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Erstes Capitel.

Die Herzogin konnte die Heldin einer großen Partei werden, sie wurde aber nur eine Abenteurerin, weil sie ihre Liebschaften höher hielt als die Politik.

Memoiren des Cardinals Retz.

Es ist ein warmer und heiterer Sommer-Morgen. Vor uns liegt eine weit ausgedehnte Fläche, welche den unfruchtbaren und öden Charakter einer Hochebene hat. Weite Strecken sandigen Bodens, die mit einem kümmerlichen Graswuchs überzogen sind; Streifen Haideland, lange Striche sumpfigen Grundes, um den Schilf und Moos sich streiten, durch dessen Röhricht der schnellfüßige Kibitz streift, und den, in Schaaren von Hunderten gesellt, die Krick-Ente bevölkert – das ist Alles, was das Auge erblickt. –

Doch nein, es ist leider nicht alles; es giebt Punkte in dieser einsamen und stillen Landschaft, welche einen noch traurigeren Anblick darbieten. Hier und da nämlich erblickt man die Wohnungen der Menschen, welche das Schicksal an diesen undankbaren Boden gewiesen hat; und wo man sie erblickt, wie sie in Gruppen als Dörfer oder auch einzeln als Höfe, als sogenannte ›Einöden,‹ an Hügelwellungen des Bodens gestellt oder im Beringe hoher Bäume da liegen, – da wendet das Auge des erschütterten Wanderers sich trübe von ihnen zurück.

Denn beinahe alle tragen die Spuren, daß der unselige Krieg, der das Land verwüstet und verheert hat, auch hier in vollem ungebändigtem Maße sein Vernichtungswerk übte. Man sieht ausgebrannte Mauern, über welche ein paar noch halbverschonter rauch- und flammengeschwärzter Sparren sich erheben; an anderen Stellen liegt nur ein hoher Schutthaufe noch als Denkmal, daß hier sich sich die Wohnstätte frohen und friedlichen Menschenlebens erhob. Versengte blätterlose Bäume strecken ihre Zweige, ein fahles, schwarzes Gestrüpp, darüber aus. Die einst fruchtreichen Ackerfelder, die wie Oasen um die Dörfer her sich ausdehnten, sind streckenweise mit Gras und Unkraut überwachsen. Der Pflug zieht hier keine Furchen mehr, die Hand des Säemannes bewegt sich nicht mehr, goldene Körner streuend, über sie hin. Was von der Bevölkerung übrig geblieben – und es ist ein winzig kleiner Theil –, das hat sich in einem Winkel der halbzerstörten Wohnungen, aus dem eingestürzten Gebälk und aus herrenlosem Material ein Dach zu nothdürftigem Schutz wider die Unbilden des Wetters hergerichtet.

Nur Eines ist schön und erhebend in dieser traurigen Oede. Das ist die großartige Alpenkette, die wie eine Riesenmauer den südlichen Horizont abschließt, als wolle sie einem glücklicheren Lande jenseits den Anblick dieser Oede und Zerstörung verwehren.

Ein bunt gemischter und großer Reisezug bewegt sich durch diese Gegend. Der größte Theil desselben besteht aus gewaffneten Reitern. Es sind meist wettergebräunte, mit tüchtigen Narben gezeichnete Leute, unter deren schwerer Bewaffnung die großen grobknochigen Gäule schwitzen – eine Race von Thieren, wie sie Wouvermann Philips Wouwerman (1619-1668), niederländischer Maler des Barocks. malt, nur daß diese Kinder der flandrischen, wallonischen und normännischen Ebenen bei Weitem nicht so wohlgenährt und fettglänzend aussehen, wie die runden Schimmel des niederländischen Schilderers sich uns auf seinen Bildern präsentiren. Der Reiter sind etwa hundert, alle gleich bewaffnet, mit Helm und Halb-Küraß, der die Brust bedeckt, während den Rücken nur die Riemen schützen, welche den Küraß befestigen; aus den Holftern ragen die Schäfte schwerer Pistolen mit großen deutschen Radschlössern hervor; breite gerade Pallasche in Lederscheiben schlagen die Flanken der Gäule. In ihren Lederkollern und gewaltigen Stiefeln, an denen wahre Ungeheuer von Sporen tief niederhangen, sitzen diese Reiter zwischen den hohen Sattelknäufen wie festgeklemmt da; alles ist schwer und wuchtig an ihnen; selbst das Riemenzeug der Pferde ist mit schmalen Metallplatten belegt, um es wider feindliche Hiebe im Handgemenge zu schützen.

