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Eine schreckliche Nacht.

Wenn Herr Lerse dem Distriktschef geantwortet hatte, der Kaspar wisse, was seine Schuldigkeit sei, so hatte er nicht zu viel gesagt. In der letzten Nacht hatte Kaspar es bewiesen. Herr Lerse würde mit noch stolzerer Zuversicht auf ihn geblickt haben, wenn er gewußt hätte, was inzwischen in Marienhof vorgegangen war.

Als die sechs Viehhüter und die anderen sieben Leute unter Ismaels und des einäugigen Großmanns Führung den Marienhofer Kraal verlassen gefunden und sich auch in der Erwartung getäuscht gesehen hatten, mit leichter Mühe den Hof zu stürmen, schlugen sie wie toll mit ihren Keulen gegen das Tor, schimpften und brüllten und drohten, daß sie das Gehöft an allen vier Ecken anstecken und alle, die sie darin finden, totschlagen würden.

Aber Kaspar ließ sich dadurch nicht einschüchtern. »Laß sie nur gegen das Tor poltern,« dachte er. »Es kann einen Puff vertragen; und daß mir keiner über die Mauer kommen soll, dafür werde ich schon sorgen!«

Ohne sich weiter um den Lärm draußen vor dem Tore zu kümmern, traf er seine Anordnungen. Rasch versammelte er alle Männer um sich: die beiden vor Kampfbegier brennenden Nama, Traugott und Elias, und sämtliche halbwegs waffenfähigen Damara; selbst der alte Immanuel und die Hütejungen mußten kommen, so sehr die schwarze Gesellschaft auch bebte und jammerte. Vor dem Hause ließ er sie zusammentreten, stellte sich zwischen sie auf die Schwelle und sagte: »Leute! Ihr hört, wie draußen die Herero toben und drohen. Wenn es ihnen gelingt, in den Hof zu kommen, so seid ihr alle verloren. Keinen werden sie schonen. Euch alle werden sie totschlagen.«

»Oh! Oh!« heulten die Weiber, die sich mit angstvoller Neugierde herangedrängt hatten, und auch von den Männern wurden die meisten von der Furcht angesteckt und fingen nun ebenfalls an zu heulen: »Oh! Oh!« bis Kaspar dazwischen fuhr und drohte, er werde jeden, der sich nicht augenblicklich still verhalte, ohne weiteres über die Mauer werfen lassen. Nun liefen die Weiber davon, um sich hinter dem Hause zwischen den Tieren zu verkriechen und sich fürs erste nicht wieder blicken zu lassen.

»Ihr seht also, daß euch nur die Wahl bleibt, euch feige abschlachten zu lassen, oder euch tapfer zu verteidigen,« fuhr Kaspar fort, nachdem es endlich wieder ruhig geworden war. »An euch selbst wird es liegen, wie es euch dabei ergeht. Tut jeder seine Schuldigkeit auf dem Platze, wo ich ihn hinstellen werde, so wird keinem ein Haar gekrümmt werden; denn ich weiß, daß dann keiner von den Burschen da draußen lebendig auf den Hof kommen wird, und morgen kehrt der Herr zurück mit den weißen Reitern. Wollt ihr euch also zusammennehmen und tun, was ich euch sage?«

»Ja, Herr! Sage uns, was tun sollen! Wir alle totschießen, Ovaherero! Keiner über Mauer!« schrieen die beiden Nama, mit wilden Gebärden die Büchsen schwingend, die ihnen Kaspar kurz zuvor übergeben hatte.

Dadurch wurden nun auch die Damara angefeuert, und Hiob namentlich versicherte, er wolle alles tun, was ihm befohlen werde, und wenn es der Herr verlange, so wolle er sich auch für ihn totschießen lassen.

Nur der alte Immanuel, der wahrscheinlich nur die Hälfte von dem verstanden hatte, was gesagt worden war, ließ nicht ab vom Heulen, Jammern und Unheilkünden, so daß Kaspar sich entschloß, ihn nach hinten zu den Weibern zu schicken.

»Oh! Oh! Ovaherero böse! Ovaherero alle Büchsen! Ovaherero alle totschlagen! Oh! Oh!« lallte er unausgesetzt vor sich hin, während er von Traugott fortgeführt wurde, und noch geraume Weile hörte man sein Gejammer, bis das Gebrüll der Ochsen, die nach Futter verlangten, seine krächzende Stimme übertönte.

