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II.
Aus der Dungener Idylle.

Epistel an meine Schwester.

Am 22. Mai 1798.

Wie ich ein Knabe noch war, und dann im Monde der Wonne
Jährlich kehrte der Tag, welcher die Schwester mir gab, –
Früh besucht' ich sie da, nach alter Sitte der Väter,
Um der Schlafenden Arm schlang ich ein rosiges Band.
Hinterm Bett versteckt ich mich dann, und klopfenden Herzens
Sehnt ich die Stunde herbei, die sie dem Schlummer entriß.
Kaum nur sah sie die Fessel mit schlafentronnenen Augen,
Dachte die Liebliche mich, rief sie mich freundlich herbei.
Kindlich umschlangen wir uns in seliger, stiller Umarmung:
»Schwester!« rief ich ihr zu; »Bruder!« rief sie zurück.

*

Wie ich ein Jüngling dann wurde, da trieb mich ein rastloses Streben
Und der Wissenschaft Durst fern in ein anderes Land.
Jahre flogen dahin, – ich kehrte wieder, – noch einmal
Führte mein Genius mich ferne vom heimischen Heerd.
Fremde Länder zu schau'n, das Tun und Treiben der Völker,
Fühlt ich dringende Lust, und ich bekämpfte sie nicht.
Fülle der Seligkeit ward mir; Helvetiens liebliche Auen
Lächelten freundlich mich an, stillten den dürstenden Blick.

*

Wie ich nun endlich als Mann die Ruhe der Heimat ersehnte,
Fand ich das Mädchen nicht mehr, fand ich die Schwester ein Weib.
Kam und wollte sie binden, doch ach, – es hatte der Gatte,
Hatten die Kinder sie schon innig umschlungen und fest.
Fröhlich ergriff mich der Jubel, ich mischte mich unter die Reihen,
Und sie ließen mich auch gerne mit ihnen mich freu'n. –
Auch ward mir selber darauf ein rosiges Mägdlein, ich führte
Bald die herrliche Braut in mein glückseliges Haus.
Inniger liebt' ich sie noch als Weib, und wie wird mir werden,
Wenn sie als Mutter dereinst: – »Vater!« den Gatten begrüßt!

*

Schwester – ein gleiches Geschick führt uns auf zwiefache Pfade
Doch sie entfremden uns nicht, öfters begegnen sie sich.
Freundlich reichen wir dann einander die liebende Rechte,
Und mit fröhlichem Sinn wallen wir weiter die Bahn. –
Ich als Mann mit dem Weib, und du als Weib mit dem Manne
Und den Kindern zugleich, die dir der Himmel bescheert. –
Doch wir ruhn auch bisweilen und wenden dann einmal die Blicke
Wieder zurück in das Land, wo wir mit kindlichem Sinn
Freundlich einander den Arm noch ohne Gefährten uns boten: –
Wandeln dann, wie im Traum, wieder gemeinsamen Pfad.
Schwester, – daß du auch heute dich freuest solcher Erscheinung
Reicht dir der Bruder die Hand. Komm, wir schauen zurück! –

*

Der Familientag zur Dungen.

1782.

Der Vorabend.

Hüpfend entflohen die Kinder den Strahlen der Nachmittagssonne,
Die durch die Scheiben gestärkt, im täglichen Zimmer sie drückte,
Eilten zum Garten hinab und suchten den moosigen Rasen,
Welchen mit freundlichem Dach der Prager Apfelbaum schirmte.
»Hier im Grase gestreckt«, so sprach das liebliche Mädchen:
»Wollen wir, lieber Johann, den kühleren Abend erwarten:«
»Aber was fangen wir an? Der Schlaf in der Hitze ist schädlich,
Und man wachet des Nachts, – das sagte noch gestern die Mutter.«
»Höre: da fällt mir was ein, wir hätten's beinahe vergessen, -
Denkst du der Stäbe nicht mehr? wir haben sie neulich zu Borgfeld Damals Hollersches Landgut.
Hollers Kindern versprochen, sobald sie die Dunge besuchten.«
Ihr antwortete drauf der Bruder mit fröhlichem Sinne:
»Schön, daß daran du denkst! wir gehen sogleich an die Arbeit.«
»Simon ist eben dabei, den Graben zu machen am Wiedbusch;
Der soll Stäbe mir schneiden; da unten wachsen die besten.
Etwas gereift ist das Holz, – das abgeschabte wird rötlich,
Lassen wir sie diese Nacht nur liegen im tauigen Grase,«
Sprach's und eilte darauf zu Simon; – es schnitt ihm der Großknecht
Stäbe, sowie er verlangte, von jeglicher Größe und Stärke; –
Dann zur Schwester zurück, die sich indeß von der Mutter
Aus dem roten Etui das zierliche Messer erbeten.
Künstlich führt es der Knabe, die schlängelnden Ringe zu kerben.
Sorgsam löste das Mädchen darauf den Bast von den Stäben,
Daß dem Grünen das Weiße, dem Weißen folge das Grüne.
– – – – sie freute sich über den Einfall,
Half ihm emsiger noch, und wie nun die Arbeit vollendet,
Neigten zum moosigen Grase sie gern die ermüdeten Glieder.
Aufwärts blickten sie dann mit sanft gelagertem Haupte,
Bald an die Bläue des Himmels und bald an wogende Zweige,
Schon von milderer Sonne bestrahlt, das Auge geheftet.

*

Plötzlich bellte Weckup, doch nur ein paarmal; – es wandten
Seitwärts die Kinder den Blick, und siehe, des Hofmeiers Tochter,
Eben über den Zaun des Nachbarn war sie gestiegen.
Laufend erreichten die Kinder das Haus, doch rief im Vorbeigehn:
»Mett' ist gekommen!« Johann ins Fenster der täglichen Stube.
Und auch Mutter und Tanten verließen den Tee und das Strickzeug
Um die Kunde der Stadt so schnell zu vernehmen wie möglich.
Keuchend unter der Last des vielbeladenen Tragkorbs
Schlich sich Metta anjetzt herbei zum steinernen Tische,
Mägde eilten herzu und Knechte mit helfenden Händen,
Hoben die drückende Bürde ihr schnell vom Kopfe herunter.
»Nun, sie kommen doch alle?« – »Jawohl.« – »So kommt auch Elise
»Und auch Melchior mit, vielleicht auch Hermann der kleine?«
»Ja, auch Hermann wird kommen.« »O, das ist schön, auch für Hermann
»Schnitzen wir noch diesen Abend ein Stäbchen, daß er sich freue.
»Blühen die Bohnen denn schon, – die bunten? Du weißt ja wohl Metta,
»Die ich zu Hause gepflanzt dort hinter dem Hofe der Hühner.
»Sind aus der Nachbarin Garten auch Pflaumen herüber gefallen?
»Blühen die Nelken? Sind dort die Aprikosen schon zeitig?
»Bringst du auch Maulbeeren mit und Maulbeerblätter? – es haben
»Heut ihr Futter noch nicht die Seidenwürmer bekommen.«
Also fragten die Kinder, der Freuden der Stadt sich erinnernd. –
Kletterten dann auf die Bank, die hinter dem steinernen Tische,
Daß sie es sähen, wie jetzt die Mutter und Tanten vom Tragkorb
Lösten das reinliche Tuch, die Schätze desselben verhüllend.
Endlich war es herunter; es wurden die Töpfe und Schüsseln
Nun entwunden dem Heu, und mancher Deckel gelöset.
Fand sich die obere Lage von Aprikosen und Maulbeern
Etwas vom Rütteln zerquetscht, so gab sie die Mutter den Kindern;
Denn sie verlangte, beim Mahl nur zierliche Schüsseln zu bieten.
Blätter reichte sie dann, die Seidenwürmer zu füttern,
Welche die Kinder versorgten in ihrer papiernen Umzäumung.
Doch nicht den Kindern allein ward vielfache Freude bereitet;
Auch die Uebrigen gingen nicht leer aus, jeglichem wurden
Einige Wünsche befriedigt aus reichlicher Fülle des Korbes.
So erhielten die Tanten den Kasten der Lesegesellschaft,
Neu mit Büchern gefüllt, die ihnen sowie der Mutter,
Las die Cousine draus vor, die Zeit anmutig vertrieben.
Gleich nach Tische zumal, es schlief dann der Vater ein Stündchen,
Und er hörte nicht gern Roman' und Comödien lesen.
Diesem brachte der Korb die neuste Zeitung; es schickte
Eilends die Mutter Johann damit hinauf auf sein Zimmer,
Fröhlich nahm er sie hin, ergriff die krystallene Brille,
Stopfte die Pfeife sich neu und las alsdann bis zur Mahlzeit.

