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Zwölftes Kapitel.


Während Finkenberg so seine Ungeduld und Verzweiflung an den Tag legte, daß sich ihm keine Spur zeigen wollte, wohin Theo sich gewendet, wanderte der Jude, welcher mit ihm denselben Zweck verfolgte, dem Schlosse von Quernheim zu, wo die Gräfin Allgunde gespannt seinen Bericht erwartete. Doch erreichte er das Gut denselben Abend nicht mehr.

Als es zu dunkeln begann, beschloß er für die Nacht in einem Wirthshaus an der Heerstraße einzukehren, seinen Gliedern Ruhe und seiner Seele den Genuß behaglicher Sicherheit zu gewähren, deren sie sich keineswegs zu erfreuen pflegte, wenn er bei nächtlicher Weile draußen durch Gebüsch und Feld einherschritt, fern von den Wohnungen der Menschen und umgeben von den mancherlei Gegenständen, die im Auge eines Furchtsamen bei Nacht mit unheimlichen Umrissen sich bekleiden. –

Am andern Morgen jedoch, in ziemlich früher Stunde, stand er vor der Gräfin Allgunde von Quernheim, denn er hatte das Vorrecht, von ihr zu jeder Tagesstunde empfangen zu werden.

Ihr kommt spät, Isaak! sagte sie, und was habt Ihr gehört? Wo ist meine Cousine?

Ich weiß es nicht, Ew. Gnaden; Niemand weiß es und der Gerichtsarzt weiß es selber nicht!

Pauli weiß es nicht? Das ist unglaublich! Ist sie ihm vielleicht ebenso entflohen, wie mir?

Isaak zuckte die Achseln.

Es ist wunderbar, sagte er; aber es ist nirgends eine Spur aufzufinden.

Dies ist zum Verzweifeln, rief Allgunde, heftig in ihrem Zimmer auf- und abgehend; noch immer keine Spur von diesem verwegenen, ungebändigten Geschöpfe! Ich habe geschrieben an alle ihre und meine Verwandte, ich habe ihren Reitknecht einer Art Folter unterwerfen lassen und bis jetzt ist mir noch nicht die entfernteste Andeutung kund geworden, nur nach welcher Seite hin sie zu suchen ist! Sie muß jede Heerstraße, jeden Ort vermieden haben mit einer Vorsicht, wie ein fliehender Verbrecher.

Ich will bei Pauli einen letzten Versuch machen, sagte der Jude; geben Sie mir den Brief des Physikus, vielleicht wird er gesprächiger, wenn er dies Document in meiner Hand sieht. Daß das gnädige Fräulein ihm entflohen sein sollte, glaube ich nicht; weshalb hätte er dann geschwiegen über ihren Aufenthalt bis zu solcher zweiten Flucht? Das Ganze hängt anders zusammen. Geben Sie mir den Brief und ich will sehen, was ich thun kann, es zu entwirren.

Da ist der Brief, antwortete die Gräfin, indem sie das Schreiben Pauli's aus ihrem Portefeuille nahm. Ihr dürft' es zeigen, Isaak; ich werde ja doch nicht verhindern können, daß man erfährt, meine Cousine Theo sei übergeschnappt und entlaufen; ja, es ist mir gleichgültig, Isaak, ob man es sich erzählt!

Ich verstehe, sagte der Hebräer listig lächelnd, ich verstehe; Ew. Gnaden können hierüber ganz ruhig sein, man wird es sich erzählen und man wird vielleicht so weit gehen, noch mehr zu erzählen, als sich in der That zugetragen hat. Denn die Menschen haben darin einen seltsamen Geschmack, und ich habe nie erlebt, daß sie mit einer Geschichte zufrieden gewesen wären, so wie sie vorgefallen ist.

