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Fünftes Kapitel.


Wir betreten einen andern Theil des Schlosses von Blankenaar; es ist eine Zimmerreihe in dem ältesten Flügel des Gebäudes; der Vorsaal ist gewölbt, die Mauern zeigen sich so breit, daß jede Fensternische ein kleines Gemach für sich bildet, und der Schmuck der Zimmer hat wie der Geschmack der Einrichtung einen ernsten und fast düstern Charakter.

In dem größten dieser Zimmer, für dessen Erhellung zwei Wachslichter auf Leuchtern von alter, schwerfälliger Silberarbeit ohne bedeutenden Erfolg ihr Möglichstes thun, ist in einem weiten Kamin ein Feuer angezündet, das rothe Scheine spielend und flackernd auf eine Reihe Ahnenbilder wirft. Diese dunkeln Ritterfiguren in Costümen aus allen Zeitaltern thun das Ihrige, um den unheimlichen Eindruck, den das weite und tiefe Zimmer macht, zu erhöhen. Wenn der rothe Flammenschein auf die Gesichter dieser Männer verschollener Tage fährt, treten bleiche, markierte Züge hervor, die in dem Augenblick einen grauenhaften Ausdruck von Leben und Bewegung annehmen. Es ist, als sei eine verzerrende, zuckende Anstrengung durch ihre Züge gefahren, sich wieder einen Augenblick des Odems und des Lebens zu bemächtigen, das seit Jahrhunderten in ihnen erloschen.

Obwol zwei Personen in dem Raume anwesend sind, herrscht doch eine durch nichts als durch das Lodern der Scheite im Kamin unterbrochene Stille. Ein leises Knarren und Rollen, als wenn fernab unter dumpf nachhallenden Thoren Räder rollten; dazwischen Seufzen und langgedehntes, gurgelndes Aechzen sind die leisen Stimmen, die aus dem Schoos der Flammen hervor das gespenstige Gesichterschneiden der todten Ritter begleiten.

Ein melancholisch Spiel, was die Flammen treiben! sagte der eine der Anwesenden nach einer langen Pause. Du sitzest dem Ueberflusse im Schoose, Allgunde, aber ich muß gestehen, du hast nicht verstanden, es dir bequem darin zu machen.

Die Angeredete – denn es war eine Dame – antwortete nicht; sie ging schweigend in dem Zimmer auf und ab; es schien, als ob sie die Worte gar nicht vernommen und den Sprechenden, der in einem Lehnstuhl vor dem Feuer saß, ganz vergessen habe. Der Letztere aber mochte um jeden Preis das Schweigen brechen wollen.

Erst jetzt ist mir wohl, seit ich meine Füße an das Feuer strecken kann; es war so feuchtkalt vorhin in diesen Zimmern. Kommt je die Sonne hinein?

Was legten Sie sich nicht zu Bett, Herr von Finkenberg? Sie sind krank, sehr krank, antwortete die Dame.

Ich krank, Allgunde? O nein – etwas angegriffen blos; ich mag nicht zu Bett gehen.

Und weshalb nicht?

Ich kann nicht schlafen, Allgunde, wenn ich mit dir unter einem Dache bin!

Nicht? sagte näher tretend die Dame, welche Allgunde, Gräfin zu Quernheim hieß.

Der Mann im Lehnstuhl sagte leise:

Weil ich dich fürchte!

Die Dame wandte sich und setzte ihre Wanderung im Zimmer auf und ab fort. Sie war eine ziemlich kräftig gebaute Gestalt von mittlerer Größe, mit einem kleinen Anflug von Embonpoint; ihre Züge mochten ehemals schön gewesen sein, jetzt waren sie es nicht mehr, denn Nachtwachen und Gedankenarbeit hatten ihnen die Frische genommen, Leidenschaften und innere Kampfe eines zu heftigen Aufwallungen geneigten Gemüths sie zu tief gefurcht und ausgeprägt. Noch besaß sie eine Art wilder und imponirender Schönheit, wenn man bloß ihr kräftig gezeichnetes, von dichten, schwarzen Locken umschattetes Profil sah; von vorn gesehen aber war ihr Gesicht unangenehm durch einen eigenthümlich bohrenden und stieren Blick der wasserblauen Augen. Unter dem Kreise ihrer Bekannten hieß es, Gräfin Allgunde habe etwas vom »bösen Blick«, und man vermied es, kleine Kinder in ihre Nähe zu bringen.

