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Ein gefährlicher Ritt.

So schien denn in der Tat alles nach Wunsch zu gehen. Aber der schöne Wahn wurde nur allzu bald zerstört.

Der nächste Vormittag verging, aber von Isaak und den geraubten Ochsen war nichts zu sehen. Dagegen mußte Herr Lerse, als er dem Pockennarbigen das Frühstück in den Holzstall tragen wollte, die Entdeckung machen, daß sein Gefangener über Nacht ausgebrochen und entflohen war.

Nur die Stricke, mit denen er gefesselt gewesen, lagen am Boden, und zwar glatt durchschnitten: ein Beweis, daß er die Flucht mit Hilfe eines anderen bewerkstelligt hatte, der trotz aller Vorsichtsmaßregeln, trotz der Glasscherben auf der Mauer und trotz der Hunde in den Hof eingedrungen sein mußte. Das aber konnte nur jemand gewesen sein, der auf dem Hofe genau Bescheid wußte und der auch den Hunden so bekannt war, daß sie es nicht für nötig befunden hatten, anzuschlagen.

»Sollte am Ende Isaak selbst es gewesen sein?« fuhr es Herrn Lerse durch den Sinn, und in banger Ahnung lief er nach dem Keller, der unweit des Stalles in eine Felderhöhung eingesprengt war.

Richtig! – Wenn es den Bösewichtern auch nicht gelungen war, die festverschlossene Tür zu erbrechen, hinter der die trinkbaren Schätze ihre Begehrlichkeit aufgestachelt hatten, der Versuch dazu war gemacht worden, das war unverkennbar.

»Sie treiben die Frechheit also so weit, daß man nicht mal mehr auf seinem eigenen Grund und Boden sicher ist?« rief Herr Lerse. »Nein! … Jetzt ist's genug! Im Guten geht es nicht länger. – – Jetzt werden wir mal andere Saiten aufziehen!«


So beschloß er denn, noch heute nach der nächsten Militärstation zu reiten, um dort die Vorgänge zu melden und um Hilfe zu bitten.

Er hoffte die Station, die etwa sechs Reitstunden entfernt lag, noch vor Anbruch der Nacht erreichen und alsdann bis zum nächsten Mittag zurück sein zu können.

Trotz aller Bedenken seiner Frau begann er also sofort sich für den beschwerlichen Ritt zu rüsten. Im Fohlenkraale wurde das schnellste und sicherste Pferd gesattelt, die Frauen sorgten für Proviant und Mundvorräte, Kaspar für Waffen und Munition und er selbst ging nach dem Kälberkraale hinüber, um dort noch einmal nach dem Rechten zu sehen.

Auf dem mit frischem Grün bedeckten Weideplan war heute sein sämtliches Großvieh versammelt. – Bei der Unsicherheit der Verhältnisse wollte er seinen Besitz wenigstens unter den Augen haben, um nötigenfalls sogleich selbst eingreifen zu können. Die Damara hatten deshalb über Nacht auch die Ochsen herantreiben müssen. – Rasch überzählte er sie … Es fehlte keiner. – Dann rief er die Hüter herbei.

»Daß ihr mir ja sofort nach dem Hofe lauft und Lärm schlagt, wenn sich wieder Diebe zeigen sollten!« befahl er ihnen und schärfte ihnen im übrigen ein, recht wachsam zu sein und ihn nicht im Stich zu lassen; er werde dann schon dafür sorgen, daß sie bald für immer vor den Herero sicher sein sollten.

»O Herr!« gab Hiob jammernd zur Antwort. »Arme Damara treu – aber Ovaherero böse. Hüte dich vor Ovaherero, Herr! Heute nacht in den Bergen heulte der bunte Hund (Hyäne). Schlimmes Zeichen das, o Herr! … Hüte dich vor Ovaherero!«

»Angsthase!« rief Herr Lerse ihm lachend zu. »Wenn man sich nur ein kleines bißchen auf euch verlassen könnte, sollten sich die Herero schon hüten, uns in die Quere zu kommen! Na, es hilft nun mal nichts. Tut also wenigstens, was ihr könnt.«

Damit ließ er den schwarzen Burschen stehen und kehrte schnell nach dem Hofe zurück, wo Kaspar ihn schon mit der Nachricht erwartete, es sei alles bereit.

»Schön,« entgegnete er. »Aber nun komm mal her, mein Junge. Als ich dir gestern in der Schlucht sagte, es würde vielleicht einmal die Stunde kommen, wo du deine Tüchtigkeit würdest beweisen müssen, dachte ich nicht, daß das so bald der Fall sein würde. Die Stunde ist jetzt gekommen, Kaspar! Wenn die Schlingel auf der Werft Wind davon erhalten, daß der Herr nicht im Hause ist, kann es wohl möglich sein, daß sie noch frecher werden. Ich werde zwar mein möglichstes tun, um ungesehen durch die Berge zu kommen. Aber bei dieser Gesellschaft muß man auf alles gefaßt sein, und jedenfalls lege ich eine große Verantwortung auf dich, wenn ich dir jetzt Haus und Hof anvertraue. Ich könnte Herrn Körner bitten, während meiner Abwesenheit herüberzukommen. Aber man soll nie einen anderen bemühen, wenn man sich selbst helfen kann, und du bist jetzt alt genug. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Burschen in der nächsten Nacht wieder kommen; denn der Branntwein lockt sie. Dann ist es an dir, das Hausrecht zu wahren und unser Eigentum zu schützen. Aber suche ohne Blutvergießen mit ihnen fertig zu werden. Schieße nur, wenn die Not dich dazu zwingt. Wenn sie uns jetzt auch Böses zufügen, es sind doch Menschen, und davon gibt es nicht allzu viele in diesem Lande. Schone sie so lange als möglich. Aber wenn es nicht anders geht: zeige, daß du ein deutscher Junge bist, mache deinem Vater Ehre. Hast du mich verstanden«?

