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Zweites Capitel.

Wer den General de Werth,
zu Fuß und zu Pferd,
Nicht hochansehnlich ehrt,
Derselbige ist nicht werth,
Daß er soll tragen ein Schwert,
Allhier auf dieser Erd.

Alter Reim.

Das Dorf, welches das nächste Reiseziel der Personen, die wir in der vorigen Abtheilung kennen lernten, bildete, war halb zerstört und niedergebrannt, wie alle übrigen in dieser vom Kriege vorzugsweise mitgenommenen Gegend. Doch war ein neben der Kirche liegendes Gehöft, welches als Schenke diente, so gut wie möglich wieder zusammengeflickt, und während der hintere Theil des Hauses nicht besser als die Nachbarhäuser aussah, war die vordere Hälfte, da wo Küche und Schenkstube lagen, mit einer neuen Strohbedeckung gegen das Wetter geschützt.

Im Innern barg diese Schenkstube, die geräumig und kühl und oben gewölbt war, wie man es noch in Süddeutschland häufig findet, manche Spuren, daß ein solicher Wohlstand in diesem Hause geherrscht, bevor der Krieg, der nun seit dreißig Jahren Deutschland verheerte, die verderbende Fackel in dieses Land geschleudert hatte. Einige Armsessel mit schön geschnitzter Arbeit aus schwarzem Eichenholz, zwei schwere kostbare Schränke in den Ecken und eine Anzahl blanker zinnerner Kannen, die an den Wänden gereiht hingen, deuteten noch darauf hin.

Manches andere Geräth war dagegen wieder durch die nothdürftigsten Hilfsmittel ersetzt; und was am allermeisten von den Leiden des Krieges sprach, das waren die Bewohner dieses Hauses selbst. Es waren eine blödsinnige Person von etwa vierzig Jahren, die über die Behandlung, welche sie von den Schweden nach der Schlacht bei Lechhausen Lechhausen bei Augsburg wurde am 22. Januar 1635 mitsamt seinem Schloss fast völlig zerstört; eine weitere Verwüstung fand im Oktober 1846 statt. erlitten, den Verstand verloren hatte und still vor sich hinbrütend in der Küche am Herdfeuer saß; dann der Wirth, ein langer, blasser, unheimlicher, immer lächelnder, aber nie den Mund zum Sprechen öffnender Mensch, der fortwährend unstät im Hause umherging, bald in den Ställen, bald auf dem Speicher, bald im Keller war, niemals aber da, wo man seiner eben bedurfte. Ein alter Knecht, dessen Tagesarbeit zur Hälfte darin bestand, den Wirth zu suchen, wenn er irgendwo stak, wo man seiner gerade am wenigsten bedurfte, vollendete die Zahl der sämmtlichen Hausbewohner.

Das letzterwähnte thätige Individuum hatte diese Art der Arbeit jedoch nie ärgerlicher verwünscht und verflucht, als am heutigen Morgen, wo sein Herr gerade umherfuhr, als sei er auch nicht viel mehr bei Sinnen, denn seine blödsinnige Schwester, und wo es doch alle Hände voll zu thun gab. Schon zwei Trupps von Gästen waren angekommen, und bei dem einen Trupp ein ganzer Haufe Reiter hinterdrein. – Diese Reiter trugen die kaiserlichen Feldbinden – woher sie kamen – in diese Gegend, die zur Zeit völlig in der Gewalt der Schwedischen und Franzosen –, das war mehr, als das unstäte Gehirn des Wirthes oder das seines vielgeplagten Knechtes zu enträthseln im Stande war. Auch mochten sie sehr wenig darüber nachgrübeln; ihnen gegenüber blieben alle Kriegsvölker sich gleich, mochten sie dienen, unter welchen Farben sie wollten: ›Leuteschinder‹ waren sie alle, gleichviel ob sie hüben oder drüben standen!

An der Spitze des Reiter-Geschwaders waren zwei Officiere ins Dorf eingeritten; ein älterer Mann, eine kräftige, untersetzte Gestalt mit einer dicken, rothen Schmarre über dem Gesicht, und ein noch junger Mensch, der nicht viel über zwanzig Jahre haben konnte. Gleich nach ihnen war der zweite Trupp angekommen, bestehend aus einem alten hinfälligen Manne und einer jungen Dame nebst einem Reitknechte; und die zwei früher gekommenen Officiere hatten diese letzteren herzlich begrüßt, als ob sie sie erwartet hätten und sich hier ein Stelldichein gäben.

