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Weinsberg und die Weibertreu

Zu Weinsberg, der gepriesnen Stadt,
Die von dem Wein den Namen hat,
Wo Lieder klingen, schön und neu,
Und wo die Burg heißt Weibertreu:
Bei Wein und Weib und bei Gesang
Wär' Luthern dort die Zeit nicht lang,
Auch fänd' er Herberg und Gelaß
Für Teufel und für Dintenfaß,
Denn alle Geister wandeln da –

Diese neuesten Verse Uhlands Uhlands »Gedichte«, X, S. 397. umschließen alles, was Weinsberg Merkwürdigstes hat, seine köstlichen Weinhügel, deren Reben, gepflegt, wie man sie neuerdings in Schwaben pflegen lernt, einen Trank geben, der den edlern Rheinweinen wenig nachsteht; dann den Ruhm seiner Frauen; endlich die Lieder und den Geisterglauben, durch welche Weinsbergs Arzt, der liebenswerte und geniale Justinus Kerner, einen doppelten, wenn auch verschiedenartigen Ruhm erlangt hat.

Der Leser kann vor allen Dingen einen Fingerzeig über die vielangefochtene Geschichte der Weibertreue von Weinsberg erwarten, und diese Hoffnung soll nicht getäuscht werden. Raumer, in seiner »Geschichte der Hohenstaufen«, erklärt uns, daß der Ruhm der Weiber von Weinsberg bei Mitwelt und bei Nachwelt ein wohlbegründeter, daß ganz unerheblich sei, was man später aus übertriebener Zweifelsucht gegen die Wahrheit dieser preiswürdigen Tat, drehend und deutelnd, gesagt hat. Er führt für die Begebenheit im allgemeinen vier Zeugen auf; davon gehört aber der letzte in das 17te Jahrhundert und hat sichtlich aus dem ersten geschöpft, die beiden andern sprechen zwar von der Belagerung von Weinsberg, enthalten jedoch kein Wort von der Tat seiner Weiber.

So bleibt als Zeuge für diese nur eine Feder, aber allerdings die Feder eines Zeitgenossen übrig. Es ist dies die lateinische Kölner Chronik der Benediktinermönche von Sankt Pantaleon, die mit dem Jahre 1162 schließt, also ohne Zweifel als miterlebt auf folgende schlichte Weise erzählt, was im Jahr 1140 geschehen sein soll.

»Im Jahre des Herrn 1140 belagerte der König (Konrad III., der Hohenstaufe) die Stadt des Herzogs Welf von Bayern, Winesberg genannt, und bekam sie vermöge einer Übereinkunft in seine Hand. Den Matronen und Frauen, die er dort fand, erteilte er aus königlicher Milde die Erlaubnis, daß sie sollten forttragen dürfen, was jede auf den Schultern zu tragen vermöchte. Sie aber dachten mehr an die Treue, die sie ihren Männern schuldig waren, als an die Rettung ihrer übrigen Habe, ließen allen Hausrat dahinten und stiegen herab, ihre Männer auf den Schultern tragend. Als nun der Herzog Friedrich (der Bruder des Königs) Einsprache tat und solches nicht geschehen lassen wollte, da sprach der König zugunsten des Weibertrugs: An einem Königsworte zieme sich nicht zu rütteln ( REGIVM VERBVM NON DECERE IMMVTARI).«

Dies ist die einfache Erzählung, die allerdings keine innern Spuren von Unwahrscheinlichkeit enthält und nur dadurch etwas verdächtig wird, daß ein berühmterer Zeitgenosse, Otto von Freisingen, der eigentliche Historiograph seiner Zeit, dessen Chronik nur sechs Jahre später als die eben erzählte Begebenheit schließt, zwar den Krieg des Gibellinen mit dem Welfen ausführlich erzählt und auch der Belagerung Weinbergs gedenkt, aber über die Tat der Weiber ein ebenso tiefes Stillschweigen beobachtet wie alle übrigen Geschichtsbücher jener alten Zeit.

