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Aus den Briefen von der Reise nach Wien und vom Wiener Kongreß.

1) An Schwester Trinchen Castendyk.

Regensburg, 6. September 1814.

... Mine hat euch ein paar Zeilen aus Göttingen geschickt. Seitdem sind wir nicht wieder zum Schreiben gekommen, und der gegenwärtige Augenblick ist wirklich der erste, wo ich es nur thunlich finde.

... Es kostete uns viele Mühe, uns Sonnabend den 27. August, gegen 4 Uhr Nachmittags von Döttingen loszureißen. Die herrliche Lage von Münden machte großen Eindruck auf meine Gefährten, besonders war Elard, mit dem ich eine Zeitlang zu Fuß ging, ganz entzückt. Unter der Zeit war aber den andern ein Rad vom Wagen gelaufen, das wir in Münden flicken lassen mußten, worüber die Nacht hereinbrach. Den Leterberg (?) stiegen wir zu Fuß hinauf. Nachdem wir uns indeß oben wieder eingesetzt, zerbrach der neue Zapfen im Rade wieder, und es lief uns nochmals fort, unglücklicherweise an einer Stelle, wo keine Häuser in der Nähe sich fanden, und keine Hülfe zum Aufrichten des Wagens zu bekommen war.

Der Postillon, Elard und ich quälten uns eine Zeitlang vergebens dabei ab; ersterer bemerkte endlich, es fehle nur noch sehr wenig Kraft, und wenn die beiden Frauenzimmer mit heben wollten, werde es schon gut gehen. Mine und Hanne wurden also mit angestrengt, und es glückte, den Wagen aufzulichten und das Rad, mit Hülfe eines alten Nagels, wenigstens so leidlich festzumachen, daß der Wagen bis zur nächsten Dorfschmiede, unten am Berge, leidlich fortzutransportiren war. Wir mußten indeß alle den Berg wieder zu Fuße hinuntersteigen und noch einen Theil des Weges nach Cassel zu Fuße machen, wo wir endlich um 3 Uhr Morgens sehr ermüdet eintrafen, und – nachdem wir in 3 bis 4 besseren Wirthshäusern kein Unterkommen gefunden, – endlich im Berliner Hofe zur Ruhe kamen. Den Sonntag brachten wir sehr froh in Cassel zu. Meine dortigen Freunde, Hofrath Harnier, die Brüder Grimm etc. nahmen uns aufs herzlichste auf. Der älteste Grimm (Jakob) fuhr mit uns nach dem Weißenstein, wo wir alles besahen, auch das Springen der Wasser bei'm herrlichsten Wetter ... Den Abend verbrachten wir sehr froh in Grimms Hause; Mine und Hanne konnten von der Mamsell Grimm nicht wegkommen!

Im Hessischen liegen jetzt 9000 Mann alliirte Executionstruppen, meistens von der russisch-deutschen Legion, weil der Churfürst, wider den Willen der verbündeten Mächte, den größesten Theil seiner Truppen hatte auseinandergehen lassen. Montags d. 29. Morgens 5 Uhr fuhren wir von Cassel fort nach Eisenach, ... in der Regel sind wir alle Morgen vor 4 Uhr aufgestanden und haben halb 5 schon im Wagen gesessen. Später als halb 6 nie ... Die Knaben benahmen sich exemplarisch gut. Schläge sind erst einmal vorgefallen, wie sie sich Abends im Bett wegen der Decke nicht vertragen konnten: Nach Eisenach kamen wir durch schöne Gegenden Abends um 6 Uhr und bestiegen dort sofort noch die herrliche Wartburg, sahen dort Luthers Zimmer mit dem ewigen Dintenfleck und die Rüstkammer, wo die Menge der aufgestellten prächtigen Ritterharnische auf Heinrich großen Eindruck machten ...

Dienstags früh gings nach Gotha, wo wir in dem nehmlichen Zimmer frühstückten, in welchem Napoleon, nach der Schlacht bei Leipzig, die Ueberreste der großen Armee durch Gotha flüchten sahe, und – wie der Wirth uns erzählte – mehrere Stunden sich abwechselnd Haare ausraufte und wegwarf und mit den Fingern auf die Fensterscheiben trommelte ... Dann fuhren wir durch Erfurt nach Weimar, wo wir eben noch zeitig genug anlangten, um vor Dunkelwerden den reizenden Schloßgarten zu besehen.

... Göthe war nicht in Weimar, sondern noch im Bade. Mittwoch Morgens fuhren wir in aller Frühe von Weimar über die Schmücke (?) und durch das Mühlthal nach Jena, wo wir den Ueberrest des Tages sehr froh zubrachten.

Es war mir indeß dort, als käme ich aus dem Schattenreiche noch einmal in die Welt zurück. Die alte Herrlichkeit war verschwunden; fast keine Spur mehr vorhanden von der Welt, in der ich mich dort drei Jahre lang heimisch gefunden. Alle, nach denen ich fragte, waren todt, oder in die Ferne gezogen ...

... Um 5 Uhr, Donnerstag Morgens, fuhr »der Nagelschmidt von Bremen« – (so notirte der Thorschreiber meinen Namen und Titel) mit seiner Familie zum Löberthore hinaus. Bald hätte ich vergessen, dir zu erzählen, daß ich (in Jena) auch erfahren habe, wer unser »Freymund Reimar« ist. Er heißt Rückert,« ist etwa 27 Jahre alt, Sohn eines Predigers in der Gegend von Schweinfurt in Franken, hat Philologie studirt, und soll eine wundervolle Fertigkeit im Lateinsprechen besitzen ... Professor Voß, den wir Donnerstag Mittags in Rudolstadt besuchten, hat noch mehrere Gedichte als die gedruckten, von Rückert gelesen, die sehr schön sein sollen; u. a. eine Idylle, die aber nicht gedruckt werden wird, und einen Dialog, oder vielmehr Triolog, worin Napoleon einer der Sprechenden ist. Auch weiterhin in Franken haben wir des Rückerts mit vielem Lobe erwähnen gehört; nur wegen des Liedes von den fränkischen Mädchen ist man ihm böse ...

... Abends fuhren wir nach Salfeld. Kurz vor der Stadt steht das Monument des Prinzen Louis Ferdinand, der auch die fröhlichere Sonne Deutschlands wohl hätte mögen scheinen sehen. Freitags d. 2ten Sept. früh gings über hohe Berge nach dem romantischen Gräfenthal, von dort über Judenbach, Sonneberg etc. nach Coburg ... Sonnabend früh von dort, durch das Itschthal (?) in das neue Bayrische Gebiet. Beim Eintritt in dasselbe wurde kein Chausseegeld weiter von mir gefordert, weil der König von Bayern die Artigkeit gehabt hat, den Befehl zu ertheilen, daß alle Abgeordnete zum Wiener Congresse davon frei sein sollten. Mittags kamen wir nach Bamberg. In dem Wirthshause zum Bambergerhofe hatten wir ein Zimmer, in welchem im vorigen Jahre der Kaiser Napoleon geschlafen, wie er, bei Erneuerung des Feldzuges, nach Sachsen marschirte. Die Postpferde standen schon vor dem Wagen, wie ich die Entdeckung machte, daß im Nebenzimmer einer meiner alten, academischen Bekannten wohnte, der jetzige Präsident des Bamberger Appellationsgerichtes, Feuerbach Der Großvater des Malers Anselm Feuerbach., welcher sich herzlich freute, mich wiederzusehen. Ich mußte die Pferde wieder fortschicken und brachte noch ein paar Stunden sehr froh mit ihm zu. – Abends kamen wir bis Erlangen.

Sage Thulesius: weder mit dem Bamberger, noch mit irgend einem bayrischen oder fränkischen Biere, könne ich bei meinen Reisegefährten etwas ausrichten ... Die Kinder sagen, es schmecke wie Medicin; Elard behauptet, die Vortrefflichkeit des Bremer Bieres erst auf dieser Reise gehörig zu erkennen; auch Mine findet es höchstens eben trinkbar.

Sonntag Morgens fuhren wir nach Nürnberg. Wir besahen das alte Reichsschloß, wo eine schöne Gemäldegallerie (ist), besonders treffliche Albrecht Dürer und mehrere Kunstwerke der alten Zeit; waren auch in einigen Kirchen etc. ... Abends kamen wir nach Neumarkt und dann gestern Nachmittags um 3 hierher nach Regensburg ...

Das Schiff, welches uns nach Wien bringen soll, wird diesen Nachmittag fertig gezimmert werden, und wir denken noch vor Abends ein paar Meilen auf der Donau zu machen.

Sonnabend oder Sonntag dürften wir in Wien eintreffen.

*

2) Wien, d. 21. Sept. 1814.

