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4.

Auf Deutschlands hohen Schulen
Da trinken des Gerstenweins
Viel deutsche Völkerschaften
Ein Glas und immer noch eins.
Die Bayern und Alemannen,
Der heil'ge Wingolf auch,
Thüringer, Sachsen und Franken,
Sie folgen dem heiligen Brauch.


Es ist Sonntag, und der Pragerstadt merkt man gar nicht viel an davon.

Auf dem Lande draußen, in den stillen, weltabgeschiedenen Dörfern und in den einsamen Weilern und Gehöften kündigt sich der Sonntag schon am Vorabende durch feierliches Geläute an, wenn eine Kirche im Orte oder in der Umgebung ist, und wo solches nicht der Fall, schleicht er still und geräuschlos von Haus zu Haus und heftet ein duftig Blümelein an die Türpfosten als Zeichen seiner rast- ruh- und freudbringenden Herrschaft. Sechs Tage der Woche sind zur Arbeit geschaffen, der siebente ist der Ruhe geweiht, der Erholung und Erbauung, und gleicht einer ewiggrünen Oase inmitten der eintönigen, steinharten Wüste von Müh', Arbeit und Geschinde. Am frühen Morgen, zur Winterszeit und in entlegenen Höfen noch zur stockdunklen Nachtzeit, geht man zur Kirche, hört, was dem Menschen im Allgemeinen und dem Christenmenschen im Besonderen geziemet zu tun und zu lassen, nimmt sich von dieser Lehre so viel mit nach Hause, was man davon braucht und brauchen kann für seine Verhältnisse, für sein Haus und für die kommende Woche – auch wenn man es am nächsten Morgen schien wieder verschlafen hat – man schwingt sich unwillkürlich zu einem längere oder kürzere Zeit vorhaltenden guten Vorsatze auf, und ein unerklärlich Wesen, das man manchmal und in Städten mit Poesie benennt, verficht Lehre, Vorhaben, Vorsatz und Sonntag zu einfachem, sinnig geordneten und blütenduftenden Kranzgeflechte und lässt die Sonne nochmals so schön scheinen und den Tag selbst im Schneegestöber heiter sein.

Anders ist's in der Stadt, besonders in der Großstadt.

Sieht der schlichte Landbewohner selbst am Werktag n der Stadt einen Sonntag, wo es festlich und festtägig gekleidete, müßig gehende Leute, rollende Wagen und Hämmern und Pochen in den Werkstätten gibt, so kennt er auch den Sonntag nicht weg vom gewöhnlichen Wochentage. Die schön gekleideten Menschen drängen und hasten da ebenso gut durch die Straßen und Gassen, in den Werkstätten pocht und poltert es genauso wie zu jeder andern Zeit, die leichten und schweren Fuhrwerke ziehen ihrer gewohnten Wege, und bis nach Mittag lässt nichts den Ruhetag ahnen.

Und vor diesem Treiben flieht und versteckt sich auch die sogenannte Poesie des Sonntags. So ist es in der Pragerstadt wie in jeder anderen.

Am Graben jedoch ist's, als huschte so ein Stücklein Sonntagspoesie über das Straßenpflaster, und ein Zeitlein lichten Sonnenscheines folgte ihm im Fußgestapfe.

Gen Mittag zu rücken die Studenten an zum althergebrachten Bummel. Eine Verbindung um die andere zieht auf, und die Bürgersteine links und rechts gleichen bald der Umgebung eines Ameisenhaufens; rote, schwarze, weiße, blaue und grüne Mützen mengen sich bunt durcheinander zum farbenprächtigen Bilde, dazwischen drängen sich Soldaten und gewöhnliche Sterbliche, und – fast alles redet, schwatzt und lacht in der vielgeliebten deutschen Sprache, inmitten des tschechischen Prag.

Es ist ein Bild, dass einem das Herz im Leibe lacht, wenn man es betrachtet.

