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XIV.

Im Sommer 1815 war der Wiener Kongreß zu Ende gegangen. Smidt hatte die drei Hauptdokumente mitunterschrieben: die Kongreß- und Schlußakte und die deutsche Bundesakte, bei deren Abfassung er selbst, voll von Eifer und regen Vorausgedanken für sein Bremen, mittätig gewesen war. Frankfurt a. M. war den drei deutschen Freistädten als vierte angegliedert worden, und das Reich – aus dem heiligrömischen zum deutschen geschaffen – blieb, trotz aller kongreßlichen Kunst- und Mißgriffe neben einem Uebermaß von Lebensgenüssen, – das alte Flickwerk aus Ländern und Ländchen; Stücken, Streifen und Zipfeln.

Bald darauf mußte Smidt, abermals als hansestädtischer Gesandter zum Bundestage, den Schauplatz seiner diplomatischen Wirksamkeit nach Frankfurt a. M. verlegen. Vom Dezember 1815 bis spät in den Oktober des folgenden Jahres hinein; also volle elf Monate, harrte er, in Gesellschaft der übrigen schon Versammelten, ungeduldig auf den endlichen Beginn der Tagung.

Müßig blieb er nicht; wenn es auch noch keine Taten zu vollbringen gab. Er durchforschte den neuen Boden, auf dem er stand, vorsichtig nach allen Richtungen; lernte die Elemente, die ihm schon vertraut waren, noch gründlicher abschätzen, und suchte neuartige zu beurteilen und zu nützen. Nach seiner inneren Beschaffenheit wollte er weder der Stärke noch der Schwäche dieser mit ihm zusammengewürfelten Nebenmenschen völlig fremd bleiben, um sich, für das Recht und Wohl seines Kleinstaates, Gültigkeit unter den Größeren zu erhalten. Erworben und gesichert hatte er sich diese Gültigkeit schon seit seinen Reisemonaten, immer von Hauptquartier zu Hauptquartier der Verbündeten; und mehr als bloße Gültigkeit: auch die Achtung und Freundschaft der Führenden.

Es würde weit über den Rahmen dieses Buches hinausgreifen, wollte ich Smidts feine Politik darin eingehend darzulegen suchen, oder Vergleiche zwischen ihm und seinen bekannteren Zeitgenossen anstellen: Stein, Humboldt u. a. m. Mein weibliches Wissen und Können würde an dieser schwierigen Aufgabe scheitern. Dieselbe muß, wie schon einmal gesagt, dem fachmännischen Verstande des längst bestallten Biographen vorbehalten bleiben. Ich kann die interessanten, politischen Haupt- und Haltpunkte nur mit bescheidenem Verständnisse streifen.

Smidts erste Frankfurter Arbeitsperiode umschloß die Zeit von 1816-21. – 1817 jährte sich der Luthersche Thesenanschlag zum 300sten Male, und aus der Heimat ward Smidt ein Flugblatt zugesandt; ein Nachtwächterlied:

Hört, ihr Herren und laßt euch sagen:
Der Geist ist nicht mehr in Fesseln geschlagen.
Gedenket an Luther, den Ehrenmann,
Der solche Freyheit euch wiedergewann;
Bewahret das Licht, der Wahrheit Licht,
Bewahret das Feuer, entweihet es nicht!
Vor allem aber, ihr Frauen und Herr'n,
Lobt im Jahre siebzehn Gott den Herrn!
Feyert das Jubeljahr fern und nah – –
Amen, Amen, Victoria!

