Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.


Als die Wanderer am Ende des Buchenwaldes angekommen waren, sahen sie zuerst eine ausgedehnte Fläche Ackerlandes vor sich und jenseit derselben ein Gehölz von Eichen, das wie zum Schutze unten von einem dichten Gürtel junger Lerchen- und Edeltannen und halbwüchsigen Laubholzes mancherlei Art umgeben war. Darüber her, von den Zweigen der altergrauen Stämme beschattet, ragten einige Dächer, halb aus Stroh, halb aus Ziegeln bestehend.

Die Wanderer standen nach einiger Zeit vor dem größten dieser Häuser; es war der Bauerhof, während die andern Dächer die Speicher und die kleineren Wohnungen der »Heuerleute« angedeutet hatten; denn in dieser Gegend ist jeder seit uralter Zeit freie Hofbesitzer eine Art Gutsherr, der über ein halb Dutzend Unterthanen zu befehlen hat, die ihm Zins und Dienste aller Art schulden und jenen Namen führen.

Das niedrige, aber große und freundliche Haus, in dessen kleinen Fensterscheiben die sinkende Sonne brannte, lag zwischen dem »Eichkamp«, dem Obsthof und dem Garten, an dessen Ende man ein kleines, schmuckes Gebäude sah, ein Gartenhaus mit Mansardendach und Freitreppe davor. Auf dieser Treppe, auf einer Gartenbank, saß Theo.

Sie hatte eine weibliche Arbeit, womit sie sich beschäftigte, im Schoose und hielt den Kommenden den Rücken zugekehrt.

Diese gingen durch eine offene Stacketpforte in den Garten und hatten sich Theo unbemerkt bis auf etwa dreißig Schritt genähert, als aus dem Innern des Häuschens ein Mädchen hervorgeeilt kam und das Fräulein auf die Nahenden aufmerksam machte.

Theo sprang auf und schien im ersten Augenblick furchtsam in den Pavillon sich zurückziehen zu wollen; als sie aber den Arzt erkannte, ging sie ihm freundlich entgegen und hieß ihn und die Seinigen willkommen.

Sind wir Ihnen wirklich willkommen? fragte der Arzt, der mit einer gewissen Sorglichkeit Theo's Wesen und Betragen musterte, als ob er nach irgend einem Zuge spähe, der, wie er auf der einen Seite seine Befürchtungen gerechtfertigt haben würde, auf der andern etwas von einer Gewissenserleichterung für ihn haben mußte.

Sie sind mir wirklich willkommen, Pauli, sagte sie; es hat mich sehr verlangt, Sie zu sehen und Sie über mich zu beruhigen. Es freut mich, daß Sie und Ihre liebe Tochter bis in meine stille Einsamkeit gedrungen sind; dies poetische Stückchen Verschollenheit hier hat mich so glücklich gemacht! Freilich, es ist nun verrathen und entdeckt, aber das thut nichts – ich hoffe ohnehin, es nach einigen Tagen verlassen zu können, um zu meiner Tante zu reisen. Aber Sie sind blaß, Sophie, und angegriffen – wie kömmt das?

Sophie erzählte, wie krank sie gewesen und Theo ruhte nun nicht eher, bis sie ihr mit Kissen einen bequemen Platz zum Ausruhen auf ihrer hölzernen Bank hergerichtet hatte; dann ließ sie einen Tisch aus dem Gartenhaus tragen und sandte ihr Mädchen fort, um Erfrischungen herbeizuholen.

Wenn Sie sich erquickt haben, führe ich Sie umher in meinem kleinen, stillen Reich. Sie sollen es sehen, wie wohl es hier dem Herzen werden muß, wie stark und gesund Empfinden und Denken, wenn man so unausgesetzt mit der Natur allein ist! Das ist eine Kur, Pauli, den ganzen Tag Waldgeruch und Haideblütenduft einziehen! Hierhin senden Sie Alle, welche sich verschrumpft und eingetrocknet fühlen unter all dem Affenkram unserer Gesellschaft!

