Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 46.
Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens.

Dieses Kapitel bezieht sich auf §§. 56 59 des ersten Bandes. Auch ist damit zu vergleichen Kapitel 11 und 12 des zweiten Bandes der Parerga und Paralipomena.

Aus der Nacht der Bewußtlosigkeit zum Leben erwacht findet der Wille sich als Individuum, in einer end- und gränzenlosen Welt, unter zahllosen Individuen, alle strebend, leidend, irrend; und wie durch einen bangen Traum eilt er zurück zur alten Bewußtlosigkeit. – Bis dahin jedoch sind seine Wünsche gränzenlos, seine Ansprüche unerschöpflich, und jeder befriedigte Wunsch gebiert einen neuen. Keine auf der Welt mögliche Befriedigung könnte hinreichen, sein Verlangen zu stillen, seinem Begehren ein endliches Ziel zu setzen und den bodenlosen Abgrund seines Herzens auszufüllen. Daneben nun betrachte man, was dem Menschen, an Befriedigungen jeder Art, in der Regel, wird: es ist meistens nicht mehr, als die, mit unablässiger Mühe und steter Sorge, im Kampf mit der Noth, täglich errungene, kärgliche Erhaltung dieses Daseyns selbst, den Tod im Prospekt. – Alles im Leben giebt kund, daß das irdische Glück bestimmt ist, vereitelt oder als eine Illusion erkannt zu werden. Hiezu liegen tief im Wesen der Dinge die Anlagen. Demgemäß fällt das Leben der meisten Menschen trübsälig und kurz aus. Die komparativ Glücklichen sind es meistens nur scheinbar, oder aber sie sind, wie die Langlebenden, seltene Ausnahmen, zu denen eine Möglichkeit übrig bleiben mußte, – als Lockvogel. Das Leben stellt sich dar als ein fortgesetzter Betrug, im Kleinen, wie im Großen. Hat es versprochen, so hält es nicht; es sei denn, um zu zeigen, wie wenig wünschenswerth das Gewünschte war: so täuscht uns also bald die Hoffnung, bald das Gehoffte. Hat es gegeben: so war es, um zu nehmen. Der Zauber der Entfernung zeigt uns Paradiese, welche wie optische Täuschungen verschwinden, wann wir uns haben hinäffen lassen. Das Glück liegt demgemäß stets in der Zukunft, oder auch in der Vergangenheit, und die Gegenwart ist einer kleinen dunkeln Wolke zu vergleichen, welche der Wind über die besonnte Fläche treibt: vor ihr und hinter ihr ist Alles hell, nur sie selbst wirft stets einen Schatten. Sie ist demnach allezeit ungenügend, die Zukunft aber ungewiß, die Vergangenheit unwiederbringlich. Das Leben, mit seinen stündlichen, täglichen, wöchentlichen und jährlichen, kleinen, größern und großen Widerwärtigkeiten, mit seinen getäuschten Hoffnungen und seinen alle Berechnung vereitelnden Unfällen, trägt so deutlich das Gepräge von etwas, das uns verleidet werden soll, daß es schwer zu begreifen ist, wie man dies hat verkennen können und sich überreden lassen, es sei da, um dankbar genossen zu werden, und der Mensch, um glücklich zu seyn. Stellt doch vielmehr jene fortwährende Täuschung und Enttäuschung, wie auch die durchgängige Beschaffenheit des Lebens, sich dar, als darauf abgesehen und berechnet, die Ueberzeugung zu erwecken, daß gar nichts unsers Strebens, Treibens und Ringens werth sei, daß alle Güter nichtig seien, die Welt an allen Enden bankrott, und das Leben ein Geschäft, das nicht die Kosten deckt; – auf daß unser Wille sich davon abwende.

Die Art, wie diese Nichtigkeit aller Objekte des Willens sich dem im Individuo wurzelnden Intellekt kund giebt und faßlich macht, ist zunächst die Zeit. Sie ist die Form, mittelst derer jene Nichtigkeit der Dinge als Vergänglichkeit derselben erscheint; indem, vermöge dieser, alle unsere Genüsse und Freuden unter unsern Händen zu Nichts werden und wir nachher verwundert fragen, wo sie geblieben seien. Jene Nichtigkeit selbst ist daher das alleinige Objektive der Zeit, d. h. das ihr im Wesen an sich der Dinge Entsprechende, also Das, dessen Ausdruck sie ist. Deshalb eben ist die Zeit die a priori nothwendige Form aller unserer Anschauungen: in ihr muß sich Alles darstellen, auch wir selbst. Demzufolge gleicht nun zunächst unser Leben einer Zahlung, die man in lauter Kupferpfennigen zugezählt erhält und dann doch quittiren muß: es sind die Tage; die Quittung ist der Tod. Denn zuletzt verkündigt die Zeit den Urtheilsspruch der Natur über den Werth aller in ihr erscheinenden Wesen, indem sie sie vernichtet:

Und das mit Recht: denn Alles was entsteht,
Ist werth, daß es zu Grunde geht.
Drum besser wär's, daß nichts entstünde.

So sind denn Alter und Tod, zu denen jedes Leben nothwendig hineilt, das aus den Händen der Natur selbst erfolgende Verdammungsurtheil über den Willen zum Leben, welches aussagt, daß dieser Wille ein Streben ist, das sich selbst vereiteln muß. »Was du gewollt hast«, spricht es, »endigt so: wolle etwas Besseres.« – Also die Belehrung, welche Jedem sein Leben giebt, besteht im Ganzen darin, daß die Gegenstände seiner Wünsche beständig täuschen, wanken und fallen, sonach mehr Quaal als Freude bringen, bis endlich sogar der ganze Grund und Boden, auf dem sie sämmtlich stehen, einstürzt, indem sein Leben selbst vernichtet wird und er so die letzte Bekräftigung erhält, daß all sein Streben und Wollen eine Verkehrtheit, ein Irrweg war:

Then old age and experience, hand in hand,
Lead him to death, and make him understand,
After a search so painful and so long,
That all his life he has been in he wrong
Bis Alter und Erfahrung, Hand in Hand,
Zum Tod' ihn führen und er hat erkannt,
Daß, nach so langem, mühevollen Streben,
Er Unrecht hatte, durch sein ganzes Leben.
.

