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Sechstes Capitel.

Ein »Fünftes Capitel« enthält die Vorlage nicht; die Wiedergabe des Textes blieb in diesem Fall unverändert. – Anm.d.Hrsg.

Wir wollen uns unterdeß nach unsrem flüchtigen Reitersmann, dem alten Wolfhart umsehen, der seinem neuen Herrn so plötzlich entlaufen war. Dem Scheine nach aus einer Anwandlung von Patriotismus und Moralität, Dinge, die etwas sehr auffallendes bei einem Soldaten des dreißigjährigen Krieges haben mußten. Die starke Seite solch eines Landsknechts aus den Zeiten unsrer Glaubenskämpfe war eben sonst, daß er selbst gar keinen Glauben hatte, und den Schweden, den deutschen Kriegsherren, den Franzosen diente, je nach dem ihn die Gelegenheit, oder das Handgeld, die schlechtere Zucht oder die Aussicht auf Beute lockte. Wolfhart dagegen, haben wir gesehen, schien an einer ganz paradoxen Vaterlandsliebe zu leiden, die soweit ging, selbst die Schönheit eines französischen Weibes in ihrem nationalen Abscheu zu begreifen!

Das hatte nun freilich seine Gründe und um sie zu erklären, müssen wir ein Wort über die Vergangenheit des alten Reiters sagen. Wolfhart war seit Jahren der treueste Diener seiner jungen Gebieterin Ulrike. Ulrikens Mutter war früh gestorben, der Obrist Leynen hatte bei deren Schwester in einer süddeutschen Stadt sein Kind aufziehen lassen; als er aber dem Dienst Valet gesagt und sich auf sein Schloßgut in Baiern zur Ruhe gesetzt, da hatte er seinem Kinde Botschaft gesandt, daß es nun am Herde seines Vaters eine Zuflucht habe und zu ihm kommen solle.

»Das erste vor allen Dingen,« hatte Leynen dabei zugleich zu seinem alten Diener gesagt, »ist, daß wir dem armen Mädel einen weiblichen Umgang verschaffen auf unsrem verlassenen Castell. Wie wär's, Wolfhart, wenn ich Dich ausschickte, unter den Töchtern des Landes eine weise Jungfrau, welche in der Wirthschaft erfahren, so ziemlich bei Jahren und in allen Dingen ein Muster von Zucht und Anstand ist, aufzusuchen, auf daß wir einen lehrreichen Tugendspiegel, einen Ehrenwächter kurz, so etwas wie eine Duenna für Ulrike hätten! Du wärst,« fügte Leynen lachend hinzu, »der rechte Mann zu solch einem Geschäft, meine ich!«

»Gott soll mich bewahren!« hatte Wolfhart darauf ausgerufen, das ist ein curioser Gedanke, den Ihr da habt, gestrenger Herr Oberst! Alles zu befehlen, Herr Oberst, aber den Ehrenwächter, so lange Ihr auf meinen Rath hört, lassen wir bei Seite! Potz Kirchensacrament, welch ein Einfall ist das!«

»Nun, was ist es denn für ein Einfall!«

Herr, mich dünkt, was Ihr vorhabt, das ist, daß ihr Euch zur Ruhe setzen wollt auf Eurem stattlichen Schloß, so Euch der edle Kurfürst von Baierland zu Lehn gegeben hat – ich will nicht gesagt haben, daß sie Euch just so Noth thue, die Ruhe, denn Ihr seid noch immer ein gar rüstiger Herr für Eure Jahre und man sieht sie Euch wahrhaftig nicht an; aber ein gutes Stück Menschenleben habt Ihr mitgemacht und im Kriege, wißt Ihr, zählen die Jahre doppelt, und wenn man das breite Wehrgehenk so lange auf der einen Schulter hat liegen gehabt, dann thut Einem der alte Knochen am Ende weh, und man sieht sich nach einem guten Nagel um, an den man das Ding hängen kann; also wie gesagt, nach Ruhe steht Euer Verlangen … und nun wollt Ihr damit beginnen … Du liebe Zeit, wißt Ihr denn nicht, was der heilige Augustinus schreibt?«

»Nun, was schreibt der heilige Augustin? Ich habe wahrhaftig nicht gewußt, daß Du in den Kirchenvätern bewandert seiest, Wolfhart!« sagte Leynen.

