Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von der Juden zu Franckfurt Baumeistern und Vorstehern

Es kann keine Menschliche Societät und beyeinander in gewisser Lebens-Art wohnende Menge Menschen, weder in Bürgerlichen und weltlichen, noch Geistlichen Dingen ohne Ordnung und Auffseher, so über der Ordnung halten und alles dirigiren, bestehen. Dahero auch die gemeine Judenschafft, ob sie wohl alles Regiments und Herrschafft als Subditissimi und völlig unterworffene beraubet, müssen doch einige Vorsteher aus sich haben, welche ihre Sachen dirigiren, nach ihrer Lebens-Art alles einrichten und in Ordnung ihre Gemeine erhalten, dahero aller Orten solche vorgesetzte zu finden.

Zu Worms nennet man ihre Vorsteher den Juden-Rath, hier insgemein der Juden Baumeister; da aber vormahls ein Jud, Jodocus von Roschain, eigenmächtig sich einen Regierer der gemeinen Jüdischheit geschrieben, ist er deßwegen in eine Straffe von 2 Marck löthiges Goldes condemniret worden.

Nach Antonii Margaritae Bericht von der Juden Glauben, haben die Juden unter sich unterschiedliche Aemter, unter welchen die vornehmste sind פרנסים Parnosim, ist soviel als die Raths-Herren, ראש הקהל Rosch Hakkohel ist so viel als der Burgermeister, גבאים Gaboim ist soviel als Bettel-Herrn, die der armen Leute Geld einnehmen und ausgeben, סמואים Sammoim sind die, welche die Leute schätzen, so sie ihre Zinße oder Geld der Obrigkeit geben müssen, welche Sammoim das Jahr manchen Fluch einnehmen müssen etc.

