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Erster Band.


Erstes Capitel.
Die Reihe der Festlichkeiten, welche den Leser erwarten, wird mit einem Balle eröffnet.


Ein schönes, großes Hotel in einer der kleineren deutschen Residenzen ist mit dem Geräusch und der Unruhe erfüllt, welche die Vorbereitungen zu einem Feste verursachen. Reich galonirte Bediente laufen Trepp' auf, Trepp' ab; in den Küchen und Vorrathskammern zischt, flirrt und rasselt es, und die großen Salons beginnen ein Meer von Licht auszustrahlen, denn der Kammerdiener geht bereits umher und zündet die Gasflammen an. Der junge Chef des großen Bankhauses ›Habicht junior & Comp.‹ giebt das erste Fest nach seiner Verheirathung.

Nur in einem Theile des Gebäudes ist es heute still und dunkel geblieben – in den Cassen- und Geschäftszimmern, welche nach dem Hofe zu liegen, in einem niedern einstöckigen Bau. Die Schreiber und Buchhalter haben Feiertag und können den Abend im Theater zubringen oder ihrer weiteren weltmännischen Ausbildung durch den Verkehr mit gebildeten Stammgästen in Weinhause obliegen. Nur der erste Buchhalter ist anwesend, der die Procura hat, was in einem Bankhause ersten Ranges so viel heißen will, wie etwa in dem großen Bankhause England der first Lord of the treasury, die allmächtige und eigentlich herrschende Respects-Person. Denn die Einrichtung eines solchen kleinen Handelsstaates hat mitunter sehr ausgebildete constitutionelle Formen, oder besser, es ist sehr oft eine durch die Beschränktheit des Chefs beschränkte Monarchie. Der Chef ist in Wohlleben und Müßiggang auferzogen; Schmeichler und Verführer haben ihn früh umgeben; er hat nichts gelernt, ja, er verachtet vielleicht selber als ein echter Gentleman die schmutzige Wucherthätigkeit seiner Commis und hat nicht die mindeste Anlage zum Speculanten; er spielt den Cavalier, kurz, er ist kein Kaufmann. Aber solch ein ›Geschäft‹ mit seinem durch jahrelange Betriebsamkeit erreichten Organismus, mit den Tausenden von Fäden, welche in allen Weltgegenden angeknüpft sind und das große Netz bilden, womit der Kaufmann aus dem Strom des Lebens die Goldfische herausfängt – solch' ein ›Geschäft‹ ist ein viel zu gewaltiges, eigenwilliges, selbstbewußtes Ding, als daß es sich von seinem eigenen Herrn und Oberhaupt meistern ließe, wenn dieser es in's Verderben führen will. Es dringt ihm verantwortliche Minister auf – die Buchhalter, die Procuraführer – und nun geht Alles vortrefflich auf der gewiesenen Bahn, und am Ende jedes Jahres stellt sich die Bilanz um mehrere Tausende günstiger. Der moderne Staat, dem es mit der constitutionellen Entwicklung nicht glücken will, mag sich daran spiegeln. Er ist immer noch lange nicht genug Bankhaus und … Geldanstalt!

Herr Heinrich Ulrici, der erste Buchhalter der Firma, saß in dem hintersten der Geschäftszimmer auf einem Drehstuhl vor dem grünbeschlagenen großen Pulte, das vierfüßig war und breit wie ein Gebirge sich durch den Raum hinzog. Er war im Gesellschafts-Anzuge, in schwarzem Frack und weißseidener Weste; ein eben beendeter Brief lag vor ihm auf dem grünen Tuche, das die grüne Waldregion des Gebirges darstellte, in dessen Innerem alle möglichen Schätze und Kleinode verborgen waren, wie sie ein echter Berg im Märchen hat, ›Devisen‹, ›Fonds‹ und ›Valuten‹ aller Art. Auf der Höhe, wo die Schneeregion von dicken Schichten aufgestapelter Papiere begann, stand die Lampe. Herr Ulrici beobachtete beim Scheine derselben von seinem Platze aus ein ›ultramontanes‹ Wesen, dessen Haupt von Zeit zu Zeit jenseit des Bergrückens so weit auftauchte, daß eine hübsche Stirn sichtbar wurde, um welche ein sorgfältig gehandhabtes Brenneisen eine Profusion von Locken gekräuselt hatte und an der das Organ der Idealität sehr sichtbar ausgebildet hervortrat.

