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Fünftes Kapitel.

Die Frühpost des nächsten Morgens brachte Dorival einen Brief des Herrn Direktors Zahn vom Institut Prometheus. Auf prachtvoll bedrucktem Briefpapier. In Schreibmaschinenschrift.

Dieser Brief lautete:

»Hochverehrter Herr Baron! Meine Leute sind in großer Zahl in Ihrer Sache Tag und Nacht unausgesetzt tätig. Ich bin glücklich, Ihnen heute schon einen großen Erfolg melden zu können. Einem meiner vorzüglichen Mitarbeiter, der besonders die Treffpunkte der vornehmen Welt zu beobachten hat, ist es gelungen, festzustellen, daß Emil Schnepfe sich in Berlin aufhält. Er hat ihn gestern nachmittag in einem unserer ersten Hotels gestellt. Leider ist Emil Schnepfe, der zu den gefährlichsten Einbrechern gehört, mit denen ich je zu tun gehabt habe, meinem Beamten wieder entkommen. Die Flucht gelang ihm nur dadurch, daß er mit einem harten Gegenstand, jedenfalls einem Schlagring, meinen Beamten derart auf die Nase schlug, daß eine nicht unerhebliche Verletzung entstand. Sie sehen daraus, wie schwer unser Beruf ist. Sie dürfen sich aber, hochverehrter Herr Baron, darauf verlassen, daß wir jetzt, nachdem wir die Spur des Schnepfe überraschend schnell gefunden haben, ihn baldigst zur Strecke bringen werden! Ich habe die Ehre zu sein Ihr sehr ergebener

Zahn,
Direktor des Detektivinstituts Prometheus.«

Dorival lachte laut auf.

Er lachte so gellend, so fürchterlich, daß der Diener erschreckt ins Zimmer gelaufen kam, weil er fürchtete, sein Herr sei plötzlich übergeschnappt.

»Herr Baron haben gerufen?«

»Nee – hab ich nicht! Uebrigens, weil du da bist: Hast du gestern abend dem Dienstmann, der das große Paket in das Haus des Konsuls Rosenberg zu bringen hatte, auch richtig eingeschärft, daß er den Mund zu halten hat? Daß er den Absender nicht verraten darf?«

»Jawohl, Herr Baron. Der Mann meldete sich nach Ausführung des Auftrags, wie Herr Baron befohlen hatten. Es ist nicht nach dem Absender gefragt worden.«

»Schön.«

Galdino verschwand lautlos, über den Geisteszustand seines Herrn ziemlich beruhigt.

Dorival aber lachte weiter.

Dorival beschloß, den Herrn Direktor Zahn aufzusuchen und ihn zu seinem famosen Erfolg zu beglückwünschen.

»– ganze Sache ist total verrückt ...«

*

Dorival hatte nicht bemerkt, daß ihm ein hochgewachsenes junges Mädchen, mit bleichem, nicht unschönem Duldergesicht, seit einiger Zeit folgte. Als er vor dem Schaufenster eines Juweliers stehen blieb, stellte sich die Dame neben ihm auf.

»Endlich, Liebster, treffe ich dich! Warum kamst du nicht! Warum hast du mich vergebens warten lassen?« flüsterte sie.

Dorival blickte entsetzt auf.

Vor ihm stand die junge Dame, die er in Begleitung der Frau von Maarkatz gesehen hatte.

Sie blickte ihn aus verängstigten Augen an wie ein treuer, verprügelter Hund, der seinen Herrn um ein freundliches Wort anbettelt.

»Sie irren sich in meiner Person, mein Fräulein,« sagte er ruhig und freundlich. »Ich möchte Ihnen das beweisen. Wollen Sie mir in eine Konditorei folgen? Ich werde mich Ihnen dort legitimieren. Ich bin nicht der, für den Sie mich zu halten scheinen.«

»Du verhöhnst mich! Du willst mich los sein!« antwortete sie mit sanftem Vorwurf. »Warum willst du mich nicht mehr kennen?«

»Aber so kommen Sie doch nur mit!«

»Ich komme ...« stöhnte Gretchen Lotz, »du bist ja immer gut zu mir gewesen. Ich will dir alles verzeihen; ich habe ja niemand, als dich.«

»Gräßlich!« dachte Dorival.