*

Flüchtigen Blickes bemerkte darauf Johann, wie der Großknecht
Simon hinter der Tür vom hölzernen Nagel die Halfter
Holte und auch die Peitsche, die weidengeflochtene, herabnahm.
»Lieber Simon«, so rief er, »ich bitte dich, nimm mich doch mit dir;
»Sicher holest du jetzt die Pferde heim von der Weide, –
»Morgen mußt du zur Stadt, ich weiß es, den Onkel zu fahren, –
»Stille will ich auch sitzen und will nicht flöten noch schlagen.«
Ihm entgegnete dann mit freundlichen Worten der Großknecht:
»Gerne nähm' ich dich mit, allein ich fürchte, du bleibst mir
»Ruhig nicht auf dem Pferde, und fielst du herunter, ich hätte
»Ja Verdruß von der Herrschaft und wäre mir selber ein Aerger.
»Brachtest du neulich mir nicht den Fuchs zum Laufen? mir wurde
»Grün und gelb vor den Augen; – du rittest neben dem Graben.«
»Nimm mich diesmal nur mit«, versetzte der Kleine, »ich will auch
»Besser mich nehmen in Acht, du kannst ja die Zügel behalten.«
Simon ließ sich bewegen, er liebte den munteren Knaben,
Gab ihm die Halfter zu tragen und beide wanderten vorwärts,
Erst durch die lange Allee, die den Hof mit der Straße verbindet,
Stiegen zum Deiche hinan, der Schutzwehr drohender Fluten,
Welche die Lesum schwellen bei Westwind oder Nordwestwind.
Abwärts wanderten weiter die Zwei zur grünenden Wiese,
Die, von den Wellen des Flusses bespült, bei jeglicher Springflut,
Herrliche Kräuter erzeugte, den edlen Pferden zur Nahrung.
Diese vernahmen sogleich das wohlbekannte Geflöte,
Kamen langsam herbei, und ließen willig sich zäumen.
Springend folgten den Stuten, die munteren Füllen, sie waren
Edlerer Gattung wie jene, vor allen glänzte der Schweißfuchs.
Immer hoffte Johann, er würd' es noch einmal erringen,
Was er im Stillen so lange gewünscht und öffentlich mehrmals
Auch von Simon begehrt, daß ihn der Rücken des Pferdchens
Tragen dürfe, und ihm alleine es zu leiten vertraut sei.
Diesmal bat er nicht minder, und glaubte vernünftig zu schließen:
Daß zu dem Kleinen das Kleine sich passe, sei unwidersprechlich.
Aber vergebens; – er fügte indeß sich bald in sein Schicksal,
Wie ihm Simon darauf die Mutterstute des Füllens
Heimzureiten erlaubte mit beigefügter Ermahnung,
Ja recht grade zu sitzen und fest die Mähnen zu halten.
Hoch nun schlug ihm die Brust, denn über die sinkende Sonne
Sah er jetzo hinaus und Strahlen beglänzten sein Antlitz.
Ruhig hielt er sich noch, denn Simon, der auf dem Rappen
Langsam neben ihm ritt, hielt fest die Zügel und wandte
Nicht von dem Knaben den Blick; doch wie der Purpur des Aethers
Immer noch dunkler sich färbte und schnell die Finsternis folgte,
Glaubt er sich minder bemerkt; – mit beiden Händen ergriff er
Fester die Mähnen anjetzt und drückte der munteren Stute
Rasch in die Seite den Fuß, laut wiehernd eilte sie vorwärts.
Simon mußte mit fort, sie trabten bis vor die Stalltür. – – –

*

Trinchen war unterdeß zu Mutter und Tanten gegangen;
Helfen wollte sie gern die Himbeertorte bereiten,
Zu dem morgenden Mahl das Hauptgericht für den Nachtisch.
Froh war die Mutter darob; sie sah es gern, wenn die Kinder,
Jedes nach seinem Geschick, sich frei bewegten zur Arbeit.
»Ja, du sollst mir helfen,« so gab sie freundlich zur Antwort:
»Aber wasche zuvor die kleinen Hände; da seh' ich
»Maulbeerflecken ja noch, die müssen vor allem herunter.
»Köstliche Speisen bereitet man nur mit sauberen Fingern.
»Ordnung und Reinlichkeit sind die erste Zierde der Hausfrau.«

