Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Capitel.

Unmittelbar nachdem Anton von Werth die Unterredung mit seinem Vater gehabt hatte, war er zu Pferde gestiegen und hatte Freising verlassen. Das Thier, welches er sich in den Ställen seines Vaters ausgewählt, war ein leichter und rascher Renner. Die Wege auf der offenen baierischen Hochebene waren, ganz im Gegensatze zu denen Norddeutschlands, vortrefflich, und so kam denn unser Reiter mit einer Schnelligkeit vom Flecke, die seiner inneren Aufregung entsprach.

Am Abend hatte er Münden erreicht, dort wenige Stunden Nachtruhe genommen, nach Sonnen-Aufgang war er wieder im Sattel, und früh am Vormittage näherte er sich bereits dem Städtchen Fürstenfeldbrück. Hinter diesem Orte, auf der ersten Anhöhe, über welche der Weg sich zog, konnte man die Dächer und Giebel des Schlosses, welches Leynen bewohnte, in der Ferne vor dem Walde schimmern sehen, der rechts und links die dahinter liegende Hügelwellung krönte.

Anton von Werth sandte, als er an diesen Punkt angekommen war, seine Blicke aus, um das Dach zu erspähen, welches seine Geliebte schützte. Seltsam – es war nicht zu finden – hatten die Baumwipfel der Gärten an seinen Seiten es überwuchert? wie konnte es sonst verschwunden sein? Anton orientirte sich noch einmal nach den anderen Punkten der ihm bekannten Gegend; er hatte sich nicht geirrt. Er blickte aufs neue scharf hin, indem er den Zügel seines Pferdes anzog, um es zum Stehen zu bringen; er hob sich hochauf in den Bügeln und – er sah das alte Burghaus Leynen's jetzt, aber was er erspähte, das war hinreichend, ihn wie von einem Blitzstrahle getroffen in den Sattel zurücksinken zu lassen.

Er gewahrte etwas, in dem er eine einzelne Giebelwand erkannte, und etwas daneben, das wie ein durchsichtiges Sparrenwerk aussah – an der Stelle, wo früher Leynen's Wohnung gestanden hatte!

Der Schrecken, welcher sich bei diesem Anblicke seiner bemächtigte, war unbeschreiblich. Hatte ein Unglück das Schloß in Asche gelegt? oder war ein feindliches Streifcorps in diese Gegend gekommen und hatte es überfallen? Das Land war von Schweden und Franzosen frei; also durfte Anton das Erstere annehmen und doch war ihm zu Muthe, als müsse er sich auf das allerschlimmste gefaßt machen! Ihm wurde so weh ums Herz, daß er sich hätte vom Pferde gleiten lassen und auf den Rasen am Wege hinwerfen mögen, um sich einer völligen Verzweiflung hinzugeben über sein trauriges Schicksal, das ihm hier wieder entgegentrat!

Aber er ermannte sich; er spornte sein Thier zum angestrengtesten Laufe an. Mit rasender Eile galoppirte er den Hügel hinab in die muldenförmige Thalsenkung, die in ansehnlicher Breite noch zwischen ihm und seinem Ziele lag. Kaum eine halbe Stunde war verflossen, und Anton von Werth hielt vor dem Thore des Burghauses.

Ein trübseliger Anblick bot sich hier seinem Auge dar. Eine vernichtende Feuersbrunst hatte das ganze Schloßgebäude durchwüthet; nur die festen Umfassungs- und Brandmauern erhoben sich noch rauchgeschwärzt aus dem Haufen von Schutt und Trümmern und verkohltem Gebälke, das den Boden des bedeckte. Nicht einmal die Nebengebäude waren verschont geblieben. Die Stätte der Verwüstung lag todt und öde da – jedes lebende Wesen, schien es, hatte sie geflohen.

Anton ließ einen Ruf erschallen, der aus so schmerz- und angstgepreßter Brust kam, daß es kaum zu unterscheiden war, ob es ein Weheruf oder ein Versuch sein solle, zu erfahren, ob denn Niemand mehr in diesem Chaos von Trümmern anwesend sei. War es das letztere, was Anton gewollt, so zeigte sich nach einer kurzen Pause, daß er seine Absicht erreicht habe. Eine alte Frau wurde sichtbar, welche hinter einem Mauer-Bruchstücke auftauchte; sie kletterte auf dem Schutthaufen, der vor ihr lag, in die Höhe; als sie aber von da aus den bewaffneten Reiter gewahrte, schien sie aus Scheu vor diesem Anblicke sich zur Flucht wenden zu wollen.