... In großen Städten bringt es die Natur der Sache mit sich, daß jeder seinen eigenen Gang geht. Ich bin des Abends gewöhnlich zu Hause – Mine und Hanne finden immer gute Freunde, die sie in den Prater, in die Comödie, in Gesellschaft führen. Sie kosten mir sehr wenig – und sind allenthalben gern gesehen. Elard ist Pädagog der Knaben, und paßt sich zum Instructor besser, als zum Bedienten. – Schickt uns durch Heyse Bremer Buchhändler. Betty Gleims Kochbuch.

d. 28sten. Schreibt doch fleißig, und seht es uns nach, wenn wir, wie oft der Fall, an Posttagen so aufgehalten werden, daß nicht zum Schreiben zu kommen ist.

Mine macht täglich neue Bekanntschaften mit Christen, Juden und Türken. Am Sonntag Nachmittag war sie mir abhanden gekommen. Endlich höre ich, daß der Gesandte des Fürsten der Wallachei sie und Hanne in den Prater geführt habe. Mit Pilats und Schlegels haben wir häufig sehr angenehmen Umgang. Heute ist auch Jacob Grimm zu unserer Freude angekommen.

*

3) Wien, den 1. October 1814.

Hier ist ein beständiges Drängen und Treiben von Besuche geben, Besuche nehmen, Festen etc. Es ist mir recht, daß Hanne einmal einen lebendigen Blick in die große Welt thut, um die Sehnsucht nach einem äußeren glänzenden Leben darüber für immer zu verlieren. Diese gute Wirkung spürt sich schon jetzt. Dem schönen Feuerwerk haben wir vor einigen Tagen bis auf Heinrich, der sich vor dem argen Knall scheute, mit vielem Vergnügen zugesehen; besonders hat Hermann seine große Freude daran gehabt und den wirklich argen Donner ohne die mindeste Anwandlung von Furcht ganz in der Nähe mit angehört. Für mich sowohl als für Mine und Hanne habe ich Billets auf die morgende große Redoute erhalten, ob die Frauen aber mit ihrem Putze fertig werden, bezweifle ich noch.

*

4) Wien, den 5. October 1814.

... Am vorigen Sonntag waren Mine und Hanne mit mir auf der großen Redoute von 10-12,000 Personen – sie hatten sich auch durch ihre hiesigen Freundinnen beschwatzen lassen, sich zu schminken, weil dies bei den zahllosen Lichtern nöthig sei. Hanne wischte es aber schon im Wagen wieder ab, Mine gleich nach unsrer Ankunft. Wir haben die Monarchen und Monarchinnen alle wiederholt und sehr nahe gesehen. Unter den Damen gefällt mir der Anstand der Königin von Bayern am besten. Sie saßen eine Zeitlang in einem Halbzirkel, – an der Ecke die Großfürstin Catharine von Oldenburg, bei ihr die Erbprinzessin von Weimar, bei dieser die Kaiserin Mutter Beatrix von Este, bei dieser die Kaiserin von Rußland, dann die Kaiserin von Oesterreich, dann die Königin von Bayern, dann die Erzherzogin Leopoldine und dann die Erzherzogin Marie. Die Kaiser und Könige standen hinter den Stühlen und unterhielten sich mit den Damen. Von Zeit zu Zeit promenirten sie durch die Säle, und jeder Kaiser, König, Kronprinz etc. nahm eine Dame in den Arm. Desgleichen spazirte ich mit Frau und Hach und Horn. Das große Feuerwerk haben wir auch gesehen. Morgen gehen wir in das große Volksfest im Augarten. Sonntag in die Redoute parée. Sonntag in das große Concert. So gehts in dulci jubilo fort, und doch gäbe ich jedes dieser Feste unbesehens hin für eine Sonntagsgesellschaft, wenn ich mich mit Fortunatas Wunschhütlein heimversetzen könnte. –

*

5) W. d. 8. Oct. 1814.

Bei dem großen Volksfest im Augarten, welches vorgestern stattfand, und wo eine unendliche Menge von Menschen versammelt war, verlor ich Abends beim Herausgehen (wo einige hinten und vorn ausschlagende Pferde die Umstehenden sich schnell zu retiriren nöthigte) Frau Mine und Heinrich im Gedränge, und suchte sie von 8 bis 10 Uhr vergeblich; sie war indeß wie gewöhnlich die vernünftigste gewesen, hat sich auf eine Bank gesetzt, bis das Getümmel sich verlaufen hatte, und war dann ruhig zu Fuße nach der Stadt gewandert, wo ich sie mit den Kindern vorfand. Von diesen großen Festen, wo man die Theilnehmer bei 10 und 20 tausenden zählt, habt ihr keinen Begriff. Man wird dergleichen indeß bald satt, und ich gehe jetzt mehr hin, um da gewesen zu sein, und nicht wegzubleiben, als weil es mir große Freude macht. Morgen werde ich auf die große Redoute nur allein gehen. Nach dem großen Concert, das das Interessanteste von den Festen sein dürfte, will Frau Mine mit. Hanne hat eben ihr Billet großmüthigerweise der Frau von Pilat geschenkt, die uns hundert Gefälligkeiten erzeigt, und die keins bekommen konnte.

*

6) Wien, d. 12. Oct. 1814.

Diesen Mittag hat Varenhagen bei uns gegessen, der gestern mit Tettenborn hier angekommen ist. Er hat kürzlich in Berlin geheirathet eine (getaufte, oder ungetaufte weiß ich nicht) Jüdin, Demoiselle Robert, oder Veit oder Levi, sie hat einen dieser Namen oder alle drei. Ich sah sie 1795 einmal in Teplitz, sie ist sehr gescheit, muß aber viel älter wie V. sein. –

15. Oct. 1814. – Auf vorigen Donnerstag hatte uns unser Hauswirth auf sein 2 Meilen von hier gelegenes Gut zur Weinlese gebeten. Diese war nun zwar nicht sehr erfreulich, da die Trauben größtentheils unreif oder erfroren waren, aber doch sind wir sehr vergnügt gewesen, haben bei gutem Wetter schöne Gegenden und das alte trefflich erhaltene Ritterschloß Lichtenstein gesehen. Die Knaben sind bis heute dort geblieben, und wissen nicht genug davon zu erzählen, wie sie sich verlustirt haben. Hermann ist sogar mit auf die Jagd gegangen. Am Sonntag sollen Mine und ich dem großen Concert beiwohnen, wo 1200 Vocal- und Instrumentalstimmen sich hören lassen werden. So drängt ein Fest das andere, wie ihr aus der Zeitung sehen werdet. Wir wollten, daß wir euch etwas abgeben könnten, uns wird es fast zuviel. –

*

7) W. den 19. Oct. 1814.

Ich kam 2½ Uhr vom Ball des Fürsten Metternich nach Hause. Dies Fest hat mir unter allen bisherigen noch am besten gefallen. Die Beschreibung werdet ihr wohl im Oesterreichischen Beobachter lesen, oder aus diesem in der Bremer Zeitung. Es war nicht so gedrängt voll, daß man nicht Freiheit behalten hätte, sich nach allen Seiten zu bewegen, und doch voll genug, um alle Steifheit zu vermeiden. Man fühlte hier, daß man mit den Monarchen und Monarchinnen in Gesellschaft sei, und daß sie sich nicht blos sehen ließen, sie waren wie die übrigen in keiner Hinsicht abgesondert oder abgetrennt, selbst bei Tische nicht, wo sie zwar unter den Damen, die meistens nur zum Sitzen kamen, einen Platz hatten, aber ihn nicht einmal fortwährend benutzten. Der König von Sachsen namentlich war, wie gespeist wurde, fast immer auf den Beinen, hinter den Stühlen der Damen, und unterhielt sich sehr lebhaft. Er trug Husarenuniform, die ihm wie sein kleiner Schnurrbart sehr gut kleidet. Es wurde in einemfort getanzt, abwechselnd Polonaise und Walzer. Der Kaiser von Rußland, der sich in seiner rothen Uniform, die er gestern trug, ebenso hübsch wie in seiner weißen und in der grünen ausnimmt, ließ beinahe keinen einzigen Tanz vorbeigehn und forderte bald eine Königin, bald eine Kaiserin, bald eine andere Dame auf. Er walzte sehr schön. Auch die Monarchinnen tanzten mit andern Herrn, so habe ich z. B. den Fürsten Metternich mit der Königin von Bayern tanzen sehen. Von der Pracht, die bei diesem Feste zur Schau getragen wurde, könnt ihr euch keinen Begriff machen. Die Damen waren alle in Silberstoff gekleidet, und die Haare blitzten von Perlen und Edelgestein. Drei und vier Fingerbreite Diademe von Brillanten vorn und hinten; Brillanten-Kämme fanden sich in der Regel, außerdem Brillanten-Halsbänder und -Ohrgehänge; viele hatten noch Brillanten-Blumensträuße. Das eigens zu diesem Feste errichtete Gebäude war äußerst geschmackvoll und die Erleuchtung unvergleichlich.