Unsere Absicht ist jetzo nicht, von den Vorstehern der Juden in geistlichen Sachen zu handlen, als da sind ihre Rabbiner, Chassan oder Sänger und dergleichen, wie sie dann in ecclesiasticis oder Kirchen-Sachen in gantz Teutschland drei obriste Rabbinen haben, als einen zu Prag, Worms und Franckfurt, sondern von denen Vorstehern in weltlichen Dingen, deren dann hier fürnehmlich dreyerley Gattung sind, die Parnosim, Gaboim und Nosim. Die Parnosim oder Baumeister sind die vornehmste, waren vor Mers nur sechs jetzt aber zwölff und dahero von ihnen י״ב פרנסים Jud beis Parnosim, die zwölf Baumeister genennet werden ... Weil dann nun so viele nach dieser, unter ihnen höchsten Ehrenstelle trachten, damit in der Wahl kein Unterschleiff, Bestechung, Gunst und der gleichen möge vorgehen, so wird deß Falls grosse Vorsichtigkeit und Mühe angewendet. Wir wollen solche lesenswürdige Jüdische Baumeister-Wahl zu Franckfurt aus des Herrn von Lersners Franckfurter Chron. mit diesen seinen Worten dem curieusen Leser vorlegen: ›Die hiesige Judenschafft haben unter sich zwölff Baumeister, diese werden auf ihre Pfingsten erwählet und traget einer das Ampt drey Jahr. Die Wahl geschiehet also: wann der Tag herbey kommt, daß sie wehlen wollen, gehen die Baumeister mit denen Rabbinern, benebens zwey ihren Gelahrten, und dann fünff Juden von gemeiner Judenschafft, die 60 Jahr und drüber alt seyn, in den Schulhoff. Wann sie darinnen seyn, werden die Thüren hinter ihnen zugeschlossen und auswendig mit Soldaten von der Guarnison nebst einigen Juden bewahrt. Wann nun alle obgedachte Juden beysammen, überreichen die Baumeister dem Rabbiner die Schlüssel, zum Zeichen, daß sie hiermit das Ampt ablegeten, darauff erinnern die Baumeister die versammleten Juden, daß keiner von dem anderen gehen solle, auch nicht schlaffen, biß dieser gantze Handel zum Ende gebracht, womit sie zuweilen auff die 24 Stunde zubringen. Nach dem gehen zwey Baumeister mit dreyen andern Juden in ein besonder Zimmer, schreiben alle in der Gassen befindenden Juden auf Zettlein, welche in einem Vermögen stehen von 1000 fl. und drüber, 20 Jahr alt seyn, drey Zahr geheyrathet und weder der Stadt noch gemeiner Judenschafft schuldig; dann anderst darff kein Jud aufgeschrieben werden, er sey dann ein Gelahrter, welcher die 45 Jahr erreichet hat, bey demselben wird nicht auf das Geld gesehen. Wann nun alle diese Juden aufgeschrieben seynd, werden die Zettelein, da auf einem jeden ein besonderer Name stehet, in eine verschlossene Büchs geworffen, darauff ruffet man aus dem andern Zimmer zwey Rabiner, zwey Gelahrten und fünff andere Juden in das Zimmer, wo diejenige sitzen, die die Zettel gemacht haben. Alle setzen sich an einen Tisch, öffnen die Büchse, alsdann nimmt der Rabiner, welcher zuvor erinnert wird, keine zwey Zettel, sondern nur einen aus der Büchse zu nehmen, mit zuruck gezogenen Kopff, auff daß er etwan nicht einen Namen ersehen möge, welcher ihm anständig, einen Zettel herauß, zeiget allen anwesenden den darauff geschriebenen Namen; solte auf dem Zettel der Name eines nahen Anverwandten stehen, welche Verwandschafft sich biß auff die Geschwister-Kinder erstreckt, wird solcher so gleich zerrissen und an statt dessen ein anderer aus der Büchse gelangt. Dieser Zettel wird dem Schul-Klepper gezeiget, mit Befragen, ob er diesen Juden wohl kenne und wisse wo er wohne, wann er solches bejahet, muß er noch mit zwey anderen Juden ohne Sprechung eines Worts zu dem aufgeschriebenen Juden gehen, ihn so gleich abholen, auch nicht einen Tritt von ihm weichen, damit er stehet, daß er von der Zeit, da er ihm zu erscheinen angesagt, mit keinem Menschen redet. Wann nun dieser Jud zu denen in der Stuben sitzenden Juden gebracht worden, heißet man ihn nieder sitzen, um ein wenig zu ruhen, hernach wird ihm der Eyd von dem Rabiner vorgehalten. Auf dieses führet ihn der Rabiner benebst noch einem von den alten Juden so gleich in die Schul, öffnet das Gesetz, da muss er den ihm allbereit vorgehaltenen Eyd schweren, welcher ohngefehr hierinnen bestehet: weilen er beruffen worden, die Namen der künfftigen Baumeister aufzuschreiben, wolle er nach seinem Gewissen solche Leute auffzeichnen, die er vor tüchtig halte, die Judenschafft bey E. E. Rath zu vertretten und der Gemein nützlich vorstehen könten, daß er niemand zu lieb noch zu leyd, weder aus Gesehenck noch Gaben noch um einigerley Absicht jemanden auffschreiben noch auslassen wolle, bey dem höchsten Bann und allen Flüchen des Gesetzes; da machet ihn der Rabiner auch zugleich frey, ledig und loß, wo er etwan seine Stimme zu geben jemandem eydlich versprochen, und sollte er Geschenck oder Gaben in dieser Absicht angenommen haben, solle er solche wieder zurück geben. Wann nun dieser Eyd geleistet, so wird dieser Jud wiederum in das Logeament geführet, wo die Juden beysammen an einem Tische sitzen. In diesem Zimmer steht noch ein Tisch allein, an selben muß sich der Jud setzen, den Rücken den anderen Juden wenden, um keinen anzusehen, damit nicht durch das Augenwincken einige Verständnüß geschehen möge; alsdann schreibet er 12 Personen auf ein längliches Zettelein, die ihn bedencken tüchtig zum Baumeister zu seyn; darzu ihm Zeit gegeben wird, so lang er will, er mag auch wohl ein Zettelein zerreißen und ein anders schreiben. Dieses geschriebene Zettelein legt er zusammen und sagt, hier habe er diejenigen aufgeschrieben, die ihn bedünckt hätten. Damit ermahnet ihn der Rabiner, das Zettelein wohl zu übersehen, auff daß er nicht eine Person zu viel, noch auch zu nahe in die Freundschafft geschrieben habe. Dieses Zettelein wird in eine verschlossene Büchse geworffen der Jud in ein besonders Zimmer geführet, darauff greifft der Rabiner wiederum in die erste Büchs, langt abermahl einen Namen herauß, und wird der darauff geschriebene Jud geholet, gleich dem ersten, muss auch schwehren und 12 Namen auffschreiben. Dieses geschiehet zum 20. tzigsten mahl, wann nun alle 20 ihre geschriebene Zettel in die Büchse geworffen haben, werden diese Juden zumahlen in die Stuben geholet, um den Tisch gestellt, wo die andere Juden an sitzen, da sehen sie mit zu, wie aus ihren aufgeschriebenen Namen die meinste Stimmen zusammen getragen werden. Welche Juden nun auf diese Art die meiste Stimmen bekommen haben, diese seynd Baumeister.‹