Jetzt geht, Isaak, und thut Euer Möglichstes; ich will, ich muß wissen, wo sie ist, ich habe keine Ruhe bis dahin, einen andern Gedanken zu fassen! Und doch ist mehr zu thun! Auch für Euch, Jude. Da ist ein Jäger beim Grafen Schlettendorf; derselbe, für den ich den Arzt wollte und den Ihr auf einer Reise begleiten solltet –

Der Hebräer machte ein pfiffiges Gesicht und nickte mit dem Kopfe.

Allgunde widerte diese freche Miene des Einverständnisses an; sie wandte sich ab und schloß kurz:

Doch von Dem später; Baron Tondern wird mit Euch darüber sprechen. Macht Euch jetzt auf den Weg und denkt, daß ich so lange, bis Ihr mir eine gute Botschaft bringt, wie auf der Folter bin. Da ist Geld für Euch. Nun marsch!

Isaak Koppel steckte die Goldstücke zu sich, die sie ihm reichte, und entfernte sich mit großer Hast und langen eilfertigen Schritten. Als er jedoch aus dem Gesichtskreise der Bewohner von Quernheim war, mäßigte er seinen Gang und wandelte mit behaglicher Muße den Weg zurück, den er gekommen.

So war es nicht weit mehr vom Abend, als Isaak in Birkenheim ankam. Die Sonne vergoldete die Fensterscheiben in dem kleinen Landhause des Arztes, welches, so angeglüht, doppelt freundlich und einladend in seinem Gartengrunde unter den reichen Wipfeln wohlgepflegter Obstbäume dalag. Man konnte nichts Idyllischeres sehen.

Das Haus war aus rothen Ziegelsteinen erbaut, aber Gesims und Ecken, wie die Einfassungen der Fenster und Thüren bestanden aus feinem, weißem Sandstein; darüber legte sich ein dichtes Gewebe von Weinreben, deren zarte, höchste Ranken bis zu den grünen Jalousien der Mansardenfenster hinaufklommen, hinter welchen Eugen's, des jüngeren Arztes, Wohnung sich befand. Unten rechts war das Familienzimmer; die schräg einfallenden Sonnenstrahlen malten im Innern den Schatten der Weinblätter auf die gegenüberstehende Wand, welche eine einfache, blaue Tapete bedeckte. Farbige Kupferstiche, die Tell's Apfelschuß und sonstige Thaten darstellten, hingen umher; nur über dem Sopha prangte ein Oelgemälde, das Bild der verstorbenen Mutter Sophiens, von dieser mit einem vollen Kranze umgeben.

In diesem Raume saß die Familie des Arztes zusammen, eine jener friedlichruhigen Nachmittagstunden genießend, wie man sie nur auf dem Lande kennt. Man war vom Spaziergang zurückgekommen, unterdeß hatte der Bote aus der Stadt Briefe, Zeitungen und Journale gebracht; man las vor, man politisirte, selbst Sophie, die fast ganz genesen am Fenster saß, hatte ihr Nähzeug fallen lassen und beugte das noch blasse Gesicht über die Blätter eines fünfvierteljahr alten Modejournals.

Der Sonnenschein legte die schönsten, goldensten Lichter auf ihren blonden Lockenkopf und sie ahnte nicht, daß ihr feines Profil, ihre zarte und zierliche Gestalt, die etwas von einer Blume an sich hatte, etwas so sanft Aufgeschwungenes und Graziöses wie eine Märchenblume, aus der ein Elfenhaupt steigt – sie ahnte nicht, daß sie selbst ein unendlich reizenderes und lieblicheres Bild war, als all die langweiligen, sich spreizenden Gänschen, welche auf den Kupfern ihren Neid und ihre Bewunderung erregten.

Es klopfte. Isaak Koppel war es, der eintrat.

Ha, Isaak Koppel, rief Sophie ihm fröhlich entgegen, laßt Ihr Euch endlich sehen? Es hat mich verlangt, Euch zu sprechen, denn ich weiß jetzt, was ich Euch verdanke; es ist viel und mehr, als wir Euch lohnen können. Nehmt einen Stuhl, Isaak.