– – – Da war es, daß der einstige Theologe in ihm noch einmal hellwach ward und seine Seele erfüllt von flammenden Wunschgedanken für Bremens kirchliche Zukunft. – Bremen war, seit Heinrich von Züthphens Tagen eine streng evangelische Stadt geworden. Katholiken gab es nur mehr in verschwindender Minderzahl, und Juden wurden damals überhaupt nicht geduldet. Innerhalb der evangelischen Kirche jedoch klaffte tiefe Spaltung und Scheidung: hie Luther, hie Calvin! – Jedes Anhänger mit seiner gegensätzlichen Abendmahlslehre, von: »Christi Leib und Blut in mit und unter dem unveränderten Brot und Wein;« von: »Christi Geist, enthalten und gegenwärtig im heiligen Mahle,« das den dritten, Freigesinntesten, nur »ein feierliches Gedächtnis an Christi Aufopferung für die sündige Menschheit« bedeutete. –

Diese Spaltung friedlich zu schließen und die Scheidung in duldsame Eintracht zu verwandeln, lag dem Scholarchen Smidt seit Jahren nahe am Herzen. Freier, gründlicher und wärmer wünschte er sich solche »Union«, als Preußens König sie durch seine Kommission am grünen Tisch anstrebte und 1817 erreichte. Smidt's Ideal war kein kühles Schema, sondern ein herzlicher Ausgleich. Das »wie« arbeitete er während des ersten Frankfurter Jahres schon still in sich und mit kurzen Notizen aus, lange bevor es ihm glückte, an einzelnen Kirchen Geistliche beider evangelischen Richtungen anzustellen und so unierte Gemeinden zu gründen. Zuerst geschah das seinerzeit im bremischen Landgebiet. Damals, zwischen 1817 und 21, lag das noch im Schöße der Zukunft verborgen, aber die erste seiner beiden Großtaten für Bremen fiel in jenen Zeitraum, und das war die Aufhebung des Elsflether Zolls, der seine drückende Hand sehr schwer auf Handel und Schiffahrt legte, weil das Oldenburger Herzogtum sich mit seiner östlichen Grenze von Blexen bis Lemwerder an den Weserstrom schloß, dessen Fahrwasser mitbeherrschend. –

Laßt uns, um das »wie« und »weshalb« ganz zu verstehen, noch einmal auf das große Jahr 1813 zurückgreifen. – Damals segelte am 18ten November der erste, stattliche Englandsfahrer mit Schnitt- und Ellenwaren wieder weserauf, und Schiff auf Schiff folgte ihm, sobald, kaum eine Woche später, die Geestendorfer und Blexener Befestigungen von den Russen und Engländern erobert waren. All die Schiffe hatten bei Helgoland vor Anker gelegen, wartend, bis die Weser dem Verkehr neu eröffnet sein werde. Endlich kamen die langentbehrten Würzen und andre Kolonialerzeugnisse wieder herein; zwar vorerst noch nicht bis zum städtischen Hafen, aber auch vom außenliegenden Stapelplatze wurden die einstigen Lebensbedürfnisse von neuem in Fülle hereingeschafft. Der Winter ließ sich milde an mit weichen Tagen und sternhellen Nächten; bis in's neue Jahr hinein dauerte der rege Verkehr, und ein gesunder Wind begann, von der See her, die letzte Bedrückungsschwüle aufzufrischen. – Hamburg stand noch immer unter fremdherrlicher Besatzung, und so lief alle englische und skandinavische Einfuhr auf dem Weserstrom zusammen; die Elbe blieb verwaist und scharfbewacht. Bremens Handel blühte mächtig auf und wuchs, nach dem Friedensschlusse zwischen England und den Vereinigten Staaten, noch beträchtlich unter dem lebhaften Austauschen nordamerikanischer Güter und deutschen Leinens. Bis nach dem Wiener Kongresse währte dieser Aufschwung.

