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8.

Lieber als des Hofrats Lehren
War mir stets der Schläger Klang.
Wer wird eitle Worte hören,
Den der Burschengeist durchdrang?


Die Weihnachtsferien sind zu Ende, und die Umgebung der Hochschulen, der Graben und andere Orte der Pragerstadt, wo gewöhnlich deutsche Studenten verkehren, nehmen ihr gewöhnliches Aussehen wieder an; die farbigen Mützen tauchen wieder in voller Zahl auf, die Buden füllen sich, und alles ist wieder im alten Geleise.

Maier kommt einige Tage später, aber als er die Stiege hinaufgeht, kommt Ritter schon aus seiner Bude und fuchtelt lachend in der Luft herum, als wollte er einem unsichtbaren Gegner ein paar prächtige über die Frontseite legen.

»Heil Dir, Hunn! Ich komme Dir bei Gelegenheit eins …Den Kerl wirst Du mir aber scheußlich abstechen, hörst Du?«

»Wen?« Maier kommt nicht gleich der Einfall, was Ritter mit seinen Herumsuchen und seinen Reden meinen könnte; er hat die letzten Tage über gar nicht mehr an die dumme Geschichte gedacht, sondern lediglich Zukunftspläne geschmiedet.

»Wen?« lacht Ritter schallend auf. »Mir schein, Du weißt gar nicht, was los ist. Hast Du denn da einen derartigen Affen gehabt? … Die Karolen haben anfragen lassen, wann sich Barths Vertreter mit den Deinen treffen könnten.«

»Ja so! Das kann bald geschehen.« …

»Was hast Du den mit diesem … Juristen gehabt?«

»Jetzt lasse mich nur zuerst verschnaufen; bei Gelegenheit folgt ganz gründliche und ausführliche Berichterstattung.«

»Gut« …

Als man abends auf die Bude kommt, gebärdet sich der ganze Fuchsstall fast wie toll. Man beglückwünscht, lacht, strampelt, heult und fuchtelt mit den Armen in der Luft herum, und Köhler und Schröder bieten sich gleich selbst als Vertreter und Zeugen an.

»Den Kerl hackst Du mir zu Krenfleisch!« fordert Hacker.

»Es ist zu dumm«, brummt Maier. »Sich mit so einem … einem Menschen herumbalgen zu müssen … Zu dumm einfach.«

»Fürchtest Du Dich etwa gar?« reizt Köhler absichtlich.

»Unsinn! Fürchten! Wer redet denn davon. Aber zu dumm ist es. Wenn ich hätte raufen wollen, hätte ich ihm gleich ein paar hinter die Ohren legen können oder ihm einen Maßkrug auf den Kopf setzen, wie solches unsere Bauernknechte tun. Und schließlich kommt's doch auf ein und dasselbe hinaus.«

»Man darf sich grundsätzlich nichts gefallen lassen, und man muss jedem den richtigen Standpunkt klarlegen«, belehrt Werner. »So eine Art Frechdachs scheint dieser Barth schon zu sein. Was habt ihr denn eigentlich gehabt mitsammen?«

Maier erzählt den Vorgang, wie er sich eingeleitet und abgespielt, nur verschweigt er, dass er sich ein paar Tage nachher mit dieser Liesel so gut wie verlobt hat. Es sind wohl erst ganz unverbindliche Abmachungen getroffen, es ist vorläufig nur vereinbart, dass die Liesel auf einige Zeit nach Wien muss, um »einen Schliff« und dergleichen zu bekommen, dass der Hagsteiner das für die Prüfungen und Einrichtung nötige Geld einstweilen zu vier vom Hundert leiht und dass soweit noch jedes tun und lassen könne, was ihm behagt und gefällt, aber es besteht immerhin so eine Art Übereinkommen, dem ohne besondere Gründe nicht auszuweichen ist.

»Da hast Du vollständig recht gehabt«, lobt Breit. »Jetzt heißt's halt: Dich gehörig einpauken!«

»Also gleich mal her und losgedroschen!« rät Werner und geht zum Paukkasten, das nötige Zeug zu holen.