O woran mahnen Sie mich, Theo? Bin ich nicht auch ein Kind eines solchen Bauerhofes?

Nicht wahr, es ist eine Freude, unter diesem naturwüchsigen, derben Geschlecht zu sein? Beim Anblick meines »Bauern« hier muß ich jedes Mal lachen aus Vergnügen an dem Gesellen! Das ist eine Ehrlichkeit, eine Schlauheit, eine Thätigkeit und Arbeitskraft – und eine halsstarrige, eiserne Verstocktheit gegen Alles, was man ihm von außen hineinschmuggeln will in seinen Kreis von Gedanken und Vorstellungen – o es ist eine Lust!

Theo ruhte nicht, bis sie ihren Gästen die ganze freundliche Oase gezeigt hatte, welche der Bauerhof mit seinen fruchtbaren Gründen bildete. Mit einem wahren Heroismus kletterte sie über Wallhecke und Steg und ließ ihre fröhliche Stimme in den Eichkämpen so laut und hell erschallen, als ob sie die lustigen Buchfinken beschämen wollte, die über ihr in den Zweigen lärmten. Sie streichelte den glatten, wohlgenährten Milchkühen den Hals, und den blonden Buben, der dafür sorgen mußte, daß diese sich nicht ins junge Holz verliefen, schien sie besonders in Protection genommen zu haben.

Um ihr aber zu beweisen, daß er ein dankbares Gemüth sei, kam er ihr entgegengesprungen, eine aus Binsen geflochtene kunstreiche Form auf dem Kopfe, die eine Mütze, eine Krone oder auch einen Trichter symbolisch vorstellen konnte; und als schwachen Beweis seiner Huldigung überreichte er ihr nichts weniger, als eine eben aus der Rinde eines Vogelbeerzweigs verfertigte Pfeife, die einen so durchdringend gellenden Ton gab, wie nur je eine im Walde laut geworden. Dann sprang er verschämt über sein Wagniß auf eine Wallhecke und seine Pausbacken waren doppelt so roth wie gewöhnlich, als er dort durch den Hagebuchenstrauch auf die Fremden niederlugte.

Nun müssen Sie noch mit mir die jungen Fohlen sehen – aber nein, die arme Sophie kann nicht mehr – trösten Sie sich, Sophie, Sie sollen nichts mehr zu sehen brauchen – kommen Sie, ich führe Sie ins Haus.

Theo nahm Sophie unter den Arm und führte die Ermüdete heim, der in der That all der Herrlichkeit, welche sie bewundern mußte, zuviel geworden und die in diesem Augenblicke trotz aller Zärtlichkeit für diese Väter des Waldes, diese grauen Könige mit der Eichenkrone, welche sie umgaben, doch alle gern dahingegeben hätte für einen aus ihrem Holz gezimmerten Stuhl.

Das Haus hatte ganz den altväterlichen Charakter, den nur noch in wenigen Strichen Deutschlands die Bauerhöfe bewahrt haben. Ein großes Einfahrtsthor führt auf die Tenne, wo zuerst an beiden Seiten die Ställe für die Pferde sich befinden; dann die hölzernen »Ständer« für zwei Reihen Rinder. Die alte Sitte läßt die Tenne zusammt diesen Stallungen unabgetrennt von der weiten, geräumigen Küche, welche mit sehr kleinen Kieseln gepflastert ist; der Herd liegt unter einem ungeheuern mit Tellerreihen, Palmbüscheln u. s. w. gezierten »Busen« oder Kamin, von der hintern Wand etwas entfernt, so daß man um das Feuer gehen kann und hinter demselben der Armsessel des »Bauern«, wie des Hofbesitzers Ehrenname ist, oder der des Ehrengastes Platz hat.

Links und rechts unter den niedern, aber hoch über dem Boden angebrachten Fenstern, welche die Küche erhellen, stehen Bänke und Tische, in derselben Reihe mit den Rinderställen, aber durch vorspringende Mauern, hinter denen zugleich die Seitenthüren des Hauses angebracht sind, davon abgeschieden. Hohe Schränke mit Glasthüren an der Wand hinter dem Herd enthalten den Reichthum des Porzellans und besseren Geschirrs, darüber Kronen aus Flittergold und künstlichen Blumen, die bei der Hochzeit die Bäuerin und ihre Brautjungfern geschmückt haben.