Dein Brief vom 7ten, liebe Friederike, kommt so eben an. Ich danke dafür und über die umständlichen Nachrichten von den Kindern. Das Herz wird uns schwer dabei, aber wir hören doch gern. Sorgt ferner väterlich und mütterlich für die süßen kleinen Jungen. Nehmt von der Butter, was ihr gebraucht und ebenso bedient euch der Rosten und Töpfe in der Sögestraße. Wegen der Gänse und Hühner etc. muß etwas vom Gelde in die Schulcasse gelegt werden, was der Meyer bezahlen würde, wenn er sie nicht in natura lieferte. Die Hühner verzehrt und gebt Trinchen einige ab; wegen der Gänse habe ich vorgeschlagen, ihr solltet die Hälfte auf beliebige Manier verzehren, die andere Hälfte für uns räuchern oder in Gallert kochen, und wenn wir nicht so früh wiederkommen, als sie sich halten, dann auch verzehren. Oder schickt von unsrer Hälfte eine an die Tante Holler, eine an die Tante Rohde, eine an Heinrich Noltenius, eine an Thulesius, eine an Bekenns, eine an Trinchen, und räuchert die übrigen. An Syndicus Gröning schickt auch eine Gans zur Ermunterung, daß er fleißig schreibt.

*

8) W. den 2. Nov. 1814.

Alle hiesigen Feste gäbe ich euch dafür, wenn ich dort bei dem 18. October hätte sein können, aber die Beschreibung in der Bremer Zeitung ist gar matt und schlecht, ich will aus bloßen Auszügen aus euren und Horns Briefen eine andere machen und in die allgemeine Zeitung setzen lassen, die sich ganz anders ausnehmen soll. Wir haben diesen Abend Gesellschaft: Pilat mit An- und Beihang, das heißt, Klinkowströms; auch kommen Hach, Sievers, Gries' Secretair (Gries hat Podagra) Schlegels, Schlossers aus Frankfurt, der Staatsrath Stägemann, Hofrath Heun Unter dem Namen »Clauren« Verfasser vieler sentimental-lüsterner Erzählungen: »Mimili« u. a. m., Mutzenbecher etc., es wird Thee und Abends, von unsrer letzten mitgenommenen Bouteille, Rum-Punsch getrunken, da wollen wir auch euch hochleben lassen.

Was du von dem kleinen Gustav erzählst, hat uns bis zu Thränen gerührt. Wären wir doch erst wieder dort. Aber das liebe heilige römische Reich, wie kommt es doch zusammen! Es kann noch lange währen, aber es kann auch vielleicht in 4 Wochen Knall und Fall vorbei sein. Nun die Zeit wirds lehren. Schreibt mir doch, was man dort von unsrer neuen Verfassung sagt. Mine und Hanne grüßen herzlich und wollen in meiner Stube ausfegen.

9) W. d. 29. Oct. 1814.

Gestern fand ich bei Pilat schon Bremer Zeitungen vom 18. Oct. Begierig habe ich darnach gesucht, einige Ankündigungen wegen der Feier dieses Tages bei uns zu finden, aber vergebens. Ich mag es nicht glauben, daß wirklich nichts passirt sein sollte; aber es ist schon sehr verkehrt, daß diese Zeitungen nichts darüber sagen. In ganz Deutschland wird die Feier dieses Festes gleichsam als das Schiboleth der nationalen Gesinnung angesehen, – die sich namentlich in Bayern und andern Gegenden, wo die Regierung als solche für dieses Fest nichts gethan hat, auf eine höchst merkwürdige Weise durch zahlreiche freiwillige Beiträge der Individuen zur Verherrlichung dieses Tages gezeigt hat. Neues weiß ich euch wenig zu erzählen. Was öffentlich vorgeht, sagen euch die Zeitungen. Unser Privatleben kann euch zwar nicht besonders interessiren, doch will ich zum Zeitvertreib einiges von dem erzählen, wie wir außer allerlei Couren und Besuchen, die ich tagtäglich zu machen habe, in dieser Woche die Zeit zugebracht haben. Sonntag Mittag aßen Olivier Hofmeister bei den Söhnen des Fürsten Schwarzenberg. und Grimm bei uns. Abends waren wir bei Pilats. Montag Mittag speiste ich bei dem Schweizerischen Baron von Möller, wo ich schon mehrmals gewesen bin, die verschiedenen Schweizergesandten waren dort. Man speist bei dem Baron von Möller ausgezeichnet gut. Am Dienstag war ich mit Frau und Kindern in Gesellschaft des Schwarzburgischen, Lippe Detmoldschen und Reußischen Gesandten in der schönen Laxenburg, wo wir vielerlei Sehenswerthes gesehen haben, von dem Mine und Hanne wohl gelegentlich erzählen. Unsern Heinrich Heinrich entwickelte schon als kleiner Knabe ein schönes Zeichentalent. interessirte in der Rüstkammer vorzüglich ein » Flammberg«, den er nun auf seinen Schlachtstücken anzubringen sucht. Mittwoch Mittag speiste Herr Röntgen, Nassauischer Legationsrath, bei uns; Abends waren wir einige Stunden bei Arnsteins, ein Banquier, wo jeden Abend cercle ist, und wo wir immer geladen sind, aber nicht viel hingehen. Vorgestern Mittag speisten wir bei Herrn von Geymüller, ein Banquier, dessen schöne Frau in dem großen Concert die Solos der Delila sang. Frau Mine saß zwischen dem preußischen Gesandten am Hessischen Hofe, Herrn v. Hänlein und dem Sachsen-Hildburghausenschen Congreßgesandten Herrn v. Baumbach; ich zwischen der sehr interessanten Frau von Schlosser aus Frankfurt und einem Fräulein aus Bayreuth. Gestern Abend waren wir in einer Assemblée bei dem Hofrath von Dietrich, wo eine große Gesellschaft war, auch der Fürst von Bückeburg, eine Menge Gesandte und viele Damen. Frau Mine hat mit dem Präsidenten von Berg, dem Hofrath und Professor Sartorius aus Göttingen und einer Dame Whist gespielt, und einen halben Thaler unseres Geldes verloren. Heute sind wir den ganzen Tag zu Hause gewesen, denken aber um 8 Uhr noch zu Pilats zu fahren. Morgen Mittag sollen wir bei dem Herrn von Henickstein speisen; am Dienstag bei der Frau von Eskeles. So gehts bunt fort; und wir könntens noch viel bunter haben, wenn wirs nicht zu vermeiden suchten. Mine hat zu Hause die Knaben fast immer bei sich, und achtet auf ihr Lernen, daher kann sie nicht viel zum Schreiben kommen. Hanne betreibt die Küche und lernt in dieser Hinsicht hier mehr als in Idensen Damals beliebte Haushaltspension.. Anfangs aß ich mit Mine in einer Restauration, acht Tage lang, aber was wir dort für ein Mittagessen selbzweit bezahlen mußten, kostete mehr, als wie jetzt, wo wir unsre eigene Menage haben, mit allem, was zu uns gehört, den ganzen Tag verbrauchen. Senator Hach, der 8 Tage später, wie ich hier ankam, und mit mir eine gleich große Summe Goldes aufgenommen, sagte mir schon in voriger Woche, er sei damit zu Ende, und ich habe noch. Das ist der Vortheil. –

*

10) W. d. 5. Nov. 1814.

– Ich wollte euch heute vielerlei schreiben, ihr lieben Schwestern, aber es ist mir soeben gemeldet, daß wir diesen Abend um 6 Uhr bei der Kaiserin von Oesterreich Audienz haben sollen, und da muß ich darauf denken, mich anzuziehen. Ich war eben beschäftigt den Aufsatz für die Zeitung wegen der Feier des 18. October aus euern und Horns Briefen vom 21. zusammen zu setzen, als dein Brief jetzt ankam, ich werde nun noch etwas daraus aufnehmen. Den ganzen Ertrag denke ich auf ungefähr 2500 Thaler anzugeben, denn 3587 Loose zu 12 Grote betragen ungefähr 600 Thaler, und das vom 18. Oct. gesammelte ungefähr 1400 Thaler. Welche Freude uns das gewonnene Flacon mit der Kette macht, könnt ihr euch nicht denken. Habt tausend Dank, daß ihr uns mit repräsentiren halft. Ja, in der That, alles, was ich hier gesehen habe, gäbe ich gern darum, wenn ich am 18. October hätte dort sein können!

*

Smidts Zeitungsartikel vom 24. Oktober 1814 über die erste Feier des 18. Oktobers in Bremen.

Der Abend des deutschen Volksfestes am 18ten October zeichnete sich hier unter anderm durch eine Sammlung milder Gaben für verwundete deutsche Krieger und Wittwen und Waisen der im Befreyungskriege Gefallenen aus, welche durch die Art und Innigkeit, mit der gegeben und empfangen wurde, die stille und würdige Nachfeyer der Herzen offenbarte, die sich im übrigen Laufe des Tages durch Freudensalven, Glockengeläute, Flaggenwehen, freywillige Erleuchtung und fröhliche Symposien, nur nach außen hin Luft gemacht zu haben schien.