»Soll ich Dir helfen, Albert, mein Junge?« sagte der Buchhalter nach einer Weile in einem spöttischen Tone.

Der Angeredete antwortete mit einem Hm, in welchem eine, wenn auch unarticulirte, doch unsägliche Verachtung sich ausdrückte, kaute an seiner Feder, schrieb einige Zeilen, kaute wieder und hob den Kopf dabei gerade so hoch, daß seine sanften Augen eben über die Anhöhe vor ihm in das joviale und breite Gesicht seines Bruders blickten. Dieser mußte dabei, ohne sich Rechenschaft geben zu können, weßhalb, an die Mündungen zweier über ihre Schanzen blickenden Geschütze denken.

»Aber es ist kein Pulver dahinter!« sagte er sich, während Albert ihn starr, aber zerstreut fixirte … »der arme Junge …!«

Der ›arme Junge‹ war ein Poet und machte Verse. Seinem Bruder ging die Geduld darüber aus, und während der Dichter sich dem Fluge seiner Phantasie hingab, ahnte er nicht, welche boshafte und schonungslose Kritik mit ihm am selben Pulte saß. In der That war Albert kein großes Licht; er machte zwar recht hübsche Verse, aber er gehörte zu den zahlreichen Leuten, welche den Besitz eines Talentes, das sie vor Anderen voraus haben, damit büßen müssen, daß sie in allen übrigen Dingen unendlich einfältig und ungenießbar sind. Leben und Lieben ging ihm in seinen Versen unter. Seine Liebe wurde von den dicken, schön geschriebenen Heften seiner Poesieen, sein Haß von den namhaften Verlagshandlungen, welche sie ihm ›dankend‹ zurückgesandt, und von den zahlreichen Journal-Redactionen, welche sie nicht einmal zurückgesandt, absorbirt. Was darüber hinaus lag, kümmerte ihn nicht und zwang seiner wider ›das Alltagsgetriebe‹ geharnischten Seele keine Theilnahme ab.

Er war seines Zeichens Jurist und Referendar an irgend einem der vielen Gerichtshöfe der Landes-Hauptstadt. Aber er machte Verstöße über Verstöße in seinen Acten, er kam auf seiner Laufbahn nicht weiter, er wurde als unpractischer, unthätiger Mensch von seinen Chefs zurückgesetzt; sein kleines Einkommen erlaubte ihm nicht, sich eine Familie zu gründen … Das Alles drückte ihn nicht – nein, es erfüllte sein Poeten-Bewußtsein mit einem desto höheren Stolze. Ein Verweis des Justiz-Directors war für ihn ein höchst gleichgültiges Ereigniß; die Actenmenschen haben nie den Poeten zu schätzen gewußt; und nun gar eine Nase des Präsidenten – von ihr fühlte er sich den Stempel des Genie's aufgedrückt, und mit dem stolzen Wort: anch' io sono pittore! legte er sie zu den ziemlich angeschwollenen Personalacten dieser Art.

»Nun – Feuer!« rief der Buchhalter seinem Bruder zu, als dieser ihn eine Weile zerstreut angestarrt hatte. Albert verstand ihn nicht, achtete auch nicht auf ihn, sondern begann wieder einige Worte niederzuschreiben.

»Für wen ist's?« fuhr der unruhige Procurist fort.

»Für Gräfin Constanze Merwing!«

»Da nimm Dich zusammen! Gräfin Constanze ist schwer zu befriedigen – Deine mondschein-blaue Lyrik thut's da nicht; es muß etwas so recht Frappantes, Kometarisches, Dämonisches hinein – so 'ne kleine Rakete muß es werden, die emporzischt in stolzem majestätischem Bogen und dann plötzlich explodirt – Puff – Puff! und dann: Ach! wie sich die schönsten farbig glühenden Sterne sanft auf die Göttin niederlassen und ihr huldigen … so etwas mußt Du machen. Bei Gott, ich kaufe mir nächstens ein Reim-Lexikon, und ich mache bessere Verse als Du. – Pariren? – Einen Korb Champagner!«

»Störe mich nicht,« antwortete Albert Ulrici, ohne diesen vermessenen Antrag einer Beachtung zu würdigen, schrieb noch ein paar Worte und erhob sich dann, um seines Bruders verwegenes Selbstvertrauen durch das Vorlesen der folgenden Verse niederzuschmettern:

›Es glüht im dunklen Laub die Pomeranze‹ –

»Pomeranze? um Gottes willen – Du wirst doch nicht in einer Damen-Gesellschaft von alten Pomeranzen reden? Orange – Goldorange muß es heißen!«

»Sei still und höre zu!

