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Neuntes Kapitel

Die kurzsichtige, ältliche Bürovorsteherin des Herrn Erich Labwein meldete am nächsten Tage mit ihrem dünnen Stimmchen die Ankunft des Herrn Heinrich Rotmüller, und Direktor Labwein begrüßte den ehemaligen Knopffabrikanten aus Elberfeld mit der Herzlichkeit, mit der man alte, liebe Bekannte begrüßte.

»Treten Sie ein und machen Sie es sich bequem, mein lieber Herr Rotmüller,« sagte er. »Ich bin jetzt für niemand zu sprechen,« instruierte er die Vorsteherin seines Büros. »Sagen Sie, ich wäre auf der Börse.«

Er schloß die Türe, die nach dem vorderen Zimmer führte und nötigte Dorival in einen Sessel.

»Nun – wie gefällt es Ihnen in Berlin?«

Direktor Labwein wollte es sich nicht anmerken lassen, wie er darauf brannte, aus dem Munde seines Besuchers zu hören, ob sein Vorschlag angenommen worden war. Er hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und kritzelte schnell einen gleichgültigen Brief herunter. Der Knopffabrikant aus Elberfeld sollte wissen, daß es für ihn noch wichtigere Geschäfte zu erledigen gab, als die Beschaffung eines Konsultitel.

»Wie haben Sie den gestrigen Abend zugebracht? Gut amüsiert?«

Er wartete keine Antwort ab, sondern fügte hinzu: »Entschuldigen Sie, Herr Rotmüller, daß ich erst diesen Brief fertig schreibe. Sehr wichtig. Ein Geschäft mit unserer Regierung. Ich stehe gleich zur Verfügung.«

»Lassen Sie sich nicht stören!«

Dorival schlug die Beine übereinander, zog seine Zigarettendose hervor und zündete sich eine Zigarette an. Die geöffnete Dose ließ er auf dem Tisch liegen. Das Abteil, in dem sich die diskret besorgten Opiumzigaretten befanden, war dem anderen Sessel zugewandt – dem Sessel, in den sich nachher Labwein setzen würde. Lächelnd, wie in angenehme Erinnerung versunken, sagte Dorival:

»Tolles Nest, dieses Berlin. Ich glaube, ich werde mich hier bald einleben.«

»Haben Sie ganz recht,« bestätigte Labwein, immer noch mit dem Schreiben beschäftigt. »Man kann hier das Leben genießen. Natürlich muß man jemand haben, der den Fremdling einführt. Ich stehe in dieser Beziehung gern zu Diensten. Wo wohnen Sie hier eigentlich?«

Dorival nannte das Hotel am Potsdamer Platz.

»Sehr geräuschvoll,« kritisierte Labwein. »Ich könnte dort nicht schlafen. Allerdings, Ihr Herren aus der Provinz kommt ja nicht nach Berlin, um zu schlafen. So. Ich bin fertig.«

Er zog den Rollverschluß seines Schreibtisches zu, erhob sich und setzte sich ganz so, wie Dorival es gehofft hatte, in den anderen Sessel.

»Nun, wie ist's? Wollen Sie Generalkonsul von Costalinda werden? Wollen Sie den Großstern der Ehrenlegion haben?«

Herr Rotmüller aus Elberfeld rieb sich verlegen die Knie.

»Ich will schon,« sagte er, »aber der Preis ist doch sehr hoch. Ließe sich die Sache nicht etwas billiger machen?«

Er mußte die Unterhaltung etwas in die Länge ziehen, den Widerspruch seines temperamentvollen Gegners wecken. Er hatte schon gestern beobachtet, daß Labwein, wenn er sich aufregte, zu den Zigaretten griff.

»Aber Herr Rotmüller, wo denken Sie hin? Ueber den Preis waren wir uns doch schon einig. Darüber dürfen wir kein Wort mehr verlieren.« Er kalkulierte, daß ein Mann, wie dieser ehrgeizige Herr Rotmüller, nur einen Fühler ausstreckte, um zu sehen, ob er billiger wegkommen könne. Er dachte aber gar nicht daran, diesem Dummkopf gegenüber seine Forderung zu ermäßigen.

»Wenn ich nun 120 000 Mark bezahle, bar bezahle,« entgegnete Herr Rotmüller, »würden Sie das Geschäft machen oder nicht? Ja oder nein?«

Direktor Labwein zuckte nervös zusammen.

