Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Es saßen beim schäumenden, funkelnden Wein,
Drei fröhliche Burschen und sangen,
Es schallte und braust das Jubellied,
Und lustig die Becher erklangen.


Frau Wawerl hatte aus Freude darüber, dass »die Besatzung nun ganz komplett« ist, ein wirklich feines Nachtessen bereitet und auf den Tisch gestellt. Und als die Drei mit gesundem Hunger und sichtlichem Vergnügen daran gezehrt, hat sie sich nebenan gestellt und vergnüglich und selbstzufrieden vor sich hingelächelt.

Nach beendeter Mahlzeit aber fragt sie der Form halber nach, ob die Herren wohl zufrieden wären mit ihrer Kochkunst.

»Ein Saufressen«, bescheidet Köhler lächelnd und wischt sich den Mund, aber sie kennt seine Sprüche schon und nimmt die Rede, wie sie gemeint ist.

Dann richten sich die Drei zum Gehen. Köhler und Ritter nehmen ihre Kappen, reißen einige Witze von wegen einem durchaus nicht unmöglichen Angerempeltwerden, und dann machen sie sich auf den Weg.

Durch die hellbeleuchteten Straßen und Gassen wandeln und hasten die Menschen hin und wieder, und am Wenzelsplatze herrscht stellenweise ein lebhafteres Gedränge denn am helllichten Tage. Einige wurmen und spötteln über die »Cepici« Mützen. der »Dienstmänner« und »Express«, wie der Prager Mob die deutschen Studenten ob ihrer Mützen zu nennen beliebt, und nennen es eine herausfordernde »Provokace«, dass sich wieder zwei erkühnen, die tschechischen Charakter des »Mütterchens« Prag durch das frevelhafte Tragen deutscher Studentenkappen trüben und verwischen zu wollen, aber zu einem Angriffe auf die verhassten Kappen und ihre Träger kommt es doch nicht. Maier merkt es nach und nach deutlich, dass es wahrlich kein übermäßig großes Vergnügen ist, in Prag deutscher Student zu sein, und dass eine achtenswerte Menge Selbstverleugnung und nationalen Opfermutes dazu gehör, die wenigen Jahre akademischen Jugendglückes, wie sie ungetrübt nur eine deutsche Universitätsstadt bietet und genießen lässt, einzutauschen für manchmal recht ernste Kampfjahre in einer Stadt, wo einen täglich Verspottung, Überfall und Misshandlung umlauern und wo schon das bloße Farbebekennen und Farbentragen zum Mutbeweise wird.

Am Graben ist das Gedränge noch dichter, aber dort wandeln zumeist lauter Deutsche in dicht gedrängten Scharen auf und nieder, und die verschiedenen Studentenkappen verleihen dem Bilde einen ausgesprochen deutschen Charakter.

Sie schlendern auf der einen Seite hinauf bis gen den Pulverturm, auf der andern herunter und ziehen dann durch die Obstgasse und die obere Ferdinandstraße hinunter in die Husgasse.

Vor einer niedrigen Toreinfahrt bleiben sie stehen.

»Hier sind wir am Ziele«, schnauft Köhler. »Jetzt sieh Dir einmal die Aufschrift am Schlusssteine des Torgewölbes an, damit Du Dich nachher keinen überflüssigen Illusionen hinzugeben brauchst. >Hotel Schwapper<. Siehst Du es? So, und jetzt komme!«

In die Torflur ist eine Bretterhütte eingebaut, wie solche oftmals den Semmel- und Obstverkäuferinnen zum »Sitze« dienen. Die Breite dürfte etwa anderthalb, die Länge kaum mehr wie acht Meter betragen. Das ist das >Hotel Schwapper<.«

»Na, mir scheint …« mutmaßt Maier nicht sonderlich erbaut von diesem Hotel, aber Köhler fällt ihm hastig in die Rede.

»Dir braucht vorläufig noch gar nichts zu scheinen«, bedeutet er wichtig. »Das Haus ist solide von oben bis unten. Nur die Luft darinnen ist mitunter scheußlich stumpfig.«

Sie treten ein.

Außer der etwas rundlichen Wirtin ist niemand im Hotel anwesend, und so haben sie genügend Zeit und Muße, das Innere von dem fast ganz verblüfften Fremdlinge nach Gebühr mustern zu lassen. Den oberen Teil der Bude nimmt der einzige, etwa einen halben Meter breite, ungestrichene, vielfach ver- und zerschnittene und mit eingeritzten Namen und Zirkeln versehene Tisch ein, an dessen Seiten je eine Bank läuft. In der Mitte des Raumes steht ein Ofen, und am unteren Ende ist der Platz für das Bierfass und etliche unbedingt notwendige Gläser und Geschirre.