Kaspar pochte das Herz zum Zerspringen. Zehnmal hätte er dem Vater geloben mögen, daß er das Vertrauen, das ihn so stolz machte, gewiß nicht täuschen werde. Aber vor Erregung brachte er es nicht über die Lippen. Er drückte dem Vater nur stumm die Hand, und erst nach geraumer Weile sagte er mit bebender Stimme: »Du sollst mit mir zufrieden sein, Vater!«

»Das hoffe ich!« antwortete Herr Lerse, ihm noch einmal fest ins Auge blickend, küßte seine Frau und Röschen nach kurzem Abschiednehmen, hing die Büchse über die Schulter, schwang sich in den Sattel und sprengte mit dem Rufe: »Auf Wiedersehen, so Gott will, morgen!« vom Hofe.


Der nächste Weg nach der Station führte ziemlich bequem über die Hochfläche hinweg bis zum Flußbett des Swakop und folgte dann diesem stromaufwärts bis zur Eisenbahn, ohne daß besondere Schwierigkeiten zu überwinden gewesen wären. Aber da Herr Lerse vermeiden wollte, von Isaak oder dessen Leuten gesehen zu werden, die den Zweck seiner Reise natürlich sofort gewittert und dann versucht haben würden, ihn daran zu hindern, mußte er sich wohl oder übel entschließen, in nördlicher Richtung auszubiegen und den sehr unbequemen Umweg durch das wild zerklüftete Gebirge zu machen.

Dorthin, wo kaum die Ziegen dürftiges Weideland fanden, kamen auch die Eingeborenen fast niemals, und nur in Kriegszeiten, namentlich in den blutigen Fehden mit den Hottentotten, hatten die Herero in jenen Schluchten zuweilen Unterschlupf gesucht und gefunden. Höchstens ein paar wilde Bergdamara streiften hier wohl besitz- und heimatlos herum, als Jäger und gelegentliche Viehdiebe ein kümmerliches Dasein fristend. Dort glaubte Herr Lerse sicher zu sein. Und um unbemerkt bis dahin zu gelangen, beschloß er, die unter dem Buschwald liegende nahe Sondjekluft zu benutzen, die er wenige Tage zuvor dem Schäfer als Weideplatz für die Kleinviehherde bezeichnet hatte.

Der treue Alte hatte den Befehl seines Herrn denn auch gewissenhaft ausgeführt. Er meldete sogleich, daß alles in bestem Wohlsein herübergekommen sei, schien sich selbst aber in sehr kläglichem Zustande zu befinden. Seine Wangen waren eingefallen, mit dem Ausdrucke furchtbarer Angst stierten seine halb erloschenen Augen aus den tiefen Augenhöhlen hervor und seine Hände zitterten, als schüttele ihn das Fieber.

»Was ist denn mit dir los?« rief ihm Herr Lerse zu.

»O Herr!« begann nun der Alte in dumpfen Klagetönen. »Gott schütze guten Herrn vor Ovaherero! … Bunte Hund, Herr, in Schlucht … lacht höhöhö! Kommt der Tod, Herr! … Ovaherero böse! … Alte Immanuel tot – alle tot!«

»Ach was! Kommst du mir auch mit diesem Unsinn?« unterbrach ihn ärgerlich Herr Lerse. »Daß Hyänen hier sind, wissen wir, und daß sie lachen, wenn der Mond scheint und gute Beute in der Nähe ist, ist auch nichts besonderes. Gib nur acht, daß sie nicht über dich lachen und dir deine Schafe fortholen!«

Mit angstvoll flehender Miene, die zitternden Hände hoch erhoben, stand der Alte da und stieß keuchend aufs neue seine warnenden Klagen aus.

Aber Herr Lerse hörte ihn nicht mehr.

»Dummer Aberglauben!« brummte er vor sich hin. »Ebenso albern, wie ihre Furcht vor den Herero. Was ich mich darüber schon habe ärgern müssen!«

Schade um jede Sekunde, die verloren ging, um diese Torheiten anzuhören.

So schnell das im Grunde der Schlucht herumliegende Geröll es erlauben wollte, ritt er vorwärts und hatte bald den kleinen Talkessel erreicht, in dem die Sondjekluft endete.

