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Viertes Capitel.
Das Haus des Künstlers.


In einer abgelegenen Straße der Stadt, so abgelegen, daß bis hierhin selten der Fuß eines Wanderers sich verirrte, und daß, wenn es geschah, es diesen jedesmal mit einem gewissen Entdeckerstolz erfüllte, lag eine zerbröckelnde Mauer mit einem runden Einfahrtsthore, über welchem ein altes verwittertes Wappen in Sandstein und die Jahreszahl 1669 angebracht waren. Wenn man die eiserne Klingelstange, die neben diesem Thore niederhing, zog – es gehörte zu den Lebensplagen des Hausherrn, daß es leider weit öfter von den muthwilligen Gassenbuben, als von ernsthaft Einlaß Begehrenden und mit Geschäftsabsichten kommenden geschah, so entstand nach einer Weile in Innern ein ominöses Kettengerassel, und dann sprang ein rundes Pförtchen auf; man trat nun in einen Hof, der an zwei Seiten von einem grauen, müde in sich zusammensinkenden alten Hause und an der dritten von Stallungen und Remisen gebildet wurde. Die vierte Seite wurde durch die Mauer nach der Straße hin abgeschlossen.

Dem Eintretenden fiel dann sofort ein vor ihm stehendes sonderbares Individuum in die Augen; es war dieß ein höchst stattlicher Patron in hellgrüner Jäger-Livrée mit einem himmelhohen Federhut auf dem schwarzhaarigen und sehr krausbärtigen Kopfe und mit einem großen Hirschfänger, der in gelbem Bandelier an der Seite hing. Dieser dienstbare Geist, welcher die Fremden an der Thür empfing, blieb immer in sehr respectvoller Haltung, er verzog keine Miene, er stand aufrecht wie ein Grenadier der Preobratzensky'ischen Garde; und freilich, wenn man genauer zusah, blieb das Niemandem verwunderlich – denn er war kunstreich aus eichenen Planken geschnitten und dann mit großem Luxus in allerlei Oelfarben gesetzt. Der Hausherr, der ihn in eigener Person in jedem Frühjahr neu anstrich, behauptete, man müsse sehr, sehr nahe treten, um es zu entdecken; auch rühmte er seinem Diener vortreffliche Eigenschaften nach: Hubert – so hatte er ihn getauft – bestahl den Keller seines Gebieters nicht, er machte keinerlei Verdruß, hatte nie einen Bock geschossen, und dabei war er nicht hölzerner, als viele andere Jäger auch, die ihren Herren monatlich ganz erklekliche Gagen, Kost und Livrée kosteten.

Ueber der Hausthür prangte dasselbe Wappen, welches sich verwittert und unkenntlich auf der Straße im Schlußsteine des Chorbogens zeigte, noch einmal; es war in größesten Dimensionen al fresco neu auf die Wand gemalt: eine Art bauchiger Theekanne, Silber auf Roth, stellte es dar, von einer Profusion rother und weißer, heraldisch richtiger Zierathen flankirt.

In das Haus selbst trat man über eine Stufe, die hinabführte in einen dunklen, feuchten und langen Gang; auch ohne alle Kenntniß der Local-Geschichte konnte man hier im ersten Augenblick überzeugt sein, daß man sich in einer jener alten Curien oder Domicellar-Wohnungen befand, in welche die alten ›Klöster‹ der Collegiatstifter verwandelt wurden, als die Herrn Stiftsgeistlichen im Laufe der Zeiten zu wohlhabend wurden, um das Cönobium, das mönchartige Zusammenleben länger zu ertragen, und die dann, als die Reformation die Stiftsherren austrieb, meist städtisches Eigenthum wurden oder in Privathände fielen. Eine Reihe von Verwandlungen sind im Laufe der Jahrhunderte mit solchen Gebäuden vorgenommen worden; in den Kellergewölben, den Brand- und äußeren Mauern zeigen sich noch die Reste der plumpen, aber gewaltigen Steinwände des ursprünglichen Klosters. Die Räume sind gewöhnlich im sechszehnten oder siebenzehnten Jahrhundert neu hergestellt, und die Decke weist dann noch jene Reihe stucküberzogener Balken auf, welche wir heute sogleich verkleiden, um der Aehnlichkeit unserer phantasielosen Wohnräume mit viereckigen Kasten die Vollendung aufzudrücken. Draußen haben die Jahrhunderte den Boden mit ihren Staub- und Schuttlagen um ein Bedeutendes erhöht; so zeigt sich ein solches Haus wie in die Erde gesunken. –