Hiob erhielt nun die noch übrige vierte Flinte, und das Bewußtsein, im Besitz einer so überlegenen Waffe zu sein, schien wirklich seinen Mut zu heben. Er sah mit dem Patronengurt um den Leib ordentlich kriegerisch aus und ließ sich mit großem Eifer von Elias in der Handhabung des Gewehrs unterweisen. Er mußte lernen die Patrone flink und sicher einzuführen, nach einer bestimmten Stelle in der Mauer zielen und abdrücken, und freute sich wie ein Kind, als er merkte, daß der furchtbare Knall so dicht an seinem Ohre, der ihn zuerst beinahe zu Boden geworfen hätte, ihm in Wirklichkeit gar nichts getan hatte.

»Schöne Büchse!« schrie er ein über das andere Mal. »Hiob immer schießen! Hiob totschießen alle Ovaherero!«

Als jedoch infolge seiner Schießerei auch draußen geschossen wurde, bekam er es doch wieder mit der Angst. Schließlich aber gewöhnte er sich auch daran und hielt sich nachher ganz wacker.

Kaspar hatte inzwischen die übrigen Damara und die Hütejungen als Posten hinter die Mauer verteilt. Sie sollten die beiden Seitenfronten des Gehöftes bewachen. Er führte sie immer je zwei und zwei auf ihren Standpunkt und sagte: »Hier bleibt ihr stehen und paßt auf, daß keiner über die Mauer klettert. Sobald ihr einen seht, schleudert ihr eure Spieße oder Wurfkeulen und fangt an zu schreien. Wenn's nötig ist, werde ich euch dann zu Hilfe kommen. Seinen Posten verläßt keiner, ehe ich's befehle! Habt ihr verstanden?«

»Ja, Herr, alles verstanden!« antworteten die Leute, von der Sicherheit beruhigt, mit der Kaspar seine Befehle erteilte.

Die Rückseite des Gehöftes bedurfte eines besonderen Schutzes nicht. Da der Fels unmittelbar hinter der Mauer schroff in das Tal abfiel, war es beinahe ausgeschlossen, daß von dort aus ein Angriff erfolgen würde. Dennoch schärfte Kaspar auch den Weibern ein, auf die Mauer gut acht zu geben und ihn gleich zu rufen, sobald sich etwas Verdächtiges zeigen würde.

Überdies befanden sich hier ja Frau Lerse und Röschen, die unausgesetzt auf den Beinen waren, um bei den Tieren nach dem Rechten zu sehen. Hier war eine Kuh zu melken, dort ein Fohlen einzufangen, das sich in der dicht gedrängten Menge von der Mutter verirrt hatte. Die knappen Futtervorräte mußten verteilt und das Tränken beaufsichtigt werden; denn der kleine Brunnen, den Herr Lerse hinter dem Hause hatte bohren lassen, war auf so gewaltige Anforderungen nicht eingerichtet, und wenn er versiegte, was dann? Aber die beiden Frauen waren froh, diese Beschäftigung zu haben; kamen sie doch so am leichtesten über die Bangigkeit ihres Herzens hinweg.

Einen Augenblick trat Kaspar zu ihnen, als er hier hinten seine Anordnungen traf.

Zärtlich zog Frau Lerse ihn an sich, küßte ihn und sagte, während ihr sorgende Liebe und Mutterstolz die Augen näßten: »Mein guter, wackerer Junge! Der Vater wird seine Freude an dir haben, wenn er erfährt, wie klug und männlich du dich bewährt hast. Ich bin ganz ruhig und vertraue darauf, daß Gott uns beistehen wird. Aber ich wollte doch, die Nacht wäre erst vorüber und der Vater wieder daheim.«

»Er wird schon kommen, Mutter, und die Nacht wird auch vorübergehen. Sei nur außer Sorge, was auch geschehen mag,« antwortete Kaspar.

Noch einmal drückte ihn Frau Lerse an sich, dann riß er sich los und lief nach dem vorderen Hofe zurück, wo er schon mit Ungeduld erwartet wurde.

»Herr! Dort auf Mauer, wo vorhin Kapitänssohn gewesen ist, da Herero wieder!« rief ihm Traugott schon von weitem zu.

»Warum schießt ihr denn nicht?« entgegnete Kaspar, nach der bedrohten Stelle eilend.