Bereits am Vormittage hatten sich, nach Absingung des Tedeums und Aufführung einer feyerlichen Musik in der Domkirche, festlich geschmückte Frauen und Jungfrauen an die Kirchthüren gestellt, um die Gaben der herausströmenden Menge in Empfang zu nehmen. Sie wurden von Bürgergardisten, hanseatischen Legionairs und bremischen Kämpfern in der Lützowschen Freyschaar geführt, die in ihren Waffenröcken gleichsam den Landsturm, die Landwehr und die Freywilligen repräsentirten. Da diese Verabredung indeß vorab nicht zur allgemeinen Kunde gekommen war, und sich daher nicht Jeder im Stande befand, dem Drange seines Herzens sofort folgen zu können, beschlossen die edlen Frauen und Mädchen, sich mit ihren Ehrenbegleitern Abends zu gleichem Zwecke auf der Börse zu versammeln und dort, unter geschmackvoller Beleuchtung, einen bekränzten, mit geöffneten Urnen geschmückten Altar zu umgeben, zu welchem die an beyden Eingängen der Börse flammende Inschrift:

»Das dankbare Vaterland entrichte seine Schuld!« –

die Vorübergehenden einlud.

Ueber vier Stunden lang strömte nun das Volk von allen Seiten herbey. Reiche gaben ansehnlich, aber auch der Dürftige wollte wenigstens ein kleines Opfer darbringen. Eltern hoben ihre Kinder, Großmütter ihre Enkel in die Höhe, damit die Kleinen aus ihren Spartöpfen selbst die Gabe einlegen könnten. Mehrere kamen zwey- und dreymal wieder, um immer noch mehr zu bringen. – Mit stillem Frohsinn nahte ein jeder, suchte sich so geräuschlos wie möglich seiner Gabe zu entledigen und fühlte sich überglücklich, aus den Händen der schönen Frauen – auf deren Freudeverklärten Angesichten die lebendige Wahrheit des Tages: daß Geben seliger als Nehmen sey, wiederleuchtete – ein Exemplar des Schenkendorfschen Lobgesanges nach der Freyheitsschlacht bey Leipzig, zum dankbaren Gegengeschenke zu erhalten.

Von diesem herrlichen Gedichte waren für die Feyer des Tages 3,500 Abdrücke gemacht; die aber lange nicht ausreichten, und es verdient als ein kleiner aber charakterischer Zug in diesem Vaterländischen Gemälde bemerkt zu werden, daß – wie die Frauen, die Unzulänglichkeit der vorräthigen Gedichte bemerkend, Kuchen hohlen ließen und mit diesen bey den gebenden Kindern auszureichen dachten, was von solchen 6-7 Jahre alt war, gleichsam mit ergriffen von der hohen Bedeutung des Festes, in der Regel den Kuchen anzunehmen weigerte, und mit leiser Stimme: »lieber ein Lied!« begehrte. – Gesellige Vereine schickten Abgeordnete mit dem, was unter dem Klange der Becher von ihnen gespendet worden. Auch Ringe, goldene Ketten, Schaumünzen und andere Pretiosen fielen in die, der Vaterlandsliebe geweihten Gefäße.

Der Ertrag dieser, gegen einen mäßigen aber vielbegehrten Einsatz verloosten Kostbarkeiten, sowie die Sammlung vom 18ten beträgt ungefähr 2,500 Thaler.

Aber das Herrlichste des Festes war die stille, andächtige Bescheidenheit, die, bis auf die niedersten Volksclassen, alles beseelte, das Alter und die Jugend im dichtesten Gedränge mit zarter Schonung ehrend, und jeden tobenden Lärmen sich selbst untersagend, alle Polizeyverfügungen zur Verhütung von Unordnungen gänzlich überflüssig machte.

*

Tedeum nach der Leipziger Schlacht.

Von Max von Schenkendorf.

Herr Gott, dich loben wir,
Herr Gott, wir danken dir;
Es schallt der Freyen Lobgesang
Vom Aufgang bis zum Niedergang.
Wir fochten mit dem Engelheer,
Wir alle dienten deiner Ehr.
Mit Seraphim und Cherubim
Singt nun der freyen Menschen Stimm':
»Heilig ist unser Gott!
»Heilig ist unser Gott!
»Heilig ist unser Gott!
»Der Heeresschaaren Gott!«

Weit über die Gedanken, weit
Ging deine Macht und Herrlichkeit,
Nicht unser Arm, nicht unser Arm;
Dein Schrecken schlug der Feinde Schwarm!
Wir fochten zwar mit frischem Muth,
Wir gaben willig Leib und Blut
Du aber hast die Christenheit
Zur rechten Zeit und Stund befreyt.
Des Drängers volle Schale sank,
Als ihm in's Ohr dein Donner klang;
Nun liegen wir im Staube hier,
Herr Gott, Herr Gott, wir danken dir.
Das ganze Deutschland weint und lacht,
Die Freyheit ist ihm wiederbracht,
Wofür der Herr am Kreuze starb.

Was uns der Väter Kraft erwarb,
Das haben wir, das halten wir;
Herr Jesu Christ, wir danken dir,
Wir wollen ewig dich erhöhn,
Daß wir den großen Tag gesehn,
Dich Tag der Sühne, Tag des Herrn;
Wie feurig schien dein Morgenstern.

Im Himmel ist gar große Freud',
Die Märtyrer im weißen Kleid,
Wer je für Recht und Glauben fiel,
Der edlen Winfelds Kämpfer viel,
Die Kaiser aus dem Schwabenland
Erheben Gottes Wunderhand;
Wer Otto je und Heinrich hieß
Erfreut sich noch im Paradies.

Du gabst uns ja dies schöne Land,
Dies schöne, deutsche Vaterland;
Du gabst uns ja den freyen Muth,
Erhalt' auch rein das deutsche Blut!
Der Lüge fern, der Gleisnerei,
Einfältig laß uns still und treu,
Im Staube Fürst und Unterthan – –
Herr Gott, Herr Gott, wir beten an,
Wir hoffen auf dich, lieber Herr,
In Schanden laß uns nimmermehr,

Amen.

*

Lob der Hansa.

Aus Max von Schenkendorfs Lied: Die deutschen Städte.

An Smidt, Senator, und Gildemeister, Bürger in Bremen.
1814.

Doch welcher soll vor allen
Das höchste Lob geschehn?
Laß deine Fahnen wallen,
Laß deine Flaggen weh'n,
O Hansa, hoch zu preisen
Von Männern im Gesang,
Die in den fernsten Kreisen
Um Ruhm und Beute rang.

Den Weg hast du bereitet
Dem höchsten Christengott,
Hast deutsche Art verbreitet
Bis Riga, Nowgerod.
Aus mildem Bürgerstande,
Aus stillem Bürgerfleiß
Erblüht im heilgen Lande
Der Ritterorden Preiß.

Was, gleich verklungnen Sagen,
Aus grauer Vorzeit scholl,
Hat man in diesen Tagen
Gesehen staunensvoll:
Der Feind betrat die Schwellen;
Da zogen Schiffer aus,
Und wohnten auf den Wellen
Im leichten, freyen Haus.

Ein Hansastaat im Meere,
Ein Hansastaat im Feld,
Der als Tyrannenwehre
Sich kühn entgegenstellt.
Laß Flammen dich verzehren,
O Hamburg reich und schön,
Man wird in jungen Ehren
Dich Fönix wiedersehn.

Auch dir, mein freyes Bremen,
Sey Gruß und Ruhm und Heil!
Du darfst mit Ehren nehmen
Von diesem Sang dein Theil.
Es hat in dir geschwohren
Die freye Jungfraunschaar:
» Dem sey die Braut verlohren,
»Wer nicht im Felde war. Dies Wort stammt von Mine Holler die 1815 den späteren Sekretär Daniel Noltenius heiratete und 1836 die Schwiegermutter von Smidts ältesten Sohne Hermann wurde.

Blüht auf, ihr starken Dreye,
Am deutschen Meeresstrand,
Ein Reich der Zucht und Treue,
Ein Schmuck vom deutschen Land.
Wer also treu gehalten
An Vaterland und Eid,
Soll fernerhin verwalten
Der Heimath Herrlichkeit.

*

11) W. 9. Nov. 1814. Morgens 4½ Uhr.