Auch einige jener seltsamen Geschenke sieht man hier, welche die jungen Leute am Vorabende des heiligen Dreikönigsfestes ins Haus bringen, ein ererbter Brauch noch unerkundeter Bedeutung. Es sind Lindenstäbe, aber mit dem Schabmesser so lange bearbeitet, bis ein Theil des weichen Holzes in krausen Locken umherhängt und sie, mit Querstäbchen oben versehen, das Ansehen von Docken bekommen. Dann werden sie mit Flittergold geschmückt und Obst und Kuchen werden an den Querstäbchen und oben auf die Spitze befestigt, in welcher Gestalt man sie feierlich als »Tunschere« Freunden und Nachbarn bringt und mit einem Spruche überreicht.

Es war sieben Uhr geworden und die Bewohner des Bauerhofes versammelten sich zum Abendessen. Theo und ihre Gäste setzten sich zu ihnen, das Edelfräulein zu oberst neben dem Bauern, der die Angekommenen herzlichst bewillkommnet hatte und Anstalten treffen ließ, sie die Nacht gastlich zu beherbergen; ein Zimmer für Besuche von Freunden war immer bereit, und als zweites war die »Aufkammer« leicht hergerichtet.

Die Familie des Bauern bestand aus diesem selbst, seiner Frau und zwei Söhnen, von denen nach alter Sitte der jüngere das Erbe bekommen sollte, während der ältere studirt hatte und geistlich geworden war. Er war zum Besuche von der Pfarre gekommen.

Unten am Tische saßen Knechte und Mägde, bei jenen war auch der Bauerbursche, welcher Herrn von Mainhövel den Brief des Arztes gebracht und dabei sich taub gestellt hatte; zu unterst hatte ein Bettler Platz bekommen und ihm gegenüber ein verschrumpftes, steinaltes Mütterchen, deren rechte Hand lahm war; es war eine geheimnißvolle Alraunengestalt.

Man erzählte sich, sie sei immer so alt gewesen und so verschrumpft, und des Bauern Vater, der nun längst todt war, habe sie in seiner frühesten Jugend schon grade so gekannt, wie sie jetzt aussehe; Niemand aber wußte, woher sie eigentlich und wie sie auf den Hof gekommen. Sie sprach selten und was sie sagte, war oft nur halbverständliches Zeug, doch wußte sie mit diesem Gemurmel allerhand sympathetische Kuren zu machen.

Man kümmerte sich wenig um sie, wie sie es auch um die Andern wenig that, bei denen sie immer die Absicht einer Neckerei voraussetzte. So lebte sie z. B. des festen Glaubens, daß es eine recht boshafte Neckerei sein solle, wenn man ihr sagte, daß kein Kaiser und kein Bischof mehr das Land regiere, sondern ein König, dessen rechtliche und physische Existenz sie entschieden in Abrede stellte.

Nach dem Abendessen nahm Theo die junge Frau unter den Arm und ging mit ihr hinaus an den hohen Buchsbaumsäumen der Gärtenbeete entlang zu ihrem Sitz auf der Treppe des Pavillons. Hier setzten sie sich nieder und Theo erzählte Sophie von ihrer Flucht und wie sie so kühn von ihrem Mädchen und einem treuen, ehemaligen Diener begleitet die weite Strecke zu Fuß zurückgelegt.

Der Bauer aber ließ Tisch und Stühle unter einen Birnbaum hinausbringen und die Männer setzten sich dort rauchend und plaudernd nieder, um den herrlichen, milden Herbstabend zu genießen. Ab und zu kam ein Knecht oder eine Magd zum Herrn, um wegen der morgigen Arbeit etwas zu erfragen. Einer kam und sagte:

Der Herr von Bischoving läßt anfragen, ob er nicht bis morgen oder übermorgen ein paar Kannen Milch leihen könne, seine Kuh sei krank geworden und die andere sei »geest«.

