Ossip Schubin
Der Rosenkavalier
Ossip Schubin

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Indessen mußte ich meine Siebensachen zusammenpacken, wobei ich natürlich alles zurückließ, was ich mir von dem Gelde der Selvaggini angeschafft hatte. Als ich ans Packen gehen wollte, stellte es sich heraus, daß der alte Luigi meinen Koffer in irgendeinem Ablagerungsraum aufbewahrt und eingeschlossen hatte und daß er unglücklicherweise nicht zu Hause war. Erst nach zehn Uhr wurde er zurückerwartet. So lange mußte ich warten. Glücklicherweise war die Primadonna ebenfalls abwesend. Als Luigi endlich zurückkam und mir den Handkoffer brachte, packte ich wie im Fieber. Mir schwindelte von dem Sichten und Hin- und hersuchen, aber endlich war ich fertig. Todmüde wollte ich mich zu kurzer Rast niederlegen, als ich ein leises, fast gespenstisches Geräusch vernahm – erst nur ein Knarren in dem alten Holzwerk. Ich fuhr zusammen. Im Schloß der Tür, die mein kleines Gelaß absperrte, drehte sich ein Schlüssel, dann tönten durch den kleinen Vorraum Schritte. Die Tür meines Zimmers öffnete sich – vor mir stand die Selvaggini. »Sie sagen mir, du willst fort, mir nichts dir nichts, ohne Abschied, morgen früh – ist das wahr?«

»Ja, ich ... muß zu meiner Mutter nach St. Pölten – nur für ein paar Tage.«

»Nur für ein paar Tage –« Sie schüttelte den Kopf. »Du kommst nie wieder!« murmelte sie.

»Marie,« erwiderte ich, »früher oder später hat diese Episode in unserm Leben enden müssen. Ich denke, sie hat gerade lange genug gedauert.« Und dann log ich flach und höflich: »Je länger wir die Trennung hinausschieben, um so schwerer wird uns der Abschied fallen.«

»Schwer! Dir wird der Abschied nicht schwerfallen,« murmelte sie bitter. »Hast ja nichts im Kopf als deine hübsche blauäugige Puppe, die nichts von dir wissen will, das heißt, sie möchte wohl, aber ihr Vater wird's nie zugeben – nein, nie, ich kenn' den engherzigen alten Philister. Nie im Leben gibt er's zu, daß sein Engelstöchterchen einen Menschen heiratet, der einmal der Freund der Selvaggini war. Noch dazu bildet er sich alle möglichen Dinge ein, Dinge, die dir so fern liegen wie der Äquator dem Nordpol.« Sie ließ sich wie erschöpft in einen Lehnstuhl gleiten, dann mit mühsam unterdrücktem Schluchzen: »Mein Gott, du hattest mich ja lieb – warst glücklich bei mir – und ich ... ich war zufrieden mit den paar armseligen Gefühlsbrocken, die du mir gegönnt hast, war jeder Entbehrung fähig, eh' die Eifersucht mir ins Blut gefahren ist. Seither ist mein Leben eine Qual, jeder Atemzug eine Marter, jeder Pulsschlag eine brennende Pein, und alles, alles wegen dieser blauäugigen Puppe, die dir an Geist und Empfindung nicht das Zehntel von dem geben kann, was ich dir geben könnte. Und doch ... « Sie blickte starr vor sich hin. »Doch hat sie etwas, das ich dir nicht geben kann – die Jugend! Ja, die Jugend ... den köstlichen, berauschenden Lebensfrühling. Sie ist jung ... ich bin alt!« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, eine Weile schwieg sie, dann, die Hände sinken lassend, fuhr sie schaudernd fort: »Alt! Es gibt Frauen, die sich darüber hinweglügen, noch andre finden sich damit ab, fassen es gar nicht, was es bedeutet ... aber ich fass' es! – Ja ... es bedeutet« – sie sprach jetzt sehr langsam, jede Silbe dehnend –, »es bedeutet: niemanden mehr beglücken können und nicht mehr das Recht haben, sich von jemand beglücken zu lassen! Oh, wenn du wüßtest, wie mich innerlich friert bei dem Gedanken!« Sie zitterte am ganzen Leib wie in einem Fieberanfall.