Die Reiter fouragirten jetzt im Dorfe umher, die Ställe der Schenke waren von den Pferden der Officiere und der jungen Dame eingenommen. – In der Gaststube drinnen aber saßen die letzteren selbst und waren im eifrigsten Gespräche mit einander. Auf dem großen Speisetische lag eine Karte aufgeschlagen; darüber beugten sich die beiden alten Herren, und der mit der gewaltigen Schmarre und dem bärtigen, echt wallonischen Reitergesichte fuhr hastig mit seinem schweren knochigen Zeigefinger darauf umher.

»Habt Ihr nun noch Zweifel, Oberst Leynen, daß der alte Werth, dem sie nachsagen, er könne nur darauf losschlagen, auch einen hübschen feinen Plan aussinnen kann? He! Was sagt Ihr dazu, Oberst?«

»Es ist so fein ausgesonnen wie ein Schachspiel,« antwortete der alte Mann. »Sie müssen Euch ins Garn laufen, als seien sie selber die Hirsche, die sie hetzen – wenn nur alle Eure Geschwader im rechten Augenblicke auf dem rechten Flecke sind!«

»Dafür ist gesorgt, alter Knabe,« fiel Johann von Werth – denn niemand Geringeres, als der berühmte Reiter-General des dreißigjährigen Krieges war der Redende – ein. »Ihr sollt etwas von ihnen zu sehen bekommen, bevor eine halbe Stunde vorüber ist. Dann rückt Rheinach hierhin am Rande dieser Hügelreihe vor; Enkevort mit den Croaten muß durch diese Waldgegend, hier links auf der Karte, bis sie wieder aufs offene Blachfeld kommen, wo sie sich aufstellen und ihre Linien entwickeln können; ich stehe mit dem Mitteltreffen von hier geraden Weges auf das Dorf Feldmaching, werfe die Schweden, die es besetzt halten, über den Haufen, und dann reiten wir in das Gehege ein, um Theil an der Jagd zu nehmen. Rheinach und Enkevort folgen mir, jener deployirt sich nach links, dieser nach rechts – dann vorwärts, und – wahrhaftig, es soll eine lustige Hatz werden!«

»Also beide Wrangel sagt Ihr und Turenne?«

»Alle drei! Bei Tagesgrauen sind sie von Dachau ausgezogen, um dem Kurfürsten von Baiern seine Hirsche im Gehege von Feldmaching zu jagen. Rings um den Forst, seht Ihr, ist Sumpf – wenn ich den einzigen Zugang, dort wo die Erdjunge in den Wald führt, in meiner Gewalt habe, so sind sie in der Falle, und wir fangen sie, sammt ihren sechszehn Schwadronen, die sie zur Bedeckung bei sich haben.«

»Aber um Gottes willen, General, wie habt Ihr den Marsch zu Stande gebracht? Man glaubt Euch weit hinter der Isar, und Ihr seid plötzlich hier, ohne daß Eine Menschenseele Euch hier erwartet!«

»Ich bin eben über die Isar hinüber gesetzt,« antwortete Johann von Werth. »Die besten Leute aus allen Corps habe ich mir ausgesucht,« fuhr er fort. »Weder Mäntel noch Futtersäcke habe ich sie mitnehmen lassen, um die Burschen alert zu halten. Wahrhaftig, wenn wir unsere Gäule nicht traben ließen, wozu wendeten wir Hufeisen an sie?!«