»In der andern Welt, schreibt er, da wachen am jüngsten Tage alle gottseligen Weiber als Männer aus dem Todeschlaf auf und das, damit im Himmel nicht das Elend mit ihnen aufs neue losgeht!«

»Das ist ja vortrefflich,« antwortete der Obrist lachend, »und meiner Seel' spaßhaft genug; ich freue mich schon darauf, wenn ich meine alte Großmutter, die mich so oft, als ich noch ein unnützer Bube war, hat auf Erbsen knieen lassen, dort oben als alten Kumpan wiederfinde, und ihr mit einem: Grüß Gott, Kamerad Frau Großmama! auf die Achseln klopfe.«

»Das Vergnügen steht Euch bevor, das ist sicher!« versetzte Wolfhart; »was aber Euren Einfall wegen der Duenna angeht, Herr Obrist, so denk' ich, Ihr wollt so gescheidt sein und Euch eine Lehre daraus ziehn und auch aus Eurem Paradiese die Weiber weglassen!«

»Aber, Wolfhart, mit wem soll sie sich denn unterhalten, die Ulrike, das gute Kind!«

»Unterhalten? Mit uns! Habt Ihr nicht Stücklein genug aus Eurem Reiterleben zu erzählen? Und was Euren alten Wolfhart angeht – ist der etwa auf's Maul geschlagen?«

»Freilich, wenn Du Dich auf die Kirchenväter verlegst, so wirst Du an Ergötzlichkeit schon das Deinige beitragen. Aber Du bedenkst nicht, daß wir solch ein Hausmöbel zum Kochen, Waschen und tausend andern Dingen nöthig haben.«

»Kochen?« fiel Wolfhart hier ein – »als ob Euer alter Feldkoch, der Andreas, nicht kochen könnte! Der siedet Euch, wenn's Noth thut, des Teufels Klauenfuß zu Brei, daß es eine Lust ist! Und Waschen? Wer wird denn ein Sdmutzfink sein und sein Zeug schmutzig machen! Was aber die tausend andern Dinge, wovon Ihr redet, betrifft – wahrhaftig Herr Oberst, ich wüßte nicht, was es sein sollte, daß ich nicht damit zu Stande käme, wenn Ihr's nur einmal mit mir versuchen wollt!«

»Nun, ich merk' es schon, Wolfhart – die Sache ist die, daß Du selber Duenna werden willst bei meiner Tochter – meiner Seel', sie wird ein schönes Gesicht machen, wenn Du Dich ihr als Ehrenwächter vorstellst, in einem blauen Mieder mit einem langen rothen Weiberrock und ein artiges Ringelhäubchen auf Deinem struppigen Haarwuchs geschnallt!«

»Ich werde immer noch eben so gut aussehen, wie Eure selige Großmutter im Männerkoller thun wird, gestrenger Herr,« antwortete Wolfhart lachend. »Aber falls Ihr meint, daß Eure Tochter mehr Gefallen an mir findet, wenn sie mich in meiner natürlichen Gestalt als saubern Cavalier steht, ei weshalb nicht – Ihr habt ja weiter nichts zu thun, als mich zu ihrem Stallmeister zu machen und, Potz Kirchensacrament, es müßte ein verwöhntes Ding sein, das Jungfräulein, wenn sie mit dem Escudero nicht vollauf zufrieden wäre und noch nach einer Duenna verlangte! –«

Um die Wahrheit zu gestehen, auch der alte Oberst sehnte sich nicht nach einer Verstärkung des weiblichen Elements in seinem Hauswesen. Er ließ fürs erste den Gegenstand des Gesprächs fallen und kam auch später nicht darauf zurück, und so fand denn Ulrike, als sie von einer Zofe begleitet auf Neideck, dem Schlosse ihres Vaters, ankam, bis auf ein paar Hofmägde in der That nur Männer im Hause.

Wolfhart aber ließ es sich nicht nehmen, der Stellung bei ihr, welche er im Scherze sich zugelegt, höchst eifrig Ehre zu machen. Die häufige Berührung und Verbindung mit Spanien hatte dazumal spanische Sitten in Deutschland gang und gäbe gemacht. Ein Escudero schien den deutschen Damen von Stande ein angenehmer Bestandtheil des Hauswesens; so konnte Wolfhart sich ganz wie von selbst in seine Functionen einführen. Bei Tisch fand er hinter Ulrikens Stuhle! wenn sie ausritt, durfte Niemand anders sie aufs Pferd heben, Niemand anders durfte ihr den Wein und das Wasser zur Vesperstunde mischen und in ihr Zimmer tragen; kurz es war, da Ulrike sich bald an ihren treuen Diener gewöhnte, zwischen dem Stallmeister und der Dame ein Verhältniß aufrichtiger Anhänglichkeit entstanden, welches bei Wolfhart wenigstens so mächtig war, daß er für seine junge Gebieterin sich hätte mit Freuden todtschlagen lassen.