Aber er sah nun, daß es noch nichts zu schießen gab, sondern daß die Feinde nur bemüht waren, mit ihren Spießen von draußen her die Glasscherben herabzustoßen, die er kurz zuvor mit frischem Mörtel dort hatte ergänzen lassen.

Doch auch diesen Spaß wollte er ihnen versalzen. Ganz schnell und leise ließ er die Karre, die er vorhin von der Mauer hatte in den Stall fahren lassen, zurückbringen, kletterte hinauf, wartete bis die Spieße wieder sichtbar wurden und feuerte nun ganz plötzlich über die Mauer hinweg nach unten.

Ein furchtbarer Schrei ließ erkennen, daß er getroffen hatte. Drüben wälzte sich der Wettermacher in seinem Blute. Die Kugel hatte ihn in die Schulter getroffen und war dann in die Lunge gedrungen. An ihm selbst hatte seine düstere Prophezeiung sich zuerst erfüllt. Nicht umsonst hatte er in der letzten Nacht den Totenvogel schreien und den bunten Hund lachen hören.

Mit wütendem Gebrüll liefen die anderen davon. Aber bald kehrten sie mit umso größerer Erbitterung zurück.

»Holt Steine herbei!« schrie Ismael. »Lauft nach dem Kraale hinüber, reißt die Hürden ein und bringt sie her! Wir müssen das Tor in Brand stecken!«

Willig gehorchten die Leute, in ihrer Wut allen Groll gegen den Häuptlingssohn vergessend. Nach allen Seiten liefen sie davon, um den Befehl auszuführen.

Nun zeigte es sich, wie vorsichtig es von Kaspar gewesen war, daß er vorhin alle Steine aus der Umgegend in die Schlucht hatte werfen lassen. Von weit her mußten sie die Felsblöcke heranrollen, und längst war die Dunkelheit hereingebrochen, als die ersten Würfe gegen das Tor donnerten. Es krachte in allen Fugen, wenn der Beestezwinger mit seiner gewaltigen Kraft einen der Blöcke dagegen geschleudert hatte. Aber nach gab es nicht, und bald hatten die Herero die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen eingesehen.

Sie versuchten nun die Steine an der Mauer aufeinander zu schichten, um auf diese Weise hinüber zu gelangen. Zuerst in der Nähe des Tors. Aber als sie es endlich fertig gebracht hatten, und der Beestezwinger selbst hinaufzuklettern begann, wurde er von den Verteidigern mit so wohlgezielten Schüssen empfangen, daß er sich beeilte, schleunigst wieder hinab zu klettern und sich hinter der Mauer in Sicherheit zu bringen.

»Tragt auch nach den Seiten Steine!« rief Ismael. »Sie können doch nicht überall sein. An einer Stelle werdet ihr schon hinüber kommen!«

Wieder liefen die erbitterten Leute davon, um noch mehr Steine herbeizuschleppen, und plötzlich erklang von rechts und links zugleich das Geschrei der Hütejungen: »Herr! Herr! Ovaherero kommen! Hilf uns, Herr!«

Doch Kaspar verlor den Kopf nicht, obwohl jetzt neben dem Tore auch Ismael und der Einäugige auf die Steine geklettert waren und herüber zu schießen begannen.

»Lauf du hinter den Stall, Traugott! Und du dorthin nach rechts, Elias! Zielt gut und schießt ruhig!« rief er den Nama zu, während er selbst mit Hiob auf den Hausboden eilte, um von einer kleinen Luke aus auf die beiden feindlichen Schützen zu feuern.

Ismael, der mit seinem alten Vorderlader zunächst nichts anfangen konnte, nachdem er ihn einmal blindlings abgefeuert hatte, zog es deshalb sogleich vor, wieder zu verschwinden und seine Mitwirkung bei dem Angriff darauf zu beschränken, daß er von sicherer Deckung aus seine Leute antrieb und schrie: »Schießt doch! Schießt doch! Werft eure Spieße! Laßt euch nicht schrecken! Sie laufen doch fort, wenn ihr Ernst macht! Springt in den Hof! Schlagt sie tot! Heiho! Heiho!«

Der Einäugige aber hielt noch geraume Weile aus. Er konnte, obwohl auch ihm sehr unbehaglich zu Mute war, doch nicht umhin, die Wunderkraft seiner Zauberbüchse, mit der er so geprahlt hatte, auch einmal im Ernstfalle zu betätigen und knallte, was das Zeug halten wollte, gegen die eisernen Fensterladen in der Wohnstube.