Wir wollen aber noch auf das Specielle der Sache eingehen; da diese Ansichten es sind, in denen ich den meisten Widerspruch erfahren habe. – Zuvörderst habe ich die im Texte gegebene Nachweisung der Negativität aller Befriedigung, also alles Genusses und alles Glückes, im Gegensatz der Positivität des Schmerzes noch durch Folgendes zu bekräftigen.

Wir fühlen den Schmerz, aber nicht die Schmerzlosigkeit; wir fühlen die Sorge, aber nicht die Sorglosigkeit; die Furcht, aber nicht die Sicherheit. Wir fühlen den Wunsch, wie wir Hunger und Durst fühlen; sobald er aber erfüllt worden, ist es damit, wie mit dem genossenen Bissen, der in dem Augenblick, da er verschluckt wird, für unser Gefühl dazuseyn aufhört. Genüsse und Freuden vermissen wir schmerzlich, sobald sie ausbleiben: aber Schmerzen, selbst wenn sie nach langer Anwesenheit ausbleiben, werden nicht unmittelbar vermißt, sondern höchstens wird absichtlich, mittelst der Reflexion, ihrer gedacht. Denn nur Schmerz und Mangel können positiv empfunden werden und kündigen daher sich selbst an: das Wohlseyn hingegen ist bloß negativ. Daher eben werden wir der drei größten Güter des Lebens, Gesundheit, Jugend und Freiheit, nicht als solcher inne, so lange wir sie besitzen; sondern erst nachdem wir sie verloren haben: denn auch sie sind Negationen. Daß Tage unsers Lebens glücklich waren, merken wir erst, nachdem sie unglücklichen Platz gemacht haben. – In dem Maaße, als die Genüsse zunehmen, nimmt die Empfänglichkeit für sie ab: das Gewohnte wird nicht mehr als Genuß empfunden. Eben dadurch aber nimmt die Empfänglichkeit für das Leiden zu: denn das Wegfallen des Gewohnten wird schmerzlich gefühlt. Also wächst durch den Besitz das Maaß des Nothwendigen, und dadurch die Fähigkeit Schmerz zu empfinden. – Die Stunden gehen desto schneller hin, je angenehmer; desto langsamer, je peinlicher sie zugebracht werden: weil der Schmerz, nicht der Genuß das Positive ist, dessen Gegenwart sich fühlbar macht. Eben so werden wir bei der Langenweile der Zeit inne, bei der Kurzweil nicht. Beides beweist, daß unser Daseyn dann am glücklichsten ist, wann wir es am wenigsten spüren: woraus folgt, daß es besser wäre, es nicht zu haben. Große, lebhafte Freude läßt sich schlechterdings nur denken als Folge großer vorhergegangener Noth: denn zu einem Zustande dauernder Zufriedenheit kann nichts hinzukommen, als etwas Kurzweil, oder auch Befriedigung der Eitelkeit. Darum sind alle Dichter genöthigt, ihre Helden in ängstliche und peinliche Lagen zu bringen, um sie daraus wieder befreien zu können: Drama und Epos schildern demnach durchgängig nur kämpfende, leidende, gequälte Menschen, und jeder Roman ist ein Guckkasten, darin man die Spasmen und Konvulsionen des geängstigten menschlichen Herzens betrachtet. Diese ästhetische Nothwendigkeit hat Walter Scott naiv dargelegt in der »Konklusion« zu seiner Novelle Old mortality. – Ganz in Uebereinstimmung mit der von mir bewiesenen Wahrheit sagt auch der von Natur und Glück so begünstigte Voltaire: le bonheur n'est qu'un rève, et la douleur est réelle; und setzt hinzu: il y a quatre-vingts ans que je l'éprouve. Je n'y sais autre chose que me résigner, et me dire que les mouches sont nées pour être mangées par les araignées, et les hommes pour être dévorés par les chagrins.

Ehe man so zuversichtlich ausspricht, daß das Leben ein wünschenswertes, oder dankenswertes Gut sei, vergleiche man ein Mal gelassen die Summe der nur irgend möglichen Freuden, welche ein Mensch in seinem Leben genießen kann, mit der Summe der nur irgend möglichen Leiden, die ihn in seinem Leben treffen können. Ich glaube, die Bilanz wird nicht schwer zu ziehen seyn. Im Grunde aber ist es ganz überflüssig, zu streiten, ob des Guten oder des Uebeln mehr auf der Welt sei: denn schon das bloße Daseyn des Uebels entscheidet die Sache; da dasselbe nie durch das daneben oder danach vorhandene Gut getilgt, mithin auch nicht ausgeglichen werden kann:

Mille piacer' non vagliono un tormento Tausend Genüsse sind nicht eine Quaal werth..

Petr.

Denn, daß Tausende in Glück und Wonne gelebt hätten, höbe ja nie die Angst und Todesmarter eines Einzigen auf: und eben so wenig macht mein gegenwärtiges Wohlseyn meine frühern Leiden ungeschehen. Wenn daher des Uebeln auch hundert Mal weniger auf der Welt wäre, als der Fall ist; so wäre dennoch das bloße Daseyn desselben hinreichend, eine Wahrheit zu begründen, welche sich auf verschiedene Weise, wiewohl immer nur etwas indirekt ausdrücken läßt, nämlich, daß wir über das Daseyn der Welt uns nicht zu freuen, vielmehr zu betrüben haben: – daß ihr Nichtseyn ihrem Daseyn vorzuziehen wäre; – daß sie etwas ist, das im Grunde nicht seyn sollte; u. s. f. Ueberaus schön ist Byrons Ausdruck der Sache:

