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Auf der Hererowerft.

Am nächsten Morgen kam Herr Körner.

Er brachte die freudige Nachricht, daß der Aufstand der Bondelzwarts, der vor kurzem ausgebrochen war, unterdrückt und überall im Süden der Kolonie der Frieden wieder hergestellt sei. In kurzer Zeit würden nun die bei Warmbad freigewordenen Abteilungen der Schutztruppe nach ihren Standorten zurückgekehrt sein und damit wäre auch die Gefahr beseitigt, daß die Herero die Gelegenheit benutzen und aufsässig werden könnten.

»Dem Himmel sei Dank!« sagte Frau Lerse, nachdem ihr künftiger Schwiegersohn geendigt hatte, indem sie mit tiefer Bewegung die Hand ihres Gatten nahm. »Mir fällt ein Stein vom Herzen; denn jetzt will ich dir's nur sagen, Heinrich: Wenn ich's mir auch nicht habe merken lassen, – ich habe wohl gefühlt, wie du dich gesorgt hast all die Tage und Nächte.«

»Du Gute!« entgegnete Herr Lerse, seine Frau zärtlich an sich drückend. »Ja, ja: ich habe mich wohl manchmal gebangt um euch, und so ganz frei ist mir das Herz auch jetzt noch nicht. Aber etwas zuversichtlicher kann man jetzt doch wieder in die Zukunft blicken, und jedenfalls werde ich nun doch wohl wieder zu meinen Ochsen kommen.«

»Du wirst doch nicht etwa wahr machen wollen, was du heute nacht gesagt hast, als ihr endlich zurück waret?« fragte Frau Lerse, ihn angstvoll ansehend.

»Was? Daß ich auf die Werft gehen will?« entgegnete Herr Lerse, seine Frau loslassend. »Aber natürlich! Denkst du, ich werde den Räubern meine schönen Tiere lassen?«

»Die wird dir das Bezirksgericht in Windhuk schon wieder verschaffen.«

Herr Lerse lachte bitter. »Das Bezirksgericht? Wenn ich darauf warten wollte! Die Herren meinen es gewiß sehr gut, und niemand wird verkennen, daß sie in kurzer Zeit sehr Bedeutendes hier geleistet haben. Aber in meinem Falle können sie nicht helfen. Bis sie auf dem Instanzenwege so weit gelangt sind, daß etwas Ernstliches geschieht, sind meine Ochsen längst wer weiß wo. Nein! Wenn ich sie überhaupt jemals wieder zu sehen bekomme, kann das nur durch persönliche Vermittlung geschehen. Ich werde also noch heute auf die Werft gehen und vom Unterkapitän die Herausgabe meines Viehs und die Bestrafung der Schuldigen verlangen. Wie wir miteinander stehen, zweifle ich nicht, daß ich meinen Zweck so am besten erreichen werde.«

Herr Körner meinte nun zwar auch, daß er sich hiervon wenig versprechen könne. Bei der Falschheit der Herero werde man ihn mit schönen Redensarten abspeisen und mit Versprechungen, die dann nie gehalten werden würden. Nach seiner Meinung könne in diesem Falle nur etwas erreicht werden, wenn die Obrigkeit selbst mit eiserner Strenge eingreife.

Aber Herr Lerse ließ sich von seinem einmal gefaßten Entschlusse nicht abbringen. Zum mindesten müsse man es so versuchen, meinte er, und wenn es in Güte nicht ginge, hätte man immer noch Zeit, die Hilfe der Polizei anzurufen.

Er war jetzt ziemlich überzeugt, daß seine Befürchtung wegen heimlicher Bewaffnung der Herero grundlos gewesen sei, und hoffte, auch fernerhin im guten mit seinen braunen Nachbarn auszukommen.

Trotz der Bitten seiner Frau, die den Gedanken nicht los wurde, daß man ihm auf der Werft etwas antun könne, und trotz der Vorstellungen des Herrn Körner, rüstete sich also Herr Lerse bald darauf zu dem Besuche bei seinem »Freunde« Isaak; das heißt, er steckte in die eine Rocktasche außer einer tüchtigen Portion Tabak einen geladenen Revolver und in die zweite eine andere Waffe, von deren Wirksamkeit er sich am meisten Erfolg versprach: nämlich eine Flasche von dem alten Korn, mit dem er Isaaks Herz schon so oft für sich gewonnen hatte. Dann nahm er Stock und Hut, umarmte noch einmal Frau und Kinder, verabschiedete sich mit einem stummen Händedruck von seinem künftigen Schwiegersohn und schritt zur Tür hinaus.

Doch noch einmal hielt Frau Lerse ihn zurück. »So nimm doch wenigstens Körner mit!« sagte sie mit flehender Miene.

Aber auch hiervon wollte Herr Lerse nichts wissen und entgegnete: »Warum sollen sich zwei in Gefahr begeben? Wenn die Herero wirklich ungemütlich werden sollten, würden zwei ebensowenig gegen die Übermacht ausrichten können als einer. Aber ich halte das für gänzlich ausgeschlossen. Beunruhigt euch also nicht und vertraut auf Gott und unsere gute Sache. Um Mittag bin ich wieder daheim. Lebt wohl!«

Damit schloß er die Haustür hinter sich und ging über den Hof nach der Scheune hinüber, um noch einmal nach dem Gefangenen zu sehen, den er, an Händen und Füßen gefesselt, in den Holzstall gesperrt hatte, bis der Ausgang der Verhandlungen mit Isaak auch über sein Schicksal entschieden haben würde.

Sobald der Räuber ihn bemerkt hatte, fing er wieder an zu betteln: »Arme Großmann wahrhaftig unschuldig, Herr! Großmann bitten, ihn nicht vor weiße Reiter bringen! Freilassen arme Großmann! Arme Großmann dir ganz gewiß alle Rinder wiederbringen!«

»Die werde ich auch ohne dich wieder bekommen!« entgegnete Herr Lerse, die Tür hinter sich zuschließend. »Ich gehe jetzt zu deinem Häuptling, und der wird schon bestimmen, was mit dir und deinen sauberen Diebsgenossen werden soll.«

Damit ging er davon, ohne das höhnische Gelächter zu hören, das ihm aus dem Stalle folgte, aber auch ohne zu sehen, daß sich außer ihm noch jemand auf dem Hofe zum Fortgehen rüstete: Kaspar, der sich bald darauf, die Flinte auf dem Rücken und den Patronengurt umgeschnallt, aus dem Hause davonmachte, um dem Vater zu folgen.