Plötzlich aber ließ er die mit so viel Stolz getragene Zauberbüchse los, so daß sie nach innen in den Hof fiel, und verschwand selbst mit entsetztem Gebrüll hinter der Mauer. – Eine Kugel Kaspars hatte ihm den Hut vom Kopf gerissen und ihn an der Stirn gestreift. Er fühlte das Blut über das Gesicht rieseln und meinte, daß er nun das Schicksal des Wettermachers teilen und ebenfalls sterben müsse. Ohne auf die Zurufe Ismaels zu hören, oder sich um sein Pferd zu kümmern, das in einiger Entfernung an einer Akazie angebunden war, lief er heulend davon.

Auch Traugott und Elias hatten ihre Schuldigkeit getan, obwohl es hinter dem Stalle, wo der Beestezwinger bei den Angreifern war, einmal ziemlich bedenklich gestanden hatte.

Trotz der ersten Kugel Traugotts, die ihm dicht am Ohre vorbeigesaust war, hatte der Riesenmensch seine Wurfkeule in den Hof geschleudert und einen der Damarajungen mit solcher Wucht gegen das Bein getroffen, daß er besinnungslos zusammenbrach. Nun liefen die anderen Damara mit entsetztem Geschrei davon, so daß Traugott sich plötzlich ganz allein dem gefährlichen Angreifer gegenübersah, der schon Miene machte, auf die Mauer zu steigen und den anderen zurief, sie sollten ihm folgen.

Aber wacker hielt der Nama aus. »Wart' du Hund!« brüllte er, seinen ganzen Hererohaß gegen diesen einen entladend, und drückte ab.

»Schurke! Das zahle ich dir heim!« schallte es mit furchtbarer Stimme zurück. Offenbar hatte die Kugel getroffen; denn der Beestezwinger faßte mit schmerzverzerrtem Gesicht nach seinem Arm, und als einige von den Damara, die inzwischen wohl eingesehen hatten, daß jetzt alles verloren wäre, wenn sie dem Traugott nicht beistünden, gleich darauf zurückkamen und ihre Spieße auf die Angreifer schleuderten, gaben die Herero auch hier ihre Bemühungen auf und kamen fürs erste nicht wieder.

So war denn der gefährliche Sturm an allen Stellen glücklich abgeschlagen worden, und als Kaspar auf den Hof zurückkehrte, um die vom Einäugigen fortgeworfene Büchse als willkommene Beute hereinzuholen, war es hinter der Mauer überall so still geworden, daß man hätte glauben können, die Feinde hätten sich überhaupt aus dem Staube gemacht, und man werde nun für den Rest der Nacht Ruhe vor ihnen haben.

Doch Kaspar kannte die erbitterte Zähigkeit der Herero. Er wußte, daß Ismael so leicht nicht nachlassen würde. Er traute dem Feinde nicht, und wie recht er damit hatte, zeigte sich bald.

Frau Lerse hatte, nachdem der verwundete Hütejunge verbunden worden war, Kaspar und den Leuten zur Stärkung etwas Brot und Wein gebracht, und sie hatten sich eben um die alten Akazien vor dem Hause gelagert, um im Scheine des vom wolkenlosen Himmel herniederleuchtenden Mondes sich an Speise und Trank zu laben, als hinter dem Tore wieder verdächtiges Geräusch hörbar wurde. – Aber diesmal ganz leise und geheimnisvoll. – Wie Rascheln trockener Reisigbündel klang es – und dann wie leises Knistern und Prasseln, als ob trockenes Gezweig Feuer gefangen hätte und eine Menge von kleinen Feuerschlangen daran weiter fräßen.

Und plötzlich loderte es auf, und in einer mächtigen schwarzen Rauchsäule züngelten, von zahllosen Funken umsprüht, die Flammen hinter dem Tore empor, die Umgebung weithin mit grellem Feuerschein erhellend.

Sofort war Kaspar auf den Beinen. »Rollt einen der Ochsenwagen an das Tor! Die Feuereimer her! Wasser heran!« rief er und eilte selbst mit Traugott und Elias nach der Scheune, um beim Heranbringen des schweren Fuhrwerks mit Hand anzulegen.

Frau Lerse sorgte gleichzeitig dafür, daß in großen Kübeln Wasser herbeigeschleppt wurde, und Röschen lief in das Haus, um aus der Diele die immer bereit hängenden Feuereimer zu holen.