Our life is a false nature, – 'tis not in
The harmony of things, this hard decree,
This uneradicable taint of sin,
This boundless Upas, this all-blasting tree
Whose root is earth, whose leaves and branches be
The skies, which rain their plagues on men like dew –
Disease, death, bondage – all the woes we see –
And worse, the woes we see not – which throb through
The immedicable soul, with hearth-aches ever new
Unser Leben ist falscher Art: in der Harmonie der Dinge kann es nicht liegen, dieses harte Verhängniß, diese unausrottbare Seuche der Sünde, dieser gränzenlose Upas, dieser Alles vergiftende Baum, dessen Wurzel die Erde ist, dessen Blätter und Zweige die Wolken sind, welche ihre Plagen auf die Menschen herabregnen, wie Thau, – Krankheit, Tod, Knechtschaft, – all das Wehe, welches wir sehen, – und, was schlimmer, das Wehe, welches wir nicht sehen, – und welches die unheilbare Seele durchwallt, mit immer neuem Gram..

Wenn die Welt und das Leben Selbstzweck seyn und demnach theoretisch keiner Rechtfertigung, praktisch keiner Entschädigung oder Gutmachung bedürfen sollten, sondern dawären, etwan wie Spinoza und die heutigen Spinozisten es darstellen, als die einzige Manifestation eines Gottes, der animi causa, oder auch um sich zu spiegeln, eine solche Evolution mit sich selber vornähme, mithin ihr Daseyn weder durch Gründe gerechtfertigt, noch durch Folgen ausgelöst zu werden brauchte; – dann müßten nicht etwan die Leiden und Plagen des Lebens durch die Genüsse und das Wohlseyn in demselben völlig ausgeglichen werden; – da dies, wie gesagt, unmöglich ist, weil mein gegenwärtiger Schmerz durch künftige Freuden nie aufgehoben wird, indem diese ihre Zeit füllen, wie er seine; – sondern es müßte ganz und gar keine Leiden geben und auch der Tod nicht seyn, oder nichts Schreckliches für uns haben. Nur so würde das Leben für sich selbst bezahlen.

Weil nun aber unser Zustand vielmehr etwas ist, das besser nicht wäre; so trägt Alles, was uns umgiebt, die Spur hievon – gleich wie in der Hölle Alles nach Schwefel riecht, – indem Jegliches stets unvollkommen und trüglich, jedes Angenehme mit Unangenehmem versetzt, jeder Genuß immer nur ein halber ist, jedes Vergnügen seine eigene Störung, jede Erleichterung neue Beschwerde herbeiführt, jedes Hülfsmittel unserer täglichen und stündlichen Noth uns alle Augenblicke im Stich läßt und seinen Dienst versagt, die Stufe, auf welche wir treten, so oft unter uns bricht, ja, Unfälle, große und kleine, das Element unsers Lebens sind, und wir, mit Einem Wort, dem Phineus gleichen, dem die Harpyen alle Speisen besudelten und ungenießbar machten Alles was wir anfassen, widersetzt sich, weil es seinen eigenen Willen hat, der überwunden werden muß.. Zwei Mittel werden dagegen versucht: erstlich die ευλαβεια d. i. Klugheit, Vorsicht, Schlauheit: sie lernt nicht aus und reicht nicht aus und wird zu Schanden. Zweitens, der Stoische Gleichmuth, welcher jeden Unfall entwaffnen will, durch Gefaßtseyn auf alle und Verschmähen von Allem: praktisch wird er zur kynischen Entsagung, die lieber, ein für alle Mal, alle Hülfsmittel und Erleichterungen von sich wirft: sie macht uns zu Hunden, wie den Diogenes in der Tonne. Die Wahrheit ist: wir sollen elend seyn, und sind's. Dabei ist die Hauptquelle der ernstlichsten Uebel, die den Menschen treffen, der Mensch selbst: homo homini lupus. Wer dies Letztere recht ins Auge faßt, erblickt die Welt als eine Hölle, welche die des Dante dadurch übertrifft, daß Einer der Teufel des Andern seyn muß; wozu denn freilich Einer vor dem Andern geeignet ist, vor Allen wohl ein Erzteufel, in Gestalt eines Eroberers auftretend, der einige Hundert Tausend Menschen einander gegenüberstellt und ihnen zuruft: »Leiden und Sterben ist euere Bestimmung: jetzt schießt mit Flinten und Kanonen auf einander los!« und sie thun es. – Ueberhaupt aber bezeichnen, in der Regel, Ungerechtigkeit, äußerste Unbilligkeit, Härte, ja Grausamkeit, die Handlungsweise der Menschen gegen einander: eine entgegengesetzte tritt nur ausnahmsweise ein. Hierauf beruht die Nothwendigkeit des Staates und der Gesetzgebung und nicht auf euern Flausen. Aber in allen Fällen, die nicht im Bereich der Gesetze liegen, zeigt sich sogleich die dem Menschen eigene Rücksichtslosigkeit gegen seines Gleichen, welche aus seinem gränzenlosen Egoismus, mitunter auch aus Bosheit entspringt. Wie der Mensch mit dem Menschen verfährt, zeigt z. B. die Negersklaverei, deren Endzweck Zucker und Kaffee ist. Aber man braucht nicht so weit zu gehen: im Alter von fünf Jahren eintreten in die Garnspinnerei, oder sonstige Fabrik, und von Dem an erst 10, dann  12, endlich 14 Stunden täglich darin sitzen und die selbe mechanische Arbeit verrichten, heißt das Vergnügen, Athem zu holen, theuer erkaufen. Dies aber ist das Schicksal von Millionen, und viele andere Millionen haben ein analoges.