Gebt sie ihm in Gottes Namen, versetzte der Bauer, und laßt ihm sagen, mit dem Wiedergeben habe es keine Eile.

Wer ist der Herr von Bischoving? fragte der junge Arzt.

Unser Gutsnachbar hier, antwortete der Bauer und setzte sarkastisch hinzu: den sollten Sie sehen, wenn er Sonntags in die Dorfkirche fährt. Er hat einen alten, ganz rothen Rock mit Goldtressen an, von dem Niemand im Lande mehr weiß, was für eine Uniform er vorstellt; seine Frau trägt einen Schlender von grüner Seide und eine haushohe Toque und so fahren sie in einem Rumpelkasten aus dem siebenjährigen Kriege einher, von zwei Gäulen gezogen, denen schon der alte Ziethen die Knochen mürbe geritten haben mag. Kein Ziegel auf dem Dache ist mehr der ihrige und aus hundert Löchern ihrer Wirthschaft guckt die bittere Noth. Aber weil sie den rothen Rock und grünen Schlender anhaben und sich Reichsfreiherr von Bischoving und »feste Säule des hohen Domstifts Mühlenkirchen« betituln lassen, so blicken sie tief, abgründetief auf uns gemeine Leute nieder, welche lieber sicher zu Fuß in die Kirche gehen, als Hals und Leben in einer verzweifelten Kutsche mit den stocksteifen Gäulen riskiren. Nun, jeder von uns hat seinen Sparren und es muß auch so sein, damit ein Mensch am andern sein Vergnügen haben kann; und das kann ich sagen, wenn der Herr von Bischoving nicht solch ein Narr wäre, es würde weniger gelacht und gespaßt in unserm Kirchspiel, als es jetzt geschieht. Darum habe ich auch nichts dagegen, wenn er ein Mal einen Topf Milch zu leihen kommt, der nie wieder gebracht wird.

Aber Freunde werden diese Leute durch ihren Hochmuth sich doch nicht machen unter Euern Nachbarn, Schulze, sagte Pauli.

Der Bauer schüttelte den Kopf.

Zwar, versetzte er, der Herr von Bischoving ist nicht wie die meisten andern Adeligen grob gegen Unsereinen; denn wenn er auch nichts hat als seinen rothen Rock, so ist er doch aus einem vornehmen Geschlecht. Und so denken sie sich denn so überaus hoch über uns, daß sie sich recht gut zu uns herablassen können; aber das ist's gerade, was ihre Nachbarsleute ärgert. Jeder verlacht sie jetzt, jeder sieht mit Spott ihren Schaden und ihren Ruin und regt keine Hand, um ein Unheil von ihnen abzuwenden, und wenn sie kommen und wollen einen Beistand, so werden sie höhnisch zurückgewiesen oder müssen ihn doppelt theuer bezahlen. – Ja, der Sparren, der kostet ihnen was! und so geht die Wirthschaft mit jedem Jahre mehr zurück und eines schönen Morgens werden sie an ihrem eigenen Dünkel zu Grunde gegangen sein.

Nun, Vater, sagte der junge Geistliche, so haben sie doch den Trost, daß sie sich treu geblieben und eben an ihrer Idee, das will sagen an ihrem Sparren, wie Ihr's nennt, zu Grunde gegangen sind.

Das haben sie, sagte der Vater des jungen Geistlichen lächelnd, da er diese Worte für einen Spott nahm.

Dem Geistlichen aber war es ernst mit seiner Rede. Er war auf die Schulen gesandt worden, kannte größere Städte und hatte als katholischer Priester manchen tieferen Blick in Verhältnisse und Zustände werfen können. Er wußte, wie sehr jede Abhängigkeit im Leben depravirt, und darum war er auf's Land zurückgekommen, ein Anhänger jedes Standes, dessen Mitglieder als ganz unabhängige Männer das Glück haben, sich treu bleiben und eine feste Gesinnung beharrlich in sich nähren zu können. Er begann eine warme Vertheidigung der Kaste, zu welcher Herr von Bischoving gehörte.

