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Siebentes Capitel.

Es war an einem milden Sommerabende. UIrike Leynen hatte das Schloßgut ihres Vaters allein verlassen, und war den waldigen Hang hinaufgeschritten, der sich in Süden und Westen erhob und mit den leichten Hügelwellungen zusammenhing, die hier die weite nach Norden sich ausdehnende Ebene abschloßen. Ihr Spaziergang führte sie bis zu einer Waldlichtung, die auf der Höhe des Hügels lag. Hier hatte ehemals eine Kapelle gestanden. Jetzt lag sie in Trümmern. In gleicher Weise sah man die Ueberreste von zwei Weilern, die in dem muldenförmigen Thale jenseits der Höhe sich angesiedelt hatten, von diesem Punkte aus in Schutt und Asche liegen.

Die Spuren des Krieges waren überall in diesem blutig heimgesuchten Lande; ja, sie sind es zur heutigen Stunde noch. Wer aus dem Norden kommend den Süden Deutschlands bereist, dem muß es auffallen, daß sein Auge fast nirgends auf dem Lande jene schönen altergrauen Kirchen mit bemosten spitzen Thürmen erblickt, welche die romantischen Mittelpunkte der Dörfer im Norden bilden. Diese uralten Bauwerke, von denen viele so alt sind, wie die christliche Gemeinde, der sie zum Gotteshaus dienen, selbst, diese dunkeln Mauern mit den schmalen gothischen Fenstern, worin einige dürftige Ueberreste von gemalten Scheiben den Strahl der Abendsonne auffangen; diese runden Chorbogen, welche auf die Jahrhunderte byzantinischer Bauweise deuten; diese plumpen viereckigen Thurmstapel, über welchen die schlanke Pyramide des schindelbedeckten Hutes in die Höhe steigt: und umher die Gruppen mächtiger bemooster Linden, welche mit ihren alten Wipfelkronen den grünen Kranz um das Gemeindeheiligthum ziehen – sie fehlen ganz im Süden Deutschlands. Allüberall erblickt man hier öde geweißte Kirchen, wie das vergangene Jahrhundert Kirchen baute, mit dem acht- oder sechseckigen Thurm, der einer Nadelbüchse gleich sieht, und den eine garstige bauchige Kuppel frönt, oft gar pittoresk in grüne Farbe gesetzt, daß man ein orientalisches Minaret vor sich zu haben glaubt.

Was ist der Grund dieser Erscheinung, welche so wesentlich die Physiognomie der Landschaft ändert? Es kann eben wohl nur der sein, daß der große Krieg um den Glauben, der einen so großen Theil Deutschlands verheerte, der die Pflugschar verdrängte um das Schwert an ihre Stelle zu setzen und mit dieser Schar, wie der Pflug die Schollen, das unterste zu oberst zu kehren, alle die alten Bauwerke vernichtet hat … dieser entsetzliche menschenmordende Krieg, dessen Dauer nach Bruchtheilen eines Jahrhunderts zählt, und der wie die meisten großen Kriege, welche Deutschland führte, das charakteristische hat, daß es nach demselben ungefähr so blieb wie es vor demselben gewesen – all die Schmerzen, all das Blut, alle die Verheerung und Trümmer abgerechnet.

An diesen nicht endenden Krieg dachte denn auch Ulrike bei ihrer einsamen Wanderung. Hatte sie doch doppelte Ursache, sich nach dem Frieden zu sehnen! Und ach, Tag auf Tag, Woche auf Woche verging, ohne daß sie die Botschaft brachten, die zum Friedenswerk versammelten Herren, die nun schon bis ins dritte Jahr hadernd und streitend zusammensaßen, seien um einen Schritt weiter und ihrem Ziele näher gekommen.

Und während so von außen die Friedensbotschaft ausblieb, mußte Ulrike sich gestehen, daß auch der Friede ihres Innern von argen Feinden, der Sorge und der Unruhe, bedroht wurde – der Sorge um ihren Geliebten, der Unruhe über sein Schicksal. Wie lange Zeit war nicht verflossen, seitdem er von seiner Ritterfahrt an der Seite einer Dame hätte zurück sein können! Weshalb kam er nicht zurück? Was hielt ihn ab, wenigstens eine Botschaft zu senden, wie er es früher gethan, so oft sich eine Gelegenheit geboten?