*

Unterdessen Johann lief auf und nieder die Hausflur,
Spielte mit Weckup und suchte ihm Rinden hervor aus dem Brotkorb,
Sah wie Simon das Stroh mit kräftigem Arme entzweischnitt,
Wohlgesichteten Hafer dann unter den Häckerling mengte,
Daß es morgen den Pferden an Kraft zum Ziehen nicht fehle;
Darauf die hänfenen Fäden zur neuen Schmicke sich drehte,
Daß wie dem Kutscher der Stadt ihm kräftig die Peitsche erknalle.
Aber es rief nun die Mutter: »Zu Tisch, ihr Kinder! Der Vater
»Ist schon heruntergekommen und sitzt an der Tafel im Lehnstuhl;
»Aufgetragen ist Brot und Milch und herrlicher Käse!«
Alle eilten herzu, ein jeder nahm seinen Platz ein,
Den seit Jahren ihm schon die Ordnung des Hauses bestimmte. –
Und es betete dann der Vater mit deutlichen Worten,
Wie ihm dienlich erschien, es war nicht immer dasselbe. –
Heute dankte er Gott, daß ihnen in Ruhe und Eintracht
Noch des häuslichen Mahls sich herzlich zu freuen vergönnt sei;
Denn ihm hatte soeben die Hamburger Zeitung berichtet,
Wie in Amerika jetzt die Wilden den friedlichen Landmann
Oft überfallen des Abends, wenn an der fröhlichen Tafel
Er mit den Seinen sich freut, und gräßlich morden und plündern.
Auf die Britten schalt er alsdann, die gereizet die Wilden,
Also feindlich zu stören die amerikanischen Pflanzer. –
Dann war die Rede davon, ob auch wohl günstige Witt'rung
Sollte doppelt erhöhn die Freuden des morgenden Festes.
»Etwas bin ich besorgt,« so sprach bedächtig die Mutter.
»Denn auch das vorige Mal, und Anno achtzig desgleichen,
»Hatten wir Regen des Tags, wo draußen war die Familie.«
»Nicht doch,« warf der Vater ihr ein: das folgt nicht; ich glaube,
»Darum haben wir morgen gewiß das herrlichste Wetter.
»Sieh doch einmal Johann, wie denn das Wetterglas aussieht.«
Dieser rieb aus den Augen den Schlaf und holte den Schemel,
Den Barometer zu schauen, der etwas hoch an der Wand hing.
»Gut steht alles,« so rief er, »der Spiritus zeigt auf beständig;
»Auch hat der Hase gebraut; die Wiese steht wie beschneiet,
»Und mich däucht, schon um fünf sind aufgeflogen die Hühner.«
»Ja,« versetzte die Mutter, »die lieben die Ordnung sie werden
»Munter mit Anbruch des Tags, und ehe der Abend sich neiget,
»Kehren sie wieder zur Ruh; denn das erhält die Gesundheit.
»Darum, ihr Lieben, ich dächte, wir folgten dem rühmlichen Beispiel;
»Morgen müssen wir zeitig die weichen Federn verlassen;
»Viel noch giebt es zu tun; halb zehn Uhr kommen die Fremden.«
Sprach's und es folgte ein jeder dem Rat der verständigen Hausfrau,
Nahm sein Licht in die Hand und eilte hinauf in die Kammer.

*

Morgenfreuden.

Kaum erglänzt' auf dem Hofe des Eichbaums prächtiger Gipfel
Rötlich vom lieblichen Strahl der wiederkehrenden Sonne; –
Feurig stieg sie empor in voller strahlender Rundung
Ueber die goldenen Saaten der lieblichen Lesumer Hügel, –
Munter brüllten die Rinder; die Füllen durchtrabten die Wiese,
Und der Vögel Gesang ertönte in lieblichen Chören: –
Da sprang hurtig auch Simon empor vom nächtlichen Lager.
Krähend weckt' ihn der Hahn; es forderten wiehernd die Pferde
Stärkendes Futter herbei, und zwitschernd flogen die Schwalben
Unter dem Boden herum, erwartend das Oeffnen der Haustür.
Aller Begehren erfüllte alsbald der sorgsame Großknecht;
Zog die Riegel zuerst zurück von der alternden Türe,
Daß ihm die. Flügel entgegen zu beiden Seiten sich neigten,
Und mit strömender Fülle das Licht erhelle die Hausflur.

*

Sorgsam legt' er den Stein an jedem Flügel der Türe,
Daß mit ihnen der Wind sein Spiel nicht treibe und klappernd
Etwa die Herrschaft erwecke, die noch des Schlafes sich freute.
Mütterlich eilten die Schwalben, den Jungen ihr Futter zu suchen.
Väterlich lockte der Hahn sein Volk hinaus in das Freie.
Leise wurde darauf der Futterkasten geöffnet,
Dann die Krippe gefüllt mit Häckerling und mit Hafer,
Beides mit Wasser gefeuchtet, und munter fraßen die Pferde.
Also sich selber vergessend, versorgt' er den Tieren die Notdurft.
Bald darauf eilt' er hinweg, um die Fremden zu holen.

*

Auch die Familie war schon längst den Federn entstiegen,
Mutter und Tanten zuerst; sie halfen nebst der Cousine
Köstliche Speisen bereiten, den Gästen zum lieblichen Wohlschmack.
Auch die Kinder erweckte des seltenen Tags Erwartung
Früher als sonst, sie eilten die Wendeltreppe herunter,
Daß doch ja nichts geschähe, was sie nicht sähen und hörten.
Unten fanden sie schon die Andern am steinernen Tische,
Und – entzückend zu sehn – ihr Leibgericht wurde bereitet.
»Ah, Citronenschaum wird das,« rief Trinchen, »gewißlich, da klopft ja
»Mutter die Eier zurecht, und Tante schneidet die Schalen!
»Soll ich auch helfen? ich will's ja gerne machen, wie's recht ist.« –
»Diesmal haben wir dich nicht nötig«, versetzte die Mutter,
»Gleich sind wir fertig, dann sollst du Zwieback zerstoßen.
»Jetzo trinkt erst, ihr Kinder, und das allein bei dem Vater;
»Eben geht er hinauf, nehmt ihr die Tassen und folgt ihm.
»Zucker hat er schon oben; den Kaffee bringt Margarete!«
Also die Mutter; – es folgten Johann und Trinchen dem Rate
Holten die Tassen und eilten dann schnell hinauf zu dem Vater.
Leise öffneten sie die Tür; er liebte Geräusch nicht.
Diesmal war es vor allem vonnöten, er saß in dem Lehnstuhl
Eben sein Morgengebet in stiller Andacht verrichtend.
Stille standen die Kinder, andächtig die Augen verschließend;
Aber die Hände zu falten war jetzo unmöglich, sie hielten
Ja die Tassen darin. – Und als nun der Vater gebetet,
Setzt' er den Hut wieder auf Den Hut trug er auch stets im Zimmer.; da eilten sie freundlich und boten
Guten Morgen ihm dar, er küßte sie herzlich und dankte.
Gerne tranken die Kinder bisweilen allein bei dem Vater.
Denn ob sonst auch gewöhnlich zu sorgen hatte die Mutter,
Dann war selbst er bemüht und sann darauf, wie er den Kindern
Etwas zu Gute tun, sie froh zu machen vermöchte.
Also auch heute; er schenkte den Kleinen die Schalen voll Kaffee,
Hob sich dann langsam vom Stuhl und sucht' aus der blechernen Tromme
Honigkuchen hervor, zerschnitt ihn in längliche Scheiben,
Und zu jeglicher Tasse erhielten die Kinder ein Stückchen.
Einzutunken war das, und langsam mußt es erweichen.
Also hatte er's gern und also taten die Kleinen.
Als sie genug nun getrunken, da nahm er die Hallische Bibel
Las ein Capitel daraus, so wollt es die Ordnung des Hauses.
Doch er las es nur halb, es lasen die andere Hälfte
Dann die Kinder, damit sie täglich im Lesen sich übten.
Lang war diesen die Zeit; sie hätten diesmal so gerne
Etwas geschwinder gelesen, doch das war dem Vater ein Aerger,
Und er war heute so gut, da thaten sie nichts ihm zuwider.
Fröhlich entließ er sie dann, sie eilten springend hinunter.
Hier empfing sie die Mutter, »kommt her ihr Kinder,« so rief sie,
»Hohe Zeit ist es jetzt, wir müssen eilig uns anziehn.«