Es war nicht seine Art mit einem Ja oder Nein eine Sache von Wichtigkeit zu erledigen. Er wurde ärgerlich, wenn jemand ein solches Verlangen an ihn stellte.

Er schüttelte mißbilligend den Kopf, rang verzweifelt die Hände und – griff in die Zigarettendose Dorivals.

Er nahm eine der Opiumzigaretten!

»Sie verkennen ganz die Lage der Sache, mein lieber Herr Rotmüller! Sie tun ja gerade, als ob ich das Geld bekäme. In meiner Tasche bleiben noch nicht fünf Prozent. Was weiß ich? Vielleicht muß ich alles herausrücken. Dann habe ich weiter nichts von der Sache als die Ehre, aus Ihnen einen Generalkonsul gemacht zu haben, einen Ritter der Ehrenlegion. Unter uns – ich rechne auf Ihre unbedingte Verschwiegenheit – weniger als 100 000 Mark darf ich meinem Freund Alvarez nicht anbieten. Ich würde meinen ganzen Einfluß bei ihm aufs Spiel setzen, käme ich ihm mit weniger. Und Minister Ignacio de Albuquerque, der Kommandeur der Ehrenlegion, ist auch nicht blöde im Fordern. Der Mann ist so durchtrieben, daß man aus ihm bequem zwei Pferdehändler machen könnte. Was ich dem von den 50 000 Mark, die verbleiben, abhandle, ist mein Verdienst, mehr nicht. So wahr ich Ihnen hier als Ehrenmann gegenübersitze.«

Er strich sich ein Streichholz an und zündete die Zigarette an, die leise knisterte, als sie in Brand gesetzt wurde.

Dorival ließ dem lebhaften Mann keine Zeit –

»Dann kostet mich der Orden also glatt 50 000 Mark? Nee, auf den will ich verzichten!«

Direktor Labwein fuhr auf.

»Wie kommen Sie auf die Vermutung?« rief er lebhaft. »Wollen Sie den Minister zum Gegner haben? Er ist Ihr Vorgesetzter, wenn Sie Generalkonsul sind. Er kann Sie absetzen, wenn Sie ihn nicht auf Ihrer Seite haben. Verscherzen Sie sich doch nicht den Einfluß auf die Regierung, den ich Ihnen verschaffen will. Das Generalkonsulat läßt sich vom Orden nicht trennen. Wie würde das aussehen, ein Generalkonsul und kein Orden! Sie kommen in eine Gesellschaft. Sie tragen einen Frack. Man wird Sie nicht unterscheiden können von einem Kellner, wenn Sie nicht einen Orden haben! Nehmen Sie Vernunft an, Herr Rotmüller!«

Er hatte schnell gesprochen. Jetzt machte er eine kleine Pause und stärkte sich durch einige Züge an der Zigarette.

»Wenn ich Ihnen nun das Geld einzahle, und es wird nichts aus der Sache?«

»Haben Sie nicht meine Garantie, Herr Rotmüller? Entweder, Sie haben in drei Monaten das Konsulat und den Orden, oder ich gebe Ihnen das Geld auf Heller und Pfennig zurück. Was – wollen Sie – mehr?«

Er hatte wieder und wieder geraucht. Die letzten Worte kamen nur noch lallend hervor. Sein Kopf senkte sich nach vorn. Die Augenlider schlossen sich, trotzdem er gegen die über ihn kommende Müdigkeit anzukämpfen suchte.

»Was – wo – ollen – Sie –«

Er wollte den letzten Satz noch einmal wiederholen, brachte ihn aber nicht zu Ende. Fahle Blässe kroch über sein Gesicht, dann sank er kraftlos zusammen. Das Opium hatte seine Wirkung getan. Schneller als Dorival erwartet hatte. Der kleine, nervöse Mann schien dem Gift besonders wenig Widerstand entgegensetzen zu können.

Dorival wagte nicht, sich von seinem Platz zu rühren.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den kleinen Mann an, der wie leblos dalag.

Kalter Angstschweiß trat ihm auf die Stirn.

In diesem Augenblick hörte er draußen die Tür gehen. Eine tiefe Männerstimme erkundigte sich nach dem Direktor Labwein. Die Antwort des kurzsichtigen Fräuleins konnte er nicht verstehen, aber er hörte, daß der Mann sagte, er werde warten.

Das Fräulein konnte jeden Augenblick eintreten, um den Besuch des Mannes anzumelden. Er mußte schnell handeln.