Da wurden, gänzlich unvermutet, die Oldenburger ihren Bremer Nachbarn gegenüber kontraktbrüchig und stellten den abgetanen Elsflether Zoll auf alle fremden Einfuhrprodukte wieder her. Smidt geriet darob in Empörung. Er schrieb und redete, und kämpfte, in den Bundestagssitzungen, vergeblich gegen solch rechtloses Vorgehen; reiste auch umsonst selbst nach Oldenburg, um dem unbotmäßigen Betreiben einen Riegel vorzuschieben. Sehr huldreich gab sich der betagte Herzog von Person zu Person; in der strittigen Sache jedoch blieb er schroff und querköpfig. Die auswärtigen Mächte mischten sich ein. Preußen schlug sich auf des Herzogs Seite, allein Smidt ließ nicht nach. Sein Bremen sollte sich weder niederwerfen, noch treten lassen. Abermals setzte er seine ganze Wort- und Schriftberedtsamkeit an die Sache, faßte die Vertreter der Mächte bei'm Ehrgefühl und wies den deutschen Bund, – in dessen Bestand und Festigung er des Vaterlandes Heil sah, – auf seine Lebensbedingungen zum Wohle der neugeeinten Völker hin. Schließlich, als das alles nicht fruchten wollte, wagte er einen friedlichen Gewaltstreich. Er beantragte die schiedsrichterliche Entscheidung dreier Gesandten vom Bundestage. Einen solle Oldenburg, den zweiten Bremen, den dritten der Bundestag bestimmen, und wirklich drang er mit seiner willensstarken Forderung durch. Nach einem kurzen Hin und Her von Weigern, Zustimmen und Entgegenkommen, trat der diplomatische Dreibund am 19ten August 1819 zusammen und beriet bis zum 25sten. Dann ward endlich festgesetzt, daß die Erhebung des Elsflether Zolles mit dem 7ten Mai 1820 aufzuhören habe, und, auf Smidts ferneres Verlangen, ward der Vergleich unter die Gewährleistung des Bundes gestellt.

Graf Boul, der Vorsitzende des Bundestages, gab, zur Feier dieses glücklichen Ergebnisses, ein glanzvolles Fest. Scheinbar absichtslos zog er Smidt in den Vordergrund und ließ ihn herzlich empfinden, wie gern er ihm besondere Ehre für seinen Takt, seine Klugheit und zielbewußte Energie erweise; der Geehrte selbst aber war wohl der Glücklichste des tafelnden Kreises, und seine Gedanken flogen den Berichten weit voraus in die Heimat.

Bremens tiefgefühlter Dank, – der zugleich auch dem patriotischen und schon betagten Bürgermeister Georg Gröning galt, weil derselbe schon viel früher als Smidt dem gleichen Ziele entgegengestrebt hatte, – traf Smidt in Frankfurt, wenige Tage bevor ihm seine Wahl vom 26sten April 1821 zum Bürgermeister auf Lebenszeit mitgeteilt wurde.

»Möge der Name Smidt mit unverlöschlichen Zeichen, als Vorbild eines der ausgezeichnetsten Patrioten seines Zeitalters, den Tafeln der Geschichte eingegraben werden.« So hieß es im Dankbriefe der Bürgerschaft, und wenngleich die Form reichlich aufgebauscht erschien: – ihr schlichter Inhalt war wohlverdient.

Smidt kehrte nach Bremen zurück, und nun er zur inneren Pflicht auch das äußere Recht empfangen hatte, begann er sofort mit dem Ausbau der bremischen Selbständigkeit.

*

Ehe ich fortfahre, will ich hier eine kurze Einschiebung machen und bemerken, daß dieser Abschnitt zugleich eine gedrängte Uebersicht dessen geben soll, was Smidt während sechsunddreißigjähriger Präsidentschaft angeregt und erreicht, ausgeführt oder auch vergebens erstrebt hat. Ich gebe die Tatsachen und Daten nur als Abriß zu allgemeinem Verständnis und allgemeinem Vergleich mit unseren gegenwärtigen Zuständen, und zwar an der Hand von Otto Gildemeisters Lebensskizze. Dieselbe wurde 1873, zur Jahrhundertfeier von Smidts Geburtstag, mit andren Aufsätzen über ihn, von der historischen Gesellschaft des Künstlervereins herausgegeben. Sie ist knapp und doch erschöpfend, mit liebevollem Herzen entworfen und dabei gerecht nach allen Seiten hin, so daß ich mir nichts besseres wüßte, als diese kleine Betrachtung auf ihren Gedanken zu erbauen.