Sie war aber auch die Milde und Freundlichkeit selbst, sie sagte ihm nie ein bitteres Wort. Wurde er einmal in seinen derben Reiterspäßen, die er zuweilen auftischen durfte, wenn er an langen Wink erabenden in der Gesindestube auf der Ofenbank saß, und das Fräulein heruntergekommen war, um eine Weile das ›Geplausche‹ anzuhören, weil es ihr oben, in der Herrenstube, wo der Vater mit dem Hausgeistlichen am Schachbrett saß, zu langweilig wurde – wurde Meister Wolfhart dann einmal gar zu derbe und haute über die Schnur, dann hatte Ulrike eine ganz eigene Art, ihn zurecht zu weisen. Sie hatte dann keine Sylbe von Allem, was er sagte, gehört, sie hatte augenscheinlich ganz vergessen, daß er da war, und wenn jemand es ihr gesagt hätte, so würde sie ganz verwundert worden sein und es nicht geglaubt haben, daß ein solches Individuum wie Wolfhart Klankeborg existire und da auf Neideck hinter dem Ofen sitze und schlechte Späße zum Besten gäbe.

Und ebenso machte sie es, wenn Wolfhart einmal Abends, um die Stunde, in welcher er ihr den Vespertrank brachte, nicht so ganz fest auf den alten Reiterbeinen einherschritt, wie es wohl wünschenswerth gewesen wäre. Kein Wort kam dann über ihre Lippen. Sie sagte nicht: ›Wolfhart, Ihr habt den Nachmittag wieder unter dem Zapfen gelegen!‹ – oder: ›Ihr seid ein unverbesserlicher alter Trunkenbold, Wolfhart!‹ – oder gar, wie der Oberst es zu thun pflegte, wenn er seinen Kriegskameraden in diesem Zustande sah: ›Schmeißt mir den alten Schlingel in die Pferdeschwemme!‹ – nein, das Alles wäre Wolfhart wie lauter sauersüße Schmeichelei vorgekommen gegen die Art, wie Fräulein Ulrike ihm dann einfach den Rücken drehte, und er im Augenblick für sie aufhörte zu existiren – als wäre er verschwunden, verdampft oder in eitel Luft aufgelöst! Das war ihm bitterer als Alles andere und sie hätte es beinahe durch ihr bloßes Wesen dahin gebracht, daß er sich gebessert hätte, wäre das nicht von einem alten ausgepichten Schlauch von Kriegsknecht gar zu viel verlangt gewesen. –

So standen die Dinge, als einmal auf einem seiner raschen Kriegszüge Johann von Werth durch die Gegend kam und sein Hauptquartier in Neideck, bei seinem alten Freunde nahm. In Johann's Gefolge war sein Sohn, Rittmeister Anton Werth, und Wolfhart merkte bald, daß die beiden jungen Leute gar sehr Gefallen an einander fanden.

Nun hatte der getreue Diener seinem Fräulein seit je nichts besseres gewünscht, als solch einen kecken trutzigen jungen Soldaten: als es aber den Anschein hatte, wie wenn solch ein Freiersmann sich in der That gefunden, da wurde es dem alten Reiter eigenthümlich unwirsch zu Muthe; er fühlte, daß er sie doch eigentlich Niemandem auf der Welt gönnte, und wenn er, hinter Ulrikens Sessel stehend, sah, wie von ihr zu dem jungen Officier und von dem jungen Officier zu ihr gewisse schüchterne aber doch so sprechende Blicke hinüber- und herüberflogen, dann hätte er ihr in den Vespertrank auf den Abend ein ganz klein wenig Gift, freilich nur ein ganz klein wenig – mischen, oder mit dem jungen Mann sogleich raufen mögen, daß einer von beiden auf dem Platz geblieben!

Es war gut, daß Johann von Werth nie lange ruhig auf einem Fleck aushielt und am Morgen des vierten Tages der ganze laute Schwarm, der das stille Neideck mit seinem Schwertergerassel und seinem Lärm erfüllt hatte, wieder abzog, sonst hätte Wolfhart am Ende gar noch irgend eine Thorheit begangen und seine lächerliche Art von Eifersucht verrathen.