Uns Andere inzwischen vermögen geringe Zufälle vollkommen unglücklich zu machen; vollkommen glücklich, nichts auf der Welt. Was man auch sagen mag, der glücklichste Augenblick des Glücklichen ist doch der seines Einschlafens, wie der unglücklichste des Unglücklichen der seines Erwachens. – Einen indirekten, aber sichern Beweis davon, daß die Menschen sich unglücklich fühlen, folglich es sind, liefert, zum Ueberfluß, auch noch der Allen einwohnende, grimmige Neid, der, in allen Lebensverhältnissen, auf Anlaß jedes Vorzugs, welcher Art er auch seyn mag, rege wird und sein Gift nicht zu halten vermag. Weil sie sich unglücklich fühlen, können die Menschen den Anblick eines vermeinten Glücklichen nicht ertragen: wer sich momentan glücklich fühlt, möchte sogleich Alles um sich herum beglücken, und sagt:

Que tout le monde ici soit heureux de ma joie.

Wenn das Leben an sich selbst ein schätzbares Gut und dem Nichtseyn entschieden vorzuziehen wäre; so brauchte die Ausgangspforte nicht von so entsetzlichen Wächtern, wie der Tod mit seinen Schrecken ist, besetzt zu seyn. Aber wer würde im Leben, wie es ist, ausharren, wenn der Tod minder schrecklich wäre? – Und wer könnte auch nur den Gedanken des Todes ertragen, wenn das Leben eine Freude wäre! So aber hat jener immer noch das Gute, das Ende des Lebens zu seyn, und wir trösten uns über die Leiden des Lebens mit dem Tode, und über den Tod mit den Leiden des Lebens. Die Wahrheit ist, daß Beide unzertrennlich zusammengehören, indem sie ein Irrsal ausmachen, von welchem zurückzukommen so schwer, wie wünschenswerth ist.

Wenn die Welt nicht etwas wäre, das, praktisch ausgedrückt, nicht seyn sollte; so würde sie auch nicht theoretisch ein Problem seyn: vielmehr würde ihr Daseyn entweder gar keiner Erklärung bedürfen, indem es sich so gänzlich von selbst verstände, daß eine Verwunderung darüber und Frage danach in keinem Kopfe aufsteigen könnte; oder der Zweck desselben würde sich unverkennbar darbieten. Statt dessen aber ist sie sogar ein unauflösliches Problem; indem selbst die vollkommenste Philosophie stets noch ein unerklärtes Element enthalten wird, gleich einem unauflöslichen Niederschlag, oder dem Rest, welchen das irrationale Verhältniß zweier Größen stets übrig läßt. Daher, wenn Einer wagt, die Frage aufzuwerfen, warum nicht lieber gar nichts sei, als diese Welt; so läßt die Welt sich nicht aus sich selbst rechtfertigen, kein Grund, keine Endursache ihres Daseyns in ihr selbst finden, nicht nachweisen, daß sie ihrer selbst wegen, d. h. zu ihrem eigenen Vortheil dasei. – Dies ist, meiner Lehre zufolge, freilich daraus erklärlich, daß das Princip ihres Daseyns ausdrücklich ein grundloses ist, nämlich blinder Wille zum Leben, welcher, als Ding an sich, dem Satz vom Grunde, der bloß die Form der Erscheinungen ist und durch den allein jedes Warum berechtigt ist, nicht unterworfen seyn kann. Dies stimmt aber auch zur Beschaffenheit der Welt: denn nur ein blinder, kein sehender Wille konnte sich selbst in die Lage versetzen, in der wir uns erblicken. Ein sehender Wille würde vielmehr bald den Ueberschlag gemacht haben, daß das Geschäft die Kosten nicht deckt, indem ein so gewaltiges Streben und Ringen, mit Anstrengung aller Kräfte, unter steter Sorge, Angst und Noth, und bei unvermeidlicher Zerstörung jedes individuellen Lebens, keine Entschädigung findet in dem so errungenen, ephemeren, unter unsern Händen zu nichts werdenden Daseyn selbst. Daher eben verlangt die Erklärung der Welt aus einem Anaxagorischen νους, d. h. aus einem von Erkenntniß geleiteten Willen, zu ihrer Beschönigung, nothwendig den Optimismus, der alsdann, dem laut schreienden Zeugniß einer ganzen Welt voll Elend zum Trotz, aufgestellt und verfochten wird. Da wird denn das Leben für ein Geschenk ausgegeben, während am Tage liegt, daß Jeder, wenn er zum voraus das Geschenk hätte besehen und prüfen dürfen, sich dafür bedankt haben würde; wie denn auch Lessing den Verstand seines Sohnes bewunderte, der, weil er durchaus nicht in die Welt hineingewollt hätte, mit der Geburtszange gewaltsam hineingezogen werden mußte, kaum aber darin, sich eilig wieder davonmachte. Dagegen wird dann wohl gesagt, das Leben solle, von einem Ende zum andern, auch nur eine Lektion seyn, worauf aber Jeder antworten könnte: »so wollte ich eben deshalb, daß man mich in der Ruhe des allgenugsamen Nichts gelassen hätte, als wo ich weder Lektionen, noch sonst etwas nöthig hatte.« Würde nun aber gar noch hinzugefügt, er solle einst von jeder Stunde seines Lebens Rechenschaft ablegen; so wäre er vielmehr berechtigt, selbst erst Rechenschaft zu fordern darüber, daß man ihn, aus jener Ruhe weg, in eine so mißliche, dunkele, geängstete und peinliche Lage versetzt hat. – Dahin also führen falsche Grundansichten. Denn das menschliche Daseyn, weit entfernt den Charakter eines Geschenks zu tragen, hat ganz und gar den einer kontrahirten Schuld. Die Einforderung derselben erscheint in Gestalt der, durch jenes Daseyn gesetzten, dringenden Bedürfnisse, quälenden Wünsche und endlosen Noth. Auf Abzahlung dieser Schuld wird, in der Regel, die ganze Lebenszeit verwendet: doch sind damit erst die Zinsen getilgt. Die Kapitalabzahlung geschieht durch den Tod. – Und wann wurde diese Schuld kontrahirt? – Bei der Zeugung. –