Man legt sich das Paukzeug um, setzt den sogenannten Stierkopf auf und fängt an, und Hieb und Parade klirren nur so durch den Raum. Dazwischen klatscht aber auch mancher auf das blanke Lederzeug, und prickelnde Witze und schallendes Lachen folgen so einem Klatscher auf der Ferse.

Aller Augen sind auf die beiden Paukanten gerichtet, und nur Oskar Winter, der Rodensteiner sitzt ganz in der Ecke hinten, säuft wie ein Loch und stiert zumeist ganz ziel- und zwecklos ins Leere.

»Wo hast Dir den Du heute Deinen Durst geholt?« neckt Schröder einmal, das er den Kommilitonen so von ungefähr betrachtet und für das sonderbare Gehaben desselben keinen andern Grund zu finden vermag, als dass er sich irgendwo ein paar Glas zu viel über den Magen gelegt.

»Ich? Mich meinst Du?« fährt Winter herum wie aus gelinden Träumen ermuntert.

»Ganz gewiss.«

»Meinst Du, man müsse sich seinen Durst erst irgendwo holen?« lacht Winter hart auf. »Man löscht ihn, aber man holt ihn nicht eigens. Verstanden?«

»Sehr wohl.«

»Es wird ihm halt das Christkind abscheulich viel Moos bescheret haben«, mutmaßt Köhler. »Und das muss eben …«

Ein schriller Ton gellt durch den Raum, wie der Klang einer gesprungene Metallsaite, und schon im nächsten Augenblick prallt etwas an die Wand und klirrt auf den Tisch nieder – eine gebrochene Klinge.

»Kinder! Ihr werdet ungemütlich«, schreit Träger. »Nehmt doch auch auf die p. t. Publikümer einige kleinere Rücksichten! Da könnte einer auf die schönste Weise zu einem Loch im Schädel kommen.«

»Wenn unser Hunne so schlägt, gehört der Karole der Katz«, weissagt Ritter.

Und unter allgemeinem Gelächter steigt Ritter hinein.

So geht es fort, bis Zeit zum Aufbruche ist …

Zwei Tage später finden sich Köhler und Schröder im Restaurant Gürtler ein, um mit Barths Vertretern die Sache regelrecht zu vereinbaren.

Mit einer Wichtigkeit, die einer ungleich welterschütternden Sache würdig wäre, wird das übliche Schriftstück verfasst und unterfertigt.

»Protokoll, aufgenommen im Restaurant Gürtler am so und so vielten Jänner 1904. Gegenstand ist die Ehrenangelegenheit zwischen dem Herrn stud. Jur. Karl Barth und dem Herrn stud. Med. Melcher Maier. Die Sekundanten einigen sich über nachstehende Bedingungen: Schläger, Paukzeit fünf, bei Erfolglosigkeit zehn Minuten; Ort: Gasthaus »U šestaku«; Zeit: 20. Jänner 2 h. p. Prag am so und so vielten. Geschlossen und gefertigt von den Herrn: Für Karl Barth: stud. Techn. Leopold Reißer, stud. Phil. Wenzl Benhak; für Melcher Maier: stud. Jur. Eduard Köhler, stud. neophil. Michel Schröder.«

So! Damit wäre die Angelegenheit vorläufig erledigt.

»Barth hat eine ziemlich gute Faust«, lächelt Herr Benhak. »Da dürfte eurem Fuchsen wohl einen Schmiss blühen.«

»Was liegt daran?« gibt Schröder achselzuckend darauf. »Der hat die Haut groß genug, dass ein Schmiss Platz findet darinnen.«

Sie begeben sich zu Maier, um den von den getroffenen Vereinbarungen in Kenntnis zu setzen.

