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Achtes Capitel.

Es war Nacht. Der müde Escudero hatte sichs nach seines Herrn Befehl so früh bequem gemacht, daß er zur Zeit, wo das übrige Gesinde in der großen Halle auf Neideck vesperte, schon mit Speise und Trank anticipando erquickt, auf dem Ohre lag und schnarchte. Das natürliche Ergebniß dieses Bruchs der Regeln, wonach die Abwechselung zwischen Ruhe und Thätigkeit innerhalb des Laufes eines Tages stattzufinden pflegt, war, daß der alte Reitersmann auch um so viel früher erwachte, als die sämmtliche Einwohnerschaft des Schlosses.

Dazu kam, daß Wolfhart graues Haar hatte: und bekanntlich ist es einer der charakteristischen Züge dieser vortrefflich eingerichteten Welt, daß während wir jung sind, während die Stunden uns nur heitere und angenehme Dinge bringen, oder von uns zu der fruchtbringendsten Thätigkeit verwendet werden können, eine gesunde Schlafsucht uns möglichst viel von diesen kostbaren Stunden raubt; daß aber im Alter, wo die Stunden ohne Freude vorüberschleichen und nichts bringen, dessentwillen es der Mühe werth wäre, wach zu sein, der Schlummer uns flieht und uns halbe Nächte hindurch zur angenehmen Disposition bleibt, was in langsamen heiseren Schlägen von den Thurmuhren herabtönt oder vom Nachtwächterhorn anmuthig durch die Todtenstille der schweigenden Natur geblasen wird!

So kam es denn auch, daß Wolfhart etwa eine Stunde nach Mitternacht erwachte und ohne wieder einzuschlafen sich auf seinem Pfühl wälzte. Der Mond schien hell in seine kleine Kammer durch ein schmales in den massiven und dicken Burgmauern angebrachtes Fenster, und malte das Bleigegitter, welches die kleinen runden Scheiben umfaßte, auf den Boden hin.

Wolfhart dachte unmuthig über den Empfang nach, welcher ihm bei seinem Herrn geworden. Er mußte sich gestehen, daß dieser Empfang seinen Erwartungen in keiner Weise entsprochen; und das Gefühl von Wichtigkeit und Selbstbewußtsein, mit welchem er in Neideck eingerückt, war dadurch jetzt ganz bedeutend herabgestimmt. Statt auf Händen getragen, von Ulriken nicht einen Augenblick allein gelassen und mit Fragen bestürmt zu sein, hatte sein alter Gebieter weit mehr Lust gezeigt, ihm den Kopf zu waschen und Ulrike hatte sich gar nicht um ihn gekümmert, ihn nicht einmal gesehen!

Während Wolfhart so dalag und zuweilen bald laut einen Kernfluch über seine Lippen schickte, um seiner Verdrossenheit Luft zu machen, nahm er plötzlich wahr, daß das Fenstergegitter auf dem mit Stein-Platten belegten Boden zu Füßen seines Bettes durch etwas verdunkelt wurde, was in unangenehm überraschender Weise dem Schatten eines Männer-Kopfs mit langem, an den Schläfen niederfallenden Haar und einem breitrandigen Hut darauf ähnlich sah. Wolfhart's Blicke flogen dem Fenster zu. Richtig – es war so – ein Männer-Kopf, nicht erkennbar weil er den Mond natürlich hinter sich hatte und nur umsäumt wurde von dem bläulich bleichen Lichte desselben, drückte sich draußen, ins innere spähend, an die Scheiben. Dann bog er sich etwas zurück, eine Faust im Handschuh rüttelte an dem Fensterrahmen; als dieser nicht nachgab, sank die Erscheinung langsam hinunter.

»Ins Teufels Namen!« wetterte Wolfhart auffahrend – »was bedeutet das? Es wird doch kein boshaftiger Schwed' oder Franzose sein, dem Du in Deinen lustigen Reiterjahren den Garaus gemacht hast und der sich jetzt sein Gespenstermüthchen damit kühlt, daß er Dir einen Schrecken einjagen will! Oder hat vielleicht, während ich auf der Reise war, ein lockeres Dirnlein von Hofmagd in meiner Kammer sich einlogirt und ihren Galan daran gewöhnt, hier auf den Kiltgang einzusteigen?«

Während er dies sprach, war Wolfhart aufgesprungen und hatte das Fenster erreicht. Er mußte mit den Knieen in die Brüstung hineinkriechen, um das Fenster öffnen und hinausschauen zu können. Als er dies that und den Kopf in die frische Nachtluft streckte, erblickten seine Augen ein Schauspiel noch überraschender als das, welches ihm eben zu Theil geworden.

Wolfhart nämlich sah zunächst unter sich eine lange Leiter, welche unten in den, jetzt bei der sommerlichen Hitze an mehreren Stellen, trockenen Schloßgraben gestellt, oben am am Fenster lehnte. Auf dieser Leiter war ein Mann im Hinabsteigen begriffen und am Rande des Grabens, wo die Leiter aufgerichtet war, stand eine ganze Anzahl von soldatisch aussehenden Männern, die mit aufgerichteten Gesichtern dem Herabkommenden entgegenblickten, als ob sie von ihm Kundschaft über das was er erspäht erwarteten. Bei dieser Richtung ihrer Gesichter war es natürlich, daß sie augenblicklich den Kopf Wolfhart's wahrnahmen, als dieser aus dem Fenster oben hervorguckte. Sie flüsterten unter einander – eine Stimme rief Dem auf der Letter etwas zu, daß dieser sich wandte, um ebenfalls in die Höhe blicken zu können – was man ihm zurief verstand Wolfhart nicht, aber er erkannte, daß es Worte in französischer Sprache waren; und da der unmittelbar unter ihm jetzt sein Gesicht so in die Höhe drehte, daß das volle Mondlicht hinein fiel, war es dem alten Reiter – er hätte darauf schwören mögen, gerade so, als tauchte sein Freund Giles, der Reitknecht der Herzogin von Longueville, den er doch ganz sicherlich fern in Westfalen zurück gelassen hatte, hier in Baiern in diesem nächtlichen Gesichte vor ihm auf.