Als sie fort waren, schalt er sich selbst einen Narren. Welch besseren Mann konnte er dem Fräulein denn wünschen, als den ritterlichen Sohn eines so berühmten Feldherrn, der dazu noch auf seinen Feldzügen ein hübsch Stück Beute zusammengebracht hatte, durch des Kaisers Gnade ein reicher Mann war und Schlösser und Herrschaften besaß? Welch besseres Loos konnte er für sich selber hoffen, wenn der alte Oberst einmal zu seinen Vätern versammelt wurde, als eine schöne Stelle im Dienst eines so vornehmen Hauses zu bekommen? Und war das Fräulein dem jungen Manne nicht von ganzer Seele zugethan? War das nicht an all ihrem ganz veränderten Wesen zu merken, wie Anton von Werth ihr ganzes Herz ihr entwandt? War sie nicht viel stiller, viel ernster, ja ganz anders geworden, seit der junge Soldat auf Neideck gewesen – so still und ernst, daß es Wolfhart mehr als einmal in den Sinn kam, als müße er sie fragen: Fräulein, soll ich Euch einen Dienst leisten: soll der alte Wolfhart zu Pferde steigen und einmal schauen, wo der Johann de Werth jetzt steht, und was für wackere junge Reitersleute er um sich hat, und was die treiben und ob sie noch an gewisse blaue Augen zurückdenken, die jetzt durchs Fenster über die weite langweilige Gegend fort blicken, als ob sie Gesichte hätten und junge Helden auf weißen Rossen durch die Abendwolken reiten sähen? –

So hätte er sie oft fragen mögen, und hätte sie dann Ja gesagt mit ihren süßen rothen Lippen – er hätte sicherlich den Auftrag so treu ausgerichtet wie wenn es für sein eigenes Kind gewesen wäre.

Aber er hielt sich zurück, und es war auch ganz und gar überflüssig, daß er ausritt, um nach Anton von Werth zu schauen – Anton gab seiner Geliebten schon selber Nachricht von sich, durch Botschaft und durch Brieflein, welche von Zeit zu Zeit ankamen und dem jungen Mädchen hinlänglich sagten, wie treu er ihrer gedenke. Als es nun gar später, wie wir es mit ansahen, zu einem offnen Herzensbunde mit dem Segen der Väter kam, da hatte Wolfhart sich völlig in den Gedanken, daß Ulrike Leynen nicht immer auf Neideck bleiben und sich von ihrem alten Diener den Escudero vorspielen lassen würde, gegeben und gefunden.

Gern auch hatte er damals ihren Befehl, Anton von Werth als Diener zu begleiten, erfüllt. Es war ihm ganz recht, einmal wieder tagelang zu Gaule zu sitzen und sich den frischen, scharfen Wind um die Nase spielen zu lassen. Vielleicht, sagte sich Wolfhart in seiner Klugheit dabei, vielleicht war es auch nicht ohne Absicht gewesen, daß sie gerade ihn dem jungen Mann mitgegeben. Hieß das nicht beinahe so viel wie: beobachte ihn einmal eine Weile, welch ein Kräutlein es eigentlich ist? Erzähle mir, wenn Du heimkommst, was er thut und treibt, der junge Fant, wenn er so frei ist wie ein Vogel in der Luft und nichts zu schaffen hat, als einer schönen Frau die Zeit zu kürzen! Ja, gewiß hieß es so – denn sonst hätte Ulrike ihn sicherlich nicht fortgesandt, ihn, der gar nicht begriff wie man ohne ihn auf Neideck daheim fertig werden konnte.

Wolfhart beobachtete also und der alte Reiter war nicht lange auf der Reise gewesen – immer dicht hinter seinem neuen Herrn und der Frau Herzogin von Longueville reitend – als er in vollem Maße all die Tücke zurückkehren fühlte, welche er früher gegen Anton von Werth eingesogen und gehegt hatte. Wenn er die beiden Herrschaften vor sich so im eifrigen Gespräch mit einander bemerkte, als ob sie die ganze übrige Welt darüber vergessen hätten, dann zuckte es Wolfhart manchmal in der Faust, wie wenn er sein Schwert mit sammt der Scheide und Koppel abreißen und dem vor ihm sich anmuthig im Sattel wiegenden Fant zornig in den Nacken schleudern müsse.