Da es obendrein dunkel und feucht ist, der Flur an die Wellungen einer anmuthigen Hügellandschaft erinnert, das Dach dem weichen, schmeichlerischen Einflusse eines milden Mairegens nicht immer mehr die solide Charakterfestigkeit entgegensetzt, welche man von einem Dinge, das eine so hohe und für das Familienleben bedeutsame Stellung einnimmt, fordern muß, so sind derartige Wohnungen für einen äußerst geringen Miethpreis zu haben, welcher noch geringer sein würde, ständen sie nicht wegen ihrer gewöhnlichen Verbindung mit Stallungen bei kindergesegneten Hauptmanns-Familien in besonderer Achtung.

Wir thäten jedoch sehr unrecht, wenn wir an dieser Stelle nicht der lauten Protestation des Herrn Peter Paul Wallpott erwähnten, womit dieser bei Fremden von vorn herein den Verdacht niederzuschlagen pflegte, als habe ihn der niedere Miethpreis in dieses dunkle, alte, feuchte Haus in der entlegensten Gegend der Stadt gelockt. Nein, es war lediglich das Wappen, was er eines schönen Tages zufällig entdeckt und was ihn bewogen hatte, sich dieser pittoresken Wohnung zu bemächtigen. ›Das Wappen,« sagte er, ›sei sein Familienschild: denn obwohl er nichts Nachweisbares darüber besitze, habe er doch die vortrefflichsten Gründe, sich als Glied der großen und mächtigen Familie Derer von Wallpott zu betrachten, jenes ausgezeichneten Geschlechtes, dessen Name schon die Höhe seines kriegerischen Ruhmes andeute, da dieser in seiner sinnigen Zusammenstellung von Wahl oder Wal so viel wie Schlacht, Krieg – Walkyrien, Wahlstatt – und Pott, der niederdeutschen Bezeichnung von Topf, anzeige, daß seine Ahnen wahre Kriegstöpfe, wahre remueménage gewesen.‹

Abgesehen von dieser kleinen aristokratischen Schwäche, war Herr Peter Paul Wallpott ein höchst achtunggebietender Charakter, der dem unter seiner Thorklingel prangenden Namen P. P. Wallpott, officieller Kunstmaler, durch seine würdige Persönlichkeit ein bedeutendes Relief zu geben wußte.

Wir finden den officiellen Künstler in seinem Atelier in sehr imponirender Haltung einem anderen uns bereits bekannten Herrn gegenüber. Das geräumige, aber niedere Gemach, dessen Fenster erbreitet und unten mit einem papierüberzogenen Rahmen bedeckt ist, enthält eine Fülle großer Kunstschöpfungen unseres Malers, welche Gegenstände aller Arten, zumeist aber biblische Scenen, Portraits und Genrebilder, dem von so viel Farbenglanz etwas geblendeten Auge des Beschauers darstellen. Herr Wallpott ist ein hochgewachsener Mann von etwa 45 Jahren, mit einer sehr kahlen Stirn, sehr langer, etwas in's Röthliche schimmernder Nase und einem noch längeren Kinne, welches er beständig in eine überaus hohe weiße Halsbinde vergräbt; er hat sich vortrefflich conservirt und zeichnet sich durch eine außerordentlich edle Haltung seines wohlgebauten Körpers aus, eine Haltung und ein Wesen, welche, wie Herr Wallpott oft betheuerte, von jedem Künstler, geschweige denn von einem officiellen, mit Recht gefordert werden können, falls es ihm nur irgend darum zu thun, seine Berechtigung auf das anch' io sono pittore, sein Gedankenleben im Lande des Ideals, auch äußerlich darzuthun.

Herr Wallpott hatte ein großes Bild auf der Staffelei stehen, welches die Botschaft des Engels an die heilige Jungfrau darstellte. Er stand mit unserem vortrefflichen Freunde, dem Herrn Heinrich Ulrici, davor, der mit prüfender Kennermiene die Schöpfung betrachtete.