»Marie, es ist spät – Sie sind nicht ganz wohl,« mahnte ich. »Sie sollten sich doch endlich Ruhe gönnen.«

»Ruhe!« Sie sah mich starr an. »Wo soll ich die finden?«

Ich schwieg.

»Und morgen gehst du? – Gehst du wirklich?« fragte sie ganz leise, kaum hörbar.

»Ja, ich kann nicht anders.«

»Kannst nicht anders! – Nun dann!« Sie erhob sich. Ein herber Zug zeichnete sich um ihren Mund. In ihren Augen dunkelte es. »Leb' wohl!« sagte sie hart. Sie zuckte die Achseln und schritt der Tür zu. Plötzlich blieb sie stehen, wendete sich noch einmal und musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen.

In mir ging etwas Sonderbares vor. Auch ich musterte sie. Alle die sich ins Ungeheuerliche steigernden Ausschreitungen, die man ihr zuschrieb, traten mir plötzlich deutlich ins Gedächtnis und weckten ein Grauen in mir... aber das Grauen erhitzte mein Blut. Und sie erriet, was in mir vorging. Regungslos stand sie vor mir, in demselben losen, pelzbesetzten grünsamtnen Kleid, das sie am Vormittag getragen hatte und aus dessen weiten Ärmeln ihre wundervollen Arme ragten. Aber von der in Tränen aufgelösten Frau, die um eine letzte Zärtlichkeit bettelte, war keine Spur mehr vorhanden. Sie hielt sich gerade und stolz, den Kopf in den Nacken geworfen. Ihre Züge hatten mit einmal alle alternde Schlaffheit verloren und eine fast statuenartige Schärfe angenommen. Ihre Lippen teilten sich in wollüstigem Hohn. Aus ihren langen halbgeschlossenen Augen betrachtete sie mich zwinkernd, forschend, lauernd. Sie war plötzlich schön geworden, mit einer Schönheit, die zugleich abscheulich und voll dämonischer Anziehungskraft war.

Nichts an ihr erinnerte mehr an die mütterliche Freundin voll hingebend selbstloser Güte. Sie hatte den Ausdruck einer durstigen Bacchantin und den eines Raubtieres, das zugleich schlau und gierig den Augenblick abwartet, sich auf seine Beute zu stürzen.

»Gute Nacht, Marie,« sagte ich heiser und hatte Mühe, die Worte über meine trockenen Lippen zu bringen.

»Gute Nacht!« wiederholte sie höhnisch, und ihre Mundwinkel bogen sich noch wollüstiger, ihre Augen zwinkerten noch forschender in mich hinein. »Nicht einmal einen Handkuß zum Abschied?«

Ich nahm ihre Hand, aber ehe ich sie noch an die Lippen geführt, ließ ich sie fallen, als hätte ich glühendes Metall angefaßt. Da stürzte sie sich auf mich, umschlang mich mit ihren Armen –, küßte mich. Ein triumphierendes Kichern girrte ihr aus dem Hals.

»Du liebst mich ja,« flüsterte sie, »noch heute ist dein Gefühl, für mich stärker als für die hübsche Puppe, die du in acht Tagen satt hättest, selbst wenn du sie bekämst. Ich geb' dich nicht mehr frei ... du bist mein – !«

Es war keine menschliche Stimme mehr, die aus ihrem Munde kam, es war ein heißes, trockenes Zischeln. Wie der Wind draußen in dem sterbenden Herbstgarten, so klang's.

Was in mir vorging?

Mein Herzschlag stockte, eine Todesangst erfaßte mich, ein bestialischer Selbsterhaltungstrieb. Mit einer Gewalt, die ich mir nicht zugetraut hätte, riß ich sie von mir los und stieß sie hinaus, wie man eine zudringliche Dirne hinausstößt ... sie, meine Wohltäterin, die Frau, der ich mein Leben verdankte. Ich schloß die Tür hinter ihr und ließ den Schlüssel im Schloß.

Ich horchte, wie man einer nur knapp entronnenen Gefahr nachhorcht. Erst nichts, gar nichts ... dann – ein langer Atemzug und gleich darauf ein Schritt, der sich entfernte – das war alles.