Sie traten in eine nahe gelegene Konditorei und setzten sich in einem Winkel an einen Tisch. Dorival bestellte bei dem bedienenden Fräulein Kaffee. Dann zog er seine Legitimationskarte hervor und überreichte sie dem jungen Mädchen.

»Bitte, lesen Sie!«

Gretchen Lotz las aufmerksam das Schriftstück, Dorival wunderte sich, daß sie dabei keinerlei Erregung zeigte. Sie gab ihm nur die Karte zurück und sagte vorwurfsvoll:

»Warum nennst du dich jetzt Dorival von Armbrüster? Und wer ist dieser Schnepfe?«

»Donnerwetter! – entschuldigen Sie – aber nehmen Sie doch Vernunft an, liebes Fräulein! Ich nenne mich nicht nur Dorival von Armbrüster, sondern ich bin es auch. Ich bin sozusagen polizeilich beglaubigt. Sehen Sie hier meine besonderen Kennzeichen. Die Narbe an der Hand, die goldene Zahnplombe. Das Muttermal am Knie erlassen Sie mir. Ich bin auch nie ein anderer gewesen, als Dorival von Armbrüster. Aber dieser Emil Schnepfe, der mir leider so ähnlich sieht – der ist der Mann, für den Sie mich halten! Ich nehme Ihnen das nicht übel, obwohl dieser Schnepfe ein großer Spitzbube ist, ein Hoteldieb, ein Heiratsschwindler. Ich bin schon öfter mit ihm verwechselt worden. Sogar von der Polizei. Dieser Schnepfe wird nämlich steckbrieflich verfolgt. Ich hoffe, mit dieser offenen Erklärung Ihnen einige Illusionen über diesen Mann zu zerstören, so leid mir das auch um Ihretwillen tut!«

Gretchen Lotz sah ihn starr an. Dann hielt sie ihr Taschentuch vor die Augen und weinte.

»Fassen Sie sich!« sagte Dorival weich. »Seien Sie doch froh, daß Sie die Wahrheit über diesen Menschen erfahren haben. Er wäre Ihr Verderben gewesen.«

Gretchen Lotz hatte als Gesellschafterin der Frau von Maarkatz eine harte Schule in der Kunst, sich selbst zu beherrschen, durchgemacht. Sie überwand die Schwäche schnell, trocknete ihre Tränen und sagte leise:

»Ich muß Sie sehr um Entschuldigung bitten, Herr von Armbrüster, daß ich Sie belästigt habe. Aber ich will Ihre Zeit nun nicht länger in Anspruch nehmen.«

Sie zog ihre baumwollenen Handschuhe an, versteckte das Taschentuch in dem schwarzen Ledertäschchen und wollte aufstehen. Aber Dorival legte ihr die Hand auf den Arm.

»Nein, Sie dürfen jetzt noch nicht gehen,« bat er. »Ich bin froh, daß ich endlich einen Menschen getroffen habe, der mir von meinem Doppelgänger etwas erzählen kann.«

Gretchen Lotz setzte sich wieder, sah Dorival mit ihren kläglichen, an Unterwürfigkeit gewöhnten Augen an und sagte bittend: »Seien Sie ihm nicht böse!«

Dorival war erstaunt. Dies Mädchen bat für den Mann, der es doch augenscheinlich auf die niederträchtigste Weise hintergangen hatte.