Sie war gekleidet in einen weiten Ueberrock von dunklem Chaly und trug ein kleines Spitzenhäubchen von zierlicher Arbeit mit Schleifen von der Farbe des Kleides; überhaupt zeigte ihre Haltung und ihr Wesen die vollkommen geschulte Dame der großen Welt. Nach Ausweis des »Grafenkalenders« war sie genau 37 Jahr und neun Monat alt. Man würde sie leicht für 40 Jahre alt haben halten können.

Gräfin Allgunde von Quernheim war Stiftsdame des freiweltlichen adligen Damenstifts von Werringen, woher sie eine bedeutende Rente bezog.

Nachdem sie eine Weile das Zimmer nach allen Richtungen hin durchmessen, ließ sie eine Taschenuhr repetiren. Es war halb eins.

Der Jude bleibt lang! flüsterte sie für sich.

Allgunde, hob der Mann im Lehnstuhl an, ich bin müde; die Kraft zu hoffen ist mir gebrochen und die Elasticität meines Geistes, der einst jung war und sich nicht niederwerfen ließ, ist dahin!

Sie sind fünf und dreißig Jahr, Herr von Finkenberg. Sind Sie bei dem Alter ein Greis, so werden Sie dies doch wol nicht als einen Grund des Mitleidens und der Theilnahme für Sie geltend machen wollen!

Allgunde, sende mich nicht über die See; ich bange vor der See; es ist mir, ja, eine Ahnung sagt mir, daß ich ertrinken werde.

Thorheit!

Du siehst, wie ich leide; mein Körper ist morsch und hinfällig; was zwingst du mich, die Luft einer andern Zone zu athmen, die mir tödtlich werden kann?

Ich zwinge Sie zu nichts Anderem, Herr von Finkenberg, als dazu, sich eine anständige Existenz durch Fleiß und Arbeit zu schaffen, und in einem Lande, wo dies für Sie noch möglich ist; hier können Sie anständiger Weise nicht mehr bleiben. Auch abgesehen von allem Andern, was mich wünschen läßt, ein Meer zwischen uns Beiden zu sehen, ist es vom höchsten Interesse des ganzen Adels, gerade jetzt kein Mitglied unter sich zu haben, welches ein übles Licht auf die ganze Genossenschaft wirft. Sie waren Ihr Lebenlang bemüht, alle die albernen Beschuldigungen zu rechtfertigen, welche gegen unsern Stand gerichtet werden; was Sie früher waren, davon schweigen wir! – Hier wurden Sie ein Bild des liederlichen, gottlosen Jagdjunkerthums, wie es in schlechten modernen Büchern geschildert wird. Jetzt sind Sie zu Ende mit der Kraft und mit dem Gelde; gehetzt von ihren Wechselschulden, ihren Verpflichtungen auf Ehrenwort, von drohendem Gesindel, das Ihnen auf dem Nacken sitzt, kommen Sie zu mir; ich soll retten! – Ei, glauben Sie, wir wären so thöricht, diese Gelegenheit nicht zu ergreifen, um Ihrer als eines Schandflecks für uns los zu werden?

Sag' doch nicht wir, Allgunde; es ist ja doch nur dein Wille, mich fortzuschaffen; die Andern alle ließen mich gern, wo ich bin. Der Sasseneck schrieb mir vor einem Jahr etwa –

Der Sasseneck ist eben ein Narr und scheut sich, dir das zu sagen, was ich dir sage, versetzte heftig die Gräfin. – Doch das ist Eins, fuhr sie gemäßigter fort; es bleibt bei meiner Bestimmung!

Der Mann am Kamin hatte sich während der Unterredung aufgerichtet; jetzt sank er mit einem Seufzer matt in die Kissen zurück. Sein bleiches Gesicht bekam einen Ausdruck von vollständiger Willenlosigkeit und Schlaffheit; es war blaß, die eingefallenen Wangen zeigten allein eine fieberhafte fleckige Röthe und die ganze eingesunkene Gestalt verrieth eine untergrabene Gesundheit; bei alledem und trotz der Schlemmerzüge um seinen Mund hatte sein Gesicht etwas Vornehmes und Spuren einer etwas weibischen, doch großen Schönheit; er sah aus wie der Letzte eines berühmten, aber durch eine Unzahl von Generationen immer mehr entnervten, kraft- und saftlos gewordenen Geschlechts.

Gräfin Allgunde setzte sich an einem Schreibtisch nieder und blätterte in den Briefen ihres Portefeuilles. Finkenberg unterbrach sie nach einer Weile mit der Frage:

Was soll dir nur mein Todtenschein nutzen, Allgunde; du wirst ja doch nie etwas von unserer Verbindung gestehen wollen; wozu also der Beweis, daß sie aufgehoben ist?