»Nun, was sagen Sie, mein verehrtester Henrici, sind Sie zufrieden? Kräftig im Colorit, nicht wahr?«

Herr Wallpott begrub bei diesen Worten seine beiden Hände in seine Taschen; er selbst war sehr zufrieden.

»Etwas bunt, etwas sehr bunt, mein Bester! Ich glaube fast, Sie mischen die Farben nicht genug durcheinander!«

»Herr Ulrici,« entgegnete der officielle Kunstmaler, »diese Bemerkung von Ihnen könnte ich nur dann auf ihren wirklichen Werth zurückführen, wenn ich Ihnen zuvor ausführlich die Grundprincipien mittheilte, auf denen meine künstlerische Anschauung beruht. – Ich könnte Ihnen kurz sagen: sehen Sie, es dauert mich, wenn ich das schöne Indigoblau, den herrlichen Lack, das glänzende neapolitanische Gelb auf meiner Palette stehen habe, durch Mischung mit anderen Bestandtheilen den reinen, edlen Farbenglanz in schmutzigen Brei, in unnennbare häßliche Tinten zu verwandeln. Und ich bin überzeugt, schon dieser Bemerkung würden Sie ihr Recht widerfahren lassen. Aber das ist es nicht; mein Pinsel wird geführt von anderen, von ästhetischen, von kunstphilosophischen Rücksichten!«

»Davon ein ander Mal, lieber Herr Wallpott …«

»Ja wohl, ein anderes Mal, jedoch müssen Sie mir die Andeutung noch erlauben, bester Herr Ulrici, daß der Genius, welchen Sie durch alle meine Schöpfungen walten finden, von zwei Schwingen getragen wird, deren eine inniges Verständniß der Natur, die andere Rückführung der Kunst auf ideale Darstellung der Natur ist …«

»Vortrefflich gesagt, Herr Wallpott, aber es ist doch zu viel Grün, Gelb, Roth, Blau und Carmoisin in dem Bilde; sehen Sie nur, der Engel hat ein ganz violettes Gesicht! Keine rechte Harmonie, keine Harmonie …«

»Harmonie – Haben Sie Generalbaß studirt, Herr Ulrici …?«

»Das eben nicht!«

»Nun – so nehmen Sie sich in Acht, mein Bester, in solchen Urtheilen irren wir uns leicht. Sehen Sie … jeder Ton hat eine Farbe, correspondirt mit einer Farbe; wenn ich nun den Ocker dicht neben Hellgrün setze – wissen Sie, ob die Töne dieser beiden Farben auf der regelrechten Scala dicht neben einander liegen oder nicht? ob also nicht vielleicht gerade da die größte Harmonie vorhanden, wo Ihnen die Harmonie zu fehlen scheint?«

Ulrici schüttelte den Kopf, während der Maler mit dem Ausdruck triumphirender Ueberlegenheit auf ihn herabblickte; der Buchhalter aber ließ sich dadurch nicht irre machen und fuhr lachend fort:

»Das ist eine ganz neue Weise, die Sie mir da auf Ihrer Scala vorspielen: nun, wir wollen es gut sein lassen, – es ist gewiß ein Meisterwerk, was Sie da gemacht haben, großartig, classisch, unvergleichlich – aber in der Farbe ist es so etwa wie ein Bilderbogen gehalten, das lasse ich mir nicht ausreden, mein Bester.«

Herr Wallpott begrub sein Kinn tiefer in seine Halsbinde, seine Hände tiefer in seine Taschen und war entschlossen, kein Wort weiter an einen Laien, einen Barbaren zu verlieren.

»Und wen haben Sie da unter dem Pinsel?« fragte der Buchhalter, indem er auf ein unvollendetes Portrait deutete, welches in dem Herrn Wallpott eigenen lebhaften Colorit auf einem in der Ecke stehenden Brett prangte.