Die Werft, auf der Isaak, der Unterkapitän, mit seinen zehn Großleuten und etwa fünfzig ärmeren Hererofamilien hauste, lag eine gute Wegstunde entfernt am Rande einer ausgedehnten Steppe, die nach Osten zu allmählich in ein wildzerklüftetes, unwirtliches Gebirgsland überging.

Von der Anhöhe aus betrachtet, über die man von Westen her zu ihr gelangte, bot die Siedlung einen für den Europäer gar seltsamen Anblick dar. In der Mitte ragten ein paar unschöne Steinhäuser auf, um einen großen Platz geordnet, auf dem einige mächtige Akazienbäume standen. Rings umher aber sah man in buntem Durcheinander bis an die Dornhecke heran, die den ganzen Platz umgab, eine Unzahl von größeren und kleineren runden Lehmhütten, aus der Ferne wie Bienenkörbe anzusehen, und daneben allerhand weniger feste Hütten, zwischen denen sich in ungezählter Menge Groß- und Kleinvieh herumtummelte.

In den Lehmhütten, die aus starken Ästen mit Rohr und Laub aufgebaut und außen mit einer festen Schicht von mit Kuhdünger gemischtem Lehm überzogen waren, wohnten in unmittelbarer Nachbarschaft ihres geliebten Viehs die gewöhnlichen Leute, in den nach Europäerart gebauten Steinhäusern aber »residierte« inmitten seiner »Grootmannen« der Unterkapitän.

Isaak verdankte sein immerhin bedeutendes Ansehen unter seinen Landsleuten keineswegs seiner persönlichen Tapferkeit; die wurde selbst von seinen in dieser Beziehung wenig verwöhnten Stammesgenossen nicht besonders hoch angeschlagen. Er verdankte sie vielmehr seiner großen Verschlagenheit, seinem sehr weiten Gewissen und seinem ungewöhnlich stark ausgebildeten Geschäftssinn. Er war immer auf seinen Vorteil bedacht und scheute kein Mittel, um diesen auszunützen. In seiner Jugend war er »Schulmeister« gewesen, wie man die meist am Kap ausgebildeten eingeborenen Missionare zu nennen pflegt. Um einer reichen Erbschaft willen hatte er dann aber sein Christentum abgelegt und dieses erst wieder angenommen, nachdem er infolge seines Reichtums Unterkapitän geworden war und eingesehen hatte, daß es in dieser Stellung vorteilhafter für ihn wäre, Christ zu sein.

Das alles ging Herrn Lerse jetzt durch den Kopf, als er die Anhöhe erreicht hatte und die Werft zu seinen Füßen liegen sah.

Er dachte auch an Weib und Kinder und daß die Befürchtungen seiner Frau bei der gegenwärtigen übermütigen Stimmung der Herero doch nicht ganz unbegründet seien.

Aber es war nicht seine Art, sich lange mit Bedenken aufzuhalten. Es kam auch zu viel darauf an, daß den Leuten jetzt sofort, unmittelbar nach den Übergriffen, die sie sich erlaubt hatten, das Strafwürdige ihres Betragens zu Gemüte geführt wurde.

Noch einmal faßte er also nach dem Revolver, dann stieg er festen Schrittes in die Schlucht hinab, die nach der Werft hinüberführte und von den Herero früher als Begräbnisstätte für ihre Häuptlinge benützt worden war.

Schon von weitem erkennt man solch ein heidnisches Hererograb an den Bäumen, die es beschatten und an denen zahlreiche von der Sonne gebleichte Ochsenschädel aufgehängt sind. Selbst im Tode mochte sich dieses Hirtenvolk von der geliebten Herde nicht trennen. Wenn also einer der ihrigen zu Omamburumbunga, dem mächtigen Baum, der, wie ihre Göttersage behauptet, der Vater aller Herero ist, zurückkehrte, gab man ihm eine Anzahl Rinder mit auf den Weg, und diese Anzahl war umso größer, je wohlhabender der Verstorbene war. Da die meisten angesehenen Herero jetzt Christen sind, oder doch zum wenigsten äußerlich die Formen der Europäer nachahmen, ist diese Sitte fast überall abgekommen. Aber die seltsamen Grabstätten findet man doch noch überall im Lande, und auch Herr Lerse sah schon von weitem in den alten Akazien die weißen Ochsenschädel blinken, die ihm anzeigten, daß er sich der Hererosiedlung näherte.

Gleich darauf begann es dann auch in der sich mehr und mehr erweiternden Schlucht lebendig zu werden. An den Abhängen weidete eine große Herde von Ziegen und Schafen, während die Hirten, drei nackte Knaben, spielend im Schatten eines Randgebüsches lagerten. Scheu sprangen die Tiere vor dem Ankömmling zur Seite und kletterten den Abhang hinauf, und die kleinen Hirten machten es gleich darauf ebenso.

»Heda! Ihr!« rief Herr Lerse ihnen zu. »Kommt einmal herunter! Ihr sollt mir zu eurem Kapitän vorausgehen und ihm sagen, daß ich mit ihm sprechen möchte!«

Mit dreisten Gesichtern grinsten die Burschen ihn an: »Hä, hä, hä!« Aber keiner rührte sich.

»Habt ihr nicht gehört, ihr Schlingel?« rief Herr Lerse und machte Miene, zu ihnen hinaufzuklettern.

Aber kaum hatten sie das gemerkt, so liefen sie lautlos davon nach dem Dornbusch, in dem sie gleich darauf verschwunden waren.