»Man kann doch nicht wie ein Schwein zu Bette gehen,« soll der selige Spiegel einmal gesagt haben, wie sich jemand darüber wunderte, daß er, nach Mitternacht zu Hause kommend, noch eine Pfeife Taback anzündete. So geht mir's heute auch, und da ich bei meiner Pfeife nichts besseres zu thun weiß, so schreibe ich euch ein paar Zeilen, sintemal ich morgen doch an euch schreiben muß, weil es Posttag ist, und ich schwerlich früh aufstehen dürfte, es also sein könnte, daß ihr morgen nichts erhieltet. Es kömmt mir vor, als ob diese Zeilen ein wenig schief gingen; ich weiß nicht, ob's wahr ist, oder ob es von dem bösen Gewissen kommt, aber der viele Champagner, den ich eben bei dem Fürsten Metternich getrunken habe: – das ging nähmlich so zu. Wie wir aus den Ballsälen die Treppe hinunterstiegen, um zu Tische zu gehen, verloren wir uns im Gedränge von einander. Pilat's, Mutzenbecher, Hach und Hanne blieben zusammen, und ich mit Mine allein; so kamen wir auch an einen besonderen Tisch, wo es etwas langweilig war und lauter fremde Menschen bei uns saßen. Da kam ein Bedienter, der mich kannte, und sagte mir in's Ohr: »Wenn Ew. Excellenz eine Bouteille Champagner schaffen? so will ich sie gleich bringen.« Ich antwortete, bibelfest, wie ich einmal bin, aus Sprichwörter Salomo: »Die Eigel hat zwo Töchter, bring her, bring her!« und nun kamen allerlei Leute und gute Bekannte, die keinen Platz bei Tische hatten bekommen können, und stellten sich hinter meinen Stuhl, und Mine gab ihnen Essen vom Tisch, und ich trank ihnen zu. Ich bin aber doch wirklich ganz nüchtern dabei geblieben und habe nur bekommen, was man ›poculum hilaritatis‹ nennt, denn ich bin meiner Sinne vollkommen mächtig und mache auch nicht einen einzigen Sprachfehler: ihr könnts Betty Gleim vorlesen, wenn ihrs etwa selbst nicht zu beurtheilen wüßtet. Ich bin auch noch ein paar Stunden nach Tisch da geblieben und habe eben im Saal dem Tanzen zugesehen, was gewiß nicht geschehen wäre, hätte ich mit meinen zwei Beinen nicht machen können, was ich wollte. – Aber ich rase auch mitten in die Sache hinein, und ihr wißt nicht einmal, wovon die Rede ist. Der Fürst Metternich hat heute, oder vielmehr gestern Abend, den fremden Souverains den großen Maskenball gegeben, wovon lange gesprochen wurde, und hat dabei die besondere Artigkeit gehabt, auch Mine und Hanne mit einzuladen. Diese haben drei Tage darauf geschneidert. Was Mine angehabt hat, kann ich nicht beschreiben, es war nichts extraordinäres dabei, als daß sie ihren besten Ring in die Mütze genäht hat. Hanne hat sich dagegen nach Angabe der Frau von Schlosser und mit Zuziehung eines welschen Malers, mit dem wir bisweilen verkehren, als eine italienische Bäuerin ausgekleidet; sie hat auch zwei Tänze mit getanzt, worin der Kaiser von Rußland und der König von Preußen mittanzten, und bei dieser Gelegenheit einmal etwas gesehen, was man nicht leicht wieder zu sehen bekommt. Es war nähmlich bestimmt, daß alle tanzenden Damen in Costüms von Völkerschaften, die zur österreichischen Monarchie gehörten, maskirt sein sollen. Dies war nun wirklich mit der höchsten Vollständigkeit ausgeführt und gewährte einen sehr interessanten Anblick. Die Arrangirung des Locals, die Beleuchtung etc. war äußerst prachtvoll: es wird wohl eine Beschreibung davon in den Zeitungen kommen. Ich habe ein Ding anziehen müssen, was man einen Venetianischen Mantel nennt, und habe dabei das crêve-coeur erleben müssen, daß Frau Mine mir, nachdem ich schon eine Stunde dagewesen war, in's Ohr flüstert, ich hätte es verkehrt angezogen; die Naht stände nach vorn. Mine und Hanne haben dann hauptsächlich das davon gehabt, daß sie die sämmtlichen Monarchen und Monarchinnen einmal so recht in der Nähe gesehen haben, daß sie sie nicht wieder vergessen werden, denn sie waren wirklich so allenthalben mitten darunter, daß man sie von Privatpersonen kaum unterscheiden konnte. Von dem Schmuck, der da zur Schau getragen wurde, habt ihr keinen Begriff. Die Lady Castlereagh war vor allen mit Brillanten überladen. Hanne hat die, bei der Verloosung gewonnene goldene Kette getragen, sie hatte eine hübsche wächserne Maske, die sie zum Andenken wohl mit nach Bremen gebracht hätte, wenn sie nicht beim Weggehen gebrochen wäre. Wer das um Hand gehabt, rathet ihr nicht; niemand anders als der Kaiser von Rußland! Man demaskirte sich nehmlich bald. Hanne gab ihre Maske dem Legationsrath Röntgen von Nassau in Verwahrung; dieser hat sie, auf der Treppe stehend, in der Hand, wie der Kaiser von Rußland grade weggeht. Röntgen stellt sich an die Seite und macht ihm eine Verbeugung; der Kaiser erwidert dies, wie seine Gewohnheit ist, mit einer Bewegung der Hand, und schlägt dabei an die Maske, daß sie zerspringt. – Frau Mine hat einen schwarzen Scharbellenkopf Scharbelle = Maske, Larve; also wohl eine schwarze oder weiße Seidenlarve. gehabt, und ich ein weißes Ding der Art. – Morgen – das heißt Donnerstag – ist wieder eine große Redoute parée. Wir haben alle drei Billets dazu erhalten; ich denke aber nur eine halbe Stunde hinzugehen und entweder Mine oder Hanne mitzunehmen, denn bei diesen großen Festen habe ich mir einmal vorgenommen, nie mehr als ein Frauenzimmer zu hüten. Bei Metternichs Ball war es ein anderes; diese Fête war im Grunde ein Privatfest, wo nicht mehr eingeladen waren, als sich bequem bewegen konnten. Die Anordnung war wirklich äußerst schön und geschmackvoll.

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12) d. 9. Nachmittags.

... Das gesammelte Geld müßt ihr nicht blos zum Besten der Preußen, sondern verhältnißmäßig für alle deutschen Verwundeten verwenden. Wollt ihr es mir hierher schicken, so will ich das Nöthige schon anfangen, für gewissenhafte Vertheilung sorgen und darüber Bericht erstatten. Hier sind alle Behörden versammelt, und der Fürst Schwarzenberg, der die Schlacht commandirt, würde die besten, und in Gewißheit seines Charakters, gewiß sehr unparteiischen Vorschläge zur Vertheilung machen.

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13) W. 3. Dec. 1814.

In dem Rheinischen Merkur vom 22. Nov. ist euer schönes Fest vom 18. October schändlich abgefertigt. Ihr herrlichen Frauen habt das wahrlich nicht verdient, und es wäre überhaupt eine Schande, wenn wir auf uns sitzen lassen könnten, daß man uns verläumderischer Weise des Franzosensinnes beschuldigt, dessen ist keine schuldig, und ihr müßt alle für einen Mann stehen, um diese Schmach ehrenvoll zu tilgen. Ich habe deshalb heute an Schenkendorf, der in Cöln lebt, geschrieben, und will Abschrift meines Briefes beilegen, wenn Elard damit fertig wird. Du und andere und wenn ihr Lust habt, 100 Bremer müssen aber direct an Görres von Görres, katholischer Publicist und Redakteur des »Rheinischen Merkur«., den Herausgeber des Rheinischen Merkurs in Coblenz, und auch an Schenkendorf schreiben, offen, herzlich, ungezwungen, nicht entschuldigend, aber im Gefühl gekränkter Ehre und verläumdeten vaterländischen Sinnes. Thut das bald; zieht Horn und andere zu Rathe, doch keinen Philister, aber schreibt selbst. Laß auch Horn schreiben, die Sache ist nicht gleichgültig; der Rheinische Merkur ist das Volksblatt in ganz Deutschland. Görres muß durchaus Ehrenerklärung geben, darauf müßt ihr bestehen.

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14) W. 7. Dec. 1814.

Ihr glaubt nicht, wie sehr uns nach Nachrichten von euch und den lieben beiden kleinen Jungen verlangt; könnten wir sie doch nur einmal auf eine Stunde wiedersehen! Daß sie bei euch so gut aufgehoben sind, wie bei uns, bezweiflen wir garnicht; aber es ist doch so schmerzlich, die schöne Entwicklung ihres Jugendlebens nicht zu sehen, sie nicht herzen und drücken und küssen zu können. Der lateinische Unterricht der beiden Knaben durch einen hiesigen Candidaten geht fort; es scheint, daß wir es sehr glücklich mit ihm getroffen haben. Er scheint die Sprache gründlich zu verstehen, giebt den Kindern den ganzen Tag zu thun; sie arbeiten mit Lust, finden selbst die ihnen auferlegten Pönitenzen in der Ordnung ...

... den 10. Dec. 1814. ... Am meisten kommt Heinrich Olivier zu uns, der es jetzt versucht, unsern Heinrich bisweilen eine Stunde im Zeichnen zu geben. Letzterer quält sich dabei, daß ihm der Schweiß von der Stirne läuft, um in einer Stunde einen Kopf nachzuzeichnen, und zeichnet dann, sobald Olivier davon geht, ein großes Schlachtstück mit 20-30 Figuren zur Erholung von der sauren Arbeit. –

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15) Wien, d. 14. Dec. 1814.