»Erkennen Sie dieses unglückliche Individuum nicht, Herr Ulrici? Sie haben es doch sicherlich in den Tagen seines Glanzes und Ruhmes gekannt, dieses beweinenswerthe Opfer des verderblichen Zeitgeistes; und wenn ich Ihnen sage, daß dieses Bild dazu dienen wird, von der rächenden Nemesis an eine unheilvoll erhabene Stelle gefördert zu werden, von wo es noch den Enkeln später Geschlechter als warnendes Beispiel herableuchten mag, so besinnen Sie sich sicherlich dieser Züge, welchen ich den Stempel der Melancholie, gebrochen durch den Ausdruck innerer geistiger Zerrissenheit, aufgedrückt habe, um die stumme Sprache, welche das unerbittliche Gesetz ihm in den Mund legen will, desto ergreifender zu machen.«

Ulrici sah den Maler mit einem Gesichte an, auf welchem sich eine bedeutende Dosis Verwunderung über diese ausgezeichnete Eleganz des Ausdrucks und dabei nicht viel geringere Spottlust, aber nichts weniger als Verständniß zeigte.

»Es ist unser ehemaliger Abgeordneter, der Doctor Mellheim, flüchtig, wegen Hochverraths zum Tode verurtheilt und, da man seiner nicht habhaft geworden, verdammt, im Bildniß an das Werkzeug, der Schmach geheftet zu werden, welches man im gewöhnlichen Leben mit dem Worte ›Galgen‹ bezeichnet.«

Wir wollen hier einschalten, daß Arbeiten dieser Art, womit die Behörden Herrn Wallpott zu beauftragen pflegten, diesen bewogen hatten, sich ›officieller Kunstmaler‹ zu betiteln.

»Ach, der Mellheim – armer Bursche!« rief Ulrici aus, »es war also ein ominöses Hoch, welches ihm einst so oft in den Volksversammlungen gerufen wurde! – Aber ich will Sie nicht länger stören; ich kam, um nach der Arbeit Ihres Sohnes zu sehen und zu fragen, ob ich sie abholen lassen kann.«

»Abholen lassen – ach ja,« seufzte Herr Wallpott – »es ist immer ein schmerzlicher Augenblick, wenn wir den Händen eines fühllosen Trägers eine unserer Schöpfungen übergeben, um sie nie wieder zu sehen, um sie unbekannten Schicksalen entgegengehen zu lassen. Das kann ich Ihnen sagen, mein lieber Herr Ulrici, was jetzt so viele meiner Kunstgenossen thun, die Erzeugnisse ihrer Pinsel jenseit des Oceans zu senden, das würde ich nicht über mich vermögen – ich würde es nicht ertragen, mein Werk dem profanen Auge der urtheillosen Menge jener anderen, einer materiellen Auffassung des Lebens anheimgefallenen Hemisphäre, welche nur zahlen kann, ausgesetzt zu wissen!«

»Das glaub ich, das glaub' ich, Herr Wallpott; eigentlich sollten Sie überhaupt Niemanden zum Kaufe zulassen, bevor er nicht ein kleines Examen im Generalbaß bestanden!«

»Nun, Sie scherzen, aber in der That, das Leben ist hart! Welche andere Befriedigung bleibt einem Künstler, als die, im Anschauen seiner früheren Werte Kraft, Trost und Begeisterung zu finden zu neuen Schöpfungen, und besonders einem solchen Künstler, dessen Genius von zwei Schwingen getragen wird, deren eine inniges Verständniß der Natur, die andere Rückführung der Kunst auf ideale Darstellung ist!«

Nachdem Herr Wallpott mit erhobenem Haupte diese inhaltschweren Worte geäußert und dabei den Buchhalter an die offene Thür, die in's Nebenzimmer führte, begleitet hatte, kehrte er an seine Staffelei zurück.

In diesem Nebenzimmer befand sich das Atelier Manfred's.

Manfred hatte die Nacht hindurch unruhig geschlafen, war früh erwacht und war doch nicht früh zur Arbeit gekommen. Die Hände im Schooße, saß er vor seinem Werk und blickte abgewendet, mißmuthig über die mit seinen rahmenlosen Studien bedeckten Wandflächen; alle diese aufgenagelten Skizzen und Versuche schienen ihm jetzt unzulänglich und trivial, und das halb vollendete Bild auf der Staffelei nun gar so poesie- und interesselos, er hätte den Pinsel wegwerfen und irgend einen ehrlichen Broderwerb ergreifen mögen, der dem Geiste nichts als eine ruhige, zusammenhangende Thätigkeit abverlangt, der ihm doch wenigstens nun und dann erlaubt hätte, sich jenem ruhigen Vegetiren hinzugeben, dessen der Mensch bedarf, wenn er sich nicht verzehren will.