Gottlob, jetzt war's vorbei. Ich atmete auf. Von Mitleid war in mir nicht die Spur, und auch die vorübergehende Gier war gänzlich geschwunden. Ich fühlte nichts als Ekel und eine wilde, grausame Freude darüber, daß ich das Ufer erreicht hatte, ehe die Wellen über mir zusammengeschlagen waren. –

Den nächsten Morgen sehr früh verließ ich mit einem Handkoffer das kleine Lustschloß. Vorerst verfügte ich mich in das Kosthaus der Majorin zu dem Artillerieleutnant. Noch im Laufe des Vormittags wechselte ich ein paar Pistolenkugeln mit Chladnigg und erhielt einen Streifschuß am Oberarm. Damit war die Sache erledigt. In mein altes Zimmer mit dem Blick auf den Lichthof zurückgekehrt, schrieb ich einen Brief an den Professor mit der Bitte um eine kurze Unterredung. Die Bitte konnte er mir nicht abschlagen, aber das Billett, in dem er mir den Zeitpunkt für unsre Zusammenkunft angab, war trocken und sein Empfang eisig.

Er blieb stehen und forderte mich nicht auf, Platz zu nehmen. Stumm standen wir einander gegenüber. Mit einmal trat in seine Augen der konzentrierte Blick, der bei ihm einer interessanten Diagnose voranging. Er musterte meinen fadenscheinigen Anzug; es war der einzige, den ich von meiner alten Garderobe noch übrigbehalten, und der einzige, den ich von Monplaisir mitgenommen hatte. Dann heftete er die Augen auf mein Gesicht. »Hören Sie mal. Sie sehen ja miserabel aus,« begann er. »Nun, was Sie auch verbrochen haben, jedenfalls sind Sie krank, und ich bin Arzt. Es ist zu sehen, daß Sie sich kaum auf den Beinen halten, setzen Sie sich – beichten Sie!«

So sehr er mir anfangs mißtraut, um so edler hat er sich nachträglich gegen mich benommen.

Ich schilderte ihm meine Beziehungen zu der berühmten Frau aufrichtig und rückhaltlos, teilte ihm die häßlichen Dinge mit, die ich im Café gehört, natürlich nur, was mich persönlich anging. Dabei blieb ich stehen. Von der Szene, die sich in der Nacht abgespielt hatte, ehe ich Monplaisir verließ, erwähnte ich nichts. Er wurde immer aufmerksamer, schüttelte ein paarmal im Laufe meiner Erzählung mit dem Kopf. Als ich geendet hatte, sagte er: »Junger Mann, Sie befinden sich in einer ganz abscheulichen Lage. Ich will Ihnen gern glauben, daß Sie nie der Liebhaber der Primadonna gewesen sind, aber in diesem Fall ist das fast nebensächlich. Es läßt sich nicht leugnen, daß Sie sehr viel von ihr angenommen haben, daß Sie ihr zu Dank verpflichtet sind – und doch war es notwendig, daß Sie Ihre Beziehungen zu ihr abgebrochen haben, und daß Sie die unter keinen Umständen erneuern dürfen. Aber wie Sie sich dabei auch anstellen, auf eine sympathische Art können Sie sich aus dieser Verwicklung nicht heraussitzen.«

Ich saß da wie mit kaltem Wasser begossen. Ganz plötzlich fiel's mir ein, wie demütigend seine Worte mit denen übereinstimmten, welche die Dombrowska an mich gerichtet hatte.

»Daß ich Ihre Sympathie nicht beanspruchen darf, Herr Professor, weiß ich,« murmelte ich, »ich würde schon sehr dankbar für etwas Mitleid sein.«

»Mitleid so viel Sie wollen, grenzenlos – bodenlos. Von ganzem Herzen bedaure ich Sie, aber ich bedaure auch die arme Selvaggini. Ich habe sie in früheren Jahren gekannt, gut gekannt. Es sind Höhen und Tiefen in ihrer Natur, wie ich sie kein zweites Mal in einem Menschen vereinigt gefunden. Einmal nach einer Aufführung des Tannhäuser ist sie in religiösen Wahnsinn verfallen. Auf solche Anspannungen der mystischen Saiten ihrer Natur folgte natürlich eine unangenehme Reaktion. Sie sind jedenfalls einer großen Gefahr entronnen, aber Sie haben sich doch nur auf einen recht schmalen Felsenvorsprung gerettet. – hol' mich der Teufel, wenn ich sagen kann, wie Ihnen zu helfen wäre. Ein schwerer Fall,« murmelte er in seiner medizinischen Terminologie vor sich hin, »ein sehr schwerer Fall!«

Ich blickte zu Boden.