*

Bald war fertig Johann, ein wenig später auch Trinchen.
Ungeduldig anjetzt, weil noch die Fremden nicht kamen,
Und verlegen, womit die Zeit zu vertreiben, die täglich
Das Exercitium sonst und Näh- und Strickzeug hinwegnahm,
Liefen sie flüchtig umher und trieben bald dies und bald jenes.
»Komm,« rief endlich Johann, »wir setzen uns jetzt vor die Türe
»Unter den Lindenbaum hin und sehen dem Wagen entgegen.
»Bring' auch Brotkrumen mit, wir geben sie draußen den Hühnern.«
Gerne folgt ihm die Schwester; sie eilten zur Bank vor die Türe.
Adelheid hatte den Platz mit weißem Sande bestreuet,
Wie am festlichen Tag die Bewohner der Stadt vor der Haustür,
Festlich wurde dadurch der ganze Hof, und es schien hier
Alles veredelt den Kindern und nicht mehr so wie gewöhnlich.
Anders rauschte der Wind im hohen Wipfel der Linde,
Reinlicher glänzten die Kühe und schön beblümter die Wiese,
Anders bellte der Hund, und selbst in anderen Tönen
Lockte sein Völkchen der Hahn, und zierlicher kratzten die Hühner.
Alles, die Schweine nur nicht! – Wie Trinchen den Hühnern das Futter
Streute, nahten sie sich, um Teil an der Beute zu nehmen,
Aengstlich lief nun das Mädchen, sie fürchtete sich vor den Tieren.
Aber Johann, dem sich hier die schönste Gelegenheit darbot,
Mut und Tapferkeit nun auch in Gefahren zu zeigen,
Holte die Peitsche geschwind und Weckup; – beide vereinet
Jagten die Feinde zurück, und Trinchen lobte den Bruder.

*

Plötzlich schallte anjetzt von des Nachbarn Hause herüber
Frohe Kunde den Kindern – »sie kommen,« hieß es; »soeben
»Fährt der Wagen durch Grambke, bespannt wie ich meine mit Vieren.«
»Mutter! Tante! sie kommen,« hieß es, »ein Wagen fährt eben durch Grambke,
»Mit vier Pferden bespannt, das ist gewiß niemand anders.«
Also riefen die Kinder durchs ganze Haus, und ein jeder,
Wie er sich blicken ließ, so mußt' er die Kunde vernehmen.
Hier erschrak man indeß nicht wenig; es war zum Empfange
Fast noch Keiner bereit; der Kaffee war nicht gemahlen,
Noch nicht gekleidet die Mutter, der Vater harrte noch immer,
Daß der Barbier aus Lesum mit stumpfem Messer erscheine.
Eilers hieß er; es war nicht allein Rasieren sein Handwerk, –
Glaser war er zugleich, und wanderte öfters als solcher
In der Gegend herum; dann harrte mancher vergebens
Wohl acht Tage lang seiner, mit täglich wachsender Notdurft. –
Hurtig liefen nunmehr die Kinder zum Hause des Nachbars,
Näher den Wagen zu schauen, sie konnten ihn lange nicht finden.
Endlich gewahrten sie ihn, doch ach, – er wandte auf einmal
Rechts den schnelleren Lauf zur Burg hinein, und vergeblich
War die Erwartung gespannt; es war eine andere Chaise.
Auch in der Ferne vermochte das unbewaffnete Auge
Noch kein Fuhrwerk zu schau'n: man konnte nun lange noch warten. –
Traurig setzten die Kinder sich unter den moosigen Eichbaum
Auf die alternde Bank, den Blick nach Grambke gerichtet.
Sinnend, wie es den Fremden doch möglich, so lange zu zögern.
Trinchen meinte, das Brot sei wohl noch nicht fertig gewesen,
Das der Bäcker doch früh an Hollers zu schicken versprochen, Die Bremer Stadtgäste der alten Dunge pflegten als besondere Leckerei, frisches Weißbrot mitzubringen.
Oder es habe der Schlaf die Tante zu sehr übermannet.
»Oder,« sagte Johann, »vielleicht ist Tante de Hase
»Vor dem Gröpelinger Deich zu bange und fährt über Walle.«

*

Doch da ertönte auf einmal die freudige Botschaft:
»Sicher kommen sie nun sogleich: beim Sielgraben sind sie,
»Simon klatscht mit der Peitsche;« – nun rührte sich alles im Hause,
Jung und Alt durcheinander; das war ein Laufen und Rufen.
»Borcherd, öffne das Heck!« »Du nimm den Baum aus dem Wege!
»Kinder nehmt euch in Acht, und kommt nicht unter die Pferde.«
»Willkommen!« riefen die Fremden, und »Willkommen!« schallte die Antwort.

*

Die Familie.

Einer nun nach dem Andern entstieg der weißen Barutsche.
Onkel Holler zuerst, damit er helfe den Damen,
Tante de Hase alsdann und Tante Holler; Elise
Mit der Mutter zugleich; darauf Marie de Hase, Später Professor Rumps erste Frau.
Melchior Holler mit ihr, sie hielt ihn vorhin auf dem Schooße,
Endlich die Wärterin Anne mit Hermann, dem jährigen Knaben.
Nun ward ein buntes Gewühl der Empfangenden und der Empfangnen,
Alles unter einander im Wechsel trauter Umarmung.
Jeglicher säumete nicht, bis er Jeglichen herzlich gegrüßet.
»Aber wo bleibt Henriette?« rief Einer über den Andern.
»Ja, wer weiß, wo die steckt?« sprach scherzend Tante de Hase;
»Uns bekümmert das nicht; sie hält sich zu anderen Leuten.«
Traurig verzog nun Johann die Miene und Trinchen nicht minder.
Da versetzte Marie, die ehrliche: »Kinder, sie kommt gleich,
»Pundsacks bringen sie mit; der Wagen ist jetzt schon in Grambke.«
Fröhlich waren sie nun, und ehe man noch in das Zimmer
Hatte die Gäste geführt, erhielt schon Marie ihr Stäbchen,
Hollers Kinder dann auch; die riefen sie gleich in das Freie,
Ihnen die Füllen zu zeigen, die jetzt der Mutter sich freuten,
»Der gehört mir,« rief Johann, »der Fuchs; der schwarze Kathrinchen.
»Wenn ich größer erst werde, dann reit ich darauf mal nach Borgfeld.«
Weiter mußten sie mit hinein in die dunkele Scheune,
Durch die geöffnete Tür erhellte sie spärliches Licht nur, –
Hier zu schauen die Kälber, die schön gesprenkelten bunten.

