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Schlößchen Lichtenstein

In einem tiefen grünen Tal
Steigt auf ein Fels, als wie ein Strahl,
Drauf schaut das Schlößlein Lichtenstein
Vergnüglich in die Welt hinein.

In dieser abgeschiednen Au
Da baut' es eine Ritterfrau,
Sie war der Welt und Menschen satt,
Auf den Bergen sucht sie eine Statt.

Den Fels umklammert des Schlosses Grund,
Zu jeder Seite gähnt ein Schlund,
Die Treppen müssen, die Wände von Stein,
Die Böden ausgegossen sein.

So kann es trotzen Wetter und Sturm,
Die Frau wohnt sicher auf ihrem Turm,
Sie schauet tief ins Tal hinab,
Auf die Dörfer und Felder, wie ins Grab.

»Die blaue Luft, der Sonnenschein«,
Spricht sie, »der Wälder Klang ist mein,
Eine Feindin bin ich aller Welt,
Zu Gottes Freundin doch bestellt.« Diese und die folgenden Verse aus der Romanze »Schloß Lichtenstein«; G. Schwabs »Gedichte«, I, S. 319ff.

Seitdem wohnten lauter Menschenfeinde auf der Burg, und einer von ihnen hat den von den Menschen vertriebenen Herzog Ulrich in seinem Felsenneste aufgenommen:

Er zeiget ihm das finstre Tal,
Das weit sich dehnt im Mondenstrahl.

Der Herzog schaut hinunter lang,
Er spricht mit einem Seufzer bang:
»Wie fern, ach, von mir abgewandt,
Wie tief, wie tief liegst du, mein Land!«

»Auf meiner Burg, Herr Herzog, ja,
Ist Erde fern, doch Himmel nah;
Wer schaut hinauf und wohnt nicht gern
Im Himmelreich von Mond und Stern?«

Hier lernt der verstoßene Herzog mit dem Himmel umgehen und wird aus einem Menschenfeind und Untertanenquäler zu einem Freunde von Gott und Welt umgeschaffen.

Wie hat er erworben solche Gunst?
Wo hat er erlernet solche Kunst?
In des Himmels Buch, auf Lichtenstein,
Da hat er's gelesen im Sternenschein!

Das Schloß zerfiel, es ward daraus
Ein leichtgezimmert Försterhaus;
Doch schonet sein des Windes Stoß,
Meint, es sei noch das alte Schloß.

Mehr als diese Romanze weiß auch die Geschichte wenig von dem durch seine ganz eigentümliche Lage vor allen andern Albpunkten ausgezeichneten »Lichtensteiner Schlößlein«, welchen Titel die Jägerwohnung von der alten Burg noch heutzutage entlehnt, zu sagen. Die Burg war Eigentum und Sitz der Herren von Lichtenstein, die seit 1243 mehrfach vorkommen, auch mehrere Schlösser dieses Namens besessen zu haben scheinen. Im J. 1389 bedienten sich Anshelm und Schwenger von Lichtenstein »scharfer und ehrenrühriger Wort'« wider die Reutlinger, die sich dann im Städtekrieg in den Besitz von Lichtenstein setzten, das aber bald württembergisches Lehen wurde. Crusius beschreibt uns die alte Gestalt des Schlosses genau und erzählt: »Am untern Teil des Schlosses sind Festungswerke, auf alte Art gebaut, etwas höher ein herrlicher Pferdestall und kleine Kammern anstatt des Kellers, alles in Felsen gehauen. Wenn man die Stiege hinaufgeht, findet man eine weite und helle Stube mit gegossenem Boden; vor derselben sind Doppelhaken in der Wand. Im obern Stockwerk ist ein überaus schöner Saal, rings herum mit Fenstern, aus welchen man bis an den Asberg (bei Ludwigsburg) sehen kann: Darin hat der vertriebene Fürst Ulrich von Württemberg öfters gewohnt, der des Nachts vor das Schloß kam und nur sagte: ›Der Mann ist da!‹, so wurde er eingelassen.«

In dieser Gestalt stand das Schloß bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, wo es abgerissen und, mit Beibehaltung der alten, ganz in den Fels hineingebauten Grundlagen von Mauern und Türmen, eine freundliche, blanke Försterwohnung an seine Stelle gesetzt wurde. Die alte Burg lebt nur noch in unserer Romanze, in alten Handzeichnungen, in der Chronik des Crusius, vor allen Dingen aber seit zehn Jahren in dem allgelesenen schönen Roman des frühverstorbenen schwäbischen Dichters Wilhelm Hauff. Dieser bevölkerte das Schlößchen mit einem alten Ritter von Lichtenstein und seiner lieblichen Tochter Bertha, und ließ, der Sage getreu, den verjagten Herzog Ulrich hier und in der benachbarten Nebelhöhle verborgen und gepflegt werden.