Keine fünf Minuten waren vergangen, da hielt der Ochsenwagen am Tore, die Feuereimer standen bereit, Wasser war fürs erste zur Genüge in der Nähe.

»Wenn ihr jetzt nicht alle mit anfaßt, sind wir verloren!« rief Kaspar, auf den Wagen kletternd. »Also tut eure Schuldigkeit. – Laß die Weiber eine Kette bilden, Mutter, und uns die Eimer zureichen. – Auf den Wagen, ihr da, und das Wasser in die Flammen gegossen! – Ihr da! – Nehmt eure Spieße, kommt ebenfalls herauf und sucht das Reisig vom Tore abzustoßen. – Traugott – Elias – Hiob hierher! Die Büchsen bereit! Alles niedergeschossen, was sich heranwagt!«

siehe bildunterschrift

Der Beestezwinger faßte mit schmerzverzerrtem Gesicht nach der Wunde.

Und es war, als habe das Bewußtsein der gemeinsamen Gefahr und die feste Ruhe des Führers den Sinn der Ordnung in diese gedankenlose, wilde Gesellschaft gebracht: gleich darauf kamen, wie durch Maschinenkräfte bewegt, die gefüllten Feuereimer heran, um, wenn sie die Hütejungen oben über dem Feuer ausgeleert hatten, in derselben Weise zu den Wasserkübeln zurückzuwandern. Und kein Jammerton, kein Geschwätz wurde dabei laut. Die Weiber waren wie umgewandelt. Eine jede dachte nur daran, so gut und schnell als möglich auszuführen, was ihr aufgetragen war.

Nicht minder tüchtig arbeiteten oben trotz des erstickenden Qualms die Damara. Bald waren die höher liegenden brennenden Reisigbündel so weit fortgestoßen, daß sie dem Tore keinen Schaden mehr zufügen konnten, und als die Spieße dazu nicht mehr ausreichen wollten, waren im Nu lange Stangen herbeigeholt, mit denen auch unten am Boden die Flammenspeise unschädlich gemacht werden konnte.

Im Anfang versuchten die Herero sie daran zu hindern. Mit wütendem Geschrei kamen sie daher: »Heiho! Heiho! Wollt ihr herunter, ihr Schufte!« Sie schleuderten ihre Spieße und Wurfkeulen hinauf und suchten die brennenden Dornzweige wieder an das Tor heranzuschieben und neue hinzuzufügen. Aber plötzlich fuhren die Kugeln der vier Schützen zwischen sie. Da ließen sie ab und rannten so weit davon, daß man vor dem Qualm und den blendenden Flammen nichts mehr von ihnen sehen konnte. Nur daran, daß Ismael aus der Ferne seine Büchse abzuschießen wagte, ließ sich erkennen, daß die Belagerer überhaupt noch da waren.

Dennoch war die Gefahr noch keineswegs beseitigt. »Schnell noch mehr Wasser an das Tor!« befahl Kaspar mit lauter Stimme. – Das von der steten Sonnenglut ausgedörrte Holz des Tors hatte doch an vielen Stellen Feuer gefangen, und hier ließen sich die Flammen nicht so leicht ersticken, als an dem leichten Reisigzeug. Kaum schien der Brand an einer Stelle gelöscht zu sein, so loderte er an einer anderen wieder auf. »Dorthin mit dem Eimer, Gottlieb!« befahl Kaspar wieder. »Siehst du nicht? Dort unten!« Zischend rieselte das Wasser an dem glühenden Holze herab. Doch im Nu war es verdampft, und es ging aufs neue los.

Endlich aber siegte doch das Naß, das Zischen hörte auf und der Brandgeruch ließ nach.

»Einhalten jetzt mit dem Wasser!« rief Kaspar. »Wir müssen sparsam damit sein! – Sie werden sich den Spaß zwar nicht so bald noch einmal erlauben, aber man kann nie wissen. – Ihr habt eure Sache gut gemacht, Leute! – Ich danke euch und der Vater wird euch dafür belohnen! … Laß die Weiber wieder nach hinten gehen, Mutter. – Du, Hiob, bleibst mit mir hier am Tore. Ihr andern geht alle wieder auf die Plätze, die ich euch angewiesen habe.«

Wieder gehorchten die Leute ohne Zögern, aber plötzlich kamen die Weiber mit furchtbarem Geschrei zurückgelaufen: »Feuer! Feuer! Stall brennt! Ovaherero haben Stall angezündet!«

Im nächsten Augenblick war der Hof taghell und mit grellem Flammenschein erleuchtet.