Wie aber würde es erst sein, wenn alle deutschen Hochschüler sich zu farbentragenden Verbindungen zusammenschlössen? Es dürften vielleicht in die zwanzig farbentragende Verbindungen bestehen, und nicht viele werden im Durchschnitte über zwanzig Aktive zählen. Und trotzdem vermögen diese dem tschechischen Prag ein wenn auch noch so schüchternes deutsches Gepräge aufzudrücken. Wie schön wäre es aber erst, wenn sich alles sammelte und Farben trüge, was an deutschen Hochschülern weilet in der Stadt, und dies dürften im Durchschnitte allweg an anderthalb Tausend sein?

Ja, wenn!

Aber es ist halt so. Viele dürfte der Kostenpunkt zurückhalten, trotzdem einer außerhalb einer und jeglicher Verbindung oftmals mehr Geld verhaut und verhauen kann als gerade in einer solchen, wenn dort nicht übertrieben wird und wenn Ziele und Zweck immer im Auge behalten werden, und noch mehr werden nicht beitreten dürfen oder auch selbst nicht wollen, weil bei fast allen Burschenschaften und Verbindungen der schon längst veraltete, unter andern Zeit- Und Gesittungsverhältnissen entstandene Zwang, sich zu schlagen, besteht. Und man geht doch nicht auf die Hochschule, um – zu raufen wie Bauernknechte oder – hohe Herrschaften, die sonst keine Unterhaltung zu finden wissen. Und noch ein Umstand kommt in Betracht, der sich häufig zeigt und dem ganzen Verbindungswesen ein eigentümliches Licht anwirft: die Eifersucht der einzelnen Couleurs, die manchmal sogar zur Feindschaft und Feindseligkeit anwächst.

Die Burschenschaften wähnen sich den wehrhaften nationalen Vereinigungen überlegen und sind selbst oftmals nicht gut zu sprechen auf einander. Die wahrhaften nationalen Vereinigungen sehen wieder mit scheelen Blicken auf die Korps herab, die Juden und Fremdvölkische aufnehmen, und alle mitsammen hegen so etwas wie Geringschätzung und Verachtung gegen die »Ferdinandea«, diesich eine katholische Verbindung nennt und grundsätzlich nicht »losgeht« und nicht schlägt. Und so geht es weiter.

Einigkeit macht stark und mächtig und bedingt treues Zusammenstehen zu jeder Stunde. Und warum sollte dies mit gutem Willen nicht erreichbar sein unter der deutschen Studentenschaft in Prag? Ein Mann achtet auch des Gegners Überzeugung und Ansicht, und warum sollte er sie nicht achten sollen und wollen bei den Angehörigen des eigenen Volkes, bei Stammesbrüdern und nur zu oft ebenso guten Deutschen, wie er selbst einer ist? Mögen die Burschenschaften Hatzen, Fuchsen- und Freundschaftspartien und dergleichen haben, mögen die nationalen Vereinigungen dem Grundsate folgen: Kein Spiel mit der Waffe, wenn aber Ernst, dann Ernst, mögen die Korps Juden oder Kongoneger als gleichwertige Kommilitonen küren, wenn es ihnen Spaß und Vergnügen bereitet, und mögen die sogenannten katholischen Verbindungen Zweck und Ziele der anderen Verbindungen sich auch als ihren Zweck und ihre Ziele küren, ohne aber sich zu »schlagen«, gut: es soll und kann jeder nach seiner Weise leben und selig werden, aber sie alle sollen und müssen sich in und gerade in Prag eins fühlen in alle ihren Bestrebungen, in allen über die kleinliche »Couleurpolitik« hinausragenden Fragen und Zielen, denn Prag ist eben Prag.

Prag ist eben Prag, und – »man hat's nicht leicht«. Deswegen hat sich auch das Prager Studentenleben so eigenartig entwickelt und den vorhandenen Verhältnissen angepasst, dass man mit Fug und Recht einen ganz anderen Maßstab anlegen muss zur Beurteilung desselben, wie man dies in anderen Universitätsstädten gewohnt und berechtigt ist.