Aber nicht bloß diese martialisch aussehenden Reiter bilden den Zug; an der Spitze desselben reitet eine Gestalt, welche das Auge überrascht in dieser Umgebung erblickt. Es ist eine Frau, nicht mehr in der ersten Blüthe der Jugend, aber noch immer von großer Schönheit; sie trägt ein dunkles faltiges Reisekleid, das mit schwarzen Sammtstreifen besetzt ist und, so einfach es erscheint, doch dem schlanken, zierlichen Wuchs der Dame seine volle Geltung verleiht; und obwohl sie etwas lässig, wie ermüdet von der Reise, auf dem Rücken ihres Pferdes ruht, bewahrt ihre Haltung doch eine auffallende Anmuth, und ihre dunklen Augen streifen mit einem Ausdruck von Feuer und Keckheit, der sehr wenig von Ermüdung spricht, über die weite Wegestrecke vor ihr hinweg. Ein großer Männerhut mit niedergelassenem Rande, der sich, den Bewegungen des Pferdes folgend, schlapp auf und nieder schaukelt, und so seinen Schatten bald nur auf die schmale Stirn, bald bis tief hinab über Wangen und Kinn wirft, giebt der ganzen Erscheinung übrigens einen auffallenden Zug von Abenteuerlichkeit; und denselben Charakter hat ein neben ihr reitender Mann in reiferen Jahren dadurch erhalten, daß er zu seinem grünen Sammtwamms mit schmalen Goldstreifen und fliegenden langen Aermeln sich ein koket aufgekrämptes feines Damenhütlein mit weißen Federn daran aufgestülpt hat.

Hinter diesen zwei vordersten Gestalten im Zuge folgen zwei andere Frauen in Reitkleidern und zu Pferde, und dann eine Gruppe von einem halben Dutzend von Dienern, die ebenfalls bewaffnet sind. Zwei Maulthiere tragen hinterher eine leere Sänfte; andere Saumthiere sind mit Gepäck und Kisten beladen und schließen den Zug.

» Mon Dieu! Wie schwer ist Euer Hut, Tavannes!« spricht die Dame in französischer Sprache endlich mit einem leisen Stoßseufzer zu ihrem Begleiter; »mein Kopf glüht darunter!«

»Und doch,« lautete die Antwort des Angeredeten, »würde mir noch heißer werden unter Eurem leichten Hütchen, Madame, wenn uns jetzt plötzlich hier der Herr Herzog begegnete! Was würde er denken? Und wenn und so Messire Tallemand des Reaux Gédéon Tallemant des Réaux (1619-1692), französischer Schriftsteller. Keines seiner Werke wurde zu seinen Lebzeiten gedruckt. Seine Historiettes, eine Sammlung von Anekdoten über seine Zeitgenossen, wurden erst 1834/1835 veröffentlicht und sorgten für einen Skandal, weil die oft wenig schmeichelhaften Darstellungen dem idealisierten Bild von Frankreichs » Grand Siècle« widersprachen. Tallemant wurde als Verleumder abgetan, der mit erfundenen Geschichten über das Privatleben der Großen diese anzuschwärzen versucht habe. Im 20. Jh. wurde er weitgehend rehabilitiert. – Anm.d.Hrsg. sähe – welches boshafte kleine Capitel würde er seinen maliciösen Histörchen hinzufügen!«

Die Dame lachte fröhlich auf.

