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Kapitel 4.
Von der Erkenntniß a priori.

Aus der Thatsache, daß wir die Gesetze der Verhältnisse im Raume, ohne hiezu der Erfahrung zu bedürfen, aus uns selbst angeben und bestimmen können, folgerte Plato ( Meno, p. 353. Bip.), daß alles Lernen bloß ein Erinnern sei; Kant hingegen, daß der Raum subjektiv bedingt und bloß eine Form des Erkenntnißvermögens sei. Wie hoch steht in dieser Hinsicht Kant über Plato!

Cogito, ergo sum ist ein analytisches Urtheil: Parmenides hat es sogar für ein identisches gehalten: το γαϱ αυτο νοειν εστι τε χαι ειναι ( nam intelligere et esse idem est, Clem. Alex. Strom. VI, §. 23). Als ein solches aber, oder auch nur als analytisches, kann es keine besondere Weisheit enthalten; wie auch nicht, wenn man, noch gründlicher, es, als einen Schluß, aus dem Obersatz non-entis nulla sunt praedicata ableiten wollte. Eigentlich aber hat Kartesius damit die große Wahrheit ausdrücken wollen, daß nur dem Selbstbewußtseyn, also dem Subjektiven, unmittelbare Gewißheit zukommt; dem Objektiven, also allem Andern, hingegen, als dem durch jenes erst Vermittelten, bloß mittelbare; daher dieses, weil aus zweiter Hand, als problematisch zu betrachten ist. Hierauf beruht der Werth des so berühmten Satzes. Als seinen Gegensatz können wir, im Sinne der Kantischen Philosophie, aufstellen: cogito, ergo est, – d. h. wie ich gewisse Verhältnisse (die mathematischen) an den Dingen denke, genau so müssen sie in aller irgend möglichen Erfahrung stets ausfallen, – dies war ein wichtiges, tiefes und spätes Apperçu welches im Gewande des Problems von der Möglichkeit synthetischer Urtheile a priori austrat und wirklich den Weg zu tiefer Erkenntniß eröffnet hat. Das Problem ist die Parole der Kantischen Philosophie, wie der erstere Satz die der Kartesischen, und zeigt, εξ οἱων εις οἱα.

Sehr passend stellt Kant seine Untersuchungen über Zeit und Raum an die Spitze aller anderen. Denn dem spekulativen Geiste drängen sich vor allen diese Fragen auf: was ist die Zeit? was ist dies Wesen, das aus lauter Bewegung besteht, ohne etwas, das sich bewegt? – und was der Raum? dieses allgegenwärtige Nichts, aus welchem kein Ding herauskann, ohne aufzuhören Etwas zu seyn? –

Daß Zeit und Raum dem Subjekt anhängen, die Art und Weise sind, wie der Proceß objektiver Apperception im Gehirn vollzogen wird, hat schon einen genügenden Beweis an der gänzlichen Unmöglichkeit Zeit und Raum hinwegzudenken, während man Alles, was in ihnen sich darstellt, sehr leicht hinwegdenkt. Die Hand kann alles fahren lassen; nur sich selbst nicht. Indessen will ich die von Kant gegebenen näheren Beweise jener Wahrheit hier durch einige Beispiele und Ausführungen erläutern, nicht zur Widerlegung alberner Einwendungen, sondern zum Gebrauch Derer, die künftig Kants Lehren vorzutragen haben werden.

»Ein rechtwinklichter gleichseitiger Triangel« enthält keinen logischen Widerspruch: denn die Prädikate heben einzeln keineswegs das Subjekt auf, noch sind sie mit einander unvereinbar. Erst bei der Konstruktion ihres Gegenstandes in der reinen Anschauung tritt ihre Unvereinbarkeit an ihm hervor. Wollte man diese eben deshalb für einen Widerspruch halten; so wäre auch jede physische und erst nach Jahrhunderten entdeckte Unmöglichkeit ein solcher: z. B. die Zusammensetzung eines Metalles aus seinen Bestandtheilen, oder ein Säugethier mit mehr, oder weniger als sieben Halswirbeln Daß das dreizehige Faulthier deren neun hätte, soll als Irrthum erkannt worden seyn: jedoch führt Owen, Ostéologie comp., p. 405, es noch an., oder Hörner und obere Schneidezähne am selben Thier. Allein bloß die logische Unmöglichkeit ist ein Widerspruch, nicht aber die physische, und eben so wenig die mathematische. Gleichseitig und rechtwinklicht widersprechen einander nicht (im Quadrat sind sie beisammen), noch widerspricht jedes von ihnen dem Dreieck. Daher kann die Unvereinbarkeit obiger Begriffe nie durch bloßes Denken erkannt werden, sondern ergiebt sich erst aus der Anschauung, welche nun aber eine solche ist, zu der es keiner Erfahrung, keines realen Gegenstandes bedarf, eine bloß mentale. Auch gehört hieher der Satz des Jordanus Brunus, der wohl auch beim Aristoteles zu finden seyn wird: »ein unendlich großer Körper ist nothwendig unbeweglich«, – als welcher weder auf Erfahrung, noch auf dem Satz des Widerspruchs beruhen kann; da er von Dingen redet, die in keiner Erfahrung vorkommen können, und die Begriffe, »unendlich groß« und »beweglich« einander nicht widersprechen; sondern bloß die reine Anschauung ergiebt, daß die Bewegung einen Raum außerhalb des Körpers erfordert, seine unendliche Größe aber keinen übrig läßt. – Wollte man nun gegen das erstere mathematische Beispiel einwenden: es käme nur darauf an, wie vollständig der Begriff sei, den der Urtheilende vom Triangel habe; wenn es ein ganz vollständiger wäre, so enthielte er auch die Unmöglichkeit, daß ein Triangel rechtwinklicht und doch gleichseitig sei: so ist die Antwort: angenommen, sein Begriff vom Dreieck sei nicht so vollständig; so kann er, ohne Hinzuziehung der Erfahrung, durch die bloße Konstruktion demselben in seiner Phantasie ihn erweitern und sich von der Unmöglichkeit jener Begriffsverbindung für alle Ewigkeit überzeugen: eben dieser Proceß aber ist ein synthetisches Urtheil a priori, d. h. ein solches, durch welches wir, ohne alle Erfahrung und doch mit Gültigkeit für alle Erfahrung, unsere Begriffe bilden und vervollständigen. – Denn überhaupt, ob ein gegebenes Urtheil analytisch oder synthetisch sei, wird, im einzelnen Fall, erst bestimmt werden können, je nachdem im Kopfe des Urtheilenden der Begriff des Subjekts mehr oder weniger Vollständigkeit hat: der Begriff »Katze« enthält im Kopfe Cüviers hundert Mal mehr, als in dem seines Bedienten: daher die selben Urtheile darüber für Diesen synthetisch, für Jenen bloß analytisch seyn werden. Nimmt man aber die Begriffe objektiv, und will nun entscheiden, ob ein gegebenes Urtheil analytisch, oder synthetisch sei; so verwandle man das Prädikat desselben in sein kontradiktorisches Gegentheil und lege dieses, ohne Kopula, dem Subjekt bei: giebt nun dies eine Contradictio in adjecto; so war das Urtheil analytisch, außerdem aber synthetisch.

