kenntnis der altertümlichen Kostüme. Auf einer Mauerspitze der Burg sah er die Geister sitzen, aber da er auf sie zugehen wollte, sind sie ohne Spur verschwunden; nur ein goldener Ring, im Grase schimmernd, blieb von der Erscheinung übrig. Der arme Mann hob ihn auf und verkaufte ihn später. Er darf hier sein Gärtchen bauen und hat dafür die Obliegenheit, das alte Nest sauber zu halten. Dieser närrische Burgvogt hat eine so interessante Figur, einen Kopf so voll von Geistergeschichten, daß unser Künstler sich die Mühe nahm, ihn zu zeichnen, und ihn auch auf unserm kleinen Bilde nicht fehlen ließ.

Die Bauart der Burg gehört einem früheren Alter an als die Urkunden des Geschlechtes. Die ganze Umgegend war ein Geschenk fränkischer Könige an das Bistum Worms; von ihm trugen die Ritter von Steinach, die in der Mitte des zwölften Jahrhunderts aus Sachsen hierher gezogen, Besitzungen zu Lehen, die bald ihr freies Eigentum wurden. Schadeck scheint ihr ältester und erster Besitz, und der erste Besitzer der Burg Schadeck scheint Bligger von Steinach gewesen zu sein, der, nach einer Urkunde des Bischofs Burkhard von Worms vom J. 1142, die Stelle, auf welcher das Kloster Schönau im Odenwald erbaut worden, von Graf Boppo von Lauffen zu Afterlehen getragen. Sehr schnell breitete sich dieses Geschlecht aus und gehörte zu einer der kräftigsten und angesehensten Ritterfamilien der deutschen Vorwelt. Konrad von Steinach bestieg im J. 1150 den bischöflichen Stuhl von Worms, ein Mann, der bei Kaiser Konrad und seinem Nachfolger Friedrich stets in hohen Ehren stand. Noch in spätem Jahren nahm er eine Sendung seines Kaisers an den griechischen Hof an, starb aber auf diesem Zuge im Angesicht von Tyrus, wo er auch begraben ward. Bald teilte sich die Familie in eine dritte Linie, die den Namen der Harfenberge annahm. Sollte der Minnesänger Bligger von Steinach (Maness. I 177) der Gründer derselben sein und von ihm die Harfe in dem Wappen herrühren, die nachher sowie den Namen Bligger auch die Landschaden von Steinach usurpierten, deren erste Stammglieder Bligger und Hartwig (zwischen 1286 und 1300) sind, während die alten Steinache ebenfalls um diese Zeit ausstarben?

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Schwalbennest

Jener Minnesänger Bligger von Steinach spricht von einer schönen Frau am Rheine; eine Erinnerung an Saladin macht glaublich, daß er den Orient gesehen und Kreuzfahrer gewesen.

Mit dem Anfange des vierzehnten Jahrhunderts erscheinen, einem unruhigen Familiengliede zu Ehren mit dem Scheltnamen gezeichnet, die »Landschaden von Neckarsteinach«, die ein gekröntes Greifenhaupt auf einer Harfe im Wappen führten. Unter Konrad von Landschaden erwarb die Familie reiche Besitzungen, aber Schadeck verkaufte sie (1335) um vierhundert Pfund Heller an die Stifter Mainz und Worms. Im J. 1350 zum offenen Hause geworden, ward sie 1428 verpfändet, und der Besitz der schon verödeten Burg wanderte als Lehen von Hand zu Hand.

Von diesem Schwalbenneste führt ein schmaler Fußpfad zu einer andern der vier Landschadensburgen, zu der auf dem Riegelsberge ebenfalls sehr malerisch gelegenen Hinterburg, mit freierer Aussicht nicht nur ins Neckartal, sondern auch in das einsam wilde Tal von Thönau, dessen schmale Bergschlucht sich durch Felsen hinein windet, während das Flüßchen Steinach dem Neckar zueilt. Von innen eng, von außen stark befestigt, war sie auf der Hinterseite von einem tiefen in Felsen gehauenen Graben geschützt, hatte von der Neckarseite her eine Zugbrücke, doppelte Ringmauern mit vorspringenden Ecktürmchen, in der Mitte einen starken, jetzt die Hauptruine bildenden Turm. Auch hier finden sich keine Denkmäler. Schon im J. 1341 war sie baufällig und 1541 und 48 kam sie als Speyersches Erblehen ganz an die Landschaden von Steinach, von welchen sie der Bischof von Speyer um 1750 wieder an sich zog und bis 1803 behielt.