Damals, Vater, sagte er unter Anderm im Laufe des Gesprächs, als Ihr hier französisch waret und der Bonaparte alles Lehen und alles Majorat im Lande aufgehoben hatte – wer hat da ein Beispiel von edeler, uneigennütziger Gesinnung gegeben, wie der Adel? Haben nicht alle nachgeborenen Söhne und Töchter, so viel ihrer sind, auf das Recht der Erbtheilung verzichtet – haben sie nicht zu dem ältesten Sohne gesagt: wir haben das Recht von den 20 000 oder 30 000 Thalern, die du jährlich einnimmst, die Hälfte oder ein Viertel – je nach ihrer Anzahl – zu fordern; aber behalte du deine Renten und gib uns unsere 600 oder 800 Thlr. jährlich, wie es in unserm alten Abkommen angeordnet ist? Wir wollen keinen Nutzen, den uns der Umsturz aller Gesetze durch einen fremden Eroberer bringt. Haben sie nicht so gesprochen?

Nun ja, aus eitel Hochmuth, sagte der Bauer. Das ist ein großes Verdienst!

Nein, Vater, das versteht Ihr nicht; es ist ein Kern und eine Tüchtigkeit in diesem Stande, daß es im Ganzen am besten ist, ihn unangetastet zu lassen. Ebenso wie man Euch unangetastet lassen soll als freien Schulzen auf Euerm Hofe, mit allen Euern Rechten und Euern ererbten Vorurtheilen; Ihr seid eine der festen Säulen des Gemeinwesens und die Adligen sind's auch!

Aber die Krautjunker, die Fuchsjäger, die Jockeiclubsstifter, alle die Menschen, welche den Mangel an Verdienst, Bildung, Tugend durch desto größer geschwollenen Hochmuth ersetzen – fiel der junge Arzt ein –

O, die überlass' ich gern allen möglichen modernen Theorien, sagte der Geistliche, und wenn unsere heutigen Weltverbesserer etwas Vernünftiges aus denen machen, so will ich freilich gern gestehen, daß sie Männer sind, die eben so viel Dank wie Bewunderung verdienen.

Ueberlaßt sie dem stillen Gange der Zeit, welche ihnen ihre Demüthigung nicht vorenthalten wird, sagte der Amtsphysikus. Wenn man auch sonst nichts glaubt – Eines steht unerschütterlich fest in der Geschichte, das ist, daß jeder Hochmuth seine Strafe findet. Der Hochmuth, der in unsern Tagen die ganze mühselige, blutige Arbeit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts besiegt und ihre Resultate ausgelöscht wähnt; der die schmerzlichen, für das Wohl der Menschheit und den Dienst der Wahrheit ringenden Gedankenkämpfe der Philosophen dieses Zeitraums höhnt und verspottet, der die glühende Begeisterung seiner großen Dichter für Rechte und Würde einer gefesselten Welt eitel Kinderei nennt; der die großen Stichworte jener Tage, Humanität, Aufklärung, Tod dem Vorurtheil, nun als Feldrufe längst verschollen meint – o auch der Hochmuth wird der Züchtigung verfallen! Sie, fuhr er zu dem Geistlichen gewendet fort, sind nicht aus der jetzigen Schule der Römlinge, welchen Knechtschaft des Gedankens Tugend ist; ich weiß, Sie haben noch die Traditionen einer bessern Zeit bewahrt, Sie sind begeistert für den Versuch eines großen Denkers, das starre, vaterlandsverrätherische und mit jedem Jahre dem Geiste gegenüber unverschämter werdende System der Kirche in den großen Gedankenstrom einzutauchen, der Frieden und Freiheit rauschend durch die Zeit geht. Deshalb darf ich Ihnen gegenüber mich aussprechen. Der Hochmuth, der, auf wahrhaft unerklärliche Fortschritte des Aberglaubens pochend, den Unfrieden und die Unfreiheit in unser Land zurückbringt und das Schandbanner einer neuen Ligue erheben möchte, der Hochmuth, der Stände von Ständen durch die Mauer von Vorurtheilen wieder abtrennen will, welche das blutige Beil der Revolution durch so viele beweinenswerthe Schläge zertrümmern mußte – der Hochmuth wird auch bestraft werden und ich glaube, die Geschichte bindet ein Ruthenbündel aus Skorpionen für ihn!