Freilich, er war jetzt so viel weiter entfernt – Ulrike hatte eigentlich gar keine rechte Vorstellung darüber, wie unendlich weit es aus ihrer Heimath bis in das ferne Westfalenland sei, von dem sie nur sehr dunkle Bilder hatte und das sie ganz geneigt gewesen wäre, als ein Stück rechter Wildniß mit Wölfen und Bären darin zu betrachten, wenn es ihr ein Schalk so geschildert hätte. Und so hatte sie sich anfangs wohl getröstet, daß kein Gruß, kein Brieflein von ihm kam – nur allmählich, als die Zeit einer möglichen Rückkehr Anton's längst gekommen und doch Tag auf Tag verging ohne ein Lebenszeichen zu bringen, bemächtigte sich ihrer die innere Angst.

War ihm ein Unglück zugestoßen auf der weiten Fahrt? Diese Frage drängte sich ihr mit peinigender Sorge ins Herz – und doch gab es noch eine andere Frage, welche sich ihr ins Herz drängte und welche noch peinigender war – eine Frage, welche sie sich nicht aussprach, sondern die in der Gestalt quälender Bilder sie umschwebte. Brauchen wir zu sagen, daß in diesen Bildern die verführerische Gestalt der schönen Herzogin, ihre Anmuth und ihr geistsprühender Blick eine große Rolle spielten? und daß auch Anton von Werth darin eine Rolle spielte; aber eine Rolle, die so wenig ritterlich und edel war, daß Ulrike sich jedesmal die bittersten Vorwürfe machte, wenn sie in ihrem gepeinigten Herzen sie ihm zugeschoben hatte?

Und doch – es war etwas in ihr, das sich mächtiger bewies als sie selbst und ihr immer und immer wieder den bösen eifersüchtigen Argwohn in die Seele gab. –

Ulrike hatte den Heimweg von ihrem Spaziergang angetreten. Die Sonne sank und die Hügel im Westen hatten bereits ihre weiten Schatten über die Ringmauern von Neideck gelegt: nur die Giebel und höchsten Dachtheile glänzten in den goldenen Strahlen, die auch noch die fernhin sich ausdehnende Ebene erhellten und in die verschiedenen Farbenlinien kleideten, die streifenweise über dem weiten Gebäude lagen.

Ulrike ließ, als sie aus dem Walde hervorschritt, der die Hügelgegend, aus der sie herabkam, bedeckte, ihr Auge über die Landschaft streifen, die, einfach, ja eintönig wie sie war, doch so von Gottes heller Sonne bestrahlt, in wunderbarem Farbenreichthum glänzte und dadurch einen namenlosen Reiz erhielt. Da erblickte das junge Mädchen die Gestalt eines Fremden, der auf dem Wege nach Neideck herangeschritten kam. Ihr scharfes Auge ließ sie erkennen, daß es ein Wanderer war, der aus der Ferne kommen mußte, denn er trug eine andere Tracht als die der Landleute dieser Gegend, dazu Wandertasche und Stab.

Als sie an der Stelle angekommen war, wo der Weg, den sie gegangen, in den andern, der aus der Ebene nach Neideck führte, einmündete, blieb sie stehen, den Ankömmling zu erwarten. Ihr Herz schlug ihm gespannt entgegen – sie hielt sich mit Gewalt zurück, ihm nicht in der Ungeduld über die langsamen Schritte des Säumigen eine Strecke entgegen zu eilen. Endlich war er so nahe gekommen, daß sie ihm ein: »Grüß Gott! Was bringt Ihr uns?« zurufen konnte.

Der Mann lüftete seinen Hut, dann schlug er mit der Rechten auf seine lederne Reisetasche, wie um pantomimisch eine Antwort zu geben, die er zu träge oder ermüdet schien mit erhobener Stimme Ulriken herüberzurufen.

Sie legte die Hand auf das Herz, um sein Pochen zu bezwingen: sie ahnte, sie wußte, daß es sich um eine Botschaft für sie handle!

