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Viertes Kapitel

Eine Kolonne von Straßenreinigern schob in der Wilhelmstraße in keilförmiger Schlachtordnung die langgestielten, mit Gummiplatten versehenen Asphaltbesen vor sich her und stieß Straßenschmutz und Tauwasser in die Abzugskanäle.

Dorival, der den Kragen seines Pelzmantels hochgeschlagen hatte und seinen Hut mit einem Regenschirm schützte, war vom Pariser Platz gekommen und wollte die Wilhelmstraße in der Nähe des Reichskanzlerpalais überqueren. Um die Straßenreiniger vorbeizulassen, blieb er einen Augenblick auf den Randsteinen des Bürgersteiges stehen. Unwillkürlich wandte er sich um und da sah er, daß ein mittelgroßer Mann in dunkelgrauem Radmantel und schwarzem Schlapphut nur wenige Schritte hinter ihm Posten gefaßt hatte. Der aufgedrehte Schnurrbart, der durchbohrende Blick, der Ochsenziemer mit dem Bleiknopf als Griff verrieten Dorival sofort, daß er einen Geheimpolizisten vor sich oder vielmehr hinter sich hatte. Er kannte diese Art von Menschen nun schon zur Genüge.

Jenseits des Wilhelmsplatzes erhoben sich im neblichen Zwielicht des Schneetreibens die massigen Umrisse des Kaiserhofs. In der Halle dieses Hotels mußte gerade jetzt der Fünfuhrtee in vollem Gang sein. Dort wollte er hin. Untertauchen in der Woge der eleganten Welt, die um diese Zeit sich hier zu versammeln pflegte. Mochte sein Verfolger draußen auf ihn warten. Eine ungemütliche Arbeit bei dem Wetter. Er lächelte bei dem Gedanken an das innerliche Geschimpfe des Beamten, der sich auf der Straße nasse, kalte Füße holen würde. Der Mann konnte es ja nicht wagen, sich in seinem Anzug unter die Gäste des Fünfuhrtees zu mischen. War er nach zweistündigem Ausharren noch auf seinem Posten, gut, dann wollte ihm Dorival beim Verlassen des Lokals seine Legitimation zeigen. Die Verblüffung! Der Aerger!

Dorival malte sich das aus.

In dieser angenehmen Stimmung betrat er den Teeraum. Ein diensteifriger Kellner trug ihm Hut und Mantel in die Garderobe, ein anderer brachte ihm Tee und Gebäck.

Dorival zündete sich eine Zigarette an. Seine Gedanken wanderten. War es nicht eigentlich gottlos von ihm, des Beamten, der doch nur seine Pflicht tat, so schnöde auf den Leim zu führen? Wäre es nicht richtiger gewesen, ihn offen aufzuklären? Was konnte der Mann dafür, daß Herr Emil Schnepfe dem Freiherrn von Armbrüster so ähnlich sah? Dieser Schnepfe!

Ja – und überhaupt! Der Rittmeister von Umbach war in letzter Zeit sehr vom Dienst in Anspruch genommen. Wenn's wahr war. Vielleicht schützte er den Dienst nur vor, um nicht mit ihm zum Konsul Rosenberg gehen zu müssen. Er schien wirklich ein Zusammentreffen zwischen ihm und der schönen Ruth hintertreiben zu wollen. Zu dumm. Konnte man ihm aber nicht übelnehmen! Zu dumm – –

»Bitte, wenn Herr Konsul vielleicht hier Platz nehmen wollen! Ich hole für das gnädige Fräulein noch einen Sessel herbei!«

Der Oberkellner sprach diese Worte in unmittelbarer Nähe Dorivals.

Der blickte auf. Er sah sich einem älteren Herrn gegenüber, der unschlüssig nach einem Platz für sich und seine Begleiterin suchte.

Diese Begleiterin war Ruth Rosenberg.

Der Oberkellner nötigte Vater und Tochter freundlich, an dem Tisch Platz zu nehmen, an dem Dorival saß.

»Dem Mann gebe ich nachher einen Hundertmarkschein,« gelobte sich im stillen der entzückte Dorival.

Schon wollte der Konsul dem Kellner seine Zustimmung ausdrücken, da zupfte Ruth den Vater am Aermel.

»Ich möchte näher an der Musik sitzen,« sagte sie.

Dorival ärgerte sich.

Der Konsul, seine Tochter und der Oberkellner zwangen sich bis zur Musik vor, kamen, da dort die Tische besetzt waren, wieder zurück und nahmen schließlich doch in der Nähe Dorivals an einem Tisch Platz, an dem bereits zwei Damen saßen.