Hier stieg er ab, um sein Pferd den fast senkrecht aufsteigenden Abhang hinauf zu führen, den wilde Wasserfluten längst vergangener Zeiten in dieses spröde Gestein gerissen haben mochten.

Mit großer Mühe gelang es ihm endlich, das Tier, das von Jugend auf an derartige Klettereien gewöhnt war, hier aber doch fast unüberwindliche Schwierigkeiten vor sich sah, hinauf zu bringen, und nun hatte er die gefährlichste Strecke des Wegs vor sich.

Der Höhenrücken, den er überschreiten mußte, um zu der nächsten Schlucht zu gelangen, war nur wenige tausend Schritt breit, lag aber so frei und hoch, daß man in weitem Umkreis genau überblicken konnte, was auf ihm vorging.

Ganz deutlich sah er die Hererowerft zu seinen Füßen liegen. Wenn man ihn zufällig von dort aus erkannte, war es ein Leichtes, ihm von einer anderen Schlucht aus den Weg zu verlegen.

Daran, jetzt das Pferd wieder zu besteigen, war also auch aus diesem Grunde nicht zu denken; denn ein Reiter war auf jener Höhe eine so ungewöhnliche Erscheinung, daß er sofort hätte auffallen müssen.

Er hing also seine Büchse über den Sattelknopf, schlang den Zügel um den Arm und kroch, so das Pferd langsam hinter sich herführend, auf allen vieren vorwärts; eine Arbeit, die ihm bei der glühenden Mittagssonne, die in fast senkrechten Strahlen auf das weiße Gestein niederbrannte, manchen Schweißtropfen erpreßte.

Endlich war die schwierige Stelle überwunden. Es ging wieder talwärts, und nun hoffte er, daß er seinen Weg nach Osten ungehindert würde fortsetzen können.

Geraume Weile ging dann auch alles gut.

Einmal lief ein aufgescheuchtes Schuppentier über den Weg, das, auf den Hinterbeinen gehend und den mächtigen Schwanz nachschleppend, von weitem beinahe wie ein großer Vogel aussah.

Aber das wenig scheue Pferd ließ sich dadurch nicht weiter stören und trabte auf dem meist aus feinem Flußsand bestehenden Boden munter fort.

Plötzlich – sie mochten wohl eine Stunde im Tale unterwegs sein – sauste ein Pfeil dicht an Herrn Lerses Kopf vorüber, gleich darauf noch einer und fast in demselben Augenblicke ein dritter. Er blieb in der dichten Mähne des Pferdes stecken, das vor Schreck hoch aufbäumte, aber weiter keinen Schaden genommen hatte.

Sofort sprang Herr Lerse ab, führte das aufgeregte Tier hinter einen Felsenvorsprung und machte sich schußbereit.

»Gewiß ein paar armselige Bergdamara, die sich auf diese Weise in den Besitz des Pferdes setzen wollen,« dachte er, und gleich darauf erkannte er, daß er sich nicht getäuscht hatte.

Die drei schwarzen Burschen kamen, sobald sie das Gewehr auf sich gerichtet sahen, aus ihrem Versteck hervor und liefen, so schnell ihre mageren Beine sie tragen wollten, davon.

»Soll man die Schlingel nun laufen lassen, oder ihnen wenigstens einen Schreck einjagen, damit sie in Zukunft solche Scherze unterlassen?« dachte Herr Lerse.

Nach kurzem Überlegen entschloß er sich zu letzterem und rief den Fliehenden zu: »Halt! oder ich jage euch ein paar Kugeln in die Rippen!«

Dröhnend hallte seine tiefe Baßstimme in der engen Schlucht wider, und die Damara bekamen einen solchen Schreck, daß sie sofort gehorchten, sich umwandten und, auf die Kniee sinkend, um Gnade flehten.

»Werft die Waffen fort, hebt die Hände hoch und kommt hierher!« befahl ihnen Herr Lerse.

Wieder gehorchten die Schwarzen ohne Zögern und kamen mit angstvollen Gesichtern, am ganzen Leibe zitternd und immerfort um Schonung bittend, langsam näher.

»Halt!« rief Herr Lerse, nachdem sie etwa auf fünf Schritt herangekommen waren. »Was seid ihr für Feiglinge! Einen friedlichen Reisenden hinterrücks zu überfallen! Habt ihr nicht verdient, daß ich euch alle drei niederschösse wie verwilderte Hunde? Aber ich werde euch vielleicht mit ein paar Jagdhieben laufen lassen, wenn ihr mir gelobt, euch zu bessern, und wenn ihr mir sagt, was euch veranlaßt hat, mich hier zu überfallen.«

Eine Weile sahen sich die Damara mit verängsteten Gesichtern untereinander an, bis sich endlich, nachdem Herr Lerse durch ein paar tüchtige Hiebe mit der Reitpeitsche etwas nachgeholfen hatte, einer ein Herz faßte und anfing, in seiner verdorbenen Hottentottensprache eine ganz lange Mordsgeschichte zu erzählen, von der Herr Lerse nur so viel verstand, daß sie sehr arm seien und daß sie sich deshalb den hohen Preis hätten verdienen wollen, den die Ovaherero jetzt für gute Pferde bezahlten.