»Ins Teufels Namen, seid Ihr das nicht, Giles?« rief er deshalb herunter.

» Ah, ma foi,« wurde, ihm zur Antwort »ick glauben da sein alter Freund! Monsieur Wolfhart, he?«

»Freilich bin ich Monsieur Wolfhart. Aber nun sagt mir, Ihr vermaledeiter Windbeutel von einem Franzosen, was hat Euch hierhin geblasen? Was macht Ihr auf der Leiter da, und schaut zu meinem Fenster in mein züchtiges Kämmerlein herein, unverschämter Mensch?«

»O Monsieur Wolfhart, ick haben gehabt so groß Tendresse und Verlangen nach Euch, daß ick bin Euch gefolgt bis hierher und wollten Euch umarmen!«

»So? und die Strauchdiebe da drüben auch? haben die auch so viel Tendresse und Verlangen nach mir?«

»Die auch!«

»Ei, da schau Einer an! Nun Gott lohn's Ihnen –«

»Ick hoff';« fuhr der Franzose auf der Leiter fort, »Ihr werdet uns abstatten grands remercimens und uns das Thor aufmachen, daß wir Euch können all embrasir!«

»Ja sicherlich,« rief Wolfhart aus.

»Und uns regalir mit ein klein gouter, wir haben uns so beeilt, su komm su Euch, daß wir haben nichts gegessen zu Nackt.«

»Nichts gegessen zu Nackt? da schlag ja das Donnerwetter drein. Nun wartet nur, es soll Euch hier etwas aufgetischt werden, dafür steh ich Euch gut.«

»Ihr wollt machen auf das Thor?«

»Ich laufe auf der Stelle,« schrie Wolfhart hinab; »und, Giles, damit Ihr desto eher da sein könnt mich si embrassir, will ich Euch helfen rascher von der Leiter herunterzukommen – seht Ihr, niederträchtiger Hallunk, da!«

Bei diesen Worten hatte Wolfhart mit kräftiger Faust den einen Seitenbaum der Leiter gefaßt, ihr einen derben Stoß gegeben und sie so zurück geschleudert, daß sie überschlug und im Falle die Gruppe bedrohte, welche auf dem jenseitigen Grabenrand versammelt war und dort Giles' freundschaftliche Conversation mit seinem alten Bekannten anhörte. Der Haufe sprang hurtig auseinander; auch Giles rettete sich vor dem Schicksal zu fallen und unter der Leiter seine Knochen zu zerbrechen; er machte überaus hurtig und gelenk wie eine Katze einen von seiner Geistesgegenwart ihm eingegebenen Seitensprung. – Doch war er vom Boden so entfernt gewesen, daß er, unten ankommend, sich nicht hatte auf den Füßen halten können, sondern jetzt mit dem Rücken auf dem trocknen Grunde des Grabens lag, und alle Viere von sich streckte.

» Sacré mille tonnerres!« schrie er – Wolfhart antwortete auf gut deutsch darauf, und wollte just das Fenster schließen, als der Blitz eines Carabiners aufzuckte und gleich darauf eine Kugel neben seinem Kopf in die äußere Schloßmauer schlug.

Wolfhart verriegelte nun rasch das Fenster und dann stürzte er, um Lärm zu schlagen, zu seiner Kammerthür hinaus.

Aber der Schuß mußte ihm darin schon zuvorgekommen sein, vielleicht auch war es das jetzt laut werdende Bellen und Geheul der Hofhunde – genug, Wolfhart hörte, während er auf dem Gange, der an seiner Kammer vorüber lief und am Ende über eine Wendelstiege in das untere Stockwerk führte, unten bereits heftig eine Thür zuschlagen. Nach wenig Augenblicken war er auf dem Corridor im Mittel- und Hauptgeschoß des Gebäudes; er pochte heftig an das Schlafcloset seines Gebieters; Leynen mußte nichts ahnend noch im tiefsten Schlummer liegen, denn Wolfhart hatte Mühe, bis er eine Antwort aus dem Innern erhielt.

»Um Gottes und Jesu willen heraus, Herr, heraus aus den Federn – wir werden überfallen – der Feind, der Franzose ist da!«

Mehr bedurfte es nicht, um den alten Kriegsmann trotz seiner Jahre augenblicklich aus den Federn zu bringen; in unglaublich kurzer Zeit hatte Leynen die Thüre geöffnet, von Wolfhart vernommen, um was es sich handle, dann ein paar Kleidungsstücke umgeworfen und zuletzt zu einem Feuerrohr mit gutem sicheren Radschloß gegriffen, das immer zu Häupten seines Bettes stand.

»Es kann nur ein Haufen kecken Marodeurgesindels sein,« sagte er unterdeß »ich denke, wir wollen ihnen den Frevelmuth, womit sich das Pack bis hierher wagt, um zu plündern, eintränken! Renn' nur zu den Knechten und wecke sie; Feuerrohre sind genug da – nun, was stehst Du noch, Wolfhart?«

»Ja Herr, Gott gebe, daß wir es nur mit Marodeuren zu thun haben – wie aber sollten die so weit bis hierher, wo alles Land längst in den Händen der Kaiserlichen ist, streifen?«

»Nun, was wär's denn andres?« fragte Leynen.

