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Neuntes Capitel.

Heroum filii noxae.

Anton von Werth hatte, nachdem er die Herzogin von Longueville verlassen, sich augenblicklich zur Heimkehr gerüstet. Er hatte zuerst denselben Weg, den er in Begleitung der Herzogin gekommen, eingeschlagen; in Würzburg wurde ihm berichtet, daß seines Vaters Hauptquartier sich seit einiger Zeit in Freising befinde; diese Stadt wurde also nun zunächst sein Reiseziel.

Er hatte in düsterster Stimmung den weiten Weg durch das halbe Deutschland zurückgelegt; eine Reihe von Tagen war darüber vergangen, da er, der Beschaffenheit der Straßen und seines Pferdes wegen, keine weiten Strecken an einem Tage machen konnte. Endlich erblickte er die Thürme der alten Bischofsstadt und die Zinnen der Abtei Weihenstephan, welche von ihrer Höhe herab die Stadt beherrscht. Sein Herz schlug in ängstlicher Spannung bei diesem Anblicke.

Wie so ganz anders mußte er vor seinen Vater treten, als er jüngst noch gehofft hatte, es thun zu können! Statt als Bote der Friedens-Nachricht, statt mit dem stolzen Wort: ich habe es vermocht, diesen Frieden zu beschleunigen und alle seine herbsten Bedingungen zu mildern – statt mit solcher Botschaft, welche alles Andere gut gemacht hätte, kam er als straffälliger Soldat, der seine Pflicht versäumt hat, und was er zu seiner Entschuldigung anführen konnte – war das etwas, mit dem er vor dem zürnenden Antlitz des strengen Feld-Obersten bestehen konnte – ja, das er nur gestehen durfte? Wer bürgte ihm, daß sein Vater nicht gerade deshalb ihm unversöhnlich zürnen würde, ja daß er ihm überhaupt nur Glauben beimessen würde? Wie dann, wenn Johann von Werth alles, was Anton für sich hätte anführen können, um sein stillschweigendes Fortbleiben zu erklären, als leere, unwahre Ausrede betrachtete und nur das daraus entnahm, daß sein Sohn sich von den Koketterieen der Französin habe bestricken lassen?

Anton von Werth war so daran gewohnt, von seinem Vater ohne Nachsicht behandelt zu werden, daß er überdachte, ob es nicht besser sein würde, wenn er schweigend Alles über sich ergehen ließe und nicht durch offenes Reden am Ende noch ein härteres Strafgericht auf sich herabzöge.

Mit solchen Gedanken ritt er durch das dunkle Thor in die Mauern der alten Stadt ein. In der Abtei von Weihenstephan angekommen, vernahm er, daß seines Vaters Hauptquartier allerdings noch in diesem Gebäude sei, daß der General selbst jedoch mit einem Theile der Truppen einen Streifzug gen Ingolstadt und Donauwörth hin unternommen habe und erst in einigen Tagen zurückkommen werde. Sein Regiment aber fand Anton in der Stadt. Als er sich bei seinem Obersten zum Dienste meldete, erklärte ihm dieser, daß er ihn, nach dem ausdrücklichen Befehle seines Vaters, nicht wieder zum Dienste annehmen dürfe.

Das war hart! Das, glaubte Anton von Werth, hatte er nicht verdient! Er wollte jetzt augenblicklich sich auf ein anderes Pferd werfen und seinem Vater nachreiten; in seinem Zorn wegen einer solchen Behandlung verlangte er jetzt selbst nach der Unterredung, welcher er früher mit Bangen entgegengesehen hatte. Aergeres, als ihm nun bereits widerfahren, konnte ja doch nicht mehr eintreten. Er wollte seinem Vater jetzt offen und männlich die Wahrheit sagen und dann, wenn dieser die Wahrheit nicht anerkennen, ihm nicht seine volle Soldaten-Ehre zurückgeben wollte – dann war Anton entschlossen, seinen eigenen Weg zu gehen. Er wollte dann zunächst zu Leynen und zu seiner Braut sich begeben. Welche Wendung sein Schicksal weiter nehmen würde, mußte sich dort finden.

Aber er kam nicht zur Ausführung dieses Entschlusses. Als er im Begriff war, wieder zu Pferde zu steigen, traf die Nachricht ein, daß der General schon am andern Tage zurückkommen werde; um die Mittagsstunde dieses folgenden Tages ertönte das Horn des Wächters auf dem Thorthurme, um anziehende Kriegsvölker anzukündigen, und eine halbe Stunde später ritt Johann von Werth mit einem Regimente Kürassiere durch die hallenden Thorwölbungen in die Abtei ein.