Bei allein dem war es doch nichts Bestimmtes, was er Anton Schuld geben konnte. Dieser unterhielt als galanter Cavalier die Dame, welcher er seinen Schutz auf der Reise gewähren sollte. Was konnte er anders thun und was war arges dabei? Anders freilich wurde es, als sie nun in der alten Bischofstadt Münster angekommen waren, und Anton, statt am andern Tage wieder satteln zu lassen, in der Herberge blieb und auch am folgenden Tage noch keine Sylbe von der Rückkehr sprach und am dritten endlich gar die Herberge verließ, aber nicht zur Heimreise, sondern um ein Quartier, das er wochenweise gemiethet, bei einen ehrsamen Bürgersmann zu beziehen, während er seine Schwadron mit dem Lieutenant allein und ruhig, als ob sie ihn nichts anginge, nach Hause schickte.

»Der Teufel walt's!« fluchte der alte Reiter, als er Anton's und sein Pferd in den Stall der neuen Wohnung zog – »es scheint, sie sind hier bei dem Friedenswerk des jungen Herrn Rittmeisters äußerst benöthigt; und unterdeß giebt's auch ein hübsches Friedens-Postchen für die zwei Gäule und den alten Wolfhart hier! Ja Prosit Frieden, Herr Rittmeister! Wenn Ihr glaubt, der Wolfhart sei ruhig dabei und lasse Euch treiben, was Euch beliebt, so irrt Ihr Euch! Er wird schon die Augen offen halten und sich umthun nach dem was vorgeht. –

Und das that denn Wolfhart auch redlich. Er ließ seinen Herrn nicht aus dem Auge. Er sah, daß Anton von Werth beinahe mit Niemanden verkehrte, aber sich täglich zum Hofe des französischen Botschafters des Herzogs von Longueville begab. Nur Eines war ihm auffallend dabei. Anton ging so oft und so ganz ohne es zu verheimlichen dahin, daß Wolfhart auf den Gedanken kommen mußte, am Ende locke ihn doch etwas ganz anderes dorthin, als blos die Lust den Amoroso der Frau Herzogin zu machen – denn wie hätte sonst der Herzog von Longueville einen solchen Umgang seines Weibes mit dem schmucken deutschen Officier dulden können?

Wolfhart hätte nun um sein Leben gern eine Gelegenheit gefunden, sich durch irgend eine Hinterthür in das Haus, das sein Herr so oft besuchte, einzuführen. Aber wie das anstellen? Hätte Anton von Werth ihn nur zuweilen hingesandt, um dort ein Gewerbe auszurichten, dann wäre es leicht gewesen, mit den Dienern Bekanntschaft anzuknüpfen, von denen einige, wie der Herzogin Reitknecht Giles, ziemlich geläufig deutsch sprachen. Aber Anton hütete sich wohl. Brieflein von der Herzogin brachte ab und zu der Page der erlauchten Dame; ob Anton ihr durch denselben Boten andre zur Antwort zurücksandte, das wußte Wolfhart nicht, denn Anton sprach den Pagen immer nur unter vier Augen.

Wie ärgerte sich der alte Reiter jetzt, daß er während der Reise so hochmüthig mürrisch unter dem Franzosenvolk daher geritten war, ohne nur mit irgend Einem von ihnen sich einzulassen!

»Nun, was schadet das,« sagte er sich endlich: »Reise-Cumpane sind wir ja doch alle mit einander, und so gehst Du einmal heute in die Herberge, wo sich des Abends das Volk des Herzogs versammelt und läßt Dir Dein Schöpplein zu den ihren setzen – sie werden Dich nicht zur Thüre hinauswerfen!«

Wolfhart säumte nicht, diesen Gedanken auszuführen. Am Abende finden wir unsern Escudero mitten unter den Franzmännern. Es ist eine hohe, dunkel geräucherte Wirthsstube, wo sie sich versammelt haben. In der Mitte trägt ein Pfeiler die Decke und neben diesem Pfeiler, auf zwei zusammengeschobenen Stühlen ruht ein Fäßlein, vor welchem der Hospes im bellen Leinwandwamms und der weißen Zipfelmütze kniet, um eine aromatisch duftende Flüßigkeit daraus in große Henkelkrüge zu zapfen. Man sieht, die Herren Franzosen thun sich gütlich im fremden Lande und im fremden Weine – aber was thut's – der allerchristlichste König kann's bezahlen und weiß sich schon wieder zu entschädigen für das, was ihn der ganze Botschafttroß zum Friedenswerk in Westfalen kostet. Es sind andere Leute als er, die am Ende die Zeche zahlen.