Anton winkte ihr lebhaft mit der Hand, und es gelang ihm, sie durch das, was er ihr zurief, zu beruhigen. Es war eine Bettlerin, welche in dem Schutte umhergewühlt hatte, um nach Gegenständen von Werth zu forschen. Sie gab, als sie von Anton vernahm, daß er ein Freund Leynen's sei, jede Auskunft, die er verlangte; sie hatte in derselben Nacht, in welcher das Schloß niedergebrannt, ein Unterkommen in den Nebengebäuden vom Dienstvolk eingeräumt erhalten und war deshalb die Zeugin des ganzen Ereignisses geworden. Daß es Franzosen gewesen, die das Schloß überfallen, daß sie den Herrn und seine Tochter gefangen fortgeführt, daß sie das Thor in Feuer gesetzt und dadurch alle Bautheile angezündet und daß sie endlich sich auf der Straße nach Schwaben hin entfernt, das war, was Anton zunächst von ihr erfuhr.

Anton von Werth versank, noch während die Alte erzählte, in düsteres grübeln und sinnen.

Was, so fragte er sich, konnte diesen plötzlichen Handstreich erklären, den ein französisches Streifcorps in einer Gegend gewagt hatte, welche ja von diesen Feinden längst geräumt war und wohin sie unmöglich ohne bestimmten Grund zurückgelockt sein konnten, blos um die Genugthuung zu haben, einen alten invaliden Soldaten und sein Kind aufzuheben und fortzuschleppen, oder gar, um einen menschlichen Wohnort mehr in Flammen aufgehen zu lassen? War ja auch ringsum kein anderer Gegenstand da, welcher ihre Plünderungssucht und Habgier hätte reizen können; hatten sie doch auch weiter keine Feindseligkeit begonnen, keinen Unfug geübt, sondern sich rasch zurückgezogen, nachdem sie an dieser Stelle ihre Absicht vollführt.

Anton mußte sich nothgedrungen die Frage vorlegen: Welche Triebfeder hat die Feinde hierhin gebracht, welche Hand hat diesen Streich wider Ulrike und Dich geführt? – und die Antwort auf diese Frage war ihm nicht schwer zu finden!

Eine unsägliche Bitterkeit erfüllte Anton von Werth, als er sich diese Antwort gab.

Aber ein zweiter Gedanke kam ihm, eine Vorstellung, beinahe noch bitterer, noch entsetzlicher.

Wird nicht Dein Vater, fragte er sich, dieselben Betrachtungen anstellen, welche Du eben anstellst? Wird er nicht eben sowohl, wie Du es Dir sagst, sich sagen, daß hier eine besondere Absicht gewaltet, daß eine böse, rachsüchtige Leidenschaft hier an Ulriken ihren Muth gekühlt hat? Und wenn er es sich sagt, bist Du sicher, daß er dabei stehen bleibt, Dir gerechte Vorwürfe zu machen, in Dir die Quelle dieses ganzen Unglücks, in Deinem unglückseligen Treiben das zu finden, was zu diesem Streiche stachelte? – – – Wie, wenn er weiter ginge, wenn er Dir in seinem aufbrausenden Zorne Schuld gäbe, es wäre dies alles ein abgekartetes Spiel, Du selber wüßtest um diesen Ueberfall, durch den die Longueville sich rächt! ja, Du hättest gar nur deshalb so zuversichtlich Dich auf Ulrike berufen, weil Du gewußt, welches Schicksal ihr drohe und sie entferne! – O, mein Vater wäre fähig, mir das vorzuwerfen!

Anton fühlte sich rathlos elend bei diesem Gedanken!

Aber unthätig mit seinem Pferde hier vor dem Schutthaufen zu halten, dazu war keine Zeit. Es mußte möglich sein, die Räuber einzuholen. Sie waren um die Morgenstunde des vorigen Tages abgezogen. Vielleicht hatten sie keinen großen Tagmarsch gemacht. Vielleicht befanden sich Leynen und Ulrike irgendwo in einem der nächsten, von den Franzosen belegten Orte; vielleicht war es möglich sie zu befreien.

Anton freilich war allein, ohne Hilfe ohne Begleiter. Aber standen nicht kaiserliche Truppen an mehreren Plätzen, die nach der Grenze von Schwaben hinauslagen? War es nicht leicht, sie zu einer solchen Verfolgung in die Sättel zu bringen? Diese Gedanken, diese Hoffnungen hatten sich rasch in dem jungen Manne gekreuzt, und eben so rasch hatte er sein Pferd herumgeworfen und sprengte davon.