»Herr, ich habe den Giles, den Reitknecht des Weibes da, der Herzogin, unter ihnen gesehen.«

»Der Herzogin von Longueville?«

»Den eben!«

Leynen stand einen Augenblick tief betroffen da ohne zu antworten.

»Den ich vor wenigen Tagen in Westfalen verließ,« setzte Wolfhart hinzu.

»Den hast Du unter den Franzosen da draußen …«

In diesem Augenblick wurden die Redenden plötzlich durch zwei Schüße, welche man laut durch die Nachtstille an den Schloßmauern widerhallen hörte, unterbrochen.

»Zum Teufel – es ist keine Zeit zum schwätzen –« schrie Leynen auf –, »weck die Knechte, wenn sie noch nicht wach sind; ich eile auf die Plattform über dem Thore; laß sie dorthin kommen mit allem was von Waffen da ist – Du sieh nach dem Thore, ob es verwahrt und tüchtig verriegelt ist! fort, mach fort!«

Damit eilte der alte Krieger rasch den Gang hinunter, während Wolfhart nach der andern Seite fort und einer Hintertreppe zurannte, die mit den Gebäudetheilen in Verbindung stand, wo das männliche Gesinde schlief.

Oberst Leynen war kaum unten im Schlosse auf dem Vorplatz angekommen, der in den inneren Hof führte, als ihm durch die rasch aufgeworfene Thüre der Knecht entgegenstürzte, welcher während der Nacht die Stallwache hatte. Was der Mensch in stotternder Hast und im Schrecken vorbrachte, konnte Leynen anfangs vor dem Gebell und Wuthgeheule der tobenden Hunde gar nicht verstehen. Mit Noth und Mühe wurden die lärmenden Bestien so weit beruhigt, daß Leynen die Worte verstand:

»Eine ganze Armee ist's, Herr, eine ganze Armee liegt vor Neideck – als ich die vordersten durch das Thorfenster anrief, haben sie mir mit Kugeln geantwortet –«

»Altes Weib, Du siehst Gespenster!« fuhr Leynen ihn zornig an – wie sollt' eine ganze Armee hierher kommen – ein Haufen Gesindel ist's – Räuberpack – wir wollen's heimschicken!«

Und damit eilte er an ihm vorüber, über den Hof der kleinen schmalen Treppe zu, welche zu einem breiten Balcon im Hofe, außen dem massiven Thorthurm angelegt, zu einer Art von Terrasse oder schmaler Plattform führte, die über dem Thorbogen angebracht und mit einer hohen Balustrade geschützt war. Diese Balustrade hatte beinahe Manneshöhe und war mit Schießscharten versehen, so daß man, sich etwas duckend, durch die letzteren beobachten konnte, was sich draußen zutrug, und doch vor einen Feinde geschützt blieb.

Als Leynen diesen Theil seiner alten Schloßburg erreicht hatte, nahm er etwas wahr, was nicht geeignet, seine bisher noch unerschütterte Ruhe und Zuversicht auf die ausreichende schützende Stärke seiner Mauern, zu erhöhen. Im Gegentheil, er mußte sich sagen, daß er dem Knecht, den er eben ein altes Weib gescholten, welches in der Furcht Gespenster sehe, Unrecht gethan habe. Das war allerdings kein bloßer Haufen Marodeure oder streifenden Räubergesindels, was Leynen durch die Schießscharte feindlich vor dem Thore seines Schlosses geschart erblickte: es war ein zahlreicher Reiterhaufen, in Reihen geordnet, die Standarten, mit den langen im Nachtwind flatternden Wimpeln daran, aufrecht in ihrer Mitte – es konnten drei bis vier Cornet und zwar wie es schien – das Mondlicht ließ es nicht genau erkennen – französischer Dragoner sein!

Vor dem geordneten Haufen hielt eine Gruppe Männer zu Pferde im eifrigen sprechen mit einander begriffen – es waren sicherlich die Officiere, welche sich über die beste Art, das Schloß zu nehmen, unterhalten mochten – denn daß sie in feindlicher Absicht gekommen, verriethen ja hinreichend die Schüße, mit denen sie die altergrauen Mauern von Neideck schon begrüßt hatten.

Als dem Obersten Leynen dieser Anblick wurde – als sich ihm zeigte, daß der geringe Haufe, den Wolfhart von seiner Schlafkammer an der andern Seite der Gebäude aus wahrgenommen hatte, nur eine Abtheilung der Macht, mit welcher er es zu thun hatte, gewesen sein müßte – eine Abtheilung, welche wahrscheinlich den Versuch einer stillen Escaslade hatte machen sollen – da fuhr ihm plötzlich wieder durch den Kopf, was Wolfhart ihm von der Anwesenheit des Dieners der Herzogin von Longueville unter dem Haufen gesagt.

War zwischen dieser Herzogin und Anton von Werth und diesem räthselhaften, so gar nicht zu erklärenden Ueberfall eine geheime Verbindung – sollte am Ende hier ein Streich gegen sein Kleinod, sein Alles, seine Ulrike … des alten Mannes Herz sträubte sich es auszudenken, und doch mußte er es denken, und in der Erschütterung darüber vergaß er beinahe den furchtbaren Ernst seiner Lage, einem so starken Heerhaufen gegenüber.