Wenn man demgemäß den Menschen ansieht als ein Wesen, dessen Daseyn eine Strafe und Buße ist; – so erblickt man ihn in einem schon richtigeren Lichte. Der Mythos vom Sündenfall (obwohl wahrscheinlich, wie das ganze Judenthum, dem Zend-Avesta entlehnt: Bun-Dehesch, 15) ist das Einzige im A. T., dem ich eine metaphysische, wenngleich nur allegorische Wahrheit zugestehen kann; ja, er ist es allein, was mich mit dem A. T. aussöhnt. Nichts Anderem nämlich sieht unser Daseyn so ähnlich, wie der Folge eines Fehltritts und eines strafbaren Gelüstens. Das neutestamentliche Christenthum, dessen ethischer Geist der des Brahmanismus und Buddhaismus, daher dem übrigens optimistischen des Alten Testaments sehr fremd ist, hat auch, höchst weise, gleich an jenen Mythos angeknüpft: ja, ohne diesen hätte es im Judenthum gar keinen Anhaltspunkt gefunden. – Will man den Grad von Schuld, mit dem unser Daseyn selbst behaftet ist, ermessen; so blicke man auf das Leiden, welches mit demselben verknüpft ist. Jeder große Schmerz, sei er leiblich oder geistig, sagt aus, was wir verdienen: denn er könnte nicht an uns kommen, wenn wir ihn nicht verdienten. Daß auch das Christenthum unser Daseyn in diesem Lichte erblickt, bezeugt eine Stelle aus Luther's Kommentar zu Galat., c. 3, die mir nur lateinisch vorliegt: Sumus autem nos omnes corporibus et rebus subjecti Diabolo, et hospites sumus in mundo, cujus ipse princeps et Deus est. Ideo panis, quem edimus, potus, quem bibimus, vestes, quibus utimur, imo aër et totum quo vivimus in carne, sub ipsius imperio est. – Man hat geschrieen über das Melancholische und Trostlose meiner Philosophie: es liegt jedoch bloß darin, daß ich, statt als Aequivalent der Sünden eine künftige Hölle zu fabeln, nachwies, daß wo die Schuld liegt, in der Welt, auch schon etwas Höllenartiges sei: wer aber dieses leugnen wollte, – kann es leicht ein Mal erfahren.

Und dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehen, daß eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Thier das lebendige Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, wo sodann mit der Erkenntniß die Fähigkeit Schmerz zu empfinden wächst, welche daher im Menschen ihren höchsten Grad erreicht und einen um so höheren, je intelligenter er ist, – dieser Welt hat man das System des Optimismus anpassen und sie uns als die beste unter den möglichen andemonstrirenwollen. Die Absurdität ist schreiend. – Inzwischen heißt ein Optimist mich die Augen öffnen und hineinsehen in die Welt, wie sie so schön sei, im Sonnenschein, mit ihren Bergen, Thälern, Strömen, Pflanzen, Thieren u. s. f. – Aber ist denn die Welt ein Guckkasten? Zu sehen sind diese Dinge freilich schön; aber sie zu seyn ist ganz etwas Anderes. – Dann kommt ein Teleolog und preist mir die weise Einrichtung an, vermöge welcher dafür gesorgt sei, daß die Planeten nicht mit den Köpfen gegeneinander rennen, Land und Meer nicht zum Brei gemischt, sondern hübsch auseinandergehalten seien, auch nicht Alles in beständigem Froste starre, noch von Hitze geröstet werde, imgleichen, in Folge der Schiefe der Ekliptik, kein ewiger Frühling sei, als in welchem nichts zur Reife gelangen könnte, u. dgl. m. – Aber Dieses und alles Aehnliche sind ja bloße conditiones sine quibus non. Wenn es nämlich überhaupt eine Welt geben soll, wenn ihre Planeten wenigstens so lange, wie der Lichtstrahl eines entlegenen Fixsterns braucht, um zu ihnen zu gelangen, bestehen und nicht, wie Lessings Sohn, gleich nach der Geburt wieder abfahren sollen; – da durfte sie freilich nicht so ungeschickt gezimmert seyn, daß schon ihr Grundgerüst den Einsturz drohte. Aber wenn man zu den Resultaten des gepriesenen Werkes fortschreitet, die Spieler betrachtet, die auf der so dauerhaft gezimmerten Bühne agiren, und nun sieht, wie mit der Sensibilität der Schmerz sich einfindet und in dem Maaße, wie jene sich zur Intelligenz entwickelt, steigt, wie sodann, mit dieser gleichen Schritt haltend, Gier und Leiden immer stärker hervortreten und sich steigern, bis zuletzt das Menschenleben keinen andern Stoff darbietet, als den zu Tragödien und Komödien, – da wird, wer nicht heuchelt, schwerlich disponirt seyn, Hallelujahs anzustimmen. Den eigentlichen, aber verheimlichten Ursprung dieser letzteren hat übrigens, schonungslos, aber mit siegender Wahrheit, David Hume aufgedeckt, in seiner Natural history of religion, Sect. 6, 7, 8 and 13. Derselbe legt auch im zehnten und elften Buch seiner Dialogues on natural religion, unverhohlen, mit sehr triftigen und dennoch ganz anderartigen Argumenten als die meinigen, die trübsälige Beschaffenheit dieser Welt und die Unhaltbarkeit alles Optimismus dar; wobei er diesen zugleich in seinem Ursprung angreift. Beide Werke Hume's sind so lesenswerth, wie sie in Deutschland heut zu Tage unbekannt sind, wo man dagegen, patriotisch, am ekelhaften Gefasel einheimischer, sich spreizender Alltagsköpfe unglaubliches Genügen findet und sie als große Männer ausschreit. Jene Dialogues aber hat Hamann übersetzt, Kant hat die Uebersetzung durchgesehen und noch im späten Alter Hamanns Sohn zur Herausgabe derselben bewegen wollen, weil die von Platner ihm nicht genügte (siehe Kants Biographie von F.  W. Schubert, S. 81 und 165). – Aus jeder Seite von David Hume ist mehr zu lernen, als aus Hegels, Herbarts und Schleiermachers sämmtlichen philosophischen Werken zusammengenommen.