Dorival jubelte. Ruth kam auf einen Stuhl zu sitzen, der so stand, daß sie ihm das Gesicht zuwandte. Knapp drei Meter trennten ihn von ihr. Er war begeistert. Die Gelegenheit mußte ausgenutzt werden. Er mußte sich dem Konsul vorstellen, sich auf Umbach beziehen, und ihn in aller Bescheidenheit um die Angabe einer Stunde bitten, in der er sich eine Auskunft über das Wolframvorkommen in der Republik Costalinda holen konnte. – Nur jetzt nicht blöde sein!

Er wollte warten, bis das Musikstück zu Ende gespielt war. Himmel, wollte denn das Geigengespiele da oben gar nicht aufhören? Dorival wurde ungeduldig. Er sah, wie der Oberkellner dem Konsul und seiner Tochter Tee und Kuchen brachte. Der Konsul nippte an seiner Tasse, blickte nervös auf seine Taschenuhr, sprach einige hastige Worte zu Ruth und ging dann eilig die Treppe hinauf, die in die oberen Stockwerke des Hotels führte. Ein Diener trug ihm Pelzmantel und Hut nach.

»Fatal! Der ist entwischt,« dachte Dorival.

Der Oberkellner stellte sich in der Nähe seines Tisches auf. Dorival winkte ihn heran.

»War der Herr, der eben die Treppe hinauf ging, nicht der Konsul Rosenberg?« fragte er leise.

»Jawohl, mein Herr,« antwortete der Kellner.

»Kommt er wieder zurück?«

»Er hat oben eine Konferenz. Vielleicht holt er nachher seine Tochter ab. Er macht das öfters so.« Der Kellner wurde abgerufen.

Es war ein neuer Gast erschienen, ein Mann in Schlapphut und nassem Radmantel, eine sonderbare Erscheinung in dieser Umgebung, die der Oberkellner mit Mißtrauen musterte. Dorival erkannte sofort den Geheimpolizisten, dem es draußen jedenfalls zu ungemütlich geworden war. Das war unangenehm.

Der Mann im Radmantel äugte nach rechts und nach links, dann überließ er einem gefälligen Kellner Hut und Mantel und setzte sich an ein Tischchen, das bescheiden hinter einer Säule stand und bisher von jedermann verschmäht worden war. Dorival drehte ihm den Rücken zu, aber er fühlte, wie die Blicke des Mannes beständig auf ihn gerichtet waren.

Dorival zog seine Brieftasche hervor, um seine Legitimationskarte in Bereitschaft zu legen.

Zum Donnerwetter, wo war denn die Karte?

Er glaubte sie doch bestimmt eingesteckt zu haben. Er begann, nach ihr zu suchen. Er kramte in allen Winkeln der Brieftasche herum. Vergebens.

Da fiel ihm ein, daß er sie gestern abend in seinen Frack gesteckt hatte, als er, in der Hoffnung, Ruth Rosenberg wiederzusehen, in die Oper gegangen war! Hm – scheußliche Lage! Wenn der Beamte ihn jetzt verhaftete, im Angesicht dieser vielen Leute, dicht vor den Augen der schönen Ruth, so war er machtlos!

Sollte er aufstehen?

Sollte er den Zusammenstoß mit dem Kriminalbeamten in den Garderoberaum verlegen? Der Gedanke schien ihm gut. Er zog seine Geldtasche und seine Blicke suchten den Kellner.

In diesem Augenblick hörte er hinter sich das Rücken eines Stuhles, dann ein leises Knarren der Dielen unter schweren Männerschritten. Er wußte, der Kriminalbeamte hatte sich erhoben, er hatte seine Absicht bemerkt und wollte ihm den Rückweg abschneiden.

Richtig, eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter und eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr:

»Schnepfe, machen Sie keine Dummheiten! Sie sind verhaftet. Kommen Sie ruhig mit. Es hilft nichts!«

Dorival sah, dicht vor seinen Augen, eine sich über ihn beugende stark gerötete Nase.

Da kam eine blinde Wut über ihn.

Er, dessen Ruhe im Regiment geradezu sprichwörtlich geworden war, der sich einbildete, in allen Lagen Herr seiner selbst zu bleiben, fühlte, wie ihm eine heiße Blutwelle in das Gesicht schoß, wie ihm jede Ueberlegung zum Teufel ging.

Der ganze, seit Wochen in ihm aufgespeicherte Groll und Aerger über diese ewigen Verwechslungen entlud sich in einem einzigen, kräftigen Faustschlag, den er gegen die Nase des Beamten führte!