Mein, mein, versetzte der Hebräer, was will das sagen? Sieht Einer den Andern in Noth, daß er nicht mehr weiß, wo aus noch ein und kann sich jetzt selbst nicht mehr helfen, und hat doch sonst aller Welt geholfen – nun, da springt man ihm bei, sei's Jude oder Christ!

Was ist Euer Begehren, Isaak? fragte der Gerichtsarzt, der dies Gespräch nicht fortgesponnen sehen mochte.

Isaak Koppel zog eine schmutzige Lederbrieftasche heraus und suchte in dem Wust von Papieren, welcher sich darin befand.

Eugen – sagte unterdeß leise die junge Frau ihrem Manne ins Ohr, den sie herbeigewinkt hatte – Eugen, Ihr seid so wenig freundlich und dankbar gegen den Juden, er hat mir doch das Leben gerettet, wie Ihr selbst es sagt.

Eugen zuckte die Achseln: ich weiß nicht, was dein Vater mit ihm hat, antwortete er eben so leise; aber er versichert mich, wir könnten über die Belohnung Isaak's ruhig sein; dieser Jude habe seinen Lohn vollständig dahin. Jedenfalls ist er eine so widerliche Creatur, wie irgend eine seit den Tagen Shylock's!

Isaak Koppel hatte unterdeß den Brief hervorgezogen, den er suchte, das Schreiben Pauli's an Theo's Vormund, den Freiherrn von Mainhövel.

Hr. Amtsphysikus, kennen Sie dieses Papier?

Ha, wie kommt der Brief in Eure Hände?

Auf ehrlichem Wege! Es soll Ihnen nur zeigen, daß ich eingeweiht bin in Alles; auch ist es nicht in meinem eignen Namen, daß ich jetzt, mit diesem Briefe in der Hand, noch einmal frage: Herr Amtsphysikus, antworten Sie mir, wo ist das Fräulein, die Theo?

Der Gerichtsarzt war offenbar sehr erschrocken, doch antwortete er mit Entrüstung:

Ich habe Euch gestern schon die Frage beantwortet; glaubt Ihr, ein Mann habe heute eine andere Antwort, als er gestern gehabt?

Mein, Herr Amtsphysikus, werden sie nicht zürnig! Haben Sie doch hier geschrieben, daß Sie's wissen! Weshalb wissen Sie's nun nicht? Wo ist nun die Wahrheit, wo ist die Lüge? Mein, ich glaube die Lüge ist hier – hier, hier!

Der Jude schlug mit spöttischem Gesicht wiederholt seine flache Hand auf das Papier.

Und dies ist ein amtliches Schreiben, fuhr er fort; ein ärztliches Zeugniß, ein Document – mit Ihrem Amtssiegel ist es zugemacht!

Isaak, unterbrach hier Eugen das Gespräch des Hebräers mit seinem Schwiegervater, nehmt Euch in Acht; wär's nicht um der Hülfe willen, die Ihr für meine Frau hattet, so würde ich Euch schon jetzt zur Thüre hinausgeworfen haben!

Herr Doctor, versetzte Isaak Koppel mit seinem boshaftesten Greinen, Ihnen zu Vergnügen thu' ich Alles! Wenn es Ihnen eine Freude ist, so zeig' ich Ihnen, wie's Einer durch vielfältige Uebung dahin gebracht hat, sich selbst zur Thüre hinauswerfen zu können. Soll ich? Nur ein Wort und ich thu's! Ich habe doch noch zu thun in Birkenheim: da ist der Herr Landrichter, mit dem hab' ich zu sprechen; es ist Jemand, der hat ein falsch Zeugniß ausgestellt; er hat seinen Diensteid gebrochen; er hat seinen amtlichen Charakter gebrauchen lassen, um einen Vormund, einen armen blinden alten Mann, hintergehen zu helfen! Dies ist eine schändliche Geschichte, nicht wahr, Herr Doctor? Nun, ich will gehen und ihn anzeigen; der Herr Landrichter soll zur Untersuchung schreiten! Ja, ich will gehen, auf der Stelle, Oder soll ich nicht gehen, Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli?