Lachend schritt Herr Lerse weiter. »Sie sind doch überall gleich,« dachte er bei sich. »Als ich mich in Nebra mal beim Amtmann anmelden lassen wollte, haben es die thüringischen Jungen auch nicht anders gemacht.«

Nach wenigen Minuten traf er eine Gruppe von Frauen, die schwatzend im Sande unter einem Anabaum kauerten. Die meisten von ihnen trugen europäische Kleidung, freilich keine besonders gewählten Toiletten nach neuestem Pariser Schnitt, sondern mehr oder minder zerrissene und beschmutzte Röcke von greller roter oder blauer Farbe und weite Jacken, die ihre an sich gewiß ziemlich schlanken Gestalten in unschönster Weise entstellten.

Nur zwei von ihnen, die also offenbar noch Heidinnen waren, zeigten sich noch in der alten charakteristischen Tracht mit dem um die Hüften geschlungenen Tuch, den dicken Eisenringen um Arme und Beine, den dicht die Brust bedeckenden Ketten aus Scheibchen von Straußeneierschalen und den höchst merkwürdigen, in drei hochstehende geschwungene Spitzen auslaufenden Lederhauben. Auch sie machten Anstalten, davonzugehen, als sie den Weißen kommen sahen, den sie wohl kannten und unter gewöhnlichen Umständen jetzt sicher um Tabak angebettelt haben würden.

»Aha!« dachte Herr Lerse. »Die wissen schon etwas von dem Viehraub. Haben kein reines Gewissen!«

Als Lerse den Frauen aber schon von weitem die kleinen Päckchen Tabak zeigte, mit denen er sich zu diesem Zwecke wohl versorgt hatte, konnten sie der Versuchung doch nicht widerstehen und kamen eine nach der anderen zögernd näher.

»Willst du dir Tabak verdienen?« rief Herr Lerse der ersten zu.

»Ja, Herr, gib Tabak,« antwortete die Frau, ihn mit ihren prächtigen weißen Zähnen anlachend.

»Dann lauf zu eurem Kapitän und sage ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.«

»Will schon laufen, Herr, Springbock nicht schneller laufen, aber erst gib Tabak.«

Herr Lerse wußte wohl, daß es ratsamer wäre, die Belohnung erst nach Erfüllung des Auftrages zu geben. Um aber der Sache schnell ein Ende zu machen, warf er ihr eins der Päckchen zu.

Sobald die anderen das sahen, stürzten sie wie die Wildkatzen auf Herrn Lerse los, umringten ihn mit lautem Geschrei und verlangten nun ebenfalls Tabak, so daß er, um sie los zu werden, schließlich noch ein Päckchen hervorholte und es zwischen sie warf.

Nun aber ging der Lärm erst recht los. Kreischend fielen sie übereinander her, um sich gegenseitig das heißbegehrte Geschenk zu entreißen, und es entspann sich eine regelrechte Prügelei, bis Herr Lerse, der wohl einsah, daß sein Auftrag auf diese Weise niemals ausgeführt werden würde, sie mit dem Stocke auseinander trieb und ihnen den soeben hingeworfenen Tabak wieder fortnahm.

»So!« sagte er, nachdem er die beiden Päckchen mit vieler Mühe wieder an sich gebracht hatte, »jetzt bekommt ihr alle nichts. Nur wer sogleich auf die Werft eilt und mich bei dem Kapitän meldet, darf nachher zu mir kommen und sich Tabak holen.«

Jetzt wußte er, daß er den Zweck erreichen würde, und richtig: im nächsten Augenblick begann ein tolles Jagen. Die ganze Gesellschaft rannte was das Zeug halten wollte nach der Werft davon; denn jede wollte die erste sein, um nachher sagen zu können, sie habe den Auftrag ausgeführt und müsse den Tabak bekommen.

Lachend schritt Herr Lerse hinterdrein. »Freund Isaak wird keinen schlechten Schreck bekommen, wenn all die Weiber über ihn herfallen,« dachte er bei sich. »Aber es schadet ihm gar nichts; dann wird er wenigstens keine Ausflüchte machen können; denn die lassen ihm jetzt keine Ruhe, bis sie ihn zu mir geschleppt haben.«

Bald hatte er die großen Viehkraale erreicht, die ringsumher die Werft umgaben. Für gewöhnlich weideten in ihnen nur die Milchkühe und das Jungvieh, während sich die Mehrzahl der Rinder im Freien auf den weiter entfernt liegenden Viehposten herumzutummeln pflegte. Heute aber waren die Kraale so dicht bevölkert, daß es schien, als habe Isaak die Viehposten eingezogen und seinen ganzen Besitz auf der Werft vereinigt.

Das machte Herrn Lerse, dem die Kunde von der Besiegung der Bondelzwarts die volle Zuversicht zurückgegeben hatte, wieder stutzig.

»Was ist denn das?« sagte er zu sich. »Das sieht ja aus, als ob die hier trecken wollen! … Aber jetzt zu Beginn der Regenzeit? Da ist etwas nicht in Ordnung.«

Auch in der Werft selbst wimmelte es zwischen den runden Lehmhütten von Ochsen, die, wie es schien, nach dem Wasserplatz getrieben wurden, der sich in der Mitte des Ortes auf dem freien Platze vor dem Hause des Unterkapitäns befand.

»Wo wollt ihr hin?« rief Herr Lerse einen der Treiber an, einen ziemlich kläglich dreinschauenden Damara, dem das Leben übel genug mitgespielt haben mochte, bis er sich dazu entschlossen hatte, bei den verhaßten und gefürchteten Ovaherero Dienst zu nehmen.

»Kapitän! Kapitän!« antwortete der Gefragte, mit sehr wichtiger Miene nach der Richtung deutend, in der einige Akazien hoch über die umliegenden Häuser und Hütten emporragten.

»Weshalb seid ihr denn mit dem ganzen Vieh hier auf der Werft? Was soll das?« fragte Herr Lerse weiter.

Aber aus dem Burschen war nichts herauszubringen.

»Weiß nicht, Herr,« sagte er, sich scheu nach dem riesigen Herero umschauend, der hinter ihm die Tiere antrieb, und lief davon, seinen Ochsen nach, die sich jetzt, die nahe Wasserstelle witternd, brüllend in Trab gesetzt hatten.