Daß die Arithmetik auf der reinen Anschauung der Zeit beruhe, ist nicht so augenfällig, wie daß die Geometrie auf der des Raumes basirt sei Dies entschuldigt jedoch nicht einen Professor der Philosophie, welcher, auf Kants Stuhle sitzend, sich also vernehmen läßt: »Daß die Mathematik als solche die Arithmetik und Geometrie enthält, ist richtig; unrichtig jedoch die Arithmetik als die Wissenschaft der Zeit zu fassen, in der That aus keinem andern Grunde, als um der Geometrie, als der Wissenschaft des Raumes, einen Pendanten ( sic) zu geben.« (Rosenkranz, im »Deutschen Museum«, 1857, 14. Mai, Nr. 20). Dies sind die Früchte der Hegelei: ist durch deren sinnlosen Gallimathias der Kopf ein Mal gründlich verdorben; so geht ernsthafte Kantische Philosophie nicht mehr hinein; und von dem Meister hat man die Dreistigkeit ererbt, in den Tag hinein zu reden über Dinge, die man nicht versteht: so kommt man endlich dahin, die Grundlehren eines großen Geistes ohne Umstände im peremtorisch entscheidenden Tone zu verurtheilen, als wären es eben Hegel'sche Narrenspossen. Wir dürfen es aber nicht hingehen lassen, daß die kleinen Leutchen da unten die Spur der großen Denker auszutreten sich bemühen. Sie thäten daher besser, sich an Kant nicht zu reiben, sondern sich damit zu begnügen, ihrem Publiko über Gott, die Seele, die thatsächliche Freiheit des Willens und was sonst dahin einschlägt, nähere Auskunft zu ertheilen und sodann in ihrer finstern Hinterboutique, dem philosophischen Journal, sich ein Privatvergnügen zu machen: da können sie ungenirt thun und treiben was sie wollen, kein Mensch sieht hin.. Man kann es aber auf folgende Art beweisen. Alles Zählen besteht im wiederholten Setzen der Einheit: bloß um stets zu wissen, wie oft wir schon die Einheit gesetzt haben, markiren wir sie jedes Mal mit einem andern Wort: dies sind die Zahlworte. Nun ist Wiederholung nur möglich durch Succession: diese aber, also das Nacheinander, beruht unmittelbar auf der Anschauung der Zeit, ist ein nur mittelst dieser verständlicher Begriff: also ist auch das Zählen nur mittelst der Zeit möglich. – Dieses Beruhen alles Zählens auf der Zeit verräth sich auch dadurch, daß in allen Sprachen die Multiplikation durch » Mal« bezeichnet wird, also durch einen Zeitbegriff: sexies, ἑξα χις, six fois, six times. Nun aber ist das einfache Zählen schon ein Multipliciren mit Eins, weshalb auch in Pestalozzis Lehranstalt die Kinder stets so multipliciren mußten: »2 Mal 2 ist 4 Mal Eins.« – Auch Aristoteles hat schon die enge Verwandtschaft der Zahl mit der Zeit erkannt und dargelegt im vierzehnten Kapitel des vierten Buches der Physik. Die Zeit ist ihm »die Zahl der Bewegung« (ὁ χϱονος αϱι χμος εστι χινησεως). Tiefsinnig wirft er die Frage auf, ob die Zeit seyn könnte, wenn die Seele nicht wäre, und verneint sie. Wenn die Arithmetik nicht diese reine Anschauung der Zeit zur Grundlage hätte, so wäre sie keine Wissenschaft a priori, mithin ihre Sätze nicht von unfehlbarer Gewißheit.

Obwohl die Zeit, wie der Raum, die Erkenntnißform des Subjekts ist; so stellt sie sich gleichwohl, eben wie auch der Raum, als von demselben unabhängig und völlig objektiv vorhanden dar. Wider unsern Willen, oder ohne unser Wissen, eilt oder zögert sie: man frägt nach der Uhr, man forscht nach der Zeit, als nach einem ganz Objektiven. Und was ist dieses Objektive? Nicht das Fortschreiten der Gestirne, oder der Uhren, als welche bloß dienen, den Lauf der Zeit selbst daran zu messen: sondern es ist etwas von allen Dingen Verschiedenes, doch aber wie diese, von unserm Wollen und Wissen Unabhängiges. Es existirt nur in den Köpfen der erkennenden Wesen; aber die Gleichmäßigkeit seines Ganges und seine Unabhängigkeit vom Willen giebt ihm die Berechtigung der Objektivität.

Die Zeit ist zunächst die Form des innern Sinnes. Das folgende Buch anticipirend, bemerke ich, daß der alleinige Gegenstand des innern Sinnes der eigene Wille des Erkennenden ist. Die Zeit ist daher die Form, mittelst welcher dem ursprünglich und an sich selbst erkenntnißlosen individuellen Willen die Selbsterkenntniß möglich wird. In ihr nämlich erscheint sein an sich einfaches und identisches Wesen auseinandergezogen zu einem Lebenslauf. Aber eben wegen jener ursprünglichen Einfachheit und Identität des sich so Darstellenden bleibt sein Charakter stets genau derselbe; weshalb auch der Lebenslauf selbst durchweg denselben Grundton beibehält, ja, die mannigfaltigen Vorgänge und Scenen desselben sich im Grunde doch nur wie Variationen zu einem und demselben Thema Verhalten. –