Denn etwas Verzehrendes fühlte Manfred heute in sich, er war in der schmerzlichsten Stimmung, die den Künstler überkommen kann und die gerade das wahre Talent leider so oft überkommt; er war irre geworden an sich, er zweifelte an seinem Berufe für die Kunst. Seit dem gestrigen Abend war es ihm, als sei er plötzlich und mit einem Ruck über sich selbst hinausgehoben: war das nicht alltägliches bedeutungsloses Zeug, was ihn da rings umgab, und woran er so manche Stunde des Studiums, des angestrengtesten Denkens, ja, beinahe seine ganze jugendliche Lebenszeit gewandt hatte, dieses eingezogene, von seiner Zerstreuung unterbrochene, nach seinem Vergnügen durstige Leben?

Er hätte ein Auto da Fe halten und all' den Plunder um ihn verbrennen mögen; vor seiner Seele standen ganz andere Bilder – Bilder mit großgedachten, hinreißenden Contouren und Gestalten, wie die hohen Meister sie gemalt; Bilder, worin der Hauch der Schönheit in jeder Wellenlinie zitterte, Schöpfungen, in denen eine Welt großer Gedanken athmete und sich ausstrahlte, sowie über den blauen Ocean und um glänzende Tempelsäulen die emporsteigende Sonne in den Bildern Claude Lorrain's strahlt. Bilder hätte er dichten mögen, wie Tassos Gesänge: und dann dann hätte er sie aufrollen mögen vor nur Eines Menschen Auge – nur einem großen glänzenden milden Auge hätte er sie zeigen mögen.

Dieses Auge war … brauchen wir es zu sagen? Manfred wagte es sich selber kaum auszusprechen.

Aber die Kraft, das Talent, der Genius – ja, die fehlten dazu, das sagte sich Manfred desto lauter und mit bitterer Selbstverspottung.

Es ergriff ihn eine Art Mitleid mit sich selber. So viel aufgewandte Mühe, so viel Studium, so viel Streben, so viel Fleiß, um endlich solche Bilder, diese langweiligen moosigen Felsen, diese fleißig ausgeführten, aber banalen Baumgruppen, diese Bächlein und Brücklein und Häuschen hervorzubringen! Und daneben jetzt Ideale in der Seele tragen zu müssen, zu denen es keinen Weg gab für seine lahme Kraft, für seine freund- und stützlose Schwäche. Er beneidete den Gärtnerburschen, den er draußen den Weinstock am Spalier beschneiden und festbinden sah; welche tadellose saubere Arbeit machte der Bursche, und wie unbekümmert pfiff er dabei eine alte Opern-Arie! Nur wer selbst den Stachel in sich gefühlt hat, an dem der mit sich unzufriedene, an sich verzweifelnde Künstler blutet, kann es begreifen, wie Manfred ihn beneidete, wie er sich nach einem dunkeln Berufe sehnte, der ihn zu nichts verpflichte, als zu ruhigem Fleiße, zu der redlichen Arbeitsamkeit des Handwerkers.

Manfred war eben sein Leben lang von derselben Einseitigkeit befangen gewesen, über welche Tausende von Kunstjüngern sich nie erheben.