Blitzschnell war es geschehen. Der Beamte taumelte, versuchte sich an einem Stuhl zu halten, und stürzte dann, den Stuhl mit sich reißend, mit lautem Gepolter zu Boden.

Kellner eilten herbei.

Damen schrien laut auf, riefen um Hilfe. Die Musik schwieg mitten im Stück. Man rannte durcheinander und wußte nicht warum. Man schrie und drängte.

Diese Verwirrung benützte Dorival zu einem geordneten Rückzug.

Es gelang ihm, ohne angehalten zu werden, durch die erregten Menschen hindurch die Treppe zu erreichen, die nach den oberen Stockwerken führte. Ohne Mantel, ohne Hut konnte er sich nicht auf die Straße wagen. Da schien ihm die Flucht in die oberen Räume des Hotels zunächst als der beste Ausweg.

Auf dem Treppenabsatz blieb er einen Augenblick stehen. Er mußte sich sammeln, er mußte seine Ruhe wieder gewinnen. Er legte die Hand an die Stirn. Was hatte er getan? Er hatte einen Beamten, der sich in der Ausübung seines Berufes befand, tätlich angegriffen, mißhandelt. Er war sich gar nicht klar darüber, wie er sich zu dieser brutalen Handlungsweise hatte hinreißen lassen können Er wußte, daß ein solches Vergehen eine strenge Strafe nach sich ziehen würde.

Schön!

Nur jetzt sollten sie ihn nicht fangen! Nur nicht abgeführt werden unter den Augen Ruths. Morgen – dann konnte er sich ja selbst der Polizei stellen, freiwillig.

Er riß sich zusammen.

Er schritt die mit Teppichen belegte Treppe weiter hinauf. Er zeigte sich ruhig wie immer. Keine Spur von Aufregung der letzten Minuten war ihm anzumerken.

Am anderen Ende des breiten Korridors, dort wo die Konferenzzimmer lagen, war ein Garderobenzimmer. Auf dieses schritt er zu.

Er konnte es nicht wagen, seinen eigenen Mantel und seinen eigenen Hut an der Garderobe zu holen, die unten neben dem Teeraum lag. Dort wäre er erkannt und verhaftet worden.

Er – er mußte sich den Mantel und den Hut eines der Herren ausborgen, die hier oben bei geschlossenen Türen ihre geschäftlichen Angelegenheiten berieten!

Freilich, das Ausborgen mußte ohne Wissen des Besitzers geschehen. Wie ein Paletotmarder mußte er vorgehen, frech und mit Sachkenntnis. Nur nicht einen Mantel wählen, der ihm nachher nicht paßte, auch keinen, der gleich an einem der ersten Riegel hing. Das konnte Verdacht erregen. Er wählte einen Pelzmantel. Einen großen, weiten, kostbaren Pelz. Den ließ er sich von der verträumten Garderobenfrau halten und drückte ihr dafür ein Markstück in die Hand. Der Mantel ließ ihn groß und dick erscheinen, und das war ihm gerade recht. Auch der Hut, der zu dem Mantel gehörte, paßte ihm. Es war ein nagelneuer Hut von moderner Form.

»Hatten der gnäd'ge Herr auch einen Schirm?« fragte die Garderobenfrau, die dem feinen Herrn den Nummernzettel gar nicht abzuverlangen wagte.

Dorival, dem der Boden unter den Füßen brannte, denn jeden Augenblick konnte der Besitzer des Mantels aus einer der nächsten Türen treten, verneinte die Frage. Er wollte sich draußen eine Taxe nehmen, nach seiner Wohnung fahren und von dort aus den Mantel und den Hut durch einen Dienstmann nach dem Hotel zurücksenden.

Er schlug den Mantelkragen hoch und stieg gemessenen Schrittes die Treppe hinab.

Unten spielte die Musik wieder. Die Aufregung hatte sich gelegt. Die Leute saßen wieder an den Tischen. Nur vorn, an der Auskunftstelle, hatte sich um einen Schutzmann eine lebhaft bewegte Gruppe gebildet. Mitten dazwischen stand der Kriminalbeamte und hielt sich ein blutgetränktes Taschentuch vor die Nase. Angestellte wurden vernommen. Dorival hörte, wie ein Kellner sagte:

»Ich habe deutlich gesehen, daß der Spitzbube die Treppe hinaufgegangen ist.«

»Wir werden ihn schon fassen!« erklärte der Schutzmann und machte sich Notizen.