Die Apriorität des Kausalitätsgesetzes ist von den Engländern und Franzosen theils noch gar nicht eingesehen, theils nicht recht begriffen: daher Einige von ihnen die früheren Versuche, für dasselbe einen empirischen Ursprung zu finden, fortsetzen. Maine de Biran setzt diesen in die Erfahrung, daß dem Willensakt als Ursache die Bewegung des Leibes als Wirkung folge. Aber diese Thatsache selbst ist falsch. Keineswegs erkennen wir den eigentlichen unmittelbaren Willensakt als ein von der Aktion des Leibes Verschiedenes und Beide als durch das Band der Kausalität verknüpft; sondern Beide sind Eins und untheilbar. Zwischen ihnen ist keine Succession: sie sind zugleich. Sie sind Eins und das Selbe, auf doppelte Weise wahrgenommen: was nämlich der innern Wahrnehmung (dem Selbstbewußtseyn) sich als wirklicher Willensakt kund giebt, das Selbe stellt sich in der äußern Anschauung, in welcher der Leib objektiv dasteht, sofort als Aktion desselben dar. Daß physiologisch die Aktion des Nerven der des Muskels vorhergeht, kommt hier nicht in Betracht; da es nicht ins Selbstbewußtseyn fällt, und hier nicht die Rede ist vom Verhältniß zwischen Muskel und Nerv, sondern von dem zwischen Willensakt und Leibesaktion. Dieses nun giebt sich nicht als Kausalitätsverhältniß kund. Wenn diese beiden sich uns als Ursach und Wirkung darstellten; so würde ihre Verbindung uns nicht so unbegreiflich seyn, wie es wirklich der Fall ist: denn was wir aus seiner Ursache verstehen, das verstehen wir so weit es überhaupt für uns ein Verständniß der Dinge giebt. Hingegen ist die Bewegung unserer Glieder vermöge bloßer Willensakte zwar ein so alltägliches Wunder, daß wir es nicht mehr bemerken: richten wir aber ein Mal die Aufmerksamkeit darauf, so tritt das Unbegreifliche der Sache uns sehr lebhaft ins Bewußtseyn; eben weil wir hier etwas vor uns haben, was wir nicht als Wirkung seiner Ursache verstehen. Nimmermehr also könnte diese Wahrnehmung uns auf die Vorstellung der Kausalität führen, als welche darin gar nicht vorkommt. Maine de Biran selbst erkennt die völlige Gleichzeitigkeit des Willensakts und der Bewegung an. ( Nouvelles considérations des rapports du physique au moral, p 377, 78.). In England hat schon Th. Reid ( On the first principles of contingent thruths. Ess. VI, c. 5) ausgesprochen, daß die Erkenntniß des Kausalitätsverhältnisses in der Beschaffenheit unsers Erkenntnißvermögens selbst ihren Grund habe. In neuester Zeit lehrt Th. Brown in seinem höchst weitschweifig abgefaßten Buch: Inquiry into the relation of cause and effect, 4th edit., 1835, ziemlich das Selbe, nämlich daß jene Erkenntniß aus einer uns angeborenen, intuitiven und instinktiven Ueberzeugung entspringe: er ist also im Wesentlichen auf dem rechten Wege. Unverzeihlich jedoch ist die krasse Ignoranz, vermöge welcher, in diesem 476 Seiten starken Buche, davon 130 der Widerlegung Hume's gewidmet sind, Kants, der schon vor siebzig Jahren die Sache ins Reine gebracht hat, gar keine Erwähnung geschieht. Wäre das Lateinische die ausschließliche Sprache der Wissenschaft geblieben; so würde dergleichen nicht vorkommen. Trotz der im Ganzen richtigen Auseinandersetzung Browns hat in England eine Modifikation jener von Maine de Biran aufgestellten Lehre vom empirischen Ursprung der Grunderkenntniß des Kausalverhältnisses dennoch Eingang gefunden; da sie nicht ohne einige Scheinbarkeit ist. Es ist diese, daß wir das Gesetz der Kausalität abstrahirten aus der empirisch wahrgenommenen Einwirkung unsers eigenen Leibes auf andere Körper. Schon Hume hatte sie widerlegt. Ich aber habe die Unstatthaftigkeit derselben in meiner Schrift »Ueber den Willen in der Natur« (S. 75 der zweiten Auflage) dargethan, daraus daß, damit wir sowohl unsern eigenen, als die anderen Körper objektiv in räumlicher Anschauung wahrnehmen, die Erkenntniß der Kausalität, weil sie Bedingung solcher Anschauung ist, bereits daseyn muß. Wirklich liegt eben in der Nothwendigkeit eines von der, empirisch allein gegebenen, Sinnesempfindung zur Ursache derselben zu machenden Ueberganges, damit es zur Anschauung der Außenwelt komme, der einzige ächte Beweisgrund davon, daß das Gesetz der Kausalität vor aller Erfahrung uns bewußt ist. Daher habe ich diesen Beweis dem Kantischen substituirt, dessen Unrichtigkeit ich dargethan hatte. Die ausführlichste und gründlichste Darstellung des ganzen hier nur berührten, wichtigen Gegenstandes, also der Apriorität des Kausalitätsgesetzes und der Intellektualität der empirischen Anschauung, findet man in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, §. 21, wohin ich verweise, um nicht alles dort Gesagte hier zu wiederholen. Daselbst habe ich den mächtigen Unterschied nachgewiesen zwischen der bloßen Sinnesempfindung und der Anschauung einer objektiven Welt, und habe die weite Kluft, die zwischen beiden liegt, aufgedeckt: über diese führt allein das Gesetz der Kausalität, welches aber zu seiner Anwendung die beiden anderen ihm verwandten Formen, Raum und Zeit, voraussetzt. Allererst mittelst dieser drei im Verein kommt es zur objektiven Vorstellung. Ob nun die Empfindung, von welcher ausgehend wir zur Wahrnehmung gelangen, entsteht durch den Widerstand, den die Kraftäußerung unserer Muskeln erleidet, oder ob sie durch Lichteindruck auf die Retina, oder Schalleindruck auf den Gehörnerven u. s. f. entsteht, ist im Wesentlichen einerlei: immer bleibt die Empfindung ein bloßes Datum für den Verstand, welcher allein fähig ist, sie als Wirkung einer von ihr verschiedenen Ursache aufzufassen, die er nunmehr als ein Aeußerliches anschaut, d. h. in die ebenfalls vor aller Erfahrung dem Intellekt einwohnende Form, Raum versetzt, als ein diesen Einnehmendes und Ausfüllendes. Ohne diese intellektuelle Operation, zu welcher die Formen fertig in uns liegen müssen, könnte nimmermehr aus einer bloßen Empfindung innerhalb unserer Haut die Anschauung einer objektiven Außenwelt entstehen. Wie kann man sich nur denken, daß das bloße, bei einer gewollten Bewegung, Sich-gehindert-fühlen, welche übrigens auch bei Lähmungen Statt hat, dazu hinreichte? Hiezu kommt noch, daß, damit ich auf äußere Dinge zu wirken versuche, diese nothwendig vorher auf mich gewirkt haben müssen, als Motive: dieses aber setzt schon die Apprehension der Außenwelt voraus. Nach der in Rede stehenden Theorie müßte (wie ich am oben angeführten Ort bereits bemerkt habe) ein ohne Arme und Beine geborener Mensch gar nicht zur Vorstellung der Kausalität und folglich auch nicht zur Wahrnehmung der Außenwelt gelangen können. Daß nun aber dem nicht so ist, belegt eine in Frorieps Notizen, 1838, Juli, Nr. 133, mitgetheilte Thatsache, nämlich der ausführliche und von einer Abbildung begleitete Bericht über eine Esthin, Eva Lauk, damals 14 Jahr alt, ganz ohne Arme und Beine geboren, welcher mit folgenden Worten schließt: »Nach den Aussagen der Mutter hat sie sich geistig eben so schnell entwickelt, wie ihre Geschwister: namentlich ist sie eben so bald zu einem richtigen Urtheil über Größe und Entfernung sichtbarer Gegenstande gelangt, ohne sich doch der Hände bedienen zu können. – Dorpat den 1. März 1838. Dr. A. Hueck.«

Auch Hume's Lehre, der Begriff der Kausalität entstehe bloß aus der Gewohnheit zwei Zustände konstant auf einander folgen zu sehen, findet eine faktische Widerlegung an der ältesten aller Successionen, nämlich der von Tag und Nacht, welche noch Niemand für Ursach und Wirkung von einander gehalten hat. Und eben diese Succession widerlegt auch Kants falsche Behauptung, daß die objektive Realität einer Succession allererst erkannt würde, indem man beide Succedentia in dem Verhältniß von Ursach und Wirkung zu einander auffaßte. Von dieser Lehre Kants ist sogar das Umgekehrte wahr: nämlich, welcher von zwei verknüpften Zuständen Ursach und welcher Wirkung sei, erkennen wir, empirisch, allein an ihrer Succession. Andererseits wieder ist die absurde Behauptung mancher Philosophie-Professoren unserer Tage, daß Ursach und Wirkung zugleich seien, daraus zu widerlegen, daß in Fällen, wo die Succession, wegen ihrer großen Schnelligkeit, gar nicht wahrgenommen werden kann, wir sie dennoch, und mit ihr das Verstreichen einer gewissen Zeit, a priori sicher voraussetzen: so z. B. wissen Wir, daß zwischen dem Abdrücken der Flinte und dem Herausfahren der Kugel eine gewisse Zeit verstreichen muß, obwohl wir sie nicht wahrnehmen, und daß dieselbe wiederum vertheilt seyn muß unter mehrere in streng bestimmter Succession eintretende Zustände, nämlich das Abdrücken, das Funkenschlagen, das Zünden, das Fortpflanzen des Feuers, die Explosion und den Austritt der Kugel. Wahrgenommen hat diese Succession der Zustände noch kein Mensch: aber weil wir wissen, welcher den andern bewirkt, so wissen wir eben dadurch auch, welcher dem andern in der Zeit vorhergehen muß, folglich auch, daß während des Verlaufs der ganzen Reihe eine gewisse Zeit verstreicht, obwohl sie so kurz ist, daß sie unserer empirischen Wahrnehmung entgeht: denn Niemand wird behaupten, daß das Herausfliegen der Kugel mit dem Abdrücken wirklich gleichzeitig sei. Also ist uns nicht bloß das Gesetz der Kausalität, sondern auch dessen Beziehung auf die Zeit, und die Nothwendigkeit der Succession von Ursach und Wirkung a priori bekannt. Wenn wir wissen, welcher von zweien Zuständen Ursach und welcher Wirkung ist; so wissen wir auch, welcher dem andern in der Zeit vorhergeht: ist, im Gegentheil, uns jenes nicht bekannt, wohl aber ihr Kausalverhältniß überhaupt; so suchen wir die Succession empirisch auszumachen und bestimmen danach, welcher von beiden die Ursach und welcher die Wirkung sei. – Die Falschheit der Behauptung, daß Ursach und Wirkung gleichzeitig wären, ergiebt zudem sich auch aus folgender Betrachtung. Eine ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen füllt die gesammte Zeit. (Denn wäre sie unterbrochen, so stände die Welt stille, oder es müßte, um sie wieder in Bewegung zu setzen, eine Wirkung ohne Ursache eintreten.) Wäre nun jede Wirkung mit ihrer Ursache zugleich, so würde jede Wirkung in die Zeit ihrer Ursache hinaufgerückt und eine noch so vielgliederige Kette von Ursachen und Wirkungen würde gar keine Zeit, viel weniger eine endlose, ausfüllen; sondern alle zusammen wären in Einem Augenblick. Also schrumpft, unter der Annahme Ursache und Wirkung seien gleichzeitig, der Weltlauf zu Sache eines Augenblicks zusammen. Dieser Beweis ist dem analog, daß jedes Blatt Papier eine Dicke haben muß, weil sonst das ganze Buch keine hätte. Anzugeben, wann die Ursache aufhört und die Wirkung anfängt, ist in fast allen Fällen schwer und oft unmöglich. Denn die Veränderungen (d. h. die Succession der Zustände) sind ein Kontinuum, wie die Zeit, welche sie füllen, also auch, wie diese, ins Unendliche theilbar. Aber ihre Reihenfolge ist so nothwendig bestimmt und unverkehrbar, wie die der Zeitmomente selbst: und jede von ihnen heißt in Beziehung auf die ihr vorhergegangene »Wirkung«, auf die ihr nachfolgende »Ursach«.