Er sprang auf. Nur jetzt keine Schwäche!

Er nahm Labwein die noch glimmende Zigarette aus der Hand, löschte ihr Feuer und legte sie in seine Zigarettendose. Diese steckte er zu sich. Er hatte sich das alles schon vorher überlegt. Man sollte nicht sofort wissen, wodurch Labwein betäubt worden war.

Dann knöpfte er dem Schlafenden hastig Rock und Weste auf. In der inneren Tasche der Weste steckte eine lederne Brieftasche. In ihr vermutete Dorival das Dokument. Den Inhalt der Brieftasche nachzuprüfen, dazu hatte er jetzt keine Zeit. Er mußte darauf bedacht sein, sich in Sicherheit zu bringen. Jeder Augenblick des Zögerns könnte verhängnisvoll werden. Er hörte, wie draußen der Mann mit der tiefen Stimme sich mit dem Fräulein unterhielt. Der Mann wurde ungeduldig. Er behauptete, er hätte nur fünf Minuten mit Labwein zu sprechen, und drängte das Fräulein, ihn anzumelden.

Dorival steckte die Brieftasche zu sich, schlüpfte in seinen Mantel, griff nach seinem Hut und wollte das Zimmer verlassen. In diesem Augenblick fiel Labwein vom Sessel und glitt zu Boden.

Es widerstrebte Dorival, den Mann so liegen zu lassen. Er hob ihn auf und drückte ihn wieder in den Sessel. Dann eilte er in das Vorderzimmer.

»Liebes Fräulein,« sagte er zu der Bürovorsteherin, »gehen Sie einmal hinein zu Direktor Labwein. Er verlangt nach Ihnen. Ich glaube, er fühlt sich nicht wohl.«

Dicht an der Türe, die zum Korridor führte, saß ein großer, breitschultriger Mann, dessen Kleidung und blonder Vollbart auf einen Gutsbesitzer schließen ließ. Er hatte die Worte Dorivals gehört. Er stand auf und fragte interessiert: »Was, Labwein ist nicht wohl? Da muß ich doch auch mal nach ihm sehen.« Er ging durch die Pforte in dem Zahltisch nach der Tür, die zu dem Zimmer Labweins führte.

Dorival aber war mit einem Satz bei der Ausgangstüre, zog den Schlüssel, der innen im Schloß steckte, heraus, öffnete die Tür, trat auf den Korridor, schloß die Tür hinter sich ab und steckte den Schlüssel ein. So, nun war er zunächst vor einer Verfolgung sicher.

In diesem Augenblick hörte er das Fräulein laute Schreie ausstoßen.

Er stieg die drei knarrenden Holzstiegen rasch hinab. Auf der Straße schlug er eine schnelle Gangart ein. Bald war er in die Friedrichstraße eingebogen, wo er sich in den Strom der Fußgänger mischte, der sich ohne Unterbrechung auf beiden Bürgersteigen dahinwälzte.

Hier fühlte er sich sicher.

Er ließ sich von der Menschenmenge bis an die Weidendammer Brücke treiben, schlenderte am Schiffbauerdamm entlang, benutzte einen günstigen Augenblick und warf den Schlüssel der Bürotüre in die Spree. Dann winkte er einem vorüberfahrenden Auto, stieg ein und ließ sich nach seinem Hotel fahren. Als das Auto die Friedrichstraße hinauffuhr und die Jägerstraße überquerte, warf er durch die Fensterscheibe des Wagens einen Blick auf das Haus, das er soeben verlassen hatte. Vor der Türe des Hauses drängte sich eine dichte Menschenmenge.

Im Hotel bezahlte er seine Rechnung und stieg mit seinem Gepäck in das Automobil, das er hatte warten lassen.

Dann ließ er sich nach dem Bahnhof Friedrichstraße fahren.

Vom Bahnhof Friedrichstraße fuhr er mit der Stadtbahn nach dem Bahnhof Charlottenburg. Dort nahm er sich ein Automobil, das ihn nach seiner Wohnung brachte.

Er klingelte an der Vortür, und Galdino öffnete ihm.

»Der gnädige Herr schon zurück?« staunte er.

»Ja, ich habe meine Angelegenheit rascher erledigt, als ich dachte.«

Der Diener trug das Gepäck in das Schlafzimmer und erkundigte sich dann nach weiteren Befehlen.

»Warten!« sagte Dorival.