Für den Zweck meines Buches genügt die Erwähnung, daß Smidt den Posten als Bundestagsgesandter bis an sein Lebensende bekleidet hat. In den zwanziger und dreißiger Jahren mußte er deswegen mehrfach monatelangen Aufenthalt in Frankfurt a. M. nehmen; allein oder in Gesellschaft der Seinigen, ohne die er sich ungern längere Zeit behalf. Auch nach Hannover und Cassel, Wien, Berlin und den benachbarten Schwesterstädten führten ihn politische Sendungen und Unternehmungen, und sein reger Geist ermüdete niemals daran.

Sein zweiter Sohn Heinrich war nach Anlagen und Studienrichtung mehr als seine vier lebenden Brüder imstande, die väterlichen Anschauungen zu teilen; die Bestrebungen zu seinen eigenen zu machen. Smidts Briefe vom Wiener Kongreß lassen diese Tatsache bereits greifbar hervortreten. Schon 1827 nahm Smidts naher Freund und Ratskollege, Senator Friedrich Gildemeister, den einundzwanzigjährigen Heinrich Smidt, von der Heidelberger Universität fort, mit nach Rio de Janeiro hinüber. Dort leistete er Gildemeister Sekretärsdienste bei'm Vollzug eines Handelsvertrags. – Als Gesandtschaftssekretär berief ihn auch sein Vater 1829 zu sich nach Frankfurt; drei Jahre hindurch konnte der Sohn sein diplomatisches Wissen erweitern und hatte auch später noch verschiedentliche Gelegenheiten auf Reisen mit seinem Vater dazu.

Aus diesem Grunde, meine ich, gehört das feingezeichnete Selbstbildnis Heinrich Smidts – (meines Vaters) – aus Jugendjahren mit in dieses Buch.

*

Nach dieser Abschweifung zurück zu Smidts ersten Regierungsjahren. Mit Fug und Recht durfte man sie so nennen, wiewohl das Wort Regierung im geraden Widerspruche mit dem Worte Freistaat steht. Dennoch verhielt sich's so. Smidt trat sein verantwortliches Bürgermeisteramt an, von den Grundsätzen geleitet, die sich vollkommen mit seiner geistigen Persönlichkeit deckten und denen er bis zuletzt treu blieb. Er war der Ansicht, daß Würde und Ansehen des Senats unbedingt dazu notwendig seien, um ein so eigenartiges Fahrzeug, wie das Gemeinwesen eines freien Stadtstaates, vor Schiffbruch und Versandung im eigenen Hafen zu behüten. Auf die Brücke des Fahrzeuges aber gehörte ein Kapitän, ein Oberleiter mit sicherem Auge und sicheren Instinkten. Bremens Kapitän war Smidt. Nicht nur erwählt und bestätigt; – in sich fühlte er seinen Lenkerberuf und fühlte, daß er Diesen zum ersten Steuermanne haben mußte und Jenen zum zweiten, und den Dritten zum Lotsen durch tote und böige See nicht entbehren konnte. Es blieb nicht aus, daß sich solch entschiedenem Herrensinne öfters Verstimmungen auf dem gemeinsamen Arbeitsfelde entgegenstellten; trotzdem blieben die Herzen der weit überwiegenden Mehrzahl ihrem vortrefflichen Berater zugetan.

Es gab jenerzeit in Bremen noch sehr viel ausgetrockneten Sauerteig von Anno Toback her, und der mußte zusammengekehrt, über Seite geschafft und durch frische Hefe ersetzt werden, um den neuen Brotteig zu heben. Vor allem beseitigte man schleunigst die Reste der Franzosenwirtschaft und stimmte die Rechtspflege wieder auf deutsch, obwohl der Code Napoléon ein mustergültiges und praktisches Werk gewesen war. Aus dem »sitzenden Rat« wurde das »Obergericht«, dessen Mitglieder sich fortan nur der Justiz beflissen. Auch die Verwaltung des Staatsvermögens und seiner Schulden faßte man in eine Behörde zusammen, und die städtische Bauleitung mußte sich mit andren Gesetzen beschenken lassen. Für die männliche Jugend ward die Wehrpflicht festgesetzt, und die Bürgerwehr sollte zu straffer Mannszucht eingedrillt werden.