Jede Veränderung in der materiellen Welt kann nur eintreten, sofern eine andere ihr unmittelbar vorhergegangen ist: dies ist der wahre und ganze Inhalt des Gesetzes der Kausalität. Allein kein Begriff ist in der Philosophie mehr gemißbraucht worden, als der der Ursache, mittelst des so beliebten Kunstgriffs oder Mißgriffs, ihn, durch das Denken in abstracto, zu weit zu fassen, zu allgemein zu nehmen. Seit der Scholastik, ja eigentlich seit Plato und Aristoteles, ist die Philosophie großentheils ein fortgesetzter Mißbrauch allgemeiner Begriffe. Solche sind z. B. Substanz, Grund, Ursache, das Gute, die Vollkommenheit, Nothwendigkeit, und gar viele andere. Eine Neigung der Köpfe zum Operiren mit solchen abstrakten und zu weit gefaßten Begriffen hat sich fast zu allen Zeiten gezeigt: sie mag zuletzt auf einer gewissen Trägheit des Intellektes beruhen, dem es zu beschwerlich ist, das Denken stets durch die Anschauung zu kontroliren. Solche zu weite Begriffe werden dann allmälig fast wie algebraische Zeichen gebraucht und wie diese hin und her geworfen, wodurch das Philosophiren zu einem bloßen Kombiniren, zu einer Rechnerei ausartet, welche (wie alles Rechnen) nur niedrige Fähigkeiten beschäftigt und erfordert. Ja, zuletzt entsteht hieraus ein bloßer Wortkram: von einem solchen liefert uns das scheußlichste Beispiel die kopfverderbende Hegelei, als in welcher er bis zum baaren Unsinn getrieben wird. Aber auch schon die Scholastik ist oft in Wortkram ausgeartet. Ja, sogar die Topi des Aristoteles, – ganz allgemein gefaßte, sehr abstrakte Grundsätze, die man, zum pro oder contra disputiren, auf die verschiedenartigsten Gegenstände anwenden und überall ins Feld stellen konnte, – haben schon ihren Ursprung in jenem Mißbrauch allgemeiner Begriffe. Von dem Verfahren der Scholastiker mit solchen Abstraktis findet man unzählige Beispiele in ihren Schriften, vorzüglich im Thomas Aquinas. Auf der von den Scholastikern gebrochenen Bahn ist aber eigentlich die Philosophie fortgegangen, bis auf Locke und Kant, welche endlich sich auf den Ursprung der Begriffe besannen. Ja, wir treffen Kanten selbst, in seinen früheren Jahren, noch auf jenem Wege an, in seinem »Beweisgrund des Daseyns Gottes« (S. 191 des ersten Bandes der Rosenkranzischen Ausgabe), wo die Begriffe Substanz, Grund, Realität in solcher Art gebraucht werden, wie sie es nimmermehr könnten, wenn man auf den Ursprung und den durch diesen bestimmten wahren Gehalt jener Begriffe zurückgegangen wäre: denn da hätte man gefunden, als Ursprung und Gehalt von Substanz allein die Materie, von Grund (wenn von Dingen der realen Welt die Rede ist) allein Ursache, d. h. die frühere Veränderung, welche die spätere herbeiführt, u. s. w. Freilich hätte das hier nicht zum beabsichtigten Resultat geführt. Aber überall, wie hier, entstanden aus solchen zu weit gefaßten Begriffen, unter welche sich daher mehr subsumiren ließ, als ihr wahrer Inhalt gestattet haben würde, falsche Sätze und aus diesen falsche Systeme. Auch Spinoza's ganze Demonstrirmethode beruht auf solchen ununtersuchten und zu weit gefaßten Begriffen. Hier nun liegt das eminente Verdienst Locke's, der, um allem jenem dogmatischen Unwesen entgegenzuwirken, auf Untersuchung des Ursprungs der Begriffe drang, wodurch er auf das Anschauliche und die Erfahrung zurückführte. In gleichem Sinn, doch mehr es auf Physik, als auf Metaphysik absehend, hatte vor ihm Bako gewirkt. Kant verfolgte die von Locke gebrochene Bahn, in höherm Sinne und viel weiter; wie bereits oben erwähnt. Den Männern des bloßen Scheines hingegen, denen es gelang, die Aufmerksamkeit des Publikums von Kant auf sich zu lenken, waren die Locke'schen und Kantischen Resultate beschwerlich. Allein in solchem Fall verstehen sie so gut die Todten, wie die Lebenden zu ignoriren. Sie verließen also, ohne Umstände, den von jenen Weisen endlich gefundenen allein richtigen Weg, philosophirten in den Tag hinein, mit allerlei aufgerafften Begriffen, unbekümmert um ihren Ursprung und Gehalt, so daß zuletzt die Hegelsche Afterweisheit darauf hinauslief, daß die Begriffe gar keinen Ursprung hätten, vielmehr selbst der Ursprung der Dinge wären. – Inzwischen hat Kant darin gefehlt, daß er über der reinen Anschauung zu sehr die empirische vernachlässigte, wovon ich in meiner Kritik seiner Philosophie ausführlich geredet habe. Bei mir ist durchaus die Anschauung die Quelle aller Erkenntniß. Das Verfängliche und Insidiöse der Abstrakta früh erkennend, wies ich schon 1813, in meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde, die Verschiedenheit der Verhältnisse nach, die unter diesem Begriffe gedacht werden. Allgemeine Begriffe sollen zwar der Stoff seyn, in welchen die Philosophie ihre Erkenntniß absetzt und niederlegt; jedoch nicht die Quelle, aus der sie solche schöpft: der terminus ad quem, nicht a quo. Sie ist nicht, wie Kant sie definirt, eine Wissenschaft aus Begriffen, sondern in Begriffen. – Auch der Begriff der Kausalität also, von dem wir hier reden, ist von den Philosophen, zum Vortheil ihrer dogmatischen Absichten, stets viel zu weit gefaßt worden, wodurch hineinkam, was gar nicht darin liegt: daraus entstanden Sätze wie: »Alles was ist hat seine Ursache«, – »die Wirkung kann nicht mehr enthalten, als die Ursache, also nichts, das nicht auch in dieser wäre«, – » causa est nobilior suo effectu« – und viele andere eben so unbefugte. Ein ausführliches und besonders lukulentes Beispiel giebt folgende Vernünftelei des faden Schwätzers Proklus, in seiner Institutio theologica, §. 76. Παν το απο αχινητου γιγνομενον αιτιας, αμεταβλητον εχει την ὑπαϱξιν·παν δε το απο χινουμενης, μεταβλητην·ει γαϱ αχινητον εστι παντῃ το ποιουν, ου δια χινησεως, αλλ' αυτῳ τῳ ειναι παϱαγει το δευτεϱον αφ' έαυτου. ( Quidquid ab immobili causa manat, immutabilem habet essentiam [substantiam]. Quidquid vero a mobili causa manat, essentiam habet mutabilem. Si enim illud, quod aliquid facit, est prorsus immobile, non per motum, sed per ipsum Esse producit ipsum secundum ex se ipso.) Schon recht! aber zeige mir ein Mal eine unbewegte Ursache: sie ist eben unmöglich. Allein die Abstraktion hat hier, wie in so vielen Fällen, alle Bestimmungen weggedacht, bis auf die eine, welche man eben brauchen will, ohne Rücksicht darauf, daß diese ohne jene nicht existiren kann. – Der allein richtige Ausdruck für das Gesetz der Kausalität ist dieser: jede Veränderung hat ihre Ursache in einer andern, ihr unmittelbar vorhergängigen. Wenn etwas geschieht, d. h. ein neuer Zustand eintritt, d. h. etwas sich verändert; so muß gleich vorher etwas Anderes sich verändert haben; vor diesem wieder etwas Anderes, und so aufwärts ins Unendliche: denn eine erste Ursache ist so unmöglich zu denken, wie ein Anfang der Zeit, oder eine Gränze des Raums. Mehr, als das Angegebene, besagt das Gesetz der Kausalität nicht: also treten seine Ansprüche erst bei Veränderungen ein. So lange sich nichts verändert, ist nach keiner Ursache zu fragen: denn es giebt keinen Grund a priori , vom Daseyn vorhandener Dinge, d. h. Zustände der Materie, auf deren vorheriges Nichtdaseyn und von diesem auf ihr Entstehen, also auf eine Veränderung, zu schließen. Daher berechtigt das bloße Daseyn eines Dinges nicht, zu schließen, daß es eine Ursache habe. Gründe a posteriori , d. h. aus früherer Erfahrung geschöpft, kann es jedoch geben, zu der Voraussetzung, daß der vorliegende Zustand nicht von jeher dagewesen, sondern erst in Folge eines andern, also durch eine Veränderung, entstanden sei, von welcher dann die Ursache zu suchen ist, und von dieser eben so: hier sind wir alsdann in dem endlosen Regressus begriffen, zu welchem die Anwendung des Gesetzes der Kausalität allemal führt. Oben wurde gesagt: » Dinge, d. h. Zustände der Materie«; denn nur auf Zustände bezieht sich die Veränderung und die Kausalität. Diese Zustände sind es, welche man unter Form, im weitern Sinn, versteht: und nur die Formen wechseln; die Materie beharrt. Also ist auch nur die Form dem Gesetz der Kausalität unterworfen. Aber auch die Form macht das Ding aus, d. h. begründet die Verschiedenheit der Dinge; während die Materie als in allen gleichartig gedacht werden muß. Daher sagten die Scholastiker: forma dat esse rei; genauer würde dieser Satz lauten: forma dat rei essentiam, materia existentiam. Daher eben betrifft die Frage nach der Ursache eines Dinges stets nur dessen Form, d. h. Zustand, Beschaffenheit, nicht aber dessen Materie, und auch jene nur, sofern man Gründe hat, anzunehmen, daß sie nicht von jeher gewesen, sondern durch eine Veränderung entstanden sei. Die Verbindung der Form mit der Materie, oder der Essentia mit der Existentia, giebt das Konkrete, welches stets ein Einzelnes ist, also das Ding: und die Formen sind es, deren Verbindung mit der Materie, d. h. deren Eintritt an dieser, mittelst einer Veränderung, dem Gesetze der Kausalität unterliegt. Durch die zu weite Fassung des Begriffes in abstracto also schlich sich der Mißbrauch ein, daß man die Kausalität auf das Ding schlechthin, also auf sein ganzes Wesen und Daseyn, mithin auch auf die Materie ausdehnte, und nun am Ende sich berechtigt hielt, sogar nach einer Ursache der Welt zu fragen. Hieraus entstand der kosmologische Beweis. Dieser geht eigentlich davon aus, daß er, ohne alle Berechtigung, vom Daseyn der Welt auf ihr Nichtseyn schließt, welches nämlich dem Daseyn vorhergegangen wäre: zu seinem Endpunkt aber hat er die fürchterliche Inkonsequenz, daß er eben das Gesetz der Kausalität, von welchem allein er alle Beweiskraft entlehnt, geradezu aufhebt, indem er bei einer ersten Ursache stehen bleibt und nicht weiter will, also gleichsam mit einem Vatermord endigt; wie die Bienen die Drohnen tödten, nachdem diese ihre Dienste geleistet haben. Auf einen verschämten und daher verlarvten kosmologischen Beweis läuft aber all das Gerede vom Absolutum zurück, welches, im Angesicht der Kritik der reinen Vernunft, seit sechzig Jahren in Deutschland für Philosophie gilt. Was bedeutet nämlich das Absolutum? – Etwas das nun einmal ist, und davon man (bei Strafe) nicht weiter fragen darf, woher und warum es ist. Ein Kabinetstück für Philosophie-Professoren! – Beim ehrlich dargelegten kosmologischen Beweis nun aber wird überdies, durch Annahme einer ersten Ursache, mithin eines ersten Anfangs in einer schlechterdings anfangslosen Zeit, dieser Anfang durch die Frage: warum nicht früher? immer höher hinaufgerückt und so hoch, daß man nie von ihm zur Gegenwart herabgelangt, sondern stets sich wundern muß, daß diese nicht schon vor Millionen Jahren gewesen. Ueberhaupt also findet das Gesetz der Kausalität auf alle Dinge in der Welt Anwendung, jedoch nicht auf die Welt selbst: denn es ist der Welt immanent, nicht transscendent: mit ihr ist es gesetzt und mit ihr aufgehoben. Dies liegt zuletzt daran, daß es zur bloßen Form unsers Verstandes gehört und, mit sammt der objektiven Welt, die deshalb bloße Erscheinung ist, durch ihn bedingt ist. Also auf alle Dinge in der Welt, versteht sich ihrer Form nach, auf den Wechsel dieser Formen, also auf ihre Veränderungen, findet das Gesetz der Kausalität volle Anwendung und leidet keine Ausnahme: es gilt vom Thun des Menschen, wie vom Stoße des Steines; jedoch, wie gesagt, immer nur in Bezug auf Vorgänge, auf Veränderungen. Wenn wir aber vom Ursprung desselben im Verstande abstrahiren und es rein objektiv auffassen wollen; so beruht es im tiefsten Grunde darauf, daß jedes Wirkende vermöge seiner ursprünglichen und daher ewigen, d. h. zeitlosen Kraft wirkt, daher seine jetzige Wirkung schon unendlich früher, nämlich vor jeder denkbaren Zeit, eingetreten sein müßte, wenn nicht die zeitliche Bedingung dazu gefehlt hätte: diese ist der Anlaß, d. h. die Ursach, vermöge welcher allein die Wirkung erst jetzt, jetzt aber nothwendig eintritt: sie ertheilt ihr ihre Stelle in der Zeit.