Er hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und schrieb einen kurzen Brief:

»Gnädiges Fräulein! Die Notwendigkeit einer wichtigen Mitteilung veranlaßt mich, Sie zu bitten, morgen um 11 Uhr in dem Café zu sein, in dem wir unsere letzte Unterredung hatten.

In Ergebenheit
Ihr getreuer Diener.«

Er steckte den Brief in einen Umschlag, adressierte diesen an Ruth Rosenberg und gab ihn Galdino mit der Weisung, ihn sofort in den nächsten Briefkasten zu werfen.

»Und dann, mein Sohn, wachst du darüber, daß ich durch nichts gestört werde!« instruierte er weiter. »Ich bin müde. Ich will schlafen.«

Dorival atmete auf, als er sich wieder in seinem Schlafzimmer sah. Das Abenteuer, in das er sich gestürzt hatte, war überstanden. Sein Plan war gelungen. Er hatte ohne fremde Hilfe den Brief an sich gebracht.

Der Brief!

Wo war der Brief? Er trat ans Fenster und öffnete die Brieftasche. Ein heilloser Schreck überkam ihn. Die eine Hälfte der Tasche war angefüllt mit Banknoten. Zum Teufel, das war ja eine scheußliche Geschichte! Er hatte einem Manne einen Brief wegnehmen wollen, dem dieser Brief nicht gehörte, und der mit dem Brief Unfug anrichten wollte. Aber er hatte doch kein Geld stehlen wollen! Unruhe kam über ihn. Was sollte daraus werden?

Er verschob die Beantwortung dieser Frage.

Wo war der Brief?

Er öffnete die anderen Fächer der Tasche. Es kamen einige Wechsel zum Vorschein, Offizierwechsel, Kavalierwechsel, einige Ehrenscheine, einige Bürgschaften, lauter Sachen, die auf die Geschäfte des Bankiers Erich Labwein kein günstiges Licht warfen, die aber für Dorival ganz ohne Interesse waren.

Er fand keinen Brief!

»Reizend!« sagte Dorival. »Da bist du also umsonst zum Spitzbuben geworden, mein Lieber!«

Er legte die Brieftasche in die Schublade seines Nachttisches, zog Rock und Weste aus und warf sich halb angekleidet aufs Bett. Nach den Aufregungen der letzten vierundzwanzig Stunden verlangten seine Nerven nach Ruhe. Er schloß beide Augen. Er wollte sich zwingen, an nichts zu denken. Auf einmal sprang er auf.

Ein neuer furchtbarer Gedanke war ihm gekommen. Für seine Tat würde man – den anderen verantwortlich machen! Emil Schnepfe! In die Anklageakten gegen Emil Schnepfe, die im Geschäftszimmer des Kriminalkommissars Fehlhauer lagen, würde ein neuer, schwerer Fall eingetragen werden! Ein Fall, der dem Schnepfe ein paar Jahre Zuchthaus einbringen mußte! Und die würde er unschuldig verbüßen!

»Gräßlich!« murmelte Dorival.

Der Schaden mußte möglichst wieder gut gemacht werden. Durch Geld vielleicht.

Vor allem aber mußte er noch heute die Brieftasche und ihren Inhalt an Labwein zurücksenden.

Es schien ihm richtig, festzustellen, wieviel Geld in der Brieftasche war, überhaupt ein Verzeichnis anzulegen.

Er holte die Brieftasche hervor, setzte sich auf das Schlafsofa und zählte neben sich das Geld auf. Es waren zwölftausenddreihundert Mark. Dann machte er von den anderen Papieren eine Aufstellung.

Nun hielt er die leere Brieftasche in der Hand. Er drehte sie hin und her. Es war kein weiteres Fach in ihr zu entdecken. Aber, als er sie befühlte, bemerkte er, daß die schwarze Lederumhüllung ungleich stark war. In der Hälfte, die sich dicker anfühlte, als die andere, knisterte etwas. Er betrachtete die Brieftasche genauer und fand, daß die äußere Hülle eine doppelte war. Zwischen diesen beiden Hüllen hatte sich früher ein Fach befunden, das sich über die ganze Breite der Tasche erstreckte. Mit schwarzem Zwirn war nachträglich dies Fach am oberen Rand der Tasche zugenäht worden.

Dorival trennte mit seinem Taschenmesser die Naht auf und zog zwischen den beiden Hüllen einen Brief hervor.

Es war der Brief, den er gesucht hatte.