Aus den wenigen Worten des Benediktiners hat nun im 17ten Jahrhunderte der Verfasser der »Bojischen Annalen«, der gelehrte Adlzreiter (um 1662), eine mit livianischer Beredsamkeit ausgeschmückte Geschichte gemacht, und aus dieser Quelle ist die Sage von der Weinsberger Weibertreue wohl zunächst in den Mund des Volkes und aus ihm in den Mund des Dichters gekommen. »Man erwartete«, sagt er, »die Frauen würden ihren Weiberschmuck, Gold, Edelgestein, und was sie sonst von edler Bürde finden könnten, in Sicherheit bringen. Sie aber bedachten, daß es keinen kostbareren Schatz gebe als ihre Männer, und zogen aus in einer kläglichen, aber für die Zuschauenden zugleich anmutigen Reihe, jede ihren Mann auf dem Nacken tragend. Solche Frauenliebe preßte dem König Konrad Freudentränen aus. Da war niemand, dem diese sinnreiche Liebe nicht wohlgetan hätte, außer Friedrich, dem Bruder des Königs, der, den Betrug scheltend, erklärte, daß der unterhandelnde König gewiß nicht an diese Gattung von List gedacht habe und daß er mithin nicht den Schutzherrn der Männer machen sollte; diese, verlangte er, sollten auf die Schlachtbank geschleppt werden. Aber er erhielt von Konrad eine wahrhaft königliche Antwort. ›Mein Bruder! Nicht darf ein König, in keinem Falle, die Treue brechen; an einem Königsworte soll man nicht rütteln. Mir muß der Ruf und die Gnade der Gottheit weit mehr gelten als der Tod meiner Feinde. Wenn die Treue einem Fürsten nichts mehr gilt, für wen soll sie dann noch einen Wert haben? Ein Lügner gescholten zu werden ist an jedem freigeborenen Mann eine schimpfliche Makel; wie ganz ehrlos muß es an Herrschern sein!‹«

Die Wahrheit der Erzählung vorausgesetzt, läßt sich noch fragen, ob der Schauplatz der Tat die Burg Weinsberg oder die Stadt war. Der ursprüngliche Erzähler nennt Weinsberg ein Städtchen; Otto von Freisingen und die andern Chronisten nennen es ein Castrum, was ebenso wohl Burg als befestigte Stadt heißen kann. Doch sagt der Mönch, die Weiber seien mit ihren Männern auf den Schultern herabgestiegen, was auf einen Ort deutet, der auf einer Anhöhe liegt, und nur auf die Burg Weinsberg paßt, da das Städtchen selbst in der Tiefe gelegen ist, auch ohne die Burg sich gegen keinen Feind würde haben halten können. Zudem heißt auch nur die Burg Weibertreu, ein Name, von dem man freilich nicht weiß, wie alt er ist und ob er der Volkstradition oder der Büchergelehrsamkeit angehört. Immer bleibt es wahrscheinlicher, daß damals das Castrum Weinsberg nur aus der Burg und vielleicht wenigen Häusern Höriger an deren Fuße bestanden und daß aus den letztern die Stadt Weinsberg erst später erwachsen ist.

Je angefochtener die Geschichte von der Weibertreue durch die historische Kritik ist, desto heiliger gehalten, desto edler dargestellt soll sie werden durch Poesie und Kunst. Hätte Bürger, der lebenskräftige und für echtes Gefühl sonst so offene Dichter, die Sagenpoesie auf der Stufe ihrer jetzigen Bildung angetroffen, so würde er den rührenden Stoff nicht zu einer skurrilen Romanze verarbeitet und schwerlich im Bänkelsängertone begonnen haben:

Wer sagt mir an, wo Weinsberg liegt?
Soll sein ein wackres Städtchen;
Soll haben fromm und klug gewiegt
Viel Weiberchen und Mädchen.

Er hätte gewiß nicht gemeldet, der Kaiser Konrad habe seinen »Avis hineintrompeten lassen«, es habe lautes »Zetermordio« gegeben; die »Pastores« haben geschrien: »Wir gehn kapores!« Er hätte keine »Ambassade« von Weibern kommen und diese nicht die Männer »schwer im Sack« und »Huckepack« einhertragen, am allerwenigsten den Kaiser an der Treue seiner eignen Frau zweifeln und »mit der Bürgermeisterin wie mit der Besenbinderin« tanzen lassen. Doch gehört diese Verirrung mehr seiner Zeit als seinem sonst oft über solche Irrtümer erhabenen Genius an.