Allein in Folge der oben erörterten, zu weiten Fassung des Begriffes Ursache, im abstrakten Denken, hat man mit demselben auch den Begriff der Kraft verwechselt: diese, von der Ursache völlig verschieden, ist jedoch Das, was jeder Ursache ihre Kausalität, d. h. die Möglichkeit zu wirken, ertheilt; wie ich dies im zweiten Buche des ersten Bandes, sodann im »Willen in der Natur«, endlich auch in der zweiten Auflage der Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, §. 20, S. 44, ausführlich und gründlich dargethan habe. Am plumpesten findet man diese Verwechselung im oben erwähnten Buche von Maine de Biran, worüber das Nähere am zuletzt angeführten Orte: jedoch ist sie auch außerdem häufig, z. B. wenn nach der Ursache irgend einer ursprünglichen Kraft, z. B. der Schwerkraft, gefragt wird. Nennt doch Kant selbst (über den einzig möglichen Beweisgrund, Bd. I, S. 211 und 215 der Rosenkranzischen Ausgabe) die Naturkräfte »wirkende Ursachen« und sagt: »die Schwere ist eine Ursache«. Es ist jedoch unmöglich, mit seinem Denken im Klaren zu seyn, so lange darin Kraft und Ursache nicht als völlig verschieden deutlich erkannt werden. Zur Verwechselung derselben führt aber sehr leicht der Gebrauch abstrakter Begriffe, wenn die Betrachtung ihres Ursprungs bei Seite gesetzt wird. Man verläßt die auf der Form des Verstandes beruhende, stets anschauliche Erkenntniß der Ursachen und Wirkungen, um sich an das Abstraktum Ursache zu halten: bloß dadurch ist der Begriff der Kausalität, bei aller seiner Einfachheit, so sehr häufig falsch gefaßt worden. Daher finden wir selbst beim Aristoteles ( Metaph., IV, 2) die Ursachen in vier Klassen getheilt, welche grundfalsch, ja wirklich roh aufgegriffen sind. Man vergleiche damit meine Eintheilung der Ursachen, wie ich sie in meiner Abhandlung über das Sehen und die Farben, Kap. 1, zuerst aufgestellt, in §. 6 unsers ersten Bandes (erste Auflage, S. 29) kurz berührt, ausführlich aber in der Preisschrift »Ueber die Freiheit des Willens«, S. 30 33 [2. Aufl. S. 29 32] dargelegt habe. – Von der Kette der Kausalität, welche vorwärts und rückwärts endlos ist, bleiben in der Natur zwei Wesen unberührt: die Materie und die Naturkräfte. Diese beiden nämlich sind die Bedingungen der Kausalität, während alles Andere durch diese bedingt ist. Denn das Eine (die Materie) ist Das, an welchem die Zustände und ihre Veränderungen eintreten; das Andere (die Naturkräfte) Das, vermöge dessen allein sie überhaupt eintreten können. Hiebei aber sei man eingedenk, daß im zweiten Buche und später, auch gründlicher, im »Willen in der Natur«, die Naturkräfte als identisch mit dem Willen in uns nachgewiesen werden, die Materie aber sich als die bloße Sichtbarkeit des Willens ergiebt; so daß auch sie zuletzt, in gewissem Sinne, als identisch mit dem Willen betrachtet werden kann.