Der Prager Burschenschaftler und Vereinsstudent, ohne Unterschied der Farbe, hat genau so wie jeder andere sein leuchtend Dreigestirn an seinem Idealhimmel, aber ihm leuchtet daneben noch ein Stern in vielleicht hellerem Glanze, sein Volkstum. Ehre, Freiheit, Vaterland und Volk und Volkstum!

An allen deutschen Hochschulen lebt der Musensohn inmitten lauter Angehörigen seines Volkes, und er braucht deshalb nicht ständig auf nationaler Hochwacht zu stehen; in Prag muss er es tun, und er tut es auch.

Dazu kommt noch, dass es in Böhmen arge parteipolitische Wirren gibt, deren Wellen bis an die Türen der Vereinsbuden schlagen. Darf sich der Student von der oder jener augenblicklich schlagenden Welle mitreißen lassen? Nein. Sein Ideal muss allweg noch höher stehen: er muss deutsch sein, ohne sich von oftmals schon über Nacht geänderter Fraktionspolitik hinreißen zu lassen, die nur die besten Kräfte zersplittert. … Gerade die eigenartigen Prager Verhältnisse verlangen es, dass das Trennende nach Kräften übersehen und, wo bemerkt, zur Seite geschoben, und nur das gemeinsam Einende betont und festgehalten wird, das große, hehre Ziel. Wohl schleicht sich zu Zeiten ein gräulich greller Missklang in dieses harmonische, ideale Zusammenwirken, die »Couleurpolitik« und andere – Politiken, aber im großen Ganzen wird doch nach Möglichkeit das Einende, wenigstens nach außen hin, festgehalten, und nur dadurch, durch dieses durch die Verhältnisse erzwungene Sich-eins-fühlen hat sich die deutsche Studentenschaf in Prag eine Stellung errungen und geschaffen, fest und achtunggebietend, wie sie auf anderen Wegen nicht zu erreichen und zu erstreiten gewesen wäre: Er hat sich das Recht erkämpft, in Prag deutscher Student sein zu dürfen, und er kämpft auch tagtäglich noch um den Fortbestand dieses Rechtes.

Es kommen die Asgarden angezogen und mischen sich in das bunte, farbenprächtige Getriebe. Vollzählig kommen sie angerückt, und an der Seite Ritters geht ein Neuaufgenommener, ein gewisser Hermann Hacker, ein Münchener und zugleich Mathematiker, der in seiner Vaterstadt bereits zwei Semester heruntergerissen und für das Wintersemester nach Prag gekommen, um allda mit eigenen Augen zu sehen und am eigenen Leibe zu erleben, was vom Prager Studentenleben allweg gesagt und geschrieben wird.

»Das gibt's fein in München nicht so auffallend«, redet der, und seine Augen strahlen förmlich vor hellem Vergnügen und lauter Freude, als er den Bummel so überschaut. »Dort sieht man wenig Studenten in Couleur durch die Stadt schlendern.«

»Hier muss es sein«, erklärt ihm Breit, der Erstchargiergte. »Wir müssen zeigen, dass wir da sind, und wir tun es auch, selbst wenn uns husitische Morgensterne um die Ohren sausen würden. Wir sind da und haben ein Recht, da zu sein.«

»Wir dürfen in Couleur nicht einmal in jedes Gasthaus gehen.«

»Wär' nicht schlecht!«

»Gewiss. Nur ein Beispiel: Wir dürfen mit Farben wohl in den Saal des Hofbräuhauses, das doch sicher kein Beisel ist, aber wir dürfen nicht in die sogenannte Schwemme, wo zeitenweise selbst Hof- und andere Räte bei ihre Maß sitzen.«

»Das könnt mir gerade gestohlen werden!« brummt dahinter Köhler. Pereat tristitia, pereant die und jene …«

»Was ist das für eine Verbindung?« fragt Hacker, als die Ferdinanden mit ebenfalls schwarzen Mützen und mit ihren schwarz-weiß-orangen Bändern in stattlicher Zahl vorüberkommen. »Scheint eine starke Verbindung zu sein.«

»Das siehst«, lacht Ritter sonderbar auf. »Stark und feig.«

»Ferdinanden, nichtschlagende Klerikale«, erklärt Breit geringschätzig und mit eigentümlicher Betonung des letzten Wortes.