Es war nicht schwer, den Weg zu verfolgen, den die feindliche Schar genommen hatte. Die vereinzelten Anwohner der entvölkerten Gegend, durch welche Anton jetzt dahin stürmte, wußten fast insgesammt von dem französischen Reiterschwarm zu berichten, welcher am vorigen Tage hier sichtbar geworden war. So kam Anton von Werth bis nach Landsberg am Lech. Hier hatten die, welche er verfolgte, ihr Quartier während der verflossenen Nacht aufgeschlagen. Am Morgen, und zwar ziemlich spät, nachdem sie die Rückkehr vorausgesandter Späher abgewartet, hatten sie den Ort verlassen und waren über den Lech gegangen, der Straße rechtshin gen Ulm folgend.

Anton ließ es nun sein Erstes sein, einen berittenen Boten zu werben, den er gen Mindelheim und Memmingen aussandte; dort standen kaiserliche Völker, und Anton ließ durch seinen Boten den Anführer derselben beschwören, auf das Streifcorps Jagd zu machen. Er selbst war so glücklich im Orte ein gutes starkes Pferd zu finden, welches er gegen sein ermüdetes Thier umtauschte.

Doch war es über der Zeit, welche er zu beiden Verrichtungen gebraucht hatte, beinahe Abend geworden. Die niedergehende Sonne schien dem blassen, düsteren Reiter gerade ins Gesicht, als dieser über die Lechbrücke bei Landsberg trabte, um seinen Weg mit neuer Hast fortzusetzen.

Die Ueberspannung aller seiner körperlichen und Seelen-Kräfte hatte ihn in einen schwer zu beschreibenden Zustand versetzt. Was er rings um sich her sah, war ihm wie eine Art von Traumbild – alle seine Sinne waren wie mitversenkt in diesen Traum, wie abgestumpft und entschlafen – von seinem ganzen Sein war nichts wach und lebendig, als das Gefühl einer drückenden Beklemmung und eines großen stechenden Schmerzes. In diesem Gefühle hatte sein ganzes Denken und Leben sich concentrirt; alles Andere umgab ihn nur noch verworren und verschwommen.

Wie ein Traumbild war ihm daher auch im ersten Augenblicke der Anblick, welcher sich ihm plötzlich bot, als er etwa eine Viertelstunde von der zuletzt genannten Stadt entfernt war. Auf der nächsten Höhe, über welche die Straße, der er folgte, sich zog, sah er Staubwirbel aufsteigen und dann eine Gruppe Reiter, die mit verhängten Zügeln herangesprengt kam, Anton gerade entgegen. Es waren ihrer vielleicht fünf oder sechs; aber sehr bald nachher erneuerte sich die Staubwolke, ein größerer Haufe tauchte, von jenseits der Höhe daherhastend, auf, und wieder andere folgten diesen.

Anton hielt sein Pferd an – die Reiter kamen näher und näher – sie trugen französische Uniformen und Waffen-Rüstungen!

Anton von Werth schwindelte es vor den Augen bei diesem Anblicke – seine Brust hob sich – wenn nicht sein Pferd vor dem heranbrausenden Schwarm gescheut hätte und mit einem unbändigen Satz auf die Seite gesprungen wäre, so hätte er mit seinem gezogenen Pistol mitten auf der Straße die daher Sprengenden erwartet, ohne zu bedenken, daß er von ihrem Anprall augenblicklich niedergeworfen und zu Boden geritten werden müsse. So aber mußte er, ohne es zu wollen, Raum machen; sie galoppirten auf ihren schweren Hengsten an ihm vorüber, ohne sich um ihn zu kümmern.

Als die Ersten vorüber waren, warf Anton seine Blicke den zunächst ihnen Folgenden zu; zwischen ihnen und dem letzten Schwarme flatterte ein dunkelblaues Frauengewand, eine weibliche Gestalt hielt sich mühsam, ängstlich auf dem hohen Pferde; neben ihr ritt ein alter Mann, um dessen Schläfe unter dem aufgekrämpten Federhut weiße Locken flatterten – es war kein Zweifel mehr, dasselbe Streifcorps, welches den Ueberfall ausgeführt, welches Ulriken und Leynen gefangen genommen, kam hier, wie es schien, flüchtig und verfolgt, aber seine Gefangenen mit sich führend, dem, der es suchte, entgegen!

Anton hielt sich nicht mehr, als er diesen unerwarteten Anblick hatte. Er spornte und stachelte sein Pferd, daß es in weiten Sätzen den Herankommenden entgegen flog; er warf es zwischen die Lücken der feindlichen Reiter hindurch, Ulrikens Pferde entgegen, und mit einem festen, sicheren Griff erhaschte er, weit vornüber gebeugt, den Zügel ihres Thieres. Die Kraft, die es eisern so plötzlich zurückriß, machte es hoch aufbäumen. Ulrike stieß einen lauten Angstschrei aus; erst im nächsten Augenblick erkannte sie den Reiter, der so plötzlich sich ihr entgegengeworfen.