Herr Lerse mußte zur Seite springen, um nicht umgerannt zu werden.

Mit den anderen Treibern, die er fragte, erging es ihm nicht besser. Die meisten beachteten ihn überhaupt gar nicht. Aller Aufmerksamkeit schien nur auf die Tiere gerichtet zu sein.

Auch sonst war niemand zu sehen. Nicht einmal eine der Frauen, die sich sonst immer in der Umgebung der Hütten um diese Zeit zu schaffen machten. Zahlloses Hühnervolk trieb sich hier herum, hie und da knurrte oder bellte auch wohl ein struppiger Köter. Sonst lagen die Wohnstätten wie ausgestorben.

»Vielleicht sitzen sie drinnen,« dachte Herr Lerse und kroch durch den niedrigen tunnelartigen Eingang in eine der Hütten hinein.

Aus dem großen Raum, in dem der Besitzer mit seiner ganzen Familie ohne Luft und Licht hauste, drang ihm der beißende Rauch der offenen Feuerstätte entgegen. In wilder Unordnung lagen die geringen Habseligkeiten am Boden herum, und neben der Feuerstätte lehnten der Kirri, die Wurfkeule, und der Speer an der Wand.

»Wenn sie jetzt wirklich Feuerwaffen und Munition haben sollten, müßte hier irgend etwas davon zu merken sein!« fuhr es Herrn Lerse durch den Sinn. Aber so viel er sich auch umsah, es war nichts zu entdecken. Alles war wie sonst, nichts deutete auf irgendwelche außergewöhnlichen Vorbereitungen.

»Gott sei Dank!« dachte er und kehrte ins Freie zurück.

Noch immer wurden die Ochsen vorbeigetrieben; ein Beweis dafür, wie reich Isaak noch immer war, trotz der großen Viehsterbe, die ihn, wie er jammernd erzählte, mehr als tausend »Beeste« gekostet hatte.

»Seine tausendfünfhundert hat er wenigstens noch immer, und dabei dieser Geiz!« dachte Herr Lerse, indem er, sich zwischen den Rindern hindurchwindend, nach dem Hause des Unterkapitäns weiterging. Er nahm an, daß Isaak nun wohl von seinem Kommen unterrichtet sei und daß er ihn beim Wasserplatz erwarten würde.

Als er diesen aber erreicht hatte, war von Isaak oder von irgendwelchen Vorbereitungen zum Empfange eines Gastes nichts zu bemerken.

Umsomehr Menschen standen hier herum, Männer, Frauen und Kinder, die sich alle, ohne den ankommenden Weißen zu beachten, schreiend und mit lebhaften Gebärden nur mit den Ochsen zu beschäftigen schienen.

Brüllend drängten sich diese zu dem großen Holztrog, der in der Mitte des Platzes neben der von einer Dornenhecke umgebenen Wassergrube stand und unablässig aus dieser gefüllt wurde. Fünf Männer standen auf Baumgerüsten in dem Brunnen übereinander, um in mühevoller Arbeit und unter fortwährendem Geschrei das Wasser aus der Tiefe heraufzubefördern.

»Heu!« schrie der unterste, indem er es mit dem Eimer schöpfte. – »Hopp!« brüllte der zweite, der den Eimer in Empfang nahm und dem über ihm Stehenden hinaufreichte. Und »Heu! – Hopp!« ging es dann weiter, bis der Eimer zum Troge gelangt war und von dort aus wieder zurück bis zum Grunde des Brunnens.

Kopfschüttelnd schaute Herr Lerse ihnen eine Weile zu. »Es sind doch seltsame Menschen,« dachte er bei sich. »Diesen Leuten könnte man wer weiß was bieten, um sie zur Arbeit zu veranlassen; sie würden nicht den Finger rühren. Für ihre Ochsen aber stehen sie hier den halben Tag im Sonnenbrand und mühen sich, daß selbst unsereinem dabei das Herz im Leibe lachen kann.«

Plötzlich wurde er von hinten her am Rocke gezupft.

Er drehte sich um und sah, daß es die Frauen waren, die er vorhin zu Isaak geschickt hatte und die nun ihren Lohn haben wollten.

»Gib Tabak, Herr! Gib Tabak!« schrieen sie durcheinander, wobei sich immer die eine bemühte, die andere zurückzudrängen.

»Tabak wollt ihr?« entgegnete Herr Lerse, sie mit dem Stocke von sich fernhaltend. »Ich wüßte nicht, wofür. Wo ist euer Kapitän? Habt ihr vielleicht dafür gesorgt, daß ich mit ihm sprechen kann?«

»Dort Kapitän!« schrieen die Weiber wieder, nach dem größten der Steinhäuser zeigend, das man vom Wasserplatze aus wegen der großen Bäume nicht übersehen konnte. »Dort Kapitän! Gib Tabak, Herr!«

Herr Lerse trat rasch näher an die Bäume heran, so daß er das Kapitänshaus überschauen konnte, und nun sah er, wie Isaak, den Schlapphut auf dem Kopfe, die kurze Pfeife im Munde und die in Drellhosen steckenden Beine mit den bloßen Füßen übereinandergeschlagen, behaglich in einem Schaukelstuhl saß und schmunzelnd die Rinder zählte, die, nachdem sie sich an dem Troge sattgetrunken hatten, in fast feierlichem Aufzuge an ihm vorübergetrieben wurden.

Lachend genoß Herr Lerse dieses eigenartige Schauspiel. Ja, nun erklärte sich alles! Wie ein Geizhals sich daran ergötzt, in seinen Goldstücken zu wühlen, so schwelgte Isaak in dem Anblicke seiner Rinder. Deshalb hatte er sie nach der Werft zusammentreiben lassen und deshalb ließ er sich jetzt auch nicht stören. Nein, um keinen Preis! Denn wenn ein Herero Parade über seine »Beeste« abhält, dann gibt es für ihn nichts anders auf der Welt. Und wenn der Gouverneur selber gekommen wäre, würde Isaak sich jetzt nicht haben sprechen lassen! Da hieß es eben warten, bis die langhörnige Garde vorübermarschiert war.