Der Oberst Leynen richtete noch einmal den Blick auf die Karte, welche Werth vor ihm ausgebreitet hatte. Leynen war ein alter Soldat, der an der Seite seines Generals manchen Hieb auf Dänen, Mansfelder, Franzosen und Schweden geführt hatte. Aber Oberst Leynen war alt und gebrechlich geworden über dem langen Kriegführen, das ihm obendrein eine hübsche Zahl tüchtiger Wunden eingetragen. Er hatte den Dienst quittirt und bewohnte jetzt mit seiner einzigen Tochter ein Gut, welches ihm vom Kurfürsten von Baiern für seine langen treuen Dienste im Heere der Liga Die Katholische Liga wurde 1609 in München als ein Bündnis katholischer Reichsstände einige Jahre vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges gegründet; sie war gedacht als Gegenpart zur Protestantischen Union, die 1608 in Auhausen gegründet worden. – Anm.d.Hrsg. geschenkt worden war; da hauste er jetzt auf dem festen Schlosse, das, mit Mauern und Gräben gegen den Ueberfall einer Streifpartie gesichert, einsam auf der Hochebene lag, und ließ draußen in der Welt die Stürme des Krieges forttosen, denen er jetzt nicht mehr folgen konnte. Leynen's Schloßburg war etwa vier Stunden entfernt, sie lag weiter nach Süden hin, in der Nähe des schönen Ammer-Sees. Dort hatte der alte Krieger am Abende zuvor einen Brief erhalten, der also abgefaßt war:

›Nachdemalen alle und jegliche dispositiones solcher Gestalten getroffen, daß mit dem morgigen Tage ein großes Treibjagen in Seiner kurfürstlichen Durchlaucht von Baiern Gehege bei Feldmaching abhalten kann, als wollte ich Euch, insonders lieber und günstiger Kumpan, gebeten haben, Euch morgen genau umb die zehn Uhren in der Schenke zu Haidbruck einzufinden, allwo die übrigen Waidgesellen ihr Stelldichein angewiesen erhalten haben. Euer dienst williger Freund und Diener Johann von Werth, der römisch kaiserlichen Majestät General über dero Cavagleria.

Nota bene: Wann Euch das Zipperlein nicht plackt!‹

 

Der greise Kriegsmann war in hohem Grade erfreut gewesen über diese unerwarteten Zeilen eines alten Freundes. Er erkannte ganz darin seinen wackeren General. Mitten unter den Zurüstungen einer militärischen Operation sich erinnern, daß ein alter Kriegsgefährte nicht fern vom Schauplatz der Unternehmung in der Zurückgezogenheit lebe, daß es diesem eine Freude für den ganzen Rest seines Lebens sein werde, so herbeigerufen zu werden, ein Zeuge von schönen und kühnen Thaten der alten Waffengenossen zu sein, und um noch einmal die kaiserlichen Standarten im Felde fliegen zu sehen, noch einmal die Horn-Signale seiner siegreichen Panzer-Reiter, die er einst selber geführt, zum Angriff blasen zu hören – an so etwas sich erinnern, und in solcher Stunde – ja, das konnte nur Johann von Werth! Mit fieberhafter Hast rief der alte Herr alsogleich seinen getreuen Diener Wolfhart herbei; der mußte nach Waffen und Sattelzeug sehen, und den Hengsten die doppelte Ration Hafer einschütten lassen, und die Reiterpistole laden und an dem gelben Tuchkoller bürsten und nach hundert anderen Dingen schauen.

»Wen nehmt Ihr mit Euch, Vater?« fragte während dieser Zurüstungen Ulrike, Leynen's schlankes blondes Kind, das eine Weile stumm des Vaters aufgeregtes Wesen beobachtet hatte.

»Wen? Nun, den Wolfhart und ein paar Knechte noch …«

»Und ich soll allein zu Hause bleiben?«

»Du? Du willst doch nicht etwa dabei sein, wenn der General de Werth kommt, um ›eine seiner Treibjagden zu halten?‹ Das sind Lustpartieen, Kind, bei denen es wild hergeht!« –

Und der alte Troupier lachte aus vollem Halse vor Fröhlichkeit über die scherzhafte Redensart in dem Briefe seines alten Cameraden, hinter der, daß wußte er schon, ganz andere Dinge stecken würden!

»Ich möchte nun aber doch dabei sein,« versetzte das junge Mädchen. »Ich wüßte nicht, mein Väterchen, weshalb ich nicht einmal eine Hirschjagd mit ansehen soll. Gönnst Du das Deiner Ulrike nicht?«

»Possen! Das ist nichts für Weiber!« antwortete der Oberst und lief, auf seinen Krückstock gestützt, zum Gemache hinaus, um selbst in den Stall zu gehen und nach seinen Gäulen zu sehen.