Der Gerichtsarzt faltete die Hände und in Angst und Rathlosigkeit den Juden anblickend, sagte er:

Du hast mich in dieses Unglück hineingeführt! Gott verzeihe dir's! Es war eine fürchterliche Prüfung! Ich bin erlegen!

Er starrte in stummer Verzweiflung auf den Boden, dann hob er das Gesicht empor und gefaßter fuhr er fort:

Was willst du jetzt noch? Wolltest du mich verderben, so wärst du nicht erst zu mir gekommen und hättest dich mit deinem Briefe in mein und meines Sohnes Hand gegeben! Also, was willst du von mir?

In Eurer Hand bin ich nicht, sagte Isaak, der sich aus seiner gewöhnlichen gebeugten Stellung trotzig aufrichtete; denn gesetzt, Ihr nähmt mir den Brief – es sind Augen genug da, die ihn gesehen, Hände genug, die sich zum Zeugniß wider Euch erheben würden.

Die junge Frau war unterdeß aufgestanden und zu der Gruppe der Sprechenden getreten, wo sie ihr erschrockenes Gesicht stumm an die Schulter ihres Vaters lehnte.

Isaak, Isaak, rief sie jetzt mit vor Angst erstickter Stimme aus; was bedeutet alles Dieses und was wollt Ihr von meinem Vater?

Ich will wissen von ihm, wo das Fräulein von Blankenaar ist; weiter will ich nichts, aber dieses will ich! Binnen hier und sieben Tagen wird der Herr Amtsphysikus Johann Wilhelm Pauli es mir angeben, oder ich mache Gebrauch von Dem, was ich in Händen habe. Suchen Sie genau und sorgfältig! Bis jetzt ist keine Spur von ihr zu entdecken gewesen. Von allen ihren Verwandten und Freunden hat Niemand eine Ahnung, wo sie sein mag. Aber steht nicht geschrieben in Ihrer Bibel: wer sucht, der wird finden? In unserer steht es nicht, obwol es ein schöner Spruch ist; und tröstlich für Sie, Herr Amtsphysikus, ist er auch, sehr tröstlich, in der That! Leben Sie wohl – bis über sieben Tage, da werd' ich wiederkommen und werde meine Freude haben und Verwunderung, wie der alte Herr noch so geschickt ist, die Fährte von so schönem Wild aufzuspüren! Diesen Brief werden Sie dann zurückbekommen. Nun hab' ich mein Gewerb angebracht und damit Gott befohlen, Herr Amtsphysikus! Leben Sie wohl, Herr Doctor; guten Abend, Frau Doctorin!

Aber um Gottes willen, Isaak! rief ihm der Gerichtsarzt nach, so gebt mir doch nur ein paar Fingerzeige – wohin, nach welcher Seite –

Suchen Sie; was geschehen konnte, ist geschehen, um das Fräulein auszuforschen: aber es ist Niemand da, der irgend mehr davon weiß, als Sie; freilich gibt es auch Niemand, der mehr davon wissen muß!

Der Jude empfahl sich, nachdem er wieder dieselbe hohnlächelnde Demuth angenommen, mit welcher er eingetreten war.

Die Familie des Arztes ließ er zurück in der verzweiflungsvollsten Niedergeschlagenheit; das stille Glück dieser harmlosen Menschen hatten seine Worte und Drohungen verwandelt in eine Bekümmerniß und Angst, die um so qualvoller war, als das angestrengteste Sinnen nirgends einen Schimmer von Hoffnung entdeckte, die Forderung des Juden so rasch erfüllen zu können.

Thun wir wenigstens das Unsrige, sagte endlich Eugen aufstehend, und das Uebrige stellen wir Gott anheim!



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