»Gib Tabak, Herr!« schrieen die Weiber wieder.

Aber Herr Lerse hütete sich wohl, ihrem Drängen schon jetzt nachzugeben, wo die ganze Gesellschaft ihn beobachten konnte.

Er nahm sie vielmehr beiseite und sagte: »Wollt ihr, daß die anderen ihn euch wieder fortnehmen? Erwartet mich nachher vor der Werft, dort sollt ihr euren Tabak haben.«

Damit gaben sich die Frauen dann auch zufrieden. Sie ließen Herrn Lerse zwar nicht mehr aus den Augen, hielten nun aber auch ängstlich die anderen von ihm zurück, die mittlerweile auf den Weißen aufmerksam geworden waren und ihn mit dreisten Blicken betrachteten.

Plötzlich war es ihm, als sähe er hinter einer der gegenüberliegenden Hütten ein weißes Gesicht auftauchen.

»Kaspar?« fuhr es ihm durch den Sinn. »Sollte der Bengel …?« Aber im selben Augenblick war das Gesicht verschwunden, so daß Herr Lerse bald nicht mehr daran dachte.

Endlich waren die letzten Ochsen an ihrem Herrn vorübergezogen, und nun beeilte sich Isaak, seinen Gast zu begrüßen. Es hatte ihm doppeltes Vergnügen bereitet, vor Lerse mit seinem Reichtum protzen zu können, und er wollte nun gern ein paar Worte der Bewunderung von ihm hören.

Mit selbstzufriedenem, falschem Lächeln kam er auf ihn zu, streckte ihm schon von weitem die Hand entgegen und sagte in dem breiten, verdorbenen Kapholländisch, dessen sich die meisten angeseheneren Herero bedienen, mit salbungsvoller Geschraubtheit: »Der Herr segne deinen Eingang, mein Bruder. Er hat dich zur rechten Zeit hergeführt, um dir zu zeigen, wie reich und mächtig er mich gemacht hat.«

»Guten Tag, Isaak!« antwortete Herr Lerse einfach. Da er aber wohl wußte, daß er den Herero aufs tiefste verletzen würde, wenn er die Anerkennung, die jener jetzt hören wollte, unterließe, fügte er hinzu: »Schöne Rinder hast du, das muß ich sagen.«

»Nicht wahr? Und viele!« fügte Isaak höchlichst geschmeichelt hinzu. »Ich glaube nicht, daß der deutsche Kaiser mehr hat.«

»Sicher hat er nicht mehr,« bestätigte Herr Lerse lächelnd, und nun schien er das Herz des biederen Unterkapitäns gewonnen zu haben.

»He! Macht Platz für meinen Freund und schert euch fort, daß ich mit ihm reden kann!« schrie er die Leute an, die sich neugierig herangedrängt hatten und zum Teil schon so unverschämt geworden waren, Herrn Lerses Taschen zu befühlen, ob er nicht Tabak oder Branntwein für sie mitgebracht hätte.

Aber der Erfolg, den diese Aufforderung hatte, war kein sehr glänzender Beweis für das Ansehen, das Isaak bei seinen Untergebenen genoß. Statt der Weisung ihres Kapitäns zu folgen und von dannen zu gehen, drängten sie sich nur noch dreister heran. Sie belästigten Herrn Lerse mit drohenden Zurufen: »Gib Branntwein oder wir schlagen dich tot!« und beantworteten alle Drohungen Isaaks mit lautem Geschrei und höhnischem Gelächter, bis sechs baumlange Kerle, die in persönlichem Dienste des Häuptlings standen und gleichsam seine Leibwache bildeten, von dem Kapitänshause angelaufen kamen und die Menge mit ihren langen Ochsenpeitschen und drohendem Geschrei auseinander trieben.

»Wollt ihr fort, ihr da! Platz für den Kapitän! Fort mit euch, ihr Gaffer!«

Gleichzeitig wurde von zwei Damara, die ebenfalls zu der zahlreichen Dienerschaft des Häuptlings gehörten, der Schaukelstuhl herbeigeschleppt, und auch für Herrn Lerse brachte man einen Stuhl, wenn auch einen weniger bequemen; denn die lehnenlose Sitzgelegenheit bestand nur aus einem zusammenklappbaren niedrigen Holzgestell, über das ein paar Lederriemen gespannt waren.

Beide Stühle wurden unter den größten Baum gestellt, der etwas Schatten gewährte, und während die »Leibgarde« das Volk in Schranken hielt, machte Isaak es sich wieder auf seinem Schaukelthron bequem. Dann klopfte er seine Pfeife gegen den Baum aus und gab seinem Gaste in nicht mißzuverstehender Weise zu erkennen, daß er jetzt Tabak von ihm geschenkt zu erhalten wünsche.

Dieses Verlangen war so selbstverständlich und bei einer jeden derartigen Zusammenkunft üblich, daß Herr Lerse sich darauf schon vorbereitet hatte.

Ohne weiteres reichte er dem Herero eins von den kleinen Päckchen, die in ihrem Format schon auf diese Sitte eingerichtet sind. Ohne zu danken, nahm Isaak es in Empfang, benützte es aber keineswegs, um seine Pfeife daraus zu stopfen, sondern steckte es in die Tasche seines weiten grauen Drellrocks und streckte die Hand aufs neue aus. Dieses Manöver wiederholte sich, bis Herr Lerse durch Achselzucken zu verstehen gab, daß sein Vorrat erschöpft sei.