›Es glüht im dunklen Laub die Pomeranze,

Die Nachtigall singt ihr die Sehnsuchtsweise –‹«

»Die Nachtigall?« unterbrach wieder der Buchhalter, »das geht nicht – ich habe mir sagen lassen, es gäbe keine Nachtigallen in dem Lande, wo ›die Pomeranzen blühn.‹«

»Mit Deinen einfältigen Bemerkungen – wer wird denn, wenn er Gedichte lies't, Raff's Naturgeschichte nachschlagen!

›Der Gondolier …«

»Meiner Seele, jetzt werden wir die Nachtigallen auf dem Markusplatze schlagen hören. Auch gut! Nur weiter!«

Albert hub noch einmal von vorn an:

›Es glüht im dunklen Laub die Pomeranze,

Die Nachtigal singt ihr die Sehnsuchtsweise;

Der Gondolier singt Tasso's holde Stanze

Vor seines Liebchens Fenster leise:

So zieht die Schönheit überall, Constanze,

Ton, Dichtung, Herzen nach in ihre Kreise;

Darum nimm freundlich an, was Du erzwungen,

Des Geistes, Herzens ew'ge Huldigungen!‹«

Der Dichter sah triumphirend auf, um seines Bruders Glückwünsche in Empfang zu nehmen. Der Buchhalter jedoch machte ein außerordentlich sarkastisches Gesicht, sprang auf und lief mit dem Ausruf: »Donner und Doria!« laut lachend im Zimmer umher, indem er fortwährend, um seine Heiterkeit noch deutlicher auszudrücken, mit der flachen Hand seinen unschuldigen rechten Schenkel züchtigte.

»Was ist Dir denn, was hast Du? bist Du toll geworden?«

»Das soll Herr Habicht als Bonbon-Motto der Gräfin Merwing überreichen?! Weißt Du denn nicht, daß unsere schöne junge Principalin eifersüchtig ist, wie der Mohr in der Oper, und daß sie ihrem Gemal heute Abend die Augen auskratzen würde, wenn er der Gräfin Constanze eine solche Liebeserklärung machte? Du unschuldige Poeten-Seele! Des Herzens ewige Huldigungen! Allmächtiger Himmel, wenn das der Frau Habicht zu Gesicht kommt!«

»Meinst Du, das wäre zu viel gesagt?« fragte betroffen der Dichter.

»Setze Dich hin und ändere das auf der Stelle; und spute Dich, es ist Zeit, daß Du Herrn Habicht endlich die Verse bringst!«

Der Referendar folgte betroffen dem Rathe seines Bruders und änderte auf's Neue an der letzten der Strophen, um welche der Hausherr ihn gebeten hatte. Sie sollten, in Confettis von zierlichster Form versteckt, besondere Aufmerksamkeiten des Wirthes für einige seiner werthesten Gäste bilden.

»Alter Junge,« fuhr der Buchhalter fort, nach dem er von seinem Anfalle von Heiterkeit zurückgekommen war und sich wieder auf seinen Drehstuhl gesetzt hatte: »Du geräthst mir auf einen bedenklichen Weg mit Deiner Poesie – Du wirst zerstreut, Du bemerkst schon das Nächste nicht mehr, was alle Welt sieht! In der That, Albert, es wird Zeit, daß ich eine brüderliche Verwarnung erlasse. Es wird Zeit, daß Du die Allotria aufgiebst und an einen soliden Broderwerb denkst. Mach' doch endlich einmal die Augen auf in der Welt. Blick auf uns niedrig denkende, am Geld klebende Schmutzseelen: während Ihr Poeten Verse schmiedet und hungert, und stolz auf uns herabseht, schmieden wir uns ganz bescheiden und still den echten, wahren, goldenen Schlüssel zur Poesie des Lebens.«

Albert Ulrici antwortete auf diese Behauptung seines Bruders mit einem kurz abgebrochenen Lachen.