Des Obersten Töchterchen aber schien anders zu denken. Sie wußte, daß ihr Vater an ihre Pflege und an ihre Nähe gewohnt war, daß er täglich, stündlich ihrer bedurfte – und was Johann de Werth auch vorhaben mochte – es konnte nichts sein, was Ulrike abhalten mußte, ihren Vater wenigstens bis zu dem Stelldichein zu begleiten; war große Gefahr und Anstrengung dabei, dann hätte der General den alten Mann sicherlich auch nicht dazu geladen. Unerschrocken und an den Anblick von Kriegsvölkern und Waffen gewohnt, war Leynen's willensstarke Tochter ja längst; vielleicht war auch noch etwas Anderes da, was sie nun einmal darauf bestehen ließ, den Vater zu begleiten; kurz, sie hatte es sich vorgenommen, und daß das blonde Fräulein, was sie sich vorgenommen, mitunter auch durchzusetzen wußte – das geht am besten daraus hervor, daß wir sie mit dem Vater und dem getreuen Reitersmann, dem Wolfhart, am heutigen Morgen ja richtig in der Schenke zu Haidbruck gefunden haben.

Ihre Schlachtplane also beriethen und besprachen die beiden alten Herren, die an dem Tische unter dem großen rundbogigen Fenster saßen. Unterdeß war ihnen gegenüber, in einem anderen Theile des Gastzimmers, so etwas wie eine kriegerische Unternehmung, wie eine Belagerung und Uebergabe längst in vollem Zuge, nur daß die beiden ergrauten Soldaten nichts davon wahrnahmen.

Ulrike Leynen saß in dem Lehnstuhle, der am anderen Ende des Raumes stand, hinter dem großen Kachelofen, dessen jetzt unnütze, breit sich vorschiebende Gestalt einen allerliebsten kleinen Schmollwinkel bildete. Neben ihrem Stuhle, die Arme über der Brust verschlungen, stand der junge Officier, der mit Johann von Werth gekommen; es war sein Sohn, Johann Anton von Werth, der unter dem Vater diente und als Rittmeister die Schwadron von Kürassieren befehligte, welche augenblicklich dem General zur Bedeckung dienten und die einzigen Truppen waren, die er unmittelbar bei sich führte. Anton von Werth sprach gar eifrig und lebhaft dem jungen Mädchen zu, das, die großen blauen Augen aufschlagend, schweigend zu ihm empor blickte. Sie antwortete nur zuweilen durch ein kurzes Wort, das leiser noch, als Anton sprach, geflüstert wurde und eine Verneinung oder einen Einwurf enthalten mußte, denn meist schüttelte sie ihren rosigen blonden Kopf dazu.

Es schien aber endlich, daß der kleine Krieg, der hier so still geführt wurde, bis zu einem Waffenstillstande gedieh. Ulrike streckte nämlich ihre Hand aus, welche Anton von Werth eifrig erfaßte.

»Also bis nach dem Frieden!« sagte er. »Es ist ein seltsamer Wunsch von einem Soldaten, und doch sage ich aus tiefstem Herzensgrunde: Gott schenke ihn uns!«

»Ihr seht es selbst ein, Anton,« flüsterte Ulrike. »Kann ich den Vater verlassen? Und Ihr, der fortwährend ein unstätes Reiterleben führen muß, könnt Ihr mir und dem Vater denn wohl einen festen, geschützten Herd bieten? Wir müssen eben Geduld haben, Anton, … sie sollen ja auch eifrig darüber aus sein, die Gesandten der großen Mächte und Potentaten, den Frieden abzuschließen.«

»Die Gesandten?« fiel Anton von Werth mit einem Seufzer ein. »Jawohl, sie sollen sehr eifrig darüber aus sein! Vielleicht sind sie noch vor Ablauf dieses Jahres im Klaren darüber, ob nur den Botschaftern oder auch den anderen Gesandten ein Lehnsessel und die Excellenz in den Curialien beizulegen! Aber ich will Geduld haben, Ulrike – ich will mich trösten damit, daß, je länger der Krieg dauert, desto größer für mich auch die Hoffnung wird, noch eine Gelegenheit zu finden, etwas Rühmliches zu thun.«

Etwas Rühmliches zu thun?« fiel verwundert Ulrike ein – »was soll das heißen, Hitzkopf Ihr! seid Ihr nicht immer nur zu verwegen und im Handgemenge der Vorderste?«

»O, ist das Spott, Ulrike? Sich schlagen – das kann der letzte Reiter! Sagt einmal – nähmet Ihr mich, wenn ich weiter nichts vollbracht hätte als das? wenn der Anton von Werth nichts hätte, als seine derbe Faust und bescheidene Officier-Bestallung? wenn er nicht der Sohn des berühmten Feld-Obersten Johann von Werth wäre?«

Ulrike blickte wieder wie vorhin zu ihm auf, aber in dem Ausdruck ihrer Züge mischte sich zu der reinen gläubigen Hingebung, die sie früher zeigte, etwas, das wie ein Anflug von Schelmerei aussah.