Der junge Geistliche erhob sich; seine Züge waren blaß geworden und es schien, als ob er tief ergriffen eine Thräne im Auge zerdrückte. Er wandte sich ab und schritt, wie nachlässig schlendernd, aber sich immer mehr entfernend, auf dem Bauerhofe auf und ab.

Ich habe Euern Sohn nicht verletzen wollen, sagte der ältere Arzt zu dem Bauern.

Gewiß wollten wir das nicht, sagte der jüngere, aber es ist kein Wunder, wenn es uns hier an dem friedlichen und wunderbar schönen Abende, vom Odem der Natur angehaucht, warm um's Herz wird. Das Auge blickt aus der Mitte so naturgemäßer Zustände desto schärfer und klarer auf den Unsinn der Gegenwart und erbitterter wird man über all die Nachteulen, welche dem ohnehin so schwachen Lämpchen der Vernunft, das den Menschen angezündet ist, nachstellen!

Der junge Mann stand auf und ging dem Geistlichen nach; auch der ältere Arzt erhob sich und suchte seine Tochter Sophie auf, welche er dann ins Haus schickte, um sich zur Ruhe zu legen, damit die Abendluft ihr nicht schade. Als Sophie fort war und Theo und der Arzt allein sich gegenüber standen, sagte der Letztere:

Nun, Fräulein Theo, darf Ihr Arzt sich jetzt ein paar Fragen erlauben?

Wenn er hübsch discret bleibt! lächelte sie.

Gewiß, ich kenne ja mein stutziges Edelfräulein, das über jedes Wort unwirsch den Kopf aufwirft und ein wahrer kleiner Tyrann ist, aus lauter sprödem Hochmuth! Also – Sie waren ganz wohl seither und alle Aufregungen jener Nacht, Ihrer Flucht haben Ihnen nicht geschadet?

Theo nickte mit dem Kopfe und setzte dann hinzu: Ich war körperlich ganz wohl, lieber Pauli!

Es war eine schreckliche Scene, die jener Nacht! rief Pauli aus. Welche Angst habe ich um Sie erduldet! Die Leidenschaft, mit der Sie darauf bestanden, ich solle jene für Ihre Verwandten beleidigenden Ausdrücke niederschreiben, war fürchterlich! Welche Schuld haben Ihre Vormünder gegen Sie begangen?

Doctorchen, ist das noch innerhalb der Discretion?

Theo, sagte der Arzt ernst, wenn Sie wüßten, was ich durch Sie und was ich um Ihretwillen gelitten habe, so würden Sie mir mehr Vertrauen schenken. Ich verdiene es um Sie!

Schnell gerührt legte Theo ihren Arm in den des Arztes und stützte sich darauf, wie um ihm zu zeigen, daß Sie in ihm einen väterlichen, sie haltenden und führenden Freund sehen wolle.

O glauben Sie mir, sagte sie, ich weiß wohl, welche große, unverantwortliche, nie zu tilgende Schuld ich Ihnen gegenüber auf mich geladen habe!

Sie gingen Beide eine Zeitlang schweigend neben einander her.

Sie sagten uns bei unserm Kommen, hub der Arzt wieder an, daß Sie nicht länger des Geheimnisses bedürfen, welches Ihre Anwesenheit hier umgibt und welches Sie so lange unangetastet zu erhalten gewußt haben.

