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Drittes Buch.
1815 bis 1840

 

Die Ansprüche, welche die öffentliche Meinung an das deutsche Gesamtwesen macht, und was sie von demselben erwartet, dürfte etwa folgendes sein: Die Willkür soll aufhören, das Recht soll wiederkehren, Deutschland soll in kräftiger Einheit dastehen gegen jeden auswärtigen Feind ... Das Gefühl der Brüderschaft der deutschen Völker soll gemeinschaftliche, sinnliche Zeichen in der Verfassung des Bundes finden.

(Aus Smidts Aphorismen über Deutschlands Verfassung.)

 

XIII.

Smidts Familienbriefe aus den bewegten Jahren von Ende 1813 bis April 1815 bedürfen kaum weiterer Erläuterung, so sehr sprechen sie für und aus sich selbst. Viel mehr wie in den 1811er Briefen treten die persönlichen Sorgen darin vor den mitreißenden Wirbelstürmen jener Zeit großer Umwälzungen zurück, und der Briefschreiber ist innerlich mächtig gewachsen an Willen und Wert.

Was sich, bei'm stillen Studium der Briefe aus dem Hauptquartier der verbündeten Mächte, mir mehrmals aufgedrängt hatte, das sprach mir letzthin ein Mann aus, dem Smidt noch nicht näher bekannt war, als ich ihm den 45sten Brief vorlas.

»Wielange war Ihr Herr Großvater damals schon regierender Bürgermeister?« fragte er mich, und wollte es nicht glauben, daß er überhaupt erst seit vierzehn Jahren, als jüngerer Senator, der Bremer Wittheit angehört habe, da er jenen Brief voll flammender Entrüstung und Vaterlandsliebe an seine Frau schrieb. Erst die lokalgeschichtlichen Daten überzeugten den Frager ganz, aber er fuhr fort schweigend den Kopf zu wiegen.

Jene Frage dient wohl besser, als alles, was ich bisher darüber niedergeschrieben habe, zu Smidts Charakteristik, und daß Selbstherrscherblut in seinen Adern pulste: wer will es noch bestreiten, nachdem er den Schluß des 48sten Briefes in sich aufgenommen hat?

Mit seiner rasch unternommenen Reise ins Hauptquartier war er den Schwesterstädten Hamburg und Lübeck um eine Pferdelänge voraus, und steckte schon mitten in der heißen Arbeit, als die Hamburger und Lübecker Abgeordneten: Syndikus Gries und Senator Hach, auch den Anschluß erreichten. Er hatte sofort, nach allen Seiten hin, Verbindungen angebahnt mit den Mächtigsten sowohl, als mit deren meist noch mächtigeren Ratgebern und Beschlußträgern. So weitete sich sein Weltblick von einem Tage zum andern. Im Brennpunkte des großen Sammelbildes stand ihm wie immer die Anerkennung hanseatischer Freiheit: das Ziel, zu welchem hin er unermüdlich den Höhenweg suchte. Das Kriechen durch dämmerige Täler verabscheute er, wie wir wissen. Lauter und kerzengrade standen seine Ueberzeugungen: die bürgerliche, die christliche und die staatsmännische, im offenbaren Tageslichte da und sahen über alle verbuschten Pfade stolz hinweg.

Was ihm überall Freundschaft und Zutrauen erwarb, war sein waches und geistreiches Wesen, vereint mit vorzüglichen Umgangsformen und der glücklichen Lebensfrische des Mannes von jugendlicher Reife. Ihm, dem beredten Anwalte seines machtlos gewordenen Stadtstaates, erschwerten weder Argwohn noch Mißgunst der großen Machthaber die Arbeit, und sein natürliches Feingefühl hielt ihn davon ab, jenen durch allzuviel Eisen in ihr Feuer geschoben, lästig zu fallen, oder gar, sich am Herdplatz der Geschichte vordrängen zu wollen.

Auf diese Art gestaltete sich das Ergebnis seiner Kriegsfahrten zwar zu keiner Reihenfolge weltbewegender Staatsstreiche, wohl aber hatte er ein emsiges Fadenanknüpfen und Neuweben am heimischen Gespinnste vollbracht, das die Franzosenfäuste löchericht und brüchig gezerrt hatten. Damit erhob er sich jetzt schon, sieben Jahre bevor ihn die Bürgermeisterwürde in aller Form dazu berechtigte, zum Führer und Bemeisterer der Außenpolitik, insoweit er sie als dienstbar und hilfreich für die Hansa, und Bremen besonders, erkannte.

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Die Brieffragmente vom Wiener Kongreß stehen wieder in scharfem Gegensatze zu den Kriegszeitberichten. Sie geben ein heitres, humorvolles Skizzengemisch aus der »Amüsir-Assemblée«, wie ein Zeitgenosse jene Monate, zusammengesetzt aus viel Pracht und wenig Resultaten, treffend bezeichnet hat. Ausschnitte aus dem immer um sich selbst rollenden Gesellschaftstreiben Wiens; Lichtblitze auf Silberbrokat und Edelgestein, Blumenflor und Maskenscherz, überflimmert von Tausenden strahlender Kerzen. Dazu der Demutsweihrauch der niedreren Gesellschaft, zu Ehren des erhabenen Monarchenkreises; das Schranzentum und der ätzende Spott von allerhand Parkettwanzen und Eckenflüsterern.

Smidt tat nichts dergleichen. Er sah der höfischen Maskerade gleichmütig zu, und wenn er Audienzen bei den Kronenträgern, den Besternten und Bebänderten nachsuchte und erreichte, so diente er damit niemals selbstischen Zwecken. – Ein rechter Bremer Bürger braucht nicht Hofgunst, Adel und Orden: sein heimisches Bürgerrecht ist ihm die höchste Krone, und der Adel reiner Gesinnung das beste Ehrenzeichen.

Was aber besonders reizvoll aus den nachfolgenden Wiener Briefen anmutet, das sind die allerliebsten, feingetuschten Kleinbildchen aus dem Smidtschen Familienleben, abseits vom Kongreßprunk. Der Vater mit Frau, Kindern und Hofmeister in der beschränktesten Häuslichkeit, und dennoch glückselig; der kleine Kreis erweitert durch das heitre Kommen und Gehen geistreicher oder herzensvornehmer Freunde und Gäste, die fröhlich fürlieb nahmen, und deren viele ihre Zeit überlebt haben im Gedächtnis der späteren Geschlechter.

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