Wir haben früher das Gespräch des Prinzen mit Constanzen belauscht. Sie stritten darüber, ob die Aufgabe des Menschen darin bestehe, sein Dasein an das Streben nach gewissen Zielen hinzugeben, oder in Ruhe und stiller, auf das Allgemeine sich richtender Geistesthätigkeit die harmonische Bildung echter und schöner Menschlichkeit zu gewinnen. Prinz August verlangte das Letztere, Constanze verlangte das Erstere vom Menschen. Sie trennten die Aufgabe. Aber die Kunst – die Kunst verlangt Beides von ihrem Jünger. Das ist das Schwere ihrer Aufgabe, das ist es, warum sie privilegirte Naturen und universale Geister verlangt. Sie fordert Ringen und Streben, um der Schwierigkeiten der Form Herr zu werden und um den Inhalt der Stoffe bis in alle seine Tiefen zu verfolgen: – ein Ringen, so angestrengt, wie das des Staatsmannes, der das öffentliche Leben mit neuen Principien durchdringen will; wie das des Ingenieurs, der über die Anwendung neuer Bewegungskräfte brütet. Und bei dieser unnachlassenden, alle Geistesthätigkeiten nach Einem Puncte reißenden Spannung muß ein großer Künstler zugleich ein klarer, ruhiger Mensch von umfassendster Bildung sein, dem jede Höhe großer und allgemeiner Anschauungen zugänglich ist, der die bunten Erscheinungen des Lebens beherrscht, kurz, eine Art in sich ruhender Götternatur, wie sie Prinz August's Ideal ist.

Das hatte Manfred freilich sich nie klar gemacht, und auch heute hatte er es nicht, aber er fühlte es heute; und deßhalb erschienen ihm seine Studien so schaal, seine Leistungen so talentlos … es war ja Alles darin, nur kein überlegener Geist: es hatte sie ein fleißiger, vielleicht bedeutender Maler gemacht, aber sicherlich kein bedeutender Mensch.

Und das Letztere stand mit verzweifelnder Nüchternheit vor seiner Seele – seitdem er Constanze Merwing gesehen und sich gefragt hatte: »Was würde sie sagen, denken, wenn ihr Blick auf Deine Arbeiten fiele?«

Manfred hörte die Schritte Ulrici's draußen. Er stellte seinen grauen Papier-Rahmen, den er vorhin von dem Fenster weggenommen hatte, um in's Freie zu sehen, wieder an die alte Stelle, holte das Portrait des Fräulein Curtius herbei und setzte sich an seine Staffelei, um einige Lasuren daran nachzutragen.

Die Unterbrechung war ihm im höchsten Grade unangenehm.

»Nun, ich denke, wir sind fertig,« sagte Herr Ulrici nach der ersten Begrüßung, seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes legend … »vortrefflich, vortrefflich – in dem Hermelinpelz kann man jedes Härchen sehen!«

Herr Ulrici hatte seine Braut in ihrem Kragen von unechtem pariser Hermelin malen lassen. Der königliche Schmuck stand ziemlich seltsam zu dem etwas stumpfnäsigen, etwas bräunlichen, etwas verzwickten Gesichtchen des keineswegs natürlich und ungezwungen wiedergegebenen Fräuleins, das aber auch beim Sitzen Alles gethan hatte, um nur ja nicht so auszusehen, wie sie aussah.

»Ich male auch eine solche Tracht gern,« sagte Manfred, »aber ich bin immer in Verzweiflung, wenn ich eine gewöhnliche Ball-Toilette malen muß.«

»Nun, aber so recht schönen Atlaß à la Terburg …«

»Der Stoff ist freilich dankbar! aber es liegt etwas Entwürdigendes in der Weise, wie die Frauen sich aufputzen; gestern auf Ihrem Balle konnte ich bei all' dem Flitter, den gemachten Blumen, den weit ausgeschnittenen Kleidern und nackten Armen den Gedanken an den Smyrnaer Sclavenmarkt nicht los werden.«

»Sie sind ja wie der heilige Pachomius in der Wüste so sittenstreng!« lachte Ulrici.

»O nein,« fiel Manfred ein, »von Sittenstrenge ist gar keine Rede; ich fühle nur aus diesen Exhibitionen der Körperlichkeit das Entwürdigende heraus. Und das fühle ich bei jeder Frau, auch wenn sie im Hauskleide ist.«

»Das Entwürdigende? …«

»Nun ja, sie tragen merkwürdiger Weise Alle Kleider, welche auf dem Rücken zusammengeschnürt und gebunden werden, gerade wie die kleinen Kinder, welche sich selber nicht an- und ausziehen können. Sie unterziehen sich also ganz freiwillig einer ewigen Hülfsbedürftigkeit …«

Ulrici begann laut zu lachen.