Der Begründer des systematischen Optimismus hingegen ist Leibnitz, dessen Verdienste um die Philosophie zu leugnen ich nicht gesonnen bin, wiewohl mich in die Monadologie, prästabilirte Harmonie und identitas indiscernibilium eigentlich hineinzudenken, mir nie hat gelingen wollen. Seine Nouveaux essays sur l'entendement aber sind bloß ein Excerpt, mit ausführlicher, auf Berichtigung abgesehener, jedoch schwacher Kritik des mit Recht weltberühmten Werkes Locke's, welchem er hier mit eben so wenig Glück sich entgegenstellt, wie, durch sein gegen das Gravitationssystem gerichtetes Tentamen de motuum coelestium causis, dem Neuton. Gegen diese Leibnitz-Wolfische Philosophie ist die Kritik der reinen Vernunft ganz speciell gerichtet und hat zu ihr ein polemisches, ja, vernichtendes Verhältniß; wie zu Locke und Hume das der Fortsetzung und Weiterbildung. Daß heut zu Tage die Philosophieprofessoren allseitig bemüht sind, den Leibnitz, mit seinen Flausen, wieder auf die Beine zu bringen, ja, zu verherrlichen, und andererseits Kanten möglichst gering zu schätzen und bei Seite zu schieben, hat seinen guten Grund im primum vivere: die Kritik der reinen Vernunft läßt nämlich nicht zu, daß man Jüdische Mythologie für Philosophie ausgebe, noch auch, daß man, ohne Umstände, von der »Seele« als einer gegebenen Realität, einer wohlbekannten und gut ackreditirten Person, rede, ohne Rechenschaft zu geben, wie man denn zu diesem Begriff gekommen sei und welche Berechtigung man habe, ihn wissenschaftlich zu gebrauchen. Aber primum vivere, deinde philosophari! Herunter mit dem Kaut, vivat unser Leibnitz! – Auf diesen also zurückzukommen, kann ich der Theodicee, dieser methodischen und breiten Entfaltung des Optimismus, in solcher Eigenschaft, kein anderes Verdienst zugestehen, als dieses, daß sie später Anlaß gegeben hat zum unsterblichen Candide des großen Voltaire; wodurch freilich Leibnitzens so oft wiederholte, lahme Exküse für die Uebel der Welt, daß nämlich das Schlechte bisweilen das Gute herbeiführt, einen ihm unerwarteten Beleg erhalten hat. Schon durch den Namen seines Helden deutete Voltaire an, daß es nur der Aufrichtigkeit bedarf, um das Gegentheil des Optimismus zu erkennen. Wirklich macht auf diesem Schauplatz der Sünde, des Leidens und des Todes der Optimismus eine so seltsame Figur, daß man ihn für Ironie halten müßte, hätte man nicht an der von Hume, wie oben erwähnt, so ergötzlich aufgedeckten geheimen Quelle desselben (nämlich heuchelnde Schmeichelei, mit beleidigendem Vertrauen auf ihren Erfolg) eine hinreichende Erklärung seines Ursprungs.

Sogar aber läßt sich den handgreiflich sophistischen Beweisen Leibnitzens, daß diese Welt die beste unter den möglichen sei, ernstlich und ehrlich der Beweis entgegenstellen, daß sie die schlechteste unter den möglichen sei. Denn Möglich heißt nicht was Einer etwan sich vorphantasiren mag, sondern was wirklich existiren und bestehen kann. Nun ist diese Welt so eingerichtet, wie sie seyn mußte, um mit genauer Noth bestehen zu können: wäre sie aber noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen. Folglich ist eine schlechtere, da sie nicht bestehen könnte, gar nicht möglich, sie selbst also unter den möglichen die schlechteste. Denn nicht bloß wenn die Planeten mit den Köpfen gegen einander rennten, sondern auch wenn von den wirklich eintretenden Pertubationen ihres Laufes irgend eine, statt sich durch andere allmälig wieder auszugleichen, in der Zunahme beharrte, würde die Welt bald ihr Ende erreichen: die Astronomen wissen, von wie zufälligen Umständen, nämlich zumeist vom irrationalen Verhältniß der Umlaufszeiten zu einander, dieses abhängt, und haben mühsam herausgerechnet, daß es immer noch gut abgehen wird, mithin die Welt so eben stehen und gehen kann. Wir wollen, wiewohl Neuton entgegengesetzter Meinung war, hoffen, daß sie sich nicht verrechnet haben, und mithin das in so einem Planetensystem verwirklichte mechanische perpetuum mobile nicht auch, wie die übrigen, zuletzt in Stillstand gerathen werde. – Unter der festen Rinde des Planeten nun wieder hausen die gewaltigen Naturkräfte, welche, sobald ein Zufall ihnen Spielraum gestattet, jene, mit allem Lebenden darauf, zerstören müssen; wie dies auf dem unserigen wenigstens schon drei Mal eingetreten ist und wahrscheinlich noch öfter eintreten wird. Ein Erdbeben von Lissabon, von Haity, eine Verschüttung von Pompeji sind nur kleine, schalkhafte Anspielungen auf die Möglichkeit. – Eine geringe, chemisch gar nicht ein Mal nachweisbare Alteration der Atmosphäre verursacht Cholera, gelbes Fieber, schwarzen Tod u. s. w., welche Millionen Menschen wegraffen: eine etwas größere würde alles Leben auslöschen. Eine sehr mäßige Erhöhung der Wärme würde alle Flüsse und Quellen austrocknen. – Die Thiere haben an Organen und Kräften genau und knapp so viel erhalten, wie zur Herbeischaffung ihres Lebensunterhalts und Auffütterung der Brut, unter äußerster Anstrengung, ausreicht; daher ein Thier, wenn es ein Glied, oder auch nur den vollkommenen Gebrauch desselben, verliert, meistens umkommen muß. Selbst vom Menschengeschlecht, so mächtige Werkzeuge es an Verstand und Vernunft auch hat, leben neun Zehntel in beständigem Kampfe mit dem Mangel, stets am Rande des Untergangs, sich mit Noth und Anstrengung über demselben balancirend. Also durchweg, wie zum Bestande des Ganzen, so auch zu dem jedes Einzelwesens sind die Bedingungen knapp und kärglich gegeben, aber nichts darüber: daher geht das individuelle Leben in unaufhörlichem Kampfe um die Existenz selbst hin; während bei jedem Schritt ihm Untergang droht. Eben weil diese Drohung so oft vollzogen wird, mußte, durch den unglaublich großen Ueberschuß der Keime, dafür gesorgt seyn, daß der Untergang der Individuen nicht den der Geschlechter herbeiführe, als an welchen allein der Natur ernstlich gelegen ist. – Die Welt ist folglich so schlecht, wie sie möglicherweise seyn kann, wenn sie überhaupt noch seyn soll. W. z. b. w. – Die Versteinerungen der den Planeten ehemals bewohnenden, ganz anderartigen Thiergeschlechter liefern uns, als Rechnungsprobe, die Dokumente von Welten, deren Bestand nicht mehr möglich war, die mithin noch etwas schlechter waren, als die schlechteste unter den möglichen.