Während Kaspar alle Leute nach dem Tore gezogen hatte, um dort die Gefahr abzuwenden, hatten die Herero die Gelegenheit benutzt, sich an die Seitenmauer zu schleichen und von dort aus brennende Reisigbündel auf das nahe Stallgebäude zu werfen. Das trockene Strohdach hatte sofort Feuer gefangen, und nun brannte das ganze Dach lichterloh und bedrohte zugleich die benachbarte Scheuer, die ebenfalls nur mit einem Flechtwerk von trockenem Büschelgrase eingedeckt war.

Glücklicherweise ging der Wind nur schwach und in entgegengesetzter Richtung. Aber die Gewalt der plötzlich auflodernden Flammen war so groß, daß die brennenden Strohbüschel überallhin weit über den Hof geschleudert wurden.

In wilder Angst liefen die Tiere durcheinander. In das Geschrei der Weiber mischte sich das Gebrüll der Rinder, das Gewieher der Rosse und das Geblök der Schafe. Bald hatten die geängsteten Tiere die Hürden durchbrochen, und nun ging es über den Hof hin in wüstem Durcheinander.

»Herr! Herr! Stiere wild! Hilf, Herr!« schrieen die Weiber. Und ihr Geschrei reizte die Tiere nur noch mehr.

Die Stiere und Ochsen gerieten mit ihren langen Hörnern ineinander, die Pferde bemühten sich vergeblich, über die Mauer hinwegzusetzen, schlugen wild um sich und verletzten sich und die kleineren Tiere; die Schafe rannten blindlings auf den brennenden Stall los.

Dazu kam noch, daß die Herero die allgemeine Verwirrung, die sie wohl vorausgesehen hatten, auszunutzen suchten und wieder an manchen Stellen zugleich die Mauer erstiegen, um so in den Hof zu gelangen.

»Herr! Ovaherero kommen! Ovaherero uns alle totschlagen!« klang es von allen Seiten. – Die Lage schien aussichtslos. Marienhof schien verloren.

Und der Hof wäre sicher verloren gewesen, wenn Kaspar nicht auch jetzt die Ruhe behalten hätte. Trotz der ungeheuren Aufregung und Gefahr ließ er sich keinen Augenblick aus der Fassung bringen. Sofort hatte er eingesehen, daß jetzt die erste Aufgabe war, das Eindringen der Feinde zu verhindern. Mochte der Stall niederbrennen, mochten die Tiere noch so großen Schaden anrichten: alles war verloren, wenn es den Herero gelang, in den Hof zu kommen. Mit eiserner Kraft zwang er die völlig kopflos zwischen den Tieren umherirrenden Damara wieder zum Gehorsam.

Ich selbst schieße euch nieder, wenn ihr nicht augenblicklich wieder auf eure Posten an der Mauer geht!« schrie Kaspar seine Leute an. Mit der Peitsche trieb er sie auf ihre Plätze. »Traugott! Elias! Tut eure Schuldigkeit!« rief er den beiden Nama zu und lief dann selbst mit Hiob zum Tore, wo der erste der Übersteigenden schon im Begriff war, von der Mauer auf den Wagen hinabzuspringen, aber schleunigst kehrt machte, als er den Buschläufer ankommen sah.

»Warte, du Strauchdieb!« schrie Kaspar und schoß.

»O! o!« klang es zurück. Sich nach der anscheinend getroffenen Schulter fassend, verschwand der Herero hinter der Mauer und mit ihm auch die anderen.

»Bleib du hier, Hiob. Sie werden hier schwerlich wieder kommen. Aber wenn sich einer blicken lassen sollte, weißt du, was du zu tun hast!« rief Kaspar und eilte nach der Stallseite.

Auch hier waren die Herero bereits auf der Mauer. Ismael selbst stand oben und wollte eben seine Büchse auf Traugott abschießen, während der Beestezwinger und zwei andere sich anschickten in den Hof hinabzuspringen.

Sicher wäre ihnen das auch gelungen. Denn sobald Ismael seine Büchse erhoben hatte, waren die Damara davongelaufen und hatten Traugott allein gelassen. Aber auch hier entschied Kaspars bloßes Erscheinen den Kampf.