»Wie kommen Sie zu dieser Bitte?« fragte er. »Ich kann Ihnen ganz offen gestehen, daß ich diesen Schnepfe geradezu hasse!«

»Hat er Ihnen etwas Böses getan?«

»Wenn Sie damit meinen, ob er mich bestohlen hat oder einen Mordversuch auf mich gemacht hat, so muß ich Ihre Frage mit einem Nein beantworten,« antwortete er lachend. »Aber seine Aehnlichkeit mit mir bringt mich auf Schritt und Tritt in die fatalsten Lagen. Ich lasse mir das nicht länger gefallen. Ich sorge dafür, daß er dahin kommt, wohin er gehört, hinter Schloß und Riegel. Und Sie können mir dabei behilflich sein.«

Das Duldergesicht nahm einen erschreckten Ausdruck an: »Dabei werde ich Ihnen nie behilflich sein! Ich finde auch, verzeihen Sie, Ihren Haß gegen ihn ganz unbegründet. Was kann er dafür, daß er Ihnen ähnlich sieht? Vielleicht, wenn Sie ihn näher kennen würden, würden Sie ihn auch milder beurteilen. Er ist der erste Mensch gewesen, der wirklich gut zu mir war, und dafür werde ich ihm immer dankbar bleiben, auch wenn er mich wirklich über sich getäuscht haben sollte.«

Dorival schüttelte den Kopf.

»Seit wann kennen Sie ihn?«

»Im vorigen Herbst war ich mit Frau von Maarkatz in Sylt. Dort hat er sich mir genähert.«

»Unter welchem Namen, wenn ich fragen darf?«

»Werner von Hardenfels.«

»Ein schöner Name!« lächelte Dorival.

»Er ist jedenfalls aus guter Familie. Mag er nun Hardenfels heißen oder nicht.«

»Er heißt Emil Schnepfe und ist der uneheliche Sohn einer Wäscherin. So sagte man mir aus dem Polizeipräsidium.«

Diese Mitteilung machte auf Gretchen Lotz keinerlei Eindruck.

»Auch die Polizei kann sich irren!« sagte sie. »Außerdem kann sich niemand seine Eltern und seinen Namen aussuchen.«

»Seine Eltern nicht, da haben Sie recht,« meinte Dorival, der mit Erstaunen bemerkte, daß das junge Mädchen sich immer mehr für diesen Emil Schnepfe zu ereifern begann. »Aber was die Wahl des Namens anbetrifft, so scheint Herr Emil Schnepfe anderer Ansicht zu sein. Er wählt sich seine Namen selbst. Und sie sind immer sehr schön. Er tut es nicht unter einem Grafen oder wenigstens einem Baron. Sonderbar, daß er immer Leute findet, die auf den Schwindel hineinfallen. Verzeihen Sie, wenn ich schon wieder mit rauher Hand an eine empfindliche Saite rühre, aber – hm, es macht auf mich den Eindruck, als habe Werner von Hardenfels in Sylt sich nicht nur um Ihre Gunst bemüht, sondern auch die Geschmacklosigkeit besessen, der Frau von Maarkatz näher zu treten?«

»O, er hat nicht anders gekonnt! Er mußte, um mich sehen und sprechen zu können, Frau von Maarkatz den Hof machen.«

Sie lächelte. Und dieses Lächeln verschönte sie. Es wurden rechts und links auf ihren Wangen zwei kleine Grübchen sichtbar, die sehr niedlich aussahen.

»Ich bin nie eifersüchtig auf Frau von Maarkatz gewesen ...«

»Dazu hatten Sie wohl auch keine Ursache! Die Zuneigung des Herrn von Hardenfels galt nicht der Frau von Maarkatz, sondern ihren Schmucksachen.«

»Ich bin überzeugt, daß Werner den Ring, um dessen Verlust Frau von Maarkatz jammert, wirklich zu einem Juwelier gebracht hat!«

»Und warum hat er dann den Ring seiner Eigentümerin nicht zurückgegeben oder ihn zurückgeben lassen?«

»Er wird es vergessen haben,« meinte etwas unsicher Fräulein Lotz.

