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Fünftes Capitel.
Graf Hugo.


Die Räume des Vaticans sind nur an einem einzigen Wochentage dein Besuche des Publicums geöffnet. Constanze pflegte nie an diesem Tage zu fehlen, und der Anblick ihrer hohen Gestalt war längst Allen, die regelmäßig, wie sie den Pallast besuchten, zur lieben Gewohnheit geworden. Das Einzige, was ihren Genuß ihr störte, war das öftere Zusammentreffen mit Personen, deren Bekanntschaft sie in früherer Zeit in der Gesellschaft ihrer heimatlichen Residenz oder auf Reisen gemacht hatte. Sie entzog sich aber diesen Begegnungen immer so bald als möglich und deßhalb drängte sich ihr auch ein und dieselbe Person nicht leicht zweimal in den Weg, wenn sie, den ernsten Blick nur auf die Schöpfungen der Kunst gerichtet, die hohen Hallen durchschritt. Nur von Helenen, seit diese angekommen, konnte sie sich nicht befreien. In ihren Zimmern ließ sich Constanze vor der neuen Hausgenossin beinahe immer verleugnen, aber auswärts konnte sie sich, so zurückhaltend und kalt sie sich benahm, durchaus nicht von ihr losmachen, und bei solchem Zusammensein flatterte Helene fortwährend unter irgend einem Vorwand bald da-, bald dorthin, und ließ unterdessen Habicht als cavaliere bei Constanze.

Es dauerte lange, ehe Constanzen das Absichtliche dieses Benehmens auffiel, das in so schreiendem Contraste zu Helenens früherem Verhalten ihr gegenüber stand; und leider gab es nur eine einzige Erklärung dafür! Helene wollte offenbar ihrem Manne Gelegenheit geben, zu seiner alten Flamme (wofür sie Constanzen nun einmal unwiderruflich hielt) zurückzukehren. Weßhalb die junge Frau das that, wagte Constanzens reines Gemüth kaum sich selbst zu gestehen.

Ueberdem war ihr Habichts Gesellschaft unerträglich. Er war immer ein sehr unbedeutender Mensch gewesen und wie die Geistreichen immer geistreicher so werden ja auch die Unbedeutenden immer unbedeutender oder fällt die Beschränktheit nur bei ihnen mehr auf, weil bei reiferem Alter man uns willkürlich auch einen reicheren Geist verlangt?

Constanze stand ganz allein in der kleinen Rotunde des vaticanischen Museums, die kein anderes Kunstwerk beberbergt, als den Apoll des Belvedere. Bei dem Anblick dieses schönen, weichen und doch männlichen Profils fiel ihr heute zum erstenmale die Aehnlichkeit mit Manfred auf. Wo war er jetzt er, den sie vergeblich überall gesucht hatte, freilich mit den durch die Sitte beschränkten Mitteln, die ein junges vornehmes Mädchen anwenden kann, wenn sie einen jungen Mann sucht. Hier in Rom hatte sie bestimmt gehofft, ihm zu begegnen, ja eine unabweisbare Ahnung verhieß ihr das noch immer! Aber keine Spur von dem Entflohenen, den der Fürst längst in seine allgemeine Amnestie eingeschlossen und der dennoch nicht eine Silbe dem Vater gemeldet hatte.

Sie wollte natürlich ihm selbst nicht mehr ihre Hand aufdringen; denn sie hatte es ja nur damals gethan, um ihre Ehre zu retten, weil sie sie in Gefahr geglaubt – diese Furcht war jetzt von ihr gewichen – ihr Ruf war damals ganz unangetastet geblieben; und wäre er es nicht, hätte Graf Julian auch nicht durchgesetzt, was er damals Manfred gegenüber auf sich genommen – was lag ihr hier in Rom am Ende daran, was Vettern und Basen im deutschen Krähwinkel von ihr sprachen! Aber sie wollte sich Manfred's annehmen und nach Möglichkeit gutmachen, was sie an diesem großen edlen Herzen, an diesem harmlosen Gemüthe verschuldet.

Da hörte sie eine bekannte Stimme hinter sich:

»Ja, der Schnitt ist wunderschön.«

Als Constanze den Kopf wandte, sah sie, daß es Helene war und nur, um nicht ganz unhöflich zu sein, sagte sie kurz grüßend, indem sie sich dem Apollo wieder zuwandte:

»Ja, der Schnitt des Profils ist bewundernswerth.«

Helene lachte laut auf!