*

Unterdessen war auch der Onkel Pundsack erschienen
Nebst der Tante; es fuhr mit ihnen auch Henriette.
Anders kam er gefahren wie Simon; die herrlichen Pferde
Trabten durch die Allee, als ging es zum kämpfenden Wettlauf.
Vorspann hart' er vom Marstall und auch den Kutscher des Marstalls
Neben dem eignen, dazu noch ein reitender Diener. –
Ehren wollt' ihn der Vater als Herrn Bürgemeister; auch war er
Ihm der älteste Schwager, der Vornehmste in der Gesellschaft.
Darum bot er ihm gleich, sobald er das Zimmer betreten,
Seinen gepolsterten Stuhl mit Lehnen an jeglicher Seite,
Aber es weigerte dieser sich dessen mit freundlichen Worten,
»Nein, Herr Bruder,« so sprach er, »Bequemlichkeit paßt für das Alter, –
»Bleiben Sie ja in dem Stuhl, Sie sind ihn gewohnt, und ich will nicht
»Stören die häusliche Ordnung; wir sind ja hier unter uns nur.«
Sprachs und setzte sich drauf zur jüngsten Tante; vor allem
Plaudert er gern mit dieser ein froh vertrauliches Wörtchen.
Alle hatten sich nun im geselligen Zirkel geordnet;
Kaffee wurde geschenkt, Rundum Napfkuchen. für die Kinder geschnitten,
Pfeifen erhielten die Herren und kleine Kuchen die Damen.
Manches wurde geschwatzt und manches Thema verhandelt, –
Erst von den alten Zeiten, wo noch der Großvater lebte.
Jährlich hielt man allda die Weidemahlzeit zur Dungen;
Zahlreiche Gäste erschienen, und Bricken Neunaugen. bekamen die Kutscher,
Die sie verkauften; – wie denn des Jubels kein Maaß und kein Ziel war;
Wie man am Ende des Mahls aus großer Tonne den Stöpsel
Zog, und die Fülle des Biers dann unaufhaltsam erströmte.
»Oft noch denk ich daran,« so sprach der Herr Bürgemeister.
Ihm bemerkte darauf die älteste Tante: »Herr Bruder,
»Aber das wissen Sie nicht; wie hier mein seliger Vater
»Neue Fenster ließ bau'n. – Sie hörten noch nicht zur Familie, –
»Welche Freude das war mit den bunt erglänzenden Wappen
Aller Herren des Raths des acht und vierziger Jahres.
»Schöne Farben fürwahr; sie haben bis jetzt sich erhalten.
» Eine Scheibe nur fehlt, ich glaube, es war Herr Terhellen,
»Und zerknickt ist das Wappen des Bürgemeisters von Büren.«
»Böses Omen,« versetzte der Bürgemeister; »es blieb auch
»Ja kein männlicher Sproß von dieser alten Familie.
»Herrlich ist es fürwahr, den alten Zeiten ein Denkmal
»Zu bewahren, bei dem man wieder sich alles erinnert.
»Drum so lob ich auch mir die alten Familiengemälde,
»Fast beneid' ich Sie drum, Herr Bruder; jedoch sie gehören
»Einmal zur Dungen und müssen mit ihr auch leben und sterben

Jeder erhob sich nunmehr; es wurden die Bilder der Väter
Nach der Reihe beschaut und jegliches Tugend gepriesen,
Bei des Großvaters Bild verweilten sie alle am längsten,
Dem, vierjährig zur Zeit, das freundlich lächelnde Antlitz
Trefflich bildete einst des Malers glücklicher Pinsel.
Neben ihm spielte sein Hündchen; es wollte der muntere Knabe
Still dem Maler nicht sitzen, doch der fand Rat und versprach ihm,
Auch das Hündchen zu malen, da blieb er ruhig dem Künstler.
Gerne wollten die Mutter und Tanten Aehnlichkeit finden
Zwischen des Großvaters Bild und Melchior Holler, dem Kleinen.
Darauf besah man das alte Portrait, dem über der Türe
Schon seit undenklichen Zeiten der unbenommene Platz ward.
Zur Familie gehörte das Urbild; doch mehr wußte keiner
Von dem Manne, als daß er der alte Chyträus geheißen.
Dann verweilt man lang bei des Großvaters Großvaters Bildniß:
Melchior Schweling hieß dieser und war Bürgemeister in Bremen.
Größeren Kragen trug er, als jetzt der Herr Bürgemeister;
Drüber hingen die Locken des eigenen langen Haupthaars,
Und in die Rechte gab der Maler ihm eine Citrone.
Nunmehr wandte man sich zu Frau Bürgemeisterin Schweling,
Die an der anderen Seite des großen Spiegels sich zeigte.
Hier recensirten die Damen und machten manche Bemerkung
Ueber die kleine Figur und über das alte Costüme.
Das merkwürdigste war bei ihr das alte Gebetbuch,
In dem sammtenen Band mit echten Rubinen gezieret;
Noch war das Original vorhanden in der Familie,
Denn es hatten die Tanten es angekauft in der Erbschaft.
Ueber die andern Portraits ward viel noch geschwatzt und geraten;
Keiner wußte bestimmt der alten Bilder Bedeutung.
Zweifelhaft war es, ob auch der alte Mann und die Schöne
Mit dem kürzeren Arm recht zur Familie gehörten;
Weniger zweifelhaft, daß die Alte über dem Teetisch
Zu den Ahnen zu rechnen, und daß sie Klugkist geheißen.
Ueber der Seitentür hing ein kleines jähriges Knäbchen,
Wie Cupido gemalt, die Großmutter nannte es Meier;
Ihm gegenüber ein anderes Kind, ob Mädchen, ob Knabe,
Keiner wußte es recht, und keiner könnt es erraten,
Alles war schon verhüllt im dunkeln Nebel der Vorzeit.
»Eins doch fehlt uns noch hier,« bemerkte darauf die Tante:
»Daß von der Mutter uns nicht ein einziges Bildniß geblieben,
»Billig gehört es hieher, von ihr ja stammte die Dunge,
Und wie gern war sie hier, auf altem Familienbesitze.«

*

Sie unterbrach nun der Vater: »Wir müssen anjetzt in den Garten,«
Sprach er, »führen die Fremden; der Tau ist jetzt schon vom Grase.«
Also schritt er voran, bedeckt mit dem schirmenden Klapphut
Und den Stab in der Hand, den eisenbeschlagenen, den ihm
Einst ein Bauer gebracht, voran in den fruchtbaren Garten;
Erst in den kleinen, der hinter dem Hause sich südwärts erstreckte.
Zeigte den Fremden den Baum mit rötlich schimmernden Pfirschen,
Dann die stattliche Reihe der schönen Bamberger Zwetschen,
Und wie die herrlichste Ernte der Prager Apfelbaum darbot.
Auch der Birnbaum wurde, der prächtige, nicht übergangen.
Nun ging weiter der Zug zum roten Heck an dem Dornbusch,
Dann den mittelsten Pfad des großen Gartens hinunter.
Herrlich stand das Gemüse an beiden Seiten, besonders
Schön die türkischen Bohnen, es prüften die Tanten den Vorrat,
Der, in Tonnen verwahrt, bei Wintertagen zu Nutz kommt.
Darnach wurde ein wenig beim Sonnenzeiger verweilet.
Mitten prangt er im Garten, umgeben vom zierlichen Grasrund.
Dann gings weiter hinauf den Pfad, bei jeglichem Baume,
Der an Menge der Früchte, an Seltenheit oder an Güte
Irgend bemerkenswert, hielt der Vater, stand er ein Weilchen,
Prüfend den Segen des Jahres; es freuten sich mit ihm die Gäste.
Beiden Onkeln versprach er im Frühling Reiser zu schicken
Von der grünlichen Pflaume, die Reine-Claude mit Namen,
Und vom Jerusalemapfel, dem letzten am Ende des Gartens.
Etwas ging man noch weiter den Rasen hinauf nach der Ecke,
Die nach Sankt Magnus hinüber gewährt die freundliche Aussicht.
Lieblich erstrecken sich da die waldbewachsenen Hügel
Bis nach Vegesack hin, wo die Lesum fällt in die Weser.
Lange verweilte man hier, denn keiner konnte sich satt sehn.