»Die Karolen sind partout auf Schläger bestanden«, erzählt Köhler, »weil erstens die Burschenschaften mit Schläger losgehen und zweitens Barth der Beleidigte sein will.«

»Mir ist der Schläger ohnehin lieber«, erklärt Maier. »Ich kann, offen gestanden, dem Säbelfechten nicht sonderlich viel Geschmack abgewinnen. Das Zurückweichen, das Lauern und tückische Vorspringen mutet mich so undeutsch an wie nur etwas. Schläger! Da steh' ich als Mann und weiche keinen Schritt. Und wenn ich einen abbekomme, hab' ich ihn eben. Das dünkt mich deutsche Art.«

»Du bist aber mit Schläger etwas im Nachteile.«

»Ach was! Ich werde zuschlagen, wie wenn ich auf der Tenne stände.«

»Blech!« rügt Köhler hastig. »Fein und elegant muss einer schlagen … Sst!« macht er es und führt die vorgestreckte Faust so, als ob er den Schläger oder den Säbel in derselben hielte und eine zierliche Hochquart schlüge. »Mit grobem, unkommentmäßigen Zuschlagen macht sich einer nur lächerlich … Gehen tut es freilich, wie folgendes Exempel beweist … Ich muss heute noch lachen, wenn ich an die Hauptperson denke … Hatte vor einigen Jahren ein Thessale und ein ganz kleiner Jude eine Kontahage, und der Jude war im Schlagen ebenso klein wie an Körpermasse, und dazu noch ein bisschen waffenscheu …«

»Wie alle Juden«, wirft Ritter ein, aber Köhler wehrt hastig zurück.

»Nur nichts verallgemeinern, Fuchs! Gerade der gegenwärtig am meisten zerschlagene Student in Prag ist ein Jude … Also weiter! Was tun? Kneifen ließ man ihm nicht hingehen, und der kleine Mann wurde so lange drangsaliert, mit einem großen Schläger in die Mensur zu steigen, bis er nachgab. Aber man erteilte ihm den wohlmeinenden Rat: »Mach' die Augen zu und haue, was und wie du kannst!« Und das Männchen befolgte den Rat und stach den Thessalen schauderhaft ab … Wie gesagt: Et jinge wohl, aber et jeht denn doch nich. Elegant muss geschlagen werden, das fordert und heischt schon die Ehre der Verbindung.«

Und Maier nimmt sich vor, elegant und fein zu schlagen, dabei aber so wuchtig und derb, wie es ein echter Hinterwäldler in der Faust hat.

Allabendlich wird die größte Mühe und Sorgfalt aufgewendet, ihn gehörig einzupauken und ihm die speziellen Kniffe und Finten der Asgardia beizubringen, und am Vorabend des zwanzigsten Jänners erklärt Werner, dass er mit jedwedem antreten könne. Sein Arm hätte Behändigkeit und sein Auge klares Vorsehen gelernt; er kenne alle Schläge und Paraden, und die Kraft seiner Flechsen ersetzte monatelanges Üben.

So geht man den am bestimmten Tage los.

Köhler hat sich, wie so manches Mal vorher schon um das Kolleg herumgedrückt und ist bei Jirak gewesen, seine »Angelegenheit« mit heroischer Überwindung aller Furcht vor den voraussichtlich kommenden Unangenehmlichkeiten in ein anderes Geleis zu drängen.

Er hat sich wochenlang starrköpfig und beharrlich mit dem Gedanken getragen, sich von Jirak in eine »gute Partie« hetzen und lotsen zu lassen und dann zu tun, was ihm behagt, aber nach und nach hat doch die klare Vernunft sich die Überhand erstritten, zumal jede der ihm zugedachten »besseren« Hälften derart gewesen, dass er sich schon bei oberflächlichem Kennenlernen gestanden, er wünschte sie seinem ärgsten Feinde nicht. Moos wäre freilich entsetzlich viel zu bekommen gewesen, aber … Nein; den Kopf wird es nicht kosten, wenn der verhasste Stiefvater zahlen muss und vorher mal in seiner gewohnten brauburschenhaften Weise Krakehl und Zeter schlägt. Wenn dieses Stündlein vorüber, ist er doch wieder frei und niemandes Sklave.