»Jedenfalls kann ihm das Letztere nicht schaden,« versetzte sie; »denn wenn er nun als gestrenger Eheherr gar zu gebieterisch das Regiment führt, so hat eine arme Frau doch den Trost, daß er über sich einen Feld-Obersten hat, der noch strengeres Regiment führt und der ihr beisteht!«

»O, Ihr fahrt mit einem Scherz darüber fort, Ulrike, und doch wißt Ihr nicht, welche wunde Stelle das in meiner Brust ist! Mir sagen zu müssen, daß ich selbst so gar nichts bin, als der Sohn meines Vaters, daß alles, was sich Rühmliches an einen Namen hüpfen kann, von ihm vorweggenommen ist, und daß ich in jeder Miene, welcher ich begegne, es geschrieben lese …«

Anton von Werth's eifriges Gespräch wurde in diesem Augenblick unterbrochen.

Die beiden alten Herren waren in ihren strategischen Betrachtungen des Terrains, auf welchem der,schwedische Bär‹ und der ›französische Fuchs‹, wie Johann von Werth sich ausdrückte, gehetzt werden sollten, fortgefahren, als der Oberst Leynen plötzlich den Einwurf machte, daß in einer Gegend, durch welche eine der Reiter-Abtheilungen Werth's defiliren sollte, ein,Moos‹, das heißt, eine sumpfige Niederung sich ausdehnen müsse, die für Cavallerie nicht zu passiren sei. Johann von Werth fand diese Stelle auf seiner Karte nicht angegeben, aber um sicher zu gehen, wandte er sich rasch an seinen Sohn.

»Nimm Deine Schwadron, Anton, recognoscire die Gegend,« befahl er.

Anton stand plötzlich wie ein Untergebener in straffer Haltung vor seinem Vater.

»Was, befehlt Ihr, soll ich recognosciren?«

Johann von Werth zog seine dunklen Brauen zusammen und blickte Leynen an.

»So ist der Junge!« sagte er; »um all unser Reden hat er sich nicht den Pfifferling gekümmert, als ginge so etwas einen Burschen, der des Kaisers Feldbinde trägt, nicht im Entferntesten etwas an … Herr, Du mein Gott, da war ich anders, als ich war wie der!«

Anton von Werth war in strenger Zucht aufgewachsen. Aber heute, in Ulrikens Gegenwart ertrug er Vorwürfe nicht, die er sonst schweigend hinzunehmen gewohnt war. Die tiefe Reizbarkeit, welche, durch eine zu strenge Erziehung geweckt, in ihm versteckt lag, warf die Maske schweigender Unterwürfigkeit ab. Mit dunkelroth flammenden Wangen sagte er:

»Ihr könnt mir nicht vorwerfen, Vater, daß ich der kaiserlichen Feldbinde nicht Ehre gemacht! Ich habe mit Ulrike Wichtigeres zu reden gehabt!«

Johann von Werth's Antlitz verzog sich zu etwas ganz anderem, als Anton erwartete; er glaubte dem Zorn seines Vaters begegnen zu müssen; aber war es nun, daß seines Sohnes entschiedenes, selbstbewußtes Auftreten diesem gefiel, oder hatte in der That Anton's Versicherung, daß er wichtigere Dinge mit einem jungen Mädchen zu verhandeln gehabt, etwas Komisches für den General – genug, seine braunen Züge verzogen sich zu einem Lächeln. Anton war an solche Milde wenig gewohnt, so daß er dieses Lächeln für den Ausdruck des Spottes nahm und nur noch zorniger fortfuhr:

»Ja, Vater, ich habe mit ihr zu reden gehabt, ein ernstes und wichtiges Gespräch, das wohl werth, Eure Kriegsberathung dort darüber zu vergessen; ich habe um sie geworben und habe ihre Zusage erhalten, und fahrt Ihr auch jetzt wieder dazwischen, wie Ihr's schon so oft gethan, wenn Ihr Euren Sohn die Hand nach einem Wunsch ausstrecken saht – dann, bei Gott Vater, wir haben eine Schlacht vor uns – schwedische Eisen und französische Kugeln.«

Des alten Feldherrn Stirn verfinsterte sich. Die breite Narbe, welche quer darüber und über die Wange lief, zeigte sich dunkelroth gefärbt.