»Was?« unterbrach ihn Herr Lerse, »die Herero kaufen Pferde? Ist das wahr, oder seid ihr ebenso verlogen als hinterlistig?«

Mit großem Geschrei und den glaubwürdigsten Gebärden schworen die Schwarzen nun, daß es die Wahrheit sei: Die Ovaherero seien auf dem Kriegsfuß, sie wollten alle Weißen totschlagen, und deshalb kauften sie überall Feuerwaffen und Pferde. Auch mancherlei Einzelheiten wußten sie zu berichten, wie, daß der Oberkapitän Samuel in Okahandja allen Ovaherero befohlen hätte, ihre Werften zu verlassen und sich bei Omaruru zu versammeln, und daß der Unterkapitän Isaak schon alle seine Viehposten eingezogen und sich zum Trecken bereit gemacht hätte.

Herr Lerse hatte zunächst von der ganzen Geschichte nichts glauben wollen. Wie konnte es möglich sein, daß die Behörden von derartigen Vorbereitungen nichts hätten merken sollen? Und wenn sie etwas davon gemerkt hätten, wären die Ansiedler doch sicherlich längst gewarnt und auf die bevorstehende Gefahr aufmerksam gemacht worden. Die letzte Bemerkung aber machte ihn doch stutzig, denn sie deckte sich mit seinen eigenen Beobachtungen.

Darum also hatte Isaak sein ganzes Vieh auf der Werft versammelt! Und darum die Frechheit!

Je mehr er darüber nachdachte und die Ereignisse der letzten Tage mit den Nachrichten der Bergdamara verglich, umsomehr kam er zu der Überzeugung, daß die trüben Ahnungen, die er die ganze letzte Zeit über nicht los geworden war, nur allzu viel Berechtigung gehabt hatten und daß der Ausbruch eines großen Hereroaufstandes jetzt wirklich nahe bevorstehe.

Was war zu tun? – Sollte er trotzdem seinen Ritt zur Station ausführen, dort von dem, was er gesehen und gehört hatte, Mitteilung machen und so vielleicht noch im letzten Augenblick verhindern, daß unübersehbares Unglück über die Kolonie kam, die den Frieden so nötig gebrauchte? Oder war es jetzt nicht vielmehr seine Pflicht, schleunigst zu den Seinen zurückzukehren, sie so lange als möglich zu verteidigen und, wenn es nicht anders sein sollte, mit ihnen zu sterben?

Nach kurzem Überlegen entschloß er sich doch dazu, zur Station zu reiten.

Noch war der Aufstand ja nicht ausgebrochen, sagte er sich. Noch war es möglicherweise sogar Zeit, ihn zu verhindern! – Und was hätte er allein ausrichten können, wenn Hunderte von Herero, vielleicht mit Gewehren bewaffnet, seinen Hof angriffen? Denn an eine Flucht vorher war bei der Lage des Gehöftes gar nicht zu denken. – Nein! Ganz abgesehen von dem Dienste, den er vielleicht der Allgemeinheit leisten konnte, war es für ihn selbst und die Seinen zweckmäßiger, die Station aufzusuchen und morgen mit einer zum Schutz ausreichenden Abteilung Reiter nach Mariendorf zurückzukehren. Bis dahin würde Kaspar sich im schlimmsten Falle auch wohl halten können.

Vorwärts also zur Station – so schnell als möglich!

Ohne die Damara weiter zu beachten, schwang er sich auf das Pferd und sprengte davon.

Der Weg wurde schlechter. Der Sand hörte auf, wildes Geröll trat an seine Stelle. Oft wußte das wackere Tier nicht, wohin es treten sollte, und in instinktiver Vorsicht suchte es die Gangart zu mäßigen.

Aber der Reiter konnte ihm jetzt keine Schonung angedeihen lassen. Zu viel stand auf dem Spiele. Unbarmherzig drückte er dem Pferde die Sporen in die Weichen, und weiter ging es in tollem Ritt.

Nach einer Weile bog die Schlucht nach Süden ab. Es hieß also wieder die steile Wand hinaufklettern und über die Höhe hinweg dem nächsten Tale zuwandern, das nach Osten weiter führte.

Aber diesmal konnte er wenigstens von der Werft aus nicht mehr gesehen werden, die nun bereits stundenweit hinter ihm lag. Er konnte also auch auf der Höhe Trab reiten, und da der Kamm ziemlich breit und der Weg leidlich gut war, kam er ein tüchtiges Stück vorwärts.

Endlich hatte er den Rand der nächsten Schlucht erreicht, und nun konnte man in der Ferne schon die Schienen der Eisenbahnstrecke in der Sonne blinken sehen. Wenn man diese erreicht hatte, war es nur noch eine kleine Stunde glatten Wegs bis zur Station. – »Dem Himmel sei dank! Das Schlimmste wäre überstanden!« dachte Herr Lerse, indem er vom Pferde sprang, um das schweißbedeckte, aber noch ziemlich frische Tier den Abhang hinab zu führen.