»Ihr könnt Euch immer noch nicht beruhigen, Tavannes, daß ich Euch gezwungen habe, in dieser Wildnis die Etikette zu verletzen? Geht, Ihr seid ein lächerlicher Mensch! Aber mein Hut steht Euch vortrefflich. Eure lange, braune Nase tritt so keck eroberisch darunter hervor, daß Ihr, fürchte ich, allen jungen Hofmägden in unserer nächsten Herberge werdet gefährlich werden aber … macht Euch gefaßt darauf, mon cher Tavannes, ich werde dafür sorgen, daß die Verwüstungen nicht unbekannt bleiben, die Eure Grausamkeit unter den Herzen dieser armen Deutschen Landschönen anrichtet! Seht, seht, da begegnet uns so etwas,« fuhr die Dame lachend fort, auf eine Gruppe von zwei Bauern, und einer jungen Bäuerin deutend, welche des Weges daher kamen und erschrocken vor dem reisigen Zug seitwärts auswichen; »wahrhaftig, die Schöne hat Euch erblickt und nimmt Reißaus vor Euch wie Daphne vor Apoll. Comme elles sont affublées drôlement, dies Weibervolk! Statt der Schuhe tragen sie schwere und hohe Männerstiefel bis ans Knie; in dieser anmuthigen Gegend beginnt ein Rock-Ungeheuer mit hundert Falten, das ihnen bis unter die Arme reicht; und vor der Brust tragen sie ein festes Brett, wie um sich damit den Busen zu vertreiben – können sie denn da noch Kinder stillen, Tavannes?«

»Madame,« erwiederte der Begleiter der jungen Frau mit unerschütterlichem Ernst, ich muß gestehen, daß ich bis heute diesen Gegenstand nicht genau untersucht habe!«

» Mauvais plaisant! Aber welche große Köpfe haben sie!« fuhr die Dame im Plaudern fort. »Das ist ein Nationalfehler: die Deutschen haben zu große Köpfe, die Engländer haben zu lange Beine, die Franzosen haben zu kurze Beine und zu große Nasen, Tavannes!«

Tavannes fuhr mit der Hand, die in einem weiten Stülphandschuh vergraben stak, gutmüthig lächelnd über sein braunes Gesicht, in welchem eine allerdings etwas stark ausgebildete und gefärbte Nase von kühnem Schwunge der bemerkenswertheste Theil aller Züge, die zusammen es darstellten, war.

»Und doch kenne ich eine französische Nase,« versetzte er, »welche gerade wegen der berührten Eigenschaft ein sehr angenehmer Reisegefährte ist.«

»Und weshalb?«

»Weil sie auf dieser langen und anstrengenden Tour nicht aufhört, die heitere Laune der Frau Herzogin im Blühen zu erhalten.«

»O Tavannes, ich würde an Eurer Stelle nicht von meiner Nase und vom Blühen so unvorsichtig in Einem Athem sprechen!« fiel neckend die Dame ein. Aber Ihr habt Recht, daß Ihr Euch nicht darauf tanzen laßt, denn Ihr wißt, die Welt ist unbescheiden, und man könnte gleich eine Redoute daraus machen wollen. Doch nun gebt mir meinen Hut wieder; wahrhaftig, Euer auf- und niederschlappendes Ungeheuer ist mir zu schwer. Ich meine, ich habe ein Rad auf dem Kopfe, wie ein Bauerhaus in der Picardie, damit die Störche darauf zu nisten kommen.«

Tavannes nahm die kleine zierliche Kopfbedeckung ab, welche er bisher auf das Geheiß seiner Gebieterin – denn das war die Dame, die er als Ecuyer Schildknappe. – Anm.d.Hrsg. und Reise-Marschall begleitete – getragen hatte, und reichte den Hut derselben, während er seinen großen Männerhut zurücknahm.

»Tavannes,« sagte die Dame jetzt mit einem Seufzer, »wenn ich gewußt hätte, welchen schrecklichen Weg Ihr mich führen würdet, so hätte ich Eure Rathschläge, ihn einzuschlagen, nicht befolgt. Ich hätte doch den Weg durch die Pfalz und den Rhein hinab nehmen sollten.«

»Unmöglich, Frau Herzogin,« fiel der Stallmeister lebhaft ein – »Wir wären dann ohne Zweifel heute bereits in den Händen Spinola's und der Spanier …«

»Ah bah!« versetzte die Herzogin mit einer lebhaften Bewegung des Kopfes.