»Du lachst, mon cher frére, aber es ist doch so! Wir machen Geld! Was ist Geld? Geld ist gefrorene Poesie; der Inbegriff des Schönen auf seinen kürzesten Ausdruck gebracht; das ganze Reich des Erhabenen und des Komischen eingekocht und zu Bouillon-Tafeln verdichtet!«

»Nur weiter! Ich bin begierig auf die geistreiche Erklärung, die Du dieser Behauptung folgert lassen wirst.«

»Die sollst Du haben, mein Junge. Sieh, ich nenne Dir zuerst, was Euch Poeten am meisten beschäftigt, die Liebe. Was wißt Ihr denn von Liebe? Körbe bekommt Ihr, wo Ihr anzuklopfen wagt! Ihr armen Teufel! Ganz anders ist's mit uns. Weil wir Geld haben, dürfen wir uns in den ersten, besten himmlischen Engel verlieben …«

»Wie Herr Heinrich Ulrici in Fräulein Friederike Curtius, die heute Abend auf dem Balle erscheinen darf, welcher Umstand meinen Bruder in eine überaus heitere und mittheilsame Laune versetzt …«

»Dürfen uns verlieben, sage ich, dem Hange unseres Herzens folgen, heirathen den in Rede stehenden Engel, umringen den Gegenstand unserer Neigung mit allem Schönen …«

»Was zu kaufen ist, wie der erkaufte Engel!«

»Nun ja! und ich versichere Dich, das ist bessere Waare, als womit Ihr Eure Lustschlösser möblirt – denn Luftschlösser, das ist das Höchste, wozu Ihr jemals es bringt! Nun bitt' ich Dich – was habt Ihr von diesen kalten, zugigen, hohlen Nestern – kredenzt ein schönes Weib Euch einen Römer mit gutem Wein, wenn Ihr über Eure hohen Marmorstufen eintretet? oder findet Ihr dort einen Kreis fröhlicher Genossen um eine wohlbesetzte Tafel gereiht? Nichts von Allem dem! Ihr schleicht umher, wie arme Magenkranke, während wir uns am Gastmahl des Lebens sättigen. Ist das nicht Poesie: eine glänzende Häuslichkeit, ein schönes, liebes Weib darin, ein Stall mit muthigen Rennern, deren Kraft meine Kraft, deren windschnelle, schlanke Beine meine Beine …«

»Ich habe nicht gewußt, daß Deine Aehnlichkeit mit Mephistopheles so weit ginge!« fiel Albert ein, indem er spöttisch unter den Schreibpult blickte.

»Du machst Verse über den Frühling,« fuhr der Buchhalter, ohne sich stören zu lassen, fort, »ich kaufe mir den Wald, den Du besingst; auf wessen Seite ist die günstige Bilanz? Will ich die Poesie herrlicher Formen genießen: Tenerani überläßt mir für drei Tausend Scudi ein Exemplar seiner Flora … für einige weitere Tausend bekomme ich Kaulbach'sche, Lessing'sche Malereien, so viel ich will – so schmücke ich mein Haus und gebe Feste, daß ich mich in die Rosengärten der Alhambra versetzt wähne, ohne daß ich irgend nöthig hätte, wie Du, meine arme Phantasie abzuquälen. Goldene Hallen, Demantstrahlen, Rosendüfte, Mandolinen- und Harfenklänge umgeben mich wirklich wie es heute bei'm Herrn Habicht der Fall sein wird. Will ich die Poesie der Natur – ich reife, ich schwelge am Vierwaldstättersee, unter den Myrtengebüschen von Sorrent, ich lasse mich vom goldenen Horn nach Skutari hinüberrudern – ich habe Alles – Liebe und befriedigten Ehrgeiz und …«

»Den Commercienraths-Titel und den rothen Adlerorden vierter Classe …«

»Die Erde und das Meer, die östliche und die westliche Hemisphäre; kurz, ich thue das in der That, was Göthe im Faust vom Poeten fordert: ich commandire die Poesie!«