»Anton, o mein Gott! Ihr!« rief sie aus.

Leynen hatte in diesem Augenblicke rasch sein Pferd gezügelt.

»Anton von Werth!« rief auch er erstaunt aus, sein Thier werdend.

»Woher? Was bedeutet dies?« schrie Anton ihm entgegen.

»Die Kaiserlichen sind uns auf den Fersen. Die Franzosen wollen zurück sich über den Lech flüchten, und wir müssen mit in der tollen Jagd.«

»Nimmermehr! Zur Seite mit Euch, zur Seite! laßt sie an Euch vorüber sprengen!« rief Anton und zog Ulrikens Pferd auf die Seite der Heerstraße. »Ich will sehen, wer Euch mitnimmt!«

Leynen folgte schnell mit seinen Gaule dem Zuruf Anton's; auch Ulrike hatte ihm mit rascher Geistesgegenwart Folge geleistet, und schon hatte Anton den Hahn seines Pistols gespannt und war im Begriff, vor seinen beiden Schützlingen aufgestellt, dieselben zu decken vor dem heransprengenden letzten Schwarm der Feinde.

Da ertönte ein lautes Horn-Signal, und oben auf dem Kamm der Höhe, von welcher herunter das flüchtige Geschwader der Feinde daher gesprengt kam, flatterte eine kaiserliche Standarte im Winde; eine dichte Schar Reiter drängte sich um sie und eilte heran.

»Da sind sie, da sind sie!« jubelte Ulrike laut auf.

»Wir sind gerettet!« rief Leynen aus.

In demselben Augenblicke aber zischte eine Kugel zwischen dem Obersten und Anton von Werth durch, dicht an der Schläfe des letzteren vorüber. Der letzte Trupp der Franzosen war vor ihnen, rund um sie her, und die Degenklingen fielen in flachen Hieben auf ihre Thiere nieder, um sie zum Weitersprengen zu zwingen.

»Tavannes!« schrie Anton todtenbleich vor Wuth den Reiter an, der sein Pistol auf ihn abgeschossen hatte und jetzt mit gezogenem Pallasch auf ihn einhieb – »Du bist's! O Dich erkenne Deine Herzogin! Ahnt' ich's doch! da, nimm das für Eure Tücke!«

Im nächsten Augenblicke war Anton's Reiterpistol abgeschossen; er hatte gut gezielt, Tavannes' lange hagere Gestalt sank zurück, der Pallasch entglitt seiner Hand, und der Verwundete griff krampfhaft nach dem Sattelknopf, um sich oben zu erhalten.

Anton hatte seine Klinge gefaßt, er holte aus, um dem Sinkenden den letzten Rest zu geben – da blitzte hinter ihn noch einmal ein Pistol auf, ein Schuß – ein Schrei Ulrikens – und Anton von Werth sank vornüber gebeugt auf die Mähne seines Pferdes. Er streckte den Arm aus; den Athem und die Besinnung verlierend, schien er nach einem Halt zu tasten. Die Hand Ulrikens, die ihm rasch eine Stütze bieten wollte, begegnete der seinen – er drückte sie mit erlöschender Lebenskraft fest und krampfhaft; aber ihn zu halten, vermochte Ulrike nicht – er sank aus dem Sattel herab, auf den Rand der Straße nieder, den sein Blut zu röthen begann. Die Kugel des französischen Reiters war vom Rücken her mitten durch seine Brust gegangen.

Ulrike glitt von ihrem Pferde herab. Laut weinend warf sie sich neben ihn nieder.

Die feindlichen Reiter machten keinen Versuch mehr ihre Gefangenen mit sich zu nehmen. Der Hufschlag der Verfolger, das Rasseln ihrer Rüstungen dröhnte ihnen aus nächster Nähe ins Ohr; einzelne Kugeln pfiffen über ihre Köpfe fort – sie spornten ihre Pferde zu wildester Eile und tobten vorüber, gehetzt wie die wilde Jagd.

Eine kurze Pause und abermals war unsere Gruppe umringt von einem Haufen hastigen Kriegsvolkes. An der Spitze auf einem keuchenden schwarzen Hengste, von dem der Schaum niedertroff, hielt ein Mann mit grauem Haupt- und Barthaar, über dessen Antlitz sich eine breite Narbe zog. Dieses Antlitz war hochgeröthet, aber es erblaßte, und ein eigenthümliches Zittern der Muskeln lief über dasselbe fort, als der alte Soldat die Gruppe vor den Hufen seines Pferdes erblickte.