Es ist jetzt eine böse, schwüle Zeit. Sogar die Unterirdischen regen sich und wollens so nicht länger gnädig mit ansehen, daß man so eine gemeine Wirthschaft von Schlingen und Verschlingen treibt, die Völker als eine Waare betrachte, und des Dingens und Schacherns kein Ende ist. Vorgestern wurden hier einige leichte Erdstöße verspürt, da es aber am frühen Morgen war, so ist es nur von wenigen verspürt, die meisten habens verschlafen, worunter auch wir.

Die Spannung wegen Sachsen ist aufs höchste gestiegen. Preußen, unterstützt von Rußland, will es mit Haut und Haar zu sich nehmen; die andern wollen es ihm nicht lassen, oder doch ein gut Theil davon dem Könige von Sachsen erhalten. Darüber sind nun die Fuhrwerke so in einander gefahren, daß die Kutscher schon anfangen, heftig aufeinander loszuziehen, und viele befürchten, es könnte schnell zu thätlichen Händeln kommen. Ja einige wollen garnicht mehr daran zweifeln. Ich hoffe aber dennoch ein Besseres. Es ist unmöglich, daß ein solcher jämmerlicher Krieg je national werden könnte, da man sich von beiden Seiten dabei durch die Lage der Umstände in Verhältnisse wird setzen müssen, denen das allgemeine Mißfallen nicht entgehen kann. Und das in einem Augenblick, wo ein Krieg, den das Volk selbst gewollt und geführt hat, kaum beendigt worden. Wird es nur möglich sein, die Nation zu bereden, der Krieg sei um ihretwillen nothwendig geworden? Die rettende Arche Noah läßt sich zu gemeiner Frachtfahrt nicht benutzen, und mit der Iris ätherischem Bogen schießt man keine Hasen und Rehe. Preußen und Oesterreich sollen zum Heile Deutschlands eins sein, und wenn es von der einen Seite heißen sollte: »ich werde euch die Russen auf den Hals schicken«, und von der andern: »dann nöthigt ihr mich, die Franzosen zu Hülfe zu nehmen«, so wäre beides vom Uebel und ein großes Unglück. Alles würde darüber in solche Verwirrung gerathen, daß eine totale Revolution das Resultat wäre. – Das will aber keiner und muß es doch voraus sehen; darüber denke ich wird's Frieden bleiben.

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16) Wien, den 24. Dec. 1814.

Wie gerne wären wir bei euch; wie gern machten wir unsern beiden lieben, kleinen Knaben heute eine Freude. Ach, könnte ich doch zu euch und ihnen hinüberfliegen.

Eilende Wolken, Segler der Lüfte,
Wer mit euch wanderte, wer mit euch schiffte!
Grüßet mir freundlich mein Jugendland!

Wir haben auch einen Baum und Lichter und Kuchen und Aepfel und andere Kleinigkeiten auf diesen Abend für die Kinder in Bereitschaft. Die Knaben bekommen auch ein Schachspiel, damit Heinrich nicht wieder sagen soll: das Schlagen mit Hermann und Elard im Prater sei hier sein einziges Vergnügen. – Die Knaben haben die größte Sehnsucht nach Hause und trösten sich blos damit, daß sie hier viel lernen; was denn auch wirklich der Fall ist.

Mit Hanne ist es noch viel ärger; die weint all um den anderen Tag ein Stündlein in der Ecke ab vor lauter Sehnsucht nach Bremen. Sie klagt sehr, daß Mathilde und Hanne Noltenius sie ganz vergessen und garnicht schreiben. – O Gott, da kommt eben das Bild von den Kindern! O, ihr lieben, lieben Leute, wie sollen wir euch danken; die weinende Mine sagt: nicht herzlichen, über-über-herzlichen Dank soll ich schreiben! Gustav hat bemerkt, daß er gemalt wurde und weiß nicht, was ihm widerfährt; Johann ist ganz unschuldig gemalt. Welch ein Engelsköpfchen! O hebt sie ja gut auf, die lieben süßen Knaben! Noch einmal tausend Dank.

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17) Wien, 31. December.

Ich kann euch heute nur mit ein paar Worten schreiben, daß wir alle wohl sind – denn ich muß gleich – (es ist schon 6 Uhr) noch 3 Visiten machen, bei dem Fürsten Taxis, Fürsten Hardenberg und dem Fürsten Metternich, und doch um ½8 Uhr wieder zu Hause sein, weil wir große Gesellschaft zum Beschluß des alten Jahres bei uns haben. Es kommen über 24 Personen. Es wird aber vom Punsch nicht mehr zum besten gegeben, als in unsrer Sonntagsgesellschaft; dabei ist verabredet, daß jeder eine Kleinigkeit, nicht unter ½ Thaler und nicht über 1 Th. 24 Grote im Werth mitbringen soll. Daraus wird eine Lotterie gemacht, aus der jeder einen Gewinn zum Andenken zieht. Es kommen: der Mecklenburg-Schwerinsche Minister von Plessen; der Meckl.-Strelitzsche von Oertzen mit seiner liebenswürdigen Frau; der Präsident von Berg, Schlegels, Pilats mit ihrem Anhang, Mutzenbecher, Hach, Gries, Rumpf, Scharf aus Frankfurt, Grimm und noch einige andere. Wo mögt ihr wohl zusammen sein? wir werden eurer gedenken.

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18) Wien, 11. Januar 1815.

Daß der Rheinische Merkur unsrer Feier des Festes vom 18. October nun doch Gerechtigkeit widerfahren läßt, habe ich in einem Stücke, ich glaube vom 29. Dec, mit Vergnügen gelesen. Der Aufsatz ist ja wohl von Gildemeister; dieser sollte doch auch das Blatt unsrer Zeitung vom 30. December an Görres schicken.

d. 18. Januar. – Mine und Hanne sind wohl. Letztere habe ich gestern einmal wieder mit in die Welt genommen. Ziehe ich mich Abends dazu an, so nehme ich dann vielerlei mit durch. Ich war erst mit ihr bei der Baronin Arnstein, wo große Assemblée und Concert war. Wir fuhren um 9 Uhr hin. Um 10 Uhr fuhr ich eine Stunde zu der Lady Castlereagh, wo ein blinder Spielmann fidelte und sang; Prinz Eugen, Cardinal Consalvi und viele andere waren da. Hanne brachte ich unter der Zeit zu Pilats; dann holte ich sie um 11 Uhr wieder ab, wo wir auf einen großen Ball des Grafen Bedekowich (?) fuhren, und wo sie getanzt hat. Um 2 Uhr kamen wir wieder zu Hause. Frau Mine geht garnicht mehr in große Gesellschaft. –

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19) Wien, 25. Februar 1815.

Das Lob des Bremischen Frauenvereins geht durch die ganze Welt. Der Fürst Schwarzenberg hat mir gestern auch ein Schreiben an den Senat zugeschickt, worin desselben aufs Ehrenvollste gedacht wird. Sein Secretair muß aber nicht à la hauteur der deutschen Gesinnung sein, weil er sich mitunter des Ausdrucks Damenverein bedient hat. Wie kommt denn August Heineken zu der Liliendecoration? Vielleicht ist Fritz Heineken gemeint, weil er sich der vertriebenen Hamburger mit angenommen, oder der Arzt Heineken, einer, der französische Gefangene verpflegt und besorgt hat? Ich möchte aber doch so eine französische Decoration nicht haben. – – Meiner neulichen Behauptung zum Trotz hat Hanne doch vor einiger Zeit die Fricandellen glücklich herausgebracht. In der Bereitung von Wiener Gerichten hat sie sich große Fertigkeit erworben; mir geht aber nichts über die bremische Küche! – Ich habe so eben, wie ich dieses schreibe, wegen des neuen Logis abgeschlossen. Wir werden vom 1. März an am Minoritenplatz No. 50 wohnen – im nehmlichen Hause mit Wellington. Auch der spanische Gesandte Labrador wohnt darin. –

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20) Wien, den 2. März 1815.

In meiner Stub' ist alles leer
Und gar nichts mehr zu finden usw.