Der Optimismus ist im Grunde das unberechtigte Selbstlos des eigentlichen Urhebers der Welt, des Willens zum Leben, der sich wohlgefällig in seinem Werke spiegelt: und demgemäß ist er nicht nur eine falsche, sondern auch eine verderbliche Lehre. Denn er stellt uns das Leben als einen wünschenswerthen Zustand, und als Zweck desselben das Glück des Menschen dar. Davon ausgehend glaubt dann Jeder den gerechtesten Anspruch auf Glück und Genuß zu haben: werden nun diese, wie es zu geschehen pflegt, ihm nicht zu Theil; so glaubt er, ihm geschehe Unrecht, ja, er verfehle den Zweck seines Daseyns; – während es viel richtiger ist, Arbeit, Entbehrung, Noth und Leiden, gekrönt durch den Tod, als Zweck unsers Lebens zu betrachten (wie dies Brahmanismus und Buddhaismus, und auch das ächte Christenthum thun); weil diese es sind, die zur Verneinung des Willens zum Leben leiten. Im Neuen Testamente ist die Welt dargestellt als ein Jammerthal, das Leben als ein Läuterungsproceß, und ein Marterinstrument ist das Symbol des Christenthums. Daher beruhte, als Leibnitz, Shaftsbury, Bolingbroke und Pope mit dem Optimismus hervortraten, der Anstoß, den man allgemein daran nahm, hauptsächlich darauf, daß der Optimismus mit dem Christenthum unvereinbar sei; wie dies Voltaire, in der Vorrede zu seinem vortrefflichen Gedichte Le désastre de Lisbonne, welches ebenfalls ausdrücklich gegen den Optimismus gerichtet ist, berichtet und erläutert. Was diesen großen Mann, den ich, den Schmähungen feiler Deutscher Tintenklexer gegenüber, so gern lobe, entschieden höher als Rousseau stellt, indem es die größere Tiefe seines Denkens bezeugt, sind drei Einsichten, zu denen er gelangt war: 1) die von der überwiegenden Größe des Uebels und vom Jammer des Daseyns, davon er tief durchdrungen ist; 2) die von der strengen Necessitation der Willensakte; 3) die von der Wahrheit des Locke'schen Satzes, daß möglicherweise das Denkende auch materiell seyn könne; während Rousseau alles Dieses durch Deklamationen bestreitet, in seiner Proffession de fai du vicaire Savoyard, einer flachen protestantischen Pastorenphilosophie; wie er denn auch, in eben diesem Geiste, gegen das soeben erwähnte, schöne Gedicht Voltaire's mit einem schiefen, seichten und logisch falschen Räsonnement, zu Gunsten des Optimismus, polemisirt, in seinem, bloß diesem Zweck gewidmeten, langen Briese an Voltaire, vom 18. August 1756. Ja, der Grundzug und das πϱωτον ψευδος der ganzen Philosophie Rousseau's ist Dieses, daß er an die Stelle der christlichen Lehre von der Erbsünde und der ursprünglichen Verderbtheit des Menschengeschlechts, eine ursprüngliche Güte und unbegränzte Perfektibilität desselben setzt, welche bloß durch die Civilisation und deren Folgen aus Abwege gerathen wäre, und nun darauf seinen Optimismus und Humanismus gründet.

Wie gegen den Optimismus Voltaire, im Candide, den Krieg in seiner scherzhaften Manier führt, so hat es in seiner ernsten und tragischen Byron gethan, in seinem unsterblichen Meisterwerke Kain, weshalb er auch durch die Invektiven des Obskuranten Friedrich Schlegel verherrlicht worden ist. – Wollte ich nun schließlich, zur Bekräftigung meiner Ansicht, die Aussprüche großer Geister aller Zeiten, in diesem, dem Optimismus entgegengesetzten Sinne, hersetzen; so würde der Anführungen kein Ende seyn; da fast jeder derselben seine Erkenntniß des Jammers dieser Welt in starken Worten ausgesprochen hat. Also nicht zur Bestätigung, sondern bloß zur Verzierung dieses Kapitels mögen am Schlüsse desselben einige Aussprüche dieser Art Platz finden.

Zuvörderst sei hier erwähnt, daß die Griechen, so weit sie auch von der Christlichen und Hochasiatischen Weltansicht entfernt waren und entschieden auf dem Standpunkt der Bejahung des Willens standen, dennoch von dem Elend des Daseyns tief ergriffen waren. Dies bezeugt schon die Erfindung des Trauerspiels, welche ihnen angehört. Einen andern Beleg dazu giebt uns die, nachmals oft erwähnte, zuerst von Herodot (V, 4) erzählte Sitte der Thrakier, den Neugeborenen mit Wehklagen zu bewillkommnen, und alle Uebel, denen er jetzt entgegengehe, herzuzählen; dagegen den Todten mit Freude und Scherz zu bestatten, weil er so vielen und großen Leiden nunmehr entgangen sei; welches in einem schönen, von Plutarch ( De audiend. poët. in fine) uns aufbehaltenen Verse, so lautet:

Τον φυντα ϑϱηνειν, εις ὁσ εϱχεται χαχα
Τον δ αυ ϑανοντα χαι πονων πεπαυμενον
Χαιϱοντας ευφημουντας εχπεμπειν δομων.