»Sie dürfen es Frau von Maarkatz nicht verübeln, wenn sie an eine solche Vergeßlichkeit nicht glaubt. Ich tue es auch nicht. Und Sie werden es auch nicht tun, wenn ich Ihnen noch einmal auf das bestimmteste erkläre, daß dieser Emil Schnepfe, der sich bald so, bald so nennt, gewerbsmäßig stiehlt. Wenn Sie mir nicht glauben, so erkundigen Sie sich bei dem Kriminalkommissar Fehlhauer nach dem Mann. Sie werden dort viel über ihn erfahren. Er ist eine sehr gesuchte Persönlichkeit. Ein Dutzend Polizeibehörden sind hinter ihm her. Bitte, gehen Sie nur hin. Man wird Ihnen gern Auskunft geben.«

Sie schwieg einen Augenblick.

Dann sagte sie erregt:

»Es ist nicht wahr, daß er ein Dieb und Betrüger ist! Die Polizei verfolgt ihn, das hat er mir selbst erzählt. Darum mußte er auch plötzlich von Sylt abreisen, darum ist er auch gezwungen, sich manchmal einen falschen Namen beizulegen. Er hat einen jungen Mann aus einflußreicher Familie, der ihn beleidigt hatte, im Duell erschossen. Das ist alles. Ich sage Ihnen das, weil ich gern möchte, daß Sie besser von ihm denken. Sonst ist es mir gleichgültig, was die Leute von ihm sagen. Frau von Maarkatz schimpft den ganzen Tag auf ihn. Daran bin ich gewöhnt. Aber wenn er wirklich der Spitzbube wäre, den alle aus ihm machen wollen, so wäre mir das auch gleichgültig. Er hat mir erzählt, daß er eine schlimme Jugend gehabt hat. Wer weiß, wie man ihm mitgespielt hat. Das Leben macht den Menschen gut oder schlecht. Ich verurteile ihn nicht. Ich brauche mich nicht bei der Polizei über ihn zu erkundigen. Ich habe in seinem Herzen gelesen. Ich kann Ihnen nicht so sagen, was er mir gewesen ist. Und – was er mir noch ist. Ja, noch! Obwohl er mir seit Wochen nicht geschrieben hat. Ich will mir sein Bild in der Erinnerung rein erhalten. Ja, wundern Sie sich nur über das dumme Mädchen, das sein Herz an einen Mann gehängt hat, der ganz plötzlich vor ihm aufgetaucht ist und ebenso plötzlich wieder verschwand. Es waren nur drei kurze Wochen. Aber diese wenigen Wochen, die er mir geschenkt hat, haben mich reich entschädigt für viele Jahre trostloser Erniedrigung. Ich will mir die Erinnerung an sie nicht trüben lassen. Ich will nicht!«

Dorival sah das junge Mädchen an.

»Wissen Sie, was Sie getan haben?« fragte er nach einer Weile.

»Nein!«

»Sie haben mir den Emil Schnepfe in einem neuen Licht gezeigt. Er muß wirklich auch gute Seiten haben, daß Sie so fest zu ihm halten. Jemand zu haben, der so wie Sie durch dick und dünn mitgeht, sich durch nichts den Glauben an den Freund nehmen läßt, ist ein großer Gewinn, der niemand unverdient in den Schoß fällt. Ich will nicht weiter mit Fragen in Sie dringen, wenn Sie aber einmal einer Hilfe bedürfen sollten, werde ich es mir zur Ehre anrechnen, wenn Sie sich dann an mich wenden wollten.«

»Ich danke Ihnen,« sagte Grete Lotz schlicht. Dann griff sie wieder nach ihrem Täschchen und erhob sich ...

*

Diesmal brauchte Dorival nicht zu warten.

Herr Direktor Zahn empfing ihn sofort.

»Was sagen Sie zu dem Erfolg, verehrter Herr Baron?« rief er ihm entgegen. »So arbeiten wir! Uebertrifft das nicht Ihre hochgespanntesten Erwartungen? Ist das nicht hervorragend?«

»Hm ...« machte Dorival.

»Wir haben auch keine Mühe gescheut, keine Kosten! Wir haben ein Netz über ganz Berlin gezogen, ganz abgesehen davon, daß wir – ^ hm! – sechs der vorzüglichsten Beamten nach den großen Bädern entsandten. Nun, Schnepfe ist in Berlin. Das weitere ist Kinderspiel. Uebrigens doch noch mit sehr – hm! – sehr bedeutenden Kosten verknüpft!«

»Hm ...« machte Dorival.