»Frisch, fromm, frech und feig«, grinst Oskar Winter, den sie gemeiniglich den Rodensteiner nennen.

»Warum Klerikale?« tadelt Maier schlechthin. »Es sind deutsche Verbindungsstudenten wie wir und alle andern, und dass sie nicht losgehen, ist ihre Sache, meine ich.«

»Das wäre auch meine unmaßgebliche Ansicht«, erklärt Hacker.

»Mir scheint!« witzelt hinter ihm Hans Färber, ein krasses Füchslein. »Schlägst Du etwa auch nicht?«

»Unsinn!« rügt Kaltenberger brummend. »Nur keine Anzüglichkeiten unter uns! Du siehst ja sein genau im unteren Drittel geteiltes Ohr.«

»Es brauchen durchaus keine Klerikalen und auch selbst nicht lauter Katholiken zu sein, die nicht losgehen und nicht schlagen«, fährt Hacker fort. »Wir in München haben eine Verbindung, in der es sowohl Katholiken als auch einen sehr großen Teil Protestanten gibt, die gewiss über den Vorwurf, sie wären Klerikale, erhaben sind, und die alle von der Ansicht beseelt sind, dass das Herumschlagen doch eigentlich nur eine höfliche und in Kommentregeln gefasste Form ganz gewöhnlichen Geraufes sei, und diese Verbindung hat mich einfach hinausgehängt, wie man sagt, weil ich hinter ihrem Rücken doch einmal geschlagen und dabei von Petrus dem anderten übers Ohr gehauen wurde.«

»Da ist Dir aber grausam recht geschehen«, lacht Werner, der Fuchsmajor. »Mit dem Hinaushängen, meine ich. Auf das hin beim Frühschoppen ein Spezielles.«

»Hier etwas ganz Eigenartiges!« weist Breit dem Neuling. »Die Barissia!«

»Prachtkerle! Das sind ja lauter Juden.«

»Lauter. Und das ist das Beste. Weißt Du, ich bin Antisemite vom kleinen Zehennagel bis zur Spitze meines längsten Haares am Scheitel, aber ich freue mich ob solcher Verbindungen. Die Leute haben instinktiv beim rechten Ende angefangen, und das ist nur zu begrüßen. Die Deutschen bilden nationale Vereinigungen, die Juden auch. Dagegen ist nicht das Geringste einzuwenden. Das wäre überhaupt der richtigste Standpunkt, wenn die Juden dächten und sagten: Jetzt ist eine Zeit der nationalen Sonderbestrebungen; wir Juden sind auch ein eigen Volk für uns, unvermischter als manches andere, und wir wollen ein eigen Volk sein und darstellen; wir wollen aber mit euch auf freundschaftlichem Fuße leben. Nutzen schaute aus der Geschichte keiner heraus, aber der Standpunkt wäre von Vornherein klar gestellt. Gewöhnlich aber gebärden sich die Herren als Urteutonen und halten schwulstige Reden, und unlängst erst hat einer in alle Welt hinausposaunt: Unsere Vorfahren, die Sieger im Teutoburger Walde und so weiter … Lächerlich, was?«

»Scheußlich«, brummt Träger, der Zweitchargierte. »Die Welt ist das reinste Pimperltheater.«

»Wir könnten den Frühschoppen einmal im deutschen Hause halten«, schlägt Schröder vor, ein langer, hagerer Philologe, der in den letzten Semestern steht und mit seiner Mutter und seiner blinden Schwester hübsch weit draußen wohnt, wo sich die letzten Häuser der königlichen Weinberge befinden und es in Neu-Prag heißt.

»Suchst Du?« stichelt Köhler.