An einem langer Tisch, auf hölzernen Schemeln und Bänken sitzt die zahlreiche Gesellschaft aus Männern verschiedener Altersstufen bestehend. Einige junge lebhaft schwätzende Bursche tragen des Herzogs Livree, blau und weiß, andere tragen dunkle Tuchjacken mit aufgeschlitzten Ueber-Aermeln, welche von den Schultern niederhängen, dazu weite Beinkleider von schwarzem Sammt, die über die Kniebänder weit hinüberfallen und die halbe Wade bedecken. Die Füße stecken in großen vorn breit abgestumpften Schuhen mit Bandrosetten oder in weiten Stiefeln. Auf einem Nebentische liegen Hüte mit und ohne Federn und über einandergeworfene breite Degen an schweren Lederbandelieren.

Wolfhart sitzt oben am Tische neben einem schwarzgekleideten Individuum mit einem listigen braunen Kopf und einer großen Schmarre über der Stirn und der rechten Wange; an seiner andern Seite hat Giles Platz nehmen müssen, der diesen Ehrenplatz oben am Tisch dem Umstande verdankt, daß er als Dolmetsch dienen muß, wenn sich sprachliche Schwierigkeiten und Anstände in der Conversation ergeben.

Was diese letztere angeht, so ist sie so laut und lustig wie möglich; man braucht auch nur eine kurze Weile zuzuhören, um zu merken, woher dieser heitere Schwung der Gäste rührt: die lästigen Franzmänner treiben ihren Spott mit Wolfhart und jauchzen vor Vergnügen, daß er sich so willig zu ihren Possen hergiebt.

» Ventre-bleu,« sagt das Individuum mit der Schmarre, das von den Andern seiner großen Narbe wegen wie der tapfere Guise Le balafré Henri de Guise, (1550-1588), auch Le Balafré (»das Narbengesicht«) genannt, ab 1563 duc de Guise; im Krieg gegen die Hugenotten Feind König Heinrichs III. von Navarra, der später als Heinrich IV. König Frankreichs wurde. – Anm.d.Hrsg. genannt wird und als des Herzogs von Longueville Tafeldecker eine Art Respectsperson in diesem Kreise ist.

» Ventre-bleu,« sagt er, »wo habt Ihr denn alldieweilen gesteckt, vieux rêitre, daß Ihr das nicht wißt? das ist ja das allerbeste an diesem närrischen Nest! Habt Ihr denn nie von dem großen Weiberkönige gehört?«

Wolfhart schüttelte mit treuherzigem Ernst den Kopf und doch blitzte dabei etwas aus seinen schmalen grauen Augen, was nüchterneren Leuten, als seine Tischgenossen waren, hätte andeuten können, daß er nicht so völlig ihre » Dupe« war wie sie glauben mochten.

»Ei zum Henker, was denkt Ihr denn,« fuhr Le balafré in seinem gebrochenen Deutsch fort, »was denkt Ihr denn, daß die drei großen eisernen Körbe oben an dem hohen Thurme am Marktplatz bedeuten? Da haben sie, um ihn vor der ganzen Welt recht hoch zu stellen, ihn hineingepackt, den Herrn Weiberkönig, und rechts und links seine Hauptminister daneben. Von der schönen Aussicht da oben sollen die drei Herren jedoch wenig genossen haben, alldieweilen man sie vorher mit glühenden Zangen einige böse Viertelstunden lang gezwickt und ihnen das Fleisch vom Leibe gerissen hatte!«

»Alle Teufel!« rief Wolfhart aus – »das nenn' ich den Leuten mit Zudringlichkeiten lästig werden!«

»Nun, er hatte es eben auch darnach gemacht, der König Johann,« fuhr der Tafeldecker des Herzogs von Longueville fort. »Denn Ihr müßt wissen, er war ein arger Gesell, und in der ganzen Stadt hatte er das oberste zu unterst gekehrt, den Thürmen die Spitzen abgeschlagen, aus den Kirchen Tanzstuben gemacht und die Weinfässer der Pfaffheit ausgesoffen bis auf den letzten Tropfen. Was aber das beste dabei: jedem Manne hatte er erlaubt, so viel Weiber zu nehmen wie ihm nur gefällig und möglich – fünf, zehn, zwanzig, ganz nach Belieben!«

»Das heißt lustig gelebt, aber freilich nicht selig gestorben!« meinte Wolfhart. »Da hätt' ich dabei sein mögen,« setzte er hinzu, »wenn auch nur –«

»Um die Harmonie des inneren Familienlebens zu beobachten!« fiel hier lachend Giles, der Reitknecht, ein.