Doch nur zu bald ward er aufgeschreckt aus diesen Gedanken und an seine Lage wieder erinnert – mehrere seiner Knechte kamen laut und mit Waffen rasselnd die Treppe heraufgestürmt und traten zu ihm – das dadurch entstandene Geräusch hatten auch die draußen vernommen, einer aus der vordern Gruppe sprengte mit einem weißen Tuche wedelnd gegen die aufgezogene Zugbrücke heran und schrie herüber:

» Ouvrez! Oeffnen das Schloßpfort!«

»Bleibt zurück, oder ich schieße Euch vom Gaul herunter!« schrie Leynen hinüber, und schob dabei sein langes Feuerrohr durch die Schießscharte.

Neben den Reiter trat in diesem Augenblick ein Mann, der ein Pferd am Zügel hinter sich führte.

Der zu Roß wechselte einige Worte mit ihm, dann rief der zu Fuß herüber:

»Wenn Ihr Euch ergebt, soll sein Pardon – sonst Alles massacrir und das Schloß in Brand zünden an!«

»Ah das ist mein Freund Giles, der wieder mit seinen paar Brocken Deutsch dollmetschen muß,« sagte Wolfhart, der jetzt auch oben angekommen war und neben seinen Herrn trat. »Giles, bist Du noch da?« schrie er dann zurück – »was thust Du noch auf, Giles: hab ich Dir nicht ein gut Nachtquartier im Graben gegeben, alter Saufaus?«

»Ja, ja, ich Euch werde auch bezahl mein Quartier – n'en doutez pas!«

»Sag' Giles, was, wollt Ihr?« fuhr Wolfhart, in seiner Aufregung sich seinem Herren zum Sprecher aufdrängend, fort.

»Zu Euch hinein!« antwortete Giles lakonisch.

»Geht – Ihr kommt nicht herein zu uns.«

»Wir brauchen Gewalt, wenn Ihr nicht öffnet.«

»Und wir brauchen unser Feuerrohr, wenn Ihr nicht geht!«

»Ihr sollt spring über den Klinge, kommen wir ins Schloß!«

»Und Ihr in den Graben, kommen die Kugeln Euch in den Leib!«

»Wir haben Petarden!« Petarde: militärische Explosivwaffe zum gewaltsamen Aufbrechen von Türen oder Toren an Befestigungsanlagen o.ä. – Anm.d.Hrsg.

»Bringt sie ans Thor, wenn Ihr's wagt!«

» Assez!« rief der Mann zu Pferde jetzt und ritt zu den Truppen zurück.

Unter diesen letzteren entstand gleich darauf eine Bewegung. Ein Theil stieg von den Pferden ab, und während die Thiere von den Andern in Verwahrung genommen wurden, bewegte sich der zu Fußvolk umgeschaffene Schwarm linkshin nach der Rückseite des Schlosses, so daß sie um die links vorspringenden Mauerwerke des Gebäudes bald verschwanden.

»Sie werden dort durch den Graben steigen wollen,« sagte Leynen.

»Ja, ja, sie wissen schon, das kein Wasser darin ist,« fiel Wolfhart ein – »sonst wär' dieser vermaledeite Giles dahinter nicht so heiler Haut davon gekommen.«

»Wenn sie wirklich Petarden bei sich haben,« fuhr der Oberst fort, so hängt alles davon ab, daß wir sie nicht damit ans Thor kommen lassen – haben sie's zu Stande gebracht, den Sprengkopf anzuschrauben, so sind die alten Planken und wir verloren. Seid auf Eurer Hut, Leute!«

Wolfhart beschäftigte sich damit, die Feuerrohre der Knechte, welche ihm zunächst standen, zu revidiren. Geladen hatten alle; wo es an Pulver auf den Pfannen der großen Radschlösser fehlte, wurde hurtig nachgeschüttet. Es mochten der Gewehre ein Dutzend sein, von denen man sicher sein konnte, daß sie durch ihre lange Unthätigkeit nicht verlernt, im rechten Augenblick ihren Dienst zu thun; der Knechte waren acht, so daß die Vertheidigung des Schlosses aus zehn Männern bestand.

Darüber, ob sie ausreiche oder nicht, ob es wohl gethan sei, einem so überlegenen Feinde Widerstand zu leisten und ihn dadurch ärger zu reizen, wurde übrigens kein langer Kriegsrath unter ihnen und ihrem Gebieter gehalten; daß sie Widerstand leisteten, war eben mehr die Sache des Instincts in diesen alten Kriegern – denn Leynen hatte sich seine Knechte aus alten Soldaten, deren immer genug brodsuchend im Lande zu finden waren, gebildet – als der langen Ueberlegung. Dazu kam, daß das ganze des Ueberfalls zu viel überraschendes gehabt, um die Bewohner von Neideck bis jetzt zur Besinnung kommen zu lassen. Und so dachten sie denn an nichts anders als an die hartnäckigste Vertheidigung.

»Wolfhart, lauf mit einem der Knechte ins Haus zurück, in den alten Saal mit dem Erker: von dem Erker aus könnt Ihr die Rückseite des Schlosses ins Auge fassen und beobachten was sie thun wollen – vielleicht versuchen sie wieder irgendwo ihre Leiter anzulegen.«

Wolfhart wählte sich den ersten besten aus der Zahl der Knechte und eilte mit ihm von der Plattform fort.

Wenige Augenblicke waren verflossen, als sich an der Ecke des Gebäudes, hinter der vorhin die abgesessenen Reiter verschwunden waren, eine Gestalt zeigte, die dahinter wieder hervortauchte, aber dieses Mal diesseits des Schloßgrabens dicht an die äußere Mauer des Gebäudes gedrückt. Ein Knecht nahm ihn zuerst wahr, Leynen richtete sein Feuerrohr gegen ihn – doch bevor er ihn hatte aufs Korn nehmen und abdrücken können, war der Feind wieder verschwunden.