»Und mitten in Deinen Genüssen kommt der Courszettel mit der Meldung, daß die Eisenbahn-Actien um fünf ein halb Procent gesunken sind – wo bleibt dann Deine Poesie?«

»Da, wo die Deine bleibt, wenn ein Recensent Dich hudelt!« antwortete Herr Heinrich Ulrici und fuhr dann, sehr laut emphatisch declamirend, fort: »… Sprich, was ist Poesie? … Geld – das ist Poesie, doch wollt Ihr es nicht glauben!«

Die Poesie ist in uns! Sie ist nicht in Deinen Statuen, Bildern, Genüssen …«

»Noch in Deinen Versen! Aber in meinem Leben ist sie, wenn ich will; ich kann schaffen, bauen, Abenteuer aufsuchen …«

»Ich möchte Dich sehen auf einer Fahrt nach Abenteuern …«

»Ich brauche dazu nicht einmal eine Fahrt anzutreten die Romantik kommt auch zu uns in unsere Cassenzimmer.«

»Sie wird auch danach sein!«

»Echte geheimnißvolle, tragische Romantik und wenn Du nicht glauben willst, so komm her und wirf einen Blick in den Brief, den ich hier eben beantwortet habe, während Du dort vor mir den Duft der Pomeranzen einsogst und die Nachtigallen auf dem Markusplatze schlagen hörtest!«

Albert ließ sich den Brief herüberreichen und las:

›Mein Herr Ulrici!

Das Räthsel des doppelten Kreuzes wird sich mir lösen. Der 18. April 1850 ist der Tag. Wie gespannt ich darauf bin, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Um aber dem Tage der großen Rechenschaft ganz gerüstet entgegen zu gehen, bedarf ich Ihrer. Machen Sie mir eine Zusammenstellung all' der Summen, welche das geheimnißvolle Zeichen verschlungen hat und die mir zur Last geschrieben wurden. Dann wünsche ich ein Resumé der Theile meines Vermögens, welches in Werthpapieren Ihrem Hause anvertraut worden ist.

Constanze Merwing.‹

»In der That – ein Sonnenstäubchen Romantik, ein ganz klein wenig Mysterium, das sich unter Deine langweiligen Stahlfeder-Autographen verirrt hat,« bemerkte der Referendar … »Aber weßhalb zeigst Du mir das? … Ich darf voraussetzen, daß das von den Rosenfingern der erlauchten Constanze nicht für Uneingeweihte geschrieben wurde.«

»Sicherlich nicht, um Dich zu amusiren,« antwortete der Buchhalter, so wenig, wie ich eben Dein Versemacher-Handwerk verspottet habe, bloß um mich zu amusiren. Ich bin ein Kaufmann, also speculire ich; und meine Speculation hierbei ist keine andere, als Dir durch das geheimnißvolle Doppelkreuz, von dem in diesem Briefe die Rede ist, ein Sort zu machen.«

»Mir?!«

»Ja, Dir … Unsere ›Geschäftsfreundin‹ hat mir nämlich auch den Auftrag gegeben, einem tüchtigen, thätigen, verschwiegenen Rechtsgelehrten Eröffnungen zu machen, da es für einen solchen bei der Ordnung gewisser mysteriöser Angelegenheiten zu thun gebe und sie mit ihrem jetzigen Rechtsbeistande nicht ganz zufrieden ist.«

»Das ist ja prächtig!« rief Albert Ulrici aus, indem er aufgeregt noch einmal den Brief ergreifen wollte.

»Halt!« sagte sein Bruder und legte die Hand darauf, »meinst Du, das alte berühmte Haus Habicht & Compagnie würde sich einer so schauderhaften Gewissenlosigkeit schuldig machen, einen Poeten als tüchtigen, thätigen Rechtsbeistand zu empfehlen?! Nein, Brüderchen – erst eine Frage an Dein besseres Selbst. Forsagist tu diabole end allum diaboles werkum end wordum? Willst Du keine Verse mehr machen? Dann erhältst Du meine Empfehlung. Rechtfertigst Du das Vertrauen einer Clientin, wie die Gräfin, so ist Dein Glück gemacht: der Advocat des Hauses Merwing ist eine wichtige Person – die Gelegenheit liegt vor Dir, mit beiden Füssen flott in die Anwalt-Laufbahn zu springen! Also – hebe die Finger auf und schwöre!«

Albert stieß einen tiefen Seufzer aus und stützte, nachdem er seinen Platz wieder eingenommen, sein Haupt auf seinen Arm.