Andererseits bleibt nicht minder wahr und richtig, was §. 4 des ersten Bandes, und noch besser in der zweiten Auflage der Abhandlung »Ueber den Satz vom Grunde«, am Schluß des §. 21, S. 77, auseinandergesetzt ist, daß nämlich die Materie die objektiv aufgefaßte Kausalität selbst sei, indem ihr ganzes Wesen im Wirken überhaupt besteht, sie selbst also die Wirksamkeit (ενεϱγεια = Wirklichkeit) der Dinge überhaupt ist, gleichsam das Abstraktum alles ihres verschiedenartigen Wirkens. Da demnach das Wesen, Essentia, der Materie im Wirken überhaupt besteht, die Wirklichkeit, Existentia, der Dinge aber eben in ihrer Materialität, die also wieder mit dem Wirken überhaupt Eins ist; so läßt sich von der Materie behaupten, daß bei ihr Existentia und Essentia zusammenfallen und Eins seien: denn sie hat keine andern Attribute als das Daseyn selbst überhaupt und abgesehen von aller näheren Bestimmung desselben. Hingegen ist jede empirisch gegebene Materie, also der Stoff (den unsere heutigen unwissenden Materialisten mit der Materie verwechseln) schon in die Hülle der Formen eingegangen und manifestirt sich allein durch deren Qualitäten und Accidenzien; weil in der Erfahrung jedes Wirken ganz bestimmter und besonderer Art ist, nie ein bloß allgemeines. Daher eben ist die reine Materie ein Gegenstand des Denkens allein, nicht der Anschauung; welches den Plotinos ( Enneas II, lib. 4, c. 8 u. 9) und den Jordanus Brunus ( Della causa, dial. 4) zu dem paradoxen Ausspruch gebracht hat, daß die Materie keine Ausdehnung, als welche von der Form unzertrennlich sei, habe und daher unkörperlich sei; hatte doch schon Aristoteles gelehrt, daß sie kein Körper sei, wiewohl körperlich: σωμα μεν ουχ αν ειη, σωματιχη δε ( Stob. Ecl., lib. I. c. 12, §5). Wirklich denken wir unter reiner Materie das bloße Wirken in abstracto, ganz abgesehen von der Art dieses Wirkens, also die reine Kausalität selbst: und als solche ist sie nicht Gegenstand, sondern Bedingung der Erfahrung, eben wie Raum und Zeit. Dies ist der Grund, warum auf der hier beigegebenen Tafel unserer reinen Grunderkenntnisse a priori die Materie die Stelle der Kausalität hat einnehmen können, und neben Zeit und Raum, als das dritte rein Formelle und daher unserm Intellekt Anhängende figurirt.

Diese Tafel nämlich enthält sämmtliche in unserer anschauenden Erkenntniß a priori wurzelnden Grundwahrheiten, ausgesprochen als oberste, von einander unabhängige Grundsätze; nicht aber ist hier das Specielle aufgestellt, was den Inhalt der Arithmetik und Geometrie ausmacht, noch Dasjenige, was sich erst durch die Verknüpfung und Anwendung jener formellen Erkenntnisse ergiebt, als welches eben den Gegenstand der von Kant dargelegten »Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft« ausmacht, zu welchen diese Tafel gewissermaaßen die Propädeutik und Einleitung bildet, sich also unmittelbar daran schließt. Ich habe bei dieser Tafel zunächst den sehr merkwürdigen Parallelismus unserer, das Grundgerüst aller Erfahrung bildenden, Erkenntnisse a priori im Auge gehabt, besonders aber auch dies, daß, wie ich §. 4 des ersten Bandes auseinandergesetzt habe, die Materie (wie eben auch die Kausalität) als eine Vereinigung, wenn man will, Verschmelzung des Raumes mit der Zeit zu betrachten ist. In Uebereinstimmung hiemit finden wir dies: was die Geometrie für die reine Anschauung des Raumes, die Arithmetik für die der Zeit ist, das ist Kants Phoronomie für die reine Anschauung beider im Verein, denn die Materie allererst ist das Bewegliche im Raum. Der mathematische Punkt läßt sich nämlich nicht ein Mal als beweglich denken; wie schon Aristoteles dargethan hat: Phys., VI, 10. Dieser Philosoph selbst hat auch schon das erste Beispiel einer solchen Wissenschaft geliefert, indem er im fünften und sechsten Buche seiner Physik, die Gesetze der Ruhe und Bewegung a priori bestimmt.

Nun kann man diese Tafel nach Belieben betrachten entweder als eine Zusammenstellung der ewigen Grundgesetze der Welt, mithin als die Basis einer Ontologie; oder aber als ein Kapitel aus der Physiologie des Gehirnes; je nachdem man den realistischen, oder den idealistischen Gesichtspunkt faßt; wiewohl der zweite in letzter Instanz Recht behält. Hierüber haben wir zwar uns schon im ersten Kapitel verständigt: doch will ich es noch speciell durch ein Beispiel erläutern. Das Buch des Aristoteles de Xenophane etc. hebt an mit diesen gewichtigen Worten des Xenophanes: Αἵδιον ειναι φησιν, ει τι εστιν, ειπεϱ μη ενδεχεται γενεσϑαι μηδεν ε χ μηδενος ( Aeternum esse inquit, quicquid est, siquidem fieri non potest, ut ex nihilo quippiam existat). Hier urtheilt also Xenophanes über den Ursprung der Dinge, seiner Möglichkeit nach, über welchen er keine Erfahrung haben kann, nicht ein Mal eine analoge: auch beruft er sich auf keine; sondern er urtheilt apodiktisch, mithin a priori. Wie kann er Dieses, wenn er von außen und fremd hineinschaut in eine rein objektiv, d. h. unabhängig von seinem Erkennen, vorhandene Welt? Wie kann Er, ein vorübereilendes Ephemer, dem nur ein flüchtiger Blick in eine solche Welt gestattet ist, über sie, über die Möglichkeit ihres Daseyns und Ursprungs, zum voraus, ohne Erfahrung, apodiktisch urtheilen? – Die Lösung dieses Räthsels ist, daß der Mann es bloß mit seinen eigenen Vorstellungen zu thun hat, die als solche das Werk seines Gehirnes sind, deren Gesetzmäßigkeit daher nur die Art und Weise ist, wie seine Gehirnfunktion allein vollzogen werden kann, d. h. die Form seines Vorstellens. Er urtheilt also nur über sein eigenes Gehirnphänomen und sagt aus, was in dessen Formen, Zeit, Raum und Kausalität, hineingeht und was nicht: da ist er vollkommen zu Hause und redet apodiktisch. In gleichem Sinne also ist die hier folgende Tafel der Praedicabilia a priori der Zeit, des Raumes und der Materie zu nehmen.

