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III.

Unser Großvater hat sich selbst und sein Schwesterchen ganz reizend, mit frischer Natürlichkeit gezeichnet, den stelzenden und manchmal stolpernden Hexametern seiner Idylle zum Trotz. Vossisches Behagen liegt über der sonnigen Dichtung, der jedoch das erotische Element fehlt. Dafür ist es ein lustiges Miteinanderleben und -freuen von Jung und Alt, Herren und Knecht auf dem Hintergrunde der fruchtbar segnenden Natur und des Hausfrauenfleißes. Wenn wir's lesen, sind wir gleich dabei: der gastliche Tisch biegt sich auch für unsern Appetit, und durch den würzigen Speisenschwaden schauen die Ahnenbilder auf gemessenen Ernst und fröhliche Späßchen, auf Zeitgespräche und Kindergeplauder.

Fast achtzig Jahre später haben wir Johanns und Trinchens lichte Jugend zur Dunge treulich nachgelebt, und können uns nur zu gut vorstellen, wie damals in der alten Zeit diese Dungener Wochen dem Knaben Johann Smidt das Lernen und Stubensitzen im Bremer Pastorenhause verklärten, Jahr für Jahr. Jedenfalls haben sie die Grundlinien gezeichnet, nach denen des Knaben und des Mannes Lebensbau und -ausgestaltung wunderbar glücklich gerieten. Heitere Zufriedenheit leuchtete über dem starken Gefüge stolzer Bürgertugend; die Kämmerchen und Kabüffchen, darin allerlei liebenswürdige Originalität hauste, paßten sich dem Bauwerk an und ein, ohne ihm seine großen Züge zu verderben; – Recht und Wahrhaftigkeit waren die Hüter des Tores. –

*

Vorläufig galt Johann für einen ungewöhnlich begabten kleinen Jungen. Fünfjährig las er ohne Stocken, schrieb die ersten Sätze und rechnete sein Einmaleins am Schnürchen. Knapp neunjährig saß er bereits zwischen Latein und Französisch, und steckte das Näschen in den »Télémaque«. Zwölfjährig erhielt er ohne weiteres das Reifezeugnis für die Sekunda des Pädagogiums, und die Hausbelehrung durch des alten Vaters jeweilige Amtshelfer machte der öffentlichen Schule Platz. Seine Lern- und Spielkameraden gehörten ehrwürdigen und ehrenwerten Bremer Geschlechtern an, wie er selbst: Deneken, Warneken, Iken. Ein ausgeprägtes Standesbewußtsein herrschte damals in unserer Stadt und band und schied die einzelnen, fest in sich geschlossenen Verkehrskreise viel schroffer, als jetzt in den Tagen allgemeiner Freizügigkeit nach jeglicher Richtung hin, und in jeglichem Sinne.

Des Knaben still abgeschlossenes Elternhaus erlaubte weder Besuchsgepolter treppauf und treppab, noch lärmende Spiele, allein die lebensfrischen Jungens in den schönsten Flegeljahren und doch voll schwellenden Bildungstriebes, wußten sich andere Freuden zu schaffen. Sie gründeten eine Briefgesellschaft unter sich, und beflissen sich überraschender Wendungen und drolliger Gleichnisse; Johann Smidt ward von Engelbert Warneken feierlich zur Schlachtung eines Ochsen eingeladen, Cord Iken erbat sich Maulbeerblätter für seine Seidenwürmer aus dem Smidtschen Garten, und sandte zum Dank ein junges Hähnchen »von recht naseweiser Krähe-Art«. An die Briefgesellschaft, die Johann mit Feuereifer förderte, schlossen die Zwölf- und Dreizehnjährigen einen Dichterbund, weil »Gullivers Reisen« und »Robinson Crusoé« ihre Fantasie entfesselten und die Hagedornschen und Gleimschen Poesien sie heftig anspornten. Selbsterfundene Geschichtchen und Märchen, altklug naive Parabeln und Gedichte machen die Runde. Die Muse des strebsamen Bundes war Johanns anmutige Cousine Geschmagrete de Hase, in der vollen Blüte ihrer einundzwanzig Lenze. Die galantesten Billets flogen ihr zu; Rätsel und Scharaden bedrängten sie, und der Dichterbund entzückte sich am Kopfzerbrechen seiner Halbgöttin, ob dieses dunklen Sinnes und jener verzwickten Lösung. Schließlich ward sie sogar mit einer mühsam erdachten Chiffrenschrift geprüft, und die Erfinder bestanden darauf, daß Mamsell Geschmagretchen sie auch fleißig erlerne und übe.