Wieder ging es ein große Strecke munter fort. Bald zeigte es sich zwar, daß es hier neuerdings heftig geregnet haben müsse; denn hie und da standen noch ansehnliche Tümpel. Aber das Pferd, dem die Abkühlung offenbar willkommen war, nahm die Wasserflecken ohne Widerstreben an.

So waren sie etwa bis in die Mitte des Tales gekommen, als Herr Lerse aus der Ferne Schüsse zu hören meinte.

Überrascht hielt er an.

»Wer kann denn hier schießen?« dachte er. »Bis zur Station sind doch immerhin noch zwei Reitstunden?«

Aber geschossen wurde, das war kein Zweifel, und zwar offenbar von einer ganzen Abteilung. Bumm! hallte es in der Kluft wider. Bumm! – – Bumm! – – Erst vereinzelt, aber dann schneller und schneller hintereinander, und schließlich klang es wie eine ganze Salve, allerdings eine so wenig geordnete, daß sie unmöglich von einer geübten Truppe abgegeben worden sein konnte.

»Wenn das wirklich Herero wären, die sich im Schießen üben!« dachte Herr Lerse. Und so sehr er sich auch dagegen sträubte, es wirklich zu glauben – es blieb eigentlich gar nichts weiter übrig. – Jedenfalls war es unmöglich, jetzt einfach weiter zu reiten – vielleicht mitten in die blutdürstigen Feinde hinein, die ihn ohne Umstände niedermachen würden.

Gewißheit aber mußte man auf alle Fälle haben. – Also hinauf auf die Höhe! … An eine Stelle, wo man wenigstens sehen konnte, was da unten vorging.

Aber die Felswände waren hier zu beiden Seiten wohl an die hundert Meter hoch und so steil, daß es selbst für den geübtesten Kletterer kaum möglich gewesen wäre, hinauf zu gelangen. – Für ein Pferd aber war es ausgeschlossen.

Erst nach längerem Suchen fand sich ein kleines Seitental, von dem aus man die Kletterei wagen konnte.

Lange sträubte sich das mittlerweile ermüdete Pferd. Aber mit unermüdlicher Kraft schob Herr Lerse es förmlich hinauf und erreichte so schließlich die Höhe. In unübersehbarer Ausdehnung lag hier der Buschwald vor ihm.

Vorsichtig führte er nun das Tier zwischen den Dornbüschen weiter. Oft mußte er sich mit dem Messer den Weg bahnen, wenn die stachligen Äste gar zu dicht aneinander standen. Allerhand Getier scheuchte er hierbei aus seiner Ruhe. Mit ängstlichem Geschrei flogen die Perlhühner auf, dicht neben ihm sprang eine Wildkatze in das Gebüsch und zischend fuhren einmal zwei Schlangen an ihm vorbei, die er in ihrem Neste aufgestöbert hatte.

Aber ohne sich darum zu kümmern, arbeitete er sich weiter, immer dicht am Rande der Schlucht hin, aus der immer drohender das Dröhnen der Schüsse zu ihm heraufdrang.

Näher und näher klangen sie, und endlich war er so nahe herangekommen, daß er zwischen den einzelnen Schüssen auch das Geschrei der Schützen hören konnte.

Es waren unverkennbar Laute der Bantusprache, und nun war kaum noch ein Zweifel mehr, daß es Herero waren.

Aber noch immer wollte Herr Lerse das Schreckliche nicht glauben. Mit eigenen Augen mußte er sie sehen, koste es was es wolle!

Rasch band er sein Pferd an einen Dornbusch und kroch vorsichtig durch das Gestrüpp bis zum äußersten Rande der Schlucht vor, und nun sah er das Entsetzliche: Ein Haufen von etwa fünfzig Hererokrieger waren da unten versammelt. Unter Leitung eines ihm unbekannten Häuptlings übten sie sich im Schießen. Etwa hundert Schritte weiter oben im Talgrund waren aus Steinen mannshohe Ziele aufgerichtet. Nach diesen knallten sie mit unermüdlichem Eifer und wildem Geschrei.

»Achtung! … Legt an! … Füer!« klang die Stimme des Häuptlings, der wie ein Toller herumlief und – die von der Schutztruppe aufgeschnappten Kommandos nachahmend – sich schon ganz heiser geschrieen hatte.

Aber die Leute kümmerten sich nicht viel darum, und Bumm! – – Bumm! knallte es, daß einem Hören und Sehen vergehen konnte.

Eine Weile beobachtete sie Herr Lerse.

Da sah er aus einem Seitentale einen Reiter angesprengt kommen. – In der Nähe der Schützen, wo die Pferde von Knaben gehalten wurden, sprang er ab und lief in großer Hast zu dem Kapitän. – Offenbar überbrachte er eine Meldung; denn die beiden gerieten gleich darauf in eine sehr lebhafte Auseinandersetzung.

Bei dem unaufhörlichen Geknatter war jedoch nicht zu verstehen, was sie sprachen, bis Herr Lerse plötzlich den Namen »Isaak« zu hören meinte. – Und nun erkannte er auch den Mann. – Es war niemand anderes als der pockennarbige Mensch, der ihm heute nacht aus dem Holzstall entwischt war.