Würdiger hat die Kunst sich an der schönen Sage versucht. In der Kirche zu Weinsberg befindet sich ein altes Gemälde, welches, auch im historischen Interesse, wohl verdiente, von der Kritik näher ins Auge gefaßt zu werden. Oberhalb des Gemäldes standen ehemals die Worte: »Ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen.« Die Unterschrift desselben erzählt kurz die Tatsache. Die Burg Weinsberg erscheint auf dem Gemälde, wie sie vor ihrer Zerstörung war; durch die Burgtore ziehen die Frauen in langen Reihen herab, die kleinste der Frauen, die den schwersten Mann trägt und unter ihrer Last beinahe zu erliegen scheint, voraus. Auf dem Vordergrunde hält auf einem stattlichen Zelter Konrad und schaut den Frauen ruhig zu, ohne sich durch die dringenden Vorstellungen Friedrichs irre machen zu lassen. Der sonderbare Aufzug hat die Augen des ganzen Heeres auf sich gezogen. Auch ein modernes Gemälde aus dem vorigen Jahrhunderte hat die Begebenheit behandelt und findet sich hier und da in guten Kopien. In der neuesten Zeit hat ein sehr talentvoller junger Künstler, Alexander Bruckmann von Heilbronn, den Gegenstand auf eine eigentümliche Weise behandelt. Die Szene ist hier unter das Tor der Stadt verlegt, die, mit Häusern und Kirche, schon in ihrem spätern Flore dargestellt ist; die Burg erscheint im Hintergrunde. Der Künstler hat eine große Mannigfaltigkeit von Gruppen, ohne Verwirrung, und von Gesichtern mit dem wechselndsten Ausdruck verschiedener Affekte darzustellen gewußt, das kavallerieregimentartige Aufmarschieren der Frauen ist ganz vermieden, nur einige Männer sitzen förmlich auf den Schultern ihrer Frauen, andere werden von Töchtern, von Schwestern, ja von ganz jungen Mädchen, je einer von zweien, zum Teil verwundet, gehoben, getragen, niedergelassen. Gegenüber dem Kaiser, dessen hohe Gestalt die Mitte einnimmt, ist, kühn vortretend, eine Amazone mit flatternden blonden Haaren und einem Blicke des Trotzes abgebildet, ihr verwundeter Gatte scheint einer der vornehmsten Gefangenen zu sein, sein finsterer Blick hat auch die dargebotene Gnade des Kaisers noch nicht angenommen. Das Kostüm auf diesem Bilde ist prachtvoll, doch nicht ungetreu, die Behandlung der Figuren im altdeutschen Stile, jedoch weder steif noch armselig, das Kolorit durch seine Klarheit und freundliche Lichter ausgezeichnet. Das preiswürdige Bild hat die königlich württembergische Kunstschule zu Stuttgart käuflich an sich gebracht. Im ersten Entwürfe war es für ein Freskogemälde an einer Turmwand der Weibertreu selbst bestimmt. –

Die geschichtliche Zeit beginnt für Weinsberg erst mit dem Jahre 1193, wo zum erstenmale die Dynasten von Weinsberg als Besitzer der Burg erscheinen. Dieses Geschlecht stand mit dem Reiche wie mit den ersten und mächtigsten Häusern Schwabens, Frankens und der Rheinlande in der mannigfachsten Berührung. Der bedeutendste Weinsberger war Konrad, Erbkämmerer des Reichs, der seine Burg im J. 1429 mit Heldenmut und Glück gegen die Pfalzgrafen verteidigte. Auf die Stadt, die beim Reiche war, machte er vergebens Ansprüche. Diese kam mit der Zeit an Kurpfalz und unter Herzog Ulrich von Württemberg, im bayerischen Erbfolgestreit, an dieses Herzogtum. Damals wurde ein hoher Turm, der schwarze Mantel genannt, und das alte Ritterhaus ganz zusammengeschossen. Das entscheidende Verhängnis brach jedoch über sie erst im Jahr 1525 ein, wo die Aufrührer aus dem Odenwald, Hans Wunderer an ihrer Spitze, wie ein verheerendes Ungewitter gegen Weinsberg heraufgezogen kamen. Auf diese Nachricht besetzte der Schwäbische Bund Stadt und Burg mit 70 Rittern, Edeln und Gemeinen unter Graf Ludwig von Helfenstein. Die Aufrührer benutzten die Feier des heiligen Osterfestes, die Burg zu stürmen; die Einwohner schlugen sich zu ihnen, und die ganze Besatzung fiel in ihre Hände, bis auf drei Ritter, die, als Weiber von Weinsberg verkleidet, entrannen. Vergebens trat nun die Gräfin von Helfenstein mit ihrem zweijährigen Knaben als Schutzflehende auf. Vor dem Tore schlossen die Bauern einen Kreis; ein Pfeifer mußte Tänze spielen, und alle Gefangenen wurden tanzend gespießt. Da ward die Burg Stein von Stein gerissen. Bald darauf nahm der schwäbische Bundeshauptmann Georg Truchseß von Waldburg schrecklich Rache an den Bauern. Der Pfeifer, der zu dem Morde der Edeln aufgespielt, wurde, an einer Kette um einen Baum tanzend, langsam am Feuer gebraten. Die Mauern der Stadt wurden geschleift und erst spät auf Erlaubnis erneuert. An den Trümmern der Burg ließen im Jahr 1546 die Spanier noch ihre Wut aus. Nach der Nördlinger Schlacht kam Stadt und Burg als vorübergehendes Geschenk an den Liebling des Kaisers, Max Grafen von Trautmannsdorf.