Die Wirtin stellt die gefüllten Gläser auf den Tisch, und sie stoßen an. »Heil, Blume!«

Und gleich darauf steigt ein fröhlich Lied, das einstmals Altmeister Goethe verbrochen haben soll:

Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun,
Drum, Brüderchen: ergo bibamus!
Die Gläser, sie klingen, Gespräche, sie ruh'n,
Beherziget: ergo bibamus!

Ein farbig Mützlein lugt durch die zu einem Viertel geöffnete Tür, ein lachend Gesicht schaut in die Bude, ein rundes, durch kein Bartfläumlein »verunziertes«, bausbackiges Kindergesicht, das aber einem großen, starken Techniker angehört, der über die Halbscheide des Zwanzigers schon hinübergetreten, und der Sang wird jäh abgebrochen.

»Der Spund! Heil! … Ein Spezielles … Und natürlich gleich der Frank auch … Ist etwa hier die Asgardenbude? … Es wird immer schöner … Na, nur immer Platz genommen! Wir sind auch erst gerade vorhin angeritten.« So redet und lacht man durcheinander, während die zwei Ankömmlinge in die Bude treten und ihre Stöcke wegstellen.

Der als Frank Begrüßte ist ein zierliches Männchen mit wohlgepflegtem Spitzbärtchen und goldgefassten Kneifer auf der leichtgebogenen Nase und ebenfalls Techniker. Mit seinem eigentlichen und rechtlich gültigen Christennamen heißt er eigentlich Hans Träger, während der Große mit dem bartlosen Kindergesichte als Mathias Kaltenberger polizeilich gemeldet ist in der Prager Stadt.

Die förmliche Vorstellung ist mit einigen Worten abgetan, und dann rückt man zusammen und redet eine Weile von Sachen, die lediglich die Schule und die Kommilitonen betreffen, dass der und jener voraussichtlich ins Examen steigen wird, dass heuer zwei »Krowoten« sich an der deutschen Technik haben inskribieren lassen, ein gewisser Peter Iwanic und einer, der sich Wladimir Petric nennt, und dass es eigentlich doch so eine Art von Unverschämtheit ist, sich zuerst an deutscher Wissenschaft Born vollzusaugen mit den Errungenschaften desjenigen Volkes, das man allenthalben im Reiche so bitterlich hasst, und dass man später mit allen zu Gebote stehenden Mitteln und Mittelchen an der Verdrängung dieses Volkes kräftiglich mitarbeitet.

Kaltenberger erkundigt sich bei Maier angelegentlich nach den Wiener Hochschulverhältnissen,da er sich angeblich mit der Absicht trägt, ein oder das andere Semester dort herunterzureißen, und der gibt an Aufschlüssen, was er zu geben vermag. Nur über Verbindungsverhältnisse weiß er so wenig als möglich, weil er davon ferngehalten worden.

»Ein Stumpfsinn von Ihrem Herrn Vetter!« tadelt der Zierliche. »Sie entschuldigen schon …«

»Hier wird er Asgarde«, erklärt Köhler. »Angeritten gekommen und gleich gekeilt. Leider aber wird er mit seinen acht Semestern die Burschenherrlichkeit nimmer recht lange genießen können.«

»Heil Asgardie!« So Kaltenberger und hebt sein Glas. »Daraufhin erlaube ich mir in meinem und meines lieben Kommilitonen Träger Namen …«

»Unsinn!« knurrt Köhler. »Mach' es kurz! Freund, Asgarde, Bruder und so weiter! Pfote her und Du auf Du! … So, und daraufhin noch eine Blume.«

»Was aber dann?« fragt Ritter dazwischen, da ihm dieses Noch etwas bedeutungsvoll vorkommt.