»Sie machen's wie ich's gedacht!« sagte der Oberst; »sie sind hinten, wo der Graben trocken ist, hindurch gestiegen und kommen nun diesseits zurück, um ihre Künste am Thor zu versuchen. Nun wohl bekomm's ihnen! Haltet Euch bereit, Leute – die Rohre im Anschlag – aber verpufft das edle Kraut nicht unnütz – den ersten, der kommt, laßt Ihr mir!«

»Vater!« sagte in diesem Augenblick eine tief bewegte Stimme und eine Hand legte sich auf seinen Arm.

Leynen wandte sich; Ulrike stand hinter ihm.

»Was wollt Ihr thun?« rief das erschrockene Mädchen aus – »ums Himmelswillen, was wollt Ihr thun?«

»Was – uns, Dich vertheidigen, Kind was anders?«

»Vertheidigen – ein altes morsches Haus, vertheidigen mit einem halben Dutzend Leuten?«

»Und weshalb nicht?«

»Weil die Feinde zahllos sind,« antwortete Ulrike auf den riesigen Haufen drüben deutend – »weil …«

»Mögen sie zahlreich sein!« – rief Leynen: »dafür sind wir herzhaft und wenn wir nur eine kurze Weile sie zurückhalten, so bleibt ihnen keine Zeit, ihren Anschlag durchzusetzen: sie sind in Feindesland, jeden Augenblick kann von allen vier Weltgegenden her irgend ein Haufe Kaiserlicher kommen und ihnen den Rückzug abschneiden –«

»Er kann kommen – aber er kommt nicht, so viel ich sehe, Vater – und nun denkt an unser Schicksal, wenn dieser Haufen von Feinden mit offener Gewalt in unser Haus einbricht, wenn unser Widerstand ihm den gewünschten Vorwand giebt, nach Herzenslust hier zu wüthen …«

»Aber er bricht eben nicht hinein, Ulrike, er soll nicht hinein!« schrie Leynen »sieh, da sind sie wieder, die Strauchdiebe!«

Und mit diesen Worten wollte der Oberst eben sein Gewehr auf den vordersten der Schar abdrücken, die jetzt noch einmal vorsichtig recognoscirend um den Mauervorsprung her auftauchte, als Ulrike rasch seinen Arm faßte und die Hand vom Radschloß fortzog.

»Geh ins Haus« – fuhr Leynen sie in seiner Aufregung jetzt unwillig an – »dies ist kein Ort für Frauenzimmer!«

»Aber Recht hat das gnädige Fräulein,« sagte jetzt einer der Knechte ziemlich laut und keck.

»Ja, zu capituliren wär' schon das Gescheidst!« meinten ein paar andre, die, da nun doch einmal das große Wort, daß Widerstand hoffnungslos sei, ausgeprochen war, klug genug waren, die Richtigkeit desselben einzusehen.

»Zu capituliren wär' das Gescheidst,« wiederholten sie … »kommen sie mit Gewalt hinein, so geht's uns schlimm – wenn wir capituliren, können wir Bedingungen machen, und es ist doch möglich, daß sie sie halten …«

»Ja, ja, es sind ja Officiere und ein ordentlich Commando ist dabei!« fiel ein dritter ein.

Leynen, schien es, war von der Wiedersetzlichkeit seiner eigenen Leute bedroht, wenn er auf seinem Sinne beharrte. Und doch gab er nicht nach.

»Ulrike,« sagte er – »und Ihr Leute, Ihr wißt nicht, um was es sich handelt – das ist keine bloße Streifpartie, die im Vorbeigehen bei uns ein sprechen und mitnehmen will was sie just findet, das ist … aber zum Teufel mit Euch,« schrie er sich unterbrechend die Knechte an – »da steht Ihr und schwätzt und laßt sie vorüber – nun ist's zu Ende!«

»Heda! schaut nach rechts – wahrt Euch rechts!« tönte zugleich von der Treppe her Wolfhart's Ruf, der dort heraufgestürmt kam.

»Das Wetter schlag sie in den Boden und Euch alle!«

Dieser letzte Ausruf Leynen's war durch eine unerwartete Wendung, welche die Dinge genommen, hervorgerufen. Während die ganze Wachsamkeit der kleinen Besatzung der Plattform darauf gerichtet war, den Feind zu verhindern, daß er nicht von links her dicht an der Mauer entlang herankomme und das Thor erreiche, wo die vorspringende Plattform selbst ihn von obenher wie ein Dach schützte, so daß wenig mehr wider ihn auszurichten war – während, wie gesagt, linkshin sich alle Aufmerksamkeit der Vertheidiger gerichtet hielt – hatten die Franzosen plötzlich und unversehens das gefürchtete Manövre von rechtsher ausgeführt. Ihr Auftauchen hinter dem Mauervorsprung zur Linken war also eine bloße Kriegslist gewesen, eine Diversion, um die Augen des Feindes von dem abzulenken, was sie eigentlich beabsichtigten. Die stärkere Hälfte des Haufens, welcher sich hinter das Schloß gezogen hatte, war, nachdem er auf der Rückseite den Graben passirt hatte, zwischen diesem Graben und der Mauer weiter defilirt, bis er das Schloß rund umgangen hatte, und da er, als er von rechts her kommend auf der Vorderseite auftauchte, nicht beobachtet wurde, so war es ihm leicht gewesen, in raschem Lauf bis an die gedeckte und geschützte Stelle zu kommen, zu welcher er gelangen wollte.