 

Anmerkungen zur beigefügten Tafel.

1) Zu Nr. 4 der Materie.

Das Wesen der Materie besteht im Wirken: sie ist das Wirken selbst, in abstracto, also das Wirken überhaupt, abgesehen von aller Verschiedenheit der Wirkungsart: sie ist durch und durch Kausalität. Eben deshalb ist sie selbst, ihrem Daseyn nach, dem Gesetz der Kausalität nicht unterworfen, also unentstanden und unvergänglich: denn sonst würde das Gesetz der Kausalität aus sich selbst angewandt werden. Da nun die Kausalität uns a priori bewußt ist, so kann der Begriff der Materie, als der unzerstörbaren Grundlage alles Existirenden, indem er nur die Realisation einer uns a priori gegebenen Form des Erkennens ist, insofern seine Stelle unter den Erkenntnissen a priori einnehmen. Denn sobald wir ein Wirkendes anschauen, stellt es sich eo ipso als materiell dar, wie auch umgekehrt, ein Materielles nothwendig als wirksam: es sind in der That Wechselbegriffe. Daher wird das Wort »wirklich« als Synonym von »materiell« gebraucht: auch das Griechische χατ' ενεϱγειαν im Gegensatz von χατα δυναμιν beurkundet den selben Ursprung, da ενεϱγεια das Wirken überhaupt bedeutet: eben so actu, im Gegensatz von potentia; auch das Englische actually für »wirklich«. – Was man die Raumerfüllung oder Undurchdringlichkeit nennt und als das wesentliche Merkmal des Körpers (d. i. des Materiellen) angiebt, ist bloß diejenige Wirkungsart, welche allen Körpern ohne Ausnahme zukommt, nämlich die mechanische. Diese Allgemeinheit, vermöge deren sie zum Begriff eines Körpers gehört und aus diesem Begriff a priori folgt, daher auch nicht weggedacht werden kann, ohne ihn selbst aufzuheben, ist es allein, die sie vor andern Wirkungsarten, wie die elektrische, die chemische, die leuchtende, die wärmende, auszeichnet. Diese Raumerfüllung, oder mechanische Wirkungsart, hat Kant sehr richtig zerlegt in Repulsions- und Attraktions-Kraft, wie man eine gegebene mechanische Kraft, durch das Parallelogramm der Kräfte, in zwei andere zerlegt. Doch ist jenes im Grunde nur die besonnene Analyse des Phänomens in seine Bestandtheile. Beide Kräfte im Verein stellen den Körper innerhalb seiner Gränzen, d. h. in bestimmtem Volumen dar, während die eine allein ihn ins Unendliche zerstreuend auflösen, die andere allein ihn in einen Punkt kontrahiren würde. Dieses gegenseitigen Balancements, oder Neutralisation, ungeachtet, wirkt der Körper noch mit der ersten Kraft repellirend auf andere Körper, die ihm den Raum streitig machen, und mit der andern attrahirend auf alle Körper überhaupt, in der Gravitation; so daß die zwei Kräfte doch nicht in ihrem Produkt, dem Körper, erlöschen, wie etwan zwei in entgegengesetzter Richtung gleich wirkende Stoßkräfte, oder + E und   E, oder Oxygen und Hydrogen im Wasser. Daß Undurchdringlichkeit und Schwere wirklich genau zusammenhängen, bezeugt, obwohl wir sie in Gedanken trennen können, ihre empirische Unzertrennlichkeit, indem nie eine ohne die andere auftritt.

Ich darf jedoch nicht unerwähnt lassen, daß die hier angezogene Lehre Kants, welche den Grundgedanken des zweiten Hauptstücks seiner »Metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft«, also der Dynamik, ausmacht, bereits vor Kant deutlich und ausführlich dargelegt war, von Priestley, in seinen so vortrefflichen Disquisitions on matter and spirit, Sect. 1 et 2, welches Buch 1777, in der zweiten Auflage 1782, erschien, während jene Metaphysischen Anfangsgründe von 1786 sind. Unbewußte Reminiscenzen lassen sich allenfalls bei Nebengedanken, sinnreichen Einfällen, Gleichnissen u. dgl. annehmen, nicht aber bei Haupt- und Grund-Gedanken. Sollen wir also glauben, daß Kant jene so wichtigen Gedanken eines Andern sich stillschweigend zugeeignet habe? Und dies aus einem damals noch neuen Buch? Oder aber, daß dieses Buch ihm unbekannt gewesen und der selbe Gedanke binnen kurzer Zeit in zwei Köpfen entsprungen sei? – Auch die Erklärung, welche Kant in den »Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft« (erste Auflage S. 88, Rosenkranzische Ausgabe S. 384), vom eigentlichen Unterschiede des Flüssigen vom Festen giebt, ist im Wesentlichen schon zu finden in Kaspar Friedr. Wolff's »Theorie von der Generation«, Berlin 1764, S. 132. Was sollen wir aber sagen, wenn wir Kants wichtigste und glänzendeste Grundlehre, die von der Idealität des Raumes und der bloß phänomenalen Existenz der Körperwelt, schon dreißig Jahre früher ausgesprochen finden von Maupertuis? wie Dies des Näheren zu ersehen ist aus Frauenstädt's Briefen über meine Philosophie, Brief 14. Maupertuis spricht diese paradoxe Lehre so entschieden und doch ohne Hinzufügung eines Beweises aus, daß man vermuthen muß, auch er habe sie wo anders hergenommen. Es wäre sehr wünschenswerth, daß man der Sache weiter nachforschte; und da dies mühsame und weitläuftige Untersuchungen erfordert, so könnte wohl irgend eine Deutsche Akademie eine Preisfrage darüber aufstellen. Wie Kant hier zu Priestley, vielleicht auch zu Kaspar Wolff, und zu Maupertuis oder dessen Vordermann, so steht zu ihm Laplace, dessen bewunderungswürdige und gewiß richtige Lehre vom Ursprung des Planetensystems, dargelegt in seiner Exposition du système du monde Liv. V, c. 2, der Hauptsache und den Grundgedanken nach, ungefähr fünfzig Jahr früher, nämlich 1755, vorgetragen war von Kant in seiner »Naturgeschichte und Theorie des Himmels«, und vollkommener 1763 in seinem »Einzig möglichen Beweisgrund des Daseyns Gottes«, Kap. 7; und da er in letzterer Schrift auch zu verstehen giebt, daß Lambert in seinen »Kosmologischen Briefen«, 1761, jene Lehre stillschweigend von ihm entlehnt habe, diese Briefe aber, um die selbe Zeit, auch französisch erschienen sind ( Lettres cosmologiques sur la constitution de l'univers); so müssen wir annehmen, daß Laplace jene Kantische Lehre gekannt hat. Zwar stellt er, wie es seinen tiefern astronomischen Kenntnissen angemessen ist, die Sache gründlicher, schlagender, ausführlicher und doch einfacher dar, als Kant: aber in der Hauptsache ist sie schon bei diesem deutlich vorhanden, und würde, bei der hohen Wichtigkeit der Sache, allein hinreichend seyn, seinen Namen unsterblich zu machen. – Es muß uns höchlich betrüben, wenn wir die Köpfe ersten Ranges einer Unredlichkeit verdächtig finden, die selbst denen des letzten zur Schande gereicht; indem wir fühlen, daß einem reichen Mann Diebstahl noch weniger zu verzeihen wäre, als einem armen. Wir dürfen aber nicht dazu schweigen: denn hier sind wir die Nachwelt und müssen gerecht seyn; wie wir hoffen, daß auch gegen uns einst die Nachwelt gerecht seyn werde. Daher will ich zu jenen Fällen noch als drittes Seitenstück anführen, daß die Grundgedanken der »Metamorphose der Pflanzen«, von Goethe, bereits 1764 ausgesprochen waren von Kaspar Friedrich Wolff in seiner »Theorie von der Generation«, S. 148, 229, 243 u. s. w. – Ja, ist es denn anders mit dem Gravitationssystem? dessen Entdeckung, auf dem Europäischen Festlande, noch immer dem Neuton zugeschrieben wird; während in England wenigstens die Gelehrten sehr wohl wissen, daß sie dem Robert Hooke angehört, welcher sie schon im Jahre 1666, in einer Communication to the Royal Society, zwar nur als Hypothese und ohne Beweis, aber ganz deutlich darlegte. Die Hauptstelle aus dieser ist abgedruckt in Dugald Stewart's Philosophy of the human mind, Vol. 2, p. 434, und wahrscheinlich aus R. Hooke's Posthumous works entnommen. Den Hergang der Sache und wie Neuton dabei ins Gedränge kam, findet man auch in der Biographie universelle, article Neuton. Als ausgemachte Sache wird Hooke's Priorität behandelt in einer kurzen Geschichte der Astronomie, Quarterly review, August 1828. Das Ausführlichere über diesen Gegenstand findet man in meinen Parergis, Bd. II, §. 86. Die Geschichte vom Fall eines Apfels ist ein eben so grundloses, als beliebtes Mährchen und ohne alle Autorität.