Und in der That: der Mann zog ein Päcklein, überschrieben: ›an die wohlgeborene, viel ehr- und tugendsame Jungfrau Ulrika von Leynen, zu Neideck‹, aus seiner Tasche. Er kam aus München seines Weges, dort hatte einer aus den gestrengen Herren von des Kaisers Botschaft beim churfürstlichen Hofe ihn gedungen, den umfangreichen schwergewichtigen Brief gen Neideck an das Fräulein zu überbringen. Sie nahm ihn hastig aus seinen Händen, sie erblickte Anton's Hand, ihr Antlitz röthete sich bei ihrem innern Jubel und mit raschen Worten lud sie den Boten ein, in die Gesindehalle unten im Schlosse zu kommen und sich zu erquicken. Sie selbst eilte vor ihm her, gab flüchtig einem Knecht, den sie auf dem Hofe fand, den Befehl, für den Mann Sorge zu tragen und dann eilte sie, die Wendelstiege ins obere Stockwerk des Hauses mehr hinaufschwebend als gehend, in ihr Gemach, um sich dort in Anton's Liebesworten zu berauschen.

Der Bote hatte es sich unterdeß unten im Schlosse bald bequem gemacht. Trank und Speise wurden ihm aufgetragen, dann kam der Oberst selbst, der draußen gewesen war, nach seinen Feldern zu schauen, in die Gesindehalle. Ein fremdes Gesicht war in Neideck immer ein Ereigniß. Leynen trat zu dem Manne, fragte ihn aus, was es in der Hauptstadt des Baierlandes für Neuigkeiten gebe und was man von Krieg und Frieden rede, und während er so die Arme über der Brust verschlungen vor dem Fremden stand, der über Alles Bescheid gab, so gut er es wußte, blickte sein Auge über den Raum der niedern gewölbten Halle fort und durch die schmalen vergitterten Fenster an Ende derselben auf den Hof. Plötzlich unterbrach sich Leynen in seinem Zwiegespräch mit dem Boten.

»Alle Wetter – da kommt ja auch just der Wolfhart auf den Hof geritten – der alte Wolfhart wie er leibt und lebt!« und mit raschen Schritten eilte der Burgherr zur Halle hinaus und auf die Schwelle des Hofes.

»He Wolfhart – lebst Du denn noch? Bist Du's wirklich?« rief er ihm entgegen; »meiner Seel, wir glaubten Euch längst von den Wölfen geschluckt, so lange bist Du geblieben!«

»Oho, Herr Oberst, die Wölfe haben uns nichts angehabt; habe auch keinen gesehen auf der Fahrt – Füchse schon etzliche und die sind schlimmer!«

»Nun und wie gehts denn, alter Kumpan?«

»Gut, ganz gut, Herr Oberst!« antwortete Wolfhart, indem er, an seinem Pferde stehend und sich weiter um seinen Gebieter nicht kümmernd, die Sattelgurten losschnallte.

»Nun, Gott sei Dank« fuhr Leynen fort; »aber Du bist ja gewaltig kurz angebunden – laß doch den Knechten den Gaul.«

»O 's ist nur wegen des einen Gurts, den ich in der Wuth zerrissen und dann wieder so zusammengebandelt habe, daß kein Anderer ihn mehr durch die Spange bringt: ich muß es halt von selber thun!«

»In der Wuth? Und worüber bist Du so in Wuth gewesen, daß Du die ledernen Gurten zerrissen hast, als wenn es Bastfäden wären?« fragte Leynen.

»Nun, worüber anders als darüber, daß das vermaledeite Franzosenvolk mich auslachte!«

»Ausgelacht haben sie Dich? Wahrhaftig, das hätte ich Dir vorhergesagt, Wolfhart,« versetzte Leynen lächelnd. »Aber,« fuhr er fort, »aus Rand und Band gebracht haben sie Dich auch, wie ich sehe; es wäre Zeit, Wolfhart, daß Du Deinem Gaul jetzt endlich den Rücken kehrtest und nicht länger Deinem Herrn!«

Wolfhart schien sich um diese Mahnung nicht viel zu kümmern: Er nestelte am Sattelzeuge seines Pferdes weiter. Was er mitzutheilen hatte, gab ihm ein Gefühl der Wichtigkeit und Sicherheit, das er keineswegs geneigt war, unausgebeutet zu lassen. So betrug er sich denn heute in Gegenwart seines Herrn mit einer wahrhaft unverschämten Formlosigkeit. Endlich gab er seinen Pferde einen Schlag und ließ es selbst seinen Weg zu dem alten Stalle suchen.