»Nun wißt Ihr, daß ein Sprüchwort ist,« erzählte Le balafré weiter: » tant va la cruche à l'eau, qu' à la fin elle se casse. Das war dann auch hier der Fall: die Herren Fürsten und Bischöfe der Nachbarschaft versa?nmelten ihre Völker und zogen vor die Stadt; und da die Männer, wie Ihr denken könnt, genug in ihren Häusern zu thun hatten, um unter ihren Weibern Ordnung zu halten, konnten sie nicht auf den Wällen stehn, sich zu vertheidigen, so daß die Feinde immer näher rückten, eine große Hungersnoth entstand und Monseigneur der Fürstbischof endlich mit seinen Vieux grognons von Landsknechten einrückte und sich anschickte ein Exempel zu statuiren. Das war denn auch an den Häuptern und Anführern bald geschehen und Sa Majesté, der Weiberkönig Johann, wurde mit schreiender Verletzung der Ehrfurcht, die einem gekrönten Haupt gebührt, für die patriarchalische Art belohnt, wie er sein Reich regiert hatte. Als aber König Johann mit seinen zwei Ministern da oben richtig in den eisernen Käfigen hing, von denen ich Euch gesagt habe, da fragte es sich, was nun mit den Unterthanen des Königs geschehen solle, die mit ihm gesündigt hatten. Unmöglich konnte man sie straflos ausgehen lassen und ebenso unmöglich konnte man sie sammt und sonders mit feurigen Zangen zwicken und in eiserne Körbe stecken. Dazu waren ihrer denn doch zu viel. Deshalb hielten die Fürsten, welche dem Bischofe beigestanden hatten, mit diesem einen Rath und sannen und sprachen viel hin und her, mit welcher Strafe das böse abtrünnige Volk zu belegen sei.

›Aber was braucht's hier viel Besinnens,‹ hub da endlich ein pfiffiger Kanzler an, der das Protocoll zu führen hatte und dem die Zeit lang wurde, weil bei allem dem Hin- und Herreden kein Beschluß zu Stande kam, den er hätte niederschreiben können – ›was braucht es viel Besinnens: Strafet sie gar nicht, versichert ihnen einfach Eure fürstliche Huld und Gnade und Euren festen Willen, sie bei allen Privilegien zu lassen, bei welchen Ihr sie gefunden habt: das heißt bei dem schönen schwarzen Brode Pumpernickel, das sie in der Hungersnoth der Belagerung erfunden und zu essen gelernt haben, und bei dem Rechte zwei oder drei oder gar vier Weiber – sie sind dann auf alle Zeiten gestraft genug, das glaubt mir, Ihr Herren!‹

Die Herren lachten bei dem Vorschlag, und weil er ihnen baß gefiel, so mußte der Kanzler es als Gesetz für die Stadt auf ewige Zeiten in das Protocol niederschreiben. Das wurde vor dem Rathhause der Stadt öffentlich und feierlich verlesen und seitdem müssen die armen Bürger bis zum jüngsten Tage ihr schwarzes Strafbrod essen und …«

»Doch nicht etwa zwei Weiber heirathen? Nein, Kamerad, das bindet Ihr einem Andern auf,« unterbrach hier Wolfhart den Redner plötzlich in ganz ernstem, beinahe höhnischem Tone – Das ist so eine französische Aufschneiderei, nehmt's nicht für ungut, bei uns Deutschen wird so was nicht durchgelassen, davon könnt Ihr gewiß sein! Bei Euch Herren freilich, da soll's zuweilen in dem Punkt wunderlich zugehn, und weit zu suchen, um ein Beispiel zu finden, braucht man ja auch eben nicht!«

Während Wolfhart mit spöttischem Tone diese Worte hinwarf, verschwand der Zug von Schelmerei und Spott aus dem Gesicht seines Tischnachbars; Le balafré blickte etwas verwundert über Wolfhart's Keckheit, der sich einfallen ließ, die Nationalehre anzugreifen, drein.