Auf Crusius gestützt, entwirft uns Hauff, wo er seinen jungen Helden Georg von Sturmfeder, nach einem schlimmen Abenteuer, auf Lichtenstein seine Bertha, den alten Vater, den unerkannten Herzog und den treuen Pfeifer von Hardt finden läßt, folgende höchst lebendige Beschreibung des Schlößchens:

»Georg hatte indes Zeit genug, das Schloß und seine Umgebungen zu betrachten. War ihm schon in der Nacht, beim ungewissen Scheine des Mondes, die kühne Bauart dieser Burg aufgefallen, so staunte er jetzt noch mehr, als er sie vom hellen Tage beleuchtet anschaute. Wie ein kolossaler Münsterturm steigt aus einem tiefen Albtal ein schöner Felsen frei und kühn empor. Weit abliegt alles feste Land, als hätte ihn ein Blitz von der Erde weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt oder eine Wasserflut vor uralten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen abgespült. Selbst an der Seite von Südwest, wo er dem übrigen Gebirge sich nähert, klafft eine tiefe Spalte, hinlänglich weit, um auch den kühnsten Sprung einer Gemse unmöglich zu machen, doch nicht so breit, daß nicht die erfinderische Kunst des Menschen durch eine Brücke die getrennten Teile vereinigen konnte. Wie das Nest eines Vogels, auf die höchsten Wipfel einer Eiche oder auf die kühnsten Zinnen eines Turms gebaut, hing das Schlößchen auf dem Felsen; es konnte oben keinen sehr großen Raum haben, denn außer einem Turme sah man nur eine befestigte Wohnung; aber die vielen Schießscharten im untern Teile des Gebäudes und mehrere weite Öffnungen, aus denen die Mündungen von schwerem Geschütz hervorragten, zeigten, daß es wohlverwahrt und trotz seines kleinen Raumes eine nicht zu verachtende Feste sei. Und wenn ihm die vielen hellen Fenster des oberen Stockes ein freies, luftiges Ansehen verliehen, so zeigten doch die ungeheuern Grundmauern und Strebepfeiler, die mit dem Felsen verwachsen schienen und durch Zeit und Ungewitter beinahe dieselbe braungelbe Farbe wie die Steinmasse, worauf sie ruhten, angenommen hatten, daß es auf festem Grunde wurzle und weder vor der Gewalt der Elemente noch dem Sturm der Menschen erzittern werde.« Georg geht mit dem Pfeifer über die Zugbrücke, dann gelangen sie an das innere Tor. »Es war nach alter Art, tief, stark gebaut und mit Fallgattern, Öffnungen für siedendes Öl und Wasser und allen jenen sinnreichen Verteidigungsmitteln versehen, womit man in den guten alten Zeiten den stürmenden Feind, wenn er sich der Brücke bemeistert haben sollte, abhielt. Doch die Ungeheuern Mauern und Befestigungen, die sich von dem Tor an rings um das Haus zogen, verdankte Lichtenstein nicht der Kunst allein, sondern auch der Natur; denn ganze Felsen waren in die Mauerlinie gezogen, und selbst der schöne geräumige Pferdestall und die kühlen Kammern, die statt des Kellers dienten, waren in den Felsen eingehauen. Ein bequemer gewundener Schneckengang führte in die oberen Teile des Hauses, und auch dort waren kriegerische Verteidigungen nicht vergessen; denn auf dem Vorplatz, der zu den Zimmern führte, wo in andern Wohnungen häusliche Gerätschaften aufgestellt sind, waren hier furchtbare Doppelhaken und Kisten mit Stückkugeln aufgepflanzt. Von hier ging es noch einmal aufwärts in den zweiten Stock, wo ein überaus schöner Saal, ringsum mit hellen Fenstern, den Ritter von Lichtenstein und seinen Gast aufnahm.« W. Hauffs »Schriften« VI, S. 23 ff