Er betrachtete den Brief genauer. Die Adresse auf dem blauen Umschlag lautete: Herrn Werner Meßner, in Firma Rosenberg & Meßner. Meßner war der Mann, der von den Horden des Alvarez ermordet worden war. Er hatte diesen Brief nie zu sehen bekommen.

Dorival zog das Schreiben aus dem Umschlag. Das war also die Schrift des Konsuls Rosenberg. Der Mann schrieb fest und klar. Nach einigen kurzen Bemerkungen über geschäftliche Dinge hatte Rosenberg an seinen Teilhaber geschrieben:

»Beunruhigt bin ich über die Nachricht, daß Alvarez wieder das Land mit seiner Räuberbande ausraubt. Er ist der gefährlichste von den zahlreichen Banditen, die unter dem Vorgeben, für die Rechte des Volkes zu kämpfen, nur bestrebt sind, die eigenen Taschen zu füllen. Hoffentlich trifft ihn bald das Los, das er verdient. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir schon in Ihrem nächsten Schreiben berichten könnten, daß dieser gewissenlose Gauner an einer Telegraphenstange aufgehängt worden ist. Es ist eine Schande, daß solches nur auf Mord und Plünderung ausgehende Gesindel immer wieder den ruhigen Fortgang in der Entwicklung des Landes stören kann!«

Dieser Brief war wirklich sehr wichtig.

Er schob das wertvolle Stück Papier in seine eigene Brieftasche und packte das Geld, die Wechsel und Ehrenscheine des Direktors Labwein wieder in dessen Brieftasche. Er wollte sie gut verpackt durch die Post dem Eigentümer wieder zusenden. Da kam ihm ein Bedenken. Wenn er die Brieftasche mit den Wertsachen zurückgab, und nur den Brief behielt, so lag für Labwein die Vermutung sehr nahe, daß der Mann, der ihn bestohlen hatte, ein Beauftragter des Konsuls Rosenberg gewesen war.

Er zögerte, und schließlich verschloß er die Brieftasche mit ihrem Inhalt in seinem Schreibtisch.

*

Gegen Abend kleidete Dorival sich zum Ausgehen an und verließ das Haus. Er hatte die von der Polizei für ihn ausgestellte Legitimationskarte zu sich gesteckt und fühlte sich unter ihrem Schutze sicher.

Auf den warmen, sonnigen Frühlingstag war ein linder Abend gefolgt. Der Frühling hatte über den Winter gesiegt. Die ersten grünen Blattspitzen wagten sich allenthalben hervor. Ein gelbgrüner Schleier schien über den Tiergarten gebreitet zu sein. Auf den Wegen drängten sich die Menschen. Der Frühling hatte sie aus den Häusern gerufen. Freude lag auf den Gesichtern. Auf den Bänken saßen Liebespärchen.

Dorival dachte:

»Morgen sitze ich neben ihr!«

Er wanderte ziellos durch die Alleen und Wege des Tiergartens und stand auf einmal an der Korneliusbrücke. Ganz ohne sein Zutun war er dahin getragen, wohin ihn Ruth zum ersten Stelldichein geladen hatte. Er ging über die Brücke. Dort drüben war er wartend auf und ab gegangen. Dort an der Ecke hatte der Schutzmann gestanden, über den Ruth so erschrocken war. Er hatte ihren Arm in seinem Arm zittern gefühlt. Dreimal gesegneter Schutzmann!

Er ging weiter.

Am Auguste-Viktoria-Platz, vor dem Romanischen Café, saßen die Gäste schon im Freien auf der breiten, von der niedrigen Steinmauer eingefaßten Terrasse.

Dorival setzte sich an einen eben frei gewordenen Tisch. Ein Kellner brachte ihm ein Glas Bier und die Abendzeitung.

Dorival suchte sofort den lokalen Teil der Zeitung ab. Da stand, was er suchte. Die Notiz umfaßte nur wenige Zeilen. Sie lautete:

»Ein noch unaufgeklärter Vorfall ereignete sich heute in der Mittagsstunde in den Geschäftsräumen des Bankiers Erich Labwein. Der Inhaber des Bankgeschäftes wurde in seinem Privatzimmer von einem fremden Mann, der um eine geschäftliche Unterredung gebeten hatte, narkotisiert. Dem Unbekannten gelang es zu entkommen. Ob es ihm möglich war, einen jedenfalls geplanten Diebstahl auszuführen, konnte noch nicht festgestellt werden, da Labwein das Bewußtsein bisher noch nicht wiedererlangt hat.«


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