*

»Aber es wird schon heiß, die Sonne brennt auf den Rücken;
»Gehn wir auch lieber zurück und setzen uns dann vor die Haustür
»Unter den Lindenbaum hin, da giebt es Schatten und Kühlung.«
Also ermahnte die Mutter anjetzt die ganze Gesellschaft.
Willig folgte man ihr; doch rief vor dem Hause der Vater
Wieder die Onkel zurück: »Noch eines hab ich vergessen,
»Und ein selt'nes Gewächs; mein Vetter Chatelain hat es
»Aus Amsterdam mir gesandt; hier steht es gleich bei den Erdbeern.
»Raten Sie wohl, was das ist? Es ist der echte Rhabarber.
»Zwei Jahr' läßt man ihn stehn und unberührt in der Erde,
»Kommt dann im dritten der Herbst, so wird er mit möglichster Vorsicht
»Ausgenommen, man schneidet die dicksten Wurzeln herunter;
»Schößlinge geben die kleinen und wachsen wieder drei Jahre.
»Will man gebrauchen davon, so werden langsam die Wurzeln
»An der Sonne gedörrt, hernach zu Pulver gerieben.
»Also hab' ich unlängst in Holland die Pflanze bereitet
»Und mit Nutzen davon gebraucht zu meiner Gesundheit.«

*

»Dürfte ich bitten, Frau Schwester,« sprach jetzt die Frau Bürgemeist'rin,
»Ließen Sie heute zeitig uns speisen, auf daß wir hernach uns
»Noch ein Stündchen erfreuten der schönen Wasserspazierfahrt?«
»Gern,« erwiderte ihr die Mutter, »man decket den Tisch schon,
»Auch die Speisen sind fertig; der Bratspieß knarrte schon lange
»Hinter dem Schirm; es wird im Augenblick alles bereit sein,
»Während wir speisen, soll Simon das Schiff gehörig bereiten.«

*

Bald darauf fragte die Mutter: ob's jetzo allen gefällig,
Sich zu Tische zu setzen; es sei die Tafel bereitet. –
Und es erhob vor der Tür sich dann die ganze Gesellschaft;
Alle eilten herbei, die Großen sowohl wie die Kleinen.
Stühle wurden gesetzt, und jeder nahm seinen Platz ein.
So ward geschlossen der Kreis ringsum die dampfende Tafel.

*

Das Familienmahl.

Als nun der Vater zuerst ein frommes Wörtchen gesprochen,
Dann nach gewohnter Weise vorlieb zu nehmen die Einen
Und um Entschuldigung drauf die Andern höflichst gebeten,
Freute sich jeder des Nachbars und sagte ihm freundliche Worte.

*

Jetzo nahm man den Deckel herab von beiden Terrinen,
Jeder wandte den Blick und schaute was wohl darin sei.
Drauf nahm die Mutter das Wort und fragte: welchem die Suppe
Etwa gefällig und welcher vielleicht die Buttermilch vorzieh'?
Von der ersten verlangte der Bürgemeister, der Vater,
Frau Bürgemeisterin auch und wohl noch einige andre, –
Aber die Uebrigen wählten vereint die zweite Terrine,
Forderten Buttermilch nur, als Hollers ächtere Kinder.
Milch war das Lieblingsgericht von je der ganzen Familie. –
Völlig ward auch geleert die reiche Fülle der Schüssel.
Aufgetragen ward nun, nachdem man reinliche Teller
Jeglichem Gaste gereicht, ein großer westphälischer Schinken;
Oben waren die Schwarten in Form eines zierlichen Sternes
Schon herunter geschnitten, der Platz dann mit Petersilie
Wieder symmetrisch belegt, und daß mit dem Fette die Hand sich
Nicht beim Zerschneiden beschmutze, so hatte die älteste Tante
Vorher von Postpapier schon dem Schinkenbeine Manschetten
Künstlich geschnitzt und gefaltet, – die Scheere zu führen verstand sie
Lange als Meisterin schon, zu vielfacher Freude der Kinder.
Mit dem Schinken zugleich erschien auch schönes Gemüse,
Junge Erbsen, am Morgen erst frisch gepflückt von den Beeten,
Zarter Blumenkohl auch, von dem der Vater aus England
Einst den Samen erhielt und dann ihn baute zur Dungen; –
Oben als Nebengericht dazu noch Frankfurter Bratwurst.
Unten ziert' eine Schüssel mit Gartenbohnen die Tafel,
Portulack neben denselben, den liebte vor allem der Vater,
Und damit es auch hier nicht fehle an Regel und Ordnung,
Correspondierten der Wurst die saftigsten Fleischfricandellen.
Aber es wollte der Vater, der an der Mitte der Tafel
Weislich den Platz sich gewählt, den Schinken nunmehr zerschneiden;
Doch das größere Messer, man braucht' es nur jährlich ein paarmal,
Blieb so stumpf wie vorher, trotz allen Versuchen des Schärfens.
Solches gewahrte Johann, dem einst vom Vater der Ruhm ward,
Daß er ein Messer zu schleifen wohl besser als andre verstände;
Dazu erbot er sich jetzt, und bald war der Fehler verbessert.
Als nun der Schinken verzehrt, kam an die Stelle desselben
Jetzt ein leck'res Gericht der fettesten Lesumer Aale;
Gestern hatte sie erst der wachsame Fischer gefangen,
Teils in Körben und teils mit Hülfe der täuschenden Angel.

*

Abgenommen ward dann ein jedes Gericht von der Tafel,
Reine Teller nicht nur, auch reine Messer gegeben,
Daß nicht der Aale Geschmack mit dem des Bratens sich mische.
Aufgetragen ward nun ein wohlgespickter Hase,
Den bei Schönebeck neulich der listige Jäger erlegte;
Oben bekam er den Platz, daß Onkel Pundsack ihn sähe,
Denn er liebte das Wild vor allen andern Gerichten;
Unten ihm gegenüber erschienen die fettesten Küchlein.
Auch das Lieblingsgericht von allen Kindern und Frauen,
Das man Citronenschaum nennt, ward jetzt in doppelten Schalen
Auf die Tafel gesetzt und in gleicher Weise auch Reismehl;
Ferner Birnen, die man gekocht mit Wein und mit Zucker,
Und, zur Freude des Onkels, die scharfen Azia-Gurken.
In die Mitte war zwar die Himbeertorte gestellt schon,
Aber als Schaugericht nur fürs erste bis zu dem Nachtisch.
Doch ward gegessen nicht bloß, es ward auch vernünftig gesprochen;
Ueber die Speisen zum Teil, zum Teil auch von anderen Sachen.