Freilich: mit den Zünften ging der Staat noch zaghaft um. Er getraute sich's nicht, ihre Alleinverkaufsrechte allzusehr zu beschneiden und ohne weiteres die steifen Zöpfe loszuwickeln. Ebensowenig vermochte anfangs Smidts starker Wille gegen den Schlendrian des Volksschulwesens, der während seiner langen Abwesenheit eingerissen war.

Die französische Trennung kirchlicher und bürgerlicher Angelegenheiten blieb, allein Smidt drängte, was den erwünschten Richtungsausgleich anbetraf, kräftig vorwärts. Die Gedanken, die er jahrelang mit sich herumgetragen und verarbeitet hatte, wollte er endlich in die Tat umsetzen, vernünftig und jedermann gerecht. Am Erfolge zweifelte er nicht. Jedoch die Verschmelzung des lutherischen und reformierten Waisenhauses kam nicht zustande. Allzu verklausuliert waren die Satzungen beider Anstalten, und jede Partei wehrte sich ihrer Haut und ihres Zopfes, genau wie die Zünfte. –

Auf Smidts besonderes Anstiften nannte sich die »hochmögende und vieledele Wittheit« hinter den redenden Türen jetzt schlichtweg »der Senat«. Allmählich wickelte er sich aus seinem Prunkgewande heraus und stieg bedächtig vom Postamente seiner Sonderstellung herab; Stufe um Stufe, mit Bedenkpausen und Schrittprüfung, bis er seinen getreuen Bürgern des zweiten, dritten und vierten Standes richtig in die Augen sehen konnte und immer besser lesen und lernen, was ihnen frommte.

*

Diese Reformen vollzogen sich nicht von heute auf morgen. Jahrzehnte gingen darüber hin, daß sie sich an die Plätze alter Gewohnheiten schoben und diese verdrängten. Jedes Jahr brachte ein wenig voran; dazwischen Stillstände und Rückschritte, die unvermeidlichen; – revolutionäre Aengste, Uebergriffe Einzelner; Enttäuschungen zum Dank für Vertrauen und Menschheitsglauben. Smidt mußte oft genug Mahnworte in seine Einführungsreden an neue Senatsmitglieder flechten, und oft genug sah ihn Frau Mine daheim sein Arbeitszimmer mit raschen Schritten durchmessen, das ergrauende Haar zu Berge sträubend, weil er wieder und wieder, nach alter Gewohnheit, mit allen zehn Fingern hindurchfuhr. Dann ging ihm wohl gar die Thonpfeife aus, und das Töchterchen Mine (seit Schwester Hannens Tode, 1814, das einzige) mußte mit Fidibus und Talglicht kommen. – – Seine Hauptsorge war, daß nur die bösen Rückschritte bei'm nächsten Anlauf überholt wurden.

Eine gute Neuerung waren die »Börsenversammlungen«, an denen die Herren vom Rat teilnahmen. Dadurch rückten Senat und Bürgerschaft einander menschlich näher. Dokumente, Briefschaften und wichtige Flugblätter kamen zu gemeinsamer Verlesung, und so gewannen Politik, heimische und fremdstaatliche Lebensfragen die Teilnahme weiterer Kreise jenseits des grünen Tisches. – Die Oberleitung der auswärtigen Angelegenheiten behielt Smidt ständig in Händen, ob nun der Senatsvorsitz wechselte oder nicht. Seine Stellung zum Bundestage berechtigte ihn dazu. Im übrigen beschränkte sich seine da und dort gerügte »Regiersucht« auf solche Dinge und Zustände, von denen er fest und ruhig überzeugt war, daß sie des Regiertwerdens und des weisen Zügelns unweigerlich bedurften im Interesse des Ganzen. Töpfe, die er nicht zu Feuer bringen konnte, blies er weder, noch rührte er darin. Ohne daß es ihn Ueberwindung kostete, ließ er die Hände davon und freute sich neidlos des Erfolges ihrer gelernten Köche. So war es z. B. mit Handel und Gewerbe der Fall. Nur wenn dabei das bremische Staatswohl in Frage kam, griff er ein, und dann mit rasch zufassender Hand.