Die meisten Officiere der Truppen, die in der Stadt lagen, hatten sich im Klosterhofe eingefunden. Als der General abgestiegen war, folgten sie ihm in das Innere des Gebäudes. Er sprach mit mehreren von ihnen, winkte, in den großen Remter angekommen, einige der älteren zu sich heran, um in einer Fensterbrüstung ihnen Mittheilungen zu machen, und dann entließ er die ganze Versammlung. Sie gingen. Nur Einer blieb, der mit ihnen gekommen war, obwohl er nicht mehr in ihre Reihen gehörte.

Johann von Werth schien seinen Sohn bis jetzt nicht gesehen zu haben. Oder hatte er vermieden, seinem Blicke zu begegnen? Genug, er richtete nun zum erstenmale das Auge auf ihn.

Dieses Auge aber zeigte nicht den Ausdruck, den Anton darin zu finden gefürchtet hatte; es lag kein Zorn, es lag auch keine Härte in dem Blicke, mit dem der Feld-Oberst die Gestalt seines Sohnes maß; eher ein tiefer Ernst, ja, eher ein Ausdruck von Mitleid und von Trauer; und doch war das, dem Anton von Werth im Auge seines Vaters begegnete, etwas unendlich fremdes, erkältendes.

»Anton!« sagte er ruhig und kaltblütig, dann aber, halb sich abwendend, setzte in barschem Tone hinzu: »Wer hat Euch herbeschieden?«

»Ich bin nicht mehr im Dienst, Vater,« antwortete der junge Mann – »Ihr habt mich aus der Liste des Regiments streichen lassen – ich brauche also auch nicht mehr zu warten, bis der General den Rittmeister von Werth zu sich bescheiden läßt … ich kann als Sohn zu meinem Vater kommen, um mit ihm zu reden!«

»Wenn aber der Vater nicht verlangt, Dich reden zu hören – wenn er lieber – ja, lieber gar nicht daran erinnert sein möchte, daß er einen Sohn hat … wenn er diesem Sohne nichts, gar nichts zu sagen hat, als höchstens Dinge, die ihm selbst das Herz abstoßen und doch einen solchen Buben nicht bessern würden …«

Das Antlitz Johann's von Werth war bei diesen Worten dunkelroth geworden; der Zorn, der bisher in ihm geschlummert, den er unterdrückt hatte, begann beim reden aufzukochen. Aber Anton unterbrach ihn.

»Dann thut der Vater freilich besser, zu schweigen!« rief der junge Mann, sich stolz aufrichtend, aus – »immer aber hat der General mich zu hören. Er hat mir eine entehrende Strafe dictirt, ohne mich zu vernehmen. Das ist unrecht. Ich will mich vertheidigen können. Stellt mich vor ein Kriegsgericht.«

»So vertheidigt Euch, Rittmeister von Werth!«

»Vor dem Vater oder vor dem General?«

»Wie's beliebt!«

»Vor dem General also! Ihr hattet mir den Befehl gegeben, die Französin zu escortiren; ich habe es gethan; die Hinreise hat dreizehn, die Rückreise zehn Tage gekostet; über diese Zeit bin ich etwa vierzehn Tage ausgeblieben, ohne Urlaub dazu zu haben, das ist wahr. Aber ich hatte Grund, zu glauben, daß das, was ich bei meiner Rückkehr würde vorbringen können, Euch zwingen werde, anzuerkennen, daß ich recht gehandelt habe, diesen Urlaub mir selbst zu nehmen. Wenn ich das heute aber auch nicht kann, so habe ich durch meine Uebertretung der Kriegsartikel nichts weiter als einige Tage oder Wochen Arrest, nicht aber die Ausstreichung aus der Regimentsliste verdient!«

»Auch nicht dadurch, daß Ihr Euch habt von dem französischen Weibe umgarnen lassen … daß Ihr den Ueberläufer, den Verräther gemacht, daß Ihr Eurer Braut treulos und eidbrüchig geworden …?«

»Ich sehe,« antwortete Anton bitter, »Eure Spione haben Euch gut bedient – wortbrüchig und treulos? Wahrhaftig, man könnt's so nennen, ich habe Alles gethan, es die Französin glauben zu machen – ich habe es an Schwüren nicht fehlen lassen, nicht an Liebesbriefen und verliebten Blicken – ja, ja, der Wolfhart hat's freilich merken können – und doch und doch – Vater, ist Alles nichts als ein unseliger Irrthum!«

»Ein Irrthum?! Hat der Wolfhart etwa unrecht gesehen? Hat …«

»O nein, nein, er hat recht gesehen, es ist alles, Alles wahr. –«

»Er hat recht gesehen? Und doch ist es nichts als ein Irrthum? Erkläre das, Anton,« sagte Johann von Werth, der seinen Zorn sich vermindern fühlte und stutzig wurde bei dem seltsam leidenschaftlichen Wesen seines Sohnes.