2) Zu Nr. 18 der Materie.

Die Größe der Bewegung ( quantitas motus, schon bei Kartesius) ist das Produkt der Masse in die Geschwindigkeit.

Dieses Gesetz begründet nicht nur in der Mechanik die Lehre vom Stoß, sondern auch in der Statik die Lehre vom Gleichgewicht. Aus der Stoßkraft, welche zwei Körper, bei gleicher Geschwindigkeit, äußern, läßt sich das Verhältniß ihrer Massen zu einander bestimmen: so wird von zwei gleich schnell schlagenden Hämmern der von größerer Masse den Nagel tiefer in die Wand, oder den Pfahl tiefer in die Erde treiben. Z. B. ein Hammer, dessen Gewicht sechs Pfund ist, wird, bei einer Geschwindigkeit = 6, so viel wirken wie ein Hammer von drei Pfund, bei einer Geschwindigkeit = 12: denn in beiden Fällen ist die Größe der Bewegung = 36. Von zwei gleich schnell rollenden Kugeln wird die von größerer Masse eine dritte ruhende Kugel weiter fortstoßen, als die von kleinerer Masse es kann: weil die Masse der ersteren, multiplicirt mit der gleichen Geschwindigkeit, ein größeres Quantum der Bewegung ergiebt. Die Kanone reicht weiter als die Flinte, weil dort die gleiche Geschwindigkeit, einer viel größern Masse mitgetheilt, ein viel größeres Quantum Bewegung liefert, welches der ermattenden Einwirkung der Schwere länger widersteht. Aus dem nämlichen Grunde wird der selbe Arm eine bleierne Kugel weiter werfen, als eine steinerne von gleicher Größe, oder einen größern Stein weiter, als einen ganz kleinen. Daher auch reicht ein Kartätschenschuß nicht so weit, wie der Schuß mit der Kugel.

Das selbe Gesetz liegt der Lehre vom Hebel und von der Waage zum Grunde: denn auch hier hat die kleinere Masse, am längern Hebelarm oder Waagebalken, beim Fallen eine größere Geschwindigkeit, mit welcher multiplicirt sie der, am kürzern Arm befindlichen, größern Masse an Größe der Bewegung gleich kommen, ja, sie übertreffen kann. In dem durch das Gleichgewicht herbeigeführten Zustande der Ruhe ist jedoch diese Geschwindigkeit bloß intentionell, oder virtuell, potentiâ nicht actu, vorhanden, wirkt jedoch so gut wie actu, welches sehr merkwürdig ist.

Nach diesen in Erinnerung gebrachten Wahrheiten wird die folgende Erklärung leichter faßlich sehn.

Die Quantität einer gegebenen Materie kann überhaupt nur nach ihrer Kraft geschätzt und diese nur an ihrer Aeußerung erkannt werden. Diese Aeußerung kann, wo die Materie bloß ihrer Quantität, nicht ihrer Qualität nach in Betracht kommt, nur eine mechanische seyn, d. h. nur bestehen in der Bewegung, die sie anderer Materie mittheilt. Denn erst in der Bewegung wird die Kraft der Materie gleichsam lebendig: daher der Ausdruck lebendige Kraft für die Kraftäußerung der bewegten Materie. Demnach ist für die Quantität gegebener Materie das alleinige Maaß die Größe ihrer Bewegung. In dieser aber, wenn sie gegeben ist, tritt die Quantität der Materie noch mit dem andern Faktor derselben, der Geschwindigkeit, versetzt und verschmolzen auf: dieser andere Faktor also muß ausgeschieden werden, wenn man die Quantität der Materie (die Masse) erkennen will. Nun wird zwar die Geschwindigkeit unmittelbar erkannt: denn sie ist S/T. Allein der andere Faktor, der durch Ausscheidung dieses übrig bleibt, also die Masse, ist stets nur relativ erkennbar, nämlich im Vergleich mit andern Massen, die aber selbst wieder nur mittelst der Größe ihrer Bewegung, also in ihrer Versetzung mit der Geschwindigkeit, erkennbar sind. Man muß also ein Quantum Bewegung mit dem andern vergleichen, dann aus beiden die Geschwindigkeit abrechnen, um zu ersehen wie viel jedes derselben seiner Masse verdankte. Dies geschieht durch das Wägen der Massen gegen einander, in welchem nämlich diejenige Größe der Bewegung, welche, in jeder der beiden Massen, die auf beide nur nach Maaßgabe ihrer Quantität wirkende Anziehungskraft der Erde erregt, verglichen wird. Daher giebt es zwei Arten des Wägens: nämlich entweder ertheilt man den beiden zu vergleichenden Massen gleiche Geschwindigkeit, um zu ersehen, welche von beiden der andern jetzt noch Bewegung mittheilt, also selbst ein größeres Quantum derselben hat, welches, da die Geschwindigkeit auf beiden Seiten gleich ist, dem andern Faktor der Größe der Bewegung, also der Masse, zuzuschreiben ist (Handwaage): oder aber man wägt dadurch, daß man untersucht, wie viel Geschwindigkeit die eine Masse mehr erhalten muß, als die andere hat, um dieser an Größe der Bewegung gleich zu kommen, mithin von ihr sich keine mehr mittheilen zu lassen; da dann in dem Verhältniß wie ihre Geschwindigkeit die der andern übertreffen muß, ihre Masse, d. h. die Quantität ihrer Materie, geringer ist, als die der andern (Schnellwaage). Diese Schätzung der Massen durch Wägen beruht auf dem günstigen Umstand, daß die bewegende Kraft, an sich selbst, auf beide ganz gleichmäßig wirkt, und jede von beiden in der Lage ist, ihren Ueberschuß an Größe der Bewegung unmittelbar der andern mitzutheilen, wodurch er sichtbar wird.

Das Wesentliche dieser Lehren ist längst, von Neuton und Kant, ausgesprochen worden, aber durch den Zusammenhang und die Klarheit dieser Darstellung glaube ich denselben eine Faßlichkeit verliehen zu haben, welche Jedem die Einsicht zugänglich macht, die ich zur Rechtfertigung des Satzes Nr. 18 nöthig erachtete.

 


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