»Ich fasse die Sache ganz ernst,« fuhr Manfred eifrig fort, »ich halte es für lächerlich, von einer anderen Stellung der Frauen zu reden, so lange diese noch eine solche mit Hülfsbedürftigkeit coquettirende Tracht haben. Ebenso glaube ich an kein Heil für den Staat, an kein gesundes, freies Männergeschlecht, so lange die Männer noch Kleidungsstücke wie unsere Westen tragen!«

»Sie werden immer paradoxer,« sagte lachend der Buchhalter, – »Sie haben ja ein vollständiges System der Schneider-Philosophie.«

»Nun ja – hab' ich doch als Maler über Costume und Kleider nachdenken müssen. Sie werden mir zugeben, daß man in keinem Jahrhundert durch eine solche Armseligkeit sich entwürdigt hat, wie eine Weste ist. Vorn ein schmales Stück Sammt, Seide, Piqué, aber auch nur vorn; bei der geringsten Bewegung des Rockes sehen Sie hinter die Coulissen der Männer-Toilette, Sie sehen die Lüge, die Armseligkeit in Gestalt eines Rückens von schlechtem Futter-Kattun – ich bin überzeugt, wenn einer dieser Theaterlappen auf die Nachwelt kommt, die Nachwelt wird in ein lautes Gelächter beim Anblick dieser unwürdigen Tracht ausbrechen und sagen: ›Daß Menschen mit solcher Betteltracht nicht frei zu sein wußten – das ist kein Wunder!«

»Sie sind ein wunderlicher Kauz, aber Sie mögen nicht so ganz Unrecht haben,« erwiederte Ulrici. »Nun, wann kann ich das Bild bekommen?«

»Heute Abend, wenn Sie wollen, lassen Sie es holen! Den Firniß trage ich auf, wenn es einige Monate alt ist.«

»Bravo, das ist ja vortrefflich! Aber nun sagen Sie mir, wie ist Ihnen der Ball sonst bekommen? Etwas überwacht und verschwärmt sehen wir aus – sind das nicht so ganz gewohnt, hahaha!«

»Freilich,« antwortete Manfred, »Ihnen kann man das nicht nachsagen! Sie haben sich schon früh in Bewegung gesetzt, nach so viel Thätigkeit am gestrigen Abend und bis in die tiefe Nacht hinein … und sogar schon in Frack und weißer Binde.«

»Ach, junger Mann, wenn es den Dienst der Damen gilt, ist keine Stunde früh … ich muß noch vor zehn Uhr bei der Gräfin Merwing erscheinen.«

»Bei der Gräfin Merwing? Was haben Sie da zu thun?« fragte Manfred, indem er leicht erröthete.

»Naive Frage! Was hat man bei einer schönen jungen Dame zu thun … allerlei, lieber junger Freund, allerlei!«

Herr Ulrici schloß die Augen während dieser Antwort und ließ dann die Falten seiner Stirnhaut auf- und abrollen.

»Ich habe halb und halb den Entschluß mich heute ebenfalls der Gräfin vorzustellen,« antwortete Manfred schüchtern, »und wenn Sie …«

»Wenn ich Sie mitnehme, so würde Ihnen das außerordentlich lieb sein, da Sie nicht den Muth haben, allein zu gehen … Aber, Freund, das geht nicht; denn erstens ist es dazu noch zu früh, zweitens habe ich mit der Gräfin über Geschäfts-Angelegenheiten zu reden, die niemand Fremdes angeben, und drittens was wollen Sie dort?«

»Sie hat mich eingeladen, ihre Galerie anzusehen.«

»Das ist etwas Anderes. – Galerieen kann man auch Morgens früh sehen – also werfen Sie sich in das bewußte famose Männer-Kleidungsstück und den grünen Sonntags-Frack; aber lassen Sie mich nicht warten und eilen Sie.«

Der junge Mann verschwand hinter einer Tapetenthür, auf der mit Nadeln eine große Kreidezeichnung einer mürrischen alten Dogge festgesteckt war, die mit gesträubtem Haar diesen Eingang zu hüten schien. Kurz nachher erschien er wieder, noch abstäubend und bürstend an dem malerischen Ueberwurf, der seine schlanke Gestalt umhüllte. Noch ein paar Bürstenstriche durch das volle lockige Haar, und die Toilette war gemacht.