»Wenn ich Ihnen das Haus verbiete,« fuhr er fort, »sind Sie vor der Welt gerichtet, wenn Sie auch von früh bis abends mit dem Arm in der Schlinge auf der Ringstraße spazierengehen und ein Bericht über Ihr Duell mit Chladnigg als Entrefilet in allen Zeitungen steht ... Hm! Hm! Ein schwerer Fall, ein verdammt schwerer Fall. So einen jungen Menschen wie Sie, kaum zweiundzwanzig Jahre alt und gutes Material, famoses Material, trotz der Dummheit, in die Sie sich hatten verstricken lassen; 's war auch ein gutes Quantum Idealismus dabei, die beiden Eigenschaften sind manchmal verheiratet, und da wird dann wenig Gutes daraus. Nein ... zugrunde gehen lassen kann ich Sie nicht ... Hm! – Hm! Ja – so werden wir's machen. Da Ihre Verlobung in jedem Falle eine sehr übereilte Sache war und mir darum zu tun ist, daß Hilda mit andern jungen Männern zusammenkommt, ein Stück Welt sieht, ehe sie sich endgültig bindet, will ich sie zu meiner Schwester nach England schicken, die an einen hervorragenden Gelehrten in Cambridge verheiratet ist und einen sehr interessanten Salon hat. Sie ist vernarrt in die Kleine und hat schon lange um ihren Besuch gebeten. Es war ohnehin ausgemacht, daß sie das Mädel ausführen soll. Die Hilda mag ruhig ein halbes Jahr bei meiner Schwester bleiben. Indessen kann ich mich mit Ihnen beschäftigen und versuchen, Ihre aus den Fugen gegangene Existenz einzurenken. Zweimal die Woche kommen Sie zu mir zum Musizieren, und hier und da will ich in irgendeinem guten Hotel – mein Stammhaus ist das Imperial – mit Ihnen soupieren. Das wird Bekannte von mir veranlassen, Bemerkungen über Sie zu machen, Fragen an mich zu stellen, die mir Gelegenheit bieten werden. Sie zu verteidigen. – Ja, ja, so werden wir's machen. Sie sollen mein gutes Werk sein. Jeder von uns braucht so ein gutes Werk, um sich dereinst vor seinem höchsten Richter ausweisen zu können.« (Der Professor war tief religiös, trotzdem er Arzt war.) »Vor der Welt wird die Geschichte bald in Ordnung sein. Wie lange Sie brauchen werden, um Ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, das kann ich freilich nicht sagen. Aber jetzt adieu! Hab' momentan wirklich keine Zeit mehr für Sie übrig.« Er reichte mir die Hand. »Sapperment, Sie fiebern sehr stark. Kommen Sie nachmittags in meine Sprechstunde, ich möchte Sie ordentlich durchklopfen und untersuchen.« –

Wie ein Engel hat er sich gegen mich benommen.

Das von ihm vorgezeichnete Programm ist genau eingehalten worden. Sooft er irgend Zeit hatte, bat er mich zu sich, und allwöchentlich einmal soupierte ich mit ihm im Imperial.

Anfangs betrachteten mich die Menschen etwas erstaunt. Das aber änderte sich bald, und die Freundlichkeit, mit der mir alle, denen er mich vorstellte – und es waren ein paar recht hervorragende Leute unter ihnen –, begegneten, bewies mir, daß er meine Sache gut geführt hatte.

So vergingen drei, vier Wochen. Meine Nerven fingen an sich zu beruhigen. Ich wohnte wieder bei der gutmütigen Majorin und fühlte mich in meinen engen Verhältnissen ganz zufrieden, ja, ich genoß geradezu die Kärglichkeiten und Schäbigkeiten meiner bescheidenen Existenz. Mir graute jetzt vor jedem Luxus, jeder Verweichlichung.

Anfangs hatte ich gefürchtet, die Selvaggini würde mir schreiben, mich bis in meine Wohnung verfolgen. Aber nichts von dem geschah, und eines Tags stand's in der Presse, daß die Diva sich mit dem Grafen Kasimir Dazinsky verlobt habe. Die Trauung sollte noch vor ihrer Abreise nach Amerika erfolgen.

Es gab mir immerhin einen Stich, wenn ich auch gleich danach wie befreit aufatmete.


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