»Ich sprach vom Schnitt der Mantille der Dame, die vor uns her wandelte; kommen Sie rasch, dann können Sie den prachtvollen Ueberwurf noch sehen, halb Jade, halb Mantille und alle Vorzüge Beider in sich vereinigend, indem er die Taille verhüllt und doch ihre Eleganz errathen läßt. Nicht wahr?«

Constanze machte ihren Arm von Helenen, die sie durchaus in der nächsten Raum in das Gefolge der Mantille ziehen wollte, los, und sagte nur kurz:

»Ich danke, das interessirt mich nicht.«

»Aber ich,« sagte Habicht, der hinter Helenen stand und gutmüthiger und tactvoller als sie, der Gräfin Ungeduld bemerkt hatte, und nun begütigen wollte, »ich habe etwas entdeckt, was Sie interessirt!«

»Und das ist?«

»Ein neues Atelier!«

»Bildhauer oder Maler?« fragte Constanze, die Lorgnette auf Apollo's Stirne gerichtet mit dem gleichgültigen Tone einer Person, die nichts besonderes erwartet.

»Maler, und zwar Landschaftsmaler und Genremaler. Ich habe ihn selbst noch nicht gesehen, denn das Allerheiligste, worin er arbeitet, wird nur seinen Bekannten geöffnet und er ist nur denjenigen sichtbar, die es ausdrücklich verlangen. Er malt ein Bild für den General Baraguay, für welches dieser mir in Paris das Geld mitgegeben hat, um es möglichst bald ihm durch einen der von hier abreisenden Officiere zu schicken. Gestern erhielt ich einen Brief, worin mir der General schreibt, daß heute Abend ein Atachée von hier abreise, dem ich das Bild mitgeben solle. Ich bin also gleich gestern im Atelier gewesen, habe dort wahre Wunder von schönen Bildern gesehen, und der unsichtbare Schöpfer dieser Herrlichkeiten hat mir heraussagen lassen, ich möchte heute um zwei Uhr das bestellte Bild, das glücklicherweise fertig ist, für den General in Empfang nehmen.«

»Wie beißt der Maler?«

»Cavaliere Costante.«

»Costante?«

»Ja; es soll noch ein junger Mann sein, aber der Papst hat ihm einen Orden ertheilt für ein wunderbares Bild, das er gemalt hat, eine Scene aus der Römischen Revolution, wo Frauen der Campagna einen verwundeten Soldaten retten.«

»Ist er ein Italiener?«

»Der General Baraguay sagte mir, er habe die Aussprache eines Schweizers – aber sein Name klingt italienisch.«

»Deutsch, seiner Bedeutung nach!« sagte Constanze zu sich selbst; laut bemerkte sie nur: »Er ist beinahe etwas wie ein Namensvetter von mir!«

Vom ersten Moment, wo Habicht von dem Maler gesprochen, hatte sie an die Möglichkeit gedacht, daß es Manfred sein könne – und jede Minute steigerte diesen Glauben in ihr.

»Wollen Sie mich mitnehmen,« fragte sie deßhalb, »wenn Sie um zwei Uhr hingehen – es ist jetzt schon drei viertel und mein Wagen hält vor dem Vatican.«

Habicht blickte sie überrascht an, denn bisher hatte sie allen Anerbietungen an seinem Arme etwas zu sehr sich entzogen. – Helene aber rief rasch: »Vortrefflich dann habe ich Ferien und fahre mit der Frau des Oberst Lanneau auf den Pincio, es ist ohnedieß Sünde bei dem herrlichen Wetter zwischen vier Wänden zu stecken; addio, addio

Und fort war sie und draußen bestieg sie lachend ihren kleinen eleganten Wagen, und sich behaglich in die Kissen zurücklehnend, sagte sie triumphirend:

»So weit wären wir denn; sie haben sich in ihren Freuden associirt!«

Constanze aber, der es freilich nicht eingefallen war, daß Helene nicht Theil nehmen werde am Besuche bei dem Maler, ließ sie dennoch ruhig sich entfernen; denn der Gedanke, daß sie vielleicht in einer Viertelstunde Manfred als gefeierten und großen Künstler treffen könnte, ließ ihre Seele für alles Andere gleichgültig. Und der Banquier – da Helene keinen Herrn und am allerwenigsten einen gewissen Herrn in ihrer Gesellschaft haben konnte, gab er sich beruhigt der Freude bin, mit Constanze, die er wirklich so lebhaft verehrte, – nur allerdings nicht in der Weise, wie seine Frau es früher fürchtete und jetzt wünschte – einen durch die Plaudereien Helenens ungestörten Kunstgenuß haben zu können.

Er bot Constanzen den Arm, die ihn in tiefen Gedanken versunken annahm und gesenkten Hauptes mit ihm durch die Galerien zurückkehrte.

»Das nenne ich Glück!« rief plötzlich ein tiefes ächt deutsches Organ neben ihr.

Constanze fuhr zusammen die Stimme war ihr nur zu bekannt!

»Das nenne ich Sympathie! Schöne Cousine! Nun sind wir ja Alle zusammen,« fuhr Hugo Merwing fort – denn Niemand anders als unser alter Bekannter, der ›Doctor Mellheim‹ war es.