Da ereignete sichs, genau in der Mitte der zwanziger Jahre, daß ihm infolge neuer Uebergriffe Oldenburgs aufs Gebiet der Weserschifffahrt, eines Nachts zur Frühlingswende der Gedanke durchs Hirn blitzte, seinen Bremern am Einfluß der Geeste in die Wesermündung einen Handels- und Seehafen zu schaffen. Die oldenburgischen Weserhäfen zu Elsfleth und Brake sollten in zweite und dritte Stelle verwiesen werden, soviel an ihm lag. Es galt die Lebensader der Vaterstadt. Schon mehr als einmal hatte er die tückische Unterbindung dieser Ader gelockert und dann kühn durchschnitten, daß der Atem frei ward und der todesmatte Pulsschlag erstarkte. Weshalb denn diesmal müßig zuschauen? Wieder sah er sein Ziel vor Augen: keine verschwommene Kimmung am flimmernden Sichtkreis, sondern Wirklichkeit. Mächtiges Mauerwerk, ragende Masten dahinter gereiht, und jenseits der sicheren Dämme das salzige Wassergequirl; – sein Plan ließ ihn nicht mehr los, er konnte die Verwirklichung kaum abwarten.

Unverzüglich teilte er sich seinen Freunden mit, und schon am 12ten Juni reisten zwei derselben: Senator Nonnen und Aeltermann Fritze, in seinem Auftrage nach Geestendorf, um unter der Hand Lage, Grund und Boden des Bezirks kennen zu lernen, den Smidt sich in seinem wachen Traume so lebendig vorgestellt hatte. Die allergünstigste Vorhersage für das zukünftige große Unternehmen brachten sie dem Freunde heim, und der schmiedete sein Eisen, solange es heiß auf dem Amboß seines Willens lag.

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Den anfänglichen Widerstand der Bürgerschaft und etlicher Ratsgenossen wußte er zurückzuschlagen und mit seiner feurigen Beredtsamkeit auch die Sorge ob der allzuhohen Kosten für eine ungewisse Sache zu heben. Die Sache war ihm nicht im geringsten ungewiß! Mit Hannover, von dem das Stück Landes erworben werden sollte, pflegte Bremen eben jetzt die freundschaftlichsten Beziehungen –: Die Zweifler und Nörgler konnten gar nicht anders, als sich von Smidts Schaffensfreude mit fortreißen zu lassen. Trotzdem es allerhand kleine Zwistigkeiten gab, um Hoheitsrechte, Kaufpreis und Länderei-Austausch, ward doch schon am 11ten Januar 1827, nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten, der Landkaufsvertrag zwischen Bremen und Hannover glücklich und friedlich abgeschlossen. Am ersten Mai des gleichen Jahres trat Bremen in den Besitz seines neuen Gebietes, und Smidt ruhte nicht, bis alle Hände und Köpfe sich regten; Summen flüssig wurden, und die Arbeitspläne vom toten Papier auf das lebendige Erdreich, und in das flutende und ebbende Wasserreich verpflanzt wurden. – – Das ist Smidts zweite Großtat für seine Vaterstadt gewesen; eine Schöpfertat, und die wird ihm nie vergessen werden; denn seine stolze Schöpfung im Vorhof der »salzen See« lebt, wächst und blüht zu Bremens Wohl und Gedeihen.