»Komm mit mir herauf,« befahl ihm Leynen jetzt – »und erzähle mir, wie es Euch ergangen auf der Fahrt. Wo ist der Werth?«

»Meint Ihr den alten oder den jungen?« fragte Wolfhart, während er neben dem Obersten unten durchs Haus und die Stiege, welche am Ende des Vorraums nach oben führte, hinaufschritt.

»Ich meine den jungen – hast Du auch gute Nachrichten vom alten, desto besser!«

»Dem Alten gehts wohl: er hat sich donauaufwärts gezogen und wird wohl heute noch Freising zu seinem Quartier gemacht haben! Er trägt mir viel schöne Grüße für Euch auf und er hoffte, Ihr würdet es ihm nicht entgelten lassen – er könne nicht dafür, er habe es immer geahnt, daß er noch ein Unglück mit dem Burschen haben werde, der Ulrike solltet Ihr es fein glimpflich und allmählich beibringen, damit das arme Kind …«

»Aber ins drei Teufels Namen, wovon redest Du?« fragte Leynen erschrocken stehen bleibend.

»Nun, wovon anders als vom Anton Werth und seinen Streichen?«

»Anton von Werth? Streiche? Und was für Streiche macht er?«

»Weiter keine, als daß er ins französische Lager, wenigstens ins Lager eines französischen Weibes übergegangen ist!«

»Wie – hat die Herzogin …«

»Grade die! die schöne Herzogin! die hat den Gimpel gekirrt und zahm gemacht und er plappert jetzt, was sie von ihm verlangen!«

»Wolfhart!« rief Leynen voll Bestürzung aus, indem er seinen Diener am Arm ergriff.

»Ja, ja, es ist so,« fuhr Wolfhart in seiner mürrischen Trockenheit fort – »weshalb hätte ich mich denn sonst auch von den Franzosen in Wuth setzen lassen, als weil sie mir höhnisch den Staar stachen und ich einsehen mußte, daß sie Recht hatten?«

Leynen eilte nun rasch die übrigen Stufen der Treppe hinauf: Wolfhart mußte ihm in sein Wohnzimmer folgen, hier schloß der Obrist die Thüre ab; dann befahl er dem alten Reiter, ihm Alles der Reihe nach zu erzählen. Dieser hielt mit dem, was er bemerkt und beobachtet zu haben glaubte, nicht hinter dem Berge. Der Obrist gerieth dabei in wahre Verzweiflung.

»Mein Kind – mein armes Kind!« rief er einmal über das andere aus.

»Nun sie muß sich halt trösten,« meinte Wolfhart endlich: »es ist ja eigentlich ein Glück, daß der alte Wolfhart da war und es herausbrachte, welch Kräutlein der junge Herr eigentlich ist – noch bevor es zu spät war. Sie muß denken, der Fant sei nie hier auf Neideck gewesen und dann ist ja Alles wieder wie zuvor!«

»Geh,« versetzte Leynen ohne sich auf diese Trostgründe einzulassen – »geh nach unten und mach Dirs bequem. Beim alten General de Werth bist Du gewesen und hast ihm Deine Neuigkeiten brühwarm zugetragen: das ist nun einmal geschehen und läßt sich nicht bessern. Wenn Du hier jedoch nur den Mund aufthust – nur eine Sylbe sprichst, so – bei meiner Ehre, Wolfhart, so laß ich Dich in den Schloßgraben werfen.«

Wolfhart blickte höchst überrascht über diese ungnädige Sprache seines Herrn, an die er seit so langer Zeit nicht mehr gewöhnt war, auf und wollte antworten. Aber der Oberst ließ ihn nicht zu Worte kommen.