Der Reiter war Johann von Werth.

Die Botschaft, welche Wolfhart hinterbracht, hatte den Feld-Obersten nicht ruhen lassen. Noch in der Nacht hatte er sich von seinem Lager erhoben, eine Abtheilung leichter Reiter aufsitzen lassen, und war mit ihnen von Freising ausgeritten, auf das gute Glück hin, das ihm so oft hold gewesen; der Feind, den er verfolgen wollte, hatte freilich einen unermeßlichen Vorsprung; aber Johann von Werth verzweifelte an nichts. Wenn er sich auf der geraden Straße hielt, die gegen die Hauptaufstellungen der Franzosen bei Ulm und weiter an der Donau hinab führte, so hatte er seinerseits wieder einen Vortheil vor dem Streifcorps voraus, das weit von links her sich gegen diese Aufstellungen des Hauptcorps hinunter ziehen mußte.

Darum setzte sich Johann von Werth zu Pferde und ritt, wie nur er und seine Reiter es verstanden; so war er bis hinter Augsburg gekommen, als er vernahm, daß auf dem Wege von Landsberg nach Ulm sich am Morgen dieses Tages kaiserliche Truppen aus Mindelheim oder Memmingen aufgestellt hätten, wahrscheinlich um französische Völker abzuschneiden, die seit gestern in der Gegend gesehen worden. Anton's berittener Bote war also überflüssig gewesen; die Officiere der deutschen Truppen hatten sich bereits aus freien Stücken den Franzosen in den Weg geworfen.

Eine bessere Nachricht als diese verlangte Johann von Werth nicht. Er ließ links abschwenken, und nachdem er ein paar Stunden querfeldein zurückgelegt hatte, kündigte ihm ein lebhaftes Kleingewehrfeuer, das aus der Ferne zu ihm herüber tönte, an, wo er den Feind zu suchen habe. Noch eine kurze Strecke Weges – und vor sich in einem weiten Thalgrunde hatte Johann von Werth den herzerfreuendsten Anblick, den die Welt ihm bieten konnte. Die Franzosen und die Kaiserlichen waren hart an einander; es war ein buntes Getümmel, Feind und Freund durcheinander, mit der blanken Waffe oder dem erhobenen Reiterpistol, Rosse bäumend hoch in der Luft und Rosse keuchend und sich wälzend am Boden; über das ganze Bild blaue Wolken Pulverdampfes und grauen Staubes wirbelnd, kreisend und flatternd.

Die Franzosen schlugen sich wie Verzweifelnde und schienen an Terrain zu gewinnen. Aber der Angriff Johann's von Werth, der sich plötzlich in ihre Flanke stürzte und Alles niederritt, was ihm in den Wurf kam, entschied den Ausgang in kürzester Frist. Die Franzosen ergriffen die Flucht, ihre Gefangenen zwischen sich nehmend; in wilder Hast sprengten sie den Weg zurück, den sie gekommen, auf Landsberg zu, wahrscheinlich in der Hoffnung, dort die Brücke über den Lech gewinnen und vertheidigen oder gar abbrechen zu können, um dem Feinde die weitere Verfolgung unmöglich zu machen

Auf diesem Wege ihrer Flucht nun war es, wo sie mit ihren Gefangenen Anton von Werth begegneten.

Als Johann von Werth an die Stelle herankam, wo die Leiche seines Sohnes auf dem Boden lag, hielt er lange schweigend sein Pferd an und sah mit einem gläserner Blick, mit bleicher bebender Lippe, aber ohne ein Wort zu reden, nieder.

Leynen reichte ihm die Hand hinauf und drückte sie; die Thränen rannen über die eingefallenen Wangen des alten Mannes.

»Er hat uns gerettet!« sagte er; »aber es hat ihm das Leben gekostet!«

»Also einen ehrlichen Reitertod!« antwortete Johann von Werth endlich. »Gott sei seiner Seele gnädiger, als er es meinen alten Tagen ist. Macht eine Bahre für die Leiche. Nach Benatek mit ihr. Hebt Euer Kind auf, Leynen, und tröstet sie. Wir wollen der Leiche folgen. Den Todten voran wollen wir in das Haus einziehen, wo man auch uns alte Kriegsknechte bald zur Ruhe bringt. – Wir haben diesem Kriege genug Opfer gebracht, Leynen; wir können uns den Abschied nehmen!«



 << zurück