Dies alles sah und hörte sich an wie kindisches Treiben; es hatte jedoch seinen Zweck und Nutzen: es schulte und schärfte die jungen Geister früh und hielt sie von Roheit und Leichtsinn zurück, ohne kleine Spießbürger aus ihnen zu machen.

Für Johann aber war alles dieses nur ein Notbehelf, so eifrig er dem Bunde anhing. Der Freiheitsdrang lag zu tief in sein Wesen eingesenkt und trieb mächtig gegen die winterliche Erdkruste. Die Dunge! die Dunge! da wohnte ihm die Freiheit im goldnen Sommerkleide! Hof und Garten; die große Viehdiele des Vorderhauses, wo die Hühner in den leeren Ständen der Weidekühe gackerten und die Schwalben aus und ein flitzten, der umschilfte Wiedbusch und die umfriedigten Kämpe mit den drei galoppierenden Fohlen: – das Glück des Knaben war dort daheim: Zur Dunge mischte sich der vorherrschende Smidtsgeist – der des Eigentümers – mit dem Hollerschen: seinen älteren Erinnerungen und Anschauungen, wenn die Mutter mit ihren beiden Schwestern im Vorelternreiche schaltete und waltete; holländische Elemente von bremischen durchsetzt.

Draußen schwelgte der alte Pastor und Hausvater in seiner größten Liebhaberei, dem innigen Verkehr mit der Natur. Nicht nur, daß er seine behaglichen Sommerferien hielt; – schon vorher, im Frühjahr, pflegte er, zur Zeit des Saftens, sich auf zwei oder drei Tage zwischen den Sonntagen frei zu machen und einsam hinaus zu pilgern, um selbst zu säen, zu pflanzen und Baum und Strauch zu beschneiden. Ebenso im Herbst zur letzten Ernte; zum Schlafenlegen seiner Harlemer Blumenzwiebeln, und zum Eindecken der Nelken und Rosen. Dann nahm er gern sein »Jantje« zum Helfen mit und legte den Keim zur gleichen Natur- und Blumenliebe in das empfängliche Knabengemüt.

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Mir ist's, als ob ich unsern Großvater, den hohen Siebziger, wieder händereibend vor seinen geliebten Ranunkeln und Nelken am runden Beet stehen sähe, und vor den flammenden Papageientulpen –: den Gegenständen meiner heftigsten Kindheitsversuchungen in der österlichen Zeit. Dann höre ich auch, im weißdornbeschatteten Höfchen hinterm Traubenhause, den cholerischen kleinen Pollhahn krähen, morgens, wenn der Tau noch lag.

*

Aus den Dungener Spätherbsttagen stammt auch das treumalende Gedichtchen, das mein lieber Vater uns Kindern damals, bald nach Großvaters Tode, vorlas, um meinem, bereits wildwuchernden Reimgefasel ein wohltuendes Wirklichkeitsgepräge aufzupfropfen. Es ging so:

Auf den herannahenden Winter.

Der Herbst ist schon beynah vergangen,
Der Winter hat schon angefangen,
Es regnet und es schneet.
Die Säfte ziehen in der Erden,
Es will kein besser Wetter werden,
Weil der Wind beständig weht.

Das Vieh steht schon im Wasser
Und wird noch täglich nasser,
Sie brüllen und sie schreyn.
Sie brülln und schreyn um Futter,
Und nun kommt die besorgte Mutter
Und führet sie zum Stalle ein.

Man geht nicht mehr aufs freye Feld,
Denn daselbst ist es schlecht bestellt,
Weil man den Weg verliert.
Man kriecht viel lieber in seyn Bett,
Man läuft auch jetzt wohl in die Wett',
Damit man nicht erfriert.

*

So eng verwoben war Johanns Lebensglück mit dem Dungener Jugendparadiese, daß er seiner einzigen Schwester und Kindheitsgefährtin kein schöneres Erinnerungsgeschenk in ihre junge Ehe mitzugeben wußte als seine »Idylle«, den poetischen Rückblick auf den sonnigen »Familientag zur Dungen«.

*

Unter freundlichen Sternen ward aus dem Knaben der Jüngling. –

*


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