»Marsch!« sagte er – und donnerte Wolfhart diese Sylbe so ernst ins Ohr, daß dieser vorzog schweigend abzuziehen. –

Leynen schritt dann lange nachdenklich in seinem Zimmer auf und ab. Wohl nie, seitdem er sein treues Weib verloren, hatte er sich so rathlos und ohne eine Menschenseele, mit der er vertrauensvoll Rath pflegen konnte, gefühlt. Was sollte er thun? Seiner Tochter Alles sagen und das Bild eines Treulosen mit einemmale in ihrem Herzen auszulöschen suchen? Oder sollte er allmählich sie von ihm abzuwenden streben, um ihr den namenlosen Schmerz zu ersparen – sollte er das Gift tropfenweise ihr eingeben? Oder sollte er ganz schweigen und nicht gleich verzweifeln an dem jungen Manne, der ihm selbst theuer geworden, den er sich jetzt so lange schon froh als Sohn gedacht, daß er ihm zum Glücke seiner letzten Lebenstage wie unumgänglich nöthig geworden schien? War es nicht Unrecht, etwas über ihn zu beschließen, bevor Leynen Aug' in Aug' mit ihn geredet, bis er ihm Gelegenheit gegeben, sich zu vertheidigen?

Leynen neigte sich mehr und mehr zu diesem Entschluße. Ja, er wollte nicht auf eine Anklage hin verdammen, die keine andere Stütze hatte, wie die seines Dieners, der zwar immer eine treue Seele gewesen und mit einer Ergebenheit an seiner Herrschaft hing, daß er Leib und Leben für sie gerne gelassen hätte; der aber doch bei allem dem ein alter Weinschlauch war, der sich vielleicht obendrein, wie er, es auf Neideck bei seinem gutmüthigen Herrn gewohnt, manches herausgenommen hatte, was Anton von Werth ihm nicht hatte durchgehen lassen und der nun parteiisch und gereizt aus der Mücke ein Kameel gemacht!

Leynen hing an Anton von Werth. Er hatte ihn schon als Knaben gekannt, er hatte seine Freude an dem prächtigen kleinen Burschen gehabt, so oft er ihn in einem der Wink erquartiere des Generals von Werth, wohin dieser seine Familie zu sich kommen zu lassen pflegte, gesehen. Auch hatte Leynen dem alten Freunde oft Vorwürfe gemacht, daß er den Knaben zu streng erziehe.

»Es ist ein ehrgeiziger Bursch, glaubt's mir, General,« – hatte er ihm mehr als einmal gesagt, wenn er den letzteren in seiner barschen Weise den Sohn hatte anfahren sehen – »wenn Ihr ihn so anschnauzt, so kränkt und verwundet Ihr ihn tiefer, als gut ist. Noch ist er offen und brav, aber nehmt Euch in Acht; allzuscharf macht schartig; es wurmt ihn mehr als Ihr glaubt, jedes Wort, das Ihr ihm sagt.«

Solchen Warnungen aber war Johann von Werth unzugänglich gewesen. Charaktere vom Gepräge des seinigen, Naturen, welche so wie er aus einem Block gehauen, ermangeln der Fähigkeit, sich in die Seelen Anderer zu versetzen und zu fühlen, daß nicht alle Welt denkt und empfindet wie sie. Und was ihn selbst anging – ihn hatte ein rauhes Wort, eine derbe Behandlung in seiner Jugend nie sehr tief berührt; dem kriegerischen rauhen Wallonenstamme angehörig, verarmter Edelleute Sohn, hatte Johann von Werth selbst eine Erziehung erhalten, welche nichts weniger als schonend und rücksichtvoll gewesen; und gerade dieser Erziehung schrieb er es zu, daß ein tüchtiger Mensch aus ihm geworden. So waren denn Leynen's Worte in den Wind geredet gewesen, und seufzend sagte sich der Oberst jetzt:

»Das sind die Folgen, wenn man ein Kindesherz nicht versteht und es von sich abschreckt, daß es sich selbst überlassen bleibt. Der Werth hat sich seinen Sohn so nach seiner Art dressirt, daß er völlig aus der Art geschlagen. Er sei ein verschlossener, versteckter Gesell, sagte der Alte immer. Ja, ja, ich glaub's: er wenigstens hat durch freundlich liebevollen Zuspruch nie viel dazu gethan, dem Jungen das Herz zu öffnen. Der Wind, der den jungen Baum schüttelt, kräftigt und stärkt ihn; aber der Baum will eine Stütze neben sich haben, sonst wächst er nimmer gradauf!« –

Der Oberst Leynen hatte bald Gelegenheit, diesem Satze treu, selber seinem Kinde als eine moralische Stütze zu dienen. Die Thür öffnete sich und Ulrike trat still und geräuschlos ein.