Wo im alten Schlosse jener Saal stand, da hängt jetzt, ebenfalls im zweiten Stocke des Schlößchens, das Fremdenzimmer in der Luft und eröffnet den freien Blick in das wundervolle Tal, an dem gewiß auch das verwöhnteste Auge Wohlgefallen finden wird. Von dem schroffen Fels herab mißt der Blick eine Tiefe von wenigstens dreihundert Klaftern, welche, von dem Waldbache der Echaz gebildet, etwa eine halbe Viertelstunde breit, rechts und links von waldigen Alpen umlagert, sich eine Meile in die Länge zieht und mit drei lachenden Dörfern, immer wasserfrischen grünen Wiesen und wohlverteilten Obstpflanzungen besetzt ist. In der Höhe das wildeste Gebüsch mit Wald und Fels, rechts und links die rauheste Alb. Im Hintergrund ein isolierter Bergrücken, hinter dem der vulkanische Gipfel der Achalm hervorblickt, so neugierig, als könnte er scheu jeden Augenblick sich wieder hinter den Vorderberg zu Grunde bücken; rechts und links verliert sich die lachende, hügelige Breite bis gegen Hohenheim und die Stuttgarter Höhen, in den buntesten Farben, bis zur bleichsten Bläue verschmolzen.

In diesen Richtungen liegen in der Nähe die Städte Pfullingen und Reutlingen; links von dem Beschauer etwas ferner, hinter der Bergwand, Tübingen; in seinem Rücken, von Waldfläche gedeckt, Hohenzollern und Hechingen. Aber wer den obersten Boden des Hauses zu besteigen nicht scheut, der wird durch ein zerbrechliches Fenster, mit bewaffnetem Auge, gegen Südost eine ganze Kette von Vorarlberger und Schweizer Alpen bis zum Säntis und Glarnisch hin, aus weiter Ferne, schneebedeckt, mit Staunen sich entgegenschimmern sehen.

Der Förster, der diese vereinzelte Warte bewohnt, seufzt jahraus, jahrein über die Einsamkeit der Werktage, die Wut der Stürme, die Strenge endloser Winter und die Kürze lieblicher Sommer. An dem schönsten Frühlingstage des Jahres, dem Feste der Freude, dem Pfingstenmontag, wogt jedoch der Strom des geselligen Lebens auf einmal bis über Bord dieser im Luftmeer einsam schwimmenden Arche. Da wird die benachbarte Nebelhöhle beleuchtet, und aus Ober- und Unterland kommt eine unzählige Menge fröhlicher Gäste zusammengeströmt, die Jungen, um die Wunder der hiesigen Umgegend zum ersten Male zu genießen, die Alten, um in Erinnerungen der Natur und der Freundschaft einen frohen Tag sich rückwärts zu versenken. Erst aus der Tiefe von Pfullingen zu Wagen und Rosse, von Unterhausen zu Fuße durch einen Bergspalt, jedenfalls mühsam emporgekommen, lagert man sich auf einer ebenen Albwiese, dem begrünten Dache der Höhle, dann wird die von unzähligen Lichtern funkelnde Höhle besucht, endlich schlendern Karawanen um Karawanen durch den Wald der Hochfläche, bis, selbst denen, die zum zehnten Male hier pilgern, unerwartet, die Waldebene am Abgrund aufhört und das steile Schloß mit seinem tiefen Tale dahinter, nur über eine Zugbrücke zu erobern, vor den Wanderern emporsteigt:

Und einsam ist es jetzt nicht mehr,
Es kommt der Gäste fröhlich Heer,
Aus einer Höhle kommen sie,
Doch Menschenfeinde sind es nie.

Manch holdes Mädchenangesicht
Läßt leuchten seiner Augen Licht;
Da führt mit Recht in solchem Schein
Das Schloß den Namen Lichtenstein.

Die Männer stolz, die Mägdlein frisch,
Sie sitzen all' um einen Tisch,
Die Erde lächelt herauf so hold,
Es strahlt am Himmel der Sonne Gold.

Sie spenden von des Weines Tau
Dem Herzog und der Edelfrau,
Sie bitten sie, dies Schlößlein gut
Zu nehmen in ihre fromme Hut.

Und ziehn sie ab, mit einer Brust
Voll Gotteslieb' und Menschenlust,
Dann steht in spätem Sternenschein
Einsam und selig der Lichtenstein.


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