So brumme ich in Gedanken, indem ich hier einsam hersitze, obschon mir garnicht singlustig zu Muthe ist. Wir wollten gestern umziehen, es fehlte aber noch so vieles in dem neuen Quartier, daß wir erst heute dazu gelangen konnten. Mine und die Kinder sind schon dort; ich lasse eben die letzten Sachen wegfahren und erwarte den Wagen dann zurück, um mich selbst und einige Papiere abzuholen. Dergleichen Umziehen ist mir immer höchst unangenehm; nicht sowohl der Unruhe wegen, als weil ich mich gar zu leicht mit den mich zunächst umgebenden lebendigen und todten Gegenständen dergestalt befreunde, daß ich höchst ungern von ihnen scheide. Ginge es nach Hause; ja dann wollte ich mit keinem Blick darauf verweilen, aber es gilt nur eine Veränderung des Aufenthalts in dieser mir höchst langweiligen Stadt, der ich, allen Reisebeschreibungen und Erzählungen von Reisenden zum Trotz, gar kein Interesse abgewinnen kann, und in die ich mich wirklich nun nachgerade finden mußte. Dies war nun, was die nächste Localität betrifft, in diesem Quartier nachgerade der Fall gewesen, wir wußten uns einigermaßen zu orientiren, wußten wo in dieser und der nächsten Straße alles zu finden war. Nun ziehen wir in eine ganz entgegengesetzte Gegend der Stadt, wo das alles noch einmal durchgemacht werden muß. In unsern Zimmern hatten wir manche frohe Stunde verlebt und merkwürdige Reminiszenzen an das, was ich über so manchen wichtigen Gegenstand auf diesem oder jenem Fleck mit diesem oder jenem gesprochen, umschwebten mich allenthalben. Davon scheide ich nur ungern, und das neue Logis kommt mir gegen das alte durchaus unheimlich vor. Es wird sich indeß schon damit geben. – Vor 20 Jahren soll es hier so wohlfeil gewesen sein, daß jeder, der nur ein ganz mäßiges Auskommen hatte, Dinge thun konnte, woran wir zu Hause garnicht denken dürfen. Daher war allenthalben Wohlhabenheit und Gastfreiheit in einem solchen Grade, und allgemeine Fröhlichkeit, die die Fremden so anzog. Von dem allen findet man jetzt wenig oder nichts; jeder schränkt sich ein, so sehr er kann, besonders die Mittelklasse, zu der wie allenthalben, in der Regel die Gebildetsten gehören. In den höheren Cirkeln gilt durchaus ein fataler französirter Ton, der einen anekelt und das Herz gänzlich leer läßt. Wir haben deshalb meistens auch nur mit Freunden Umgang, unter denen es freilich so vielartig gebildete Menschen giebt, daß das Leben hier interessant genug hingeht, und noch dreimal interessanter sein würde, wenn die gemeinschaftlichen Berührungen mit denselben sich um fröhlichere Gegenstände und Aussichten drehten, statt jetzt im gemeinschaftlichem Kampfe gegen die Verkehrtheiten, und in der Trauer darüber, daß die schönste Hoffnung Deutschlands unerfüllt bleibt, weil die Menschen, die zunächst an ihrer Realisirung arbeiten sollen, der Zeit nicht gewachsen sind, und, indem sie sich vergebens bemühen, dieselbe zu sich herab zu ziehen, nur einen jämmerlichen und ekelhaften Anblick gewähren.

d. 3. März. Wir sind nun umgezogen und das neue Logis gefällt uns mit jeder Stunde besser. –

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21) Wien, den 4. März 1815.

– – Ich schmeichle mir immer mit allerhand schönen Traumgeschichten, z. B. du, liebstes Trinchen, würdest einsehen, wie zweckmäßig es sei, eine junge Frau eine Zeitlang ohne alle mütterliche Einwirkung mit ihrem Mann allein zu lassen, und dich resolviren, flugs einen Wagen zu bestellen, mit dem Hofmeister, deinen beiden Knaben, Beta Smidts Kinderwärterin., Gustav und Johann hineinzusteigen und gen Wien zu fahren, wo wir dich mit ausgebreiteten Armen aufnehmen würden. – Es ist ja in unser beider Art, dann und wann einen Geniestreich zu machen. Wir wollten euch 2 Zimmer abgeben und uns in den beiden andern behelfen. Dein Herr Osiander Trinchen Castendyks Hofmeister. und unser Herr Baur Smidts süddeutscher Kandidat für seine Söhne in Wien. sollten sich schon vertragen und die Knaben gemeinschaftlich vornehmen, letzteren halte ich sehr in Ehren. Er hat die Knaben einmal nach meiner Methode behandelt, die auf meine eigene Erfahrung begründet ist, der zufolge ich immer am meisten gelernt habe, wenn ich sehr wenig Unterrichtsstunden gehabt und viel für mich selbst gearbeitet habe. So habe ich den Knaben täglich nur eine Stunde geben lassen und erst späterhin eine zweite hinzugefügt, und sie sind jetzt so weit, daß sie 20 Capitel im Sallustius, die sie durchgemacht, ziemlich fertig übersetzen können, und in der Syntax einen vortrefflichen Grund gelegt haben. Besonders entwickelt sich Heinrich außerordentlich, und Hermann hat seine Noth gleichen Schritt mit ihm zu halten. Ich kann den Heinrich schon gebrauchen, mir etwas abzuschreiben, und wenn Elard etwas einigermaßen leserlich geschriebenes Deutsches zu copiren hat, so kann Heinrich ihm stundenlang dictiren und überschlägt kein Wort.

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22) Wien, den 11. März 1815.

Mathildens Mathilde Castendyk, Smidts Nichte, hatte den Theologen Georg Gottfried Treviranus geheiratet (Pastor an St. Martini). und Treviranus' Hochzeitstag haben wir vorgestern recht froh gefeiert. Senator Hach und Herr Sievers, der Nassauische Legationsrath Röntgen und Jacob Grimm brachten den Abend bei uns zu; auch die beiden Knaben blieben auf. Unsre Tafel ist wohl nicht so reichlich besetzt gewesen, wie die eurige, aber Hanne hatte recht gut gekocht, und es hat alles vortrefflich geschmeckt. Wir haben nehmlich gegessen: 1) einen gespickten Hecht mit Sardellensauce, der außerordentlich gut gerathen war, 2) gebratene Kapaunen, dazu Aepfelcompote und Salat, 3) eine Sandtorte (NB. ein wenig wasserdicht) und sonst allerhand zum Nachtisch. Getrunken ist 1) Grinzinger, ein feiner österreichischer weißer Wein, 2) Ofener, ein rother Ungarischer Wein, 3) alter Rheinwein aus Bremen zu Gesundheiten. Nach Tische Punsch. Wir waren bis nach Mitternacht zusammen. Hach, Sievers und Röntgen gingen zuerst weg; mit Grimm kamen wir noch in ein Nachtgespräch, und das Ende vom Liede war, daß wir jeder ein Bettstück abgaben und ihm ein Lager auf dem Sopha zurecht machten, so à la Thulesius nach alter Zeit, an den er uns überhaupt oft erinnert. Donnerstag Mittag aß ich bei Herrn von Gagern mit dem Herzog und Erbprinzen von Nassau und einigen andern. – So eben erhalte ich deinen Brief vom 25. Februar, liebstes Trinchen (wieder einen Posttag zu spät). Ihr seid also heute in Borgfeld, und bleibt dort einige Tage, – das muß ein seliges Leben sein, könnten wir es doch mit euch theilen. – Wir alle sind gesund und wohl. Frau Mine hat hier überhaupt im Grunde nichts gefehlt, blos vor 14 Tagen hatte sie einige Tage ein leichtes Flußfieber, das mich eigentlich nur einen Tag besorgt machte. Es war in der Nacht vom 26sten auf den 27sten Februar, wo sie die ganze Nacht nicht schlafen konnte, starke Hitze im Gesicht und beständiges Herzklopfen hatte; sie blieb den folgenden Tag im Bette, und am dritten war sie schon fast ganz wieder besser. – Die Sache scheint mit der großen Weltbegebenheit in einigem Zusammenhang gestanden zu haben; denn gerade in jener Nacht entwischte Napoleon von Elba. Was sagt ihr denn zu der Geschichte? Wir wissen seit diesem Morgen, daß er im südlichen Frankreich gelandet ist, und von allen Seiten Truppen gegen ihn aufbrechen. Hoffentlich ist von seinem letzten politischen Act die Rede. –

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23) Wien, d. 18. März 1815.

... Schlagt Lärm ihr Frauen! Es giebt Krieg! Krieg gegen Napoleon und seine Räuberhorde! Ihr müßt von nichts anderem reden; ihr müßt nichts anderes thun, als was darauf Bezug hat. Ihr müßt Trumpf über Trumpf darauf setzen, daß man sich rüste und marschire. – Die Bremer müssen diesmal die ersten im Felde sein unter den Hanseaten; sie müssen nachholen, was das vorige mal ein ungünstiges Geschick uns versagte. Thut ihr das und bringt ihr es dahin, so will ich unsre Freiheit garantiren und erhalten, trotz allen Feldmäusen. –

d. 19. März. – – Krieg und nichts als Krieg ist die Loosung; fordert nur die junge Mannschaft auf, daß sie sich eiligst rüste, um unter Wellington's Anführung der Schlange den Kopf zu zertreten. Werden nicht alle Kräfte angestrengt, so könnt ihr die Hunde wieder dort sehen, ehe ihr's denkt. –

d. 22. März. – – Feuert alles zum Kampf gegen Bonaparte und seine Räuberbanden an. Er hat Lyon genommen und jetzt etwa 20,000 Mann.

d. 25. März. – – Bonaparte scheint in Frankreich nicht zu reüssiren. Man ist in Paris zur Besinnung gekommen, seit die Furcht vor der unbekannten Größe seiner Macht sich durch nähere Bekanntschaft mit der Natur seines Complotts gemindert hat.

d. 10. April 15. – – Wir müssen ein Corps freiwilliger Hanseaten zu Pferde errichten, dahin muß alles gehen, was nicht zur Infanterie will und was auf Frauenlob und Frauengunst Anspruch zu machen gedenkt. Die Prinzessin Wilhelm hat zu der Anna Lühring gesagt: »Du bist keine Bremerin mehr, du gehörst nun uns an; du sollst eine Preußin sein.« – Merkts wohl –: nicht eine Deutsche – eine Preußin hat sie gesagt. Das ist preußische Art und Kunst; sie haben noch immer kein Herz für Deutschland, das muß erst kommen – das haben mir Preußen erzählt, und es ist mir ein Dolchstoß in's Herz gewesen! Wohlan denn, ihr wackeren Frauen, die ihr keine Preußinnen sein wollt, zeigt, was ihr könnt. –

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24) Wien, d. 24. April 1815.