»Ich höre so eben, Wolfhart ist zurück,« begann sie mit eigenthümlich gedämpftem Tone, in welchem nichts von dem gewöhnlichen hellen und heitern Silberklang lag – »Wo ist er?«

»Er ist todtmüde, Kind,« antwortete der Oberst mit einer gewissen, unruhigen Hast – »ich habe ihn sogleich in seine Kammer gesandt und ihm befohlen sich auszuruhen – es geht Anton von Werth wohl; alles übrige wird er Dir morgen erzählen … morgen, Kind!«

Ulrike sah ihren Vater mit einem forschenden Blicke an.

»Ich verstehe!« sagte sie; »Du willst eine beunruhigende Nachricht für mich möglichst lange von mir fern halten …«

»Wie kommst Du darauf, Ulrike?«

»Ich weiß, ich weiß – ich weiß aber auch, daß Du Anton von Werth Unrecht thust, Vater – die Sache ist nicht so schlimm, wie Du denkst.«

»Was ist nicht so schlimm, Ulrike?«

»Was Wolfhart Dir berichtet haben mag und was jetzt Deine Stirn umdüstert – ich habe bessere Botschaften, Vater, ich habe Botschaften von ihm selber –«

»Ich weiß, der Bote hat Dir Briefe gebracht. Aber so ganz freudig müssen sie doch nicht gewesen sein, diese Botschaften, denn Deine Stirn ist auch nicht gerade so hell wie sonst!«

»Ja, Vater … wie soll ich es Dir sagen – am besten ist's, Du liest es selber – da, sieh den langen Brief Anton's – und da – ein ganz Paket von kleinen duftenden französischen Liebesbrieflein dazu!«

Mit diesen Worten gab Ulrike ihrem Vater Anton's Schreiben und das Päckchen mit den Billetsdoux der Herzogin, die er als Pfand seiner Treue Ulriken beigeschlossen hatte.

Der Oberst Leynen war sonst nicht eben Freund vom Lesen langer Schreibereien: jetzt griff er eifrig darnach, nicht allein aus Begierde zu erfahren, wie Anton seine Treulosigkeit zu entschuldigen suche – es überhob ihn auch der Verlegenheit, in welcher er sich fühlte, da er nicht wußte, was Ulrike sagen!

Als er mit Mühe die lange Epistel durchbuchstabirt hatte, während welcher Zeit Ulrike sich still ans Fenster gesetzt und in den abendlichen Himmel hinausblickte, hob er endlich an:

»Nun, und was sagst Du dazu?«

»Ich, Vater?« versetzte Ulrike mit einem Tone, in welchem die mit Trauer gemischte äußerste Bitterkeit durchklang – »ich sage nichts, als daß er ein großer Patriot ist – daß ihm der Friedensschluß gar sehr am Herzen liegt! Ist das nicht alles Mögliche, daß er für das Heil seines Vaterlandes nicht einmal darauf sieht, ob er seine Schwüre brechen, seine Gefühle zurückdrängen, und einer Fremden eine Neigung heucheln muß, die er sicherlich – ganz sicherlich nicht empfindet –«

»Du bist zu bitter, Kind,« fiel Leynen ein – »freilich, es ist eine seltsame Geschichte und wenn ich sagte, daß ich große Freude empfände über diese Art, sich dem Vaterlande zu opfern, so müßte ich der Wahrheit ins Gesicht schlagen!«

»Und daß er jetzt erst das alles schreibt – jetzt erst, wo er gezwungen ist, es zu thun, weil er Wolfhart's Hinterbringungen fürchtet.«

»Zweifelst Du denn, daß sich alles so verhält wie er schreibt? Da thust Du ihm Unrecht, Ulrike. Leere Ausreden, um ein wirkliches Liebesverständniß mit dieser Herzogin zu bemänteln, sind das nicht – das glaube mir – dazu kenne ich ihn zu gut!«

»Aber, wenn Wolfhart nun nicht von ihm gegangen wäre, wenn Anton nicht besorgt hätte, daß dieser uns nachtheiliges über ihn berichte – wie dann?« fragte Ulrike. »Hätte er auch dann mir diesen Brief geschrieben?«

Oberst Leynen ging eine Weile im Zimmer auf und ab, ohne hierauf zu antworten.