»Nun ist's vorbei!« sagte Leynen, als er wahrnahm, daß er hintergangen worden –, wenn sie Petarden haben, sind wir verloren!«

Solche Kriegsgeräthe mußten sie allerdings besitzen, denn im nächsten Augenblick hörte man hämmern und schrauben an den alten Eichenbohlen des eisenbeschlagenen Thores.

»Wolfhart,« fuhr der Oberst zu dem Reiter, der eben hastig herauf gestürmt war, fort – »ruf' einmal den Burschen, den Du kennst, wieder an. Wir müssen capituliren!«

Wolfhart legte sich in eine der Schießscharten und rief aus Leibeskräften:

»Freund Giles – Giles!«

Eine Gestalt aus dem noch immer ruhig drüben haltenden Reiterschwarm, bewegte sich heran und nahte auf etwa fünfzig Schritt der Zugbrücke.

»Heda! was giebt es?«

»Auf ein Wort, Freund Giles! Kommt nur näher heran.«

»Ja, ja – wir werden kommen schon nah su Euch – werden Euch, kommen viel nah – nur Keduld!« rief Giles entgegen.

»Wir wollen Euch das Thor öffnen!«

»Wir auch!« meinte der Dollmetsch der Franzosen lakonisch.

»Vorausgesetzt, daß Ihr … ja, was wollt Ihr eigentlich?«

»Werdet schon sehen!«

In diesem Augenblick wurde ein starker Geruch von Schwefel und Pulver, der von unter aufstieg, wahrnehmbar.

»Ihr thut Niemanden ein Leids an?« fuhr Wolfhart fort.

»Ein Leibs? N'y pensez pas! Woll'n Euch nur besahl das Nachtquartier, vieux chien

»Wir geben Euch Quartier, gute Verpflegung für Mann und Pferd – was an Geld da ist zum Zehrpfennig auf die Weiterreise … seid Ihr damit zufrieden, so laßt Euren Hauptmann kommen und es sagen, wir wollen dann das Thor öffnen, ohne Euch ein Haar zu krümmen.«

» Ma foi, sehr gnädig! –«

»Wir sind ja alte Freunde, Giles – es sollte mir leid thun, wenn wir in einen Span geriethen über ein so geringfügiges Ding als eine kleine blaue Bohne, die ich Euch in den Leib jage!«

Unterdeß war ein Reiter, dem Anschein nach derselbe, welcher auch früher neben Giles gehalten hatte, herbei gekommen, und wechselte mit diesem einige Worte; dann schrie er herüber:

»Ergeben Euch aussitôt sonst ist su spät!«

»Die Stimme kenn' ich,« sagte Wolfhart, seinen Kopf aus der Schießscharte zurückziehend, »das ist Tavannes, der Stallmeister der Frau Herzogin!«

»Wer?« fuhr Ulrike auf.

»Tavannes heißt der Schelm – die Frau Herzogin setzen all ihr Vertrauen in ihn!« antwortete Wolfhart bitter.

Der Oberst Leynen ergriff den Arm seiner Tochter.

»Komm,« sagte er – »hier ist kein Aufenthalt für Dich – Wolfhart, geh und öffne das Thor. Ruf ihnen zu, daß wir uns ergeben – komm, Ulrike!«

Während Leynen seine erschütterte, einer Ohnmacht nahe Tochter fortführte, um sie ins Haus zu bringen, stieg eine dunkle Rauchsäule über der Balustrade der Plattform auf.

Leynen schritt mit seiner Tochter die enge Stiege hinab, welche am Thorthurm steil hinunter in den innern Hof führte. Ulrike ging schweigend hinter ihm. Die Spannung des Augenblicks war zu groß, als daß sie ein Wort mit ihrem Vater geredet hätte; auch über Wolfhart's Behauptung, an der Spitze der Feinde stehe der Stallmeister der Herzogin von Longueville, verlor sie keine Sylbe. Und doch nahm der Gedanke daran in diesem Augenblick mehr Raum in ihrer Seele ein, als die Angst und die Furcht vor dem was jetzt kommen werde.

Da plötzlich fuhr ein heller Lichtschein am ganzen Thorthurm hinauf – ein Krachen, ein furchtbarer Schlag dröhnte durch die Nacht, ein Splittern zugleich wie von zerschmettertem Holz, und ein übelriechender Qualm zog sich in den Schloßhof hinein.

»Wir können geh'n, um unsre Gäste auf der Schwelle der Hausthür zu empfangen!« sagte Leynen mit bittrer Resignation – »doch wird es besser sein, Du eilst und schließest Dich in Dein Closet ein – fort, Kind!«

»Keinen Schritt von Deiner Seite, Vater,« antwortete Ulrike, indem sie sich leidenschaftlich an ihn anklammerte. »Die Waffe, die Dich treffen will, muß erst mich tödten!«

»Hoffentlich wird's nicht so arg gemeint sein – eine kurze Plünderung unsrer Habe – damit werben wir freilich nicht verschont bleiben!« sagte Leynen.

»Gott gebe es, daß sie nichts ärgeres im Schilde führen, Vater – wäre diese Nacht, diese entsetzliche Nacht vorüber!«

»Laß mich Dich fortbringen, Kind – ich darf Dich nicht hier unten lassen … zu meinem Schutze kannst Du nichts thun, wenn mein Leben bedroht ist!«

»Ich kann mit Dir sterben – und ich will es – beim heiligen Gott!«

Sie waren hastig über den innern Hof geschritten – sie betraten eben die Schwelle ihres Wohngebäudes, als über die rauchenden und flammenden Trümmer des zerschmetterten Thores fort die ersten der Franzosen in den Hof stürmten. Zugleich hörte man das Niederfallen der Zugbrücke, welche bald darauf unter den Hufen des draußen zurückgebliebenen Reiterschwarms erdröhnte.