Diese Baumeister halten alles in Ordnung unter den Juden, vertretten die gemeine Judenschafft und bringen ihr Anliegen bey der Obrigkeit vor, haben Auffsicht auff ihre Gasse, Häuser, Brunnen, richten und schlichten die geringe Streit-Sachen, so unter ihnen vorfallen, weil die Obrigkeit mit jeden geringen Zänckereyen und Lumpen-Händel der Juden sich nicht belästigen mag. Doch ist ihnen Maaß und Ziel deßfalls in der Stättigkeit vorgeschrieben und die Frevel-Sachen und Criminal-Händel E. E. Rath vorbehalten ... Sonsten ist die Vorsorge der Jüdischen Vorsteher für die Ihrige zu rühmen, davon eine Probe seyn kan, daß sie allezeit einen guten Vorrath an Früchten bey der Hand und deßwegen einige Korn-Speicher stets in Bestand haben, wie sie dann anno 1713, da man sich in stehendem Winter einer grossen Theuerung besorgte, über 3000 Malter Korn im Vorrath gehabt, darzu noch 4 große Kammern voll Meel, in welche alle 8 biß 10 Tag ein Mann, nachdem er vorhero weise Strümpfe, leinene Hosen und weises Hembd angethan, gehen und das Meel wenden müssen.

Die zweyte Juden-Vorsteher sind die גבאים Gabboim, oder Goufim, wie es die gemeine Juden aussprechen. Diese sammlen die Gelder und was die Juden der Obrigkeit entrichten müssen, auch was sonsten wegen Geldes bey der Judenschafft zu besorgen ist. Die dritte Juden-Vorsteher sind die תשעה נשיאים Tischa Nosim oder sogenandte Neuner,die vermahls Zehner, nach ihrer Zahl in der Stättigkeit hiessen, welche über die Sitten, Laster, Unordnungen und dergleichen zu richten haben; auch so jemand von Juden will heurathen, die Stättigkeit begehret etc.

Gleich gegen der Synagogen-Thür der kleineren Männer-Schul über ist eine Thür, die zu einer Stuben, worinnen sich der Juden Neune versamlen, wann sie von ihren Angelegenheiten deliberiren, und so man eine Stiege auffsteigt, kommt man in ein schön groß Zimmer, wo ihre Baumeister ihre Beratschlagungen haben. Zu Prag haben sie eine kleine Glock, womit sie zwar nicht zum Gottesdienst leuten, sondern nur wann die Gemeine soll zusammen kommen, und sagen die Juden, daß solche ihnen sey erlaubt worden, weil sie anno 1648, da die Schweden einen Theil der Stadt Prag unter dem Graff Königsmarck eingenommen, die übrige Stadt so wohl defendiren helffen.


 << zurück weiter >>