Als Dorival auf die Straße trat, tauchte vor ihm ein herrschaftlicher Diener in langem, betreßtem Mantel auf, der einen aufgespannten Regenschirm trug. Dieser Mann führte ihn, als wäre das ganz selbstverständlich, unter dem Schutze seines Schirmes zu einem bereitstehenden, sehr eleganten Automobil, öffnete vor ihm die Tür des Wagens – und – Dorival stieg ein.

Der Diener schloß die Türe hinter ihm, schwang sich neben den Fahrer auf den Bock, und sofort setzte sich das Automobil in Bewegung.

Das alles war so schnell gegangen, so ganz ohne sein Zutun, daß Dorival die Sache kaum selbst begriff. Aber es war ihm schon recht, auf diese schnelle Art dem Schauplatz seiner Missetat entfliehen zu können. Soviel war ihm sofort klar geworden: der Diener hatte den Pelzmantel seines Herrn erkannt und natürlich angenommen, daß in dem Mantel auch sein Herr steckte. Im übrigen hatte die zunehmende Dunkelheit des Spätnachmittags die Verwechslung begünstigt.

»Papa, ich habe ein furchtbar interessantes Abenteuer erlebt,« hörte Dorival da dicht neben sich ein helles, klangreines Stimmchen sagen und er fühlte, wie sich ein Arm zutraulich in den seinen schob.

Jetzt erst bemerkte Dorival, daß er nicht allein in dem dunklen Auto saß. Neben ihm saß ein junges Mädchen. Und dies Mädchen war, das erkannte er sofort an der Stimme, Ruth Rosenberg.

Armer Dorival!

Seine Geistesgegenwart, die er bisher zu seinem eigenen Erstaunen so vortrefflich gewahrt hatte, drohte ihn zu verlassen. Er hatte sich also den Pelzmantel und den Hut des Konsuls Rosenberg angeeignet! Er saß in dessen Automobil! Neben Ruth, die sich an ihn schmiegte und nach seiner Hand tastete!

Er war zunächst keiner Antwort fähig. Das war zu viel. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Das kleinste Wort konnte, mußte ihn verraten.

»Du bist wieder ganz in Gedanken, Papa,« fuhr Ruth im Tone sanften Vorwurfes fort. »Hat dir der elende, gemeine Mensch wieder mit dem unglückseligen Brief gedroht? So laß doch jetzt einmal deine Sorgen beiseite und höre, was ich dir zu erzählen habe. Denk' dir, ich habe den interessanten Spitzbuben wieder gesehen, der neulich in der Loge im Opernhaus saß und dort verhaftet wurde. Der Mensch muß furchtbar gerissen sein. Er ist damals der Polizei schnell wieder entwischt, denn ich sah ihn schon ein paar Tage später ganz gemütlich im Tiergarten spazieren gehen. Da hat mich der Frechling gegrüßt. Du weißt doch, ich habe es dir doch erzählt. Er stellte sich mitten in den Weg. Nachher traf ich den Polizeikommissar Schwarz. Einen Augenblick kam mir der Gedanke, den Spitzbuben zu verraten, aber dann sagte ich mir: Laß doch die Polizei allein ihre Spitzbuben fangen. Nicht wahr? Hab' ich nicht recht? Und heute saß er im Kaiserhof dicht neben uns. Erinnerst du dich des Herrn, der allein an einem Tisch saß? Der Oberkellner wollte uns an seinem Tisch unterbringen. Aber dagegen protestierte ich. Denke dir, der Herr war der Spitzbube. Er sah ganz gut aus, nicht wahr, Vater? Eigentlich schade um den Menschen. Gleich, nachdem du fortgegangen warst, kam in den Fünfuhrtee ein Kriminalbeamter. Der hatte ihn sicher in das Hotel gehen sehen. Gerade, wie der Spitzbube bezahlen und weggehen wollte, versuchte ihn der Kriminalbeamte zu verhaften. Aber weißt du, was er getan hat? Der hat dem Beamten eins mit der Faust ins Gesicht gegeben. Das war furchtbar grob, aber was sollte er tun? Verhaften wollte er sich doch nicht lassen. Und dann gab es eine große Aufregung und die hat er benutzt und hat sich gedrückt. Aber fein, sage ich dir. Mit der größten Ruhe. Ich weiß, wohin er gegangen ist. Aber ich hab's nicht gesagt. Ein Schutzmann kam und wollte mich verhören. Da wurde mir die Sache zu dumm, und ich habe mich in unser Auto gesetzt und hier auf dich gewartet. Weißt du, was ich möchte? Ich möchte, er entwischte der Polizei!«

Dorival war sprachlos.

»Und was sagst du zu der Geschichte. Väterchen?« fragte sie.

Da packte ihn der Galgenhumor.