Ja, ich erwarte täglich eine Botschaft, welche mir erlauben wird, zu meiner Tante in O. mich zu begeben. Es kam für mich darauf an, mich der Gewalt der Cousine Quernheim, welche bis jetzt, wie Sie wissen, eine vormundschaftliche Macht über mich ausgeübt hat, zu entziehen. Der Brief, den ich Sie schreiben ließ, lieber Pauli, sollte nicht allein mich vor Allgundens Nachforschungen sichern, die ich freilich allen Grund hatte, zu fürchten, er sollte noch mehr thun – er sollte mich retten vor Ansprüchen auf meine Hand, welche gegen meinen Willen einem Manne gegeben worden sind, den ich verabscheue, der aber mit eiserner Hartnäckigkeit seine Absichten durchzusetzen weiß und der, mit der Cousine Quernheim verbündet, allmächtig ist. Diesen Hof, dessen Besitzer von meinem Vater einst zur größten Dankbarkeit verpflichtet wurde, hatte ich als Kind einmal gesehen, ich wußte, ich konnte hier eines Asyls für den ersten Augenblick sicher sein. Aber das genügte nicht, auf längere Zeit konnte nur der Glaube, ich sei aus der Reihe vernunftbegabter Wesen ganz ausgestrichen, Tondern zu freiwilligem Verzicht auf mich bewegen und mich vor Nachstellungen retten, die ich fürchtete, wie den Tod. Ja, es galt mein Leben – sonst wahrlich, Pauli, hätte ich Sie nicht zu einer Unwahrheit gezwungen, die ich mir ewig vorwerfen werde und – setzte sie stockend nach einer Pause hinzu – die ich hier jetzt aufs schmerzlichste büße!

Theo führte ihr Tuch an die Wimpern und der Arzt wagte nicht, sie nach der Erklärung dieser letzten Worte zu fragen.

Beide gingen einige Mal stumm den Gartenpfad auf und ab. Dann sagte Theo mit einer Stimme, welche dem Arzte eine gewisse Beklommenheit zu verrathen schien.

Erinnern Sie sich des junges Mannes, der an jenem Abende in meinem Vorzimmer war? Ich hatte ihn wegen einer Verwundung dahin bringen lassen, die er im Schloßhofe bekommen. Sie beschäftigten sich mit seiner Verletzung; war sie bedeutend?

Durchaus nicht. Meine Hülfe war ganz überflüssig. Auch ist Graf Schlettendorf, so viel ich höre, ganz wohl und gesund und beschäftigt sich damit, der Gräfin Allgunde von Quernheim die Cour zu machen. Sie sollen in wenig Tagen erstaunlich warme Freunde geworden sein, wie mir erzählt wurde.

Theo fuhr ein Stich ins Herz bei diesen Worten Pauli's; ihre Knie wankten und er fühlte das Gewicht ihrer Gestalt sich schwer auf seinen Arm legen. Die Dämmerung des Abends verhinderte ihn zu bemerken, daß sie todtenblaß geworden.

Es wird kühl, Sie schaudern zusammen, Fräulein Theo; soll ich Sie in Ihren Pavillon führen?

Theo antwortete nicht. Sie bückte sich nieder, um eine Resedablüte zu erraffen, und sagte:

Man spricht wol viel von meiner Krankheit, nicht wahr? Sie ist wol in Aller Munde und die Menschen machen spöttische Glossen über das Ende, welches Theo's Unabhängigkeitsgefühl, ihr Unwille, sich von tausend jämmerlichen Rücksichten binden zu lassen, und ihre Überspanntheit, wie man es nannte, genommen hat?

O pfui, wer wäre so gottverlassen, über ein solches Unglück zu spotten!

Gute Nacht, Pauli – sagen Sie Sophie von mir gute Nacht – sagte Theo, ließ den Arm des Arztes fahren und ging mit sichern, stolzen Schritten, wie Jemand, der sich beobachtet weiß, ihrem Pavillon zu.