Etwas ungläubig sah Isaak ihn hierauf eine Weile an, begann dann aber doch seine Pfeife zu füllen und in Brand zu setzen und sagte, nachdem er dem Damara einen Wink gegeben und eine Weile wohlgefällig vor sich hin gepafft hatte: »Du wirst durstig sein von dem weiten Wege, mein Bruder, und einen frischen Trunk nicht ausschlagen. Freilich, so eine Himmelsmilch wie du habe ich nicht, um meinen Gast zu erlaben. Es war nicht sehr weise von eurem Kaiser, daß er den Händlern verboten hat, uns Branntwein zu verkaufen.«

»Im Gegenteil, es war sogar sehr weise von ihm,« entgegnete Herr Lerse, die Unterhaltung über dieses beliebte Thema ins Scherzhafte ziehend; »denn was man immer haben kann, verliert seinen Wert. Jetzt schmeckt er dir umso besser, weil du ihn seltener hast. Übrigens hoffe ich, daß du bald wieder zu mir kommen und ein Glas voll bei mir trinken wirst.«

»Darauf kannst du dich verlassen, mein Bruder,« antwortete der Häuptling. »Zieht es mich doch immer in dein frommes Haus, wie es das Tier in der Steppe zum Wasserplatz zieht. Aber noch lieber wäre es mir freilich gewesen, du hättest deinem Bruder gleich ein gutes Pröbchen mitgebracht.«

Dabei betrachtete er mit gierigen Blicken die Taschen seines Gastes, sehnsüchtig die Antwort erwartend, daß jener auch in dieser Hinsicht seinem Wunsche schon entgegengekommen sei.

Herr Lerse, der seinen Haupttrumpf nicht zu früh ausspielen wollte, tat, als habe er den zarten Wink nicht verstanden, und fing nun an, die Unterhaltung auf die Angelegenheit zu bringen, die ihn hergeführt hatte.

Aber Isaak wußte nun seinerseits ebenso geschickt auszuweichen, und da jetzt auch die Damara mit den üblichen großen Holzgefäßen voll Omaire, dicker Milch, dem Hauptgetränk der Herero, daherkamen, verging noch geraume Weile, bevor Herr Lerse dazu kommen konnte, sein Ziel weiter zu verfolgen.

Wohl oder übel mußte er zunächst zu dem mit eigenartigen rohen Ornamenten verzierten Schöpflöffel greifen und aus dem Holznapf zulangen, den die Damara vor ihm an einem Zweige der Akazie aufgehängt hatten.

Isaak, der ebenfalls zu löffeln angefangen hatte, machte dabei ein Gesicht, das noch viel saurer war als die Milch, krümmte sich schließlich, als ob er Bauchgrimmen hätte, und meinte: »O weh, mein Bruder! Ich glaube der Teufel sitzt in dieser Omaire. Wenn ich doch etwas von deinem Feuertrank hätte, um ihn auszutreiben!«

Aber Herr Lerse ließ sich auch durch diese Komödie – denn daß es eine solche war, wußte er sicher – nicht erweichen und sagte, sie vielmehr als gute Anknüpfungsgelegenheit benützend, trocken und ohne in seiner Löffelei innezuhalten: »Der Teufel, der dich zwackt, mein Freund, wird wohl wo anders sitzen, als in der unschuldigen Milch. In meiner hier sitzt jedenfalls keiner. Aber zu einem Feuertrank wird sich ja wohl bald Gelegenheit finden, wenn du, wie ich hoffe, mir die zehn Ochsen wieder bringst, die deine Leute mir gestohlen haben.«

»Ja, das werde ich ganz gewiß tun, mein Bruder,« entgegnete Isaak ganz harmlos, »denn ich empfinde schon heiße Sehnsucht nach dem süßen Himmelstranke. Aber, nicht wahr, jetzt wirst du doch endlich dafür sorgen, daß dein armer Bruder etwas Tabak in seine Pfeife bekommt?«

Herr Lerse, der auf diese Wendung vorbereitet war, hatte sich schon darauf eingerichtet. Während er mit der einen Hand den Löffel in die Milch führte, hatte er mit der anderen die Päckchen in seiner Tasche geordnet und so viel abgezählt, als er jetzt noch glaubte dem Kapitän opfern zu können, ohne später den Frauen gegenüber in Verlegenheit zu geraten.

Es waren aber nur zwei, und Isaak schien davon sehr wenig erbaut zu sein; denn als Herr Lerse schon beim dritten Male die Achsel zuckte und sagte, wenn er ihm die gestohlenen Ochsen bringe, könne er mehr davon bekommen, machte er ein sehr enttäuschtes Gesicht, ohne aber von den gestohlenen Ochsen auch diesmal die geringste Notiz zu nehmen.

Herr Lerse sah nun ein, daß er so nicht zum Ziele gelangen werde, und beschloß deshalb etwas schärfer vorzugehen.

Sobald also die Damara die Milchgefäße wieder abgehängt hatten und mit ihnen davon gegangen waren, rückte er mit seinem Klappsessel dichter an Isaak heran, klopfte ihm auf den Schenkel und sagte: »Ich habe vorhin gesehen, wie reich Gott dich mit Gütern gesegnet hat und wie prächtig er deine Rinder gedeihen läßt. In anderer Weise aber scheint er dich doch arg für deine Sünden gestraft zu haben.«

»Mich?« entgegnete der Häuptling mit selbstzufriedenem Lächeln. »Daß ich nicht wüßte, mein Bruder.«

»O doch,« fuhr Herr Lerse fort; »denn wie es scheint, hat er dich mit Taubheit geschlagen, sonst hättest du wohl nicht zweimal meine Beschwerde überhört, daß einige deiner Leute meinen Viehposten beraubt und mir zehn Ochsen fortgenommen haben. Ich hoffe jedoch, daß du sie nunmehr gehört haben wirst.«

»Gehört habe ich schon,« antwortete Isaak, in aller Gemächlichkeit eine dicke Rauchwolke vor sich hinblasend, »aber ich glaube es nicht.«

»Was? Du glaubst es nicht?« rief Herr Lerse, dem anfing die Geduld auszugehen. »Wenn ich dir sage, daß ich gestern nacht selbst auf dem Viehposten gewesen bin und die Diebe überrascht habe?«

»Das werden die Geister gewesen sein, die dich zum besten gehabt haben, mein Bruder,« entgegnete der Häuptling, ohne sich in seiner Ruhe stören zu lassen. »Die Geister hassen die weißen Fremdlinge, weil sie Eindringlinge sind und uns unsere Weide fortgenommen haben. Die Geister wissen schon, was recht ist, und die werden wohl auch deine Rinder fortgetrieben haben.«