Ich habe jetzt seit gestern Abend Ihre Fragen zu beantworten gehabt, Herr von Finkenberg; Sie werden mich verbinden, wenn Sie mir einen Augenblick Ruhe gönnen. Mein Entschluß steht fest: mit dem Paß, den ich mir für einen von meines Vaters Jägern habe geben lassen, reisen Sie nach den Vereinigten Staaten ab; zur Reise sind Ihnen tausend Thaler ausgesetzt. Ihren Paß und Ihre sämmtlichen Papiere haben Sie mir ausgeliefert; sie sind dort im Kamine in Flammen aufgegangen; Sie haben nun hier keine Heimat, keinen Namen, kein Recht zu existiren mehr; kommen Sie je wieder, so werde ich dafür sorgen, daß Ihre Gläubiger früh genug in Kenntniß gesetzt werden, um Ihre Person in Sicherheit bringen lassen zu können. Ich denke, Sie wüßten nun Alles. Wenn ich noch einen Gerichtsarzt zu holen Auftrag gab, um mir ein Zeugniß ausstellen zu lassen, daß Sie gestorben seien, so habe ich meine besondern Gründe dazu.

Uebrigens, setzte sie hinzu, sehen Sie daran, daß ich zu einer solchen Handlung mich herablasse, wie viel mir daran liegt, glauben zu machen, Sie seien ausgestrichen aus der Reihe der Lebenden. Nehmen Sie daraus ab, mit welchem vernichtenden Eifer ich suchen müßte, Sie unschädlich zu machen, wenn ich je von Ihrer Rückkunft hörte.

O dies harte, fürchterliche Weib! rief der Kranke, indem er sein Gesicht in den Händen barg.

Nur noch Eins, hub er dann zag nach einer Pause wieder an: Kann ich nicht als Jäger, wie ich in dem Passe stehe, den du mir gabst, hier bleiben? Könnte ich dir nicht dann durch meine Feder nutzen. Ich habe Verbindungen mit Schriftstellern – du hast ja einst selbst den eleganten Stil, die ironische Schärfe meiner Schriften anerkannt. Du ließest meinen Kenntnissen Gerechtigkeit widerfahren –

Zusammengelesene Brocken!

Freilich, damals liebtest du mich, Allgunde!

O schweigen Sie. Sie sind unwürdig genug, mich daran zu erinnern? Nein, Herr von Finkenberg, zum Schriftsteller für die gute Sache können wir Sie nicht mehr gebrauchen. Sie haben sich das erste Mal, wo man Ihrer Feder so viel vertraute, schlecht genug aus der Sache gezogen. Sie sollten ein mattes, stümperhaftes Buch voll der gewöhnlichen, platten und gottlosen Angriffe gegen den Adel und seine ererbten Rechte, gegen Thron und Altar schreiben und dann durch ein zweites, gediegenes und glänzendes Werk voll siegender Beweiskraft das erste widerlegen. Man wollte endlich alle die zerstreuten, überall auftauchenden Gemeinplätze bei einander sehen, um sie dann auf einmal vernichten zu können. Der ganze Adel war auf Ihr zweites Werk gespannt, man erwartete einen glänzenden Sieg vor der öffentlichen Meinung,– und was ist daraus geworden?

Das Auge Finkenberg's belebte sich, ein schadenfrohes Lächeln schlich über seine Züge und die Erinnerung an diese Begebenheit schien ihm ein großes Vergnügen zu machen.

Ja, sagte er, es wurde anders, als man erwartete; der ersten Schrift rühmten die Leute schlagende Schärfe, Witz und gründliche Beweisführung nach; es macht mich lachen, wenn ich an Mainhövel denke, wie erschrockene Gesichter er machte, so oft ich ihm daraus vorlas: »Um Gotteswillen, Finkenberg, du schreibst viel zu gut, viel zu gründlich; nicht so gründlich, nicht so scharf, Finkenberg!» Ha, ha, ha! Die Gegenschrift fiel freilich matt aus! aber war es meine Schuld, war die Sache selbst dabei für nichts?

In diesem Augenblicke hörte man in der Entfernung eine Thür öffnen; es nahten sich Schritte, leise, als ob sie vermeiden wollten, das Echo der gewölbten Gänge zu wecken.

Ein Kammermädchen trat ein und meldete den Juden Isaak Koppel an.



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