So ist er den zu Jirak gegangen und hat dem kurzerhand eröffnet, er möchte die Güte haben, seinem – Köhlers – Stiefvater von seinem – Jiraks – Geldbedürfnisse Mitteilung machen. Das wäre immerhin der kürzeste Weg.

Pan Jirak hat wohl gescholten und gewettert, aber er hat sich nur etwas geschüttelt und ist seiner Wege gestiegen.

Beim Mittagessen ist er wieder einmal schier ausgelassen heiter, wie er solches schon lange nimmer gewesen.

»Merkt auf, Füchslein!« erzählt er, als er Gabel und Messer weglegt. »Jetzt wird's einmal in Mitteleuropa einen schauderhaften Krach geben.«

»Wieso?« fragt Ritter gleichmütig und sieht kaum von seinem Teller auf. »Wollen sich etwa noch zwei Mächte an den Kragen?«

»Das weniger; aber in unferner Zeit dürfte mit mein Alter auf die Bude steigen und Zeter und Mordjo schreien und fluchen und toben wie … wie halt ein Bräubursche … Ich habe nämlich Jirak den weisen Rat gegeben, seine »Partien« in Seidenpapier zu wickeln und dafür meinem Alten um das nötige Moos zu schreiben.«

»Das denkbar Vernünftigste«, nickt Maier. »Das habe ich Dir doch gleich geraten.«

»Das wenn vorüber ist, Kinder, dann trinken wir mal eine steife mitsammen, eine extra steife.«

»Gut.«

»Also: Los gehthe!« ahmt er beim Aufstehen das Prager Deutsch nach, von dem die Prager behaupten, es wäre das reinste Deutsch. »Werft euch in Wichs! Um zwei h. p. heißt's: Antreten! … Aber wie gesagt, Maier: Nur fein und elegant!« …

Das Gasthaus »U šestaku« ist ein ganz gewöhnlicher oder gemeiner »Vyèep« Bierausschank. im Gässchengewirre der Altstadt, wo in der Regel nur Arbeiter und kleine Leute verkehren und wo man die ganze Zeit über kein einziges deutsches Wort vernimmt. Solide Kleinbürger der Umgegend trinken dort ihr Gläschen Bier, politisieren und schimpfen über die »gottverfluchten Deutschen«, die lediglich das Hindernis sind, dass das schön Reich der Wenzelskrone noch nicht ganz und völlig tschechisiert ist, über die Juden, die mitunter auch mit den Deutschen halten, solange sie sich davon mehr Vorteil versprechen, und über dies und jenes, was halt gerade einen Prager Spieß- und Pfahlbürger zum Schimpfen und Lästern reizen kann. Arbeiter sitzen dort und trachten, die im Getriebe der Großstadt abgenutzten und verbrauchten Kräfte mit Bier und Schnaps wieder aufzufrischen, und ahnen nicht, dass sie auf solche Weise dem Teufel mit Belzebub beikommen wollen, zweifelhafte Elemente mit mehr oder minder fragwürdiger Existenz, Leute, die schon hart nahe an der Gemarkung stehen, von wo es abwärts zu gehen beginnt, und Geschöpfe, die fast schon ganz unten angekommen und vom Ebenbilde Gottes nur mehr das Äußere und ein ganz verschrumpftes und zusammengedorrtes Keimchen im Herzen haben – ein buntes Gemisch und Gemenge, sie solche jede Großstadt züchtet und beherbergt … Aber was schert sich Pan Arnoscht Stajgr um die in- oder auswendige Beschaffenheit der Gäste? Die Hauptsache ist, dass das Geschäft geht, trinkt das Bier wer immer, und kommt das Geld, woher es kommen mag. Damit steht er auf dem Grundsatze der Prager Geschäftsleute … Wenn die tschechischen Bierbankpolitiker recht schimpfen und wettern über die Deutschen, vermisst er sich, deren gleich ein halbes Dutzend zum Gabelfrühstücke mit Haut und Haaren aufzuzehren, und wenn die deutschen Studenten kommen und nachfragen, ob sie wohl im »Extrazimmer« eine Mensur austragen könnten, gibt er zu verstehen, dass sein Großvater noch ein klar Deutscher gewesen und mit seinem richtigen Namen Steiger geheißen, und dass er deshalb »zweisprachig« wäre, weil man heutzutage ohne diese Tugend in Prag nicht auskommen und ein Geschäft betreiben könne. Für blankes, bares Geld könne man in seinem »Extrazimmer« aufeinander loshacken, so viel dessen gefällig wäre, und damit niemand auf die Spur käme, ließe er im Schankzimmer das Polyphon so lange spielen, bis man des Schlagens genug habe, aber – »Polyphon ist Automat und spielte nur, wenn wirftme allemal Schestak Sechser, Zwanzighellerstück. hinein« … Dieser zarte Wink mit dem Zaunpfahle darf selbstverständlich nicht übersehen und überhört werden, und Pan Stajgr füttert seinen Automaten bereitwilligst mit Sechsern, solange die Herrn Studenten aufeinander losschlagen, trotzdem derselbe zu jeder andern Zeit auch um ein Zweihellerstück seine abgedroschenen tschechisch-nationalen Weisen herunterleiert.