»Er steigt hinein!« verknurrt ihn Köhler. »Was kümmert's Dich und Deine Fuchsenseele, was im Rate der Unsterblichen beschlossen über der Sterblichen Geschicke?«

»Hu!« macht es der. »Homerus der anderte, aber lediglich der anderte.«

»Hu!« macht es auch einer von den beiden, die im selben Augenblick durch die Türe schlüpfen, ein Karole und einer, der weder Band noch Mütze trägt. »Die Herren scheinen sich ganz kannibalisch wohl zu fühlen. Ist noch ein Plätzchen frei?«

»Raum ist in der kleinsten Bude und so weiter«, lacht Köhler und rückt auf der Bank etwa hinauf, um den Zweien Platz zu schaffen. »Die Herren kennen sich ja um so beiläufig herum«, grinst er behaglich, aber gleich darauf fährt er sich mit der Rechten hinter die Ohren. »Mir scheint, ich hab' da eine ganz phänomenale Entdeckung gemacht: die beiden Herren dürften wohl Landsleute sein, Jurist Karl Barth, Mediziner Melcher Maier; der eine aus Silbersbach, der andere aus Ödwald. Ich glaube, keinen Fehlschuss getan zu haben, denn beide Orte müssen im Walde liegen.«

»Ah!« macht es Barth. »Das ist freilich eine interessante Entdeckung; da sind wir natürlich Landsleute. Mein Vater ist der Straßwirt in Silbersbach, wenn Sie sich erinnern können. Und von Ödwald hat ein Herr in Wien studiert, so viel ich einmal oder sogar öfter gehört habe …«

»Dieser eine dürfte wohl meine Wenigkeit sein.«

»Mir desto mehr Vergnügen.« Und er verneigt sich förmlich. »Da werden die Herren wohl gestatten, dass wir uns ein bisschen näher an einander machen«, lächelt er den andern an. »Aller Voraussicht nach haben wir zwei allerlei von der gemeinsamen Heimat zu schwatzen und zu plaudern … Ja, meine Herren! Jurist Bohumil Kolarz, sprich Kolarsch!« stellt er den andern vor, der mit ihm gekommen, und während die andern der Reihe nach Namen und Fakultät nennen, setzt er sich neben Maier und beginnt nach einigen die Heimat und die Verhältnisse betreffenden Fragen gleich ein Gespräch, das hartnahe an das sogenannte Keilen grenzt.

Ritter erlauscht es und lächelt dem Karolen etwas überlegen zu: »Geben Sie sich keine Mühe, Herr Barth! Köhler hat den Mann schon für uns gekeilt.«

»Mit nichten!« verwahrt sich Barth wider die ihm mit mehr oder minder begründeter Berechtigung unterschobene oder zugemutete Absicht. »Was zwei Landsleute mitsammen reden, darf man nicht immer mit dem fürs Allgemeine geltenden Maßstabe messen. Auch wenn Herr Maier Asgarde wird, werden wir doch häufig zusammen zu kommen und unsere heimatliche Zusammengehörigkeit hochzuhalten wissen. Nicht wahr? Und ein ganz Spezielles unserer schönen Waldheimat!«

Dieser Mensch kommt Maiern nicht sonderlich sympathisch vor, trotzdem sie all beide die gleiche Gegend ihre Heimat nennen und man sich in der Regel zu so einem stärker hingezogen fühlt. Sein ganzes Gehaben und die sichtlich und merkbar geschraubte Redeweise stoßen ihn schier ab.

Doch hebt er sein Glas: »Ein ganz Spezielles dem schönen Walde!«

*

Des andern Tages nach dem Frühstücke geht jeder seinen Obliegenheiten und Geschäften nach, lässt sich für das kommende Semester immatrikulieren, belegt diese und jene Collegia, die er gerade braucht oder hören will, und Maier besieht sich aus bloßer Neugier die Hörsäle des Klementinums, die in ihrer Einfachheit einen schon mehr als nüchternen Eindruck machen. Keiner ist übermäßig groß und in keinem schmückt ein Bild die Wände, um vielleicht die Aufmerksamkeit nicht abzulenken vom Vortrage des Professors.

In den Höfen stehen lachend und plaudernd Gruppen von Studenten herum, einige kommen, andere gehen, und einige täuschen schon so arg, dass man sich unwillkürlich weit nach Osten vertragen zu sein wähnt, in das Land, wo der Jordan durch die Gefilde fließet und wo Abraham die Hagar verstoßen.

Auf der anderen Seite drüben bietet sich wieder ein anderes Bild. Man braucht die jungen Leute noch nicht eine andere Sprache reden zu hören, so merkt man schon, dass die große Zahl derselben wieder einem andern Volke angehört. Von den charakteristischen Kappen der deutschen Hochschüler ist natürlich nichts zu merken, und auch die in letzter Zeit von den Tschechen aufgenommenen Barette sind nur vereinzelt zu sehen, aber schon ein gewisses Etwas in Gesichtsbildung und Typus der meisten verrät ein ander Volk. Zudem tragen viele derselben noch dazu Hut und Haar wie die allbekannten slowakischen Drahtbinder, was nebenbei noch einen recht komischen Eindruck macht. – Auf dieser Seite ist ein Teil der tschechischen Universität untergebracht, und die Herren, die da herumstehen, sind derselben Hörer.