»Darüber werde ich Ihnen aber noch schriftlich Mitteilung zugehen lassen, Herr Baron. Zufällig befindet sich Herr Crusius, der bei dem Zusammenstoß mit dem Verbrecher verwundet wurde, hier im Hause. Ich werde ihn rufen lassen. Er soll Ihnen selbst den Hergang erzählen«

»Ja, bitte!« sagte Dorival.

Herr Crusius trat ein.

Dorival erkannte in ihm auf den ersten Blick den Mann wieder, den er im Kaiserhof niedergeschlagen hatte. Zu seiner Befriedigung sah er, daß die mißhandelte Nase nur eine leichte Geschwulst zeigte.

»Herr Crusius – Herr von Armbrüster!« stellte Direktor Zahn vor.

Dorival saß so, daß durch den schmalen Streifen, der zwischen den Fenstervorhängen frei geblieben war, das harte Licht der Wintersonne voll auf ihn fiel. Als Herr Crusius ihn während der Vorstellung näher ansah, blieb ihm vor Schreck die Redensart »Sehr erfreut« zur Hälfte im Halse stecken.

»Na, erkennen Sie mich wieder?« lachte Dorival vergnügt.

Crusius öffnete den Mund, aber es entrang sich ihm nur ein unverständliches Gemurmel. Staunen und Schreck machten ihn sprachlos.

»Die Herren kennen sich?« fragte interessiert der Direktor.

»Jawohl, wir kennen uns!« sagte Dorival.

»Ich habe ihm doch gestern den Puff auf die Nase gegeben!«

»Was?«

»Er wollte mich verhaften! Anstatt mich vor Verhaftung zu schützen, störte er mich mitten aus meinen musikalischen Genüssen auf, um mich nach dem Alexanderplatz abzuführen. Das habe ich mir natürlich ernstlich verbeten. Ich hoffe, Sie werden einsehen, Herr Crusius, daß ich Grund hatte, recht ärgerlich auf Sie zu sein. Ihrer Nase hat der Schlag übrigens wenig geschadet. Na – immerhin will ich Ihnen gern ein Schmerzensgeld geben –«

Dorival entnahm seiner Geldtasche ein Goldstück ...

Beim Anblick des Geldes gewann Herr Crusius die Sprache wieder.

»Könnten Sie nicht noch eins dazulegen?« sagte er mit kläglicher Miene. »Das war ein furchtbarer Schlag, den Sie mir gegeben haben! Ich war die ganze Nacht krank!«

»Meinetwegen,« sagte Dorival. »Aber Sie müssen jetzt mit mir nach dem Hotel Kaiserhof fahren und dort Ihren Irrtum reumütig eingestehen. Ich könnte ja sonst nie wieder das Hotel betreten, ohne befürchten zu müssen, für Herrn Emil Schnepfe gehalten zu werden. Außerdem habe ich noch einen Mantel und einen Hut dort hängen. Die können Sie mir in meine Wohnung bringen.«

»Aber gewiß, gern,« beeilte sich Herr Crusius zu versichern, während er das Schmerzensgeld barg.

So lange hatte Herr Direktor Zahn geschwiegen. Jetzt hielt er es für angebracht, sich in die Verhandlung zu mischen.

»Das ist ja unerhört,« schrie er seinen Untergebenen an. »Ich lasse das nicht so durchgehen. Das kostet Sie ein ganz empfindliches Strafgeld. Wo würde der Ruf meines Instituts bleiben, wenn ich eine solche Dummheit nicht bestrafe? Ich muß Sie um Entschuldigung bitten, Herr Baron! Crusius! wo haben Sie nur Ihre Augen gehabt? Haben Sie denn Ihre Instruktion ganz vergessen? Was habe ich Ihnen gesagt? Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie gerade wegen dieser Aehnlichkeit sehr vorsichtig zu Werke gehen müßten. Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie, wenn Sie Ihrer Sache nicht ganz sicher sind, sich zunächst von dem Herrn, den Sie für den Schnepfe halten, die vom Polizeipräsidium ausgestellte Legitimationskarte zeigen lassen sollen. Hätten Sie eine solche Bitte in höflicher Form vorgebracht, würde Ihnen der Herr Baron gern seine Karte gezeigt haben.«

Er blickte Dorival fragend an.