»Der Viehdieb!« dachte Herr Lerse. – Aber im nächsten Augenblick fuhr er entsetzt zusammen.

Auch der Pockennarbige schien ihn erkannt zu haben; denn er zeigte plötzlich laut schreiend nach oben.

Im nächsten Augenblick klatschten auch schon die Kugeln rings um Herrn Lerse her gegen das Gestein, und ein wildes Geschrei drang aus der Kluft herauf: »Ein Weißer. – Ein Spion! … Schießt! … Schlagt ihn tot!«

Rasch kroch Herr Lerse in das Gebüsch zurück, sprang auf und eilte zu seinem Pferde.

Jetzt nur so bald als möglich aus dem Buschwald heraus! – Wenn sie ihn hier im Busch umstellten, war er verloren.

Er schwang sich aufs Pferd und stellte sich in die Steigbügel. – Wo war am schnellsten der Rand des Waldes zu erreichen? … Nach Osten – – kein Ende abzusehen! … Und auch im Norden reichte er wohl bis an den Höhenzug heran, der in der Ferne den Horizont begrenzte.

Zurück also nach dem kleinen Seitental! Vielleicht gelang es, von dort aus zu den nördlichen Bergen zu gelangen, hinter denen die Bahnstrecke liegen mußte. Sie führte ja in dieser Gegend nach Osten und schlug erst bei der Station die Richtung nach Süden ein.

Aber schnell! Schnell! Denn sicher würden auch die Herero versuchen, von dort aus an ihn heran zu kommen.

Die zolllangen Dornen zerrissen ihm die Kleider. Seine Hände bluteten aus zahlreichen Rißwunden. Das arme Pferd litt nicht weniger unter dem furchtbaren Wege. – Aber hier gab es keinen Aufenthalt! – – Vorwärts mußten sie, – hinaus aus dem Buschwald, so rasch als möglich!

Endlich begann das Gebüsch sich zu lichten; noch wenige Minuten, der Rand der Schlucht war erreicht.

Aber halt! Wenn jetzt die Herero schon unten waren? Noch einmal ließ er das Pferd zurück und schlich sich allein nach dem Abhang vor.

Hier war die Luft noch rein.

Einen Augenblick lauschte er. – – Nichts war zu hören. Aber auch das Schießen hatte aufgehört. Offenbar hatte sich die Gesellschaft aufgemacht, um ihn zu verfolgen.

Doch Herr Lerse verlor den Mut nicht. Das Tal war noch frei: das war die Hauptsache! Hinunter also!

Rasch suchte er nach einer Stelle zum Abstieg. Er fand sie bald; glücklicherweise war das Tal hier nicht allzu tief und der Abhang leidlich gangbar.

Er holte also sein Pferd, führte es vorsichtig, aber so schnell als möglich hinab und hatte eben den letzten Felsenvorsprung erreicht, als er hinter sich das Geschrei der Verfolger hörte.

Er sah sich um. Fünf Reiter waren eben im Begriff, in die Schlucht einzubiegen, stutzten aber, als sie das Tal leer fanden; denn glücklicherweise erhob sich neben Herrn Lerse eine Felsschroffe, die ihn fast gänzlich verdeckte.

Ohne Besinnen sprang er nun vollends hinab, riß das widerstrebende Pferd nach, schwang sich in den Sattel und sprengte davon.

»Wenn sie dich jetzt auch sehen,« dachte er, »es sind immerhin an fünfhundert Schritt Vorsprung, und Gott wird schon weiter helfen!«

Und noch schien die Deckung wirksam zu sein; von den Verfolgern war nichts zu hören. Endlich jedoch schienen sie ihn bemerkt zu haben. Sie erhoben ein fürchterliches Geschrei und begannen zu schießen.

Den Revolver schußbereit in der Rechten, den Oberkörper weit über den Hals des Pferdes vorgebeugt, das die Gefahr zu ahnen schien und in gestrecktem Galopp über den steinigen Grund fortsauste, jagte Herr Lerse das Tal hinan.

Er sah sich nicht um. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Weg und auf sein Pferd gerichtet. – Wenn das brave Tier jetzt einen Fehltritt tat, waren sie beide verloren. – Aber er war nicht umsonst in Weißenfels Husar gewesen. Er hatte reiten gelernt. Sicher leitete er das Pferd über alle Fährlichkeiten hinweg, und so vertraute auch das Pferd sich willig seiner Führung an.

Doch auch die Herero verstanden zu reiten, und plötzlich hörte er sie wieder, und – wahrhaftig! – der Abstand war geringer geworden!

»Die Burschen scheinen Kap-Pferde zu haben!« dachte Herr Lerse und versuchte seinen kleinen Eingeborenen zu noch größerer Eile anzutreiben. Aber das Tier war an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angelangt. Wenn man allzu viel von ihm verlangte, mußte es schließlich zusammenbrechen, und dann war alles aus. So ließ er es denn laufen, wie es wollte. Schließlich würden ja wohl auch die Hereropferde nachlassen!

Aber in dieser Hoffnung sah er sich getäuscht. Näher und näher kam das Getrappel und das wüste Geschrei, mit dem die Verfolger ihre Rosse antrieben.