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Während der zwanziger und dreißiger Jahre änderte sich doch schon manches im abgeschlossenen Weserwinkel. Wenngleich das kleine Land- und Stadtvolk noch unberührt vom Wehen des frischen Windes blieb, so begannen dennoch die Bürger des Mittelstandes in der schwerfälligen Abgeschlossenheit ihrer Eigenhäuschen, über ihre blankgeputzten Türschilder und die Vorsetzer ihrer Ausluchtfensterchen hinwegzuspähen; ins Freie zu treten und sich ins regere Treiben jenseits der Gänge und Gäßchen zu mischen. Ein gefährliches Treiben wie heutzutage war es damals noch nicht, gottlob. Anstand und Wohlerzogenheit wurden geachtet und behüteten sich selbst; sogar die nächtlichen Stunden im schwachen Lichte der Oellaternen bedrohten sie nicht, auch wenn sie einmal ohne Schutzgeleit ihre Wege wandeln mußten. Das haben wir Alten in den fünfziger und sechziger Jahren unzählig oft erprobt. Nach dieser Richtung hin blieb also die »gute alte Zeit« noch eine hübsche Weile in Bremen bestehen; vieles jedoch sank dahin und verschwand, den Vorvätertagen nach. – Die ehrwürdigen Tore mitsamt der Sperrgerechtigkeit, dem Steinzierat, Turm und Türmchen und traulichen Durchgangsbögen, die das nachbarliche Straßenbildchen so reizvoll einrahmten, wurden abgebrochen, eins nach dem andern, so daß der lückenhafte Kranz der Vorstädte sich, unter besseren Verkehrsbedingungen allmählich schließen und um den Stadtkern herum verbreitern konnte. Zuerst fiel 1823 das malerische Hohetor mit seinen wehrhaften Schießscharten; 1826 folgte der starke, gekuppelte Zwinger bei'm Ostertor, der noch zur Franzosenzeit als schweres Gefängnis für Hauptverbrecher gedient hatte. Dem Zwinger gegenüber ragte die »Glocke«, mit Treppengiebel und Heiligenbild unter'm Spitzbogen, hoch über die kleinen Hausdächer in die Luft, und unter ihr hindurch wölbte sich das Ostertor für die befahrensten Poststraßen von Bremen aus. Oben in die finsteren Zellchen der Glocke pflegte der Büttel die minderen Verbrecher: Randalierer, Trunkenbolde und Diebsgesindel, festzusetzen, wenn im nahen Hulsberg kein Platz mehr war. An solchen Gelassen besaß das brave Altbremen eine stattliche Zahl. – – Glocke und Ostertor fielen 1828; 1831 kam der vielfensterige Schuldturm, quer vor der Ansgaritorstraße, an die Reihe, und 1839, als die morsche Weserbrücke des Abbruchs und Ersatzes durch eine festergefügte bedurfte, machte das hübsche Brückentor den Beschluß. Es hatte ein flachgebrochenes Dach und Mansardenfensterchen rechts und links vom hellen Architrav mit der Inschrift: »Herr, bewahre deiner heiligen Kirche Herberge.«

Einst, vor dreihundert Jahren, war durch dieses Tor zum erzbischöflichen Bremen ein hageres Mönchlein am Stabe eingewandert, barfuß, in schäbiggrüner Kutte; hatte den Wärtel im »Bullenkoben« neben dem Torbogen bescheidentlich nach Weg und Steg nebst Unterkunft bei frommen Brüdern gefragt und uns in der Stille die Reformation hereingetragen: Heinrich von Zütphen, der abtrünnige Augustiner, nach Luthers Vorhergang.

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Smidt ward »für seine Verdienste um das moderne Staatsrecht«, 1829, von der Universität Jena zum Ehrendoktor der Rechte ernannt, weil man ihm Orden oder Adel nicht bieten durfte.

– 1830 war sein »Bremerhaven« vollendet; am 13ten September lief der erste Seeschoner unter amerikanischer Flagge durch die große Schleuse ein, und legte in den sicheren Hafen. – –

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