Die Ruinen sind seit etwa zwölf Jahren durch einen Verein der Frauen Weinsbergs und die Fürsorge J. Kerners nicht nur vor Verfall bewahrt, sondern aus einem Schutthaufen in die lieblichsten Anlagen verwandelt worden, in welchen sich aus sorgsam gepflegtem Gebüsch Mauerzinnen und Türme, allenthalben zugänglich und zu reizenden Belvederen umgeschaffen, erheben. Äolsharfentöne wehen dem Wanderer entgegen. Von dem höchsten Turme, ein finstres Verlies unter seinen Füßen, blickt dieser gegen Osten in ein friedliches, gesegnetes Tal, mit Dörfern übersäet, dessen äußerstes Ende durch eine gegen Norden streichende Bergkette begränzt wird, während weiter südlich die Ruinen des Stammschlosses der Grafen von Löwenstein herüberblicken und nordwestlich die Durchsicht ins Neckartal sich öffnet. Am Fuße des Berges, wie unter dem Schutze der Burg, steht die uralte Stadtkirche Weinsbergs, unter ihr und um sie versammelt gruppieren sich die Häuser der Stadt. Das jüngste und merkwürdigste unter diesen ist das Dichterhaus, welches der Leser auf dem Blatte sieht, das von unserm Texte begleitet wird, die Wohnung Justinus Kerners, der zu seiner zauberischen Besitzung einen uralten Stadtturm geschlagen hat, in welchem er als Chemiker laboriert, als Sänger dichtet und als Exorzist Geister beschwört. Wer den von Schmerzen und Freuden des Lebens wie von Ebbe und Flut umspülten Geist dieses Mannes, seinen alle Wehmut der Gefühle plötzlich weghauchenden Humor, seinen Scherz, durch Ernst gezügelt, sein strenges und eifriges Wirken als treuer Arzt, das den Geisterbanner ganz vergessen läßt, kennen lernen will, der komme hierher nach Weinsberg. Schwaben und seine Bewohner sehen in der Nähe ganz anders aus, als sie im Norden oft geschildert werden.

Die Wohnung Kerners, die auf unserm Bilde mit ihrem Besitzer und dessen Turm im Vordergrunde sichtbar ist, soll uns zum Schluß ein befreundeter Sänger malen:

Was andre nur gesungen,
Das hast Du Dir errungen:
Den magischen Palast.
Das Wild sucht Deine Halle,
Das Pferd in Deinem Stalle
Fühlt nicht der Jahre Last;
Und Pilger aller Zonen
Mit warmem Danke lohnen
Die freundlich dargebotne Rast.

Den Turm hab' ich gesehen,
Von dem Du ließest wehen
Das griechische Panier; Wilhelm Müller zu Ehren, der ihn kurz vor seinem Tode, im Herbst 1827, besuchte, pflanzte der Dichter auf seinen Turm die griechischen Nationalfarben als Flagge auf, die aber über Nacht ein Platzregen verwischte, so daß nur Schwarz und Weiß übrig blieb.
Im Regen mußt' erbleichen –
Ein Unglück droh'ndes Zeichen –
Der frohen Farben Zier.
Der edle Sohn der Musen
Zog, schon den Tod im Busen,
Der Griechensänger, weg von Dir.

Wie ruhig bei Dämonen
Des Friedens Engel wohnen,
Hab' ich bei dir geschaut;
Es bricht an deiner Schwelle
Die schwarze Macht der Hölle,
Der vor der Unschuld graut;
Es weicht die Geisterschwüle
Vor jener Abendkühle,
Die von des Genius Schwingen taut.

Doch, daß ich nichts verhehle,
Es regt in meiner Seele
Sich immer der Verdacht:
Es sei dein Haus am Berge
Vom wilden Heer der Zwerge
Durch Zauber nur gemacht;
Einst tragen sie im Sturme
Samt Garten und samt Turme
Es in die Wolken über Nacht. Aus dem Gedicht »Justinus Kerner«, von Gustav Pfizer, »Gedichte, neue Samml.«, S. 119 ff.


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