Nach wenigen Minuten gelangt man von der Hinterburg auf einem Waldpfade weiter herab zur Mittelburg, der geräumigsten von den vier Burgen, die eben jetzt durch ihren neuesten Besitzer ganz in wohnlichen Stand gesetzt wird. Auf dem reizenden Vorplatz der innern Burg genießt man von einem von der Façade mit ihren schönen Bogengängen sich hinziehenden freien Räume aus die schönste Aussicht rechts und links auf die Schwesterburgen, hinab ins Dorf und auf den gewundenen Neckarstrom und hinüber auf den steilen Dilsberg. Das Innere der Burg ist anständig ausgestattet und war im Jahre 1700 die Wohnung des Fürstbischofs von Speyer. Steinachsche Familienurkunden erwähnen der Burg schon frühe. Bei dem Erlöschen des ältesten Geschlechts fiel sie den Erbtöchtern zu, und im sechzehnten Jahrhundert kam sie ganz an die »Landschaden«. Nach dem Aussterben dieses Mannsstammes, welcher sie ganz zum Hauptsitze gemacht hatte und die andern Burgen darüber verfallen ließ, wurde sie, als Lehen von Worms und Mainz, Sitz der Metterniche (nicht des jetzt blühenden Zweiges); nach ihrem Aussterben (1753) fiel sie wieder an Worms und Speyer, in deren Rechte (1803) Hessen-Darmstadt eintrat.

Durch zwei Gärten nähern wir uns auf breitem Wege der Vorderburg, der ödesten von allen. Über dem Tore steht das Wappen des Erneuerers der Burg, die Harfe und die Jahreszahl 1568. Efeubewachsene Mauerreste umgeben das Ganze, und an den festen, viereckigen Turm schließt sich ein unregelmäßiges Wohngebäude mit morschem Dache an. Der ältere Teil der Burg war schon im vierzehnten Jahrhundert baufällig; im fünfzehnten Jahrhundert wurde sie Erblehen der Landschaden. Jetzt schützt sie ein Privatmann vor dem gänzlichen Untergang.

Am Fuße des Berges, der die vier Burgen trägt, dehnt sich das freundliche Dorf Neckarsteinach mit vielen Fischerwohnungen und Schiffernachen den Neckar entlang. Die Kirche bewahrt viele Grabsteine der Landschaden. Der älteste und schönste trägt die einfache Umschrift: 1369 in. die. Sancti Michael', o' (obiit) Ulricus Lantschad. Miles. Es ist eine alte Rittergestalt mit vor sich gesenktem Schwerte. Zwei Engel halten ihm ein Kissen unter das Haupt, ein Bild der Ruhe; zu seinen Füßen schmiegt sich ein Hund, das Bild der Treue; zur Rechten hat er die Harfe, zur Linken einen gekrönten Heidenkopf. An diesen Ulrich knüpft sich die Volkssage von der Entstehung der Landschaden. Sein Vater, Bligger von Steinach, war wild, wie die Gegend, die er bewohnte, sein Herz hart, wie der Felsstein, auf dem er nistete. Kaiser Rudolf von Habsburg hatte verordnet, daß niemand eine Burg haben solle, es geschehe denn ohne des Landes Schaden. Aber Bligger, von Mord und Raube lebend, war der Schrecken der ganzen Gegend, der Landschaden. Vom Kaiser vor Gericht gezogen, blieb er auf seiner unzugänglichen Burg, bis Acht und Aberacht über ihn ausgesprochen ward und er keinen Weg mehr sicher betreten konnte. Die Ruhe war dem wilden Raubritter unerträglich, und eines Morgens ward er entseelt im Burghofe liegend gefunden. Sein Sohn Ulrich Landschade von Steinach hatte den Unnamen des Vaters, aber nicht sein böses Gemüt geerbt. Des Vaters Sünden zu büßen und sich mit Kaiser und Reich zu versöhnen, nahm er das Kreuz und zog gegen die Sarazenen. Er half Smyrna belagern und erobern, vernichtete einen dreimal stärkern Haufen Feinde, hieb endlich dem Sultan, in dessen Hoflager er sich verkleidet eingeschlichen hatte, den Kopf ab und brachte die Beute zu seinem jubelnden Heere. Jetzt bestätigte ihm der Kaiser feierlich seine Ritterwürde, verlieh ihm seinen bisherigen Schimpfnamen »Landschaden« als ritterlichen und ehrlichen Geschlechtsnamen und gestattete ihm, den Kopf des erlegten Feindes als Helmzierde im Wappen zu führen. –

In einer kleinen Stunde gelangt man von dem Dorfe Steinach nach dem Städtchen Neckargmünd, das, von der üppigsten Vegetation umgeben, an der Einmündung des tiefen, köstlichen Tales liegt, welches uns auf der beschatteten Straße oder dem sonnigen Fluß zur herrlichen Mauerkrone dieser gesegneten Gegend führt, zur Stadt und Ruine Heidelberg.


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