»U šestaku« also trifft man sich.

Die Karolen sind schon zeitig erschienen und richten alles zurecht, was man zu solcher Gelegenheit braucht. Der Paukbader ist da und der Unparteiische, als welchen man einen strammen »Abgeordneten« der Verbindung »Egerländer Landtag« dazu gebeten, und knapp vor zwei Uhr rücken die Asgarden an.

Im Schenkzimmer klampert und klimpert das Polyphon, und bei den Klängen des tschechischen Hetzliedes »Hej slovane«, geht man an die Bandage der beiden Gegner. Die Paukhosen werden angeschnallt, das Plastron angelegt und die seeschlangenartigen Wickelbänder sorgfältig gewunden. Die Paukkrawatten kommen an die Reihe, und die plumpen, possierlichen Paukbrillen, und Burschen und Füchse mustern und kritteln über Zweckmäßigkeit, guten Sitz und möglichste Bewegungsfreiheit, über dies und jenes, und stellen die gewagtesten Prognosen.

Endlich ist jeder in Paukwichs, und die Sekundanten melden, dass man bereit wäre.

Der Unparteiische knurrt ein Silentium und zieht mit der Kreide einen dicken Strich auf den Dielen des Fußbodens.

Man stellt sich parat, die Klingen werden gebunden, und während das Polyphon im Schankzimmer draußen die weiche, wehmütige Weise des tschechischen Nationalliedes »Kde domov muj« anstimmt, kommandiert der Unparteiische: »Los!«

Die Klingen schwirren durch die Luft und prallen mit heftigem Geklirre an- und aufeinander, aber der Gang ist ohne Erfolg. Es ist gut geschlagen und gut pariert und kein Blutiger zu konstatieren.

»Auf Mensur!«

»Los!« …

So geht es einige Male, bis Maier beifällt, eine der Finten proben und in Anwendung bringen zu wollen, die man ihm beigebracht, aber Barth mag vielleicht solche Kniffe schon kennen, pariert und schlägt mit Blitzgeschwindigkeit, und gleich darauf zeigt sich auf Maiers Kopfe vom linken Stirnwinkel aufwärts ein roter Streifen, aus dem Blut zu sickern beginnt.

»Herr Unparteiischer! Ein Blutiger!«

Und der Unparteiische konstatiert den Blutigen.

»Abfuhr?«

Maier hätte eigentlich der Kleinigkeit wegen, und weil er erst »warm« zu werden und Vergnügen an der Schlägerei zu finden beginnt, noch keine rechte Lust, aufzuhören, aber Köhler kommt ihm in der Rede zuvor.

