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Fast ein Jahr war vergangen, ein schreckliches Jahr für die unglückliche Kolonie. Hunderte von braven deutschen Soldaten waren im Kampf mit den zähen Eingeborenen gefallen oder in den Lazaretten am Typhus gestorben, und weiter im Süden war nun auch noch der tückische Witboi aufständisch geworden. Aber oben im größten Teile des Hererolandes herrschte nun wieder Ruhe. Ach, nur allzuviel Ruhe! Die Gehöfte zerstört und verlassen, die Werften leer, öde und einsam das ganze weite Land, das kurz vor dem Aufstand in so verheißungsvoller Weise aufzublühen und sich aus einer kahlen Wüste in nutzbares Weidegebiet zu verwandeln begonnen hatte.
Nur wenige Ansiedler hatten nach den schrecklichen Erfahrungen dieser Schreckenszeit den Mut gefunden auf ihre Besitzungen zurückzukehren, ihre Gehöfte, wieder aufzubauen, ihre Felder und Gärten wieder anzupflanzen und mit der schweren, schweren Kulturarbeit von neuem anzufangen.
Herr Lerse war unter ihnen. Nachdem er mehr als zwei Monate im Lazarett verbracht hatte, anfangs in Groß-Barmen und später, als auch dort der Aufstand losbrach, weiter im Westen in Otyimbingwe, war er, noch immer schwach, zu den Seinen gezogen, die Herr Körner mit den Herden auf der Farm eines Freundes bei Wilhelmsfeste untergebracht hatte.
Aber sobald die Kunde zu ihnen drang, daß es oben im Swakoptale wieder sicher geworden sei, ließ es ihm keine Ruhe mehr. Er reiste mit Herrn Körner, der inzwischen mit Röschen getraut worden war und bereits wieder auf seinem von dem Aufstande nur wenig berührten Hofe saß, nach Marienhof voraus, um das Gehöft, das von vorüberziehenden Hererobanden zum größten Teil niedergebrannt und verwüstet worden war, notdürftig wieder herzurichten; dann holte er auch seine Frau. Kaspar aber ließ es sich nicht nehmen, an des Vaters Stelle in die Schutztruppe einzutreten.
Von den Leuten waren nur noch Elias, Hiob mit ihren Weibern, Gottlieb und einige Hütejungen übrig geblieben. Andere waren jetzt nicht zu beschaffen. Aber rastlos arbeitete Herr Lerse, und endlich war er mit dem Aufbau des Hauses doch so weit gediehen, daß sie am Weihnachtsabend wieder in der Wohnstube sitzen konnten, die jetzt freilich nur einige schnell zusammengezimmerte Bänke aufwies. Aber sie waren doch wieder in ihren vier Wänden, und auf dem plumpen Tische prangte als Weihnachtsbaum eine kleine Palme, das einzige Überbleibsel der Pflanzung, die Herr Lerse in seinem Garten mit so viel Liebe angelegt hatte.
Herr Körner und seine junge Frau waren gekommen, und als besondere Festtagsgabe hatten sie einen Brief von Kaspar mitgebracht, der ganz im Osten der Kolonie am Epikuro gegen die letzten Reste der zersprengten Hererobanden kämpfte.
Mit zitternden Händen und feuchten Augen entfaltete Herr Lerse das Schreiben und las:
»Geliebte Eltern! Hurra! Es geht mir gut. Wir haben zwar sehr unter Wassermangel zu leiden. Aber wir ertragen es gern; denn es hilft uns gegen die Feinde, die wohl noch alle daran zu Grunde gehen werden. Viele von den Kapitänen sind schon auf englisches Gebiet geflohen, andere haben sich selbst den Tod gegeben. So zum Beispiel unser alter Freund Isaak. Gefechte haben wir jetzt nur selten. Aber man muß sich doch immer vorsehen. Die Burschen sind zu schlau und zu hinterlistig. Sonst haben wir aber über nichts zu klagen. Der Sergeant Schauseil, mit dem Vater in Okahandja war, ist auch hier. Er ist ein riesig lustiger Mensch, wenn er auch manchmal schimpft. Er ist mein Vorgesetzter und läßt sagen, ›es jinge ihm jut und er ließe schönstens jrüßen‹. Ich schicke diesen Brief mit einer Ordonnanz, die nach Windhuk geht. Hoffentlich bekommt Ihr ihn noch zu Weihnachten. Ich werde viel an Euch denken, und möchte so gern bei Euch sein. Aber der Dienst geht vor, und ich hoffe auf das nächste Jahr. Da wird ja doch wohl die Geschichte hier zu Ende sein, und wir können wieder alle zusammen Weihnachten feiern. Gib Muttchen einen recht, recht langen Kuß von mir, grüße Schwager Körner und Röschen und sei selbst gegrüßt und geküßt von Deinem treuen Sohne Kaspar.«
Schluchzend hatte Frau Lerse zugehört. Jetzt nahm sie den Brief und drückte ihn immer und immer wieder an die Lippen.
Plötzlich stand Herr Lerse auf und sagte, sich mit der Hand über die Augen fahrend: »Na, Kinder, nun hört aber auf! Dem Jungen geht's gut, und wir sind ja Gott sei Dank auch noch alle auf den Beinen. Unser Land wird schließlich auch nicht zu Grunde gehen, dafür wird schon unser Kaiser sorgen. Kommt her! Gebt mir die Hände! Gott ist über uns. Er hat uns in der schwersten Zeit beschützt, und er wird uns auch weiter helfen. Gott schütze uns und unser junges Deutsch-Südwestafrika. Amen«!