»Rittmeister von Werth,« sagte er mit rauhem Tone, »blickt hierhin auf die Karte; am Fuße dieser Sandhügel soll sich ein Sumpf ausdehnen. Nehmt Eure Reiter mit Euch, recognoscirt die Gegend und stattet Rapport ab.«

»Zu Befehl, Excellenz!« antwortete Anton von Werth mit unterdrückter Stimme und verließ die Gaststube. Gleich darauf hörte man draußen vor dem Hause ein kurzes Hornsignal, das die Schwadron in die Sättel rief.

Werth hatte unterdeß die Arme untergeschlagen und ging schweigend in dem Gemache auf und ab.

»Es ist eine Noth mit dem Jungen!« sagte er endlich mit einem tiefen Seufzer.

»Ihr habt ihn doch am Ende wohl etwas zu kurz gehalten –« wagte Oberst Leynen zu bemerken.

Der Feld Oberst schüttelte den Kopf.

»Er hat kein Herz für seinen Alten – das ist's!« antwortete Werth, doch so, als ob er die Worte mehr für sich, als für Jemand anders spräche. »Aber,« fuhr er fort, »laßt uns über all dieses nicht das Gute dabei vergessen – Ulrike – also hat er wahr gesagt, der trotzige Bursche?«

Johann von Werth legte seine breite Faust mit väterlicher Zärtlichkeit unter das Kinn des jungen Mädchens und hob ihr purpurrothes Gesicht empor, daß sie Mühe hatte, ihre Augen tief genug niedergeschlagen zu halten, um ihm in ihrer Verlegenheit nicht ins Antlitz blicken zu müssen.

»Die Freude erlebe ich also doch an dem Jungen, daß er mir eine so wackere Schwiegertochter zubringt! Darüber soll ihm viel vergessen sein. Das wird eine Hausfrau abgeben für mein verödetes Schloß zu Benatek – aber Leynen, alter Camerad, Ihr seid ja noch gar nicht einmal gefragt! Nun, Ihr schlagt doch ein?«

Leynen ergriff eifrig die dargebotene Hand des alten Waffengefährten.

»Was könnte ich Besseres verlangen für meine alten Tage?«

Ulrike eilte auf ihren Vater zu. Sie legte ihre Wange an seine Brust, und während Leynen einen Kuß auf das blonde Haar seines Kindes drückte und seinen Arm um ihre Schultern legte, sagte sie:

»Aber nie, nie verlasse ich mein Väterchen – nicht wahr, Vater, wenn der Friede gekommen und den Menschen erlaubt ist, nach all dem Kriegsleid und Elend an sich selbst zu denken und an einen friedlichen Herd, an welchem sich das Glück zwischen uns niederlassen kann – dann, Väterchen, dann ziehst Du mit uns nach Benatek …«

»Wenn der Friede gekommen ist und der alte Knochenbau, der ehemals ein Dragoner war, dann noch zusammenhält,« versetzte Leynen – »und wenn der Johann de Werth dann ein Quartier für uns hat …«

»O, Ihr kennt Benatek nicht, alter Leynen, wenn Ihr glaubt, da sei nicht Raum genug für uns alle und Euren treuen Reiter Wolfhart, und auch noch für zwanzig andere Bursche wie wir; Ihr kennt es nicht, wenn Ihr glaubt, der alte Werth werde da nicht einmal, wenn er sich zur Ruhe setzt, einen Cameraden nöthig haben, mit dem er seinen Tabak rauchen, seinen Ungar trinken und von den langen Feldzügen schwatzen kann! Das ist eine stille Gegend, mein Benatek; im Städtlein drunten wohnt kein gescheidter Mensch, Niemand als ein vermaledeiter Èeche von Pfarrer, der kein Wort Deutsch versteht – nun, um die beiden jungen Leute zusammen zu geben, dazu wird er noch immer gut genug sein, und dann, Leynen, dann …«