Bald sah Herr Lerse ein, daß nur noch die Waffe ihn würde retten können.

In wildem Grimm umklammerte er den Schaft seines Revolvers. Leichten Kaufes sollten sie ihn nicht haben!

siehe bildunterschrift

In gestrecktem Galopp jagte Herr Lerse das Tal hinan.

Das Tal fing jetzt an sich allmählich zu erweitern. Auch die Steine hörten auf. Frisches Grün bedeckte statt ihrer an einzelnen Stellen den Grund. Jetzt war die Bahn glatt. Man hatte wenigstens die Möglichkeit, sich einmal umzuschauen.

»Hurra!« Nur zwei Mann waren im stande gewesen, zu folgen! Kaum hundert Schritte waren sie hinter ihm. Noch wenige Minuten – dann mußten sie ihn eingeholt haben. Aber mit denen wollte er schon fertig werden!

Und wirklich, näher und näher kamen die beiden Schlapphutträger.

»Halt! … Fangt ihn! Faßt ihn! … Hui! … Hui!« klang ihr Geschrei.

Aber noch hielt Herr Lerse die Zeit nicht für gekommen, sich ihnen entgegenzustellen, um im Kampf sein letztes Heil zu versuchen. Wenn auch die anderen zurückgeblieben waren, durfte man ihnen doch keine Zeit lassen, ebenfalls noch heran zu kommen. Fünf gegen einen; die Übermacht wäre doch zu groß gewesen! Vorwärts also, so lange es irgend möglich war.

Doch bald setzte die Natur selbst der Flucht ein Ziel.

Das Tal war zu Ende. – Noch wenige tausend Schritt, dann stiegen die schroffen Felswände steil vor ihm in die Höhe.

Hier gab es kein Entrinnen mehr. Nur noch Kampf auf Tod und Leben.

Und dicht hinter ihm heulten die beiden schon in wildem Siegesjubel.

Sollte er ihnen jetzt Zeit lassen, zuerst zu schießen? Nein!

Mit jähem Ruck riß er sein Pferd herum, streckte den Revolver vor sich hin und erwartete so das Herankommen der Feinde.

Ein paar Augenblicke noch, dann sauste der erste heran. Er hatte noch nicht Zeit gefunden, sein Pferd anzuhalten. Mit lautem Gebrüll kam er daher.

Ruhig zielte Herr Lerse.

Jetzt hatte er ihn im Korn. – Er drückte ab. – Hoch bäumte sich das Pferd, so daß der Herero mit gewaltigem Ruck vornüber flog.

War er getroffen?

Herr Lerse hatte keine Zeit, sich danach umzusehen; denn schon nahte der zweite, der sein Pferd parierte, flink die Büchse anlegte und schoß.

Herr Lerse hörte die Kugel dicht an seinem Ohr vorüberpfeifen. Zitternd sprang sein Pferd zur Seite, so daß er den eigenen Anschlag verlor.

»Wart nur!« rief er vor sich hin und legte aufs neue an.

Aber kaum hatte der Herero gesehen, daß seine Kugel fehlgegangen war und daß es ihm im nächsten Augenblick ebenso ergehen würde wie seinem Kameraden, als er sein Pferd wandte und mit verhängten Zügeln talabwärts davon jagte, mit lautem Geschrei bemüht, die zurückgebliebenen Genossen herbeizurufen.

»Jetzt gilt's!« dachte Herr Lerse. »Ehe sie da sind, muß die Höhe erreicht sein!«

Ohne sich um den anderen, der, offenbar schwer verwundet, neben seinem Pferde zu Boden gesunken war, weiter zu bekümmern, suchte er nach einem Aufstieg.

Glücklicherweise hatten die Felsen schlimmer ausgesehen, als es in Wirklichkeit war. Das ausgewaschene Gestein bildete an einer Stelle förmliche Stufen, und hier gelangten sie bald glücklich nach oben auf eine steinige Hochfläche. Langsam stieg sie zu dem Höhenzug auf, den man vorhin aus der Ferne gesehen hatte. – Hinter ihm mußte die Eisenbahn liegen!

Noch einmal sah sich Herr Lerse um. – – Nichts war mehr von den Verfolgern zu sehen. – Er war gerettet! …

Aufatmend klopfte er seinem braven Rosse den Hals, gab ihm etwas Brot, zog den Sattelgurt an, der sich bei dem tollen Ritt gelockert hatte, stieg wieder auf und ritt, sich und dem Tiere Erholung gönnend, langsam weiter.

Während er so dahinritt, schweiften seine Gedanken nach Marienhof zu den Seinen hinüber. – – Wie mochte es ihnen ergehen? – – Die Ankunft des Pockennarbigen ließ keinen Zweifel mehr, daß auch Isaaks Werft schon in Aufruhr war. Wie hatte dieser Mensch und die ganze Gesellschaft ihn gestern zu täuschen gewußt! Aber wenn nun der offene Aufstand ausbrach, mußte sich die entfesselte Wut nicht zuerst gegen Marienhof entladen? – In Gedanken sah er die wilde Horde schon heranziehen – sie stürmten das Gehöft – es ging in Flammen auf. In entsetzlichen Bildern malte er sich die schreckliche Lage der Seinen aus.