»Na – ich persönlich wünsche auch, daß der Spitzbube glatt durchkommt!« sagte er.

Ruth rückte blitzschnell von ihm ab und griff nach dem elektrischen Schalter. Die Glühbirne an der Decke des Wagens leuchtete auf.

»Erschrecken Sie nicht, gnädiges Fräulein!« sagte Dorival ernsthaft. »Ich tue Ihnen wirklich nichts zuleide.«

Ruth sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an: »Sie?«

»Ja, ich!«

Das junge Mädchen faßte sich schnell. Bewunderungswürdig schnell.

»Sie haben den Mantel meines Vaters angezogen. Sie stehlen also auch Mäntel?« sagte sie streng.

»Nur ausnahmsweise!« versicherte Dorival. »Darf ich Ihnen meinen Namen nennen, gnädiges Fräulein? Darf ich diese blödsinnige Geschichte erklären?«

»Das ist nicht nötig,« wehrte Ruth ab. »Ich kenne Sie! Als Sie im Opernhaus verhaftet wurden, saßen Sie neben meiner Schwester und meinem Schwager. Denen hat später der Logenschließer erzählt, wer Sie sind. Sie werden jetzt sofort aussteigen!«

Sie drückte auf den kleinen Gummiball der Pfeife, die dem Fahrer das Signal zum Halten gab. Der Wagen war bis an die Korneliusbrücke gelangt und hielt dicht am Randstein des Bürgersteigs.

Dorival hatte Humor.

»Der Hut wird voraussichtlich auch Ihrem Vater gehören,« sagte er. »Darf ich ihn mit dem Mantel in Ihre Wohnung schicken? Oder bestehen Sie darauf, daß ich mich gleich hier der Sachen entledige?«

Ruth zögerte.

»Sie würden mich zu Dank verpflichten,« fuhr Dorival fort, »wenn Sie mir Mantel und Hut noch ein halbes Stündchen leihen wollten. Ich bitte darum!«

»Aber der Mantel hat zweitausend Mark gekostet. Sie werden ihn gewiß nicht zurückgeben!«

»Auf Ehrenwort!« Ruth lächelte.

»Das scheint mir ein schlechtes Unterpfand zu sein,« meinte sie listig. »Aber ich will Ihnen keine Verlegenheiten bereiten. Steigen Sie hier an der anderen Seite aus. Der Diener braucht Sie nicht zu sehen. Doch da fällt mir ein, Sie wissen ja meine Adresse gar nicht –«

Sie kramte in ihrem Täschchen, suchte ein Besuchskärtchen hervor und überlegte es sich dann anders:

»Schreiben Sie sich meine Adresse auf!«

»Genügt es, wenn ich Hut und Mantel an Herrn Kommerzienrat Rosenberg, Konsul der Republik Costalinda, wohnhaft im Grunewald, Königsallee 211, sende?«

»Sie kennen unsere Adresse?« staunte Ruth. »Wie merkwürdig! Aber nun gehen Sie.«

»Ich gehorche!«

Dorival ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Sie ließ es geschehen.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Unterstützung bei meiner Flucht!« sagte er.

»Wenn Sie mal jemand gebrauchen, der für Sie einen Totschlag begehen soll, so verfügen Sie, bitte, über mich.«

Ruth zitterte.

»Sie sind doch hoffentlich nicht auch ein Mörder?« stotterte sie.

»Bis jetzt nicht. Aber wenn Sie befehlen – für Sie kommt es mir auf ein paar Morde nicht an.«

»Gehen Sie!« drängte Ruth. »Aber – noch einen Augenblick ... Können Sie auch einbrechen?«

Dorival erstarrte wiederum.

»Ich bin blödsinnig – sie ist blödsinnig – die ganze Welt ist blödsinnig ...« konjugierte er.

Und antwortete ohne Besinnen:

»Selbstverständlich! Das ist doch mein Handwerk!«

Ruth schauderte: »Gehen Sie nun!«

»Auf Wiedersehen!« sagte Dorival vergnügt.

Er öffnete die Wagentüre und trat auf den Bürgersteig hinaus. Als er die Tür hinter sich schließen wollte, sah er, daß Ruth das Licht im Innern des Wagens ausschaltete und sich zu ihm vorbeugte.

»In den nächsten Tagen werde ich mich vielleicht an Sie wenden!« flüsterte sie ihm zu.

»Fabelhaft!« murmelte Dorival. »Und nun, mein lieber Junge, wollen wir schleunigst nach Hause gehen und einen kräftigen Kognak zu uns nehmen!«

Und dann pfiff er:

»Rechte Hand, linke Hand – alles vertauscht ...«


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