»Nun, dann freut es mich doppelt, daß ich einen von diesen Geistern dingfest gemacht habe!« sagte Herr Lerse lachend. »Es wird dem Bezirksrichter besonderen Spaß machen, einen Geist kennen zu lernen, der eine so merkwürdige Ähnlichkeit mit einem deiner Großleute hat.«

Die Erwähnung des Bezirksrichters schien den Herero doch etwas außer Fassung zu bringen. Er fing an sehr lebhaft mit seinem Stuhle zu schaukeln und so grimmig mit den Augen zu rollen, daß einem, der weniger herzhaft und nicht so an den Verkehr mit diesem schlauen Halbwilden gewöhnt war, als Herr Lerse, dabei hätte angst und bange werden können.

Auf Herrn Lerse aber machten diese drohenden Mienen ebensowenig Eindruck, als die ziemlich schroffen Worte, in denen Isaak nun die Forderung stellte, er solle sofort den gefangenen Großmann wieder frei lassen.

»Nicht eher, als bis du mir meine zehn Ochsen wieder gebracht und mir feierlich gelobt hast, die Übeltäter und ebenso den Schlingel, der neulich auf meinen Jungen geschossen hat, so gehörig zu bestrafen, daß ihnen ein für allemal die Lust zu derartigen Scherzen vergeht.«

Jetzt sprang der Häuptling von seinem Stuhle auf, riß ein Messer aus der breiten knallroten Schärpe, die er als Zeichen seiner Kapitänswürde um den Leib gebunden hatte, und schrie: »Laß ihn frei, rat' ich dir, oder wir werden euch zeigen, daß wir noch die Herren in unserem Lande sind, und ihr seid die ersten, denen wir die Hälse abschneiden!«

»Das werdet ihr wohl hübsch bleiben lassen,« entgegnete Herr Lerse, ruhig auf seinem Sessel sitzen bleibend. »Denn ihr wißt ganz genau, daß unsere Reiter euch auf den Pelz kommen, wenn ihr es wagen solltet, uns nur ein Haar zu krümmen.«

siehe bildunterschrift

»Laß ihn frei, rat' ich dir, oder wir werden euch zeigen, daß wir noch die Herren in unserem Lande sind.«

»Eure Reiter!« rief Isaak mit höhnischem Lachen. »Mit denen würden wir nicht mehr Umstände machen, als Simson mit den Philistern. Eure Reiter! Haha! Wo sind sie denn? Nicht einmal mit den Hottentotten können sie fertig werden, nicht einmal die gelben Feiglinge können sie besiegen, die auf die Kniee fallen und jammern: Hilf uns Gott! wenn sie nur den Namen eines Ovaherero nennen hören!«

»Wenn du das glaubst, dann weißt du eben nicht, was in der Welt vorgeht,« entgegnete Herr Lerse mit erhobener Stimme, jetzt ebenfalls aufstehend. »Die Hottentotten sind besiegt und haben sich unterworfen, und euch würde es ebenso ergehen. Gegen die Büchsen unserer Reiter kann niemand etwas ausrichten!«

»Meinst du?« entgegnete Isaak, mit spöttischem Gesicht sein Messer wieder in den Gürtel steckend.

In diesem Augenblick erhob sich in der nächsten Nachbarschaft ein gewaltiger Lärm.

Unwillkürlich griff Herr Lerse nach dem Revolver.

Aber gleich darauf sah er, daß der Aufruhr nicht ihm galt, sondern Ismael, dem Kapitänssohne, der mit einigen Leuten in Streit geraten zu sein schien.

Fünf wild dreinschauende Kerle drangen mit lautem Geschrei auf ihn ein, und namentlich der eine, ein baumlanger, ungewöhnlich starker Bursch, hielt ihm drohend die Faust unter die Nase und brüllte in einem fort: »Wo ist der Tabak und der Branntwein, den du uns versprochen hast? Willst du uns nochmal zum Narren halten? Gib uns, was uns zukommt, oder ich schlage dir den Schädel ein!«

Plötzlich aber verstummte er, warf einen scheuen Blick zu Herrn Lerse hinüber und verschwand gleich darauf mit seinen Genossen im Volksgewühle, während Ismael die Gelegenheit benutzte, um sich nach dem Hause seines Vaters zu flüchten.

Herr Lerse hatte nicht umhin gekonnt, diesen Vorgang zu beobachten, und wieder war es ihm, als sehe er Kaspar hinter einer der gegenüberliegenden Hütten stehen.

Aber auch jetzt fand er keine Zeit, sich weiter darum zu bekümmern; galt es doch, den Eindruck, den er durch die Nachricht von der Besiegung der Bondelzwarts auf den Kapitän gemacht zu haben glaubte, auszunutzen.

Aber als er sich nach ihm umsah, bemerkte er, daß Isaak sich, als wäre nichts geschehen, wieder in seinen Schaukelstuhl niedergelassen hatte und sich mit verschmitztem Grinsen am Kinn kratzte.

Kopfschüttelnd beobachtete Herr Lerse ihn eine Weile, beschloß dann aber, das Gespräch wieder in friedlichere Bahnen zu lenken, und, wenn nötig, das schwere Geschütz aus der linken Rocktasche auffahren zu lassen, um zum Ziele zu gelangen.

»Mein lieber Freund Isaak,« begann er daher, »du siehst nun also, daß es mit dem Hälseabschneiden doch nicht so ohne weiteres gehen wird und daß es viel zweckmäßiger ist, die Sache im guten aus der Welt zu schaffen. Ich rate dir also: Bestrafe die Schuldigen, wie ich es verlangt habe, und sorge dafür, daß ich meine Rinder wieder bekomme. Ich werde dann meinen Gefangenen freilassen und dir meinen Dank nicht vorenthalten.«

Wieder sprang der Häuptling auf.