Als sie das Innere desselben erreicht und die Thüre verschlossen hatte, warf sie sich übermannt und wie vernichtet auf ihr in der Ecke stehendes kleines Feldbett und, indem sie das Gesicht in die weißen Linnen drückte, zerfloß sie in einen Strom von Thränen. So lag sie lange, krampfhaft schluchzend, die Hand auf das Herz gedrückt, das heftige Schmerzen durchwühlten. Dann setzte sie sich aufrecht auf den Rand des Bettes; der Mond war unterdeß aufgegangen und warf eine Fülle seines blaugelben Lichtes in das Gemach. Seine Schimmer spielten hell und weich mit den Falten von Theo's weißer Mousselinrobe; ihr Gesicht, das niedergebeugt war wie unter der Last der thränenfeuchten, lang niederhängenden Ringellocken, hatte eine gespenstische Blässe in dieser Beleuchtung. Der Schmerz, der ihm sein starres Gepräge aufgedrückt hatte, machte es dem Marmorantlitze der Statue einer verzweifelnden Göttin ähnlich.

Sie rang die Hände und sprang auf.

Auch er, auch er ist zu ihr übergegangen! rief sie aus, und es waren die Lügen eines Dämons, jene Ahnungen und Träume, die alle meine Gedanken, meine ganze Seele mit all ihrer Qual und Noth auf ihn verwiesen! Gott, wie viel war diese Hoffnung mir in diesen Tagen der Verlassenheit! Und ich – ich bin nichts – nichts für ihn als eine Wahnsinnige – ein verrücktes Weib!

Herr im Himmel, fuhr sie fort, welche Marter, die mich für meine Lüge straft! Daran – daran hatte ich nicht gedacht! Erst als ich mich hier sicher fühlte, kehrten meine Gedanken zu Valerian zurück. Und er – welches Bild wird er sich von mir machen? Mit wirren, zügellosen Blicken werde ich vor ihm stehen – haarflatternd, toll verzerrt, grauenhafte Worte ausstoßend; eine häßliche Megäre, deren Erscheinung sich wie ein Alp erstickend in seine Träume legt; ein Scheusal, das er mit Widerwillen aus seinem Gedankenkreise stößt – Gott – o Gott!

Theo war eine kräftige, in großen Zügen angelegte Natur, die in unverkümmerter und freier Entwickelung sich ausgebildet hatte. Charaktere, wie der ihrige, Herzen voll Gefühl und Enthusiasmus sind nie ohne Geneigtheit rasch und plötzlich von der Leidenschaft ergriffen zu werden. Sie ist die Sonne, die in edeln Charakteren die Keime großer Gedanken und großer Thaten wachsen läßt. Auch in Theo's Innerem konnte die Leidenschaft mit einer Glut auflodern, die ihr etwas Gewaltiges gab, mit dem Schimmer des Heroischen sie umkleidete und doch ihrer Weiblichkeit keinen Eintrag zu thun vermochte.

Sie überließ sich in diesem Augenblicke ganz dem innern Stürmen, das sie durchtobte.

Sie sprang auf, sie hob die Arme in gewaltigem Schmerze über den Kopf empor und rief aus:

O ich will sterben, sterben, sterben!

Dann bedeckte sie die Augen mit ihren verschränkten Händen und drückte die Stirn heftig an die Wand, an einer Stelle, über welcher ein aus Elfenbein geschnitztes Crucifix hing.

Während deß stand ein großer, in einen Mantel gehüllter Mann hinter dem Pavillon Theo's auf einer Erhöhung, welche von zerbrochenen Ziegelsteinen, Schutt und Trümmern aller Art, die man hierhin, ans Ende des Gartens, zu bringen pflegte, gebildet war, an den Stamm eines alten, absterbenden Birnbaums gelehnt.

Der Mann beobachtete von diesem Stamme verdeckt die Bewegungen Theo's, welche er, da das Mondlicht sie erhellte, von seinem Standpunkt aus deutlich wahrnahm. Nach dem letzten Ausrufe des Edelfräuleins zog er die Falten seines Mantels um sich und mit dem Ausrufe: »Sie ist doch wahnsinnig!« sprang er die Erhöhung hinab und verschwand dann hinter den Stämmen des Eichkamps, der den Garten umgab.



 << zurück weiter >>