In diesem Augenblicke wurde die Rede des Feld-Obersten unterbrochen. Wolfhart, Leynen's Reiter, kam hastig in die Wirthsstube, und mit einem Gesicht, das in jeder Miene zeigte, wie außerordentlich die Botschaft sei, welche ihn herbrachte, sagte er:

»Herr, es kommen Reiter auf das Dorf zu, die nicht zu den Unseren gehören. Es müssen Franzosen sein, soviel an den Feldbinden und der Bewaffnung aus der Ferne zu erkennen.«

»Wie viel?« fragte Werth.

»Ein Cornet mag es sein – doch sind auch Weiber dabei.«

»Ein Cornet? das ist jedenfalls genug, um uns aufzuheben,« bemerkte Leynen etwas bestürzt.

»Ihr habt die Bedeckung mit Eurem Sohne fortgeschickt,« sagte Ulrike ängstlich.

»Soll ich mich auf den Gaul werfen und den Rittmeister mit seiner Truppe zurückbeordern?« fragte Wolfhart.

»Den würdest Du schwerlich einholen, alter Bursche,« antwortete nach kurzem Besinnen der General. Auch brauch' ich ihn da, wohin ich ihn sandte … laß sehen; welche Stunde ist's?«

Der General zog aus der Brusttasche seines Kollers die ich schwere nürnberger Uhr, blickte darauf und dann sagte er:

»Geh nur, Wolfhart, und wenn die Franzosen mit Dir reden, so bist Du eben nicht dazu aufgezogen, französisch zu parliren – geh und sei ruhig. Führe das Fräulein fort, dort in die Nebenkammer.«

Ulrike folgte Wolfhart, um dem Befehle des Feld-Obersten zu gehorchen. Als sie an diesem vorüber ging, legte Werth seine Hand auf ihre Schulter.

»Hab' keine Angst, mein Töchterlein!« sagte er und blickte ihr mit solcher Seelenruhe lächelnd ins Gesicht, daß beim Anblick dieser kaltblütigen Zuversicht ihr eigener Schrecken schwand.

»Vater!« sagte sie nur noch, Leynen winkend, als ob er ihr folgen solle.

»Ei, seht doch die eigennützige Dirne!« schalt der General. »Daß der Werth sich vor Franzosen nicht verkriecht, weiß sie schon – aber seinen einzigen Beistand, den will sie ihm fortnehmen, daß er ganz allein ist, sich zu wehren, wenn die Schnapphähne ihm an Hals und Kragen wollen! – Nein, laßt den Leynen nur da, der muß bei mir bleiben und mir helfen.«

»Geh, Ulrike!« fiel Leynen ein.

Ulriken war, um ihres Vaters willen, ein Theil ihrer früheren Beklommenheit zurückgekehrt, aber sie gehorchte schweigend.

»Nun fort mit der Karte, Leynen;« sagte Johann von Werth jetzt, als die beiden Obersten allein waren, indem er das Blatt klein zusammenfaltete und zu seinem nürnberger Ei in die Brusttasche schob; »wir müssen ein paar simple Reitersleute sein, weiter nichts – an unseren Wämsern ist nichts, was uns verriethe.«

»Die Feldbinden aber« – fiel Leynen ein.

»O, nichts da! des Kaisers Feldbinde ablegen? Wegen einer Hand voll wälscher Galgenstricke? Die meine bleibt sitzen!«

»Wie Ihr meint, General,« antwortete Leynen ruhig.

Die beiden ergrauten Soldaten nahmen jetzt still auf der Bank Platz, welche hinter dem großen Tische an der Wand entlang lief. Da sich das Fenster in derselben Wand ziemlich hoch über ihren Köpfen befand, so hatten sie den Vortheil, im Schatten zu sitzen und nicht gleich scharf ins Auge gefaßt werden zu können.

Man hörte bald draußen Hufschläge, lebhaften Wechsel von Stimmen, worunter eine helle, sehr wohlklingende Frauenstimme sich bemerkbar machte, Gerassel von Schwertern und Sporen, und dann flog die Thür der Gaststube auf.



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