»Erklären? Ich? Euch? Vergebene Mühe wäre das – Ihr könnt das nicht fassen, was ich sagen müßte – Ihr kennt das Gefühl nicht, das mich gewurmt und in mir gebohrt hat in dem armen Tropf, dem Anton von Werth, dem Sohne des berühmten Generals, dem Fant, der aber selber so nichts ist, so nichts leistet, der nur so ein Stück eines berühmten Namens zu tragen hat, wie ein Schleppträger ein Stück vom Mantel eines Königs. Vater, was wißt Ihr von Allem dem, was wißt Ihr davon, wie ich mein armes Gehirn gepeinigt habe, um eine That zu ersinnen, um etwas durchzuführen, daß ich einen rechten Muth zu mir selber, einen Stolz auf mich, nur auf mich selbst fassen könne!«

Johann von Werth sah verwundert seinen Sohn an. Dann sagte er kopfschüttelnd:

»Wahrhaftig, Bursche, ich glaube, man muß Nachsicht mit Dir haben; denn ich sehe, Du bist ein halber Narr.«

»Daß ich Euch so erscheinen muß, weiß ich. Und weil wir uns nicht verstehen, Vater, so laßt mich nicht weiter reden. Wollt Ihr die Triebfedern meines Handelns erfahren, so …«

»Nun, so?« fragte Johann von Werth, da Anton stockte.

»Nun ja, weshalb sollte es nicht sein,« fuhr Anton fort, wie ein inneres Widerstreben niederkämpfend. »Laßt Euch von Ulriken den Brief geben, den ich an sie geschrieben habe. Darin steht Alles – Ihr werdet daraus sehen, was ich gethan und weshalb ich so gehandelt habe, und wenn Ihr den Brief gelesen habt, dann urtheilt und bestimmt, ob es bei der Ausstoßung aus dem Regiment sein Bewenden hat oder nicht.«

»Wo ist der Brief?«

»Ulrike hat ihn. Ich reise zu ihr. Sie wird ihn Euch senden.«

»Nun gut,« antwortete Johann von Werth; »wenn es wahr ist, daß Ulrike über Dein Treiben von Dir aufgeklärt, daß sie keine Schuld daran findet, wenn sie mir Deinen Brief sendet und für Dich bittet …«

»Dann?« fragte Anton, »dann wollt Ihr – mir verzeihen, Vater?«

Johann von Werth entging nicht, wie viel es seinem Sohne kostete, daß er den trotzigen Muth beugte und es über sich gewann, die letzten Worte zu sprechen.

»Dann wollen wir davon reden, ob Du ins Regiment wieder eintreten kannst –« antwortete er deshalb in möglichst mildem Tone; »ob ich Dir verzeihe oder nicht, das wird Dir dann in zweiter Reihe stehen!«

Der General hatte sicherlich auf diese Worte eine Antwort von seinem Sohne erwartet. Aber Anton gab sie nicht. Er verbeugte sich vor seinem Vater und verließ das große, öde Gemach.

Johann von Werth sah ihm eine Weile in Gedanken versunken nach.

»Wenn nur der Bursch ein Herz für mich hätte!« sagte er endlich mit einem Seufzer. »Am Ende hat der alte Leynen Recht. Sollte ich ihn zu hart aufgezogen haben? Ah bah! – hab' ich's nicht mehr denn zehnmal schlimmer gehabt, als ich ein Knabe war? Das Leben bettet uns alle hart, und es ist gut, wird man früh daran gewöhnt! – –«

Es war Abend geworden. Johann von Werth hatte sich's bequem gemacht, er saß in seiner Schlafkammer im großen Sorgenstuhl, den Schlaftrunk neben sich, im Munde die holländische Thonpfeife, aus der er starke Wolken von sich blies; denn sobald sie zu Ende, wollte er sich zur Ruhe legen. Sein Feld-Caplan, mit dem er Schach gespielt hatte, war gegangen; in der alten, von den Mönchen, die der Krieg ausgetrieben, verlassenen Abtei war es still geworden; nur auf dem Hofe unten waren noch Stimmen laut, es waren Reiter die zwischen den Wohngebäuden und den Stallungen hin- und hergingen und im vorübergehen mit den Leuten von der Wache sprachen; Ordonnanzen, die Meldungen brachten, und was sonst noch bis tief in die Nacht hinein den Platz, wo ein bedeutendes Heerlager seinen Mittelpunkt findet, belebt.