Aber plötzlich schloß er die Augen, und seine Hände krampften sich zusammen. – – Los von diesen schrecklichen Vorstellungen! – Was halfen sie jetzt? – Vorwärts! Vorwärts!

Dabei hatte er, ohne es zu wollen, das brave Pferd längst schon wieder in Trab gesetzt, obwohl der Weg ziemlich stark den Berg hinan führte.

Und jetzt kam es ihm erst zum Bewußtsein, daß der Tag schon zur Neige ging. Noch ragte die Sonne zwar über die Gebirgskämme empor. Aber wie lange noch? – In einer Stunde höchstens mußte die Dämmerung da sein, die so kurz ist unter diesem Himmelsstriche und so gefährlich für den Wanderer, der in der Wildnis nicht genau Bescheid weiß.

Das wackere Pferd, das nur mit Mühe noch im Trab zu erhalten war, tat ihm leid. Aber es half nichts. Wieder setzte er die Sporen ein, und mit Aufbietung der letzten Kräfte gehorchte das brave Tier.

In flotter Gangart ging es unausgesetzt weiter, und schon war der Kamm des Höhenzuges nahezu erreicht, als Herr Lerse aus ziemlicher Nähe Pferdegetrappel zu hören meinte.

Erschreckt hielt er einen Augenblick inne. – Sollten die Herero am Ende den Buschwald von der anderen Seite umgangen haben, um ihm hier doch noch den Weg zu verlegen? Sollte die Hetzerei noch einmal losgehen – mit dem ausgepumpten Tier, das dem Zusammenbrechen nahe war?

Die Bestätigung dieser bösen Vermutung sollte nicht lange auf sich warten lassen.

Kaum hatte er die Höhe erreicht, als er, höchstens zweihundert Schritt entfernt, hinter einem Bergkegel, der den Gebirgskamm überragte und einen weiten Ausblick gestattete, die Schlapphüte erblickte, und zwar diesmal nicht nur fünf, sondern eine große Schar, während von unten her noch andere angesprengt kamen. – Noch hatten sie ihn nicht bemerkt. Aber im nächsten Augenblicke mußten sie ihn sehen, und dann war ein Entrinnen kaum noch denkbar.

Da gab es keine Wahl.

Noch einmal suchte er das ermüdete Pferd anzutreiben, und wirklich legte das brave Tier nun, da es wenigstens bergab ging, wacker aus. Sie gewannen einen ziemlichen Vorsprung.

Aber endlich wurden die Verfolger doch aufmerksam. Ein schriller Pfiff – und wieder begann das tolle Jagen.

Aber auch diesmal schien das Glück Herrn Lerse günstig sein zu wollen.

In nicht allzu weiter Entfernung sah er vor sich einen Buschwald liegen. Wenn er zu dem gelangen konnte, ehe die Feinde heran waren!

Die Dämmerung kam jetzt mit Macht. – Ja, im Buschwald würden sie ihn nicht mehr finden.

Er sprengte weiter. – Schon sah er den Rand des Buschwalds auf wenige hundert Schritt vor sich liegen. – Da – entsetzlich! … War das nicht eine Schlucht, die sich dicht vor dem Rande des Waldes öffnete? … Wahrhaftig! … Ganz unvermittelt ging es wohl an zwanzig Meter tief hinab – mit fast senkrechten Wänden, die kein menschlicher Fuß zu erklettern im stande war.

Was nun?

Einen Augenblick überlegte er. – Aber dann kam ihm plötzlich der kühne Gedanke, den Sprung in die furchtbare Tiefe zu wagen.

Was blieb denn auch sonst weiter übrig? – In wenigen Augenblicken waren die Herero heran. Ein Kampf mit solcher Übermacht war aussichtslos. – Hier oben war er auf alle Fälle verloren.

Ahnungslos lief das Pferd weiter. Aber plötzlich prallte es mit lautem Wiehern zurück. Hart am Rande des Abgrunds hatte es die Gefahr entdeckt, und hoch aufbäumend weigerte es sich, seinem tollkühnen Reiter zu gehorchen.

Auf diesen Augenblick schielten die Herero nur gewartet zu haben. Sie hatten ja gewusst: hier war der Flüchtling ihnen sicher. Mit höhnischen Zurufen und wildem Siegesgeheul kamen sie heran und schossen schon aus der Ferne ihre Flinten ab. – »Vorwärts! Vorwärts!« schrie Herr Lerse, in verzweifeltem Bemühen, sein Pferd wieder in die Gewalt zu bekommen.

Es blieb widerspenstig … Und immer näher kamen die Feinde.

»Nun denn, so möge Gott mir helfen!« rief Herr Lerse und wollte eben aus dem Sattel, um allein den rettenden Sprung zu wagen. – Da – plötzlich – sprang das Tier, von einer Kugel getroffen, sich aufbäumend vorwärts und sauste im nächsten Augenblick mit seinem Reiter in die schauerliche Tiefe hinab. –


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