Es ist sonderbar: Gerade die erste Hochschule auf deutschem Boden, die erste deutsche Universität ist seit Jahren zur Hälfte tschechisch. Vielleicht ist solches ein Bedürfnis gewesen, vielleicht auch nicht, vielleicht hätte sich die Sache anders tun und vermitteln lassen, aber – es ist eben so gemacht worden.

Als der Lützelburger Karl IV. zum deutschen Kaiser »gewählt« worden, das heißt, als er mit allen Mitteln diese Wahl zuwege gebracht, hat er sein Hausland Böhmen zu politischen und kirchlichen Vorlandes des Deutschen Reiches zu machen gesucht. Ob dem Reiche dadurch ein Nutzen erwachsen? Kaum. Aber Böhmen hat durch dieses Streben entschieden und viel gewonnen. Schon Wenzel II. hatte sich mit dem Gedanken getragen, in Prag eine hohe Schule zu gründen, aber allweg volksfeindlichen Adel war solches unangenehm gewesen, und er hatte es bei Zeiten zu verhindern gewusst. Karl IV. aber ließ sich nicht irre machen. Schon am 26. Jänner 1347, zu einer Zeit, als Ludwig der Bayer noch lebte und er noch gar nicht einmal unangefochten deutscher Kaiser war, bekam er von Papst Klemens VI. mit einer päpstlichen Bulle die Erlaubnis, in Prag ein »Generalstudium« einrichten zu dürfen, welche Schule all die nämlichen Rechte besitzen sollte, wie sie alle anderen besaßen, und die akademische Grade erteilen und verleihen könne, gültig für alle Länder der Christenheit. Diesmal erteilte der Landtag seine Zustimmung, und am 7. April 1348 bestätigte Karl die Stiftung der hohen Schule als König von Böhmen und am 14. Jänner 1349 als deutscher Kaiser.

Die Hochschule war für das ganze Deutsche Reich gegründet, und der Zudrang der Studenten, die nun nicht mehr nach Bologna oder nach Paris zu wandern brauchten, war ein großer, was vielleicht schon aus der Einteilung der Studentenschaft in vier »Nationen« erhellen mag, deren die die bayerische, die sächsische, die polnische und die böhmische unterschied. Zur bayerischen »Nation« wurden die Studierenden aus Bayern, Franken, Schwaben, Österreich, Kärnten, Krain, Tirol und dem übrigen Südwestdeutschland nebst der Schweiz gerechnet; zur sächsischen die aus Norddeutschland, Dänemark, Schweden, Finnland und Lifland; zur polnischen die Preußen, Obersachsen, Meißner, Thüringer, Schlesier und Polen, und zur böhmischen die aus Böhmen, Mähren und den ungarischen Ländern. Schon aus dieser Einteilung der Studenten geht hervor, dass die größte Zahl der Studierenden an der neuen hohen Schule Deutsche und Germanen waren. Die Angehörigen der bayerischen und sächsischen »Nation« waren selbstverständlich durchaus Deutsche, von der polnischen waren nur die Polen Nichtdeutsche, und unter denen der böhmischen mögen sich recht wenige eigentlicher Tschechen befunden haben.

Aber schon unter König Wenzel wurde der erste Ansturm gegen den deutschen Charakter der ersten deutschen Hochschule unternommen. Das husitische Gespenst zeigte sich aus der Ferne, und König Wenzel lag daran, die Universität von der Obedienz Gregors VII. abspenstig zu machen. Die Sache kam an der Hochschule zur Sprache, und die drei deutschen Nationen erklärten einmütig, in deutscher Treue sich zu Gregor halten zu wollen, während die böhmische dem Willen des Königs zuneigte. Das Fazit war, dass mit dem Dekret von 18. Januar 1909 verordnet wurde, der böhmischen »Nation« gebührten für diesen Liebesdienst fortab bei jeder Wahlgelegenheit drei Stimmen. Es halfen keine Vorstellungen dawider, keine Berufung an eine Gerechtigkeit, die eigentlich nirgends im Lande zu finden. So entschlossen sich die deutschen »Nationen« auszuwandern. An einem einzigen Tage verließen mehr als 2000 Studenten die ungastliche Stadt Prag, und im Ganzen sollen ihrer 6000, nach anderen Angaben sogar 20000, fortgezogen sein nach Leipzig, Erfurt und anderen Orten, wo sie mit offenen Armen aufgenommen und ihnen Schulen errichtet wurden. Während nun die Hörsäle der Prager Universität verödeten, blühten die Töchterschulen im Reiche auf, und besonders Leipzig brachte es binnen kurzer Zeit zu hohem Glanze.