»Während wir,« fuhr Tavannes fort, »auf dieser Route, wenn sie auch einen großen Umweg beschreibt, in vollständiger Sicherheit ziehen können. Hier ist alles Land bis zum Main hinab in den Händen unserer Kriegsvölker oder ihrer Verbündeten; es kann nicht Nachmittag werden, ohne daß wir auf Truppen Turenne's oder auf die Schweden Wrangel's stoßen.« Ambrosio Spinola Doria, Marqués de los Balbases (1569-1630), spanischer Heerführer im ›Achtzigjährigen Krieg‹ (Spanien - Niederlande). – Henri de La Tour d'Auvergne, vicomte de Turenne (1611-75), französischer Heerführer und Marschall von Frankreich; gilt neben Condé als der bedeutendste französische Feldherr seiner Zeit und in Frankreich als der bedeutendste Feldherr zeitlich vor und in der Hierarchie nach Napoleon. – Carl Gustaf Wrangel (1613-76), schwedischer Feldmarschall und Staatsmann. – Anm.d.Hrsg.

»Und wenn wir mitten in die Kaiserlichen oder die Spanier hinein geriethen,« warf die Herzogin ein – »müßten sie nicht das Völkerrecht in uns respectiren?«

Tavannes schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nicht, Madame, ob sie ganz geneigt dazu wären, in der Frau Herzogin von Longueville einen bevollmächtigten Orator des allerchristlichsten Königs anzuerkennen, oder gar den diplomatischen Charakter unserer Escorte, dieser Schwadron auserlesener Kürassiere, als außer Frage und zweifellos unangefochten zu lassen.«

»O, die deutschen Schnauzbärte wären sicherlich so gutmüthig,« lachte die Herzogin – »ich würde mich mit einigen seelenvollen Worten an ihr Gemüth wenden.«

»Ich zweifle nicht, daß Ihr Wunder thun würdet, Madame,« versetzte Tavannes lächelnd; und doch,« fuhr er fort, »giebt es unter den Deutschen Leute, mit denen auf dieser Reise in Berührung zu kommen, mir, als Eurem Reise-Marschall, fataler wäre, als dem leidigen Gottseibeiuns zu begegnen. Messire Jean de Werth Johann (Reichs)freiherr von Werth, genannt Jan von Werth (1591-1652), einer der bekanntesten deutschen Reitergeneräle im Dreißigjährigen Krieg. – Anm.d.Hrsg. zum Beispiel.«

»Ach, Jean de Werth – der ist bis tief in Böhmen hinein zurückgeworfen, ins Zigeunerland, wohin er gehört.«

»Aber wer weiß, ob es ihn hindert, nicht schon jetzt irgendwo in Franken oder am Rhein sein Wesen zu treiben! Dieser Mensch ist so unberechenbar, wie ein böser Kobold.«

»Tavannes,« antwortete die Dame mit einem Anfluge von Schmollen, »Ihr habt eine seltsame Weise, Eure Gebieterin zu unterhalten, indem Ihr sie mit Gespenstergeschichten von Jean de Werth langweilt. O mein Gott,« setzte sie gähnend hinzu – »ich wollte, wir wären am Ziele unserer Reise!«

»Wenigstens liegt jetzt das Ziel unseres Vormittagsmarsches vor uns,« erwiederte der Stallmeister. »Dort der Ort am Fuße des Hügels muß es sein! Giles,« wandte er sich dann an einen der Diener, welche hinter ihm ritten; »fragt den Führer, ob jenes halbzerstörte Dorf dort an der Höhe unser Etappenort ist.«

»Sendet unsere Eclaireurs Kundschafter. – Anm.d.Hrsg. voraus;« befahl die Herzogin, »damit wir nicht unangemeldet dieses melancholische deutsche Nest mit dem Glanze unserer Gegenwart überfallen.«

Der Diener, welchem dieser Befehl gegolten hatte, wandte sich jetzt zu einem Bauernburschen, der als Führer auf einem Saumthiere mit im Zuge ritt; und nachdem er mit demselben in sehr gebrochenem Deutsch einige Worte geredet hatte, gab er den Reitern einen Wirt. Vier von diesen schwenkten vom Zuge ab und eilten in gestrecktem Trabe an der Herzogin vorüber und dem Dorfe, welches vor ihnen lag, zu, um es zu besetzen, bevor die hohe Reisende es erreichte.



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