Aber diesmal griff er nicht nach seinem Messer, sondern nach Lerses Hand, drückte sie an seine Brust und sagte: »Gott hat uns geboten, unseren Nächsten zu lieben. – Ich will alles tun, was du verlangst. Aber gibst du mir, wonach mein Herz begehrt?«

»Ja!«

»Wann?«

»Sogleich, – wenn du meine Forderungen erfüllt hast.«

»Es soll alles geschehen, was du willst. Aber gib! Laß deinen Bruder nicht umkommen in seinem Durst.«

»Nun gut; dann laß uns in dein Haus gehen. Ich möchte nicht, daß mir die Gesellschaft da die Kleider vom Leibe risse. Unter vier Augen wollen wir unser Geschäft in Ordnung bringen.«

Sogleich rief nun Isaak seine Trabanten heran, befahl ihnen, das Volk fern zu halten und führte dann seinen Gast in das Haus, wo Herr Lerse in der Tat mit leichter Mühe alles erreichte, was heute zu erreichen war.

Zunächst wurde einer der Jungen, zur Strafe dafür, daß er angeblich auf Kaspar geschossen habe, gehörig durchgeprügelt, dann wurde allen, die an dem Viehraube beteiligt gewesen wären, mit der gleichen Strafe gedroht, und endlich erhielt Herr Lerse das folgende, von dem Häuptling selbst verfaßte und unterzeichnete Schriftstück:

 

»Ich bin Isaak, Unterkapitän der Ovaherero, und gelobe meinem lieben Bruder Lerse vom Marienhof, daß ich ihm morgen, spätestens bis zur Mittagsstunde, die zehn Rinder zurückbringen werde, die meine Leute ihm in gottloser Verblendung gestohlen haben. Dies habe ich selbst geschrieben und bekräftige es mit einem heiligen Eide.

Isaak, Unterkapitän.«

 

So trat Herr Lerse denn in zufriedenster Stimmung den Heimweg an, verteilte den Rest seines Tabakvorrats unter die Weiber, die ihn an der verabredeten Stelle pünktlich erwarteten, und war eben im Begriff, in die Schlucht einzubiegen, in der am Morgen die Hirtenbuben vor ihm davon gelaufen waren, als er einen Hund durch die Büsche schleichen sah, in dem er einen der eigenen Hofwächter zu erkennen glaubte.

Er pfiff und rief: »Lump!« Und richtig, gleich darauf kam nicht nur der Gerufene mit wedelndem Schweif und etwas scheuer Miene, als wandle er auf verbotenen Pfaden, heran, sondern auch sein Gefährte »Racker«, ein unsagbar struppiger Gesell von der eingeborenen Rasse. Man würde in zivilisierter Hundegesellschaft sicher wenig Ehre mit ihm eingelegt haben, in der südafrikanischen Wildnis aber tat er als zuverlässiger Wächter und treuer Jagdgehilfe vortrefflich seine Schuldigkeit.

»Wo kommt ihr denn her?« rief Herr Lerse. »Also habe ich mich vorhin doch nicht getäuscht! – So ein Schlingel! … Nun lauft nur zu dem, der euch zu dieser verbotenen Kunstreise verführt hat, und sagt ihm, ich würde ihn tüchtig bei den Ohren nehmen, wenn er sich vor mir blicken ließe.«

Aber als Kaspar gleich darauf herbeikam, die Büchse über der Schulter und den Patronengurt um den Leib, und meinte, wenn er auch bei den Ohren genommen würde, so könne er seine Tat doch nicht bereuen, denn das wäre ein schlechter Sohn, der seinen Vater in der Gefahr im Stich ließe, da gab er ihm nur einen zärtlichen Backenstreich und sagte: »Ich weiß schon, daß du es gut gemeint hast, mein Junge, und daß man sich auf Kaspar Lerse verlassen kann. Aber diesmal hättest du in deinem Übereifer leicht eine Torheit begehen können. Was hättest du mir denn helfen können, wenn sie wirklich über mich hergefallen wären, – – hundert gegen zwei?«

siehe bildunterschrift

Herr Lerse verteilte den Rest seines Tabakvorrates unter die Weiber.

»Vielleicht nichts, Vater,« entgegnete Kaspar mit leuchtenden Augen. »Aber ich wäre dann wenigstens mit Ehren an deiner Seite gefallen.«

»Jawohl! Das wärest du! Du hättest dich zwecklos geopfert, statt an deine Mutter und Schwester zu denken!«

»Die Mutter! … Ja, daran hatte ich wirklich nicht gedacht,« antwortete Kaspar, beschämt zu Boden blickend.

»Siehst du!« fuhr der Vater in ernstem Tone fort. »Wenn ich deine Begleitung für richtig gehalten hätte, dann hätte ich es dir schon gesagt. Aber ich wollte, daß du für alle Fälle bei der Mutter bleiben solltest, und ich hoffe, daß du meine Absichten in Zukunft besser verstehen und deine Pflicht da tun wirst, wo sie nötig ist. Wer weiß, was die Zukunft uns bringt. Wenn ich auch nicht mehr glaube, daß wir augenblicklich einer ernsten Gefahr gegenüberstehen, so schwebt der Hererohaß doch immer wie eine dunkle Wolke über uns. Entladet sich diese Wolke einmal, dann gehen wir sehr schlimmen Zeiten entgegen, und dann wirst du vielleicht noch einmal zeigen müssen, daß du ein deutscher Junge bist und ein deutsches Herz im Leibe hast.«

»Ja, das werde ich, Vater, darauf kannst du dich verlassen!« rief Kaspar, dem Vater mit glühenden Wangen die Hand drückend.

»Darauf verlasse ich mich auch, mein Junge,« antwortete Herr Lerse in tiefer Bewegung, zog Kaspar an sich und küßte ihn auf die Stirn.

Dann ließ er ihn los, pfiff den Hunden und sagte: »Nun aber vorwärts – nach Hause! Und wenn du dich jetzt nützlich machen willst, dann laufe voraus und sage der Mutter, daß sie sich nicht mehr zu ängstigen braucht, daß ich gesund bin und alles nach Wunsch gegangen ist.«


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