*

»Mich soll nur noch verlangen,« bemerkte jetzo der Vater,
»Was für ein Ende noch wohl die Assecuranzcompagnien
»Nehmen, ob es zuletzt nicht noch mit Schaden gepaart ist,
»Immer doch ist es ein Wagniß; Gelehrte tun wahrlich am klügsten,
»Bleiben sie weislich davon; man wollte zum Actiennehmen
»Mehr als einmal auch mich überreden, allein ich verbat mirs.
»Die da reich werden wollen, sie fall'n in Versuchung und Stricke.«

*

»Manche legen es gar von Anfang gleich auf Betrug an,
»Leihen von Jeglichem Geld und weigern hernach es zu zahlen.
»Schurken halten zusammen; dann kommt ein Andrer und flehet
»Unaufhörlich so lange, bis Creditoren erweicht sind.
»Wird der Accord nun gezeichnet, dann lacht der arge Betrüger,
»Schreibt wohl gar in sein Buch: ich hab, unter göttlichem Segen,
»Bei meinem letzten Bankrott zehntausend Taler gewonnen.
»Nicht so macht' es mein Bruder, der älteste, welcher nach Holland
»Schon in der Jugend geschickt, daselbst die Handlung erlernte.
»Wenig besaß er im Anfang, da nahm ein älterer Kaufmann
»Ihn in die Handlung mit auf zur Zeit des Actienschwindels.
»Nicht der Klügste war dieser und doch, wie die Dummen gewöhnlich,
»Welche dem Handel sich widmen, ein gar entschlossener Waghals; –
»Alles setzt er aufs Spiel, sein eignes großes Vermögen
»Und des Bruders dazu, als könnt' er nimmer verlieren.

*

»Als nun endlich sich zeigte, der Mississippi sei keiner
»Von den Flüssen, die durch das alte Schlaraffenland führen,
»Fehlte auch ihnen Credit und Vielen waren sie schuldig.
»Ein Accord ward gezeichnet zu fünfzig Prozent, und mein Bruder,
»Dem man die wenigste Schuld an diesem Unfalle zuschrieb,
»Trennte weislich sich nun von seinem Gefährten, es borgt' ihm
»Mancher im guten Vertraun auf seine Redlichkeit ferner.

*

»Klein begann er nun erst den Materialwaarenhandel,
»Und, wie er etwas gewann, in immer größerem Umfang.
»Elf Jahr' ging das so fort, im zwölften merkt' er, wie reichlich
»Ihn der Himmel nunmehr gesegnet mit zeitlichen Gütern;
»Da bereitete er in seinem Hause ein Gastmahl,
»Lud die Gläubiger ein, die großen, sowie die kleinen,
»Welche durch den Accord vor Zeiten so mild sich bewiesen.
»Alle sahen sich an und wußten nicht, was das bedeute.
»Doch wie sich jeder gesetzt nun an die herrliche Tafel
»Und nach vollbrachtem Gebet die Serviette zur Hand nahm,
»Fand er unter derselben das Capital und die Zinsen
»Dessen, was er verlor; es ward ihm alles erstattet.
»Staunen ergriff da die Gäste, sie priesen alle den Bruder,
»Aber der hörte nicht drauf, »die Schuldigkeit hab ich entrichtet«,
»Sprach er, »und kann jetzt vom Eigenen froh Euch bewirten.«

*

Unterdessen erschien auch endlich der köstliche Nachtisch,
Reich mit Gebackenem besetzt und mit erquickenden Früchten.
Außer der Himbeertorte, die in die Mitte gestellt war,
Lag in der oberen Schüssel ein Krullkuchen über dem anderen;
Unten gabs kleinere Kuchen mit Kardamomen gewürzet,
Aber in zahlreicher Menge erschien das frischeste Baumobst.
Glänzend lockten den Blick frühreifende rötliche Pflaumen,
Eben im Garten gepflückt und süß bis zum Rande des Steines.
Voll Margaretenbirn' stand daneben ein anderer Fruchtkorb;
Kirschen fanden sich auch von der späten spanischen Gattung
Und Orang'-Aprikosen, mit roten Tüpfeln gezieret, –
Aber das lockendste waren zwei Schüsseln mit schmelzenden Maulbeern.
Auch zum Butterbrot gab es der schmackhaften Beilagen viele;
Ochsenzungen, geschnitten in rötlichen Scheiben, und Mettwurst.
Scharfer Rettig und Salz und schöne rigische Butte,
Auch geräuchertes Fleisch bot die Schüssel, Sardellen,
Frische Dungner Butter und fette Butter aus Holland.
Nebst holländischem Käse von ganz vorzüglicher Güte.
Beides schenkten dem Vater alljährlich die Schwäger in Holland,
Ihnen sandt er dafür ein Tönnchen mit herrlichem Franzwein.
Reichlich genossen die Kinder der Früchte; doch jetzo vermochten
Sie auch länger nicht mehr an einem Platz zu verweilen.
Bittend fragten sie drum die Mutter, ob's ihnen erlaubt sei,
Jetzo den Tisch zu verlassen und wieder den Garten zu suchen.
Diese vergönnte es gern, mit beigefügter Ermahnung,
Ja nicht im Hause zu lärmen, auf daß nicht vielleicht das Gesinde
Aufgehoben die Tafel schon glaube und eilend sich selber
Auch das Essen verkürze, damit es zum Dienste bereit sei.
In der kleineren Stube war nämlich die Tafel bereitet
Für den Kutscher des Marstalls und auch den anderen Kutscher,
Nebst dem Diener des Herrn Bürgemeisters in rötlicher Kleidung.
Dieser hatte vorher mit aufgewartet, doch als man
Aufgetragen den Nachtisch, begab er sich auch zu den Andern.
Gerd, der Hofmeier, speis'te mit diesen und hielt im Gespräch sie.
Viel erzählt' er den Leuten vom siebenjährigen Kriege;
Wie die Franzosen allda zur Dungen lustig gehauset,
Ihre Feinde geneckt am andern Ufer der Lesum;
Wie auch über den Fluß die trunk'nen Vorposten einmal
Auf einander gefeuert und ein Franzose geblieben,
Den am andern Tag zur Dungen man stattlich begraben.
Wie sie zur schleunigen Flucht der Herzog Ferdinand endlich
Eines Tages gebracht, und wie sie ihn damals gezwungen
Ihre Bagage zu fahren in einem Tage bis Achim.
Dafür erzählten dann auch die Diener des Herrn Bürgemeister
Von den Reisen, auf denen sie ihn schon mehrmals begleitet:
Viel von Cassel, wo auf dem Weißensteine der Landgraf
Herrliche Anlagen mache, und viel von der Messe zu Frankfurt;
Welch ein zahlloses Heer von Juden in enger Behausung
Sich das Leben dort friste, und was da alles zu sehn sei.
Solches erzählten sie sich einander bei fröhlicher Tafel.