Bald darauf waren beide Männer draußen auf dem Wege zum Hotel der Gräfin. Ulrici pflegte sehr laut und sehr lebhaft Jedermann zu unterhalten, der das Glück hatte, mit ihm in Berührung zu kommen. Manfred war während des Gehens eben so beflissen, ihm aufmerksam zuzuhören, als sich ein bescheidenes Stück der Straße zum Wandeln frei zu erhalten; denn der Buchhalter hatte die nur allzu häufig vorkommende edle Gewohnheit, beim Gehen in liebenswürdiger Achtlosigkeit seinen Nebenmann so lange seitwärts zu drängen, bis dieser gezwungen war, die Gosse als seinen Pfad zu benutzen oder auf die andere Seite zu treten, wo Herr Ulrici dann dieselbe Liebenswürdigkeit, nur nach links, wenn er früher nach rechts geschoben, entwickelte.

Aber Manfred ließ sich dieß gern gefallen, denn er hatte Ulrici zum Plaudern über Constanze gebracht.

»Wo haben Sie denn gesteckt Ihr Leben lang,« sagte der Buchhalter, »daß Sie bis gestern die Merwing noch nie gesehen? Wer kennt die nicht – das famoseste Mädel im heiligen römischen Reich! Und den alten Grafen hätten Sie kennen müssen – das war ein Herr! Gott hab' ihn selig!«

»Ist er lange todt?«

»Zwei Jahre – seitdem ist diese Gräfin unabhängige Herrin eines bedeutenden Reichthums, schön, gelehrt, unternehmend – unser Erbprinz weiß wohl, was er thut – er hat ganz Recht!«

»Recht, worin?«

»Daß er die Merwing heirathen will – sie wär' mir auch lieber als die hochmüthigste Herzogin oder Großfürstin.«

»Sie wird den Erbprinzen heirathen?«

»Das scheint beinahe so gut wie abgemacht. Jedermann sieht's ja, wie verliebt er in sie ist! und Jedermann hat seine Freude daran, mit Ausnahme der kleinen, aber ›mächtigen‹ Partei, die schier des Teufels würde, wenn sie solch' eine Landesmutter bekäme.«

Es konnte dem armen Sohne des officiellen Künstlers Wallpott sehr gleichgültig sein, wen die Gräfin Constanze Merwing heirathete. Und doch empfand er bei den Worten Ulrici's plötzlich einen schweren Druck auf dem Herzen.

»Und ist sie ganz unabhängig – ohne Vormund? Es ist ein Graf Julian Merwing da – ihr Oheim, glaube ich …«

»Der Vormundschaft war sie entwachsen, als ihr Vater starb. Gott sei Dank,« antwortete Ulrici – »dieser Julian ist ein maliciöser Bursche, ein giftiger Mensch, der, wenn Gerechtigkeit in der Welt wäre, sein Leben lang hinter Schloß und Riegel gehalten würde.«

»Und hat sie sonst keine Verwandten?«

»Nein,« antwortete der Buchhalter, »ihr Oheim Florian ist todt, ihre beiden Brüder sind todt …«

Ulrici sprach noch etwas, aber Manfred verstand ihn nicht und wünschte den rasselnden Wagen zum Henker, der vorüberfuhr und an dessen Rollen seines Begleiters Worte erstarben.

»So lebt sie ganz allein mit einer älteren entfernten Verwandten, die als ihre Gesellschaftsdame bei ihr ist,« schloß Ulrici seine Rede und fügte dann noch hinzu:

»Das Beste ist, daß das ganze Vermögen der Merwing allodificirt ist. Als ihr Vater starb, war es noch Lehen, jetzt aber, wo bei uns in Folge der deutschen Grundrechte die Lehen aufgehoben sind, gehört es ihr als freies Eigenthum, von nichts Weiterem belastet, als von einigen Testaments-Clauseln ihres Oheims Florian, des verrücktesten Betbruders im ganzen Lande; das war so einer von der Sorte, die hier die Gassenbuben mit nackten Beinen umherlaufen läßt und den Hottentotten Strümpfe strickt! – Aber da sind wir ja!«

Die beiden Wanderer waren an ihrem Ziele angekommen.



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