Constanze zog ihre Hand aus Habicht's Arm, Hugo legte dieselbe ohne weiteres in den Seinigen und sagte mit einer hisance, die für Constanzen etwas Affenhaftes hatte:

»Dieß schöne Freundschaftsband muß ich zerreißen und meine näheren Rechte geltend machen. Sie erlauben es doch, schöne Cousine?«

Constanze wußte zum erstenmale in ihrem Leben nicht, was sie sagen sollte, denn sie war so grenzenlos erschrocken über diese Begegnung, die ihr zwar von Helenen vorausgesagt war, die sie aber nicht so nahe geglaubt, sonst würde sie Rom schon längst verlassen haben.

»Wußten Sie gar nicht, daß ich hierher kommen würde,« fragte Hugo, von neuem ihre Hand mit seiner Hand fester in seinen Arm legend.

»Wir hatten es der gnädigen Gräfin gesagt,« fiel Habicht ein, dem Constanzens Verwirrung peinlich war.

»Sie hatten es ihr gesagt? Welche Aufopferung! Denken Sie sich, gnädige Cousine, hier unser Freund beehrt mich mit seiner Ungnade, weil ich in Paris seiner kleinen Frau etwas den Hof gemacht habe, und es war doch nur Aufopferung für ihn, um seiner Frau das fashionable Attribut zu geben, denn eine Frau, die in Paris keinen Courmacher hat –«

»Wir sind aber jetzt nicht in Paris!« sagte Habicht mit mehr männlicher Energie, als ihm Constanze zugetraut, indem er Hugo einen zornigen Blick zuwarf.

»Nein, Gott sei Dank,« sagte Hugo, indem er laut auflachte, »hier in Rom huldigt man nicht mehr à ce qui est charmant, sondern man beugt nur noch sein Haupt dem Classischen!« – und dabei neigte der neue Graf sein ausdruckvolles Gesicht so bedeutsam gegen Constanze, daß sie über den Sinn seiner Worte nicht zweifelhaft sein konnte.

Zu Habicht aber neigte sich dann Hugo auch, aber nur um ihm in die Ohren zu flüstern:

» Soyez tranquille à Rome; j'ai ici d'autres chats a fouetter!«

Habicht war nichts weniger als ein unerfahrener Neuling, aber über diese Worte wurde er doch roth, beinahe so roth wie Constanze, die nicht wußte, ob es aus Zorn oder Furcht geschah.

»Wohin wollten die Herrschaften?« frug jetzt ganz behaglich der Störenfried.

»In die Peterskirche!« sagte rasch Constanze, indem sie Habicht einen Blick zuwarf. Diesen Blick hatte aber Hugo gesehen, wie er mit seinen großen hellen Augen alles sah, und eigenthümliche Schlüsse daraus gezogen!

Constanze wollte jetzt nicht in das Atelier, weil sie, wenn wirklich Manfred der Maler war, ihn um keinen Preis in ihres Vetters Gesellschaft wiedersehen mochte.

Habicht war in einer eigenthümlichen Verlegenheit. Auf der einen Seite wußte er, daß der Maler ihn erwarte, und ebenso, daß das Bild den Händen des Officiers, der es mitbringen sollte, noch heute Abend übergeben werden mußte; auf der andern Seite entging ihm nicht, wie Constanze ein Alleinsein mit Hugo unangenehm sein werde – er sann also auf eine Auskunft und fand sie, indem er etwas vorschlug, was ihm selbst das Allerwiderstrebendste war: daß sich nämlich die Gesellschaft auf dem Monte Pincio zu seiner Frau verfügen möge, die man dort leicht finden werde.

Hugo sah ihn überrascht an, schwieg aber stille, weil Constanze rasch sagte:

»Richtig, bringen wir meinen Vetter zu Ihrer Frau, und gehen wir dann zusammen nach dem Atelier, wo wir ja doch bald erwartet werden.«

Hugo sah immer verwunderter von Habicht auf Constanze, denn er war zu klug – vielleicht schon zu stolz, nur einen Augenblick zu glauben, daß seine edle Cousine sich von dem unbedeutenden und verheiratheten Habicht die Cour machen lasse; er fragte sich also: Warum wollen sie allein sein?

Sie fuhren nun alle nach dem Monte Pincio. Es dauerte eine Weile, ehe man Helenen aufgefunden, die mit ihrer Freundin langsamen Schrittes durch die Promenaden fuhr. Als sie Hugo erblickte, bekam sie einen hochrothen Kopf, er aber begrüßte sie sehr gleichgültig und nahm den Rücksitz in ihrem Wagen, zur unaussprechlichen Verwunderung der jungen Frau, auf den ausdrücklichen Wunsch ihres sonst so eifersüchtigen Gemals ein, während Constanze und Habicht rasch nach der Stadtgegend fuhren, wo das Atelier des Malers sich befand.



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