*

Aber nun ward auch ein Ende der Freuden des herrlichen Mahles,
Und in jeglichem Zimmer, der Diener sowie der Herrschaft,
Löste der Zirkel sich schnell; es folgte ein buntes Gewimmel
Auf der Diele, wo Jung' und Alte fröhlich sich mischten.

*

Nachmittagsfreuden.

Nun kam der Vater herbei und hatte die Pfeife geendigt,
Die er gewöhnlich nach Tische sich anzuzünden nicht säumte.
»Wollen die Freunde anjetzt,« so sprach er, »eine Spazierfahrt
»Auf der Lesum beginnen? es ist schon alles bereitet;
»Mir erlauben Sie wohl, daß ich ein Stündchen der Ruhe
»Pflege, wie es mein Alter erfordert; und auch die Gewohnheit.
»Meine Liebste hat auch zu Hause manches zu schaffen.
»Aber die Tanten begleiten dahin die werte Gesellschaft.«
Sprachs, und es folgten dem Rate die Uebrigen alle, vereinten
Vor der Türe sich bald; der Zug ging langsam dann vorwärts.
Borcherd und Daniel Borcherd und Daniel waren die Hofmeierssöhne. trugen voran die hölzernen Ruder,
Simon mit ihnen, er hatte das Steuer auf sich geladen. –
Erst gings über den Damm, dann unter den schattigen Eschen,
Rechts auf dem Deiche, bis hin zum Sielgraben, der in die Lesum
Frühlings das Feldwasser leitet, das auf den Wiesen sich sammelt.
Hier lag gewöhnlich das Schifflein, doch diesmal hatte die Ebbe
Ausgetrocknet den Graben; man mußte über die Wiese
Etwas weiter noch gehen, bis dicht an das Ufer der Lesum.
Als man das Steuer nunmehr, wie sichs gebührte, befestigt,
Trugen die Knaben die Ruder an Bord und eilten nach Hause.
Onkel Holler stieg nun zuerst mit dem Herrn Bürgemeister
In die Spitze des Boots, sie reichten den Damen die Hände;
Simon hob auch die Kinder herein mit möglichster Vorsicht.
Alle setzten sich nun; die Ruder führte der Großknecht,
Umzugehn mit dem Steuer verstand die älteste Tante, –
Von ihr lernt' es Johann und stand ihr deswegen zur Seite.
Rasch ging vorwärts das Boot, von Strom und Rudern gefördert.
Westwärts blickte ein jeder und freute sich über den Anblick
Jetzt des herrlichen Dorfs, das von der Spitze des Kirchturms
Bis zu dem Wasser herab, sich wie ein Amphitheater
Auf dem Hügel erhebt, rings um den Busen der Lesum, –
Jetzt der fleißigen Fischer, die an dem Ufer des Flusses
Aufgehängt ihre Netze an Weidenbäume und sorgsam
Flickten jegliche Oeffnung, damit kein Fischlein entschlüpfe.
Weiter ging nun die Fahrt am Fuß der grünenden Hügel;
Kühe weideten hier, mit klingenden Schellen behangen,
Eben trieb sie der Hirt zur sprudelnden Quelle des Tales.
»Ja,« bemerkte Ohm Pundsack, »ich lobe mir freilich mein Borgfeld; –
»Aber die Ufer der Wümme und auch die Ufer der Weser,
»Nimmt man von Nienburg sie bis hin zur schäumenden Nordsee,
»Keiner vergleiche sie mit den lieblichen Lesumer Ufern!«

*

Vor der Haustüre standen die Mutter schon und der Vater,
Freundlich empfingen sie hier die wiederkehrenden Gäste.
Schon war im Zimmer der Kaffee bereit; es fand ihn ein jeder
Herrlich erquickend, denn kalt war auf dem Wasser die Rückfahrt,
Und es neigte bereits der Tag sich; auch sprach man vom Abschied,
Daß auch zu spät es nicht werde für Simon, welcher noch Abends
Nach der Dunge zurück zu bringen hatte die Pferde.
Aber es hielt sie die Mutter ein Weilchen noch mit den Worten:
»Wahrlich, es wäre doch nicht erlaubt, von der Dunge zu weichen,
»Eh' man geronnene Milch mit Brot und Zucker genossen.
»Alte Sitte ist das, die laß ich durchaus mir nicht nehmen.«
»Recht,« antwortete ihr der Onkel Holler: »ich denke,
»Machen die Damen sich jetzt im Zimmer zum Weggehn fertig,
»Speisen wir dann vor der Tür noch unter der schattigen Linde
»Schnell die köstliche Milch, und mittlerweile bespannt auch
»Jeglicher Kutscher den Wagen, dann nehmen wir dankbaren Abschied.«
Also der Onkel. Es folgte dem Rate die ganze Gesellschaft.
Und wie die Männer nun schnell, die Frauen bedächtig und langsam
Alles in Ordnung gebracht, gesellte sich unter der Linde
Einmal der fröhliche Zirkel noch um den reinlichen Teetisch,
Und es erfreute sich jeder des fetten herrlichen Milchrahms.
Schon kam der Abend heran; es schnatterten ferne die Enten,
Auch das Glockengeläut zur Feierstunde ertönte
Jetzt vom Zimmerplatz her, und summende Mücken umschwärmten
Die bezuckerte Milch; die Schwalben kehrten nach Hause.
Da rief den Kutschern der Onkel; sie nahmen das blanke Geräte,
Jeder das eigene herab vom hölzernen Nagel der Hauswand.
Wohlgefüttert erschienen die Pferde; in wenig Minuten
Waren die Wagen bespannt; da hob sich jeder vom Sitze.
Vater und Mutter und Tanten und auch die Cousin' und die Kinder
Wurden von jedem umarmt, und jeglicher dankte von Herzen
Für den herrlichen Tag und für die genossenen Freuden.
Alle bestiegen dann schnell die vorgefahrenen Chaisen,
Grüßten noch einmal heraus, und vorwärts trabten die Pferde.

*

Da rief plötzlich Johann: »O, Borcherd und Daniel, kommt nun,
»Daß wir ehrenvoll noch mit knallenden Schüssen den Fremden
»Geben den Gruß auf den Weg; denn wahrlich, ich habe umsonst doch
»Nicht die Fregatte gebaut mit vierundvierzig Kanonen!«
Eilends folgten die Knaben und warfen; – es prallten die Steine
Hallend wieder zurück von der erschütterten Stalltür.
Rückblickend sahens die Fremden, und herzlich lachten sie Alle.
Einen Augenblick weilten die Uebrigen noch vor der Türe, –
Bis die Wagen den Damm nun nach einander verließen,
Dann um die Ecke sich schwenkten – auf daß sie da, wo die Lücke
Zwischen den Bäumen sich dehnt, den letzten Scheidegruß endlich
Gäben und nähmen zugleich mit flatternd wehendem Schnupftuch.

*


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