Leynen zog Ulrike vorwärts er dachte an nichts anderes als daran, sein Kind in Sicherheit zu bringen – vor ihnen stäubte ein Haufe angstkreischender Mägde auseinander, die jammernd und heulend sich hier versammelt hatten und nun, Verstecke oder Wege zum Entkommen suchend, davon liefen. –

»Wahrhaftig – an der Wiege ist's mir nicht gesungen worden, daß ich noch einmal wie diese Hofdirnen mich vor dem Feinde verkriechen muß!« murmelte der alte Soldat zwischen den Zähnen.

» Haltelà – arrêtez – ou vous étes fusillés!« schrie es in diesem Augenblick hinter ihnen; die Verfolger stürmten die Stiege hinan, über welcher Leynen und seine Tochter ins obere Stockwerk flohen.

Der Oberst machte seinen Arm von dem seiner Tochter los.

»Geh, um Gottes willen – rette Dich, Ulrike!« sagte er – »laß mich mit ihnen reden!«

Und damit wandte er sich und faßte so am obern Ende der Treppe Posto, daß er die ganze Breite derselben einnahm und den Aufgang oben versperrte.

»Was wollt Ihr?« schrie er den Herandringenden entgegen – »Wir haben capitulirt gegen Sicherheit der Personen!«

Französische Flüche und Rufe schallten ihm zur Antwort entgegen, nackte Klingen blitzten im Mondlicht, Leynen fühlte die Spitze eines langen Pallasches auf der Brust, und schützte sich nur, indem er zurückweichend mit dem Feuerrohr, das er noch immer in der Hand trug, die Waffe bei Seite schlug – da arbeitete sich rasch eine Gestalt mit wehenden Federn auf dem Hut durch den Knäuel der Bedränger, die sie zum Theil mit rücksichtslosen Rippenstößen die Treppe hinunterschleuderte.

» Place, Place!« schrie er – » si vous les heurtez vous étes morts!«

Es war die Stimme des Stallmeisters Tavannes.

» Ne craignez rien,« fuhr er zu Leynen gewendet fort – » seulement vous avez à suivre. Folget mir!« setzte er schwerfällig die deutschen Sylben aussprechend hinzu.

»Wohin?« entgegnete Leynen.

» Vous verrez – vous étes mes prisonniers! Gebt Euch – kefangen!«

»Wir sind in Euren Händen!« antwortete Leynen. »Eure Heldenthat, einen alten Mann, der mit einem paar Knechten in einem halboffenen Hause wohnt, zu überwinden, hat Euch hier zu Herren gemacht. Also Gefangene sind wir? Und wessen Gefangene, Herr, wenn's erlaubt ist zu fragen?«

» De l'armée française Monsieur!« versetzte der Stallmeister – » elle se glorifiera de ce coup, qui mit entre ses mains un homme si brave, un Officier si vaillant et distingué!« Der französischen Armee, Herr – sie wird stolz darauf sein, daß ein so tapfrer Mann, ein so tüchtiger ausgezeichneter Officier in ihre Hände fällt.

Tavannes sagte dies, indem er sich vor dem Obersten verbeugte im höflichsten Tone von der Welt; nachdem er gesehen, daß Leynen nicht mehr an Widerstand denke, hatte er den rauhen, schmetternden Befehlshaberton augenblicklich fahren lassen und sprach nun, als stände er mit dem Obersten in einem Gesellschaftszimmer zusammen.

» Où est votre fille, Monsieur? Allez chercher Mademoiselle – nous n'avons pas de temps à perdreWo ist Eure Tochter? Holet Eure Tochter – wir haben keine Zeit zu verlieren.

Der Oberst, der hinreichend französisch konnte, um Tavannes' Worte zu verstehen, aber diese Sprache zu reden sich nie hatte bequemen wollen, fuhr fort auf deutsch zu antworten:

»Ihr werdet ritterlich genug sein, meine Tochter ungehärmt zu lassen!«

» Oui oui, amenez-la!« Ja, ja, bringt sie nur her!

»Sie hat, mein' ich, nichts hier zu thun,« antwortete Leynen – »ich bin entschlossen, sie zu vertheidigen, Herr – laßt's Euch gesagt sein, und kümmert Euch nicht weiter um sie!«

» Ah, la voilà!« rief Tavannes in diesem Augenblick aus, indem er Ulrike hinter ihrem Vater ruhig herantretend gewahrte.

Ulrike hatte sich in den dunklen Hintergrund des Corridors geflüchtet gehabt. Als sie jetzt die, wie es aus der Ferne schien, so ruhige Unterhaltung ihres Vaters mit dem Franzosen eine Weile vernommen, war sie unerschrocken herbeigekommen, um anzuhören, welche Wendung hier die Dinge nehmen würden.

Tavannes, als er sie sah, entblößte mit der vollkommensten Courtoisie sein Haupt vor ihr.

»Fürchtet nichts, Mademoiselle!« sagte er und bat in geläufiger Rede, es ihm nicht Schuld zu geben, wenn er sehr genau seine Befehle auszuführen habe. Der Oberst wie seine Tochter müße sich augenblicklich bereit machen, als Gefangene eine Reise anzutreten. Sie würden vorziehen, setzte er mit nachdruckvollem Ernst hinzu, sich sogleich willig selbst zu rüsten, und diejenigen ihrer Pferde zu bezeichnen, deren sie sich zu ihrer Reise bedienen wollten – um ihn der Mühe zu überheben irgend Gewalt zu gebrauchen.