Am Freitag den 21sten habe ich euch die frohe Nachricht von Minens an jenem Tage Nachmittags 2¾ Uhr erfolgten glücklichen Niederkunft mit einem gesunden Mädchen verkündigt, und kann euch heute mit gleicher Freude melden, daß alles fortwährend so gut und so wohl steht, daß ich mich kaum ganz darüber ausfreuen mag, um die Nemesis nicht zu reizen. – – Ein Arzt hat bis jetzt die Schwelle der Wochenstube (unser gewöhnliches Schlafzimmer) nicht betreten. Das Wochenbette ist eine gewöhnliche Schlafbank ohne Vorhänge; Gardinen vor den Fenstern haben wir so wenig wie Rouleaux, aber hölzerne Fensterschläge, die so weit zugemacht werden, daß nur wenig Luft herein kommt. Alles trägt das Gepräge des wieder beginnenden Krieges, und hat feldmäßiges Ansehen; vom fürnehmen Gesandten ist wenig zu spüren, als daß meine vier Mitdeputirten nach wie vor fast täglich und oft bis 1 Uhr Nachts in meinem Zimmer Conferenz halten und ihren Spaß daran haben, wenn die Stimme der Kleinen sich mitunter nebenan vernehmen läßt. Ich schreibe der Kleinen, weil ich das Geschlecht ehre. Frau Mine hat sich aber so sehr daran gewöhnt, Söhne zu bekommen, daß sie von dem Kinde immer im genere masculino spricht und z. B. fragt: »schläft er?« »wacht er?« »hat er auch – –?« etc. Die Hebamme, welche alle Tage einige Stunden kommt, lacht auch immer herzlich darüber. Diese Frau heißt: Madame Walter und hat ein sehr gebildetes, anständiges Aeußere, nimmt sich auch so gut, wie ich noch keine gesehen. –

Gestern kam sie zu mir herein und fragte: »Ist Ihr Gnaden auch gefällig, das Fräulein im Bade zu sehen?« »Allerdings«, sagte ich; »das wird unser einem selten geboten,« und ging hinein; da habe ich das Fräulein denn näher kennen gelernt, wie ich selbst die gnädige Frau Mutter kenne, und will es euch beschreiben. Ihr wißt, daß wir zwei verschiedene Racen von Kindern haben. Zu der einen gehören Hanne, Heinrich und Gustav, zu der andern Hermann und Johann; das neugeborene Fräulein nun wird sich, allem Anschein nach, völlig auf die letzte Seite schlagen; um das Gleichgewicht herzustellen. Das reichlich mitgebrachte Haar ist braun, die Augen groß, und wenngleich die Farbe noch nicht deutlich zu erkennen, und in braun und blau zu changiren scheint, so sagt doch Jedermann, die Augen würden braun. Die Backenknochen stehen etwas vor, eben wie bei Frau Mine; auch die Nase gleicht der der Frau Mutter auf ein Haar; kurz die kleine Mine, die ich so lange gern haben wollte, ist da, und so soll sie auch heißen. –

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So lag denn unsre zukünftige, vielgeliebte und (aus kindischem Unverstande) vielgefürchtete »Tante Mine« zu Wien in den Windeln, und, wahrhaftig! selbst als Wickelkind kann ich sie mir unmöglich ohne den listig-sanften »Lämmerblick« in ihren lebendigen und klugen Augen vorstellen, noch ohne die feinen Humorfältchen in ihren Mundwinkeln. Gottlob, daß sie so prächtig in ihrer improvisirten Wochenstube gedieh!

Schon vor der Geburt des zweiten Smidtstöchterchens hatte sich Smidts nächster Freundeskreis, die Sonntagsgesellschaft, erbeten, gemeinsam zu Gevatter stehen zu dürfen. Professor Rumps Ansagebrief schlug, im Namen aller, je nach Geschlecht des erhofften Kindes, den Namen Winfried oder Winfriede vor; zum Andenken an den Friedensschluß und als Gewähr zukünftiger Seelenschönheit. Der glückliche Vater jedoch wollte keine ausgetiftelte »Winfriede«, sondern einzig und allein die Verjüngung des inniggeliebten, mütterlichen Namens: »Wilhelmine« gelten lassen.

Aus seinem bogenlangen, humorvollen Antwort- und Abwehrbriefe an die Sonntagsgesellschaft ist hier, im Auszuge, die anmutige Verteidigung seines Lieblingsnamens.

... »Etymologisch betrachtet hat dieser Name lauter edle Beziehungen. Wilhelm ist einer, der den Helm will; der durch Tapferkeit sich auszuzeichnen begehrt, in welchem Thatensinn sich entwickelt. Schon das graue Alterthum hat diese Gesinnung in einem der rührendsten, bis auf unsere Zeiten der Vergessenheit entzogenen Bilde, dargestellt; denn was ist der kleine Astyanax denn anders als ein Will-Helm? Und die größten Dichter der neuen Zeit haben sie in den erhabensten Momenten ihrer Schöpfungen nicht die nämlichen Bilder vorzugsweise gewählt? Die erhabene Jungfrau von Orleans, ist sie nicht eine vollendete » Wilhelmine«?

» Mein ist der Helm! und mir gehört er zu

... Aber nicht bloß kriegerischer Art ist die Bedeutung eines Namens. Der Wille ist die edelste Kraft der Seele, das, was den Menschen vom instinktartig handelnden Thiere unterscheidet; die Basis aller Moralität. Tapferkeit gehört zur Ausübung jeder Tugend, nicht zu der kriegerischen allein. Der Helm ist das Sinnbild dieser Kraftäußerung und wird als solches anerkannt und gebraucht. Mit einem Helme wurde die Göttin der Weisheit bekleidet; des Mondes Helmgestalt zierte die keusche Diana! – »Der Gerechte setzt den Helm des Heils auf sein Haupt,« sagt schon Jesajas. »Dieser Helm des Heils sey das Schwerdt des Geistes,« schreibt Paulus an die Epheser, und: »ihr sollt angethan seyn mit dem Helm der Hoffnung« ruft er den Thessalonichern zu ...

... – Die gewöhnliche Abkürzungsformel für Wilhelmine ist › Mine‹ oder › Minne‹ – .. was klingt aber in aller Welt schöner und lieblicher als › Minchen‹, › kleine Mine‹, › süße Minne‹? Ist ja doch dieser Name der der Liebe selbst, welche über Glauben und Hoffnung geht ... und es ward beschlossen: das holde Mägdlein heiße: Wilhelmine! ...

... Der Unterzeichnete, welcher diese Note durch einen eigenen Courier zu befördern sich zur angelegenen Pflicht macht, und zur Beschleunigung der endlichen Entscheidung dieser so wichtigen Angelegenheit, zumal bey so nahe bevorstehender Aufhebung des Congresses, der Ertheilung einer angenehmen Antwort auf gleichem Wege sehnlichst entgegensieht, benutzt diese Veranlassung, den sämmtlichen excellenten und fürtrefflichen Mitgliedern der Sonntagsgesellschaft die Versicherung seiner ausgezeichnetesten Hochachtung zu erneuern.

Wien am 26sten April 1815.
Smidt.«

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Die Sonntagsgesellschaft stiftete ihrem Patkinde die schöne, silberne Taufschale, aus der seitdem, und noch bis auf die Gegenwart, fast alle Smidtschen Nachkommen ihre erste Christenweihe empfangen haben. – –

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Der kleinen Mine Smidt Geburtsjahr brachte endlich den Völkerfrieden nach all den napoleonischen Schrecknissen seit 1805. –

Blut freilich mußte noch viel fließen, und auch die kleine, bremische Heldenschar in Wellingtons Armee brachte ihre Opfer. Aber, nachdem die Wage des Sieges bei Ligny noch einmal geschwankt hatte, schlugen Blücher und Wellington den Corsen am 18. Juni gänzlich aufs Haupt in der heißen Schlacht bei Waterloo. –

Am 22sten Juni dankte er zum zweitenmale ab, ein vernichteter Gewaltiger und kaum zwei Monate später brachten ihn seine Besieger zu Schiff nach Sct. Helena, der kleinen Felseninsel tief in der unermeßlichen Wasserwüste des atlantischen Oceans. Da lebte und litt er in einsamer Oede, bis am 5ten Mai 1821 der Erbarmer Tod den Schleier über seine finstere Größe und seinen Sturz vom Gipfel irdischer Macht deckte. –

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