»Aber selbstverständlich!« bestätigte dieser. Leise fügte er hinzu: »Angenommen, daß ich sie bei mir gehabt hätte.«

»Da hören Sie's!« fuhr der Direktor fort. »Sie hätten sich die Karte zeigen lassen sollen, dann wäre dieser skandalöse Zwischenfall vermieden worden. Ich bitte nochmals um Entschuldigung, Herr Baron! Sie dürfen sich aber trotz des Versehens ganz auf uns verlassen. Ein Dutzend meiner besten Beamten sind hinter diesem Schnepfe her. Wir werden ihn bald zur Strecke bringen, das kann ich Ihnen aufs Wort versichern!«

*

Crusius begleitete Dorival nach dem Hotel Kaiserhof, wo man erklärte, daß weder ein Mantel noch ein Hut im Hotel zurückgeblieben sei.

Dorival nahm den Verlust der Kleidungsstücke nicht gerade tragisch. Er vermutete, daß Mantel und Hut einem jener Spitzbuben in die Hände gefallen sei, in deren Fach er gestern eine Gastrolle gegeben hatte, einem Paletotmarder.

Als er sich auf der Straße von Herrn Crusius verabschieden wollte, richtete dieser noch eine Frage an ihn: »Bitte, sagen Sie mir, Herr Baron, wie sind Sie eigentlich gestern aus dem Hotel herausgekommen? Wir hatten alle Ausgänge besetzt und haben das Haus von oben bis unten durchsucht.«

»Waren Sie auch auf dem Dach?«

»Auf dem Dach? Nein!«

»Sehen Sie, das war ein Fehler,« lächelte Dorival den Detektiv an. »Ein großer Fehler.«

»Aber wie konnte ich vermuten –?«

»O, ein richtiger Detektiv muß auf alles gefaßt sein. Ich hatte auf dem Dach eine Flugmaschine stehen. Mit der bin ich in Spiralen, verstehen Sie, in Spiralen davon geflogen. Wie in den Märchen der Teufel aus dem Schornstein.«

*

Am Nachmittag wurde von dem Postboten ein Brief für Herrn von Armbrüster abgegeben. Ein sonderbarer Brief, mit einem großen, fremdländischen Wappen, das die Aufschrift trug: Konsulato de Republico de Costalinda.

Hastig erbrach Dorival den Umschlag.

Der Brief lautete:

»Sehr geehrter Herr! Durch den Irrtum eines Kellners wurde mir gestern abend im Hotel Kaiserhof ein Pelzmantel und Zylinder gebracht, die beide nicht mir gehören. Mein eigener Pelzmantel und mein eigener Hut waren mir von einem Spitzbuben entwendet worden. Ich fand in dem fremden Mantel ein Täschchen, das eine Anzahl Visitenkarten enthält, die aus Ihren Namen lauten. Ich vermute, daß auch Ihnen der Pelzmantel von dem erwähnten Spitzbuben gestohlen worden ist. Sollte dies der Fall sein, so stehen Ihnen Mantel und Hut in meinem Büro zur Abholung zur Verfügung.

Ergebenst
Rosenberg, Konsul.«

Ein großes Gebäude, das von unten bis oben mit den Büroräumen großer Firmen angefüllt war, enthielt auch die Geschäftsräume des Konsuls Rosenberg.

Ein älterer Diener, von sehr vornehmem Aussehen, fragte Dorival nach seinem Begehr. Auf die Erklärung, daß er den Herrn Konsul sprechen wolle, führte ihn der Diener in ein Wartezimmer und ersuchte ihn, auf einem vorgedruckten Formular kurz die Angelegenheit anzugeben, in der er den Herrn Konsul zu sprechen wünsche.