Da ertönte plötzlich lauter Hufschlag eines galoppirenden Pferdes auf dem Pflaster vor der Abteifronte; kurze Zeit danach trat ein Diener zu Johann von Werth ein, und ehe jener noch hatte melden können, wer die Nachtruhe des müden Feld-Obersten zu stören komme, stand der alte Wolfhart staub- und weißbedeckt vor Johann von Werth.

»Wolfhart!« rief der General aus, »wozu kommst Du einmal wieder angesprengt, als ob der Teufel Dir auf der Kruppe gesessen? Hast Du abermals eine solche verfluchte Hiobsbotschaft wie neulich? Was giebt's, was willst Du, alte Unglücks-Eule?«

»Herr,« sagte Wolfhart, »Ihr müßt uns helfen, Ihr müßt uns beistehen, oder es ist Alles verloren!«

»Was ist verloren?«

»Haus und Hof, mein Herr und sein Kind … Die Schnapphähne sind über uns gekommen, und ich will meine Seele verwetten, wenn nicht der zehntausendmal vermaledeite, gottverfluchte Satansbraten von einem Weibsbilde, das es Eurem Sohne angethan hat, dahinter steckt – dieser …«

»Zum fluchen hättest Du nicht herzukommen brauchen, das können bessere Leute als Du hier auch, alter Narr! Heraus mit der Sprache! Was hast Du? Was ist geschehen?«

»Herr,« antwortete Wolfhart, sich sammelnd, »von den Franzosen ist ein heller Haufe gekommen, und den Tavannes, den Spitzbuben, den Stallmeister der Herzogin, habe ich an ihrer Spitze gesehen, in der Nacht hat sie der Teufel da gehabt wie ein Rudel hungriger Wölfe um die Hürde; die haben unser Burghaus überfallen, das Thor mit Petarden gesprengt und meinen guten armen Herrn und das Fräulein mit sich fortgeschleppt.«

»Wann ist das geschehen?«

»In der verflossenen Nacht, Herr, und mich soll der Satan in seiner Küche schinden und klein hacken, wie einen Aal, wenn das nicht ein Streich ist, den sie alle Beide zusammen ausgeheckt haben …«

»Wen meinst Du unter allen Beiden – wer sind die Beiden, Wolfhart?«

Der General fragte dies mit einem Tone, so düster drohend, daß Wolfhart nicht wagte, weiter zu beschuldigen. Er sah den General betroffen und schweigend an; dann setzte er hinzu:

»Gott sei Dank, mich haben sie nicht für der Mühe des Auflesens werth gehalten; darum habe ich mich aufs Roß geworfen und bin hierhin zu Euch, Herr; o, Herr, ich bitte Euch, laßt meinen Obersten nicht stecken, laßt Eure Reiter aufsitzen – und denkt an das arme erschrockene Kind, an die Ulrike – wahrhaftig, Herr, wer trägt denn die Schuld, wer hat's denn eingefädelt, daß es ihnen widerfahren mußte, wer …«

Johann von Werth runzelte die Stirn und sah den alten Reiter abermals an, daß diesem augenblicklich das Wort auf der Lippe erstarb.

Der General ließ sich nun ausführlich von Wolfhart den Ueberfall erzählen. Es waren Truppen von dem Heere der Franzosen gewesen, welches ziemlich weitab, an der Donau bei Ulm und nach Donauwörth hinunter, stand. Einen solchen Handstreich hatte man deshalb gar nicht vermuthen können.

Der General legte die Hände auf den Rücken und schritt langsam und das Haupt sinnend gebeugt auf und nieder. Dann rief er seinen Diener herbei.

»Der Rittmeister von Werth soll zu mir kommen!« befahl er.

Der Diener ging, aber er kam nach wenig Augenblicken mit der Meldung zurück:

»Der Rittmeister von Werth ist heute Nachmittag zum Thor hinaus geritten und seitdem nicht wieder gekommen!«

Johann von Werth schwieg einen Augenblick.

»Wolltet Ihr etwa den zu ihrer Rettung aussenden?« wagte Wolfhart zu fragen, und zwar in einem Tone, in welchem Spott oder Bitterkeit nicht zu verkennen war.

»Leg' Dich aufs Ohr, alter Schwätzer!« fuhr der General ihn an. »Schlaf Dich aus. Heute Abend holen wir ohnehin die Franzosen nicht mehr ein – und ich will's überdenken!«

Wolfhart wollte etwas erwiedern, aber Werth machte eine herrische Bewegung mit der Hand, und der Reiter ging.



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