»Lächerlich! Sobald vom deutschen Hause die Rede ist, denkt dieser Mensch an nichts anderes als an Abraham.«

»Wir gehen auf unsere Bude«, rät Breit. »Wozu sollen wir uns anderswo herumschlagen? So bequem haben wir es eigentlich doch nirgends sonst.«

Also zieht man nach beendetem Bummel, als eine Verbindung oder Burschenschaft nach der andern abrückt, über den Wenzelsplatz hinauf und rechts ab in eines der kleinen Gässchen, die die obere Neustadt oberhalb des Karlsplatzes wie ein Adergewirre durch ziehen und wo sich im ersten Stockwerke eines ganz mittelmäßigen Wirtshauses die Bude des Asgardia befindet.

Sie besteht aus einem ziemlich großen und einem daranstoßenden kleineren Zimmer, und die Wände beider schmücken eine Menge Wappen, Bilder und Fahnen. Den schönsten Platz hat das Wappen der Asgadia erhalten, das sich von zwei kunstvoll gefalteten, in den Farben der Verbindung, schwarz-gold-rot, gehaltenen Fahnen wirkungsvoll abhebt. Wappen und Kappen befreundeter Verbindungen hängen an den Wänden herum und dazwischen Bildnisse hervorragender deutscher Männer und Lichtbilder, wie dies oder jenes Jahr des noch kurzen Bestandes die Burschen ausgesehen oder wie der Fuchsstall beschaffen war.

Im größeren Zimmer steht auch ein mächtiger Schrank mit Abzeichen und Zirkel der Verbindung, darin man Schläger, Säbel, Paukzeug und Wichsgegenstände, Fahne und Akten aufbewahrt, und im kleineren ist neu ein langer Tisch mit den dazugehörigen Stühlen. Der größere Raum dient als Paukbude und Kneiplokal, und der kleinere zu geselliger Vereinigung zu andern Tageszeiten, oder wenn die Asgardia Ferialtag hat.

Es ist eine gar anheimelnde Bude und himmelweit verschieden von den Gaststuben der Wirtshäuser, der Restaurants oder gar der Hotels, wo die Langeweile und Ungemütlichkeit aus jedem Winkel und hinter jedem der mehr oder minder reichlich angebrachten Zierraten hervorlugen.

Man macht sich's bequem, ruft und schreit nach Bier oder stopft sich ein Peiflein, und derweilen setzt sich Kaltenberger an einen neben dem Achtivkasten der Verbindung stehenden und äußerlich schon stark mitgenommenen Klimperkasten, der wohl auch jetzt noch Pianino genannt wird, und beginnt ein oft gesungenes Liedel herunterzuschlagen, so gut oder schlecht es ihm gegeben.

Mit der Fiedel auf dem Rücken,
Mit dem Käppel in der Hand,
Zieh'n wir Prager Musikanten
Durch das weite Christenland.
Unser Schutzpatron im Himmel
Ist der heil'ge Nepomuk,
Steht mit seinem Stern und Kränzel
Mitten auf der Prager Bruck.
Als ich da vorbeigegangen,
Hab ich Reverenz gemacht,
Ein Gebet ihm aus dem Kopfe
Recht bedächtig dargebracht.

»Blech!« brummt der Rodensteiner in seiner Ecke. »Wer wird den Frühschoppen mit solchem Gequatsch verunzieren? Bier her! Sauwirtschaft über einander! Wenn der Gasthof nicht dafür sorgen kann, dass man … Ach was! Dann ziehen wir einfach aus. So eine schlampige Bude bekommen wir doch überall.«

»Wacker, Oskar!« lacht Kaltenberger. »Nur aufdrehen!« Und gleich darauf entlockt er dem Klimperkasten einen echten Rodensteiner.

»Das war der Herr von Rodenstein,
Der sprach: Dass Gott mir helf!
Gibt's nirgends mehr 'nen Tropfen Wein
Des Nachts um halber zwölf?