»Und wohin wird denn eigentlich unsere Reise gehen – wohin werdet Ihr uns schleppen?« fragte Leynen noch einmal.

Tavannes' Geduld schien jedoch erschöpft.

»Es ist keine Zeit mehr zum reden – nehmt Eure Kleider und dann vorwärts – fort!«

So blieb denn nichts übrig als zu gehorchen; während Lärm und Toben das ganze Schloß erfüllte, während man das Aufbrechen von Thüren, das Zersprengen von Kisten und Schränken, das Fluchen, das Gelächter der plündernden Soldaten rings umher, in allen Gemächern oben wie unten vernahm; während der Schein angezündeter Lichter aus allen Fenstern in die Nacht hinein leuchtete und sich mit der Flammengluth des noch immer brennenden Holzwerks im Thorthurm vermischte, mußten Leynen und seine Tochter sich in ihren Zimmern, vor welchen Tavannes selbst mit einem seiner Leute unterdeß Wache hielt, rasch die Reisekleider umwerfen. Von Zeit zu Zeit pochte er ungeduldig an ihre Thüren.

Als sie endlich erschienen und sich bereit erklärten, bot er Ulriken den Arm; sie nahm den Anschein an als bemerke sie es nicht. Nun schritt er vor ihnen her die Treppe hinunter in den Hof. Draußen sah Leynen sich nach Wolfhart – um aber Wolfhart war verschwunden – eben so wie alle Knechte und alles Gesinde sich klüglich geflüchtet haben mußte; Fenster in den niedern Stockwerken, ein kleines Thor, das, in einer tiefen Nische auf der Rückseite des Schlosses verborgen, von den Feinden nicht bemerkt worden schien, wenigstens nicht bewacht wurde, hatten ihnen den Weg zur Rettung geboten. Statt seiner Leute nahm Leynen nur die Zerstörung und Verwüstung seines Eigenthums wahr. Aber er war zu bewegt und zu erbittert, um ein Wort darüber zu verlieren.

Die Pferde wurden herbeigeführt, die Franzosen hatten sie aus den Ställen geholt und gesattelt; Tavannes half Ulriken auf das ihre, und dann schmetterte die Trompete mehrmals nach einander das Signal zum Aufsitzen. Doch nur eine kleine Anzahl der feindlichen Mannschaft versammelte sich nach und nach; Tavannes ritt, fluchend über die zuchtlose Bande, welche sich vom plündern nicht loszureißen vermochte, vorwärts; die Gefangenen mußten ihm folgen, die Soldaten, welche zu ihren Pferden zurückgekehrt waren, als Bedeckung sie umgeben. So ging's durch den fallenden Thorbogen, durch den Qualm und die Flammen, die schon die dem Thurme zunächstliegenden Bautheile ergriffen hatten.

»Fahr wohl, Neideck,« sagte Leynen bei diesem Anblick – »Dich sehen wir in Asche liegend wieder, wenn wir Dich je wiedersehen!«

Der Zug bewegte sich gen Westen. Als die Morgensonne emporstieg, waren die Nachzügler nach und nach sämmtlich wieder zu ihm gestoßen. Doch ging es trotz der Ungeduld des Anführers nur sehr langsam vorwärts. Die Pferde waren von dem Herritt in der Nacht ermüdet und schritten träge unter ihren schwerbewaffneten Reitern einher, denen viele ihren armen Thieren noch eine übrige Last an allerlei Beutestücken aufgepackt hatten. Die Wege waren schlecht und oft so sandig, daß die Hufe bis über die Fesseln einsanken. So mußte man, als man Landsberg und damit den Uebergangspunkt über den Lech erreicht hatte, sich entschließen in dieser Stadt das Nachtquartier zu nehmen.

Leynen hatte während des ganzen Rittes bis hierhin wenig zu seiner Tochter, die an seiner Seite eben so schweigsam war, gesprochen. Beide wälzten in ihrer Seele einen düstern, einen entsetzlichen Gedanken, mit dem Unterschiede, daß Leynen in bohrendem Ingrimm darüber brütete, während Ulrike mit aller Macht ihrer Seele ihn bekämpfte, ihn zuweilen ganz überwunden zu haben glaubte, und dann bald nachher dennoch fühlte, daß sie seiner nicht Herrin zu werden vermochte. In ihr war dieser Gedanke aufgestiegen von dem Augenblicke an, wo Wolfhart ausgerufen hatte, daß der vertraute Stallmeister der Herzogin von Longueville der Anführer dieses Schwarmes war, welcher sich so unerklärlicher Weise bis tief in Feindesland gewagt hatte, um sie und ihren Vater als Gefangene fortzuschleppen!

Daß hier ein Zusammenhang zwischen ihrem Schicksal und dem Verhältniß Anton's von Werth zu der Herzogin walte – das schien unverkennbar! Aber welcher? Das war die Frage, nach deren Beantwortung Ulrike umsonst suchte. War es eine Handlung leidenschaftlicher Eifersucht, der Ulrike zum Opfer wurde? Vielleicht; und wäre Jemand gekommen und hätte Ulriken geschworen, daß es nichts anderes sei, als das – sie hätte trotz ihrer Lage aufgejubelt und wäre für Alles getröstet gewesen … so aber sprach Niemand ein Wort zu ihr, andere weit düstrere Gedanken drängten sich ihr auf, und sie versank immer tiefer in das Gefühl ihrer unglückseligen Lage.

Während unsere Gefangenen so, immer weiter dem Westen zu, dahin geführt werden, haben wir Muße, zu Anton von Werth zurückzukehren.



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