( Lugere genitum, tanta qui intrarit mala:
At morte si quis finiisset miserias,
Hung claude amicos atque laetita exsequi.
)

Nicht historischer Verwandtschaft, sondern moralischer Identität der Sache ist es beizumessen, daß die Mexikaner das Neugeborene mit den Worten bewillkommneten: »Mein Kind, du bist zum Dulden geboren: also dulde, leide und schweig.« Und dem selben Gefühle folgend hat Swift (wie Walter Scott in dessen Leben berichtet) schon früh die Gewohnheit angenommen, seinen Geburtstag nicht als einen Zeitpunkt der Freude, sondern der Betrübniß zu begehen, und an demselben die Bibelstelle zu lesen, in welcher Hiob den Tag bejammert und verflucht, an welchem es in seines Vaters Hause hieß: es sei ein Sohn geboren.

Bekannt und zum Abschreiben zu lang ist die Stelle in der Apologie des Sokrates, wo Plato diesen weisesten der Sterblichen sagen läßt, daß der Tod, selbst wenn er uns auf immer das Bewußtseyn raubte, ein wundervoller Gewinn sehn würde, da ein tiefer, traumloser Schlaf jedem Tage, auch des beglücktesten Lebens, vorzuziehen sei.

Ein Spruch des Herakleitos lautete:

Τῳ βιῳονομα μεν βιος, εϱγον δε ϑανατος.
( Vitae nomen quidem est vita, opus autem mors. )

Etymologicum magnum, voce βιος ; auch Eustath. ad Iliad., I, p. 31.)

Berühmt ist der schöne Vers des Theognis:

Αϱχην μεν μη φυναι επιχϑονιοισιν αϱιστον,
Μηδ εισιδειν αυγας οξεος ἡελιου
Φυντα δ ὁπως ωχιστα πυλας Αιαο πεϱησαι,
χαι χεισϑαι πολλην γην επαμησαμενον.

( Optima sors homini natum non esse, nec unquam
Adspexisse diem, flammiferumque jubar.
Altera jam genitum demitti protinus Orco,
Et pressum multa mergere corpus humo.
)

Sophokles, im Oedipus zu Kolona (1225), hat folgende Abkürzung desselben:

Μη φυναι τον ἁπαντα νι
χᾳ λογον το δ επει φανῃ,
βηναι χειϑεν, ὁϑεν πεϱ ἡχει,
πολυ δευτεϱον, ὡς ταχιστα.

( Natum non esse sortes vincit, alias omnes: proxima autem est,
ubi quis in lucem editus fuerit, eodem redire, unde venit, quam ocissime.
)

Euripides sagt:

Πας δ οδυνηϱος βιος ανϑϱωτων,
χ ουχ εστι πονων αναπαυσις.

( Omnis hominum vita est plena dolore,
Nec datur laborum remissio.
Hippol. 189.
)

Und hat es doch schon Homer gesagt:

Ου μεν γαϱ τι που εστιν οïζυϱωτεϱον ανδϱος
Παντων, ὁσσα δε γαιαν επι πνεει τε χαι εϱπει.

( Non enim quidquam alicubi est calamitosius homine
Omnium, quotquot super terram spirantque et moventur. II. XVII, 446.
)

Selbst Plinius sagt: Quapropter hoc primum quisque in remediis animi sui habeat, ex omnibus bonis, quae homini natura tribuit, nullum melius esse tempestiva morte. (Hist. nat. 28, 2.)

Shakespeare legt dem alten König Heinrich IV. die Worte in den Mund:

O heaven! that one might read the book of fate,
And see the revolution of the times,
– – – – – – – how chances mock,
And changes fill the cup of alteration
With divers liquors! O, if this were seen,
The happiest youth, – viewing his progress through,
What perils past, what crosses to ensue, –
Would shut the book, and sit him down and die
O, könnte man im Schicksalsbuche lesen,
Der Zeiten Umwälzung, des Zufalls Hohn
Darin ersehn, und wie Veränderung
Bald diesen Trank, bald jenen uns kredenzet, –
O, wer es säh! und wär's der frohste Jüngling,
Der, seines Lebens Lauf durchmusterend.
Das Ueberstandene, das Drohende erblickte, –
Er schlüg' es zu, und setzt' sich hin, und stürbe.
.

Endlich Byron:

Count o'er the joys thine hours have seen,
Count o'er thy days from anguish free,
And know, whatever thou hast been,
'Tis something better not to be
Ueberzähle die Freuden, welche deine Stunden gesehen haben; überzähle die Tage, die von Angst frei gewesen; und wisse, daß, was immer du gewesen seyn magst, es etwas Besseres ist, nicht zu seyn..

Auch Balthasar Gracian bringt den Jammer unsers Daseyns uns mit den schwärzesten Farben vor die Augen im Criticon, Parte I, Crisi 5, gleich im Anfang, und Crisi 7, am Schluß, wo er das Leben als eine tragische Farce ausführlich darstellt.Keiner jedoch hat diesen Gegenstand so gründlich und erschöpfend behandelt, wie, in unsern Tagen, Leopardi. Er ist von demselben ganz erfüllt und durchdrungen: überall ist der Spott und Jammer dieser Existenz sein Thema, auf jeder Seite seiner Werke stellt er ihn dar, jedoch in einer solchen Mannigfaltigkeit von Formen und Wendungen, mit solchem Reichthum an Bildern, daß er nie Ueberdruß erweckt, vielmehr durchweg unterhaltend und erregend wirkt.

 


 << zurück weiter >>