Raus da! …«

»Nur nicht brummen!« beschwichtigt Breit den durstigen Rodensteiner. »Seien wir froh, dass wir die Bude überhaupt haben. Es spießt sich eben manchmal mit der Bedienung, zumal, wenn unten starker Gästeandrang ist … Siehst Du! Jetzt hast Du Dein Tröpfchen auch schon.«

Es rücken zwei Inaktiver auf die Bude, zwei Probekandidaten, deren einen man ins Kleinseitner Gymnasium gesteckt und den andern in die Neustädter Realschule, und man erkundigt sich nun allgemein über den Stand ihrer »Aktien«, das heißt, welche Aussichten sich dem einen oder dem andern etwa böten. Von diesem Thema gleitet der Gesprächsfaden allmählich auf mehr oder minder wissenschaftliche Gebiete hinüber, und dann wird es Zeit, aufzubrechen und zum Mittagessen zu gehen, zumal ein richtiger Frühschoppen in seinem eigentlichen Umfange nicht bis in den geschlagenen Nachmittag hinein währen soll, um noch als solcher gelten zu können.

Man rüstet daher zum Aufbruche.

Köhler zieht seinen Geldbeutel aus der Tasche, um zu zahlen, findet aber nur mehr einige Kupferkreuzer darinnen stecken.

»Huit!« macht er es und zieht die Augenbrauen hoch. »Keinen Tropfen im Becher mehr, und den Beutel schlaff und leer und etcetera … Melcher, Hunn'! Kannst Du mir nicht etwa für den Augenblick einen Speer oder zweie pumpen?«

»Die Möglichkeit ist vorhanden«, gibt der halb und halb zu, »ob aber auch die Gewissheit …«

»Mensch! Philosophiere nicht erst eine Weile bei so ernster Sache! Kannst Du?«

»Ich glaube wohl.«

»Am Abend kriegst Du den Schmarren wieder.«

»Abraham erteilt gewöhnlich sonntags keine Audienzen«, neckt Träger.

»Ach was! Abraham!« macht es Köhler mit einer geringschätzigen Handbewegung nach rückwärts. »Der Kerl ist mir zu fade mit seiner Geschäftspraktik … Ja, Juder, da Geld! Könnte mir gestohlen werden! Glaubst Du, ich bin so leichtsinnig, den Judex so mir nichts, dir nichts aus der Hand zu geben? Ich nicht; ich habe eine viel solidere Quelle entdeckt.«

»Quelle angeben!« fordert Werner in hoch komischem Ernste, dabei einen der Professoren karikierend.

»Schmarren!« knurrt Köhler. »Sucht sie selbst!«

»Mensch, wo verplemperst Du denn all das gewaltige Moos, das Du allmonatlich bekommst?« fragt Breit erstaunt und verwundert darüber, dass dieser Kerl schon wieder in der Ebbe sitzt. »Auf der Bude hier kannst Du es doch unmöglich los werden.«

»Ich habe meine Passionen«, erklärt Köhler schmunzelnd. »Jedes Tierchen und so weiter … Ich brauche doch nicht … Na, wenn Du es gerade wissen willst: Ich stelle mich manchmal auf die Prager Brücken und füttere die Moldaukarpfen mit Kronensilber …«

»Stimmt gewaltig: Jedes Tierchen und so weiter«, gibt Breit den zugedachen Hieb zurück. »Aber es gibt mitunter Nörgler, die alle persönlichen – Erfolge aufs Konto der Verbindung schreiben.«

»Was gehen meine Sachen die Verbindung an?« ärgert sich Köhler augenscheinlich. »Ich kann sonst tun und lassen, was ich will, wenn ich mich innerhalb der Grenzen der Honorigkeit bewege.«

»Ich komme wahrscheinlich nachmittags zu euch«, sagt Hacker zu Maier. »Könnte man euch wohl treffen?«

»Das glaubst«, versichert Ritter, einen Hackern speziell eigene Münchner Ausdruck gebrauchend. »Da werd sich nix fehlen. …«


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