»Nehmt euch in acht! Der Buschläufer!« schrieen die Leute, und Ismael war der erste, der von der Mauer hinabsprang – aber nach der Außenseite.

»Feige Schufte! Lauft ihr wieder davon?« brummte der Beestezwinger, verließ nun aber ebenfalls mit wütendem Geknurr den so mühsam errungenen Platz auf der Mauer, noch ehe Kaspar zu Schuß gekommen war und Traugott, der das erste Mal vorbeigeschossen hatte, Zeit fand, aufs neue zu laden.

Auf der anderen Seite der Mauer war die Gefahr an sich geringer. Das Gelände war dort abschüssig und erschwerte das Ersteigen. Überdies war dort kein Beestezwinger bei den Angreifern. Elias hatte also nicht allzu große Mühe gehabt, seine Aufgabe zu erfüllen. Es hatten sich zwar auch hier ein paar Schlapphüte gezeigt. Aber nachdem er einigemal geschossen hatte, waren sie wieder verschwunden.

So war denn auch diesmal der geschickt vorbereitete Angriff abgeschlagen worden, und es konnte nun daran gedacht werden, das Feuer zu löschen und die Tiere wieder einzufangen.

Kaspar ließ also nur die drei Schützen, Traugott, Elias und Hiob an den bedrohten Plätzen hinter der Mauer als Wache stehen und ging mit allen übrigen Leuten zunächst daran, den inzwischen halb niedergebrannten Stall gänzlich einzureißen.

»Ihr da, nehmt euch Stangen und rennt gegen die Mauer! – Ihr holt Sand herbei und werft ihn auf die Flammen! Du, Gottlieb, kletterst mit zwei Jungen auf die Scheune! Was zu glimmen angefangen hat, reißt ihr herunter! Die Weiber werden inzwischen die Schafe vom Feuer abhalten!« befahl er und begann selbst mit der Axt die Stalltür einzuschlagen.

Krachend stürzte sie zusammen, und mit furchtbarer Glut fuhr nun die Flamme heraus. Noch einmal loderte das Feuer, das nun überall Luft bekommen hatte, in furchtbaren Rauch- und Flammensäulen zum Nachthimmel empor, daß die Weiber laut aufkreischten und die Tiere in neuer Angst über den Hof dahinjagten. Aber bald war seine Kraft gebrochen. Von allen Seiten fielen jetzt die Mauern, der herbeigeschleppte Sand erstickte mehr und mehr die Glut, langsam ließ sie nach, um allmählich in sich zusammenzusinken.

Dennoch begann sich im Osten schon der Himmel zu färben, als es Kaspar gelungen war, des Feuers vollkommen Herr zu werden. Erst als das letzte Fünkchen verglommen war, verließ er die Brandstätte; denn inzwischen hatte sich der Morgenwind aufgemacht. Er wehte gerade gegen die Scheune, und das kleinste bißchen Glut hätte verhängnisvoll werden können.

siehe bildunterschrift

Man begann den halb niedergebrannten Stall einzureißen.

Bald waren nun auch die Tiere eingefangen, die sich mit dem Nachlassen des Brandes langsam von selbst beruhigt hatten, und als die Sonne über die Berge emporstieg, so hell und freundlich, als könne es nur lauter Glück und Frieden auf der Erde geben, auf der doch eben ein furchtbares Drama sich vorbereitete, da konnten die Leute von Marienhof sie mit der Hoffnung begrüßen, daß nun ihre Not bald ein Ende haben würde.

Unter den Akazien vor dem Hause versammelte Kaspar noch einmal alle, die bei ihm waren, zum Morgengebet. Mit leiser, tränenerstickter Stimme begann Frau Lerse zu singen: »Nun danket alle Gott …! Und alle fielen ein: »mit Herzen, Mund und Händen!« … Dann las Röschen aus dem 18. Psalm vor: »Herr, mein Fels, meine Burg, mein Erretter, mein Gott, mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und Hort meines Heils, und mein Schutz. Ich will den Herrn loben und anrufen, so werde ich von meinen Feinden erlöset …« Und all die weißen, braunen und schwarzen Menschenkinder fielen auf ihre Kniee, froh, für diesmal der Gefahr entronnen zu sein, und dankten Gott, der in dieser schrecklichen Nacht seine Hand über sie gehalten hatte.


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