›Es wirkt!‹ dachte der Buchhalter, ›man muß eben den Teufel mit dem Teufel austreiben – die Poesie mit einer romanhaften Geschichte.‹

»Was das Dichten angeht,« fuhr er dann fort, »so muß ich Dir noch eine statistische Berechnung mittheilen, die ich gemacht habe. Unter Hundert Menschen in Deutschland ist einer, der diese Seuche hat, diesen geistigen Ausschlag, welcher heut zu Tage an die Stelle des Leprosenthums im Mittelalter getreten ist – damals war es eine krankhafte Thätigkeit der Haut, jetzt ist es eine krankhafte Thätigkeit des Gehirns, das Wasser ausschwitzt. Unter fünfundvierzig Millionen Menschen macht das 450 000 Poeten. Rechnen wir 400 000. Ich darf annehmen, daß diese 400 000 Menschen ein Viertel mindestens von allen ihren Kräften und ihrer Zeit dem Laster opfern; das ist gleich 100 000, die ihre ganze Arbeitskraft dem Versemachen widmen. Nun denke Dir diese Bösewichter gebessert – ihre Arbeitskraft irgend einem nützlichen Zwecke zugewandt. Denke Dir, daß sie, wie sie ohne Lohn Verse schmieden, Eisen schmiedeten: welche Wirkung würde das auf den Stand unserer Eisen-Production hervorbringen! Welcher Zuwachs des National-Reichthums! Wir hätten alle unsere Eisenbahnen mit deutschen Schienen bauen können … ja, diese verfluchten Versemacher ruiniren Deutschland, sie tragen die Schuld, wenn noch ein Theil Deutscher dem Protectionisten-System huldigt, wenn es darüber zum Bruderkrieg zwischen dem Süden und Norden kommt, wenn Deutschland zu Grunde geht.«

Albert lachte laut auf und endete dann seine Arbeit.

Heinrich Ulrici siegelte unterdeß seelenfroh, daß ihm endlich die Heilung seines Bruders gelungen, den Brief, schrieb die Adresse und warf ihn in den kleinen, an der Wand befestigten Kasten, aus welchem die Briefe für die Post und die Stadt abgeholt wurden.

»Nun – schlag ein!« sagte er dann, seinem Bruder die Hand hinstreckend.

Aber Albert schien das gar nicht zu beachten.

»Lieber Heinrich,« sagte er, »da wir doch einmal von meiner Poesie geredet haben, so laß mich Dir sagen, daß ich Dich nicht länger mit meiner Bitte verschonen kann; Du mußt mir nämlich durchaus zwei Hundert Thaler vorstrecken, oder ich bin gezwungen, mich an Herrn Habicht zu wenden.«

»Und wozu?« fragte der Buchführer erstaunt.

»Ich habe mich entschlossen, meine Gedichte, für die ich keinen Verleger finde – mit diesen Sosiern ist einmal nichts anzufangen – auf eigene Kosten drucken zu lassen. Sie werden, sie müssen Erfolg haben – jedenfalls kann ich Dir die Summe vom Honorar einer späteren zweiten Sammlung erstatten.«

Der Buchführer blickte eine Zeit lang stumm vor Erstaunen seinen Bruder an. Dann rief er aus:

»An Dir ist Hopfen und Malz verloren – nun meinetwegen! renne in Dein Verderben – verhungere!« und wandte dem Unheilbaren verzweiflungsvoll den Rücken.

Albert schrieb ruhig seine noch einmal durchfeilte Poesie auf ein Blättchen feinen rosenrothen Papiers ab, und dann verließen beide Brüder das Zimmer, welches Heinrich sorgfältig abschloß. Der Buchführer begab sich in die Empfangssäle, der Dichter in das Wohnzimmer des Herrn Habicht, um demselben seine Arbeit abzuliefern.



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