»Es ist wahr,« sagte er, »denn es ist nicht ritterlich, was er gethan hat, noch thut. Und deshalb, um zu einem Entschluße in dieser Sache zu kommen, ist es das beste, Du schreibst ihm alsogleich unsre Meinung darüber: Du schreibst ihm, daß die edelsten und größten Ziele nicht die krummen Wege, auf welchem sie erreicht werden sollen, gerade machen. Er mag die Sache wenden wie er will, es bleibt doch Lug und Trug, gegen die Französin geübt. Laß ihn deshalb sogleich sein falsches Spiel aufgeben. Ohnehin scheint es mir thöricht, ja kindisch – der Friede wird denn doch von den Höfen, den Männern gemacht, nicht von intriguanten Weibern, wenn sie auch sich hineinmischen mögen, mehr denn billig ist. Aber versprich ihm zu verzeihen, unter der Bedingung, daß er stracks zurückkommt – denn,« setzte Leynen hinzu, und dabei näherte er sich seiner Tochter und legte zärtlich seinen Arm um ihre Schulter – »hüte Dich, mein Kind, seine Handlungsweise anders als nach Deiner Einsicht und klaren Verständigkeit zu beurtheilen und ziehe ihn nicht bloß vor den Richterstuhl eines eifersüchtigen Herzens!«

Ulrike wandte den Kopf ab, um ihrem Vater die Thränen zu verbergen, welche an ihren Wimpern hingen.

»Nicht wahr?« sagte er, »Du thust das nicht?«

Sie schüttelte mit dem Haupte, ohne zu sprechen.

»Denn tätest Du das,« fuhr er fort, so geschähe ihm Unrecht und Unrecht ihm thun willst Du gewiß nicht – traue mir – er ist gut und brav, er ist Deiner würdig, wie er es früher war – trotz dieser Verirrung! Aber laß sie aufhören, so bald wie möglich.«

Ulrike stand auf.

»Ich will ihm schreiben,« antwortete sie mit einem Tone, in welchem Leynen zu seiner Freude weit mehr ruhiger Entschlossenheit gewahrte, als ihre Stimme bisher verrathen hatte.

»Und noch eins!« sagte er – »sprich nicht mit Wolfhart.«

»Weshalb nicht?« fragte Ulrike rasch mit wieder auflebender Unruhe.

»Weil er ein zu roher Mensch ist, um über diese Dinge, von denen er doch nicht genug weiß und beobachtet hat, etwas anderes sagen zu können, als was Dich verletzen würde! Versprich es mir.«

»Gut, Vater, ich verspreche es Dir!« Und dann sich an seine Brust werfend und in heftiges Weinen ausbrechend setzte sie hinzu: »O mein guter, guter Vater! Warum habe ich je mein Herz zwischen Dir und einem andern Manne getheilt – mein thörichtes, kindisches Herz! Und weshalb kann ich es nicht von allem losreißen, und nur Dir, meinem treuen Vater leben!«

»Kind,« sagte Leynen, einen Kuß auf die helle Stirn seiner Tochter drückend – »verzage nicht! Du hast Dein Herz ja keinem Unwürdigen geschenkt – und von mir muß es sich nun einmal doch trennen –«

»O nein, nie, niemals!« rief sie, ihn mit Heftigkeit umklammernd, aus.

»Und doch muß es so sein –« fuhr er mit wehmüthiger Stimme fort – »Dein Vater ist alt und seine Tage sind gezählt – aber mach mich nicht weichherzig – die Trauer kommt dem Menschen früh genug vom Schicksal – es frommt nichts, daß er selber sie in sich weckt!«

Und mit diesen Worten führte Leynen seine Tochter in ihr Zimmer zurück, damit sie sogleich Anton von Werth's Brief beantworte und den Boten, der unten noch in der Gesindestube wartete, benutze, um ihr Schreiben abzusenden. Der letztere sollte es gen München, von woher er gekommen, bringen, und Ulrike hoffte, daß es in nicht zu langer Zeit vermittelst des, gewöhnlich einmal in der Woche, die letztere Stadt passirenden kaiserlichen Couriers an seinem Bestimmungsorte ankommen werde.



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