»Aber selbstverständlich. Genugtuung nach rechts und links, der Schwere der Beleidigung vollständig angemessen und entsprechend, und mehr kann man beiderseits billiger Weise nicht verlangen.

Hat der Schmiss gesessen,
Ist der Tusch vergessen
Von dem kreuzfidelen Studio …«

Er ist eben immer Köhler, der sein Empfinden in irgendeinem Liede oder einem bekannten Zitate zum Ausdrucke bringen muss.

»Freilich gibst Du nach!« rät auch Werner. »Der Form ist Genüge geschehen, und ein Mehr wäre lediglich Mutwillen. Wir stehen mit den Karolen sonst auf sehr gutem Fuße, und da plentert man sich nicht fort bis zur Kampfunfähigkeit. Folg! Abfuhr!«

»Ja.«

Und der Unparteiische verkündet solches in feierlich-ernster Weise.

»Na also!« lacht Maier schier verächtlich auf. »Die gewaltige Beleidigung wäre nun gesühnt. Da hätte mir Herr Barth doch gleich eine über mein Caput legen können. Das reinste Blech!«

»Ich bitte Dich: Falle nicht sofort schon ins Wundfieber!« ereifert sich Breit mit spaßigem Ernste. »Rede keinen philisterhaften Unsinn, mein Sohn Filius!«

»Nähen?« fragt der Paukbader und besichtigt den sehr glimpflichen Schmiss.

»Wäre nicht übel! … Gar keine Spur. Maier hat einen Dickschädel und ist aus dem Gebirge, wo man eine Kleinigkeit nicht achtet. Er und Hacker sind im uneigentlichen Sinne eigentlich Landsleute und aus den Gegenden, wo ein in Bewegung gesetzter Maßkrug in die Brüche geht, aber der davon betroffene Schädel nicht … Ein wenig auswaschen und einen Streifen Heftpflaser daraufkleben! Mher ist nicht vonnöten.«

Und draußen spielt das Polyphon aus Smetanas »verkaufter Braut«, und ein verstaubter Bäcker sitzt bei einen Kleinkrämer, und beide hören Herrn Stajgr zu, wie sich der den tschechischen Zukunftsstaat denkt: Ein Kral König. sitzt auf dem Thronsessel in der Burg am Hradschin, das zweischwänzige Löwel sitzt daneben und frisst alle Morgen ein Halbdutzend Deutsche als Voressen, bis diese überflüssigen Leute alle verzohren sind, und die breiten Mäuler der Connationalen werden allmahlzeitlich mit guten Buchteln und saftigen Powideln gestopft. »Den ganze Welt schaut auf leuchtenden Kulturbeispiel im Böhmerlandel und will auch »böhmisch« sein und solches Kultur teilhaftig …«

»Kasperltheater!« Brummt der Rodensteiner vor sich hin. »Draußen klampert eine Powidelweise nach der andern, und wir schlagen hier nach deutscher Art … Das reinste Pimperlspiel! Ein Saunest, dieses Prag! Ich werd mich aber drücken.«

»Komm mit mir in die weite, die weite, weite Welt!« trällert Hacker verlockend. »Geh' mit mir nach München!«

»Ich hab den Krempel überhaupt schon satt.«

»Kerl, Du spinnst.«

Und Ritter greift wie ein richtiger Medizinmann nach seinem Pulse und konstatiert: »Sechsundneunzig in der Minute …«

»Maul gehalten, Fuchs! Was verstehst Du von … von anderer Leute Sachen?« …

Man räumt das Lokal, und die Asgarden ziehen auf ihre Bude, um die »Partie« nach Gebühr zu feiern.

Und bald darauf fasst der B. C. den weittragenden Entschluss, Maier, dieses alte Haus, das voraussichtlich in absehbarer Zeit abgehen dürfte, zu burschen, sintemalen man ihn doch nicht gut als leidigen Fuchs ins Philisterium hinüberlaufen lassen könne …


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