»Es scheint mir leichter, eine Audienz beim Reichskanzler zu bekommen, als beim Konsul von Costalinda,« dachte er und gab dem Diener den Zettel und sein« Besuchskarte.

Nach einiger Zeit kam ein kleiner Herr, der hinter dem Ohr einen Federhalter stecken hatte. Er war in allen seinen Bewegungen und in feiner Sprache sehr hastig, sozusagen der Mensch gewordene Eilzug.

»Sie sind Herr von Armbrüster? Sie kommen wegen des Pelzmantels?« sprudelte er hervor. »Können Sie sich ausweisen, daß Sie der Besitzer des Mantels sind? Ich meine, können Sie mir ein besonderes Merkmal angeben, woraus ich sehe, daß der Mantel Ihnen bekannt ist – daß er Ihnen gehört?«

Der Herr blinzelte durch seine scharfgeschliffenen Brillengläser den Mann, der den Pelzmantel für sich in Anspruch nahm, mißtrauisch an.

»Der Herr Konsul hat doch in dem Mantel meine Visitenkarten gefunden. Genügt das nicht!«

»Können Sie mir sagen, wieviel Visitenkarten es waren?«

»Das kann ich nicht. Es mögen etwa zwanzig Stück gewesen sein.«

»Falsch. Es waren nur acht Stück. Wie ist der Mantel gefüttert? Aus welchem Pelz besteht der Kragen?«

»Der Kragen ist Otter und das Futter ist Nerz.«

»Richtig.«

»Besondere Merkmale?«

Dorival überlegte.

»Ich bitte, etwas schnell,« drängte der kleine Mann. »Ich bin sehr in Anspruch genommen. Ich habe keine Zeit.«

»Ich möchte Ihre Zeit gar nicht in Anspruch nehmen,« entgegnet« Dorival. »Ich war gekommen, um den Herrn Konsul zu sprechen.«

»Ganz ausgeschlossen! Der Herr Konsul hat mich beauftragt, die Angelegenheit zu erledigen. Also bitte, beantworten Sie meine Frage.« Der kleine Herr konnte eine sehr energische Sprache führen.

Zum Glück fiel Dorival ein, daß der Knopf an der linken Tasche des Mantels abgerissen war. Das gab er an und dies Merkmal genügte dem mißtrauischen Herrn. Schnell, wie er gekommen war, verließ er mit kurzem, hastigem Gruß das Wartezimmer und gleich darauf brachte der alte Diener dem verdutzten Dorival den Mantel und den Hut. Dorival gab die Sachen an Galdino, verabfolgte dem Diener ein Trinkgeld und verließ in gedrückter Stimmung das große Geschäftshaus.

Er hatte sich die Sache anders vorgestellt.

Am anderen Morgen wurde er entschädigt.

Galdino hatte ihm sämtliche Morgenblätter kaufen müssen, und in einer der Zeitungen fand er ein Inserat, das sich nur auf ihn beziehen konnte, eine Nachricht Ruths. Er hatte also richtig gerechnet! Das erfinderische Mädchen hatte sich einer Anzeige in einer der gelesensten Tageszeitungen bedient, um ihm mitzuteilen, daß es ihn dringend zu sprechen wünsche. Wahrhaftig: dringend!

Die Anzeige lautete:

Herr in Pelzmantel,

der vorgestern vor Hotel Kaiserhof zu junger Dame in Auto stieg, wird gebeten, diese Dame an der Stelle morgen um 11 Uhr vormittags zu erwarten, an der er das Auto verlassen hat. Sicherheit wird verbürgt. Angelegenheit dringend.

»Fabelhaft!« sagte Dorival –

»Angelegenheit dringend!«

»Sicherheit wird verbürgt!« –

»– Sie verbürgt sich!« fuhr er in seinem vergnüglichen Selbstgespräch fort. »Das ist auch nötig. Ich bin nämlich ein Räuberhauptmann. Ich bin ein moderner Großstadtbandit in Lackstiefeln und Seidenhut –«


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