Die Prager Hochschule ist als deutsche Anstalt gegründet worden, und da man sie des deutschen Charakters beraubt, ist sie verdorben, bis sie wieder zu einer Lehrstatt deutschen Wissens und deutscher Geistesarbeit gemacht worden.

Der Besuch der ehemals so stark frequentierten Anstalt hörte fast ganz auf, und Jakob, der Pfarrer von der Teynkirche, ein Utraquist, musste in öffentlicher Predigt diese Stiftung ein »verrostet Kleinod« nennen.

Und dieses Kleinod rostete und rostete weiter.

Inzwischen kamen Mitglieder des neugegründeten Jesuitenordens nach Prag und eröffneten nach ihrer Art bei St. Klemens eine Schule (Gynmasium), die sich bald zu einer Art Universität ausbildete, der Klementinischen, zum Unterschiede von der utraqustischen Karolinischen. Prag hatte also zwei Universitäten, und wenn auch die Karolinische eigentlich nur ein ganz jämmerliches Dasein führte und fristete, zu bestehen hörte sie doch nicht auf, bis nach der Schlacht am Weißen Berge alle beide zu einer einzigen vereinigt wurden. Aber nicht lange währte diese Vereinigung. Bald wurden sie wieder getrennt, und es kam sogar noch eine dritte hinzu, als der Erzbischof Harrach 1638 für sein Seminar das Recht erwirkte und erhielt, Doktoren der Theologie graduieren zu dürfen.

Erst unter Maria Theresia schien es, als wollte die Prager Hochschule wieder aufleben, aber unter Franz I. versank die einst so herrliche Schöpfung wieder in die frühere Unbedeutendheit, bis das Jahr 1848 ins Land zog und frische Luft schaffte.

Die Prager Universität, die erste deutsch Hochschule und das Muster für all' die andern deutschen Hochschulen, gewissermaßen die Mutter derselben, wurde nun »reorganisiert« und selbst – nach dem Muster der übrigen deutschen Hochschulen eingerichtet … Habent sua fata …

Und da die Universität wieder das geworden, was sie von allem Anfange an sein sollte und wozu sie bestimmt war, gedeiht sie trotz aller Stürme wieder und trotz aller Wetter, die sie umbrausen, gedeiht und blüht, trotzdem man ihr einen Teil »wegamputier«, weggekloben vom Stamme … Möge sie allweg gedeihen und blühen für und für! …

Während Maier also herumschlendert, schaut und sinnt, kommt Hilarius Ritter auf ihn zu.

»Hast Du Dir den Krempel beaugapfelt?« fragt er mit sichtlich erzwungenem Humor. »Zum Mitnehmen ist er ja, was? Und übrigens steckt in manch unscheinbarer Schale ein fürtrefflicher Kern … Hast Du Dir den alten Schweden auch schon angesehen? Nicht? Na, dann musst du ihm aber stante pede Deinen Antrittsbesuch machen.«

Und er führte ihn in einen Hof, darinnen, von immergrünem Efeu umrankt, das Standbild eines jungen Mannes steht, der eine Fahne hochhält. Tracht und Bart desjenigen, der hier verewigt worden, sind unverkennbar die der Schwedenzeit.

»Das Wahrzeichen unserer Alma mater«, erklärt Ritter »… Ich Jahre 1648 sollen Studenten und Professoren der Hochschule sich bei der Verteidigung der Stadt wider die Schweden gar rühmlich hervorgetan haben, und man sagt sogar, sie allein hätten die steinerne Brücke gehalten … Ein Beweis, dass wir zu Zeiten gar wohl zu gebrauchen sind. Der Kaiser hätte sich nachher mit verschiedenen Belohnungen der Schule und den Studenten gegenüber erkenntlich gezeigt, und, damit die Geschichte wieder etwas in Aufschwung käme, beide Universitäten unter einen Rektor gestellt. Ist aber trotzdem nichts Rechtes daraus geworden, da der eigentliche Lebensodem einer deutschen Schöpfung, das deutsche Element, gefehlt … Kommst Du nicht mit auf einen Schoppen, den wir dem alten Schweden bringen wollen?«

»Ich danke. Ich habe noch einiges zu besorgen, und nachmittags möchte ich die Sache mit dem Herzblättchen der Frau oder gnädigen Frau Salzer angreifen.«

»Na: wohl bekomm's!« …


 << zurück weiter >>