»Ja, ja, seht mich nur an,« fuhr Wolfhart fort – »es ist so – ich hab mir's sagen lassen und wenn die Schwarzbrodstrafe darauf stände, wahrhaftig, die Tradition des Weißbrodbackens wäre in Frankreich längst ausgestorben!«

» Ventre-bleu, alter Troupier,« rief hier der Tafeldecker aus, »Ihr habt ein loseres Maul als ich geglaubt habe: und wenn Ihr nicht die Güte habt, zu sagen, worauf Ihr mit Euren Beispielen, nach denen man nicht lange zu suchen nöthig haben soll, anspielt, so …«

»Weshalb sollte ich das nicht sagen?« fiel Wolfhart ein. »Habt Ihr denn nicht bemerkt, wie Eure eigene Frau Gebieterin sich ungenirt ins Wiedertäuferthum gestürzt hat? Ja, ja, Euer erlauchter Herr Herzog hat sich sicherlich längst im Diplomatenthum die Hörner abgelaufen: wenn sie ihm aber hier in Deutschland wieder wachsen, so ist's nicht unsre Schuld – weshalb ist er ein guter – Hammel!«

»Ah bah,« rief hier Le balafré verächtlich aus, als ob er wisse, wie das was Wolfhart berührte ganz anders zusammenhinge, in der That aber noch sehr fern von einem guten Einfall, die angegriffene Nationalehre und die Ehre seines Herrn weißzubrennen. Doch Giles kam seiner Geistesgegenwart zu Hilfe.

»O Ihr alter Narr!« sagte er – »wenn Ihr nichts besseres wißt, Meister Wolfhart, so haltet Eure Weisheit für Euch! Ihr meint, weil Euer blonder junger Gelbschnabel von Herr die Ehre genießt, der Frau Herzogin den Hof zu machen?«

»Ich weiß, was ich meine,« versetzte Wolfhart höhnisch.

Giles schlug ein lautes, aber etwas gezwungenes Gelächter auf.

»Nun? Ihr lacht drüber! Wahrhaftig, wenn meinem Herrn so etwas widerführe – ich würde nicht lachen!« platzte Wolfhart heraus.

»Kommt her – ich will's Euch ins Ohr raunen, wie das zugeht wenn Ihr's Eurem Herrn nicht wiedersagt …«

»Mit nichten!« versicherte Wolfhart.

»Schwört Ihr's – auf euer Wort?«

»Auf mein Wort.«

»Nun wohl,« fuhr Giles fort: »wozu meint Ihr, haben denn die Frau Herzogin die Gnade sich vor dem jungen deutschen Bären allerhuldreichst den Hof machen zu lassen? Doch zu einem andern End', als weil er zu den Kaiserlichen gehört und also wissen muß, was im feindlichen Lager gesonnen und spintisirt wird und in seiner verliebten Thorheit sich ablocken läßt, was dem Herrn Herzoge und der Frau Herzogin zu wissen nütz ist! Begriffen?«

Wolfhart hatte vollständig begriffen! Er hatte so gut begriffen, was Giles ihm da vorlog, daß er mit Mühe den Anschein der Gleichgiltigkeit beibehielt und lieber aufgesprungen wäre, um seiner inneren Bewegung, seinem plötzlich auflodernden Zorn mit einem wetternden Fluche Luft zu machen.

»Also ein Verräther an seinem Kaiser ist er!« murmelte er mit den Zähnen knirschend – »da schlage doch das Wetter darein!«

Laut rief er zwar aus:

»Ah, das sagt Ihr nur – das sind Dinge, die man bei der Dienerschaft vorgiebt!«

Innerlich aber war er so verstört von dem plötzlichen Licht, das ihm aus Giles' Worten aufgegangen, daß es ihm fast unmöglich wurde, noch länger es ruhig in diesem Kreise auszuhalten. Um es besser zu ertragen, sprach er mit verdoppelter Lebhaftigkeit dem zinnernen Becher zu, der vor ihm stand, und gerieth dadurch zuletzt in einen Zustand, in welchem ihm über die Art und Weise, wie er endlich nach Hause kam, die klaren Vorstellungen etwas bewölkt wurden.

Am andern Morgen aber war trotzdem Wolfhart mit dem frühesten wieder auf den Beinen. Sein Entschluß war gefaßt – die Ausführung kostete wenig Vorbereitung. Er nahm seinen Mantel und seine schweren Reiterpistolen, trug dem Hauswirthe den Abschiedsgruß, den wir kennen, an Anton von Werth auf und ging in den Stall, um seinem Gaule den Sattel überzuwerfen und diesen festzuschnallen, daß die Gurten krachten.

Eine Viertelstunde später war Wolfhart bereits vor dem Thore der Stadt, welches gen Süden führt –

Was er, an sein Ziel gelangt, ausgerichtet, das sollte Anton von Werth leider bald genug erfahren.



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